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  • 1809
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ins Wasser und schwamm der schˆnen Feinden nach.

Das Wasser ist ein freundliches Element f¸r den, der damit bekannt ist und es zu behandeln weifl.

Es trug ihn, und der geschickte Schwimmer beherrschte es.

Bald hatte er die vor ihm fortgerissene Schˆne erreicht; er faflte sie, wuflte sie zu heben und zu tragen; beide wurden vom Strom gewaltsam fortgerissen, bis sie die Inseln, die Werder weit hinter sich hatten und der Flufl wieder breit und gem‰chlich zu flieflen anfing.

Nun erst ermannte, nun erholte er sich aus der ersten zudringenden Not, in der er ohne Besinnung nur mechanisch gehandelt; er blickte mit emporstrebendem Haupt umher und ruderte nach Vermˆgen einer flachen, buschichten Stelle zu, die sich angenehm und gelegen in den Flufl verlief.

Dort brachte er seine schˆne Beute aufs Trockne; aber kein Lebenshauch war in ihr zu sp¸ren.

Er war in Verzweiflung, als ihm ein betretener Pfad, der durchs Geb¸sch lief, in die Augen leuchtete.

Er belud sich aufs neue mit der teuren Last, er erblickte bald eine einsame Wohnung und erreichte sie.

Dort fand er gute Leute, ein junges Ehepaar.

Das Ungl¸ck, die Not sprach sich geschwind aus.

Was er nach einiger Besinnung forderte, ward geleistet.

Ein lichtes Feuer brannte, wollne Decken wurden ¸ber ein Lager gebreitet, Pelze, Felle und was Erw‰rmendes vorr‰tig war, schnell herbeigetragen.

Hier ¸berwand die Begierde zu retten jede andre Betrachtung.

Nichts ward vers‰umt, den schˆnen, halbstarren, nackten Kˆrper wieder ins Leben zu rufen.

Es gelang.

Sie schlug die Augen auf, sie erblickte den Freund, umschlang seinen Hals mit ihren himmlischen Armen.

So blieb sie lange; ein Tr‰nenstrom st¸rzte aus ihren Augen und vollendete ihre Genesung.

“Willst du mich verlassen”, rief sie aus, “da ich dich so wiederfinde?”–“Niemals”, rief er, “niemals!” und wuflte nicht, was er sagte noch was er tat.

“Nur schone dich”, rief er hinzu, “schone dich!

Denke an dich um deinet–und meinetwillen”.

Sie dachte nun an sich und bemerkte jetzt erst den Zustand, in dem sie war.

Sie konnte sich vor ihrem Liebling, ihrem Retter nicht sch‰men; aber sie entliefl ihn gern, damit er f¸r sich sorgen mˆge; denn noch war, was ihn umgab, nafl und triefend.

Die jungen Eheleute beredeten sich; er bot dem J¸ngling und sie der Schˆnen das Hochzeitskleid an, das noch vollst‰ndig dahing, um ein Paar von Kopf zu Fufl und von innen heraus zu bekleiden.

In kurzer Zeit waren die beiden Abenteurer nicht nur angezogen, sondern geputzt.

Sie sahen allerliebst aus, staunten einander an, als sie zusammentraten, und fielen sich mit unm‰fliger Leidenschaft, und doch halb l‰chelnd ¸ber die Vermummung, gewaltsam in die Arme.

Die Kraft der Jugend und die Regsamkeit der Liebe stellten sie in wenigen Augenblicken vˆllig wieder her, und es fehlte nur die Musik, um sie zum Tanz aufzufordern.

Sich vom Wasser zur Erde, vom Tode zum Leben, aus dem Familienkreise in eine Wildnis, aus der Verzweiflung zum Entz¸cken, aus der Gleichg¸ltigkeit zur Neigung, zur Leidenschaft gefunden zu haben, alles in einem Augenblick–der Kopf w‰re nicht hinreichend, das zu fassen; er w¸rde zerspringen oder sich verwirren.

Hiebei mufl das Herz das Beste tun, wenn eine solche ¸berraschung ertragen werden soll.

Ganz verloren eins ins andere, konnten sie erst nach einiger Zeit an die Angst, an die Sorgen der Zur¸ckgelassenen denken, und fast konnten sie selbst nicht ohne Angst, ohne Sorge daran denken, wie sie jenen wiederbegegnen wollten.

“Sollen wir fliehen?

Sollen wir uns verbergen?” sagte der J¸ngling.

“Wir wollen zusammenbleiben”, sagte sie, indem sie an seinem Hals hing.

Der Landmann, der von ihnen die Geschichte des gestrandeten Schiffs vernommen hatte, eilte, ohne weiter zu fragen, nach dem Ufer.

Das Fahrzeug kam gl¸cklich einhergeschwommen; es war mit vieler M¸he losgebracht worden.

Man fuhr aufs ungewisse fort, in Hoffnung, die Verlornen wiederzufinden.

Als daher der Landmann mit Rufen und Winken die Schiffenden aufmerksam machte, an eine Stelle lief, wo ein vorteilhafter Landungsplatz sich zeigte, und mit Winken und Rufen nicht aufhˆrte, wandte sich das Schiff nach dem Ufer, und welch ein Schauspiel ward es, da sie landeten!

Die Eltern der beiden Verlobten dr‰ngten sich zuerst ans Ufer; den liebenden Br‰utigam hatte fast die Besinnung verlassen.

Kaum hatten sie vernommen, dafl die lieben Kinder gerettet seien, so traten diese in ihrer sonderbaren Verkleidung aus dem Busch hervor.

Man erkannte sie nicht eher, als bis sie ganz herangetreten waren.

“Wenn seh ich?” riefen die M¸tter.

“Was seh ich?” riefen die V‰ter.

Die Geretteten warfen sich vor ihnen nieder.

“Eure Kinder!” riefen sie aus, “ein Paar”.

-“Verzeiht!” rief das M‰dchen.

“Gebt uns Euren Segen!” rief der J¸ngling.

“Gebt uns Euren Segen!” riefen beide, da alle Welt staunend verstummte.

“Euren Segen!” ertˆnte es zum drittenmal, und wer h‰tte den versagen kˆnnen!

Der Erz‰hlende machte eine Pause oder hatte vielmehr schon geendigt, als er bemerken muflte, dafl Charlotte hˆchst bewegt sei; ja sie stand auf und verliefl mit einer stummen Entschuldigung das Zimmer; denn die Geschichte war ihr bekannt.

Diese Begebenheit hatte sich mit dem Hauptmann und einer Nachbarin wirklich zugetragen, zwar nicht ganz wie sie der Engl‰nder erz‰hlte, doch war sie in den Hauptz¸gen nicht entstellt, nur im einzelnen mehr ausgebildet und ausgeschm¸ckt, wie es dergleichen Geschichten zu gehen pflegt, wenn sie erst durch den Mund der Menge und sodann durch die Phantasie eines geist–und geschmackreichen Erz‰hlers durchgehen.

Es bleibt zuletzt meist alles und nichts, wie es war.

Ottilie folgte Charlotten, wie es die beiden Fremden selbst verlangten, und nun kam der Lord an die Reihe zu bemerken, dafl vielleicht abermals ein Fehler begangen, etwas dem Hause Bekanntes oder gar Verwandtes erz‰hlt worden.

“Wir m¸ssen uns h¸ten”, fuhr er fort, “dafl wir nicht noch mehr ¸bles stiften.

F¸r das viele Gute und Angenehme, das wir hier genossen, scheinen wir den Bewohnerinnen wenig Gl¸ck zu bringen; wir wollen uns auf eine schickliche Weise zu empfehlen suchen”.

“Ich mufl gestehen”, versetzte der Begleiter, “dafl mich hier noch etwas anderes festh‰lt, ohne dessen Aufkl‰rung und n‰here Kenntnis ich dieses Haus nicht gern verlassen mˆchte.

Sie waren gestern, Mylord, als wir mit der tragbaren dunklen Kammer durch den Park zogen, viel zu besch‰ftigt, sich einen wahrhaft malerischen Standpunkt auszuw‰hlen, als dafl Sie h‰tten bemerken sollen, was nebenher vorging.

Sie lenkten vom Hauptwege ab, um zu einem wenig besuchten Platze am See zu gelangen, der Ihnen ein reizendes Gegen¸ber anbot.

Ottilie, die uns begleitete, stand an zu folgen und bat, sich auf dem Kahne dorthin begeben zu d¸rfen.

Ich setzte mich mit ihr ein und hatte meine Freude an der Gewandtheit der schˆnen Schifferin.

Ich versicherte ihr, dafl ich seit der Schweiz, wo auch die reizendsten M‰dchen die Stelle des F‰hrmanns vertreten, nicht so angenehm sei ¸ber die Wellen geschaukelt worden, konnte mich aber nicht enthalten, sie zu fragen, warum sie eigentlich abgelehnt, jenen Seitenweg zu machen; denn wirklich war in ihrem Ausweichen eine Art von ‰ngstlicher Verlegenheit.

‘Wenn Sie mich nicht auslachen wollen’, versetzte sie freundlich, ‘so kann ich Ihnen dar¸ber wohl einige Auskunft geben, obgleich selbst f¸r mich dabei ein Geheimnis obwaltet.

Ich habe jenen Nebenweg niemals betreten, ohne dafl mich ein ganz eigener Schauer ¸berfallen h‰tte, den ich sonst nirgends empfinde und den ich mir nicht zu erkl‰ren weifl.

Ich vermeide daher lieber, mich einer solchen Empfindung auszusetzen, um so mehr, als sich gleich darauf ein Kopfweh an der linken Seite einstellt, woran ich sonst auch manchmal leide’.

Wir landeten, Ottilie unterhielt sich mit Ihnen, und ich untersuchte indes die Stelle, die sie mir aus der Ferne deutlich angegeben hatte.

Aber wie grofl war meine Verwunderung, als ich eine sehr deutliche Spur von Steinkohlen entdeckte, die mich ¸berzeugt, man w¸rde bei einigem Nachgraben vielleicht ein ergiebiges Lager in der Tiefe finden. Verzeihen Sie, Mylord, ich sehe Sie l‰cheln und weifl recht gut, dafl Sie mir eine leidenschaftliche Aufmerksamkeit auf diese Dinge, an die Sie keinen Glauben haben, nur als weiser Mann und als Freund nachsehen; aber es ist mir unmˆglich, von hier zu scheiden, ohne das schˆne Kind auch die Pendelschwingungen versuchen zu lassen”.

Es konnte niemals fehlen, wenn die Sache zur Sprache kam, dafl der Lord nicht seine Gr¸nde dagegen abermals wiederholte, welche der Begleiter bescheiden und geduldig aufnahm, aber doch zuletzt bei seiner Meinung, bei seinen W¸nschen verharrte.

Auch er gab wiederholt zu erkennen, dafl man deswegen, weil solche Versuche nicht jedermann gel‰ngen, die Sache nicht aufgeben, ja vielmehr nur desto ernsthafter und gr¸ndlicher untersuchen m¸flte, da sich gewifl noch manche Bez¸ge und Verwandtschaften unorganischer Wesen untereinander, organischer gegen sie und abermals untereinander offenbaren w¸rden, die uns gegenw‰rtig verborgen seien.

Er hatte seinen Apparat von goldnen Ringen, Markasiten und andern metallischen Substanzen, den er in einem schˆnen K‰stchen immer bei sich f¸hrte, schon ausgebreitet und liefl nun Metalle, an F‰den schwebend, ¸ber liegende Metalle zum Versuche nieder.

“Ich gˆnne Ihnen die Schadenfreude, Mylord”, sagte er dabei, “die ich auf Ihrem Gesichte lese, dafl sich bei mir und f¸r mich nichts bewegen will.

Meine Operation ist aber auch nur ein Vorwand.

Wenn die Damen zur¸ckkehren, sollen sie neugierig werden, was wir Wunderliches hier beginnen”.

Die Frauenzimmer kamen zur¸ck.

Charlotte verstand sogleich, was vorging.

“Ich habe manches von diesen Dingen gehˆrt”, sagte sie, “aber niemals eine Wirkung gesehen.

Da Sie alles so h¸bsch bereit haben, lassen Sie mich versuchen, ob es mir nicht auch anschl‰gt”.

Sie nahm den Faden in die Hand, und da es ihr Ernst war, hielt sie ihn stet und ohne Gem¸tsbewegung; allein auch nicht das mindeste Schwanken war zu bemerken.

Darauf ward Ottilie veranlaflt.

Sie hielt den Pendel noch ruhiger, unbefangener, unbewuflter ¸ber die unterliegenden Metalle.

Aber in dem Augenblicke ward das Schwebende wie in einem entschiedenen Wirbel fortgerissen und drehte sich, je nachdem man die Unterlage wechselte, bald nach der einen, bald nach der andern Seite, jetzt in Kreisen, jetzt in Ellipsen, oder nahm seinen Schwung in graden Linien, wie es der Begleiter nur erwarten konnte, ja ¸ber alle seine Erwartung.

Der Lord selbst stutzte einigermaflen, aber der andere konnte vor Lust und Begierde gar nicht enden und bat immer um Wiederholung und Vermannigfaltigung der Versuche.

Ottilie war gef‰llig genug, sich in sein Verlangen zu finden, bis sie ihn zuletzt freundlich ersuchte, er mˆge sie entlassen, weil ihr Kopfweh sich wieder einstelle.

Er, da¸ber verwundert, ja entz¸ckt, versicherte ihr mit Enthusiasmus, dafl er sie von diesem ¸bel vˆllig heilen wolle, wenn sie sich seiner Kurart anvertraue.

Man war einen Augenblick ungewifl; Charlotte aber, die geschwind begriff, wovon die Rede sei, lehnte den wohlgesinnten Antrag ab, weil sie nicht gemeint war, in ihrer Umgebung etwas zuzulassen, wovor sie immerfort eine starke Apprehension gef¸hlt hatte.

Die Fremden hatten sich entfernt und, ungeachtet man von ihnen auf eine sonderbare Weise ber¸hrt worden war, doch den Wunsch zur¸ckgelassen, dafl man sie irgendwo wieder antreffen mˆchte.

Charlotte benutzte nunmehr die schˆnen Tage, um in der Nachbarschaft ihre Gegenbesuche zu enden, womit sie kaum fertig werden konnte, indem sich die ganze Landschaft umher, einige wahrhaft teilnehmend, andre blofl der Gewohnheit wegen, bisher fleiflig um sie bek¸mmert hatten.

Zu Hause belebte sie der Anblick des Kindes; es war gewifl jeder Liebe, jeder Sorgfalt wert.

Man sah in ihm ein wunderbares, ja ein Wunderkind, hˆchst erfreulich dem Anblick, an Grˆfle, Ebenmafl, St‰rke und Gesundheit; und was noch mehr in Verwunderung setzte, war jene doppelte ‰hnlichkeit, die sich immer mehr entwickelte.

Den Gesichtsz¸gen und der ganzen Form nach glich das Kind immer mehr dem Hauptmann, die Augen lieflen sich immer weniger von Ottiliens Augen unterscheiden.

Durch diese sonderbare Verwandtschaft und vielleicht noch mehr durch das schˆne Gef¸hl der Frauen geleitet, welche das Kind eines geliebten Mannes, auch von einer andern, mit z‰rtlicher Neigung umfangen, ward Ottilie dem heranwachsenden Geschˆpf soviel als eine Mutter oder vielmehr eine andre Art von Mutter.

Entfernte sich Charlotte, so blieb Ottilie mit dem Kinde und der W‰rterin allein.

Nanny hatte sich seit einiger Zeit, eifers¸chtig auf den Knaben, dem ihre Herrin alle Neigung zuzuwenden schien, trotzig von ihr entfernt und war zu ihren Eltern zur¸ckgekehrt.

Ottilie fuhr fort, das Kind in die freie Luft zu tragen, und gewˆhnte sich an immer weitere Spazierg‰nge.

Sie hatte das Milchfl‰schchen bei sich, um dem Kinde, wenn es nˆtig, seine Nahrung zu reichen.

Selten unterliefl sie dabei, ein Buch mitzunehmen, und so bildete sie, das Kind auf dem Arm, lesend und wandelnd, eine gar anmutige Penserosa.

Der Hauptzweck des Feldzugs war erreicht und Eduard, mit Ehrenzeichen geschm¸ckt, r¸hmlich entlassen.

Er begab sich sogleich wieder auf jenes kleine Gut, wo er genaue Nachrichten von den Seinigen fand, die er, ohne dafl sie es bemerkten und wuflten, scharf hatte beobachten lassen.

Sein stiller Aufenthalt blickte ihm aufs freundlichste entgegen; denn man hatte indessen nach seiner Anordnung manches eingerichtet, gebessert und gefˆrdert, sodafl die Anlagen und Umgebungen, was ihnen an Weite und Breite fehlte, durch das Innere und zun‰chst Genieflbare ersetzten.

Eduard, durch einen raschen Lebensgang an entschiedenere Schritte gewˆhnt, nahm sich nunmehr vor, dasjenige auszuf¸hren, was er lange genug zu ¸berdenken Zeit gehabt hatte.

Vor allen Dingen berief er den Major.

Die Freude des Wiedersehens war grofl.

Jugendfreundschaften wie Blutsverwandtschaften haben den bedeutenden Vorteil, dafl ihnen Irrungen und Miflverst‰ndnisse, von welcher Art sie auch seien, niemals von Grund aus schaden und die alten Verh‰ltnisse sich nach einiger Zeit wiederherstellen.

Zum frohen Mepfang erkundigte sich Eduard nach dem Zustande des Freundes und vernahm, wie vollkommen nach seinen W¸nschen ihn das Gl¸ck beg¸nstigt habe.

Halb scherzend vertraulich fragte Eduard sodann, ob nicht auch eine schˆne Verbindung im Werke sei.

Der Freund verneinte es mit bedeutendem Ernst.

“Ich kann und darf nicht hinterhaltig sein”, fuhr Eduard fort; “ich mufl dir meine Gesinnungen und Vors‰tze sogleich entdecken.

Du kennst meine Leidenschaft f¸r Ottilien und hast l‰ngst begriffen, dafl sie es ist, die mich in diesen Feldzug gest¸rzt hat.

Ich leugne nicht, dafl ich gew¸nscht hatte, ein Leben loszuwerden, das mir ohne sie nichts weiter n¸tze war; allein zugleich mufl ich dir gestehen, dafl ich es nicht ¸ber mich gewinnen konnte, vollkommen zu verzweifeln.

Das Gl¸ck mit ihr war so schˆn, so w¸nschenswert, dafl es mir unmˆglich blieb, vˆllig Verzicht darauf zu tun.

So manche trˆstliche Ahnung, so manches heitere Zeichen hatte mich in dem Glauben, in dem Wahn best‰rkt, Ottilie kˆnne die Meine werden.

Ein Glas mit unserm Namenszug bezeichnet, bei der Grundsteinlegung in die L¸fte geworfen, ging nicht zu Tr¸mmern; es ward aufgefangen und ist wieder in meinen H‰nden.

‘So will ich mich denn selbst’, rief ich mir zu, als ich an diesem einsamen Orte soviel zweifelhafte Stunden verlebt hatte, ‘mich selbst will ich an die Stelle des Glases zum Zeichen machen, ob unsre Verbindung mˆglich sei oder nicht.

Ich gehe hin und suche den Tod, nicht als ein Rasender, sondern als einer, der zu leben hofft.

Ottilie soll der Preis sein, um den ich k‰mpfe; sie soll es sein, die ich hinter jeder feindlichen Schlachtordnung, in jeder Verschanzung, in jeer belagerten Festung zu gewinnen, zu erobern hoffe.

Ich will Wunder tun mit dem Wunsche, verschont zu bleiben, im Sinne, Ottilien zu gewinnen, nicht sie zu verlieren’.

Diese Gef¸hle haben mich geleitet, sie haben mir durch alle Gefahren beigestanden; aber nun finde ich mich auch wie einen, der zu seinem Ziele gelangt ist, der alle Hindernisse ¸berwunden hat, dem nun nichts mehr im Wege steht.

Ottilie ist mein, und was noch zwischen diesem Gedanken und der Ausf¸hrung liegt, kann ich nur f¸r nichts bedeutend ansehen”.

“Du lˆschest”, versetzte der Major, “mit wenig Z¸gen alles aus, was man dir entgegensetzen kˆnnte und sollte; und doch mufl es wiederholt werden.

Das Verh‰ltnis zu deiner Frau in seinem ganzen Werte dir zur¸ckzurufen, ¸berlasse ich dir selbst; aber du bist es ihr, du bist es dir schuldig, dich hier¸ber nicht zu verdunkeln.

Wie kann ich aber nur gedenken, dafl euch ein Sohn gegeben ist, ohne zugleich auszusprechen, dafl ihr einander auf immer angehˆrt, dafl ihr um dieses Wesens willen schuldig seid, vereint zu leben, damit ihr vereint f¸r seine Erziehung und f¸r sein k¸nftiges Wohl sorgen mˆget”. “Es ist blofl ein D¸nkel der Eltern”, versetzte Eduard, “wenn sie sich einbilden, dafl ihr Dasein f¸r die Kinder so nˆtig sei.

Alles, was lebt, findet Nahrung und Beih¸lfe; und wenn der Sohn nach dem fr¸hen Tode des Vaters keine so bequeme, so beg¸nstigte Jugend hat, so gewinnt er vielleicht ebendeswegen an schnellerer Bildung f¸r die Welt, durch zeitiges Anerkennen, dafl er sich in andere schicken mufl, was wir denn doch fr¸her oder sp‰ter alle lernen m¸ssen.

Und hievon ist ja die Rede gar nicht: wir sind reich genug, um mehrere Kinder zu versorgen, und es ist keineswegs Pflicht noch Wohltat, auf Ein Haupt so viele G¸ter zu h‰ufen”.

Als der Major mit einigen Z¸gen Charlottens Wert und Eduards lange bestandenes Verh‰ltnis zu ihr anzudeuten gedachte, fiel ihm Eduard hastig in die Rede: “wir haben eine Torheit begangen, die ich nur allzuwohl einsehe.

Wer in einem gewissen Alter fr¸here Jugendw¸nsche und Hoffnungen realisieren will, betriegt sich immer; denn jedes Jahrzehnt des Menschen hat sein eigenes Gl¸ck, seine eigenen Hoffnungen und Aussichten.

Wehe dem Menschen, der vorw‰rts oder r¸ckw‰rts zu greifen durch Umst‰nde oder durch Wahn veranlaflt wird!

Wir haben eine Torheit begangen; soll sie es denn f¸rs ganze Leben sein?

Sollen wir uns aus irgendeiner Art von Bedenklichkeit dasjenige versagen, was uns die Sitten der Zeit nicht absprechen?

In wie vielen Dingen nimmt der Mensch seinen Vorsatz, seine Tat zur¸ck, und hier gerade sollte es nicht geschehen, wo vom Ganzen und nicht vom Einzelnen, wo nicht von dieser oder jener Bedingung des Lebens, wo vom ganzen Komplex des Lebens die Rede ist!” Der Major verfehlte nicht, auf eine ebenso geschickte als nachdr¸ckliche Weise Eduarden die verschiedenen Bez¸ge zu seiner Gemahlin, zu den Familien, zu der Welt, zu seinen Besitzungen vorzustellen; aber es gelang ihm nicht, irgendeine Teilnahme zu erregen.

“Alles dieses, mein Freund”, erwiderte Eduard, “ist mir vor der Seele vorbeigegangen, mitten im Gew¸hl der Schlacht, wenn die Erde vom anhaltenden Donner bebte, wenn die Kugeln sausten und pfiffen, rechts und links die Gef‰hrten niederfielen, mein Pferd getroffen, mein Hut durchlˆchert ward; es hat mir vorgeschwebt beim stillen n‰chtlichen Feuer unter dem gestirnten Gewˆlbe des Himmels.

Dann traten mir alle meine Verbindungen vor die Seele; ich habe sie durchgedacht, durchgef¸hlt; ich habe mir zugeeignet, ich habe mich abgefunden, zu wiederholten Malen, und nun f¸r immer.

In solchen Augenblicken, wie kann ich dirs verschweigen, warst auch du mir gegenw‰rtig, auch du gehˆrtest in meinen Kreis; und gehˆren wir denn nicht schon lange zueinander?

Wenn ich dir etwas schluldig geworden, so komme ich jetzt in den Fall, dir es mit Zinsen abzutragen; wenn du mir je etwas schuldig geworden, so siehst du dich nun imstande, mir es zu vergelten.

Ich weifl, du liebst Charlotten, und sie verdient es; ich weifl, du bist ihr nicht gleichg¸ltig, und warum sollte sie deinen Wert nicht erkennen!

Nimm sie von meiner Hand, f¸hre mir Ottilien zu!

Und wir sind die gl¸cklichsten Menschen auf der Erde”.

“Eben weil du mich mit so hohen Gaben bestechen willst”, versetzte der Major, “mufl ich desto vorsichtiger, desto strenger sein.

Anstatt dafl dieser Vorschlag, den ich still verehre, die Sache erleichtern mˆchte, erschwert er sie vielmehr.

Es ist, wie von dir, nun auch von mir die Rede, und so wie von dem Schicksal, so auch von dem guten Namen, von der Ehre zweier M‰nner, die, bis jetzt unbescholten, durch diese wunderliche Handlung, wenn wir sie auch nicht anders nennen wollen, in Gefahr kommen, vor der Welt in einem hˆchst seltsamen Lichte zu erscheinen”.

“Eben dafl wir unbescholten sind”, versetzte Eduard, “gibt uns das Recht, uns auch einmal schelten zu lassen.

Wer sich sein ganzes Leben als einen zuverl‰ssigen Mann bewiesen, der macht eine Handlung zuverl‰ssig, die bei andern zweideutig erscheinen w¸rde.

Was mich betrifft, ich f¸hle mich durch die letzten Pr¸fungen, die ich mir auferlegt, durch die schwierigen, gefahrvollen Taten, die ich f¸r andere getan, berechtigt, auch etwas f¸r mich zu tun. Was dich und Charlotten betrifft, so sei es der Zukunft anheimgegeben; mich aber wirst du, wird niemand von meinem Vorsatze zur¸ckhalten.

Will man mir die Hand bieten, so bin ich auch wieder zu allem erbˆtig; will man mich mir selbst ¸berlassen oder mir wohl gar entgegen sein, so mufl ein Extrem entstehen, es werde auch, wie es wolle”.

Der Major hielt es f¸r seine Pflicht, dem Vorsatz Eduards solange als mˆglich Widerstand zu leisten, und er bediente sich nun gegen seinen Freund einer klugen Wendung, indem er nachzugeben schien und nur die Form, den Gesch‰ftsgang zur Sprache brachte, durch welchen man diese Trennung, diese Verbindungen erreichen sollte.

Da trat denn so manches Unerfreuliche, Beschwerliche, Unschickliche hervor, dafl sich Eduard in die schlimmste Laune versetzt f¸hlte.

“Ich sehe wohl”, rief dieser endlich, “nicht allein von Feinden, sondern auch von Freunden mufl, was man w¸nscht, erst¸rmt werden.

Das, was ich will, was mir unentbehrlich ist, halte ich fest im Auge; ich werde es ergreifen und gewifl bald und behende.

Dergleichen Verh‰ltnisse, weifl ich wohl, heben sich nicht auf und bilden sich nicht, ohne dafl manches falle, was steht, ohne dafl manches weiche, was zu beharren Lust hat.

Durch ¸berlegung wird so etwas nicht geendet; vor dem Verstande sind alle Rechte gleich, und auf die steigende Waagschale l‰flt sich immer wieder ein Gegengewicht legen.

Entschliefle dich also, mein Freund, f¸r mich, f¸r dich zu handeln, f¸r mich, f¸r dich diese Zust‰nde zu entwirren, aufzulˆsen, zu verkn¸pfen!

Lafl dich durch keine Betrachtungen abhalten; wir haben die Welt ohnehin schon von uns reden machen; sie wird noch einmal von uns reden, uns sodann, wie alles ¸brige, was aufhˆrt neu zu sein, vergessen und uns gew‰hren lassen, wie wir kˆnnen, ohne weitern Teil an uns zu nehmen”.

Der Major hatte keinen andern Ausweg und muflte endlich zugeben, dafl Eduard ein f¸r allemal die Sache als etwas Bekanntes und Vorausgesetztes behandelte, dafl er, wie alles anzustellen sei, im einzelnen durchsprach und sich ¸ber die Zukunft auf das heiterste, sogar in Scherzen erging.

Dann wieder ernsthaft und nachdenklich fuhr er fort: “wollten wir uns der Hoffnung, der Erwartung ¸berlassen, dafl alles sich von selbst wieder finden, dafl der Zufall uns leiten und beg¸nstigen solle, so w‰re dies ein str‰flicher Selbstbetrug.

Auf diese Weise kˆnnen wir uns unmˆglich retten, unsre allseitige Ruhe nicht wiederherstellen; und wie sollte ich trˆsten kˆnnen, da ich unschuldig die Schuld an allem bin!

Durch meine Zudringlichkeit habe ich Charlotten vermocht, dich ins Haus zu nehmen, und auch Ottilie ist nur in Gefolg von dieser Ver‰nderung bei uns eingetreten.

Wir sind nicht mehr Herr ¸ber das, was daraus entsprungen ist, aber wir sind Herr, es unsch‰dlich zu machen, die Verh‰ltnisse zu unserm Gl¸cke zu leiten.

Magst du die Augen von den schˆnen und freundlichen Aussichten abwenden, die ich uns erˆffne, magst du mir, magst du uns allen ein trauriges Entsagen gebieten, insofern du dirs mˆglich denkst, insofern es mˆglich w‰re: ist denn nicht auch alsdann, wenn wir uns vornehmen, in die alten Zust‰nde zur¸ckzukehren, manches Unschickliche, Unbequeme, Verdrieflliche zu ¸bertragen, ohne dafl irgend etwas Gutes, etwas Heiteres daraus entspr‰nge?

W¸rde der gl¸ckliche Zustand, in dem du dich befindest, dir wohl Freude machen, wenn du gehindert w‰rst, mich zu besuchen, mit mir zu leben?

Und nach dem, was vorgegangen ist, w¸rde es doch immer peinlich sein.

Charlotte und ich w¸rden mit allem unserm Vermˆgen uns nur in einer traurigen Lage befinden.

Und wenn du mit andern Weltmenschen glauben magst, dafl Jahre, dafl Entfernung solche Empfindungen abstumpfen, so tief eingegrabene Z¸ge auslˆschen, so ist ja eben von diesen Jahren die Rede, die man nicht in Schmerz und Entbehren, sondern in Freude und Behagen zubringen will.

Und nun zuletzt noch das Wichtigste auszusprechen: wenn wir auch unserm ‰uflern und innern Zustande nach das allenfalls abwarten kˆnnten, was soll aus Ottilien werden, die unser Haus verlassen, in der Gesellschaft unserer Vorsorge entbehren und sich in der verruchten, kalten Welt j‰mmerlich herumdr¸cken m¸flte!

Male mir einen Zustand, worin Ottilie ohne mich, ohne uns gl¸cklich sein kˆnnte, dann sollst du ein Argument ausgesprochen haben, das st‰rker ist als jedes andre, das ich, wenn ichs auch nicht zugeben, mich ihm nicht ergeben kann, dennoch recht gern aufs neue in Betrachtung und ¸berlegung ziehen will”.

Diese Aufgabe war so leicht nicht zu lˆsen, wenigstens fiel dem Freunde hierauf keine hinl‰ngliche Antwort ein, und es blieb ihm nichts ¸brig, als wiederholt einzusch‰rfen, wie wichtig, wie bedenklich und in manchem Sinne gef‰hrlich das ganze Unternehmen sei, und dafl man wenigstens, wie es anzugreifen w‰re, auf das ernstlichste zu bedenken habe.

Eduard liefl sichs gefallen, doch nur unter der Bedingung, dafl ihn der Freund nicht eher verlassen wolle, als bis sie ¸ber die Sache vˆllig einig geworden und die ersten Schritte getan seien.

Vˆllig fremde und gegeneinander gleichg¸ltige Menschen, wenn sie eine Zeitlang zusammenleben, kehren ihr Inneres wechselseitig heraus, und es mufl eine gewisse Vertraulichkeit entstehen.

Um so mehr l‰flt sich erwarten, dafl unsern beiden Freunden, indem sie wieder nebeneinander wohnten, t‰glich und st¸ndlich zusammen umgingen, gegenseitig nichts verborgen blieb.

Sie wiederholten das Andenken ihrer fr¸heren Zust‰nde, und der Major verhehlte nicht, dafl Charlotte Eduarden, als er von Reisen zur¸ckgekommen, Ottilien zugedacht, dafl sie ihm das schˆne Kind in der Folge zu verm‰hlen gemeint habe.

Eduard, bis zur Verwirrung entz¸ckt ¸ber diese Entdeckung, sprach ohne R¸ckhalt von der gegenseitigen Neigung Charlottens und des Majors, die er, weil es ihm gerade bequem und g¸nstig war, mit lebhaften Farben ausmalte.

Ganz leugnen konnte der Major nicht und nicht ganz eingestehen; aber Eduard befestigte, bestimmte sich nur mehr.

Er dachte sich alles nicht als mˆglich, sondern als schon geschehen.

Alle Teile brauchten nur in das zu willigen, was sie w¸nschten; eine Scheidung war gewifl zu erlangen; eine baldige Verbindung sollte folgen, und Eduard wollte mit Ottilien reisen.

Unter allem, was die Einbildungskraft sich Angenehmes ausmalt, ist vielleicht nichts Reizenderes, als wenn Liebende, wenn junge Gatten ihr neues, frisches Verh‰ltnis in einer neuen, frischen Welt zu genieflen und einen dauernden Bund an soviel wechselnden Zust‰nden zu pr¸fen und zu best‰tigen hoffen.

Der Major und Charlotte sollten unterdessen unbeschr‰nkte Vollmacht haben, alles, was sich auf Besitz, Vermˆgen und die irdischen w¸nschenswerten Einrichtungen bezieht, dergestalt zu ordnen und nach Recht und Billigkeit einzuleiten, dafl alle Teile zufrieden sein kˆnnten.

Worauf jedoch Eduard am allrmeisten zu fuflen, wovon er sich den grˆflten Vorteil zu versprechen schien, war dies: da das Kind bei der Mutter bleiben sollte, so w¸rde der Major den Knaben erziehen, ihn nach seinen Einsichten leiten, seine F‰higkeiten entwickeln kˆnnen.

Nicht umsonst hatte man ihm dann in der Taufe ihren beiderseitigen Namen Otto gegeben.

Das alles war bei Eduarden so fertig geworden, dafl er keinen Tag l‰nger anstehen mochte, der Ausf¸hrung n‰herzutreten.

Sie gelangten auf ihrem Wege nach dem Gute zu einer kleinen Stadt, in der Eduard ein Haus besafl, wo er verweilen und die R¸ckkunft des Majors abwarten wollte.

Doch konnte er sich nicht ¸berwinden, daselbst sogleich abzusteigen, und begleitete den Freund noch durch den Ort.

Sie waren beide zu Pferde, und in bedeutendem Gespr‰ch verwickelt ritten sie zusammen weiter.

Auf einmal erblickten sie in der Ferne das neue Haus auf der Hˆhe, dessen rote Ziegeln sie zum erstenmal blinken sahen.

Eduarden ergreift eine unwiderstehliche Sehnsucht; es soll noch diesen Abend alles abgetan sein.

In einem ganz nahen Dorfe will er sich verborgen halten; der Major soll die Sache Charlotten dringend vorstellen, ihre Vorsicht ¸berraschen und durch den unerwarteten Antrag sie zu freier Erˆffnung ihrer Gesinnung nˆtigen.

Denn Eduard, der seine W¸nsche auf sie ¸bergetragen hatte, glaubte nicht anders, als dafl er ihren entschiedenen W¸nschen entgegenkomme, und hoffte eine so schnelle Einwilligung von ihr, weil er keinen andern Willen haben konnte.

Er sah den gl¸cklichen Ausgang freudig vor Augen, und damit dieser dem Lauernden schnell verk¸ndigt w¸rde, sollten einige Kanonenschl‰ge losgebrannt werden und, w‰re es Nacht geworden, einige Raketen steigen.

Der Major ritt nach dem Schlosse zu.

Er fand Charlotten nicht, sondern erfuhr vielmehr, dafl sie gegenw‰rtig oben auf dem neuen Geb‰ude wohne, jetzt aber einen Besuch in der Nachbarschaft ablege, von welchem sie heute wahrscheinlich nicht so bald nach Hause komme.

Er ging in das Wirtshaus zur¸ck, wohin er sein Pferd gestellt hatte.

Eduard indessen, von un¸berwindlicher Ungeduld getrieben, schlich aus seinem Hinterhalte durch einsame Pfade, nur J‰gern und Fischern bekannt, nach seinem Park und fand sich gegen Abend im Geb¸sch in der Nachbarschaft des Sees, dessen Spiegel er zum erstenmal vollkommen und rein erblickte.

Ottilie hatte diesen Nachmittag einen Spaziergang an den See gemacht.

Sie trug das Kind und las im Gehen nach ihrer Gewohnheit.

So gelangte sie zu den Eichen bei der ¸berfahrt.

Der Knabe war eingeschlafen; sie setzte sich, legte ihn neben sich nieder und fuhr zu lesen.

Das Buch war eins von denen, die ein zartes Gem¸t an sich ziehen und nicht wieder loslassen.

Sie vergafl Zeit und Stunde und dachte nicht, dafl sie zu Lande noch einen weiten R¸ckweg nach dem neuen Geb‰ude habe; aber sie safl versenkt in ihr Buch, in sich selbst, so liebensw¸rdig anzusehen, dafl die B‰ume, die Str‰uche ringsumher h‰tten belebt, mit Augen begabt sein sollen, um sie zu bewundern und sich an ihr zu erfreuen.

Und eben fiel ein rˆtliches Streiflicht der sinkenden Sonne hinter ihr her und vergoldete Wange und Schulter.

Eduard, dem es bisher gelungen war, unbemerkt so weit vorzudringen, der seinen Park leer; die Gegend einsam fand, wagte sich immer weiter.

Endlich bricht er durch das Geb¸sch bei den Eichen, er sieht Ottilien, sie ihn; er fliegt auf sie zu und liegt zu ihren F¸flen.

Nach einer langen, stummen Pause, in der sich beide zu fassen suchen, erkl‰rt er ihr mit wenig Worten, warum und wie er hieher gekommen.

Er habe den Major an Charlotten abgesendet, ihr gemeinsames Schicksal werde vielleicht in diesem Augenblick entschieden.

Nie habe er an ihrer Liebe gezweifelt, sie gewifl auch nie an der seinigen.

Er bitte sie um ihre Winwilligung.

Sie zauderte, er beschwur sie; er wollte seine alten Rechte geltend machen und sie in seine Arme schlieflen; sie deutete auf das Kind hin.

Eduard erblickt es und staunt.

“Grofler Gott!” ruft er aus, “wenn ich Ursache h‰tte, an meiner Frau, an meinem Freunde zu zweifeln, so w¸rde diese Gestalt f¸rchterlich gegen sie zeugen.

Ist dies nicht die Bildung des Majors?

Solch ein Gleichen habe ich nie gesehen”.

“Nicht doch!” versetzte Ottilie; “alle Welt sagt, es gleiche mir”.

-“W‰r es mˆglich?” versetzte Eduard, und in dem Augenblick schlug das Kind die Augen auf, zwei grofle, schwarze, durchdringende Augen, tief und freundlich.

Der Knabe sah die Welt schon so verst‰ndig an; er schien die beiden zu kennen, die vor ihm standen.

Eduard warf sich bei dem Kinde nieder, er kniete zweimal vor Ottilien.

“Du bists!” rief er aus, “deine Augen sinds.

Ach!

Aber lafl mich nur in die deinigen schaun.

Lafl mich einen Schleier werfen ¸ber jene unselige Stunde, die diesem Wesen das Dasein gab.

Soll ich deine reine Seele mit dem ungl¸cklichen Gedanken erschrecken, dafl Mann und Frau entfremdet sich einander ans Herz dr¸cken und einen gesetzlichen Bund durch lebhafte W¸nsche entheiligen kˆnnen?

Oder ja, da wir einmal so weit sind, da mein Verh‰ltnis zu Charlotten getrennt werden mufl, da du die Meinige sein wirst, warum soll ich es nicht sagen?

Warum soll ich das harte Wort nicht aussprechen: dies Kind ist aus einem doppelten Ehbruch erzeugt!

Es trennt mich von meiner Gattin und meine Gattin von mir, wie es uns h‰tte verbinden sollen.

Mag es denn gegen mich zeugen, mˆgen diese herrlichen Augen den deinigen sagen, dafl ich in den Armen einer andern dir gehˆrte; mˆgest du f¸hlen, Ottilie, recht f¸hlen, dafl ich jenen Fehler, jenes Verbrechen nur in deinen Armen abb¸flen kann!”

“Horch!” rief er aus, indem er aufsprang und einen Schufl zu hˆren glaubte, als das Zeichen, das der Major geben sollte.

Es war ein J‰ger, der im benachbarten Gebirg geschossen hatte.

Es erfolgte nichts weiter; Eduard war ungeduldig.

Nun erst sah Ottilie, dafl die Sonne sich hinter die Berge gesenkt hatte.

Noch zuletzt blinkte sie von den Fenstern des obern Geb‰udes zur¸ck.

“Entferne dich, Eduard!” rief Ottilie”.

“O lange haben wir entbehrt, so lange geduldet.

Bedenke, was wir beide Charlotten schuldig sind.

Sie mufl unser Schicksal entscheiden, lafl uns ihr nicht vorgreifen.

Ich bin die Deine, wenn sie es vergˆnnt; wo nicht, so mufl ich dir entsagen.

Da du die Entscheidung so nah glaubst, so lafl uns erwarten.

Geh in das Dorf zur¸ck, wo der Major dich vermutet.

Wie manches kann vorkommen, das eine Erkl‰rgung fordert.

Ist es wahrscheinlich, dafl ein roher Kanonenschlag dir den Erfolg seiner Unterhandlungen verk¸nde?

Vielleicht sucht er dich auf in diesem Augenblick.

Er hat Charlotten nicht getroffen, das weifl ich; er kann ihr entgegengegangen sein, denn man wuflte, wo sie hin war.

Wie vielerlei F‰lle sind mˆglich!

Lafl mich!

Jetzt mufl sie kommen.

Sie erwartet mich mit dem Kinde dort oben”.

Ottilie sprach in Hast.

Sie rief sich alle Mˆglichkeiten zusammen. Sie war gl¸cklich in Eduards N‰he und f¸hlte, dafl sie ihn jetzt entfernen m¸sse.

“Ich bitte, ich beschwˆre dich, Geliebter!” ief sie aus, “kehre zur¸ck und erwarte den Major!”–“Ich gehorche deinen Befehlen”, rief Eduard, indem er sie erst leidenschaftlich anblickte und sie dann fest in seine Arme schlofl.

Sie umschlang ihn mit den ihrigen und dr¸ckte ihn auf das z‰rtlichste an ihre Brust.

Die Hoffnung fuhr wie ein Stern, der vom Himmel f‰llt, ¸ber ihre H‰upter weg.

Sie w‰hnten, sie glaubten einander anzugehˆren; sie wechselten zum erstenmal entschiedene, freie K¸sse und trennten sich gewaltsam und schmerzlich.

Die Sonne war untergegangen, und es d‰mmerte schon und duftete feucht um den See.

Ottilie stand verwirrt und bewegt; sie sah nach dem Berghause hin¸ber und glaubte Charlottens weifles Kleid auf dem Altan zu sehen.

Der Umweg war grofl am See hin; sie kannte Charlottens ungeduldiges Haaren nach dem Kinde.

Die Platanen sieht sie gegen sich ¸ber, nur ein Wasserraum trennt sie von dem Pfade, der sogleich zu dem Geb‰ude hinauff¸hrt.

Mit Gedanken ist sie schon dr¸ben wie mit den Augen.

Die Bedenklichkeit, mit dem Kinde sich aufs Wasser zu wagen, verschwindet in diesem Drange.

Sie eilt nach dem Kahn, sie f¸hlt nicht, dafl ihr Herz pocht, dafl ihre F¸fle schwanken, dafl ihr die Sinne zu vergehen drohn.

Sie springt in den Kahn, ergreift das Ruder und stˆflt ab.

Sie mufl Gewalt brauchen, sie wiederholt den Stofl, der Kahn schwankt und gleitet eine Strecke seew‰rts.

Auf dem linken Arme das Kind, in der linken Hand das Buch, in der rechten das Ruder, schwankt auch sie und f‰llt in den Kahn.

Das Ruder entf‰hrt ihr nach der einen Seite und, wie sie sich erhalten will, Kind und Buch nach der andern, alles ins Wasser.

Sie ergreift noch des Kindes Gewand; aber ihre unbequeme Lage hindert sie selbst am Aufstehen.

Die freie rechte Hand ist nicht hinreichend sich umzuwenden, sich aufzurichten; endlich gelingts, sie zieht das Kind aus dem Wasser, aber seine Augen sind geschlossen, es hat aufgehˆrt zu atmen.

In dem Augenblick kehrt ihre ganze Besonnenheit zur¸ck, aber um desto grˆfler ist ihr Schmerz.

Der Kahn treibt fast in der Mitte des Sees, das Ruder schwimmt fern, sie erblickt niemanden am Ufer, und auch was h‰tte es ihr geholfen, jemanden zu sehen!

Von allem abgesondert, schwebt sie auf dem treulosen, unzug‰nglichen Elemente.

Sie sucht H¸lfe bei sich selbst.

So oft hatte sie von Rettung der Ertrunkenen gehˆrt.

Noch am Abend ihres Geburtstags hatte sie es erlebt.

Sie entkleidet das Kind und trocknets mit ihrem Musselingewand.

Sie reiflt ihren Busen auf und zeigt ihn zum erstenmal dem freien Himmel; zum erstenmal dr¸ckt sie ein Lebendiges an ihre reine nackte Brust, ach!

Und kein Lebendiges.

Die kalten Glieder des ungl¸cklichen Geschˆpfs verk‰lten ihren Busen bis ins innerste Herz.

Unendliche Tr‰nen entquellen ihren Augen und erteilen der Oberfl‰che des Erstarrten einen Schein von W‰rme und Leben.

Sie l‰flt nicht nach, sie ¸berh¸llt es mit ihrem Schal, und durch Streicheln, Andr¸cken, Anhauchen, K¸ssen, Tr‰nen glaubt sie jene H¸lfsmittel zu ersetzen, die ihr in dieser Abgeschnittenheit versagt sind. Alles vergebens!

Ohne Bewegung liegt das Kind in ihren Armen, ohne Bewegung steht der Kahn auf der Wasserfl‰che; aber auch hier l‰flt ihr schˆnes Gem¸t sie nicht h¸lflos.

Sie wendet sich nach oben.

Knieend sinkt sie in dem Kahne nieder und hebt das erstarrte Kind mit beiden Armen ¸ber ihre unschuldige Brust, die an Weifle und leider auch an K‰lte dem Marmor gleicht.

Mit feuchtem Blick sieht sie empor und ruft H¸lfe von daher, wo ein zartes Herz die grˆflte F¸lle zu finden hofft, wenn es ¸berall mangelt.

Auch wendet sie sich nicht vergebens zu den Sternen, die schon einzeln hervorzublinken anfangen.

Ein sanfter Wind erhebt sich und treibt den Kahn nach dem Platanen.

Sie eilt nach dem neuen Geb‰ude, sie ruft den Chirurgus hervor, sie ¸bergibt ihm das Kind.

Der auf alles gefaflte Mann behandelt den zarten Leichnam stufenweise nach gewohnter Art.

Ottilie steht ihm in allem bei; sie schafft, sie bringt, sie sorgt, zwar wie in einer andern Welt wandelnd, denn das hˆchste Ungl¸ck wie das hˆchste Gl¸ck ver‰ndert die Ansicht aller Gegenst‰nde; und nur, als nach allen durchgegangenen Versuchen der wackere Mann den Kopf sch¸ttelt, auf ihre hoffnungsvollen Fragen erst schweigend, dann mit einem leisen Nein antwortet, verl‰flt sie das Schlafzimmer Charlottens, worin dies alles geschehen, und kaum hat sie das Wohnzimmer betreten, so f‰llt sie, ohne den Sofa erreichen zu kˆnnen, erschˆpft aufs Angesicht ¸ber den Teppich hin.

Eben hˆrt man Charlotten vorfahren.

Der Chirurg bittet die Umstehenden dringend, zur¸ckzubleiben, er will ihr entgegnen, sie vorbereiten; aber schon betritt sie ihr Zimmer.

Sie findet Ottilien an der Erde, und ein M‰dchen des Hauses st¸rzt ihr mit Geschrei und Weinen entgegen.

Der Chirurg tritt herein, und sie erf‰hrt alles auf einmal.

Wie sollte sie aber jede Hoffnung mit einmal aufgeben!

Der erfahrne, kunstreiche, kluge Mann bittet sie nur, das Kind nicht zu sehen; er entfernt sich, sie mit neuen Anstalten zu t‰uschen.

Sie hat sich auf ihren Sofa gesetzt, Ottilie liegt noch an der Erde, aber an der Freundin Kniee herangehoben, ¸ber die ihr schˆnes Haupt hingesenkt ist.

Der ‰rztliche Freund geht ab und zu; er scheint sich um das Kind zu bem¸hen, er bem¸ht sich um die Frauen.

So kommt die Mitternacht herbei, die Totenstille wird immer tiefer.

Charlotte verbirgt sichs nicht mehr, dafl das Kind nie wieder ins Leben zur¸ckkehre; sie verlangt es zu sehen.

Man hat es in warme wollne T¸cher reinlich eingeh¸llt, in einen Korb gelegt, den man neben sie auf den Sofa setzt; nur das Gesichtchen ist frei; ruhig und schˆn liegt es da.

Von dem Unfall war das Dorf bald erregt worden und die Kunde sogleich bis nach dem Gasthof erschollen.

Der Major hatte sich die bekannten Wege hinaufbegeben; er ging um das Haus herum, und indem er einen Bedienten anhielt, der in dem Angeb‰ude etwas zu holen lief, verschaffte er sich n‰here Nachricht und liefl den Chirurgen herausrufen.

Dieser kam, erstaunt ¸ber die Erscheinung seines alten Gˆnners, berichtete ihm die gegenw‰rtige Lage und ¸bernahm es, Charlotten auf seinen Anblick vorzubereiten.

Er ging hinein, fing ein ableitendes Gespr‰ch an und f¸hrte die Einbildungskraft von einem Gegenstand auf den andern, bis er endlich den Freund Charlotten vergegenw‰rtigte, dessen gewisse Teilnahme, dessen N‰he dem Geiste, der Gesinnung nach, die er denn bald in eine wirkliche ¸bergehen liefl.

Genug, sie erfuhr, der Freund stehe vor der T¸r, er wisse alles und w¸nsche eingelassen zu werden.

Der Major trat herein; ihn begr¸flte Charlotte mit einem schmerzlichen L‰cheln.

Er stand vor ihr.

Sie hub die gr¸nseidne Decke auf, die den Leichnam verbarg, und bei dem dunklen Schein einer Kerze erblickte er nicht ohne geheimes Grausen sein erstarrtes Ebenbild.

Charlotte deutete auf einen Stuhl, und so saflen sie gegeneinader ¸ber, schweigend, die Nacht hindurch.

Ottilie lag noch ruhig auf den Knieen Charlottens; sie atmete sanft; sie schlief, oder sie schien zu schlafen.

Der Morgen d‰mmerte, das Licht verlosch, beide Freunde schienen aus einem dumpfen Traum zu erwachen.

Charlotte blickte den Major an und sagte gefaflt: “erkl‰ren Sie mir, mein Freund, durch welche Schickung kommen Sie hieher, um teil an dieser Trauerszene zu nehmen?” “Es ist hier”, antwortete der Major ganz leise, wie sie gefragt hatte–als wenn sie Ottilien nicht aufwecken wollten -, “es ist hier nicht Zeit und Ort, zur¸ckzuhalten, Einleitungen zu machen und sachte heranzutreten.

Der Fall, in dem ich Sie finde, ist so ungeheuer, dafl das Bedeutende selbst, weshalb ich komme, dagegen seinen Wert verliert”.

Er gestand ihr darauf ganz ruhig und einfach den Zweck seiner Sendung, insofern Eduard ihn abgeschickt hatte, den Zweck seines Kommens, insofern sein freier Wille, sein eigenes Interesse dabei war.

Er trug beides sehr zart, doch aufrichtig vor; Charlotte hˆrte gelassen zu und schien weder dar¸ber zu staunen noch unwillig zu sein.

Als der Major geendigt hatte, antwortete Charlotte mit ganz leiser Stimme, sodafl er genˆtigt war, seinen Stuhl heranzur¸cken: in einem Falle, wie dieser ist, habe ich mich noch nie befunden, aber in ‰hnlichen habe ich mir immer gesagt: ‘wie wird es morgen sein?’

Ich f¸hle recht wohl, dafl das Los von mehreren jetzt in meinen H‰nden liegt; und was ich zu tun habe, ist bei mir aufler Zweifel und bald ausgesprochen.

Ich willige in die Scheidung.

Ich h‰tte mich fr¸her dazu entschlieflen sollen; durch mein Zaudern, mein Widerstreben habe ich das Kind getˆtet.

Es sind gewisse Dinge, die sich das Schicksal hartn‰ckig vornimmt.

Vergebens, dafl Vernunft und Tugend, Pflicht und alles Heilige sich ihm in den Weg stellen: es soll etwas geschehen, was ihm recht ist, was uns nicht recht scheint; und so greift es zuletzt durch, wir mˆgen uns geb‰rden, wie wir wollen.

Doch was sag ich!

Eigentlich will das Schicksal meinen eigenen Wunsch, meinen eigenen Vorsatz, gegen die ich unbedachtsam gehandelt, wieder in den Weg bringen.

Habe ich nicht selbst schon Ottilien und Eduarden mir als das schicklichste Paar zusammengedacht?

Habe ich nicht selbst beide einander zu n‰hern gesucht?

Waren Sie nicht selbst, mein Freund, Mitwisser dieses Plans?

Und warum konnte ich den Eigensinn eines Mannes nicht von wahrer Liebe unterscheiden?

Warum nahm ich seine Hand an, da ich als Freundin ihn und eine andre Gattin gl¸cklich gemacht h‰tte?

Und betrachten Sie nur diese ungl¸ckliche Schlummernde!

Ich zittere vor dem Augenblicke, wenn sie aus ihrem halben Totenschlafe zum Bewufltsein erwacht.

Wie soll sie leben, wie soll sie sich trˆsten, wenn sie nicht hoffen kann, durch ihre Liebe Eduarden das zu ersetzen, was sie ihm als Werkzeug des wunderbarsten Zufalls geraubt hat?

Und sie kann ihm alles wiedergeben nach der Neigung, nach der Leidenschaft, mit der sie ihn liebt.

Vermag die Liebe, alles zu dulden, so vermag sie noch viel mehr, alles zu ersetzen.

An mich darf in diesem Augenblick nicht gedacht werden.

Entfernen Sie sich in der Stille, lieber Major.

Sagen Sie Eduarden, dafl ich in die Scheidung willige, dafl ich ihm, Ihnen, Mittlern die ganze Sache einzuleiten ¸berlasse, dafl ich um meine k¸nftige Lage unbek¸mmert bin und es in jedem Sinne sein kann.

Ich will jedes Papier unterschreiben, das man mir bringt; aber man verlange nur nicht von mir, dafl ich mitwirke, dafl ich bedenke, dafl ich berate”.

Der Major stand auf.

Sie reichte ihm ihre Hand ¸ber Ottilien weg.

Er dr¸ckte seine Lippen auf diese liebe Hand.

“Und f¸r mich, was darf ich hoffen?” lispelte er leise.

“Lassen Sie mich Ihnen die Antwort schuldig bleiben”, versetzte Charlotte.

“Wir haben nicht verschuldet, ungl¸cklich zu werden, aber durch nicht verdient, zusammen gl¸cklich zu sein”.

Der Major entfernte sich, Charlotten tief im Herzen beklagend, ohne jedoch das arme abgeschiedene Kind bedauern zu kˆnnen.

Ein solches Opfer schien ihm nˆtig zu ihrem allseitigen Gl¸ck. Er dachte sich Ottilien mit einem eignen Kind auf dem Arm, als den vollkommensten Ersatz f¸r das, was sie Eduarden geraubt; er dachte sich einen Sohn auf dem Schofle, der mit mehrerem Recht sein Ebenbild tr¸ge als der abgeschiedene.

So schmeichelnde Hoffnungen und Bilder gingen ihm durch die Seele, als er auf dem R¸ckwege nach dem Gasthofe Eduarden fand, der die ganze Nacht im Freien den Major erwartet hatte, da ihm kein Feuerzeichen, kein Donnerlaut ein gl¸ckliches Gelingen verk¸nden wollte.

Er wuflte bereits von dem Ungl¸ck, und auch er, anstatt das arme Geschˆpf zu bedauern, sah diesen Fall, ohne sichs ganz gestehen zu wollen, als eine F¸gung an, wodurch jedes Hindernis an seinem Gl¸ck auf einmal beseitigt w‰re.

Gar leicht liefl er sich daher durch den Major bewegen, der ihm schnell den Entschlufl seiner Gattin verk¸ndigte, wieder nach jenem Dorfe und sodann nach der kleinen Stadt zur¸ckzukehren, wo sie das N‰chste ¸berlegen und einleiten wollten.

Charlotte safl, nachdem der Major sie verlassen hatte, nur wenige Minuten in ihre Betrachtungen versenkt; denn sogleich richtete Ottilie sich auf, ihre Freundin mit groflen Augen anblickend.

Erst erhob sich von dem Schofle, dann von der Erde und stand vor Charlotten.

“Zum zweitenmal”–so begann das herrliche Kind mit einem un¸berwindlichen, anmutigen Ernst -“zum zweitenmal widerf‰hrt mir dasselbe.

Du sagtest mir einst, es begegne den Menschen in ihrem Leben oft ‰hnliches auf ‰hnliche Weise und immer in bedeutenden Augenblicken.

Ich finde nun die Bemerkung wahr und bin gedrungen, dir ein Bekenntnis zu machen.

Kurz nach meiner Mutter Tode, als ein kleines Kind, hatte ich meinen Schemel an dich ger¸ckt; du saflest auf dem Sofa wie jetzt; mein Haupt lag auf deinen Knieen, ich schlief nicht, ich wachte nicht; ich schlummerte.

Ich vernahm alles, was um mich vorging, besonders alle Reden sehr deutlich; und doch konnte ich mich nicht regen, mich nicht ‰uflern und, wenn ich auch gewollt h‰tte, nicht andeuten, dafl ich meiner selbst mich bewuflt f¸hlte.

Damals sprachst du mit einer Freundin ¸ber mich; du bedauertest mein Schicksal, als eine arme Waise in der Welt geblieben zu sein; du schuildertest meine abh‰ngige Lage und wie mifllich es um mich stehen kˆnne, wenn nicht ein besondrer Gl¸cksstern ¸ber mich walte.

Ich faflte alles wohl und genau, vielleicht zu streng, was du f¸r mich zu w¸nschen, was du von mir zu fordern schienst.

Ich machte mir nach meinen beschr‰nkten Einsichten hier¸ber Gesetze; nach diesen habe ich lange gelebt, nach ihnen war mein Tun und Lassen eingerichtet zu der Zeit, da du mich liebtest, f¸r mich sorgtest, da du mich in dein Haus aufnahmst, und auch noch eine Zeit hernach.

Aber ich bin aus meiner Bahn geschritten, ich habe meine Gesetze gebrochen, ich habe sogar das Gef¸hl derselben verloren, und nach einem schrecklichen Ereignis kl‰rst du mich wieder ¸ber meinen Zustand auf, der jammervoller ist als der erste.

Auf deinem Schofle ruhend, halb erstarrt, wie aus einer fremden Welt vernehm ich abermals deine leise Stimme ¸ber meinem Ohr; ich vernehme, wie es mit mir selbst aussieht; ich schaudere ¸ber mich selbst; aber wie damals habe ich auch diesmal in meinem halben Totenschlaf mir meine neue Bahn vorgezeichnet.

Ich bin entschlossen, wie ichs war, und wozu ich entschlossen bin, muflt du gleich erfahren.

Eduards werd ich nie!

Auf eine schreckliche Weise hat Gott mir die Augen geˆffnet, in welchem Verbrechen ich befangen bin.

Ich will es b¸flen; und niemand gedenke mich von meinem Vorsatz abzubringen!

Darnach, Liebe, Beste, nimm deine Maflregeln.

Lafl den Major zur¸ckkommen; schreibe ihm, dafl keine Schritte geschehen.

Wie ‰ngstlich war mir, dafl ich mich nicht r¸hren und regen konnte, als er ging.

Ich wollte auffahren, aufschreien: du solltest ihn nicht mit so frevelhaften Hoffnungen entlassen”.

Charlotte sah Ottiliens Zustand, sie empfand ihn; aber sie hoffte durch Zeit und Vorstellungen etwas ¸ber sie zu gewinnen.

Doch als sie einige Worte aussprach, die auf eine Zukunft, auf eine Milderung des Schmerzes, auf Hoffnung deuteten: “nein!” rief Ottilie mit Erhebung; “sucht mich nicht zu bewegen, nicht zu hintergehen!

In dem Augenblick, in dem ich erfahre, du habest in die Scheidung gewilligt, b¸fle ich in demselbigen See mein Vergehen, mein Verbrechen”.

Wenn sich in einem gl¸cklichen, friedlichen Zusammenleben Verwandte, Freunde, Hausgenossen, mehr als nˆtig und billig ist, von dem unterhalten, was geschieht oder geschehen soll, wenn sie sich einander ihre Vors‰tze, Unternehmungen, Besch‰ftigungen wiederholt mitteilen und, ohne gerade wechselseitigen Rat anzunehmen, doch immer das ganze Leben gleichsam ratschlagend behandeln, so findet man dagegen in wichtigen Momenten, eben da, wo es scheinen sollte, der Mensch bed¸rfe fremden Beistandes, fremder Best‰tigung am allermeisten, dafl sich die einzelnen auf sich selbst zur¸ckziehen, jedes f¸r sich zu handeln, jedes auf seine Weise zu wirken strebt und, indem man sich einander die einzelnen Mittel verbirgt, nur erst der Ausgang, die Zwecke, das Erreichte wieder zum Gemeingut werden.

Nach so viel wundervollen und ungl¸cklichen Ereignissen war denn auch ein gewisser stiller Ernst ¸ber die Freundinnen gekommen, der sich in einer liebensw¸rdigen Schonung ‰uflerte.

Ganz in der Stille hatte Scharlotte das Kind nach der Kapelle gesendet.

Es ruhte dort als das erste Opfer eines ahnungsvollen Verh‰ngnisses.

Charlotte kehrte sich, soviel es ihr mˆglich war, gegen das Leben zur¸ck, und hier fand sie Ottilien zuerst, die ihres Beistandes bedurfte.

Sie besch‰ftigte sich vorz¸glich mit ihr, ohne es jedoch merken zu lassen.

Sie wuflte, wie sehr das himmlische Kind Eduarden liebte; sie hatte nach und nach die Szene, die dem Ungl¸ck vorhergegangen war, herausgeforscht und jeden Umstand teils von Ottilien selbst, teils durch Briefe des Majors erfahren.

Ottilie von ihrer Seite erleichterte Charlotten sehr das augenblickliche Leben.

Sie war offen, ja gespr‰chig, aber niemals war von dem Gegenw‰rtigen oder kurz Vergangenen die Rede.

Sie hatte stets aufgemerkt, stets beobachtet, sie wuflte viel; das kam jetzt alles zum Vorschein.

Sie unterhielt, sie zerstreute Charlotten, die noch immer die stille Hoffnung n‰hrte, ein ihr so wertes Paar verbunden zu sehen.

Allein bei Ottilien hing es anders zusammen.

Sie hatte das Geheimnis ihres Lebensganges der Freundin entdeckt; sie war von ihrer fr¸hen Einschr‰nkung, von ihrer Dienstbarkeit entbunden.

Durch ihre Reue, durch ihren Entschlufl f¸hlte sie sich auch befreit von der Last jenes Vergehens, jenes Miflgeschicks.

Sie bedurfte keiner Gewalt mehr ¸ber sich selbst; sie hatte sich in der Tiefe ihres Herzens nur unter der Bedingung des vˆlligen Entsagens verziehen, und diese Bedingung war f¸r alle Zukunft unerl‰fllich. So verflofl einige Zeit, und Charlotte f¸hlte, wie sehr Haus und Park, Seen, Felsen–und Baumgruppen nur traurige Empfindungen t‰glich in ihnen beiden erneuerten.

Dafl man den Ort ver‰ndern m¸sse, war allzu deutlich, wie es geschehen solle, nicht so leicht zu entscheiden.

Sollten die beiden Frauen zusammenbleiben?

Eduards fr¸herer Wille schien es zu gebieten, seine Erkl‰rung, seine Drohung es nˆtig zu machen; allein wie war es zu verkennen, dafl beide Frauen mit allem guten Willen, mit aller Vernunft, mit aller Anstrengung sich in einer peinlichen Lage nebeneinander befanden?

Ihre Unterhaltungen waren vermeidend.

Manchmal mochte man gern etwas nur halb verstehen, ˆfters wurde aber doch ein Ausdruck, wo nicht durch den Verstand, wenigstens durch die Empfindung mifldeutet.

Man f¸rchtet sich zu verletzen, und gerade die Furcht war am ersten verletzbar und verletzte am ersten.

Wollte man den Ort ver‰ndern und sich zugleich, wenigstens auf einige Zeit, voneinander trennen, so trat die alte Frage wieder hervor, wo sich Ottilie hinbegeben solle.

Jenes grofle, reiche Haus hatte vergebliche Versuche gemacht, einer hoffnungsvollen Erbtochter unterhaltende und wetteifernde Gespielinnen zu verschaffen.

Schon bei der letzten Anwesenheit der Baronesse und neuerlich durch Briefe war Charlotte aufgefordert worden, Ottilien dorthin zu senden; jetzt brachte sie es abermals zur Sprache.

Ottilie verweigerte aber ausdr¸cklich, dahin zu gehen, wo sie dasjenige finden w¸rde, was man grofle Welt zu nennen pflegt.

“Lassen Sie mich, liebe Tante”, sagte sie, “damit ich nicht eingeschr‰nkt und eigensinnig erscheine, dasjenige aussprechen, was zu verschweigen, zu verbergen in einem andern Falle Pflicht w‰re.

Ein seltsam ungl¸cklicher Mensch, und wenn er auch schuldlos w‰re, ist auf eine f¸rchterliche Weise gezeichnet.

Seine Gegenwart erregt in allen, die ihn sehen, die ihn gewahr werden, eine Art von Entsetzen.

Jeder will das Ungeheure ihm ansehen, was ihm auferlegt ward; jeder ist neugierig und ‰ngstlich zugleich.

So bleibt ein Haus, eine Stadt, worin eine ungeheure Tat geschehen, jedem furchtbar, der sie betritt.

Dort leuchtet das Licht des Tages nicht so hell, und die Sterne scheinen ihren Glanz zu verlieren.

Wie grofl und hoch vielleicht zu entschuldigen ist gegen solche Ungl¸ckliche die Indiskretion der Menschen, ihre alberne Zudringlichkeit und ungeschickte Gutm¸tigkeit!

Verzeihen Sie mir, dafl ich so rede; aber ich habe unglaublich mit jenem armen M‰dchen gelitten, als es Luciane aus den verborgenen Zimmern des Hauses hervorzog, sich freundlich mit ihm besch‰ftigte, es in der besten Absicht zu Spiel und Tanz nˆtigen wollte.

als das arme Kind bange und immer b‰nger zuletzt floh und in Ohnmacht sank, ich es in meine Arme faflte, die Gesellschaft erschreckt, aufgeregt und jeder erst recht neugierig auf die Ungl¸ckselige ward, da dachte ich nicht, dafl mir ein gleiches Schicksal bevorstehe; aber mein Mitgef¸hl, so wahr und lebhaft, ist noch lebendig.

Jetzt kann ich mein Mitleiden gegen mich selbst wenden und mich h¸ten, dafl ich nicht zu ‰hnlichen Auftritt Anlafl gebe”.

“Du wirst aber, liebes Kind”, versetzte Charlotte, “dem Anblick der Menschen dich nirgends entziehen kˆnnen.

Klˆster haben wir nicht, in denen sonst eine Freistatt f¸r solche Gef¸hle zu finden war”.

“Die Einsamkeit macht nicht die Freistatt, liebe Tante”, versetzte Ottilie.

“Die sch‰tzenswerteste Freistatt ist da zu suchen, wo wir t‰tig sein kˆnnen.

Alle B¸flungen, alle Entbehrungen sind keineswegs geeignet, uns einem ahnungsvollen Geschick zu entziehen, wenn es uns zu verfolgen entschieden ist.

Nur wenn ich im m¸fligen Zustande der Welt zur Schau dienen soll, dann ist sie mir widerw‰rtig und ‰ngstigt mich.

Findet man mich aber freudig bei der Arbeit, unerm¸det in meiner Pflicht, dann kann ich die Blicke eines jeden aushalten, weil ich die gˆttlichen nicht zu scheuen brauche”.

“Ich m¸flte mich sehr irren”, versetzte Charlotte, “wenn deine Neigung dich nicht zur Pension zur¸ckzˆge”.

“Ja”, versetzte Ottilie, “ich leugne es nicht; ich denke es mir als eine gl¸ckliche Bestimmung, andre auf dem gewˆhnlichen Wege zu erziehen, wenn wir auf dem sonderbarsten erzogen worden.

Und sehen wir nicht in der Geschichte, dafl Menschen, die wegen grofler sittlicher Unf‰lle sich in die W¸sten zur¸ckzogen, dort keineswegs, wie sie hofften, verborgen und gedeckt waren?

Sie wurden zur¸ckgerufen in die Welt, um die Verirrten auf den rechten Weg zu f¸hren; und wer konnte es besser als die in den Irrg‰ngen des Lebens schon Eingeweihten!

Sie wurden berufen, den Ungl¸cklichen beizustehen; und wer vermochte das eher als sie, denen kein irdisches Unheil mehr begegnen konnte!” “Du w‰hlst eine sonderbare Bestimmung”, versetzte Charlotte. “Ich will dir nicht widerstreben; es mag sein, wenn auch nur, wie ich hoffe, auf kurze Zeit”.

“Wie sehr danke ich Ihnen”, sagte Ottilie, “dafl Sie mir diesen Versuch, diese Erfahrung gˆnnen wollen.

Schmeichle ich mir nicht zu sehr, so soll es mir gl¸cken.

An jenem Orte will ich mich erinnern, wie manche Pr¸fungen ich ausgestanden und wie klein, wie nichtig sie waren gegen die, die ich nachher erfahren muflte.

Wie heiter werde ich die Verlegenheiten der jungen Auschˆfllinge betrachten, bei ihren kindlichen Schmerzen l‰cheln und sie mit leiser Hand aus allen kleinen Verirrungen herausf¸hren.

Der Gl¸ckliche ist nicht geeignet, Gl¸cklichen vorzustehen; es liegt in der menschlichen Natur, immer mehr von sich und von andern zu fordern, je mehr man empfangen hat.

Nur der Ungl¸ckliche, der sich erholt, weifl f¸r sich und andere das Gef¸hl zu n‰hren, dafl auch ein m‰fliges Gute mit Entz¸cken genossen werden soll”.

“Lafl mich gegen deinen Vorsatz”, sagte Charlotte zuletzt nach einigem Bedenken, “noch einen Einwurf anf¸hren, der mir der wichtigste scheint.

Es ist nicht von dir, es ist von einem Dritten die Rede.

Die Gesinnungen des guten, vern¸nftigen, frommen Geh¸lfen sind dir bekannt; auf dem Wege, den du gehst, wirst du ihm jeden Tag werter und unentbehrlicher sein.

Da er schon jetzt seinem Gef¸hl nach nicht gern ohne dich leben mag, so wird er auch k¸nftig, wenn er einmal deine Mitwirkung gewohnt ist, ohne dich sein Gesch‰ft nicht mehr verwalten kˆnnen.

Du wirst ihm anfangs darin beistehen, um es ihm hernach zu verleiden”.

“Das Geschick ist nicht sanft mit mir verfahren”, versetzte Ottilie, “und wer mich liebt, hat vielleicht nicht viel Besseres zu erwarten.

So gut und verst‰ndig als der Freund ist, ebenso, hoffe ich, wird sich in ihm auch die Empfindung eines reinen Verh‰ltnisses zu mir entwickeln; er wird in mir eine geweihte Person erblicken, die nur dadurch ein ungeheures ¸bel f¸r sich und andre vielleicht aufzuwiegen vermag, wenn sie sich dem Heiligen widmet, das, uns unsichtbar umgebend, allein gegen die ungeheuren zudringenden M‰chte beschirmen kann”.

Charlotte nahm alles, was das liebe Kind so herzlich ge‰uflert, zur stillen ¸berlegung.

Sie hatte verschiedentlich, obgleich auf das leiseste, angeforscht, ob nicht eine Ann‰herung Ottiliens zu Eduard denkbar sei; aber auch nur die leiseste Erw‰hnung, die mindeste Hoffnung, der kleinste Verdacht schien Ottilien aufs tiefste zu r¸hren, ja sie sprach sich einst, da sie es nicht umgehen konnte, hier¸ber ganz deutlich aus.

“Wenn dein Entschlufl”, entgegnete ihr Charlotte, “Eduarden zu entsagen, so fest und unver‰nderlich ist, so h¸te dich nur vor der Gefahr des Wiedersehens.

In der Entfernung von dem geliebten Gegenstande scheinen wir, je lebhafter unsere Neigung ist, desto mehr Herr von uns selbst zu werden, indem wir die ganze Gewalt der Leidenschaft, wie sie sich nach auflen erstreckte, nach innen wenden; aber wie bald, wie geschwind sind wir aus diesem Irrtum gerissen, wenn dasjenige, was wir entbehren zu kˆnnen glaubten, auf einmal wieder als unentbehrlich vor unsern Augen steht.

Tue jetzt, was du deinen Zust‰nden am gem‰flesten h‰ltst; pr¸fe dich, ja ver‰ndre lieber deinen gegenw‰rtigen Entschlufl: aber aus dir selbst, aus freiem, wollendem Herzen.

Lafl dich nicht zuf‰llig, nicht durch ¸berraschung in die vorigen Verh‰ltnisse wieder hineinziehen; dann gibt es erst einen Zwiespalt im Gem¸t, der unertr‰glich ist.

Wie gesagt, ehe du diesen Schritt tust, ehe du dich von mir entfernst und ein neues Leben anf‰ngst, das dich wer weifl auf welche Wege leitet, so bedenke noch einmal, ob du denn wirklich f¸r alle Zukunft Eduarden entsagen kannst.

Hast du dich aber hierzu bestimmt, so schlieflen wir einen Bund, dafl du dich mit ihm nicht einlassen willst, selbst nicht in eine Unterredung, wenn er dich aufsuchen, wenn er sich zu dir dr‰ngen sollte”.

Ottilie besann sich nicht einen Augenblick, sie gab Charlotten das Wort, das sie sich schon selbst gegeben hatte.

Nun aber schwebte Charlotten immer noch jene Drohung Eduards vor der Seele, dafl er Ottilien nur so lange entsagen kˆnne, als sie sich von Charlotten nicht trennte.

Es hatten sich zwar seit der Zeit die Umst‰nde so ver‰ndert, es war so mancherlei vorgefallen, dafl jenes vom Augenblick ihm abgedrungene Wort gegen die folgenden Ereignisse f¸r aufgehoben zu achten war; dennoch wollte sie auch im entferntesten Sinne weder etwas wagen noch etwas vornehmen, das ihn verletzen kˆnnte, und so sollte Mittler in diesem Falle Eduards Gesinnungen erforschen.

Mittler hatte seit dem Tode des Kindes Charlotten ˆfters, obgleich nur auf Augenblicke, besucht.

Dieser Unfall, der ihm die Wiedervereinigung beider Gatten hˆchst unwahrscheinlich machte, wirkte gewaltsam auf ihn; aber immer nach seiner Sinnesweise hoffend und strebend, freute er sich nun im stillen ¸ber den Entschlufl Ottiliens.

Er vertraute der lindernden, vor¸berziehenden Zeit, dachte noch immer die beiden Gatten zusammenzuhalten und sah diese leidenschaftlichen Bewegungen nur als Pr¸fungen ehelicher Liebe und Treue an.

Charlotte hatte gleich anfangs den Major von Ottiliens erster Erkl‰rung schriftlich unterrichtet, ihn auf das inst‰ndigste gebeten, Eduarden dahin zu vermˆgen, dafl keine weiteren Schritte gesch‰hen, dafl man sich ruhig verhalte, dafl man abwarte, ob das Gem¸t des schˆnen Kindes sich wieder herstelle.

Auch von den sp‰tern Ereignissen und Gesinnungen hatte sie das Nˆtige mitgeteilt, und nun war freilich Mittlern die schwierige Aufgabe ¸bertragen, auf eine Ver‰nderung des Zustandes Eduarden vorzubereiten.

Mittler aber, wohl wissend, dafl man das Geschehene sich eher gefallen l‰flt, als dafl man in ein noch zu Geschehendes einwilligt, ¸berredete Charlotten, es sei das beste, Ottilien gleich nach der Pension zu schicken.

Deshalb wurden, sobald er weg war, Anstalten zur Reise gemacht.

Ottilie packte zusammen, aber Charlotte sah wohl, dafl sie weder das schˆne Kˆfferchen noch irgend etwas daraus mitzunehmen sich anschickte.

Die Freundin schwieg und liefl das schweigende Kind gew‰hren.

Der Tag der Abreise kam herbei; Charlottens Wagen sollte Ottilien den ersten Tag bis in ein bekanntes Nachtquartier, den zweiten bis in die Pension bringen; Nanny sollte sie begleiten und ihre Dienerin bleiben.

Das leidenschaftliche M‰dchen hatte sich gleich nach dem Tode des Kindes wieder an Ottilien zur¸ckgefunden und hing nun an ihr wie sonst durch Natur und Neigung, ja sie schien durch unterhaltende Redseligkeit das bisher Vers‰umte wieder nachbringen und sich ihrer geliebten Herrin vˆllig widmen zu wollen.

Ganz aufler sich war sie nun ¸ber das Gl¸ck, mitzureisen, fremde Gegenden zu sehen, da sie noch niemals aufler ihrem Geburtsort gewesen, und rannte vom Schlosse ins Dorf, zu ihren Eltern, Verwandten, um ihr Gl¸ck zu verk¸ndigen und Abschied zu nehmen.

Ungl¸cklicherweise traf sie dabei in die Zimmer der Maserkranken und empfand sogleich die Folgen der Ansteckung.

Man wollte die Reise nicht aufschieben; Ottilie drang selbst darauf; sie hatte den Weg schon gemacht, sie kannte die Wirtleute, bei denen sie einkehren sollte; der Kutscher vom Schlosse f¸hrte sie; es war nichts zu besorgen.

Charlotte widersetzte sich nicht; auch sie eilte schon in Gedanken aus diesen Umgebungen weg, nur wollte sie noch die Zimmer, die Ottilie im Schlofl bewohnt hatte, wieder f¸r Eduarden einrichten, gerade so wie vor der Ankunft des Hauptmanns gewesen.

Die Hoffnung, ein altes Gl¸ck wiederherzustellen, flammt immer einmal wieder in dem Menschen auf, und Charlotte war zu solchen Hoffnungen abermals berechtigt, ja genˆtigt.

Als Mittler gekommen war, sich mit Eduarden ¸ber die Sache zu unterhalten, fand er ihn allein, den Kopf in die rechte Hand gelehnt, den Arm auf den Tisch gestemmt.

Er schien sehr zu leiden.

“Plagt Ihr Kopfweh Sie wieder?” fragte Mittler.

“Es plagt mich”, versetzte jener; “und doch kann ich es nicht hassen, denn es erinnert mich an Ottilien.

Vielleicht leidet auch sie jetzt, denk ich, auf ihren linken Arm gest¸tzt, und leidet wohl mehr als ich.

Und warum soll ich es nicht tragen wie sie?

Diese Schmerzen sind mir heilsam, sind mir, ich kann beinah sagen, w¸nschenswert; denn nur m‰chtiger, deutlicher, lebhafter schwebt mir das Bild ihrer Geduld, von allen ihren ¸brigen Vorz¸gen begleitet, vor der Seele, nur im Leiden empfinden wir recht vollkommen alle die groflen Eigenschaften, die nˆtig sind, um es zu ertragen”.

Als Mittler den Freund in diesem Grade resigniert fand, hielt er mit seinem Anbringen nicht zur¸ck, das er jedoch stufenweise, wie der Gedanke bei den Frauen entsprungen, wie er nach und nach zum Vorsatz gereift war, historisch vortrug.

Eduard ‰uflerte sich kaum dagegen.

Aus dem wenigen, was er sagte, schien hervorzugehen, dafl er jenen alles ¸berlasse; sein gegenw‰rtiger Schmerz schien ihn gegen alles gleichg¸ltig gemacht zu haben.

Kaum war er allein, so stand er auf und ging in dem Zimmer hin und wider.

Er f¸hlte seinen Schmerz nicht mehr, er war ganz aufler sich besch‰ftigt.

Schon unter Mittlers Erz‰hlung hatte die Einbildungskraft des Liebenden sich lebhaft ergangen.

Er sah Ottilien allein oder so gut als allein auf wohlbekanntem Wege, in einem gewohnten Wirtshause, dessen Zimmer er so oft betreten; er dachte, er ¸berlegte, oder vielmehr er dachte, er ¸berlegte nicht; er w¸nschte, er wollte nur.

Er muflte sie sehn, sie sprechen.

Wozu, warum, was daraus entstehen sollte, davon konnte die Rede nicht sein.

Er widerstand nicht, er muflte.

Der Kammerdiener ward ins Vertrauen gezogen und erforschte sogleich Tag und Stunde, wann Ottilie reisen w¸rde.

Der Morgen brach an; Eduard s‰umte nicht, unbegleitet sich zu Pferde dahin zu begeben, wo Ottilie ¸bernachten sollte.

Er kam nur allzuzeitig dort an; die ¸berraschte Wirtin empfing ihn mit Freuden; sie war ihm ein grofles Familiengl¸ck schuldig geworden.

Er hatte ihrem Sohn, der als Soldat sich sehr brav gehalten, ein Ehrenzeichen verschafft, indem er dessen Tat, wobei er allein gegenw‰rtig gewesen, heraushob, mit Eifer bis vor den Feldherrn brachte und die Hindernisse einiger Miflwollenden ¸berwand.

Sie wuflte nicht, was sie ihm alles zuliebe tun sollte.

Sie r‰umte schnell in ihrer Putzstube, die freilich auch zugleich Garderobe und Vorratskammer war, mˆglichst zusammen; allein er k¸ndigte ihr die Ankunft eines Frauenzimmers an, die hier hereinziehen sollte, und liefl f¸r sich eine Kammer hinten auf dem Gange notd¸rftig einrichten.

Der Wirtin erschien die Sache geheimnisvoll, und es war ihr angenehm, ihrem Gˆnner, der sich dabei sehr interessiert und t‰tig zeigte, etwas Gef‰lliges zu erweisen.

Und er, mit welcher Empfindung brachte er die lange, lange Zeit bis zum Abend hin!

Er betrachtete das Zimmer ringsumher, in dem er sie sehen sollte; es schien ihm in seiner ganzen h‰uslichen Seltsamkeit ein himmlischer Aufenthalt.

Was dachte er sich nicht alles aus, ob er Ottilien ¸berraschen, ob er sie vorbereiten sollte!

Endlich gewann die letztere Meinung Oberhand; er setzte sich hin und schrieb.

Dies Blatt sollte sie empfangen.

“Indem du diesen Brief liesest, Geliebteste, bin ich in deiner N‰he.

Du muflt nicht erschrecken, dich nicht entsetzen; du hast von mir nichts zu bef¸rchten.

Ich werde mich nicht zu dir dr‰ngen.

Du siehst mich nicht eher, als du es erlaubst.

Bedenke vorher deine Lage, die meinige.

Wie sehr danke ich dir, dafl du keinen entscheidenden Schritt zu tun vorhast; aber bedeutend genug ist er.

Tu ihn nicht!

Hier, auf einer Art von Scheideweg, ¸berlege nochmals: kannst du mein sein, willst du mein sein?

O du erzeigst uns allen eine grofle Wohltat und mir eine ¸berschwengliche.

Lafl mich dich wiedersehen, dich mit Freuden wiedersehen.

Lafl mich die schˆne Frage m¸ndlich tun und beantworte sie mir mit deinem schˆnen Selbst.

An meine Brust, Ottilie!

Hieher, wo du manchmal geruht hast und wo du immer hingehˆrst!” Indem er schrieb, ergriff ihn das Gef¸hl, sein Hˆchstersehntes nahe sich, es werde nun gleich gegenw‰rtig sein.

Zu dieser T¸re wird sie hereintreten, diesen Brief wird sie lesen, wirklich wird sie wie sonst vor mir dastehen, deren Erscheinung ich mir so oft herbeisehnte.

Wird sie noch dieselbe sein?

Hat sich ihre Gestalt, haben sich ihre Gesinnungen ver‰ndert?

Er hielt die Feder noch in der Hand, er wollte schreiben, wie er dachte; aber der Wagen rollte in den Hof.

Mit fl¸chtiger Feder setzte er noch hinzu:” ich hˆre dich kommen.

Auf einen Augenblick leb wohl!” er faltete den Brief, ¸berschrieb ihn; zum Siegeln war es zu sp‰t.

Er sprang in die Kammer, durch die er nachher auf den Gang zu gelangen wuflte, und augenblicks fiel ihm ein, dafl er die Uhr mit dem Petschaft noch auf dem Tisch gelassen.

Sie sollte diese nicht zuerst sehen; er sprang zur¸ck und holte sie gl¸cklich weg.

Vom Vorsaal her vernahm er schon die Wirtin, die auf das Zimmer losging, um es dem Gast anzuweisen.

Er eilte gegen die Kammert¸r, aber sie war zugefahren.

Den Schl¸ssel hatte er beim Hineinspringen heruntergeworfen, der lag inwendig; das Schlofl war zugeschnappt, und er stund gebannt.

Heftig dr‰ngte er an der T¸re; sie gab nicht nach.

O wie h‰tte er gew¸nscht, als ein Geist durch die Spalten zu schl¸pfen!

Vergebens!

Er verbarg sein Gesicht an den T¸rpfosten.

Ottilie trat herein, die Wirtin, als sie ihn erblickte, zur¸ck.

Auch Ottilien konnte er nicht einen Augenblick verborgen bleiben.

Er wendete sich gegen sie, und so standen die Liebenden abermals auf die seltsamste Weise gegeneinander.

Sie sah ihn ruhig und ernsthaft an, ohne vor–oder zur¸ckzugehen, und als er eine Bewegung machte, sich ihr zu n‰hern, trat sie einige Schritte zur¸ck bis an den Tisch.

Auch er trat wieder zur¸ck.

“Ottilie”, rief er aus, “lafl mich das furchtbare Schweigen brechen!

Sind wir nur Schatten, die einander gegen¸berstehen?

Aber vor allen Dingen hˆre!

Es ist ein Zufall, dafl du mich gleich jetzt hier findest.

Neben dir liegt ein Brief, der dich vorbereiten sollte.

Lies, ich bitte dich, lies ihn!

Und dann beschliefle, was du kannst”.

Sie blickte herab auf den Brief, und nach einigem Besinnen nahm sie ihn auf, erbrach und las ihn.

Ohne die Miene zu ver‰ndern, hatte sie ihn gelegen, und so legte sie ihn leise weg; dann dr¸ckte sie die flachen, in die Hˆhe gehobenen H‰nde zusammen, f¸hrte sie gegen die Brust, indem sie sich nur wenig vorw‰rts neigte, und sah den dringend Fordernden mit einem solchen Blick an, dafl er von allem abzustehen genˆtigt war, was er verlangen oder w¸nschen mochte.

Diese Bewegung zerrifl ihm das Herz.

Er konnte den Anblick, er konnte die Stellung Ottiliens nicht ertragen.

Es sah vˆllig aus, als w¸rde sie in die Kniee sinken, wenn er beharrte.

Er eilte verzweifelnd zur T¸r hinaus und schickte die Wirtin zu der Einsamen.

Er ging auf dem Vorsaal auf und ab.

Es war Nacht geworden, im Zimmer blieb es stille.

Endlich trat die Wirtin heraus und zog den Schl¸ssel ab.

Die gute Frau war ger¸hrt, war verlegen, sie wuflte nicht, was sie tun sollte.

Zuletzt im Weggehen bot sie den Schl¸ssel Eduarden an, der ihn ablehnte.

Sie liefl das Licht stehen und entfernte sich.

Eduard im tiefsten Kummer warf sich auf Ottiliens Schwelle, die er mit seinen Tr‰nen benetzte.

Jammervoller brachten kaum jemals in solcher N‰he Liebende eine Nacht zu.

Der Tag brach an; der Kutscher trieb, die Wirtin schlofl auf und trat in das Zimmer.

Sie fand Ottilien angekleidet eingeschlafen, sie ging zur¸ck und winkte Eduarden mit einem teilnehmenden L‰cheln.

Beide traten vor die Schlafende; aber auch diesen Anblick vermochte Eduard nicht auszuhalten.

Die Wirtin wagte nicht, das ruhende Kind zu wecken, sie setzte sich gegen¸ber.

Endlich schlug Ottilie die schˆnen Augen auf und richtete sich auf ihre F¸fle.

Sie lehnt das Fr¸hst¸ck ab, und nun tritt Eduard vor sie.

Er bittet sie inst‰ndig, nur ein Wort zu reden, ihren Willen zu erkl‰ren.

Er wolle allen ihren Willen, schwˆrt er; aber sie schweigt. Nochmals fragt er sie liebevoll und dringend, ob sie ihm angehˆren wolle.

Wie lieblich bewegt sie mit niedergeschlagenen Augen ihr Haupt zu einem sanften Nein!

Er fragt, ob sie nach der Pension wolle.

Gleichg¸ltig verneint sie das.

Aber als er fragt, ob er sie zu Charlotten zur¸ckf¸hren d¸rfe, bejaht sies mit einem getrosten Neigen des Hauptes.

Er eilt ans Fenster, dem Kutscher Befehle zu geben; aber hinter ihm weg ist sie wie der Blitz zur Stube hinaus, die Treppe hinab in dem Wagen.

Der Kutscher nimmt den Weg nach dem Schlosse zur¸ck; Eduard folgt zu Pferde in einiger Entfernung.

Wie hˆchst ¸berrascht war Charlotte, als sie Ottilien vorfahren und Eduarden zu Pferde sogleich in den Schloflhof hereinsprengen sah!

Sie eilte bis zur T¸rschwelle.

Ottilie steigt aus und n‰hert sich mit Eduarden.

Mit Eifer und Gewalt faflt sie die H‰nde beider Ehegatten, dr¸ckt sie zusammen und eilt auf ihr Zimmer.

Eduard wirft sich Charlotten um den Hals und zerflieflt in Tr‰nen; er kann sich nicht erkl‰ren, bittet, Geduld mit ihm zu haben, Ottilien beizustehen, ihr zu helfen.

Charlotte eilt auf Ottiliens Zimmer, und ihr schaudert, da sie hineintritt; es war schon ganz ausger‰umt, nur die leeren W‰nde standen da.

Es erschien so weitl‰ufig als unerfreulich.

Man hatte alles weggetragen, nur das Kˆfferchen, unschl¸ssig, wo man es hinstellen sollte, in der Mitte des Zimmers stehengelassen.

Ottilie lag auf dem Boden, Arm und Haupt ¸ber den Koffer gestreckt.

Charlotte bem¸ht sich um sie, fragt, was vorgegangen, und erh‰lt keine Antwort.

Sie l‰flt ihr M‰dchen, das mit Erquickungen kommt, bei Ottilien und eilt zu Eduarden.

Sie findet ihn im Saal; auch er belehrt sie nicht.

Er wirft sich vor ihr nieder, er badet ihre H‰nde in Tr‰nen, er flieht auf sein Zimmer, und als sie ihm nachfolgen will, begegnet ihr der Kammerdiener, der sie aufkl‰rt, soweit er vermag.

Das ¸brige denkt sie sich zusammen und dann sogleich mit Entschlossenheit an das, was der Augenblick fordert.

Ottiliens Zimmer ist aufs baldigste wieder eingerichtet.

Eduard hat die seinigen angetroffen, bis auf das letzte Papier, wie er sie verlassen.

Die dreie scheinen sich wieder gegeneinader zu finden, aber Ottilie f‰hrt fort zu schweigen, und Eduard vermag nichts, als seine Gattin um Geduld zu bitten, die ihm selbst zu fehlen scheint.

Charlotte sendet Boten an Mittlern und an den Major.

Jener war nicht anzutreffen, dieser kommt.

Gegen ihn sch¸ttet Eduard sein Herz aus, ihm gesteht er jeden kleinsten Umstand, und so erf‰hrt Charlotte, was begegnet, was die Lage so sonderbar ver‰ndert, was die Gem¸ter aufgeregt.

Sie spricht aufs liebevollste mit ihrem Gemahl.

Sie weifl keine andere Bitte zu tun als nur, dafl man das Kind gegenw‰rtig nicht best¸rmen mˆge.

Eduard f¸hlt den Wert, die Liebe, die Vernunft seiner Gattin; aber seine Neigung beherrscht ihn ausschliefllich.

Charlotte macht ihm Hoffnung, verspricht ihm, in die Scheidung zu willigen.

Er traut nicht; er ist so krank, dafl ihn Hoffnung und Glaube abwechselnd verlassen; er dringt in Charlotten, sie soll dem Major ihre Hand zusagen; eine Art von wahnsinnigem Unmut hat ihn ergriffen.

Charlotte, ihn zu bes‰nftigen, ihn zu erhalten, tut, was er fordert.

Sie sagt dem Major ihre Hand zu auf den Fall, dafl Ottilie sich mit Eduarden verbinden wolle, jedoch unter ausdr¸cklicher Bedingung, dafl die beiden M‰nner f¸r den Augenblick zusammen eine Reise machen.

Der Major hat f¸r seinen Hof ein ausw‰rtiges Gesch‰ft, und Eduard verspricht, ihn zu begleiten.

Man macht Anstalten, und man beruhigt sich einigermaflen, indem wenigstens etwas geschieht.

Unterdessen kann man bemerken, dafl Ottilie kaum Speise noch Trank zu sich nimmt, indem sie immerfort bei ihrem Schweigen verharrt.

Man redet ihr zu, sie wird ‰ngstlich; man unterl‰flt es.