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  • 1809
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gebildet, eine sehr angenehme und liebensw¸rdige Reife erlangen kˆnnen, indem die Selbstigkeit gemildert wird und die schw‰rmende T‰tigkeit eine entschiedene Richtung erh‰lt.

Charlotte liefl als Mutter sich um desto eher eine f¸r andere vielleicht unangenehme Erscheinung gefallen, als es Eltern wohl geziemt, da zu hoffen, wo Fremde nur zu genieflen w¸nschen oder wenigstens nicht bel‰stigt sein wollen.

Auf eine eigne und unerwartete Weise jedoch sollte Charlotte nach ihrer Tochter Abreise getroffen werden, indem diese nicht sowohl durch das Tadelnswerte in ihrem Betragen als durch das, was man daran lobensw¸rdig h‰tte finden kˆnnen, eine ¸ble Nachrede hinter sich gelassen hatte.

Luciane schien sichs zum Gesetz gemacht zu haben, nicht allein mit den Frˆhlichen frˆhlich, sondern auch mit den Traurigen traurig zu sein und, um den Geist des Widerspruchs recht zu ¸ben, manchmal die Frˆhlichen verdriefllich und die Traurigen heiter zu machen.

In allen Familien, wo sie hinkam, erkundigte sie sich nach den Kranken und Schwachen, die nicht in Gesellschaft erscheinen konnten.

Sie besuchte sie auf ihren Zimmern, machte den Arzt und drang einem jeden aus ihrer Reiseapotheke, die sie best‰ndig im Wagen mit sich f¸hrte, energische Mittel auf; da denn eine solche Kur, wie sich vermuten l‰flt, gelang oder mifllang, wie es der Zufall herbeif¸hrte.

In dieser Art von Wohlt‰tigkeit war sie ganz grausam und liefl sich gar nicht einreden, weil sie fest ¸berzeugt war, dafl sie vortrefflich handle.

Allein es miflriet ihr auch ein Versuch von der sittlichen Seite, und dieser war es, der Charlotten viel zu schaffen machte, weil er Folgen hatte und jedermann dar¸ber sprach.

Erst nach Lucianens Abreise hˆrte sie davon; Ottilie, die gerade jene Partie mitgemacht hatte, muflte ihr umst‰ndlich davon Rechenschaft geben.

Eine der Tˆchter eines angesehenen Hauses hatte das Ungl¸ck gehabt, an dem Tode eines ihrer j¸ngeren Geschwister schuld zu sein, und sich dar¸ber nicht beruhigen noch wiederfinden kˆnnen.

Sie lebte auf ihrem Zimmer besch‰ftigt und still und ertrug selbst den Anblick der Ihrigen nur, wenn sie einzeln kamen; denn sie argwohnte sogleich, wenn mehrere beisammen waren, dafl man untereinander ¸ber sie und ihren Zustand reflektiere.

Gegen jedes allein ‰uflerte sie sich vern¸nftig und unterhielt sich stundenlang mit ihm.

Luciane hatte davon gehˆrt und sich sogleich im stillen vorgenommen, wenn sie in das Haus k‰me, gleichsam ein Wunder zu tun und das Frauenzimmer der Gesellschaft wiederzugeben.

Sie betrug sich dabei vorsichtiger als sonst, wuflte sich allein bei der Seelenkranken einzuf¸hren und, soviel man merken konnte, durch Musik ihr Vertrauen zu gewinnen.

Nur zuletzt versah sie es; denn eben weil sie Aufsehn erregen wollte, so brachte sie das schˆne, blasse Kind, das sie genug vorbereitet w‰hnte, eines Abends plˆtzlich in die bunte, gl‰nzende Gesellschaft; und vielleicht w‰re auch das noch gelungen, wenn nicht die Soziet‰t selbst aus Neugierde und Apprehension sich ungeschickt benommen, sich um die Kranke versammelt, sie wieder gemieden, sie durch Fl¸stern, Kˆpfezusammenstecken irregemacht und aufgeregt h‰tte.

Die zart Empfindende ertrug das nicht.

Sie entwich unter f¸rchterlichem Schreien, das gleichsam ein Entsetzen vor einem eindringenden Umgeheuren auszudr¸cken schien.

Erschreckt fuhr die Gesellschaft nach allen Seiten auseinander, und Ottilie war unter denen, welche die vˆllig Ohnm‰chtige wieder auf ihr Zimmer begleiteten.

Indessen hatte Luciane eine starke Strafrede nach ihrer Weise an die Gesellschaft gehalten, ohne im mindesten daran zu denken, dafl sie allein alle Schuld habe, und ohne sich durch dieses und andres Mifllingen von ihrem Tun und Treiben abhalten zu lassen.

Der Zustand der Kranken war seit jener Zeit bedenklicher geworden, ja das ¸bel hatte sich so gesteigert, dafl die Eltern das arme Kind nicht im Hause behalten konnten, sondern einer ˆffentlichen Anstalt ¸berantworten muflten.

Charlotten blieb nichts ¸brig, als durch ein besonder zartes Benehmen gegen jene Familie den von ihrer Tochter verursachten Schmerz einigermaflen zu lindern.

Auf Ottilien hatte die Sache einen tiefen Eindruck gemacht; sie bedauerte das arme M‰dchen um so mehr, als sie ¸berzeugt war, wie sie auch gegen Charlotten nicht leugnete, dafl bei einer konsequenten Behandlung die Kranke gewifl herzustellen gewesen w‰re.

So kam auch, weil man sich gewˆhnlich vom vergangenen Unangenehmen mehr als vom Angenehmen unterh‰lt, ein kleines Miflverst‰ndnis zur Sprache, das Ottilien an dem Architekten irregemacht hatte, als er jenen Abend seine Sammlung nicht vorzeigen wollte, ob sie ihn gleich so freundlich darum ersuchte.

Es war ihr dieses abschl‰gige Betragen immer in der Seele geblieben, und sie wuflte selbst nicht warum.

Ihre Empfindungen waren sehr richtig; denn was ein M‰dchen wie Ottilie verlangen kann, sollte ein J¸ngling wie der Architekt nicht versagen.

Dieser brachte jedoch auf ihre gelegentlichen leisen Vorw¸rfe ziemlich g¸ltige Entschuldigungen zur Sprache.

“Wenn Sie w¸flten”, sagte er, “wie roh selbst gebildete Menschen sich gegen die sch‰tzbarsten Kunstwerke verhalten, Sie w¸rden mir verzeihen, wenn ich die meinigen nicht unter die Menge bringen mag.

Niemand weifl eine Medaille am Rand anzufassen; sie betasten das schˆnste Gepr‰ge, den reinsten Grund, lassen die kˆstlichsten St¸cke zwischen dem Daumen und Zeigefinger hin und her gehen, als wenn man Kunstformen auf diese Weise pr¸fte.

Ohne daran zu denken, dafl man ein grofles Blatt mit zwei H‰nden anfassen m¸sse, greifen sie mit einer Hand nach einem unsch‰tzbaren Kupferstich, einer unersetzlichen Zeichnung, wie ein anmafllicher Politiker eine Zeitung faflt und durch das Zerknittern des Papiers schon im voraus sein Urteil ¸ber die Weltbegebenheiten zu erkennen gibt.

Niemand denkt daran, dafl, wenn nur zwanzig Menschen mit einem Kunstwerke hintereinander ebenso verf¸hren, der einundzwanzigste nicht mehr viel daran zu sehen h‰tte”.

“Habe ich Sie nicht auch manchmal”, fragte Ottilie, “in solche Verlegenheit gesetzt?

Habe ich nicht etwan Ihre Sch‰tze, ohne es zu ahnen, gelegentlich einmal besch‰digt?” “Niemals”, versetzte der Architekt, “niemals!

Ihnen w‰re es unmˆglich; das Schickliche ist mit Ihnen geboren”.

“Auf alle F‰lle”, versetzte Ottilie, “w‰re es nicht ¸bel, wenn man k¸nftig in das B¸chlein von guten Sitten nach den Kapiteln, wie man sich in Gesellschaft beim Essen und Trinken benehmen soll, ein recht umst‰ndliches einschˆbe, wie man sich in Kunstsammlungen und Museen zu betragen habe”.

“Gewifl”, versetzte der Architekt, “w¸rden alsdann Kustoden und Liebhaber ihre Seltenheiten frˆhlicher mitteilen”.

Ottilie hatte ihm schon lange verziehen; als er sich aber den Vorwurf sehr zu Herzen zu nehmen schien und immer aufs neue beteuerte, dafl er gewifl gerne mitteile, gern f¸r Freunde t‰tig sei, so empfand sie, dafl sie sein zartes Gem¸t verletzt habe, und f¸hlte sich als seine Schuldnerin.

Nicht wohl konnte sie ihm daher eine Bitte rund abschlagen, die er in Gefolg dieses Gespr‰chs an sie tat, ob sie gleich, indem sie schnell ihr Gef¸hl zu Rate zog, nicht einsah, wie sie ihm seine W¸nsche gew‰hren kˆnne.

Die Sache verhielt sich also.

Dafl Ottilie durch Lucianens Eifersucht von den Gem‰ldedarstellungen ausgeschlossen worden, war ihm hˆchst empfindlich gewesen; dafl Charlotte diesem gl‰nzenden Teil der geselligen Unterhaltung nur unterbrochen beiwohnen kˆnnen, weil sie sich nicht wohl befand, hatte er gleichfalls mit Bedauern bemerkt.

Nun wollte er sich nicht entfernen, ohne seine Dankbarkeit auch dadurch zu beweisen, dafl er zur Ehre der einen und zur Unterhaltung der andern eine weit schˆnere Darstellung veranstaltete, als die bisherigen gewesen waren.

Vielleicht kam hierzu, ihm selbst unbewuflt, ein andrer geheimer Antrieb: es ward ihm so schwer, dieses Haus, diese Familie zu verlassen, ja es schien ihm unmˆglich, von Ottiliens Augen zu scheiden, von deren ruhig freundlich gewogenen Blicken er die letzte Zeit fast ganz allein gelebt hatte.

Die Weihnachtsfeiertage nahten sich, und es wurde ihm auf einmal klar, dafl eigentlich jene Gem‰ldedarstellungen durch runde Figuren von dem sogenannten Pr‰sepe ausgegangen, von der frommen Vorstellung, die man in dieser heiligen Zeit der gˆttlichen Mutter und dem Kinde widmete, wie sie in ihrer scheinbaren Niedrigkeit erst von Hirten, bald darauf von Kˆnigen verehrt werden.

Er hatte sich die Mˆglichkeit eines solchen Bildes vollkommen vergegenw‰rtigt.

Ein schˆner, frischer Knabe war gefunden; an Hirten und Hirtinnen konnte es auch nicht fehlen; aber ohne Ottilien war die Sache nicht auszuf¸hren.

Der junge Mann hatte sie in seinem Sinne zur Mutter Gottes erhoben, und wenn sie es abschlug, so war bei ihm keine Frage, dafl das Unternehmen fallen m¸sse.

Ottilie, halb verlegen ¸ber seinen Antrag, wies ihn mit seiner Bitte an Charlotten.

Diese erteilte ihm gern die Erlaubnis, und auch durch sie ward die Scheu Ottiliens, sich jener heiligen Gestalt anzumaflen, auf eine freundliche Weise ¸berwunden.

Der Architekt arbeitete Tag und Nacht, damit am Weihnachtsabend nichts fehlen mˆge.

Und zwar Tag und Nacht im eigentlichen Sinne.

Er hatte ohnehin wenig Bed¸rfnisse, und Ottiliens Gegenwart schien ihm statt alles Labsals zu sein; indem er um ihretwillen arbeitete, war es, als wenn er keines Schlafs, indem er sich um sie besch‰ftigte, keiner Speise bed¸rfte.

Zur feierlichen Abendstunde war deshalb alles fertig und bereit.

Es war ihm mˆglich gewesen, wohltˆnende Blasinstrumente zu versammeln, welche die Einleitung machten und die gew¸nschte Stimmung hervorzubringen wuflten.

Als der Vorhang sich hob, war Charlotte wirklich ¸berrascht. Das Bild, das sich ihr vorstellte, war so oft in der Welt wiederholt, dafl man kaum einen neuen Eindruck davon erwarten sollte.

Aber hier hatte die Wirklichkeit als Bild ihre besonderen Vorz¸ge.

Der ganze Raum war eher n‰chtlich als d‰mmernd und doch nichts undeutlich im Einzelnen der Umgebung.

Den un¸bertrefflichen Gedanken, dafl alles Licht vom Kinde ausgeht, hatte der K¸nstler durch einen klugen Mechanismus der Beleuchtung auszuf¸hren gewuflt, der durch die beschatteten, nur von Streiflichtern erleuchteten Figuren im Vordergrunde zugedeckt wurde.

Frohe M‰dchen und Knaben standen umher, die frischen Gesichter scharf von unten beleuchtet.

Auch an Engeln fehlte es nicht, deren eigener Schein von dem gˆttlichen verdunkelt, deren ‰therischer Leib vor dem gˆttlich-menschlichen verdichtet und lichtsbed¸rftig schien.

Gl¸cklicherweise war das Kind in der anmutigsten Stellung eingeschlafen, sodafl nichts die Betrachtung stˆrte, wenn der Blick auf der scheinbaren Mutter verweilte, die mit unendlicher Anmut einen Schleier aufgehoben hatte, um den verborgenen Schatz zu offenbaren.

In diesem Augenblick schien das Bild festgehalten und erstarrt zu sein.

Physisch geblendet, geistig ¸berrascht, schien das umgebende Volk sich eben bewegt zu haben, um die getroffenen Augen wegzuwenden, neugierig erfreut wieder hinzublinzen und mehr Verwunderung und Lust als Bewunderung und Verehrung anzuzeigen, obgleich diese auch nicht vergessen und einigen ‰ltern Figuren der Ausdruck derselben ¸bertragen war.

Ottiliens Gestalt, Geb‰rde, Miene, Blick ¸bertraf aber alles, was je ein Maler dargestellt hat.

Der gef¸hlvolle Kenner, der diese Erscheinung gesehen h‰tte, w‰re in Furcht geraten, es mˆge sich nur irgend etwas bewegen; er w‰re in Sorge gestanden, ob ihm jemals etwas wieder so gefallen kˆnne.

Ungl¸cklicherweise war niemand da, der diese ganze Wirkung aufzufassen vermocht h‰tte.

Der Architekt allein, der als langer, schlanker Hirt von der Seite ¸ber die Knieenden hereinsah, hatte, obgleich nicht in dem genauesten Standpunkt, noch den grˆflten Genufl.

Und wer beschreibt auch die Miene der neugeschaffenen Himmelskˆnigin?

Die reinste Demut, das liebensw¸rdigste Gef¸hl von Bescheindenheit bei einer groflen, unverdient erhaltenden Ehre, einem unbegreiflich unermefllichen Gl¸ck bildete sich in ihren Z¸gen, sowohl indem sich ihre eigene Empfindung, als indem sich die Vorstellung ausdr¸ckte, die sie sich von dem machen konnte, was sie spielte.

Charlotten erfreute das schˆne Gebilde, doch wirkte haupts‰chlich das Kind auf sie.

Ihre Augen strˆmten von Tr‰nen, und sie stellte sich auf das lebhafteste vor, dafl sie ein ‰hnliches liebes Geschˆpf bald auf ihrem Schofle zu hoffen habe.

Man hatte den Vorhang niedergelassen, teils um den Vorstellenden einige Erleichterung zu geben, teils eine Ver‰nderung in dem Dargestellten anzubringen.

Der K¸nstler hatte sich vorgenommen, das erste Nacht–und Niedrigkeitsbild in ein Tag–und Glorienbild zu verwandeln, und deswegen von allen Seiten eine unm‰flige Erleuchtung vorbereitet, die in der Zwischenzeit angez¸ndet wurde.

Ottilien war in ihrer halb theatralischen Lage bisher die grˆflte Beruhigung gewesen, dafl aufler Charlotten und wenigen Hausgenossen niemand dieser frommen Kunstmummerei zugesehen.

Sie wurde daher einigermaflen betroffen, als sie in der Zwischenzeit vernahm, es sei ein Fremder angekommen, im Saale von Charlotten freundlich begr¸flt.

Wer es war, konnte man ihr nicht sagen.

Sie ergab sich darein, um keine Stˆrung zu verursachen.

Lichter und Lampen brannten, und eine ganz unendliche Hellung umgab sie.

Der Vorhang ging auf, f¸r die Zuschauenden ein ¸berraschender Anblick: das ganze Bild war alles Licht, und statt des vˆllig aufgehobenen Schattens blieben nur die Farben ¸brig, die bei der klugen Auswahl eine liebliche M‰fligung hervorbrachten.

Unter ihren langen Augenwimmpern hervorblickend, bemerkte Ottilie eine Mannsperson neben Charlotten sitzend.

Sie erkannte ihn nicht, aber sie glaubte die Stimme des Geh¸lfen aus der Pension zu hˆren.

Eine wunderbare Empfindung ergriff sie.

Wie vieles war begegnet, seitdem sie die Stimme dieses treuen Lehrers nicht vernommen!

Wie im zackigen Blitz fuhr die Reihe ihrer Freuden und Leiden schnell vor ihrer Seele vorbei und regte die Frage auf: ‘darfst du ihm alles bekennen und gestehen?

Und wie wenig wert bist du, unter dieser heiligen Gestalt vor ihm zu erscheinen, und wie seltsam mufl es ihm vorkommen, dich, die er nur nat¸rlich gesehen, als Maske zu erblicken?’

Mit einer Schnelligkeit, die keinesgleichen hat, wirkten Gef¸hl und Betrachtung in ihr gegeneinander.

Ihr Herz war befangen, ihre Augen f¸llten sich mit Tr‰nen, indem sie sich zwang, immerfort als ein starres Bild zu erscheinen; und wie froh war sie, als der Knabe sich zu regen anfing und der K¸nstler sich genˆtiget sah, das Zeichen zu geben, dafl der Vorhang wieder fallen sollte!

Hatte das peinliche Gef¸hl, einem werten Freunde nicht entgegeneilen zu kˆnnen, sich schon die letzten Augenblicke zu den ¸brigen Empfindungen Ottiliens gesellt, so war sie jetzt in noch grˆflerer Verlegenheit.

Sollte sie in diesem fremden Anzug und Schmuck ihm entgegengehn?

Sollte sie sich umkleiden?

Sie w‰hlte nicht, sie tat das letzte und suchte sich in der Zwischenzeit zusammenzunehmen, sich zu beruhigen, und war nur erst wieder mit sich selbst in Einstimmung, als sie endlich im gewohnten Kleide den Angekommenen begr¸flte.

Insofern der Architekt seinen Gˆnnerinnen das Beste w¸nschte, war es ihm angenehm, da er doch endlich scheiden muflte, sie in der guten Gesellschaft des sch‰tzbaren Geh¸lfen zu wissen; indem er jedoch ihre Gunst auf sich selbst bezog, empfand er es einigermaflen schmerzhaft, sich so bald und, wie es seiner Bescheidenheit d¸nken mochte, so gut, ja vollkommen ersetzt zu sehen.

Er hatte noch immer gezaudert, nun aber dr‰ngte es ihn hinweg; denn was er wollte sich nach seiner Entfernung muflte gefallen lassen, das wollte er wenigstens gegenw‰rtig nicht erleben.

Zu grofler Erheiterung dieser halb traurigen Gef¸hle machten ihm die Damen beim Abschiede noch ein Geschenk mit einer Weste, an der er sie beide lange Zeit hatte stricken sehen, mit einem stillen Neid ¸ber den unbekannten Gl¸cklichen, dem sie dereinst werden kˆnnte.

Eine solcher Gabe ist die angenehmste, die ein liebender, verehrender Mann erhalten mag; denn wenn er dabei des unerm¸deten Spiels der schˆnen Finger gedenkt, so kann er nicht umhin, sich zu schmeicheln, das Herz werde bei einer so anhaltenden Arbeit doch auch nicht ganz ohne Teilnahme geblieben sein.

Die Frauen hatten nun einen neuen Mann zu bewirrten, dem sie wohlwollten und dem es bei ihnen wohl werden sollte.

Das weibliche Geschlecht hegt ein eignes, inneres, unwandelbares Interesse, von dem sie nichts in der Welt abtr¸nnig macht; im ‰uflern, geselligen Verh‰ltnis hingegen lassen sie sich gern und leicht durch den Mann bestimmen, der sie eben besch‰ftigt; und so durch Abweisen wie durch Empf‰nglichkeit, durch Beharren und Nachgiebigkeit f¸hren sie eigentlich das Regiment, dem sich in der gesitteten Welt kein Mann zu entziehen wagt.

Hatte der Architekt, gleichsam nach eigener Lust und Belieben, seine Talente vor den Freundinnen zum Vergn¸gen und zu den Zwecken derselben ge¸bt und bewiesen, war Besch‰ftigung und Unterhaltung in diesem Sinne und nach solchen Absichten eingerichtet, so machte sich in kurzer Zeit durch die Gegenwart des Geh¸lfen eine andere Lebensweise.

Seine grofle Gabe war, gut zu sprechen und menschliche Verh‰ltnisse, besonders in bezug auf Bildung der Jugend, in der Unterredung zu behandeln.

Und so entstand gegen die bisherige Art zu leben ein ziemlich f¸hlbarer Gegensatz, um so mehr, als der Geh¸lfe nicht ganz dasjenige billigte, womit man sich die Zeit ¸ber ausschliefllich besch‰ftigt hatte.

Von dem lebendigen Gem‰lde, das ihn bei seiner Ankunft empfing, sprach er gar nicht.

Als man ihm hingegen Kirche, Kapelle und was sich darauf bezog, mit Zufriedenheit sehen liefl, konnte er seine Meinung, seine Gesinnungen dar¸ber nicht zur¸ckhalten.

“Was mich betrifft”, sagte er, “so will mir diese Ann‰herung, diese Vermischung des Heiligen zu und mit dem Sinnlichen keineswegs gefallen, nicht gefallen, dafl man sich gewisse besondere R‰ume widmet, weihet und aufschm¸ckt, um erst dabei ein Gef¸hl der Frˆmmigkeit zu hegen und zu unterhalten.

Keine Umgebung, selbst die gemeinste nicht, soll in uns das Gef¸hl des Gˆttlichen stˆren, das uns ¸berallhin begleiten und jede St‰tte zu einem Tempel einweihen kann.

Ich mag gern einen Hausgottesdienst in dem Saale gehalten sehen, wo man zu speisen, sich gesellig zu versammeln, mit Spiel und Tanz zu ergˆtzen pflegt.

Das Hˆchste, das Vorz¸glichste am Menschen ist gestaltlos, und man soll sich h¸ten, es anders als in edler Tat zu gestalten”.

Charlotte, die seine Gesinnungen schon im ganzen kannte und sie noch mehr in kurzer Zeit erforschte, brachte ihn gleich in seinem Fache zur T‰tigkeit, indem sie ihre Gartenknaben, welche der Architekt vor seiner Abreise eben gemustert hatte, in dem groflen Saal aufmarschieren liefl, da sie sich denn in ihren heitern, reinlichen Uniformen, mit gesetzlichen Bewegungen und einem nat¸rlichen, lebhaften Wesen sehr gut ausnahmen.

Der Geh¸lfe pr¸fte sie nach seiner Weise und hatte durch mancherlei Fragen und Wendungen gar bald die Gem¸tsarten und F‰higkeiten der Kinder zutage gebracht und, ohne dafl es so schien, in Zeit von weniger als einer Stunde sie wirklich bedeutend unterrichtet und gefˆrdert. “Wie machen Sie das nur?” sagte Charlotte, indem die Knaben wegzogen.

“Ich habe sehr aufmerksam zugehˆrt; es sind nichts als ganz bekannte Dinge vorgekommen, und doch w¸flte ich nicht, wie ich es anfangen sollte, sie in so kurzer Zeit, bei so vielem Hin–und Widerreden, in solcher Folge zur Sprache zu bringen”.

“Vielleicht sollte man”, versetzte der Geh¸lfe, “aus den Vorteilen seines Handwerks ein Geheimnis machen.

Doch kann ich Ihnen die ganz einfache Maxime nicht verbergen, nach der man dieses und noch viel mehr zu leisten vermag.

Fassen Sie einen Gegenstand, eine Materie, einen Begriff, wie man es nennen will; halten Sie ihn recht fest; machen Sie sich ihn in allen seinen Teilen recht deutlich, und dann wird es Ihnen leicht sein, gespr‰chsweise an einer Masse Kinder zu erfahren, was sich davon schon in ihnen entwickelt hat, was noch anzuregen, zu ¸berliefern ist.

Die Antworten auf Ihre Fragen mˆgen noch so ungehˆrig sein, mˆgen noch so sehr ins Weite gehen, wenn nur sodann Ihre Gegenfrage Geist und Sinn wieder hereinw‰rts zieht, wenn Sie sich nicht von Ihrem Standpunkte verr¸cken lassen, so m¸ssen die Kinder zuletzt denken, begreifen, sich ¸berzeugen, nur von dem, was und wie es der Lehrende will.

Sein grˆflter Fehler ist der, wenn er sich von den Lernenden mit in die Weite reiflen l‰flt, wenn er sie nicht auf dem Punkte festzuhalten weifl, den er eben jetzt behandelt.

Machen Sie n‰chstens einen Versuch, und es wird zu Ihrer groflen Unterhaltung dienen”.

“Das ist artig”, sagte Charlotte; “die gute P‰dagogik ist also gerade das Umgekehrte von der guten Lebensart.

In der Gesellschaft soll man auf nichts verweilen, und bei dem Unterricht w‰re das hˆchste Gebot, gegen alle Zerstreuung zu arbeiten”.

“Abwechselung ohne Zerstreuung w‰re f¸r Lehre und Leben der schˆnste Wahlspruch, wenn dieses lˆbliche Gleichgewicht nur so leicht zu erhalten w‰re!” sagte der Geh¸lfe und wollte weiter fortfahren, als ihn Charlotte aufrief, die Knaben nochmals zu betrachten, deren munterer Zug sich soeben ¸ber den Hof bewegte.

Er bezeigte seine Zufriedenheit, dafl man die Kinder in Uniform zu gehen anhalte.

“M‰nner”, so sagte er, “sollten von Jugend auf Uniform tragen, weil sie sich gewˆhnen m¸ssen, zusammen zu handeln, sich unter ihresgleichen zu verlieren, in Masse zu gehorchen und ins Ganze zu arbeiten.

Auch befˆrdert jede Art von Uniform einen milit‰rischen Sinn sowie ein knapperes, strackeres Betragen, und alle Knaben sind ja ohnehin geborne Soldaten; man sehe nur ihre Kampf–und Streitspiele, ihr Erst¸rmen und Erklettern”.

“So werden Sie mich dagegen nicht tadeln”, versetzte Ottilie, “dafl ich meine M‰dchen nicht ¸berein kleide.

Wenn ich sie Ihnen vorf¸hre, hoffe ich Sie durch ein buntes Gemisch zu ergˆtzen”.

“Ich billige das sehr”, versetzte jener.

“Frauen sollten durchaus mannigfaltig gekleidet gehen, jede nach eigner Art und Weise, damit eine jede f¸hlen lernte, was ihr eigentlich gut stehe und wohl zieme.

Eine wichtigere Ursache ist noch die, weil sie bestimmt sind, ihr ganzes Leben allein zu stehen und allein zu handeln”.

“Das scheint mir sehr paradox”, versetzte Charlotte; “sind wir doch fast niemals f¸r uns”.

“O ja!” versetzte der Geh¸lfe, “in Absicht auf andere Frauen ganz gewifl.

Man betrachte ein Frauenzimmer als Liebende, als Braut, als Frau, Hausfrau und Mutter, immer steht sie isoliert, immer ist sie allein und will allein sein.

Ja die Eitle selbst ist in dem Falle.

Jede Frau schlieflt die andre aus, ihrer Natur nach; denn von jeder wird alles gefordert, was dem ganzen Geschlechte zu leisten obliegt.

Nicht so verh‰lt es sich mit den M‰nnern.

Der Mann verlangt den Mann; er w¸rde sich einen zweiten erschaffen, wenn es keinen g‰be; eine Frau kˆnnte eine Ewigkeit leben, ohne daran zu denken, sich ihresgleichen hervorzubringen”.

“Man darf”, sagte Charlotte, “das Wahre nur wunderlich sagen, so scheint zuletzt das Wunderliche auch wahr.

Wir wollen uns aus ihren Bemerkungen das Beste herausnehmen und doch als Frauen mit Frauen zusammenhalten und auch gemeinsam wirken, um den M‰nnern nicht allzu grofle Vorz¸ge ¸ber uns einzur‰umen.

Ja, Sie werden uns eine kleine Schadenfreude nicht ¸belnehmen, die wir k¸nftig um desto lebhafter empfinden m¸ssen, wenn sich die Herren untereinander auch nicht sonderlich vertragen”.

Mit vieler Sorgfalt untersuchte der verst‰ndige Mann nunmehr die Art, wie Ottilie ihre kleinen Zˆglinge behandelte, und bezeigte dar¸ber seinen entschiedenen Beifall.

“Sehr richtig heben Sie”, sagte er, “Ihre Untergebenen nur zur n‰chsten Brauchbarkeit heran.

Reinlichkeit veranlaflt die Kinder, mit Frauen etwas auf sich selbst zu halten, und alles ist gewonnen, wenn sie das, was sie tun, mit Munterkeit und Selbstgef¸hl zu leisten angeregt sind”.

¸brigens fand er zu seiner groflen Befriedigung nichts auf den Schein und nach auflen getan, sondern alles nach innen und f¸r die unerl‰fllichen Bed¸rfnisse.

“Mit wie wenig Worten”, rief er aus, “liefle sich das ganze Erziehungsgesch‰ft aussprechen, wenn jemand Ohren h‰tte zu hˆren!” “Mˆgen Sie es nicht mit mir versuchen?” sagte freundlich Ottilie.

“Recht gern”, versetzte jener; “nur m¸ssen Sie mich nicht verraten.

Man erziehe die Knaben zu Dienern und die M‰dchen zu M¸ttern, so wird es ¸berall wohlstehn”.

“Zu M¸ttern”, versetzte Ottilie, “das kˆnnten die Frauen noch hingehen lassen, da sie sich, ohne M¸tter zu sein, doch immer einrichten m¸ssen, W‰rterinnen zu werden; aber freilich zu Dienern w¸rden sich unsre jungen M‰nner viel zu gut halten, da man jedem leicht ansehen kann, dafl er sich zum Gebieten f‰higer d¸nkt”.

“Deswegen wollen wir es ihnen verschweigen”, sagte der Geh¸lfe.

“Man schmeichelt sich ins Leben hinein, aber das Leben schmeichelt uns nicht.

Wieviel Menschen mˆgen denn das freiwillig zugestehen, was sie am Ende doch m¸ssen?

Lassen wir aber diese Betrachtungen, die uns hier nicht ber¸hren!

Ich preise Sie gl¸cklich, dafl Sie bei Ihren Zˆglingen ein richtiges Verfahren anwenden kˆnnen.

Wenn Ihre kleinsten M‰dchen sich mit Puppen herumtragen und einige L‰ppchen f¸r sie zusammenflicken, wenn ‰ltere Geschwister alsdann f¸r die j¸ngern sorgen und das Haus sich in sich selbst bedient und aufhilft, dann ist der weitere Schritt ins Leben nicht grofl, und ein solches M‰dchen findet bei ihrem Gatten, was sie bei ihren Eltern verliefl. Aber in den gebildeten St‰nden ist die Aufgabe sehr verwickelt.

Wir haben auf hˆhere, zartere, feinere, besonders auf gesellschaftliche Verh‰ltnisse R¸cksicht zu nehmen.

Wir andern sollen daher unsre Zˆglinge nach auflen bilden; es ist notwendig, es ist unerl‰fllich und mˆchte recht gut sein, wenn man dabei nicht das Mafl ¸berschritte; denn indem man die Kinder f¸r einen weiteren Kreis zu bilden gedenkt, treibt man sie leicht ins Grenzenlose, ohne im Auge zu behalten, was denn eigentlich die innere Natur fordert.

Hier liegt die Aufgabe, welche mehr oder weniger von den Erziehern gelˆst oder verfehlt wird.

Bei manchem, womit wir unsere Sch¸lerinnen in der Pension ausstatten, wird mir bange, weil die Erfahrung mir sagt, von wie geringem Gebrauch es k¸nftig sein werde.

Was wird nicht gleich abgestreift, was nicht gleich der Vergessenheit ¸berantwortet, sobald ein Frauenzimmer sich im Stande der Hausfrau, der Mutter befindet!

Indessen kann ich mir den frommen Wunsch nicht versagen, da ich mich einmal diesem Gesch‰ft gewidmet habe, dafl es mir dereinst in Gesellschaft einer treuen Geh¸lfin gelingen mˆge, an meinen Zˆglingen dasjenige rein auszubilden, was sie bed¸rfen, wenn sie in das Feld eigener T‰tigkeit und Selbst‰ndigkeit hin¸berschreiten; dafl ich mir sagen kˆnnte: in diesem Sinne ist an ihnen die Erziehung vollendet.

Freilich schlieflt sich eine andere immer wieder an, die beinahe mit jedem Jahre unsers Lebens, wo nicht von uns selbst, doch von den Umst‰nden veranlaflt wird”.

Wie wahr fand Ottilie diese Bemerkung!

Was hatte nicht eine ungeahnte Leidenschaft im vergangenen Jahr an ihr erzogen!

Was sah sie nicht alles f¸r Pr¸fungen vor sich schweben, wenn sie nur aufs N‰chste, aufs N‰chstk¸nftige hinblickte!

Der junge Mann hatte nicht ohne Vorbedacht einer Geh¸lfin, einer Gattin erw‰hnt; denn bei aller seiner Bescheidenheit konnte er nicht unterlassen, seine Absichten auf eine entfernte Weise anzudeuten; ja er war durch mancherlei Umst‰nde und Vorf‰lle aufgeregt worden, bei diesem Besuch einige Schritte seinem Ziele n‰her zu tun.

Die Vorsteherin der Pension war bereits in Jahren; sie hatte sich unter ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen schon lange nach einer Person umgesehen, die eigentlich mit ihr in Gesellschaft tr‰te, und zuletzt dem Geh¸lfen, dem sie zu vertrauen hˆchlich Ursache hatte, den Antrag getan, er solle mit ihr die Lehranstalt fortf¸hren, darin als in dem Seinigen mitwirken und nach ihrem Tode als Erbe und einziger Besitzer eintreten.

Die Hauptsache schien hiebei, dafl er eine einstimmende Gattin finden m¸sse.

Er hatte im stillen Ottilien vor Augen und im Herzen; allein es regten sich mancherlei Zweifel, die wieder durch g¸nstige Ereignisse einiges Gegengewicht erhielten.

Luciane hatte die Pension verlassen, Ottilie konnte freier zur¸ckkehren; von dem Verh‰ltnisse zu Eduard hatte zwar etwas verlautet, allein man nahm die Sache, wie ‰hnliche Vorf‰lle mehr, gleichg¸ltig auf, und selbst dieses Ereignis konnte zu Ottiliens R¸ckkehr beitragen.

Doch w‰re man zu keinem Entschlufl gekommen, kein Schritt w‰re geschehen, h‰tte nicht ein unvermuteter Besuch auch hier eine besondere Anregung gegeben, wie denn die Erscheinung von bedeutenden Menschen in irgendeinem Kreise niemals ohne Folge bleiben kann.

Der Graf und die Baronesse, welche so oft in den Fall kamen, ¸ber den Wert verschiedener Pensionen befragt zu werden, weil fast jedermann um die Erziehung seiner Kinder verlegen ist, hatten sich vorgenommen, diese besonders kennenzulernen, von der soviel Gutes gesagt wurde, und konnten nunmehr in ihren neuen Verh‰ltnissen zusammen eine solche Untersuchung anstellen.

Allein die Baronesse beabsichtigte noch etwas anderes.

W‰hrend ihres letzten Aufenthalts bei Charlotten hatte sie mit dieser alles umst‰ndlich durchgesprochen, was sich auf Eduarden und Ottilien bezog.

Sie bestand aber–und abermals darauf: Ottilie m¸sse entfernt werden.

Sie suchte Charlotten hiezu Mut einzusprechen, welche sich vor Eduards Drohungen noch immer f¸rchtete.

Man sprach ¸ber die verschiedenen Auswege, und bei Gelegenheit der Pension war auch von der Neigung des Geh¸lfen die Rede, und die Baronesse entschlofl sich um so mehr zu dem gedachten Besuch.

Sie kommt an, lernt den Geh¸lfen kennen, man beobachtet die Anstalt und spricht von Ottilien.

Der Graf selbst unterh‰lt sich gern ¸ber sie, indem er sie bei dem neulichen Besuch genauer kennengelernt.

Sie hatte sich ihm gen‰hert, ja sie ward von ihm angezogen, weil sie durch sein gehaltvolles Gespr‰ch dasjenige zu sehen und zu kennen glaubte, was ihr bisher ganz unbekannt geblieben war.

Und wie sie in dem Umgange mit Eduard die Welt vergafl, so schien ihr in der Gegenwart des Grafen die Welt erst recht w¸nschenswert zu sein.

Jede Anziehung ist wechselseitig.

Der Graf empfand eine Neigung f¸r Ottilien, dafl er sie gern als seine Tochter betrachtete.

Auch hier war sie der Baronesse zum zweitenmal und mehr als das erstemal im Wege.

Wer weifl, was diese in Zeiten lebhafterer Leidenschaft gegen sie angestiftet h‰tte!

Jetzt war es ihr genug, sie durch eine Verheiratung den Ehefrauen unsch‰dlicher zu machen.

Sie regte daher den Geh¸lfen auf eine leise, doch wirksame Art kl¸glich an, dafl er sich zu einer kleinen Exkursion auf das Schlofl einrichten und seinen Planen und W¸nschen, von denen er der Dame kein Geheimnis gemacht, sich unges‰umt n‰hern solle.

Mit vollkommener Beistimmung der Vorsteherin trat er daher seine Reise an und hegte in seinem Gem¸te die besten Hoffnungen.

Er weifl, Ottilie ist ihm nicht ung¸nstig; und wenn zwischen ihnen einiges Miflverst‰ndnis des Standes war, so glich sich dieses gar leicht durch die Denkart der Zeit aus.

Auch hatte die Baronesse ihn wohl f¸hlen lassen, dafl Ottilie immer ein armes M‰dchen bleibe.

Mit einem reichen Hause verwandt zu sein, hiefl es, kann niemanden helfen; denn man w¸rde sich selbst bei dem grˆflten Vermˆgen ein Gewissen daraus machen, denjenigen eine ansehnliche Summe zu entziehen, die dem n‰heren Grade nach ein vollkommeneres Recht auf ein Besitztum zu haben scheinen.

Und gewifl bleibt es wunderbar, dafl der Mensch das grofle Vorrecht, nach seinem Tode noch ¸ber seine Habe zu disponieren, sehr selten zugunsten seiner Lieblinge gebraucht und, wie es scheint, aus Achtung f¸r das Herkommen nur diejenigen beg¸nstigt, die nach ihm sein Vermˆgen besitzen w¸rden, wenn er auch selbst keinen Willen h‰tte.

Sein Gef¸hl setzte ihn auf der Reise Ottilien vˆllig gleich.

Eine gute Aufnahme erhˆhte seine Hoffnungen.

Zwar fand er gegen sich Ottilien nicht ganz so offen wie sonst; aber sie war auch erwachsener, gebildeter und, wenn man will, im allgemeinen mitteilender, als er sie gekannt hatte.

Vertraulich liefl man ihn in manches Einsicht nehmen, was sich besonders auf sein Fach bezog.

Doch wenn er seinem Zwecke sich n‰hern wollte, so hielt ihn immer eine gewisse innere Scheu zur¸ck.

Einst gab ihm jedoch Charlotte hierzu Gelegenheit, indem sie in Beisein Ottiliens zu ihm sagte:” nun, Sie haben alles, was in meinem Kreise heranw‰chst, so ziemlich gepr¸ft; wie finden Sie denn Ottilien?

Sie d¸rfen es wohl in ihrer Gegenwart aussprechen”.

Der Geh¸lfe bezeichnete hierauf mit sehr viel Einsicht und ruhigem Ausdruck, wie er Ottilien in Absicht eines freieren Betragens, einer bequemeren Mitteilung, eines hˆheren Blicks in die weltlichen Dinge, der sich mehr in ihren Handlungen als in ihren Worten bet‰tige, sehr zu ihrem Vorteil ver‰ndert finde, dafl er aber doch glaube, es kˆnne ihr sehr zum Nutzen gereichen, wenn sie auf einige Zeit in die Pension zur¸ckkehre, um das in einer gewissen Folge gr¸ndlich und f¸r immer sich zuzueignen, was die Welt nur st¸ckweise und eher zur Verwirrung als zur Befriedigung, ja manchmal nur allzusp‰t ¸berliefere.

Er wolle dar¸ber nicht weitl‰ufig sein; Ottilie wisse selbst am besten, aus was f¸r zusammenh‰ngenden Lehrvortr‰gen sie damals herausgerissen worden.

Ottilie konnte das nicht leugnen; aber sie konnte nicht gestehen, was sie bei diesen Worten empfand, weil sie sich es kaum selbst auszulegen wuflte.

Es schien ihr in der Welt nichts mehr unzusammenh‰ngend, wenn sie an den geliebten Mann dachte, und sie begriff nicht, wie ohne ihn noch irgend etwas zusammenh‰ngen kˆnne.

Charlotte beantwortete den Antrag mit kluger Freundlichkeit.

Sie sagte, dafl sowohl sie als Ottilie eine R¸ckkehr nach der Pension l‰ngst gew¸nscht h‰tten.

In dieser Zeit nur sei ihr die Gegenwart einer so lieben Freundin und Helferin unentbehrlich gewesen; doch wolle sie in der Folge nicht hinderlich sein, wenn es Ottiliens Wunsch bliebe, wieder auf so lange dorthin zur¸ckzukehren, bis sie das Angefangene geendet und das Unterbrochene sich vollst‰ndig zugeeignet.

Der Geh¸lfe nahm diese Anerbietung freudig auf; Ottilie durfte nichts dagegen sagen, ob es ihr gleich vor dem Gedanken schauderte. Charlotte hingegen dachte Zeit zu gewinnen; sie hoffte, Eduard sollte sich erst als gl¸cklicher Vater wiederfinden und einfinden, dann, war sie ¸berzeugt, w¸rde sich alles geben und auch f¸r Ottilien auf eine oder die andere Weise gesorgt werden.

Nach einem bedeutenden Gespr‰ch, ¸ber welches alle Teilnehmenden nachzudenken haben, pflegt ein gewisser Stillstand einzutreten, der einer allgemeinen Verlegenheit ‰hnlich sieht.

Man ging im Saale auf und ab, der Geh¸lfe bl‰tterte in einigen B¸chern und kam endlich an den Folioband, der noch von Lucianens Zeiten her liegengeblieben war.

Als er sah, dafl darin nur Affen enthalten waren, schlug er ihn gleich wieder zu.

Dieser Vorfall mag jedoch zu einem Gespr‰ch Anlafl gegeben haben, wovon wir die Spuren in Ottiliens Tagebuch finden.

Wie man es nur ¸ber das Herz bringen kann, die garstigen Affen so sorgf‰ltig abzubilden!

Man erniedrigt sich schon, wenn man sie nur als Tiere betrachtet; man wird aber wirklich bˆsartiger, wenn man dem Reize folgt, bekannte Menschen unter dieser Maske aufzusuchen.

Es gehˆrt durchaus eine gewisse Verschrobenheit dazu, um sich gern mit Karikaturen und Zerrbildern abzugeben.

Unserm guten Geh¸lfen danke ichs, dafl ich nicht mit der Naturgeschichte gequ‰lt worden bin; ich konnte mich mit den W¸rmern und K‰fern niemals befreunden.

Diesmal gestand er mir, dafl es ihm ebenso gehe.

“Von der Natur”, sagte er, “sollten wir nichts kennen, als was uns unmittelbar lebendig umgibt.

Mit den B‰umen, die um uns bl¸hen, gr¸nen, Frucht tragen, mit jeder Staude, an der wir vorbeigehen, mit jedem Grashalm, ¸ber den wir hinwandeln, haben wir ein wahres Verh‰ltnis; sie sind unsre echten Kompatrioten.

Die Vˆgel, die auf unsern Zweigen hin und wider h¸pfen, die in unserm Laube singen, gehˆren uns an, sie sprechen zu uns von Jugend auf, und wir lernen ihre Sprache verstehen.

Man frage sich, ob nicht ein jedes fremde, aus seiner Umgebung gerissene Geschˆpf einen gewissen ‰ngstlichen Eindruck auf uns macht, der nur durch Gewohnheit abgestumpft wird.

Es gehˆrt schon ein buntes, ger‰uschvolles Leben dazu, um Affen, Papageien und Mohren um sich zu ertragen”.

Manchmal, wenn mich ein neugieriges Verlangen nach solchen abenteuerlichen Dingen anwandelte, habe ich den Reisenden beneidet, der solche Wunder mit andern Wundern in lebendiger, allt‰glicher Verbindung sieht.

Aber auch er wird ein anderer Mensch.

Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ‰ndern sich gewifl in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind.

Nur der Naturforscher ist verehrungswert, der uns das Fremdeste, Seltsamste mit seiner Lokalit‰t, mit aller Nachbarschaft jedesmal in dem eigensten Elemente zu schildern und darzustellen weifl.

Wie gern mˆchte ich nur einmal Humboldten erz‰hlen hˆren!

Ein Naturalienkabinett kann uns vorkommen wie eine ‰gyptische Grabst‰tte, wo die verschiedenen Tier–und Pflanzengˆtzen balsamiert umherstehen.

Einer Priesterkaste geziemt es wohl, sich damit in geheimnisvollem Halbdunkel abzugeben; aber in den allgemeinen Unterricht sollte dergleichen nicht einflieflen, um so weniger, als etwas N‰heres und W¸rdigeres sich dadurch leicht verdr‰ngt sieht.

Ein Lehrer, der das Gef¸hl an einer einzigen guten Tat, an einem einzigen guten Gedicht erwecken kann, leistet mehr als einer, der uns ganze Reihen untergeordneter Naturbildungen der Gestalt und dem Namen nach ¸berliefert; denn das ganze Resultat davon ist, was wir ohnedies wissen kˆnnen, dafl das Menschengebild am vorz¸glichsten und einzigsten das Gleichnis der Gottheit an sich tr‰gt.

Dem einzelnen bleibe die Freiheit, sich mit dem zu besch‰ftigen, was ihn anzieht, was ihm Freude macht, was ihm n¸tzlich deucht; aber das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch.

Es gibt wenig Menschen, die sich mit dem N‰chstvergangenen zu besch‰ftigen wissen.

Entweder das Gegenw‰rtige h‰lt uns mit Gewalt an sich, oder wir verlieren uns in die Vergangenheit und suchen das vˆllig Verlorene, wie es nur mˆglich sein will, wieder hervorzurufen und herzustellen.

Selbst in groflen und reichen Familien, die ihren Vorfahren vieles schuldig sind, pflegt es so zu gehen, dafl man des Groflvaters mehr als des Vaters gedenkt.

Zu solchen Betrachtungen ward unser Geh¸lfe aufgefordert, als er an einem der schˆnen Tage, an welchen der scheidende Winter den Fr¸hling zu l¸gen pflegt, durch den groflen, alten Schloflgarten gegangen war und die hohen Lindenalleen, die regelm‰fligen Anlagen, die sich von Eduards Vater herschrieben, bewundert hatte.

Sie waren vortrefflich gediehen in dem Sinne desjenigen, der sie pflanzte, und nun, da sie erst anerkannt und genossen werden sollten, sprach niemand mehr von ihnen; man besuchte sie kaum und hatte Liebhaberei und Aufwand gegen eine andere Seite hin ins Freie und Weite gerichtet.

Er machte bei seiner R¸ckkehr Charlotten die Bemerkung, die sie nicht ung¸nstig aufnahm.

“Indem uns das Leben fortzieht”, versetzte sie, “glauben wir aus uns selbst zu handeln, unsre T‰tigkeit, unsre Vergn¸gungen zu w‰hlen, aber freilich, wenn wir es genau ansehen, so sind es nur die Plane, die Neigungen der Zeit, die wir mit auszuf¸hren genˆtigt sind”.

“Gewifl”, sagte der Geh¸lfe; “und wer widersteht dem Strome seiner Umgebungen?

Die Zeit r¸ckt fort und in ihr Gesinnungen, Meinungen, Vorurteile und Liebhabereien.

F‰llt die Jugend eines Sohnes gerade in die Zeit der Umwendung, so kann man versichert sein, dafl er mit seinem Vater nichts gemein haben wird.

Wenn dieser in einer Periode lebte, wo man Lust hatte, sich manches zuzueignen, dieses Eigentum zu sichern, zu beschr‰nken, einzuengen und in der Absonderung von der Welt seinen Genufl zu befestigen, so wird jener sodann sich auszudehnen suchen, mitteilen, verbreiten und das Verschlossene erˆffnen”.

“Ganze Zeitr‰ume”, versetzte Charlotte, “gleichen diesem Vater und Sohn, den Sie schildern.

Von jenen Zust‰nden, da jede kleine Stadt ihre Mauern und Gr‰ben haben muflte, da man jeden Edelhof noch in einen Sumpf baute und die geringsten Schlˆsser nur durch eine Zugbr¸cke zug‰nglich waren, davon kˆnnen wir uns kaum einen Begriff machen.

Sogar grˆflere St‰dte tragen jetzt ihre W‰lle ab, die Gr‰ben selbst f¸rstlicher Schlˆsser werden ausgef¸llt, die St‰dte bilden nur grofle Flecken, und wenn man so auf Reisen das ansieht, sollte man glauben, der allgemeine Friede sei befestigt und das goldne Zeitalter vor der T¸r.

Niemand glaubt sich in einem Garten behaglich, der nicht einem freien Lande ‰hnlich sieht; an Kunst, an Zwang soll nichts erinnern; wir wollen vˆllig frei und unbedingt Atem schˆpfen.

Haben Sie wohl einen Begriff, mein Freund, dafl man aus diesem in einen andern, in den vorigen Zustand zur¸ckkehren kˆnne?” “Warum nicht?” versetzte der Geh¸lfe; “jeder Zustand hat seine Beschwerlichkeit, der beschr‰nkte sowohl als der losgebundene.

Der letztere setzt ¸berflufl voraus und f¸hrt zur Verschwendung.

Lassen Sie uns bei Ihrem Beispiel bleiben, das auffallend genug ist.

Sobald der Mangel eintritt, sogleich ist die Selbstbeschr‰nkung wiedergegeben.

Menschen, die ihren Grund und Boden zu nutzen genˆtigt sind, f¸hren schon wieder Mauern um ihre G‰rten auf, damit sie ihrer Erzeugnisse sicher seien.

Daraus entsteht nach und nach eine neue Ansicht der Dinge.

Das N¸tzliche erh‰lt wieder die Oberhand, und selbst der Vielbesitzende meint zuletzt auch das alles nutzen zu m¸ssen.

Glauben Sie mir: es ist mˆglich, dafl Ihr Sohn die s‰mtlichen Parkanlagen vernachl‰ssigt und sich wieder hinter die ernsten Mauern und unter die hohen Linden seines Groflvaters zur¸ckzieht”.

Charlotte war im stillen erfreut, sich einen Sohn verk¸ndigt zu hˆren, und verzieh dem Geh¸lfen deshalb die etwas unfreundliche Prophezeiung, wie es dereinst ihrem lieben, schˆnen Park ergehen kˆnne.

Sie versetzte deshalb ganz freundlich: “wir sind beide noch nicht alt genug, um dergleichen Widerspr¸che mehrmals erlebt zu haben; allein wenn man sich in seine fr¸he Jugend zur¸ckdenkt, sich erinnert, wor¸ber man von ‰lteren Personen klagen gehˆrt, L‰nder und St‰dte mit in die Betrachtung aufnimmt, so mˆchte wohl gegen die Bemerkung nichts einzuwenden sein.

Sollte man denn aber einem solchen Naturgang nichts entgegensetzen, sollte man Vater und Sohn, Eltern und Kinder nicht in ¸bereinstimmung bringen kˆnnen?

Sie haben mir freundlich einen Knaben geweissagt; m¸flte denn der gerade mit seinem Vater im Widerspruch stehen?

Zerstˆren, was seine Eltern erbaut haben, anstatt es zu vollenden und zu erheben, wenn er in demselben Sinne fortf‰hrt?” “Dazu gibt es auch wohl ein vern¸nftiges Mittel”, versetzte der Geh¸lfe, “das aber von den Menschen selten angewandt wird.

Der Vater erhebe seinen Sohn zum Mitbesitzer, er lasse ihn mitbauen, -pflanzen und erlaube ihm, wie sich selbst, eine unsch‰dliche Willk¸r.

Eine T‰tigkeit l‰flt sich in die andre verweben, keine an die andre anst¸ckeln.

Ein junger Zweig verbindet sich mit einem alten Stamme gar leicht und gern, an den kein erwachsener Ast mehr anzuf¸gen ist”.

Es freute den Geh¸lfen, in dem Augenblick, da er Abschied zu nehmen sich genˆtigt sah, Charlotten zuf‰lligerweise etwas Angenehmes gesagt und ihre Gunst aufs neue dadurch befestigt zu haben.

Schon allzulange war er von Hause weg; doch konnte er zur R¸ckreise sich nicht eher entschlieflen als nach vˆlliger ¸berzeugung, er m¸sse die herannahende Epoche von Charlottens Niederkunft erst vorbeigehen lassen, bevor er wegen Ottiliens irgendeine Entscheidung hoffen kˆnne.

Er f¸gte sich deshalb in die Umst‰nde und kehrte mit diesen Aussichten und Hoffnungen wieder zur Vorsteherin zur¸ck.

Charlottens Niederkunft nahte heran.

Sie hielt sich mehr in ihren Zimmern.

Die Frauen, die sich um sie versammelt hatten, waren ihre geschlossenere Gesellschaft.

Ottilie besorgte das Hauswesen, indem sie kaum daran denken durfte, was sie tat.

Sie hatte sich zwar vˆllig ergeben; sie w¸nschte f¸r Charlotten, f¸r das Kind, f¸r Eduarden sich auch noch ferner auf das dienstlichste zu bem¸hen; aber sie sah nicht ein, wie es mˆglich werden wollte.

Nichts konnte sie vor vˆlliger Verworrenheit retten, als dafl sie jeden Tag ihre Pflicht tat.

Ein Sohn war gl¸cklich zur Welt gekommen, und die Frauen versicherten s‰mtlich, es sei der ganze leibhafte Vater.

Nur Ottilie konnte es im stillen nicht finden, als sie der Wˆchnerin Gl¸ck w¸nschte und das Kind auf das herzlichste begr¸flte.

Schon bei den Anstalten zur Verheiratung ihrer Tochter war Charlotten die Abwesenheit ihres Gemahls hˆchst f¸hlbar gewesen; nun sollte der Vater auch bei der Geburt des Sohnes nicht gegenw‰rtig sein; er sollte den Namen nicht bestimmen, bei dem man ihn k¸nftig rufen w¸rde. Der erste von allen Freunden, die sich begl¸ckw¸nschend sehen lieflen, war Mittler, der seine Kundschafter ausgestellt hatte, um von diesem Ereignis sogleich Nachricht zu erhalten.

Er fand sich ein, und zwar sehr behaglich.

Kaum dafl er seinen Triumph in Gegenwart Ottiliens verbarg, so sprach er sich gegen Charlotten laut aus und war der Mann, alle Sorgen zu heben und alle augenblicklichen Hindernisse beiseitezubringen.

Die Taufe sollte nicht lange aufgeschoben werden.

Der alte Geistliche, mit einem Fufl schon im Grabe, sollte durch seinen Segen das Vergangene mit dem Zuk¸nftigen zusammenkn¸pfen; Otto sollte das Kind heiflen; es konnte keinen andern Namen f¸hren als den Namen des Vaters und des Freundes.

Es bedurfte der entschiedenen Zudringlichkeit dieses Mannes, um die hunderterlei Bedenklichkeiten, das Widerreden, Zaudern, Stocken, Besser–oder Anderswissen, das Schwanken, Meinen, Um–und Wiedermeinen zu beseitigen, da gewˆhnlich bei solchen Gelegenheiten aus einer gehobenen Bedenklichkeit immer wieder neue entstehen und, indem man alle Verh‰ltnisse schonen will, immer der Fall eintritt, einige zu verletzten.

Alle Meldungsschreiben und Gevatterbriefe ¸bernahm Mittler; sie sollten gleich ausgefertigt sein, denn ihm war selbst hˆchlich daran gelegen, ein Gl¸ck, das er f¸r die Familie so bedeutend hielt, auch der ¸brigen mitunter miflwollenden und miflredenden Welt bekanntzumachen.

Und freilich waren die bisherigen leidenschaftlichen Vorf‰lle dem Publikum nicht entgangen, das ohnehin in der ¸berzeugung steht, alles, was geschieht, geschehe nur dazu, damit es etwas zu reden habe.

Die Feier des Taufaktes sollte w¸rdig, aber beschr‰nkt und kurz sein.

Man kam zusammen, Ottilie und Mittler sollten das Kind als Taufzeugen halten.

Der alte Geistliche, unterst¸tzt vom Kirchdiener, trat mit langsamen Schritten heran.

Das Gebet war verrichtet, Ottilien das Kind auf die Arme gelegt, und als sie mit Neigung auf dasselbe heruntersah, erschrak sie nicht wenig an seinen offenen Augen; denn sie glaubte in ihre eigenen zu sehen; eine solche ¸bereinstimmung h‰tte jeden ¸berraschen m¸ssen.

Mittler, der zun‰chst das Kind empfing, stutzte gleichfalls, indem er in der Bildung desselben eine so auffallende ‰hnlichkeit, und zwar mit dem Hauptmann, erblickte, dergleichen ihm sonst noch nie vorgekommen war.

Die Schw‰che des guten alten Geistichen hatte ihn gehindert, die Taufhandlung mit mehrerem als der gewˆhnlichen Liturgie zu begleiten.

Mittler indessen, voll von dem Gegenstande, gedachte seiner fr¸hern Amtsverrichtungen und hatte ¸berhaupt die Art, sich sogleich in jedem Falle zu denken, wie er nun reden, wie er sich ‰uflern w¸rde.

Diesmal konnte er sich um so weniger zur¸ckhalten, als es nur eine kleine Gesellschaft von lauter Freunden war, die ihn umgab.

Er fing daher an, gegen das Ende des Akts mit Behaglichkeit sich an die Stelle des Geistlichen zu versetzen, in einer muntern Rede seine Patenpflichten und Hoffnungen zu ‰uflern und um so mehr dabei zu verweilen, als er Charlottens Beifall in ihrer zufriedenen Miene zu erkennen glaubte.

Dafl der gute alte Mann sich gern gesetzt h‰tte, entging dem r¸stigen Redner, der noch viel weniger dachte, dafl er ein grˆfleres ¸bel hervorzubringen auf dem Wege war; denn nachdem er das Verh‰ltnis eines jeden Anwesenden zum Kinde mit Nachdruck geschildert und Ottiliens Fassung dabei ziemlich auf die Probe gestellt hatte, so wandte er sich zuletzt gegen den Greis mit diesen Worten:” und Sie, mein w¸rdiger Altvater, kˆnnen nunmehr mit Simeon sprechen; ‘Herr, lafl deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben den Heiland dieses Hauses gesehen'”.

Nun war er im Zuge, recht gl‰nzend zu schlieflen, aber er bemerkte bald, dafl der Alte, dem er das Kind hinhielt, sich zwar erst gegen dasselbe zu neigen schien, nachher aber schnell zur¸cksank.

Vom Fall kaum abgehalten, ward er in einen Sessel gebracht, und man muflte ihn ungeachtet aller augenblicklichen Beih¸lfe f¸r tot ansprechen.

So unmittelbar Geburt und Tod, Sarg und Wiege nebeneinander zu sehen und zu denken, nicht blofl mit der Einbildungskraft, sondern mit den Augen diese ungeheuern Gegens‰tze zusammenzufassen, war f¸r die Umstehenden eine schwere Aufgabe, je ¸berraschender sie vorgelegt wurde.

Ottilie allein betrachtete den Eingeschlummerten, der noch immer seine freundliche, einnehmende Miene behalten hatte, mit einer Art von Neid.

Das Leben ihrer Seele war getˆtet; warum sollte der Kˆrper noch erhalten werden?

F¸hrten sie auf diese Weise gar manchmal die unerfreulichen Begebenheiten des Tags auf die Betrachtung der Verg‰nglichkeit, des Scheidens, des Verlierens, so waren ihr dagegen wundersame n‰chtliche Erscheinungen zum Trost gegeben, die ihr das Dasein des Geliebten versicherten und ihr eigenes befestigten und belebten.

Wenn sie sich abends zur Ruhe gelegt und im s¸flen Gef¸hl noch zwischen Schlaf und Wachen schwebte, schien es ihr, als wenn sie in einen ganz hellen, doch mild erleuchteten Raum hineinblickte.

In diesem sah sie Eduarden ganz deutlich, und zwar nicht gekleidet, wie sie ihn sonst gesehen, sondern im kriegerischen Anzug, jedesmal in einer andern Stellung, die aber vollkommen nat¸rlich war und nichts Phantastisches an sich hatte: stehend, gehend, liegend, reitend. Die Gestalt, bis aufs kleinste ausgemalt, bewegte sich willig vor ihr, ohne dafl sie das mindeste dazu tat, ohne dafl sie wollte oder die Einbildungskraft anstrengte.

Manchmal sah sie ihn auch umgeben, besonders von etwas Beweglichem, das dunkler war als der helle Grund; aber sie unterschied kaum Schattenbilder, die ihr zuweilen als Menschen, als Pferde, als B‰ume und Gebirge vorkommen konnten.

Gewˆhnlich schlief sie ¸ber der Erscheinung ein, und wenn sie nach einer ruhigen Nacht morgens wieder erwachte, so war sie erquickt, getrˆstet; sie f¸hlte sich ¸berzeugt, Eduard lebe noch, sie stehe mit ihm noch in dem innigsten Verh‰ltnis.

Der Fr¸hling war gekommen, sp‰ter, aber auch rascher und freudiger als gewˆhnlich.

Ottilie fand nun im Garten die Frucht ihres Vorsehens; alles keimte, gr¸nte und bl¸hte zur rechten Zeit; manches, was hinter wohlangelegten Glash‰usern und Beeten vorbereitet worden, trat nun sogleich der endlich von auflen wirkenden Natur entgegen, und alles, was zu tun und zu besorgen war, blieb nicht blofl hoffnungsvolle M¸he wie bisher, sondern ward zum heitern Genusse.

An dem G‰rtner aber hatte sie zu trˆsten ¸ber manche durch Lucianens Wildheit entstandene L¸cke unter den Topfgew‰chsen, ¸ber die zerstˆrte Symmetrie mancher Baumkrone.

Sie machte ihm Mut, dafl sich das alles bald wieder herstellen werde; aber er hatte zu ein tiefes Gef¸hl, zu einen reinen Begriff von seinem Handwerk, als dafl diese Trostgr¸nde viel bei ihm h‰tten fruchten sollen.

So wenig der G‰rtner sich durch andere Liebhabereien und Neigungen zerstreuen darf, so wenig darf er ruhige Gang unterbrochen werden, den die Pflanze zur dauernden oder zur vor¸bergehenden Vollendung nimmt.

Die Pflanze gleicht den eigensinnigen Menschen, von denen man alles erhalten kann, wenn man sie nach ihrer Art behandelt.

Ein ruhiger Blick, eine stille Konsequenz, in jeder Jahrszeit, in jeder Stunde das ganz Gehˆrige zu tun, wird vielleicht von niemand mehr als vom G‰rtner verlangt.

Diese Eigenschaften besafl der gute Mann in einem hohen Grade, deswegen auch Ottilie so gern mit ihm wirkte; aber sein eigentliches Talent konnte er schon einige Zeit nicht mehr mit Behaglichkeit aus¸ben.

Denn ob er gleich alles, was die Baum–und K¸cheng‰rtnerei betraf, auch die Erfordernisse eines ‰ltern Ziergartens, vollkommen zu leisten verstand, wie denn ¸berhaupt einem vor dem andern dieses oder jenes gelingt, ob er schon in Behandlung der Orangerie, der Blumenzwiebeln, der Nelken–und Aurikelnstˆcke die Natur selbst h‰tte herausfordern kˆnnen, so waren ihm doch die neuen Zierb‰ume ud Modeblumen einigermaflen fremd geblieben, und er hatte vor dem unendlichen Felde der Botanik, das sich nach der Zeit auftat, und den darin herumsummenden fremden Namen eine Art von Scheu, die ihn verdriefllich machte.

Was die Herrschaft voriges Jahr zu verschreiben angefangen, hielt er um so mehr f¸r unn¸tzen Aufwand und Verschwendung, als er gar manche kostbare Pflanze ausgehen sah und mit den Handelsg‰rtnern, die ihn, wie er glaubte, nicht redlich genug bedienten, in keinem sonderlichen Verh‰ltnisse stand.

Er hatte sich dar¸ber nach mancherlei Versuchen eine Art von Plan gemacht, in welchem ihn Ottilie um so mehr best‰rkte, als er auf die Wiederkehr Eduards eigentlich gegr¸ndet war, dessen Abwesenheit man in diesem wie in manchem andern Falle t‰glich nachteiliger empfinden muflte. Indem nun die Pflanzen immer mehr Wurzel schlugen und Zweige trieben, f¸hlte sich auch Ottilie immer mehr an diese R‰ume gefesselt.

Gerade vor einem Jahre trat sie als Fremdling, als ein unbedeutendes Wesen hier ein; wieviel hatte sie sich seit jener Zeit nicht erworben!

Aber leider wieviel hatte sie nicht auch seit jener Zeit wieder verloren!

Sie war nie so reich und nie so arm gewesen.

Das Gef¸hl von beidem wechselte augenblicklich miteinander ab, ja durchkreuzte sich aufs innigste, sodafl sie sich nicht anders zu helfen wuflte, als dafl sie immer wieder das N‰chste mit Anteil, ja mit Leidenschaft ergriff.

Dafl alles, was Eduarden besonders lieb war, auch ihre Sorgfalt am st‰rksten an sich zog, l‰flt sich denken; ja warum sollte sie nicht hoffen, dafl er selbst nun bald wiederkommen, dafl er die f¸rsorgliche Dienstlichkeit, die sie dem Abwesenden geleistet, dankbar gegenw‰rtig bemerken werde?

Aber noch auf eine viel andre Weise war sie veranlaflt, f¸r ihn zu wirken.

Sie hatte vorz¸glich die Sorge f¸r das Kind ¸bernommen, dessen unmittelbare Pflererin sie um so mehr werden konnte, als man es keiner Amme ¸bergeben, sondern mit Milch und Wasser aufzuziehen sich entschieden hatte.

Es sollte in jener schˆnen Zeit der freien Luft genieflen; und so trug sie es am liebsten selbst heraus, trug das schlafende, unbewuflte zwischen Blumen und Bl¸ten her, die dereinst seiner Kindheit so freundlich entgegenlachen sollten, zwischen jungen Str‰uchen und Pflanzen, die mit ihm in die Hˆhe zu wachsen durch ihre Jugend bestimmt schienen.

Wenn sie um sich her sah, so verbarg sie sich nicht, zu welchem groflen, reichen Zustande das Kind geboren sei; denn fast alles, wohin das Auge blickte, sollte dereinst ihm gehˆren.

Wie w¸nschenswert war es zu diesem allen, dafl es vor den Augen des Vaters, der Mutter aufw‰chse und eine erneute, frohe Verbindung best‰tigte!

Ottilie f¸hlte dies alles so rein, dafl sie sichs als entschieden wirklich dachte und sich selbst dabei gar nicht empfand.

Unter diesem klaren Himmel, bei diesem hellen Sonnenschein ward es ihr auf einmal klar, dafl ihre Liebe, um sich zu vollenden, vˆllig uneigenn¸tzig werden m¸sse; ja in manchen Augenblicken glaubte sie diese Hˆhe schon erreicht zu haben.

Sie w¸nschte nur das Wohl ihres Freundes, sie glaubte sich f‰hig, ihm zu entsagen, sogar ihn niemals wiederzusehen, wenn sie ihn nur gl¸cklich wisse.

Aber ganz entschieden war sie f¸r sich, niemals einem andern anzugehˆren.

Dafl der Herbst ebenso herrlich w¸rde wie der Fr¸hling, daf¸r war gesorgt.

Alle sogenannten Sommergew‰chse, alles, was im Herbst mit Bl¸hen nicht enden kann und sich der K‰lte noch keck entgegenentwickelt, Astern besonders, waren in der grˆflten Mannigfaltigkeit ges‰et und sollten nun, ¸berallhin verpflanzt, einen Sternhimmel ¸ber die Erde bilden.

Einen guten Gedanken, den wir gelegen, etwas Auffallendes, das wir gehˆrt, tragen wir wohl in unser Tagebuch.

N‰hmen wir uns aber zugleich die M¸he, aus den Briefen unserer Freunde eigent¸mliche Bemerkungen, originelle Ansichten, fl¸chtige geistreiche Worte auszuzeichnen, so w¸rden wir sehr reich werden.

Briefe hebt man auf, um sie nie wieder zu lesen; man zerstˆrt sie zuletzt einmal aus Diskretion, und so verschwindet der schˆnste, unmittelbarste Lebenshauch unwiederbringlich f¸r uns und andre. Ich nehme mir vor, dieses Vers‰umnis wiedergutzumachen.

So wiederholt sich denn abermals das Jahresm‰rchen von vorn.

Wir sind nun wieder, Gott sei Dank!

An seinem artigsten Kapitel.

Veilchen und Maiblumen sind wie ¸berschriften oder Vignetten dazu.

Es macht uns immer einen angenehmen Eindruck, wenn wir sie in dem Buche des Lebens wieder aufschlagen.

Wir schelten die Armen, besonders die Unm¸ndigen, wenn sie sich an den Straflen herumlegen und betteln.

Bemerken wir nicht, dafl sie gleich t‰tig sind, sobald es was zu tun gibt?

Kaum entfaltet die Natur ihre freundlichen Sch‰tze, so sind die Kinder dahinterher, um ein Gewerbe zu erˆffnen; keines bettelt mehr, jedes reicht dir einen Straufl; es hat ihn gepfl¸ckt, ehe du vom Schlaf erwachtest, und das Bittende sieht dich so freundlich an wie die Gabe.

Niemand sieht erb‰rmlich aus, der sich einiges Recht f¸hlt, fordern zu d¸rfen.

Warum nur das Jahr manchmal so kurz, manchmal so lang ist, warum es so kurz scheint und so lang in der Erinnerung!

Mir ist es mit dem vergangenen so, und nirgends auffallender als im Garten, wie Verg‰ngliches und Dauerndes ineinandergreift.

Und doch ist nichts so fl¸chtig, das nicht eine Spur, das nicht seinesgleichen zur¸cklasse.

Man l‰flt sich den Winter auch gefallen.

Man glaubt sich freier auszubreiten, wenn die B‰me so geisterhaft, so durchsichtig vor uns stehen.

Sie sind nichts, aber sie denken auch nichts zu.

Wie aber einmal Knospen und Bl¸ten kommen, dann wird man ungeduldig, bis das volle Laub hervortritt, bis die Landschaft sich verkˆrpert und der Baum sich als eine Gestalt uns entgegendr‰ngt.

Alles Vollkommene in seiner Art mufl ¸ber seine Art hinausgehen, es mufl etwas anderes, Unvergleichbares werden.

In manchen Tˆnen ist die Nachtigall noch Vogel; dann steigt sie ¸ber ihre Klasse hin¸ber und scheint jedem Gefiederten andeuten zu wollen, was eigentlich singen heifle.

Ein Leben ohne Liebe, ohne die N‰he des Geliebten ist nur eine “comedie a tiroir”, ein schlechtes Schubladenst¸ck.

Man schiebt eine nach der andern heraus und wieder hinein und und eilt zur folgenden.

Alles, was auch Gutes und Bedeutendes vorkommt, h‰ngt nur k¸mmerlich zusammen.

Man mufl ¸berall von vorn anfangen und mˆchte ¸berall enden.

Charlotte von ihrer Seite befindet sich munter und wohl.

Sie freut sich an dem t¸chtigen Knaben, dessen vielversprechende Gestalt ihr Auge und Gem¸t st¸ndlich besch‰ftigt.

Sie erh‰lt durch ihn einen neuen Bezug auf die Welt und auf den Besitz.

Ihre alte T‰tigkeit regt sich wieder; sie erblickt, wo sie auch hinsieht, im vrgangenen Jahre vieles getan und empfindet Freude am Getanen.

Von einem eigenen Gef¸hl belebt, steigt sie zur Moosh¸tte mit Ottilien und dem Kinde; und indem sie dieses auf den kleinen Tisch als auf einen h‰uslichen Altar niederlegt und noch zwei Pl‰tze leer sieht, gedenkt sie der vorigen Zeiten, und eine neue Hoffnung f¸r sie und Ottilien dringt hervor.

Junge Frauenzimmer sehen sich bescheiden vielleicht nach diesem oder jenem J¸ngling um, mit stiller Pr¸fung, ob sie ihn wohl zum Gatten w¸nschten; wer aber f¸r eine Tochter oder einen weiblichen Zˆgling zu sorgen hat, schaut in einem weitern Kreis umher.

So ging es auch in diesem Augenblick Charlotten, der eine Verbindung des Hauptmanns mit Ottilien nicht unmˆglich schien, wie sie doch auch schon ehemals in dieser H¸tte nebeneinander gesessen hatten.

Ihr war nicht unbekannt geblieben, dafl jene Aussicht auf eine vorteilhafte Heirat wieder verschwunden sei.

Charlotte stieg weiter, und Ottilie trug das Kind.

Jene ¸berliefl sich mancherlei Betrachtungen.

Auch auf dem festen Lande gibt es wohl Schiffbruch; sich davon auf das schnellste zu erholen und herzustellen, ist schˆn und preisw¸rdig.

Ist doch das Leben nur auf Gewinn und Verlust berechnet!

Wer macht nicht irgendeine Anlage und wird darin gestˆrt!

Wie oft schl‰gt man einen Weg ein und wird davon abgeleitet! Wie oft werden wir von einem scharf ins Auge gefaflten Ziel abgelenkt, um ein hˆheres zu erreichen!

Der Reisende bricht unterwegs zu seinem hˆchsten Verdrufl ein Rad und gelangt durch diesen unangenehmen Zufall zu den erfreulichsten Bekanntschaften und Verbindungen, die auf sein ganzes Leben Einflufl haben. Das Schicksal gew‰hrt uns unsre W¸nsche, aber auf seine Weise, um uns etwas ¸ber unsere W¸nsche geben zu kˆnnen.

Diese und ‰hnliche Betrachtungen waren es, unter denen Charlotte zum neuen Geb‰ude auf der Hˆhe gelangte, wo sie vollkommen best‰tigt wurden.

Denn die Umgebung war viel schˆner, als man sichs hatte denken kˆnnen.

Alles stˆrende Kleinliche war ringsumher entfernt, alles Gute der Landschaft, was die Natur, was die Zeit daran getan hatte, trat reinlich hervor und fiel ins Auge, und schon gr¸nten die jungen Pflanzungen, die bestimmt waren, einige L¸cken auszuf¸llen und die abgesonderten Teile angenehm zu verbinden.

Das Haus selbst war nahezu bewohnbar, die Aussicht, besonders aus den obern Zimmern, hˆchst mannigfaltig.

Je l‰nger man sich umsah, desto mehr Schˆnes entdeckte man.

Was muflten nicht hier die verschiedenen Tagszeiten, was Mond und Sonne f¸r Wirkungen hervorbringen!

Hier zu verweilen war hˆchst w¸nschenswert, und wie schnell ward die Lust zu bauen und zu schaffen in Charlotten wieder erweckt, da sie alle grobe Arbeit getan fand!

Ein Tischer, ein Tapezier, ein Maler, der mit Patronen und leichter Vergoldung sich zu helfen wuflte, nur dieser bedurfte man, und in kurzer Zeit war das Geb‰ude im Stande.

Keller und K¸che wurden schnell eingerichtet; denn in der Entfernung vom Schlosse muflte man alle Bed¸rfnisse um sich versammeln.

So wohnten die Frauenzimmer mit dem Kinde nun oben, und von diesem Aufenthalt, als von einem neuen Mittelpunkt, erˆffneten sich ihnen unerwartete Spazierg‰nge.

Sie genossen vergn¸glich in einer hˆheren Region der freien, frischen Luft bei dem schˆnsten Wetter.

Ottiliens liebster Weg, teils allein, teils mit dem Kinde, ging herunter nach den Platanen auf einem bequemen Fuflsteig, der sodann zu dem Punkte leitete, wo einer der K‰hne angewunden war, mit denen man ¸berzufahren pflegte.

Sie erfreute sich manchmal einer Wasserfahrt, allein ohne das Kind, weil Charlotte deshalb einige Besorgnis zeigte.

Doch verfehlte sie nicht, t‰glich den G‰rtner im Schloflgarten zu besuchen und an seiner Sorgfalt f¸r die vielen Pflanzenzˆglinge, die nun alle der freien Luft genossen, freundlich teilzunehmen.

In dieser schˆnen Zeit kam Charlotten der Besuch eines Engl‰nders sehr gelegen, der Eduarden auf Reisen kennengelernt, einigemal getroffen hatte und nunmehr neugierig war, die schˆnen Anlagen zu sehen, von denen er soviel Gutes erz‰hlen hˆrte.

Er brachte ein Empfehlungsschreiben vom Grafen mit und stellte zugleich einen stillen, aber sehr gef‰lligen Mann als seinen Begleiter vor.

Indem er nun bald mit Charlotten und Ottilien, bald mit G‰rtnern und J‰gern, ˆfters mit seinem Begleiter und manchmal allein die Gegend durchstrich, so konnte man seinen Bemerkungen wohl ansehen, dafl er ein Liebhaber und Kenner solcher Anlagen war, der wohl auch manche dergleichen selbst ausgef¸hrt hatte.

Obgleich in Jahren, nahm er auf eine heitere Weise an allem teil, was dem Leben zur Zierde gereichen und es bedeutend machen kann.

In seiner Gegenwart genossen die Frauenzimmer erst vollkommen ihrer Umgebung.

Sein ge¸btes Auge empfing jeden Effekt ganz frisch, und er hatte um so mehr Freude an dem Entstandenen, als er die Gegend vorher nicht gekannt und, was man daran getan, von dem, was die Natur geliefert, kaum zu unterscheiden wuflte.

Man kann wohl sagen, dafl durch seine Bemerkungen der Park wuchs und sich bereicherte.

Schon zum voraus erkannte er, was die neuen, heranstrebenden Pflanzungen versprachen.

Keine Stelle blieb ihm unbemerkt, wo noch irgendeine Schˆnheit hervorzuheben oder anzubringen war.

Hier deutete er auf eine Quelle, welche, gereinigt, die Zierde einer ganzen Buschpartie zu werden versprach, hier auf eine Hˆhle, die, ausger‰umt und erweitert, einen erw¸nschten Ruheplatz geben konnte, indessen man nur wenige B‰ume zu f‰llen brauchte, um von ihr aus herrliche Felsenmassen aufget¸rmt zu erblicken.

Er w¸nschte den Bewohnern Gl¸ck, dafl ihnen so manches nachzuarbeiten ¸brigblieb, und ersuchte sie, damit nicht zu eilen, sondern f¸r folgende Jahre sich das Vergn¸gen des Schaffens und Einrichtens vorzubehalten.

¸brigens war er aufler den geselligen Stunden keineswegs l‰stig; denn er besch‰ftigte sich die grˆflte Zeit des Tags, die malerischen Aussichten des Parks in einer tragbaren dunklen Kammer aufzufangen und zu reichnen, um dadurch sich und andern von seinen Reisen eine schˆne Frucht zu gewinnen.

Er hatte dieses schon seit mehreren Jahren in allen bedeutenden Gegenden getan und sich dadurch die angenehmste und interessanteste Sammlung verschafft.

Ein grofles Portefeuille, das er mit sich f¸hrte, zeigte er den Damen vor und unterhielt sie teils durch das Bild, teils durch die Auslegung.

Sie freuten sich, hier in ihrer Einsamkeit die Welt so bequem zu durchreisen, Ufer und H‰fen, Berge, Seen und Fl¸sse, St‰dte, Kastelle und manches andre Lokal, das in der Geschichte einen Namen hat, vor sich vorbeiziehen zu sehen.

Jede von beiden Frauen hatte ein besonderes Interesse, Charlotte das allgemeinere, gerade an dem, wo sich etwas historisch Merkw¸rdiges fand, w‰hrend Ottilie sich vorz¸glich bei den Gegenden aufhielt, wovon Eduard viel zu erz‰hlen pflegte, wo er gern verweilt, wohin er ˆfters zur¸ckgekehrt; denn jeder Mensch hat in der N‰he und in der Ferne gewisse ˆrtliche Einzelheiten, die ihn anziehen, die ihm seinem Charakter nach, um des ersten Eindrucks, gewisser Umst‰nde, der Gewohnheit willen besonders lieb und aufregend sind.

Sie fragte daher den Lord, wo es ihm denn am besten gefalle und wo er nun seine Wohnung aufschlagen w¸rde, wenn er zu w‰hlen h‰tte.

Da wuflte er denn mehr als eine schˆne Gegend vorzuzeigen und, was ihm dort widerfahren, um sie ihm lieb und wert zu machen, in seinem eigens akzentuierten Franzˆsisch gar behaglich mitzuteilen.

Auf die Frage hingegen, wo er sich denn jetzt gewˆhnlich aufhalte, wohin er am liebsten zur¸ckkehre, liefl er sich ganz unbewunden, doch den Frauen unerwartet, also vernehmen: “ich habe mir nun angewˆhnt, ¸berall zu Hause zu sein, und finde zuletzt nichts bequemer, als dafl andre f¸r mich bauen, pflanzen und sich h‰uslich bem¸hen.

Nach meinen eigenen Besitzungen sehne ich mich nicht zur¸ck, teils aus politischen Ursachen, vorz¸glich aber, weil mein Sohn, f¸r den ich alles eigentlich getan und eingerichtet, dem ich es zu ¸bergeben, mit dem ich es noch zu genieflen hoffte, an allem keinen Teil nimmt, sondern nach Indien gegangen ist, um sein Leben dort, wie mancher andere, hˆher zu nutzen oder gar zu vergeuden.

Gewifl, wir machen viel zu viel vorarbeitenden Aufwand aufs Leben.

Anstatt dafl wir gleich anfingen, uns in einem m‰fligen Zustand behaglich zu finden, so gehen wir immer mehr ins Breite, um es uns immer unbequemer zu machen.

Wer genieflt jetzt meine Geb‰ude, meinen Park, meine G‰rten?

Nicht ich, nicht einmal die Meinigen: fremde G‰ste, Neugierige, unruhige Reisende.

Selbst bei vielen Mitteln sind wir immer nur halb und halb zu Hause, besonders auf dem Lande, wo us manches Gewohnte der Stadt fehlt.

Das Buch, das wir am eifrigsten w¸nschten, ist nicht zur Hand, und gerade, was wir am meisten bed¸rften, ist vergessen.

Wir richten uns immer h‰uslich ein, um wieder auszuziehen, und wenn wir es nicht mit Willen und Willk¸r tun, so wirken Verh‰ltnisse, Leidenschaften, Zuf‰lle, Notwendigkeit und was nicht alles”.

Der Lord ahnete nicht, wie tief durch seine Betrachtungen die Freundinnen getroffen wurden.

Und wie oft kommt nicht jeder in diese Gefahr, der eine allgemeine Betrachtung selbst in einer Gesellschaft, deren Verh‰ltnisse ihm sonst bekannt sind, ausspricht!

Charlotten war eine solche zuf‰llige Verletzung auch durch Wohlwollende und Gutmeinende nichts Neues; und die Welt lag ohnehin so deutlich vor ihren Augen, dafl sie keinen besondern Schmerz empfand, wenngleich jemand sie unbedachtsam und ungvorsichtig nˆtigte, ihren Blick da–oder dorthin auf eine unerfreuliche Stelle zu richten.

Ottilie hingegen, die in halbbewuflter Jugend mehr ahnete als sah und ihren Blick wegwenden durfte, ja muflte von dem, was sie nicht sehen mochte und sollte, Ottilie ward durch diese traulichen Reden in den schrecklichsten Zustand versetzt; denn es zerrifl mit Gewalt vor ihr der anmutige Schleier, und es schien ihr, als wenn alles, was bisher f¸r Haus und Hof, f¸r Garten, Park und die ganze Umgebung geschehen war, ganz eigentlich umsonst sei, weil der, dem es alles gehˆrte, es nicht genˆsse, weil auch der, wie der gegenw‰rtige Gast, zum Herumschweifen in der Welt, und zwar zu dem gef‰hrlichsten, durch die Liebsten und N‰chsten gedr‰ngt worden.

Sie hatte sich an Hˆren und Schweigen gewˆhnt aber sie safl diesmal in der peinlichsten Lage, die durch des Fremden weiteres Gespr‰ch eher vermehrt als vermindert wurde, das er mit heiterer Eigenheit und Bed‰chtlichkeit fortsetzte.

“Nun glaub ich”, sagte er, “auf dem rechten Wege zu sein, da ich mich immerfort als einen Reisenden betrachte, der vielem entsagt, um vieles zu genieflen.

Ich bin an den Wechsel gewˆhnt, ja er wird mir Bed¸rfnis, wie man in der Oper immer wieder auf eine neue Dekoration wartet, gerade weil schon so viele dagewesen.

Was ich mir von dem besten und dem schlechtesten Wirtshause versprechen darf, ist mir bekannt; es mag so gut oder so schlimm sein, als es will, nirgends find ich das Gewohnte, und am Ende l‰uft es auf eins hinaus, ganz von einer notwendigen Gewohnheit oder ganz von der willk¸rlichsten Zuf‰lligkeit abzuhangen.

Wenigstens habe ich jetzt nicht den Verdrufl, dafl etwas verlegt oder verloren ist, dafl mir ein t‰gliches Wohnzimmer unbrauchbar wird, weil ich es mufl reparieren lassen, dafl man mir eine liebe Tasse zerbricht und es mir eine ganze Zeit aus keiner andern schmecken will.

Alles dessen bin ich ¸berhoben, und wenn mir das Haus ¸ber dem Kopf zu brennen anf‰ngt, so packen meine Leute gelassen ein und auf, und wir fahren zu Hofraum und Stadt hinaus.

Und bei allen diesen Vorteilen, wenn ich es genau berechne, habe ich am Ende des Jahres nicht mehr ausgegeben, als es mich zu Hause gekostet h‰tte”.

Bei dieser Schilderung sah Ottilie nur Eduarden vor sich, wie er nun auch mit Entbehren und Beschwerde auf ungebahnten Straflen hinziehe, mit Gefahr und Not zu Felde liege und bei soviel Unbestand und Wagnis sich gewˆhne, heimatlos und freundlos zu sein, alles wegzuwerfen, nur um nicht verlieren zu kˆnnen.

Gl¸cklicherweise trennte sich die Gesellschaft f¸r einige Zeit.

Ottilie fand Raum, sich in der Einsamkeit auszuweinen.

Gewaltsamer hatte sie kein dumpfer Schmerz ergriffen als diese Klarheit, die sie sich noch klarer zu machen strebte, wie man es zu tun pflegt, dafl man sich selbst peinigt, wenn man einmal auf dem Wege ist, gepeinigt zu werden.

Der Zustand Eduards kam ihr so k¸mmerlich, so j‰mmerlich vor, dafl sie sich entschlofl, es koste, was es wolle, zu seiner Wiedervereinigung mit Charlotten alles beizutragen, ihren Schmerz und ihre Liebe an irgendeinem stillen Orte zu verbergen und durch irgendeine Art von T‰tigkeit zu betriegen.

Indessen hatte der Begleiter des Lords, ein verst‰ndiger, ruhiger Mann und guter Beobachter, den Miflgriff in der Unterhaltung bemerkt und die ‰hnlichkeit der Zust‰nde seinem Freunde offenbart.

Dieser wuflte nichts von den Verh‰ltnissen der Familie; allein jener, den eigentlich auf der Reise nichts mehr interessierte als die sonderbaren Ereignisse, welche durch nat¸rliche und k¸nstliche Verh‰ltnisse, durch den Konflikt des Gesetzlichen und des Ungeb‰ndigten, des Verstandes und der Vernunft, der Leidenschaft und des Vorurteils hervorgebracht werden, jener hatte sich schon fr¸her und mehr noch im Hause selbst mit allem bekannt gemacht, was vorgegangen war und noch vorging.

Dem Lord tat es leid, ohne dafl er dar¸ber verlegen gewesen w‰re.

Man m¸flte ganz in Gesellschaft schweigen, wenn man nicht manchmal in den Fall kommen sollte; denn nicht allein bedeutende Bemerkungen, sondern die trivialsten ‰uflerungen kˆnnen auf eine so miflklingende Weise mit dem Interesse der Gegenw‰rtigen zusammentreffen.

“Wir wollen es heute abend wiedergutmachen”, sagte der Lord, “und uns aller allgemeinen Gespr‰che enthalten.

Geben Sie der Gesellschaft etwas von den vielen angenehmen und bedeutenden Anekdoten und Geschichten zu hˆren, womit Sie Ihr Portefeuille und Ihr Ged‰chtnis auf unserer Reise bereichert haben!” Allein auch mit dem besten Vorsatze gelang es den Fremden nicht, die Freunde diesmal mit einer unverf‰nglichen Unterhaltung zu erfreuen.

Denn nachdem der Begleiter durch manche sonderbare, bedeutende, heitere, r¸hrende, furchtbare Geschichten die Aufmerksamkeit erregt und die Teilnahme aufs hˆchste gespannt hatte, so dachte er mit einer zwar sonderbaren, aber sanfteren Begebenheit zu schlieflen und ahnete nicht, wie nahe diese seinen Zuhˆrern verwandt war.

Zwei Nachbarskinder von bedeutenden H‰usern, Knabe und M‰dchen, in verh‰ltnism‰fligem Alter, um dereinst Gatten zu werden, liefl man in dieser angenehmen Aussicht miteinander aufwachsen, und die beiderseitigen Eltern freuten sich einer k¸nftigen Verbindung.

Doch man bemerkte gar bald, dafl die Absicht zu mifllingen schien, indem sich zwischen den beiden trefflichen Naturen ein sonderbarer Widerwille hervortrat.

Vielleicht waren sie einander zu ‰hnlich.

Beide in sich selbst gewendet, deutlich in ihrem Wollen, fest in ihren Vors‰tzen; jedes einzeln geliebt und geehrt von seinen Gespielen; immer Widersacher, wenn sie zusammen waren, immer aufbauend f¸r sich allein, immer wechselsweise zerstˆrend, wo sie sich begegneten, nicht wetteifernd nach einem Ziel, aber immer k‰mpfend um einen Zweck; gutartig durchaus und liebensw¸rdig und nur hassend, ja bˆsartig, indem sie sich aufeinander bezogen.

Diese wunderliche Verh‰ltnis zeigte sich schon bei kindischen Spielen, es zeigte sich bei zunehmenden Jahren.

Und wie die Knaben Krieg zu spielen, sich in Parteien zu sondern, einander Schlachten zu liefern pflegen, so stellte sich das trozig mutige M‰dchen einst an die Spitze des einen Heers und focht gegen das andre mit solcher Gewalt und Erbitterung, dafl dieses schimpflich w‰re in die Flucht geschlagen worden, wenn ihr einzelner Widersacher sich nicht sehr brav gehalten und seine Gegnerin doch noch zuletzt entwaffnet und gefangengenommen h‰tte.

Aber auch da noch wehrte sie sich so gewaltsam, dafl er, um seine Augen zu erhalten und die Feindin doch nicht zu besch‰ftigen, sein seidenes Halstuch abreiflen und ihr die H‰nde damit auf den R¸cken binden muflte.

Dies verzieh sie ihm nie, ja sie machte so heimliche Anstalten und Versuche, ihn zu besch‰digen, dafl die Eltern, die auf diese seltsamen Leidenschaften schon l‰ngst achtgehabt, sich miteinander verst‰ndigen und beschlossen, die beiden feindlichen Wesen zu trennen und jene lieblichen Hoffnungen aufzugeben.

Der Knabe tat sich in seinen neuen Verh‰ltnissen bald hervor. Jede Art von Unterricht schlug bei ihm an.

Gˆnner und eigene Neigung bestimmten ihn zum Soldatenstande.

¸berall, wo er sich fand, war er geliebt und geehrt.

Seine t¸chtige Natur schien nur zum Wohlsein, zum Behagen anderer zu wirken, und er war in sich, ohne deutliches Bewufltsein, recht gl¸cklich, den einzigen Widersacher verloren zu haben, den die Natur ihm zugedacht hatte.

Das M‰dchen dagegen trat auf einmal in einen ver‰nderten Zustand.

Ihre Jahre, eine zunehmende Bildung und mehr noch ein gewisses inneres Gef¸hl zogen sie von den heftigen Spielen hinweg, die sie bisher in Gesellschaft der Knaben auszu¸ben pflegte.

Im ganzen schien ihr etwas zu fehlen, nichts war um sie herum, das wert gewesen w‰re, ihren Hafl zu erregen.

Liebensw¸rdig hatte sie noch niemanden gefunden.

Ein junger Mann, ‰lter als ihr ehemaliger nachbarlicher Widersacher, von Stand, Vermˆgen und Bedeutung, beliebt in der Gesellschaft, gesucht von Frauen, wendete ihr seine ganze Neigung zu.

Es war das erstemal, dafl sich ein Freund, ein Liebhaber, ein Diener um sie bem¸hte.

Der Vorzug, den er ihr vor vielen gab, die ‰lter, gebildeter, gl‰nzender und anspruchsreicher waren als sie, tat ihr gar zu wohl.

Seine fortgesetzte Aufmerksamkeit, ohne dafl er zudringlich gewesen w‰re, sein treuer Beistand bei verschiedenen unangenehmen Zuf‰llen, sein gegen ihre Eltern zwar ausgesprochnes, doch ruhiges und nur hoffnungsvolles Werben, da sie freilich noch sehr jung war: das alles nahm sie f¸r ihn ein, wozu die Gewohnheit, die ‰uflern, nun von der Welt als bekannt angenommenen Verh‰ltnisse das Ihrige beitrugen.

Sie war so oft Braut genannt worden, dafl sie sich endlich selbst daf¸r hielt, und weder sie noch irgend jemand dachte daran, dafl noch eine Pr¸fung nˆtig sei, als sie den Ring mit demjenigen wechselte, der so lange Zeit f¸r ihren Br‰utigam galt.

Der ruhige Gang, den die ganze Sache genommen hatte, war auch durch das Verlˆbnis nicht beschleunigt worden.

Man liefl eben von beiden Seiten alles so fortgew‰hren, man freute sich des Zusammenlebens und wollte die gute Jahreszeit durchaus noch als einen Fr¸hling des k¸nftigen ernsteren Lebens genieflen.

Indessen hatte der Entfernte sich zum schˆnsten ausgebildet, eine verdiente Stufe seiner Lebensbestimmung erstiegen und kam mit Urlaub, die Seinigen zu besuchen.

Auf eine ganz nat¸rliche, aber doch sonderbare Weise stand er seiner schˆnen Nachbarin abermals entgegen.

Sie hatte in der letzten Zeit nur freundliche, br‰utliche Familienempfindungen bei sich gen‰hrt, sie war mit allem, was sie umgab, in ¸bereinstimmung; sie glaubte gl¸cklich zu sein und war es auch auf gewisse Weise.

Aber nun stand ihr zum erstenmal seit langer Zeit wieder etwas entgegen: es war nicht hassenswert; sie war des Hasses unf‰hig geworden, ja der kindische Hafl, der eigentlich nur ein dunkles Anerkennen des inneren Wertes gewesen, ‰uflerte sich nun in frohem Erstaunen, erfreulichem Betrachten, gef‰lligem Eingesthen, halb willigem halb unwilligem und doch notwendigem Annahen, und das alles war wechselseitig.

Eine lange Entfernung gab zu l‰ngeren Unterhaltungen Anlafl.

Selbst jene kindische Unvernunft diente den Aufgekl‰rteren zu scherzhafter Erinnerung, und es war, als wenn man sich jenen neckischen Hafl wenigstens durch eine freundschaftliche, aufmerksame Behandlung verg¸ten m¸sse, als wenn jenes gewaltsame Verkennen nunmehr nicht ohne ein ausgesprochenes Anerkennen bleiben d¸rfe.

Von seiner Seite blieb alles in einem verst‰ndigen, w¸nschenswerten Mafl.

Sein Stand, seine Verh‰ltnisse, sein Streben, sein Ehrgeiz besch‰ftigten ihn so reichlich, dafl er die Freundlichkeit der schˆnen Braut als eine dankenswerte Zugabe mit Behaglichkeit aufnahm, ohne sie deshalb in irgendeinem Bezug auf sich zu betrachten oder sie ihrem Br‰utigam zu miflgˆnnen, mit dem er ¸brigens in den besten Verh‰ltnissen stand.

Bei ihr hingegen sah es ganz anders aus.

Sie schien sich wie aus einem Traum erwacht.

Der Kampf gegen ihren jungen Nachbar war die erste Leidenschaft gewesen, und dieser heftige Kampf war doch nur, unter der Form des Widerstrebens, eine heftige, gleichsam angeborne Neigung.

Auch kam es ihr in der Erinnerung nicht anders vor, als dafl sie ihn immer geliebt habe.

Sie l‰chelte ¸ber jenes feindliche Suchen mit den Waffen in der Hand; sie wollte sich des angenehmsten Gef¸hls erinnern, als er sie entwaffnete; sie bildete sich ein, die grˆflte Seligkeit empfunden zu haben, da er sie band, und alles, was sie zu seinem Schaden und Verdrufl unternommen hatte, kam ihr nur als unschuldiges Mittel vor, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Sie verw¸nschte jene Trennung, sie bejammerte den Schlaf, in den sie verfallen, sie verfluchte die schleppende, tr‰umerische Gewohnheit, durch die ihr ein so unbedeutender Br‰utigam hatte werden kˆnnen; sie war verwandelt, doppelt verwandelt, vorw‰rts und r¸ckw‰rts, wie man es nehmen will.

H‰tte jemand ihre Empfindungen, die sie ganz geheimhielt, entwickeln und mit ihr teilen kˆnnen, so w¸rde er sie nicht gescholten haben; denn freilich konnte der Br‰utigam die Vergleichung mit dem Nachbar nicht aushalten, sobald man sie nebeneinander sah.

Wenn man dem einen ein gewisses Zutrauen nicht versagen konnte, so erregte der andere das vollste Vertrauen; wenn man den einen gern zur Gesellschaft mochte, so w¸nschte man sich den andern zum Gef‰hrten; und dachte man gar an hˆhere Teilnahme, an auflerordentliche F‰lle, so h‰tte man wohl an dem einen gezweifelt, wenn einem der andere vollkommene Gewiflheit gab.

F¸r solche Verh‰ltnisse ist den Weibern ein besonderer Takt angeboren, und sie haben Ursache sowie Gelegenheit, ihn auszubilden.

Je mehr die schˆne Braut solche Gesinnungen bei sich ganz heimlich n‰hrte, je weniger nur irgend jemand dasjenige auszusprechen im Fall war, was zugunsten des Br‰utigams gelten konnte, was Verh‰ltnisse, was Pflicht anzuraten und zu gebieten, ja was eine unab‰nderliche Notwendigkeit unwiderruflich zu fordern schien, desto mehr beg¸nstigte das schˆne Herz seine Einseitigkeit; und indem sie von der einen Seite durch Welt und Familie, Br‰utigam und eigne Zusage unauflˆslich gebunden war, von der andern der emporstrebende J¸ngling gar kein Geheimnis von seinen Gesinnungen, Planen und Aussichten machte, sich nur als ein treuer und nicht einmal z‰rtlicher Bruder gegen sie bewies und nun gar von seiner unmittelbaren Abreise die Rede war, so schien es, als ob ihr fr¸her kindischer Geist mit allen seinen T¸cken und Gewaltsamkeiten wiedererwachte und sich nun auf einer hˆheren Lebensstufe mit Unwillen r¸stete, bedeutender und verderblicher zu wirken.

Sie beschlofl zu sterben, um den ehemals Gehaflten und nun so heftig Geliebten f¸r seine Unteilnahme zu strafen und sich, indem sie ihn nicht besitzen sollte, wenigstens mit seiner Einbildungskraft, seiner Reue auf ewig zu verm‰hlen.

Er sollte ihr totes Bild nicht loswerden, er sollte nicht aufhˆren, sich Vorw¸rfe zu machen, dafl er ihre Gesinnungen nicht erkannt, nicht erforscht, nicht gesch‰tzt habe.

Dieser seltsame Wahnsinn begleitete sie ¸berallhin.

Sie verbarg ihn unter allerlei Formen; und ob sie den Menschen gleich wunderlich vorkam, so war niemand aufmerksam oder klug genug, die innere, wahre Ursache zu entdecken.

Indessen hatten sich Freunde, Verwandte, Bekannte in Anordnungen von Mancherlei Festen erschˆpft.

Kaum verging ein Tag, dafl nicht irgend etwas Neues und Unerwartetes angestellt worden w‰re.

Kaum war ein schˆner Platz der Landschaft, den man nicht ausgeschm¸ckt und zum Empfang vieler froher G‰ste bereitet h‰tte.

Auch wollte unser junger Ankˆmmling noch vor seiner Abreise das Seinige tun und lud das junge Paar mit einem engeren Familienkreise zu einer Wasserlustfahrt.

Man bestieg ein grofles, schˆnes, wohlausgeschm¸cktes Schiff, eine der Jachten, die einen kleinen Saal und einige Zimmer anbieten und auf das Wasser die Bequemlichkeit des Landes ¸berzutragen suchen.

Man fuhr auf dem groflen Strome mit Musik dahin; die Gesellschaft hatte sich bei heifler Tageszeit in den untern R‰umen versammelt, um sich an Geistes–und Gl¸cksspielen zu ergˆtzen.

Der junge Wirt, der niemals unt‰tig bleiben konnte, hatte sich ans Steuer gesetzt, den alten Schiffsmeister abzulˆsen, der an seiner Seite eingeschlafen war; und eben brauchte der Wachende alle seine Vorsicht, da er sich einer Stelle nahte, wo zwei Inseln das Fluflbette verengten und, indem sie ihre flachen Kiesufer bald an der einen, bald an der andern Seite hereinstreckten, ein gef‰hrliches Fahrwasser zubereiteten.

Fast war der sorgsame und scharfblickende Steurer in Versuchung, den Meister zu wecken, aber er getraute sichs zu und fuhr gegen die Enge.

In dem Augenblick erschien auf dem Verdeck seine schˆne Feindin mit einem Blumenkranz in den Haaren.

Sie nahm ihn ab und warf ihn auf den Steuernden.

“Nimm dies zum Andenken!” rief sie aus.

“Stˆre mich nicht!” rief er ihr entgegen, indem er den Kranz auffing; “ich bedarf aller meiner Kr‰fte und meiner Aufmerksamkeit”.

-“Ich stˆre dich nicht weiter”, rief sie; “du siehst mich nicht wieder!” Sie sprachs und eilte nach dem Vorderteil des Schiffs, von da sie ins Wasser sprang.

Einige Stimmen riefen: “rettet!

Rettet!

Sie ertrinkt”.

Er war in der entsetzlichsten Verlegenheit.

¸ber dem L‰rm erwacht der alte Schiffsmeister, will das Ruder ergreifen, der j¸ngere es ihm ¸bergeben, aber es ist keine Zeit, die Herrschaft zu wechseln: das Schiff strandet, und in eben dem Augenblick, die l‰stigsten Kleidungsst¸cke wegwerfend, st¸rzte er sich