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  • 1809
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Gl¸cklicherweise hilft sich hier die Sache von selbst, da meine Bem¸hungen, mein Zureden fruchtlos geblieben w‰ren”.

Charlotte verlangte nun von ihm, er solle die Nachricht Eduarden bringen, einen Brief von ihr mitnehmen und sehen, was zu tun, was herzustellen sei.

Er wollte das nicht eingehen.

“Alles ist schon getan”, rief er aus.

“Schreiben Sie!

Ein jeder Bote ist so gut als ich.

Mufl ich doch meine Schritte hinwenden, wo ich nˆtiger bin.

Ich komme nur wieder, um Gl¸ck zu w¸nschen; ich komme zur Taufe”.

Charlotte war diesmal, wie schon ˆfters, ¸ber Mittlern unzufrieden.

Sein rasches Wesen brachte manches Gute hervor, aber seine ¸bereilung war schuld an manchem Mifllingen.

Niemand war abh‰ngiger von augenblicklich vorgefaflten Meinungen als er.

Charlottens Bote kam zu Eduarden, der ihn mit halbem Schrecken empfing.

Der Brief konnte ebensogut f¸r Nein als f¸r Ja entscheiden.

Er wagte lange nicht, ihn aufzubrechen, und wie stand er betroffen, als er das Blatt gelesen, versteinert bei folgender Stelle, womit es sich endigte: “gedenke jener n‰chtlichen Stunden, in denen du deine Gattin abenteuerlich als Liebender besuchtest, sie unwiderstehlich an dich zogst, sie als eine Geliebte, als eine Braut in die Arme schlossest.

Lafl uns in dieser seltsamen Zuf‰lligkeit eine F¸gung des Himmels verehren, die f¸r ein neues Band unserer Verh‰ltnisse gesorgt hat in dem Augenblick, da das Gl¸ck unseres Lebens auseinanderzufallen und zu verschwinden droht”.

Was von dem Augenblick an in der Seele Eduards vorging, w¸rde schwer zu schildern sein.

In einem solchen Gedr‰nge treten zuletzt alte Gewohnheiten, alte Neigungen wieder hervor, um die Zeit zu tˆten und den Lebensraum auszuf¸llen.

Jagd und Krieg sind eine solche f¸r den Edelmann immer bereite Aush¸lfe.

Eduard sehnte sich nach ‰uflerer Gefahr, um der innerlichen das Gleichgewicht zu halten.

Er sehnte sich nach dem Untergang, weil ihm das Dasein unertr‰glich zu werden drohte; ja es war ihm ein Trost zu denken, dafl er nicht mehr sein werde und eben dadurch seine Geliebten, seine Freunde gl¸cklich machen kˆnne.

Niemand stellte seinem Willen ein Hindernis entgegen, da er seinen Entschlufl verheimlichte.

Mit allen Fˆrmlichkeiten setzte er sein Testament auf; es war ihm eine s¸fle Empfindung, Ottilien das Gut vermachen zu kˆnnen.

F¸r Charlotten, f¸r das Ungeborne, f¸r den Hauptmann, f¸r seine Dienerschaft war gesorgt.

Der wieder ausgebrochene Krieg beg¸nstigte sein Vorhaben.

Milit‰rische Halbheiten hatten ihm in seiner Jugend viel zu schaffen gemacht; er hatte deswegen den Dienst verlassen.

Nun war es ihm eine herrliche Empfindung, mit einem Feldherrn zu ziehen, von dem er sich sagen konnte: unter seiner Anf¸hrung ist der Tod wahrscheinlich und der Sieg gewifl.

Ottilie, nachdem auch ihr Charlottens Geheimnis bekannt geworden, betroffen wie Eduard, und mehr, ging in sich zur¸ck.

Sie hatte nichts weiter zu sagen.

Hoffen konnte sie nicht, und w¸nschen durfte sie nicht.

Einen Blick jedoch in ihr Inneres gew‰hrt uns ihr Tagebuch, aus dem wir einiges mitzuteilen gedenken.

Im gemeinen Leben begegnet uns oft, was wir in der Epopˆe als Kunstgriff des Dichters zu r¸hmen pflegen, dafl n‰mlich, wenn die Hauptfiguren sich entfernen, verbergen, sich der Unt‰tigkeit hingeben, gleich sodann schon ein Zweiter, Dritter, bisher kaum Bemerkter den Platz f¸llt und, indem er seine ganze T‰tigkeit ‰uflert, uns gleichfalls der Aufmerksamkeit, der Teilnahme, ja des Lobes und Preises w¸rdig erscheint.

So zeigte sich gleich nach der Entfernung des Hauptmanns und Eduards jener Architekt t‰glich bedeutender, von welchem die Anordnung und Ausf¸hrung so manches Unternehmens allein abhing, wobei er sich genau, verst‰ndig und t‰tig erwies und zugleich den Damen auf mancherlei Art beistand und in stillen, langwierigen Stunden sie zu unterhalten wuflte.

Schon sein ‰ufleres war von der Art, dafl es Zutrauen einflˆflte und Neigung erweckte.

Ein J¸ngling im vollen Sinne des Wortes, wohlgebaut, schlank, eher ein wenig zu grofl, bescheiden ohne ‰ngstlich, zutraulich ohne zudringend zu sein.

Freudig ¸bernahm er jede Sorge und Bem¸hung, und weil er mit grofler Leichtigkeit rechnete, so war ihm bald das ganze Hauswesen kein Geheimnis, und ¸berallhin verbreitete sich sein g¸nstiger Einflufl.

Die Fremden liefl man ihn gewˆhnlich empfangen, und er wuflte einen unerwarteten Besuch entweder abzulehnen oder die Frauen wenigstens dergestalt darauf vorzubereiten, dafl ihnen keine Unbequemlichkeit daraus entsprang.

Unter andern gab ihm eines Tages ein junger Rechtsgelehrter viel zu schaffen, der, von einem benachbarten Edelmann gesendet, eine Sache zur Sprache brachte, die, zwar von keiner sonderlichen Bedeutung, Charlotten dennoch innig ber¸hrte.

Wir m¸ssen dieses Vorfalls gedenken, weil er verschiedenen Dingen einen Anstofl gab, die sonst vielleicht lange geruht h‰tten.

Wir erinnern uns jener Ver‰nderung, welche Charlotte mit dem Kirchhofe vorgenommen hatte.

Die s‰mtlichen Monumente waren von ihrer Stelle ger¸ckt und hatten an der Mauer, an dem Sockel der Kirche Platz gefunden.

Der ¸brige Raum war geebnet.

Aufler einem breiten Wege, der zur Kirche und an derselben vorbei zu dem jenseitigen Pfˆrtchen f¸hrte, war das ¸brige alles mit verschiedenen Arten Klee bes‰et, der auf das schˆnste gr¸nte und bl¸hte.

Nach einer gewissen Ordnung sollten vom Ende heran die neuen Gr‰ber bestellt, doch der Platz jederzeit wieder verglichen und ebenfalls bes‰et werden.

Niemand konnte leugnen, dafl diese Anstalt beim sonn–und festt‰tigen Kirchgang eine heitere und w¸rdige Ansicht gew‰hrte.

Sogar der betagte und an alten Gewohnheiten haftende Geistliche, der anf‰nglich mit der Einrichtung nicht sonderlich zufrieden gewesen, hatte nunmehr seine Freude daran, wenn er unter den alten Linden, gleich Philomon, mit seiner Baucis vor der Hintert¸re ruhend, statt der holprigen Grabst‰tten einen schˆnen, bunten Teppich vor sich sah, der noch ¸berdies seinem Haushalt zugute kommen sollte, indem Charlotte die Nutzung dieses Fleckes der Pfarre zusichern lassen.

Allein desungeachtet hatten schon manche Gemeindeglieder fr¸her gemiflbilligt, dafl man die Bezeichnung der Stelle, wo ihre Vorfahren ruhten, aufgehoben und das Andenken dadurch gleichsam ausgelˆscht; denn die wohlerhaltenden Monumente zeigen zwar an, wer begraben sei, aber nicht, wo er begraben sei, und auf das Wo komme es eigentlich an, wie viele behaupteten.

Von ebensolcher Gesinnung war eine benachbarte Familie, die sich und den Ihrigen einen Raum auf dieser allgemeinen Ruhest‰tte vor mehreren Jahren ausbedungen und daf¸r der Kirche eine kleine Stiftung zugewendet hatte.

Nun war der junge Rechtsgelehrte abgesendet, um die Stiftung zu widerrufen und anzuzeigen, dafl man nicht weiterzahlen werde, weil die Bedingung, unter welcher dieses bisher geschehen, einseitig aufgehoben und auf alle Vorstellungen und Widerreden nicht geachtet worden.

Charlotte, die Urheberin dieser Ver‰nderung, wollte den jungen Mann selbst sprechen, der zwar lebhaft, aber nicht allzu vorlaut seine und seines Prinzipals Gr¸nde darlegte und der Gesellschaft manches zu denken gab.

“Sie sehen”, sprach er nach einem kurzen Eingang, in welchem er seine Zudringlichkeit zu rechtfertigen wuflte, “Sie sehen, dafl dem Geringsten wie dem Hˆchsten daran gelegen ist, den Ort zu bezeichnen, der die Seinigen aufbewahrt.

Dem ‰rmsten Landmann, der ein Kind begr‰bt, ist es eine Art von Trost, ein schwaches hˆlzernes Kreuz auf das Grab zu stellen, es mit einem Kranze zu zieren, um wenigstens das Andenken so lange zu erhalten, als der Schmerz w‰hrt, wenn auch ein solches Merkzeichen, wie die Trauer selbst, durch die Zeit aufgehoben wird.

Wohlhabende verwandeln diese Kreuze in eiserne, befestigen und sch¸tzen sie auf mancherlei Weise, und hier ist schon Dauer f¸r mehrere Jahre.

Doch weil auch diese endlich sinken und unscheinbar werden, so haben Beg¸terte nichts Angelegeneres, als einen Stein aufzurichten, der f¸r mehrere Generationen zu dauern verspricht und von den Nachkommen erneut und aufgefrischt werden kann.

Aber dieser Stein ist es nicht, der uns anzieht, sondern das darunter Enthaltene, das daneben der Erde Vertraute.

Es ist nicht sowohl vom Andenken die Rede als von der Person selbst, nicht von der Erinnerung, sondern von der Gegenwart.

Ein geliebtes Abgeschiedenes umarme ich weit eher und inniger im Grabh¸gel als im Denkmal, denn dieses ist f¸r sich eigentlich nur wenig; aber um dasselbe her sollen sich wie um einen Markstein Gatten, Verwandte, Freunde selbst nach ihrem Hinscheiden noch versammeln, und der Lebende soll das Recht behalten, Fremde und Miflwollende auch von der Seite seiner geliebten Ruhenden abzuweisen und zu entfernen.

Ich halte deswegen daf¸r, dafl mein Prinzipal vˆllig recht habe, die Stiftung zur¸ckzunehmen; und dies ist noch billig genug, denn die Glieder der Familie sind auf eine Weise verletzt, wof¸r gar kein Ersatz zu denken ist.

Sie sollen das schmerzlich s¸fle Gef¸hl entbehren, ihren Geliebten ein Totenopfer zu bringen, die trˆstliche Hoffnung, dereinst unmittelbar neben ihnen zu ruhen”.

“Die Dache ist nicht von der Bedeutung”,versetzte Charlotte, “dafl man sich deshalb durch einen Rechtshandel beunruhigen sollte.

Meine Anstalt reut mich so wenig, dafl ich die Kirche gern wegen dessen, was ihr entgeht, entsch‰digen will.

Nur mufl ich Ihnen aufrichtig gestehen: Ihre Argumente haben mich nicht ¸berzeugt.

Das reine Gef¸hl einer endlichen allgemeinen Gleichheit, wenigstens nach dem Tode, scheint mir beruhigender als dieses eigensinnige, starre Fortsetzen unserer Persˆnlichkeiten, Anh‰nglichkeiten und Lebensverh‰ltnisse.–Und was sagen Sie hierzu?” richtete sie ihre Frage an den Architekten.

“Ich mˆchte”, versetzte dieser, “in einer solchen Sache weder streiten noch den Ausschlag geben.

Lassen Sie mich das, was meiner Kunst, meiner Denkweise am n‰chsten liegt, bescheidentlich ‰uflern.

Seitdem wir nicht mehr so gl¸cklich sind, die Reste eines geliebten Gegenstandes eingeurnt an unsere Brust zu dr¸cken, da wir weder reich noch heiter genug sind, sie unversehrt in groflen, wohlausgezierten Sarkophagen zu verwahren, ja da wir nicht einmal in den Kirchen mehr Platz f¸r uns und f¸r die Unsrigen finden, sondern hinaus ins Freie gewiesen sind, so haben wir alle Ursache, die Art und Weise, die Sie, meine gn‰dige Frau, eingeleitet haben, zu billigen.

Wenn die Glieder einer Gemeinde reihenweise nebeneinander liegen, so ruhen sie bei und unter den Ihrigen; und wenn die Erde uns einmal aufnehmen soll, so finde ich nichts nat¸rlicher und reinlicher, als dafl man die zuf‰llig entstandenen, nach und nach zusammensinkenden H¸gel unges‰umt vergleiche und so die Decke, indem alle sie tragen, einem jeden leichter gemacht werde”.

“Und ohne irgendein Zeichen des Andenkens, ohne irgend etwas, das der Erinnerung entgegenk‰me, sollte das alles so vor¸bergehen?” versetzte Ottilie.

“Keineswegs!” fuhr der Architekt fort; “nicht vom Andenken, nur vom Platze soll man sich lossagen.

Der Bauk¸nstler, der Bildhauer sind hˆchlich interessiert, dafl der Mensch von ihnen, von ihrer Kunst, von ihrer Hand eine Dauer seines Daseins erwarte; und deswegen w¸nschte ich gut gedachte, gut ausgef¸hrte Monumente, nicht einzeln und zuf‰llig ausges‰et, sondern an einem Orte aufgestellt, wo sie sich Dauer versprechen kˆnnen.

Da selbst die Frommen und Hohen auf das Vorrecht Verzicht tun, in den Kirchen persˆnlich zu ruhen, so stelle man wenigstens dort oder in schˆnen Hallen um die Begr‰bnispl‰tze Denkzeichen, Denkschriften auf.

Es gibt tausenderlei Formen, die man ihnen vorschreiben, tausenderlei Zieraten, womit man sie ausschm¸cken kann”.

“Wenn die K¸nstler so reich sind”, versetzte Charlotte, “so sagen Sie mir doch: wie kann man sich niemals aus der Form eines kleinlichen Obelisken, einer abgestutzten S‰ule und eines Aschenkrugs herausfinden?

Anstatt der tausend Erfindungen, deren Sie sich r¸hmen, habe ich immer nur tausend Wiederholungen gesehen”.

“Das ist wohl bei uns so”, entgegnete ihr der Architekt, “aber nicht ¸berall.

Und ¸berhaupt mag es mit der Erfindung und der schicklichen Anwendung eine eigne Sache sein.

Besonders hat es in diesem Falle manche Schwierigkeit, einen ernsten Gegenstand zu erheitern und bei einem unerfreulichen nicht ins Unerfreuliche zu geraten.

Was Entw¸rfe zu Monumenten aller Art betrifft, deren habe ich viele gesammelt und zeige sie gelegentlich; doch bleibt immer das schˆnste Denkmal des Menschen eigenes Bildnis.

Dieses gibt mehr als irgend etwas anders einen Begriff von dem, was er war; es ist der beste Text zu vielen oder wenigen Noten; nur m¸flte es aber auch in seiner besten Zeit gemacht sein, welches gewˆhnlich vers‰umt wird.

Niemand denkt daran, lebende Formen zu erhalten, und wenn es geschieht, so geschieht es auf unzul‰ngliche Weise.

Da wird ein Toter geschwind noch abgegossen und eine solche Maske auf einen Block gesetzt, und das heiflt man eine B¸ste.

Wie selten ist der K¸nstler imstande, sie vˆllig wiederzubeleben!” “Sie haben, ohne es vielleicht zu wissen ud zu wollen”, versetzte Charlotte, “dies Gespr‰ch ganz zu meinen Gunsten gelenkt.

Das Bild eines Menschen ist doch wohl unabh‰ngig; ¸berall, wo es steht, steht es f¸r sich, und wir werden von ihm nicht verlangen, dafl es die eigentliche Grabst‰tte bezeichne.

Aber soll ich Ihnen eine wunderliche Empfindung bekennen?

Selbst gegen die Bildnisse habe ich eine Art von Abneigung; denn sie scheinen mir immer einen stillen Vorwurf zu machen; sie deuten auf etwas Entferntes, Abgeschiedenes und erinnern mich, wie schwer es sei, die Gegenwart recht zu ehren.

Gedenkt man, wieviel Menschen man gesehen, gekannt, und gesteht sich, wie wenig wir ihnen, wie wenig sie uns gewesen, wie wird uns da zumute!

Wir begegnen dem Geistreichen, ohne uns mit ihm zu unterhalten, dem Gelehrten, ohne von ihm zu lernen, dem Gereisten, ohne uns zu unterrichten, dem Liebevollen, ohne ihm etwas Angenehmes zu erzeigen.

Und leider ereignet sich dies nicht blofl mit den Vor¸bergehenden.

Gesellschaften und Familien betragen sich so gegen ihre liebsten Glieder, St‰dte gegen ihre w¸rdigsten B¸rger, Vˆlker gegen ihre trefflichsten F¸rsten, Nationen gegen ihre vorz¸glichsten Menschen.

Ich hˆrte fragen, warum man von den Toten so unbewunden Gutes sage, von den Lebenden immer mit einer gewissen Vorsicht.

Es wurde geantwortet: weil wir von jenen nichts zu bef¸rchten haben und diese uns noch irgendwo in den Weg kommen kˆnnten.

So unrein ist die Sorge f¸r das Andenken der andern; es ist meist nur ein selbstischer Scherz, wenn es dagegen ein heiliger Ernst w‰re, seine Verh‰ltnisse gegen die ¸berbliebenen immer lebendig und t‰tig zu erhalten”.

Aufgeregt durch den Vorfall und die daran sich kn¸pfenden Gespr‰che, begab man sich des andern Tages nach dem Begr‰bnisplatz zu dessen Verzierung und Erheiterung der Architekt manchen gl¸cklichen Vorschlag tat.

Allein auch auf die Kirche sollte sich seine Sorgfalt erstrecken, auf ein Geb‰ude, das gleich anf‰nglich seine Aufmerksamkeit an sich gezogen hatte.

Diese Kirche stand seit mehrern Jahrhunderten, nach deutscher Art und Kunst in guten Maflen errichtet und auf eine gl¸ckliche Weise verziert.

Man konnte wohl nachkommen, dafl der Baumeister eines benachbarten Klosters mit Einsicht und Neigung sich auch an diesem kleineren Geb‰ude bew‰hrt, und es wirkte noch immer ernst und angenehm auf den Betrachter, obgleich die innere neue Einrichtung zum protestantischen Gottesdienste ihm etwas von seiner Ruhe und Majest‰t genommen hatte.

Dem Architekten fiel es nicht schwer, sich von Charlotten eine m‰flige Summe zu erbitten, wovon er das ‰uflere sowohl als das Innere im altert¸mlichen Sinne herzustellen und mit dem davorliegenden Auferstehungsfelde zur ¸bereinstimmung zu bringen gedachte.

Er hatte selbst viel Handgeschick, und einige Arbeiter, die noch am Hausbau besch‰ftigt waren, wollte man gern so lange beibehalten, bis auch dieses fromme Werk vollendet w‰re.

Man war nunmehr in dem Falle, das Geb‰ude selbst mit allen Umgebungen und Angeb‰uden zu untersuchen, und da zeigte sich zum grˆflten Erstaunen und Vergn¸gen des Architekten eine wenig bemerkte kleine Seitenkapelle von noch geistreichern und leichtern Maflen, von noch gef‰lligern und fleifligern Zierarten.

Sie enthielt zugleich manchen geschnitzten und gemalten Rest jenes ‰lteren Gottesdienstes, der mit mancherlei Gebild und Ger‰tschaft die verschiedenen Feste zu bezeichnen und jedes auf seine eigne Weise zu feiern wuflte.

Der Architekt konnte nicht unterlassen, die Kapelle sogleich in seinen Plan mit hereinzuziehen und besonders diesen engen Raum als ein Denkmal voriger Zeiten und ihres Geschmacks wiederherzustellen.

Er hatte sich die leeren Fl‰chen nach seiner Neigung schon verziert gedacht und freute sich, dabei sein malerisches Talent zu ¸ben; allein er machte seinen Hausgenossen f¸rs erste ein Geheimnis davon.

Vor allem andern zeigte er versprochenermaflen den Frauen die verschiedenen Nachbildungen und Entw¸rfe von alten Grabmonumenten, Gef‰flen und andern dahin sich n‰hernden Dingen, und als man im Gespr‰ch auf die einfachern Grabh¸gel, der nordischen Vˆlker zu reden kam, brachte er seine Sammlung von mancherlei Waffen und Ger‰tschaften, die darin gefunden worden, zur Ansicht.

Er hatte alles sehr reinlich und tragbar in Schubladen und F‰chern auf eingeschnittenen, mit Tuch ¸berzogenen Brettern, sodafl diese alten, ernsten Dinge durch seine Behandlung etwas Putzhaftes annahmen und man mit Vergn¸gen darauf wie auf die K‰stchen eines Modeh‰ndlers hinblickte.

Und da er einmal im Vorzeigen war, da die Einsamkeit eine Unterhaltung forderte, so pflegte er jeden Abend mit einem Teil seiner Sch‰tze hervorzutreten.

Sie waren meistenteils deutschen Ursprungs: Brakteaten, Dickm¸nzen, Siegel und was sonst sich noch anschlieflen mag.

Alle diese Dinge richteten die Einbildungskraft gegen die ‰ltere Zeit hin, und da er zuletzt mit den Anf‰ngen des Drucks, Holzschnitten und den ‰ltesten Kupfern seine Unterhaltung zierte und die Kirche t‰glich auch, jenem Sinne gem‰fl, an Farbe und sonstiger Auszierung gleichsam der Vergangenheit entgegenwuchs, so muflte man sich beinahe selbst fragen, ob man denn wirklich in der neueren Zeit lebe, ob es nicht ein Traum sei, dafl man nunmehr in ganz andern Sitten, Gewohnheiten, Lebensweisen und ¸berzeugungen verweile.

Auf solche Art vorbereitet, tat ein grˆfleres Portefeuille, das er zuletzt herbeibrachte, die beste Wirkung.

Es enthielt zwar meist nur umrissene Figuren, die aber, weil sie auf die Bilder selbst durchgezeichnet waren, ihren altert¸mlichen Charakter vollkommen erhalten hatten, und diesen, wie einnehmend fanden ihn die Beschauenden!

Aus allen Gestalten blickte nur das reinste Dasein hervor; alle muflte man, wo nicht f¸r edel, doch f¸r gut ansprechen.

Heitere Sammlung, willige Anerkennung eines Ehrw¸rdigen ¸ber uns, stille Hingebung in Liebe und Erwartung war auf allen Gesichtern, in allen Geb‰rden ausgedr¸ckt.

Der Greis mit dem kahlen Scheitel, der reichlockige Knabe, der muntere J¸ngling, der ernste Mann, der verkl‰rte Heilige, der schwebende Engel, alle schienen selig in einem unschuldigen Gen¸gen, in einem frommen Erwarten.

Das Gemeinste, was geschah, hatte einen Zug von himmlischem Leben, und eine gottesdienstliche Handlung schien ganz jeder Natur angemessen.

Nach einer solchen Region blicken wohl die meisten wie nach einem verschwundenen goldenen Zeitalter, nach einem verlorenen Paradiese hin.

Nur vielleicht Ottilie war in dem Fall, sich unter ihresgleichen zu f¸hlen.

Wer h‰tte nun widerstehen kˆnnen, als der Architekt sich erbot, nach dem Anlafl dieser Urbilder die R‰ume zwischen den Spitzbogen der Kapelle auszumalen und dadurch sein Andenken entschieden an einem Orte zu stiften, wo es ihm so gut gegangen war.

Er erkl‰rte sich hier¸ber mit einiger Wehmut; denn er konnte nach der Lage der Sache wohl einsehen, dafl sein Aufenthalt in so vollkommener Gesellschaft nicht immer dauern kˆnne, ja vielleicht bald abgebrochen werden m¸sse.

¸brigens waren diese Tage zwar nicht reich an Begebenheiten, doch voller Anl‰sse zu ernsthafter Unterhaltung.

Wir nehmen daher Gelegenheit, von demjenigen, was Ottilie sich daraus in ihren Heften angemerkt, einiges mitzuteilen, wozu wir keinen schicklichern ¸bergang finden als durch ein Gleichnis, das sich uns beim Betrachten ihrer liebensw¸rdigen Bl‰tter aufdringt.

Wir hˆren von einer besondern Einrichtung bei der englischen Marine.

S‰mtliche Tauwerke der kˆniglichen Flotte, vom st‰rksten bis zum schw‰chsten, sind dergestalt geht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulˆsen, und woran auch die kleinsten St¸cke kenntlich sind, dafl sie der Krone gehˆren.

Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anh‰nglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet. Dadurch werden diese Bemerkungen, Betrachtungen, ausgezogenen Sinnspr¸che und was sonst vorkommen mag, der Schreibenden ganz besonders eigen und f¸r sie von Bedeutung.

Selbst jede einzelne von uns ausgew‰hlte und mitgeteilte Stelle gibt davon das entschiedenste Zeugnis.

Neben denen dereinst zu ruhen, die man liebt, ist die angenehmste Vorstellung, welche der Mensch haben kann, wenn er einmal ¸ber das Leben hinausdenkt.

ëZu den Seinigen versammelt werdení ist ein so herzlicher Ausdruck.

Es gibt mancherlei Denkmale und Merkzeichen, die uns Entfernte und Abgeschidene n‰her bringen.

Keins ist von der Bedeutung des Bildes.

Die Unterhaltung mit einem geliebten Bilde, selbst wenn es un‰hnlich ist, hat was Reizendes, wie es manchmal etwas Reizendes hat, sich mit einem Freunde streiten.

Man f¸hlt auf eine angenehme Weise, dafl man zu zweien ist und doch nicht auseinander kann.

Man unterh‰lt sich manchmal mit einem gegenw‰rtigen Menschen als mit einem Bilde.

Er braucht nicht zu sprechen, uns nicht anzusehen, sich nicht mit uns zu besch‰ftigen; wir sehen ihn, wir f¸hlen unser Verh‰ltnis zu ihm, ja sogar unsere Verh‰ltnisse zu ihm kˆnnen wachsen, ohne dafl er etwas dazu tut, ohne dafl er etwas davon empfindet, dafl er sich eben blofl zu uns wie ein Bild verh‰lt.

Man ist niemals mit einem Portr‰t zufrieden von Personen, die man kennt.

Deswegen habe ich die Portr‰tmaler immer bedauert.

Man verlangt so selten von den Leuten das Unmˆgliche, und gerade von diesen fordert mans.

Sie sollen einem jeden sein Verh‰ltnis zu den Personen, seine Neigung und Abneigung mit in ihr Bild aufnehmen; sie sollen nicht blofl darstellen, wie sie einen Menschen fassen, sondern wie jeder ihn fassen w¸rde.

Es nimmt mich nicht wunder, wenn solche K¸nstler nach und nach verstockt, gleichg¸ltig und eigensinnig werden.

Daraus mˆchte denn entstehen, was wollte, wenn man nur nicht gerade dar¸ber die Abbildungen so mancher lieben und teuren Menschen entbehren m¸flte.

Es ist wohl wahr, die Sammlung des Architekten von Waffen und alten Ger‰tschaften, die nebst dem Kˆrper mit hohen Erdh¸geln und Felsenst¸cken zugedeckt waren, bezeugt uns, wie unn¸tz die Vorsorge des Menschen sei f¸r die Erhaltung seiner Persˆnlichkeit nach dem Tode.

Und so widersprechend sind wir!

Der Architekt gesteht, selbst solche Grabh¸gel der Vorfahren geˆffnet zu haben, und f‰hrt dennoch fort, sich mit Denkm‰lern f¸r die Nachkommen zu besch‰ftigen.

Warum soll man es aber so streng nehmen?

Ist denn alles, was wir tun, f¸r die Ewigkeit getan?

Ziehen wir uns nicht morgens an, um uns abends wieder auszuziehen?

Verreisen wir nicht, um wiederzukehren?

Und warum sollten wir nicht w¸nschen, neben den Unsrigen zu ruhen, und wenn es auch nur f¸r ein Jahrhundert w‰re?

Wenn man die vielen versunkenen, die durch Kirchg‰nger abgetretenen Grabsteine, die ¸ber ihren Grabm‰lern selbst zusammengest¸rzten Kirchen erblickt, so kann einem das Leben nach dem Tode doch immer wie ein zweites Leben vorkommen, in das man nun im Bilde, in der ¸berschrift eintritt und l‰nger darin verweilt als in dem eigentlichen lebendigen Leben.

Aber auch dieses Bild, dieses zweite Dasein verlischt fr¸her oder sp‰ter.

Wie ¸ber die Menschen, so auch ¸ber die Denkm‰ler l‰flt sich die Zeit ihr Recht nicht nehmen.

Es ist eine so angenehme Emfpindung, sich mit etwas zu besch‰ftigen, was man nur halb kann, dafl niemand den Dilettanten schelten sollte, wenn er sich mit einer Kunst abgibt, die er nie lernen wird, noch den K¸nstler tadeln d¸rfte, wenn er ¸ber die Grenze seiner Kunst hinaus in einem benachbarten Felde sich zu ergehen Lust hat.

Mit so billigen Gesinnungen betrachten wir die Anstalten des Architekten zum Ausmalen der Kapelle.

Die Farben waren bereitet, die Mafle genommen, die Kartone gezeichnet; allen Anspruch auf Erfindung hatte er aufgegeben; er hielt sich an seine Umrisse: nur die sitzenden und schwebenden Figuren geschickt auszuteilen, den Raum damit geschmackvoll auszuzieren, war seine Sorge.

Das Ger¸ste stand, die Arbeit ging vorw‰rts, und da schon einiges, was in die Augen fiel, erreicht war, konnte es ihm nicht zuwider sein, dafl Charlotte mit Ottilien ihn besuchte.

Die lebendigen Engelsgesichter, die lebhaften Gew‰nder auf dem blauen Himmelsgrunde erfreuten das Auge, indem ihr stilles frommes Wesen das Gem¸t zur Sammlung berief und eine sehr zarte Wirkung hervorbrachte.

Die Frauen waren zu ihm aufs Ger¸st gestiegen, und Ottilie bemerkte kaum, wie abgemessen leicht und bequem das alles zuging, als sich in ihr das durch fr¸hern Unterricht Empfangene mit einmal zu entwickeln schien, sie nach Farbe und Pinsel griff und auf erhaltene Anweisung ein faltenreiches Gewand mit soviel Reinlichkeit als Geschicklichkeit anlegte.

Charlotte, welche gern sah, wenn Ottilie sich auf irgendeine Weise besch‰ftigte und zerstreute, liefl die beiden gew‰hren und ging, um ihren eigenen Gedanken nachzuh‰ngen, um ihre Betrachtungen und Sorgen, die sie niemanden mitteilen konnte, f¸r sich durchzuarbeiten. Wenn gewˆhnliche Menschen, durch gemeine Verlegenheiten des Tags zu einem leidenschaftlich ‰ngstlichen Betragen aufgeregt, uns ein mitleidiges L‰cheln abnˆtigen, so betrachten wir dagegen mit Ehrfurcht ein Gem¸t, in welchem die Saat eines groflen Schicksals ausges‰et worden, das die Entwicklung dieser Empf‰ngnis abwarten mufl und weder das Gute noch das Bˆse, weder das Gl¸ckliche noch das Ungl¸ckliche, was daraus entspringen soll, beschleunigen darf und kann.

Eduard hatte durch Charlottens Boten, den sie ihm in seine Einsamkeit gesendet, freundlich und teilnehmend, aber doch eher gefaflt und ernst als zutraulich und liebevoll, geantwortet.

Kurz darauf war Eduard verschwunden, und seine Gattin konnte zu keiner Nachricht von ihm gelangen, bis sie endlich von ungef‰hr seinen Namen in den Zeitungen fand, wo er unter denen, die sich bei einer bedeutenden Kriegsgelegenheit hervorgetan hatten, mit Auszeichnung genannt war.

Sie wuflte nun, welchen Weg er genommen hatte, sie erfuhr, dafl er groflen Gefahren entronnen war; allein sie ¸berzeugte sich sogleich, dafl er grˆflere aufsuchen w¸rde, und sie konnte sich daraus nur allzusehr deuten, dafl er in jedem Sinne schwerlich vom ‰uflersten w¸rde zur¸ckzuhalten sein.

Sie trug diese Sorgen f¸r sich allein immer in Gedanken und mochte sie hin und wider legen, wie sie wollte, so konnte sie doch bei keiner Ansicht Beruhigung finden.

Ottilie, von alledem nichts ahnend, hatte indessen zu jener Arbeit die grˆflte Neigung gefaflt und von Charlotten gar leicht die Erlaubnis erhalten, regelm‰flig darin fortfahren zu d¸rfen.

Nun ging es rasch weiter, und der azurne Himmel war bald mit w¸rdigen Bewohnern bevˆlkert.

Durch eine anhaltende ¸bung gewannen Ottilie und der Architekt bei den letzten Bildern mehr Freiheit; sie wurden zusehends besser.

Auch die Gesichter, welche dem Architekten zu malen allein ¸berlassen war, zeigten nach und nach eine ganz besondere Eigenschaft; sie fingen s‰mtlich an, Ottilien zu gleichen.

Die N‰he des schˆnen Kindes muflte wohl in die Seele des jungen Mannes, der noch keine nat¸rliche oder k¸nstlerische Physiognomie vorgefaflt hatte, einen so lebhaften Eindruck machen, dafl ihm nach und nach auf dem Wege vom Auge zur Hand nichts verlorenging, ja dafl beide zuletzt ganz gleichstimmig arbeiteten.

Genug, eins der letzten Gesichtchen gl¸ckte vollkommen, so dafl es schien, als wenn Ottilie selbst aus den himmlischen R‰umen herunters‰he.

An dem Gewˆlbe war man fertig; die W‰nde hatte man sich vorgenommen einfach zu lassen und nur mit einer hellern br‰unlichen Farbe zu ¸berziehen; die zarten S‰ulen und k¸nstlichen bildhauerischen Zieraten sollten sich durch eine dunklere auszeichnen.

Aber wie in solchen Dingen immer eins zum andern f¸hrt, so wurden noch Blumen und Fruchtgeh‰nge beschlossen, welche Himmel und Erde gleichsam zusammenkn¸pfen sollten.

Hier war nun Ottilie ganz in ihrem Felde.

Die G‰rten lieferten die schˆnsten Muster, und obschon die Kr‰nze sehr reich ausgestattet wurden, so kam man doch fr¸her, als man gedacht hatte, damit zustande.

Noch sah aber alles w¸ste und roh aus.

Die Ger¸ste waren durcheinander geschoben, die Bretter ¸bereinander geworfen, der ungleiche Fuflboden durch mancherlei vergossene Farben noch mehr verunstaltet.

Der Architekt erbat sich nunmehr, dafl die Frauenzimmer ihm acht Tage Zeit lassen und bis dahin die Kapelle nicht betreten mˆchten.

Endlich ersuchte er sie an einem schˆnen Abende, sich beiderseits dahin zu verf¸gen; doch w¸nschte er, sie nicht begleiten zu d¸rfen, und empfahl sich sogleich.

“Was er uns auch f¸r eine ¸berraschung zugedacht haben mag”, sagte Charlotte, als er weggegangen war, “so habe ich doch gegenw‰rtig keine Lust hinunterzugehen.

Du nimmst es wohl allein ¸ber dich und gibst mir Nachricht.

Gewifl hat er etwas Angenehmes zustande gebracht.

Ich werde es erst in deiner Beschreibung und dann gern in der Wirklichkeit genieflen”.

Ottilie, die wohl wuflte, dafl Charlotte sich in manchen St¸cken in acht nahm, alle Gem¸tsbewegungen vermied und besonders nicht ¸berrascht sein wollte, begab sich sogleich allein auf den Weg und sah sich unwillk¸rlich nach dem Architekten um, der aber nirgends erschien und sich mochte verborgen haben.

Sie trat in die Kirche, die sie offen fand.

Diese war schon fr¸her fertig, gereinigt und eingeweiht.

Sie trat zur T¸re der Kapelle, deren schwere, mit Erz beschlagene Last sich leicht vor ihr auftat und sie in einem bekannten Raume mit einem unerwarteten Anblick ¸berraschte.

Durch das einzige hohe Fenster fiel ein ernstes, buntes Licht herein; denn es war von farbigen Gl‰sern anmutig zusammengesetzt.

Das Ganze erhielt dadurch einen fremden Ton und bereitete zu einer eigenen Stimmung.

Die Schˆnheit des Gewˆlbes und der W‰nde ward durch die Zierde des Fuflbodens erhˆht, der aus besonders geformten, nach einem schˆnen Muster gelegten, durch eine gegossene Gipsfl‰che verbundenen Ziegelsteinen bestand.

Diese sowohl als die farbigen Scheiben hatte der Architekt heimlich bereiten lassen und konnte nun in kurzer Zeit alles zusammenf¸gen. Auch f¸r Ruhepl‰tze war gesorgt.

Es hatten sich unter jenen kirchlichen Altert¸mern einige schˆn geschnitzte Chorst¸hle vorgefunden, die nun gar schicklich an den W‰nden angebracht umherstanden.

Ottilie freute sich der bekannten, ihr als ein unbekanntes Ganze entgegentretenden Teile.

Sie stand, ging hin und wider, sah und besah; endlich setzte sie sich auf einen der St¸hle, und es schien ihr, indem sie auf–und umherblickte, als wenn sie w‰re und nicht w‰re, als wenn sie sich empf‰nde und nicht empf‰nde, als wenn dies alles vor ihr, sie vor sich selbst verschwinden sollte; und nur als die Sonne das bisher sehr lebhaft beschienene Fenster verliefl, erwachte Ottilie vor sich selbst und eilte nach dem Schlosse.

Sie verbarg sich nicht, in welche sonderbare Epoche diese ¸berraschung gefallen sei.

Es war der Abend vor Eduards Geburtstage.

Diesen hatte sie freilich ganz anders zu feiern gehofft.

Wie sollte nicht alles zu diesem Feste geschm¸ckt sein!

Aber nunmehr stand der ganze herbstliche Blumenreichtum ungepfl¸ckt.

Diese Sonnenblumen wendeten noch immer ihr Angesicht gen Himmel, diese Astern sahen noch immer still bescheiden vor sich hin, und was allenfalls davon zu Kr‰nzen gebunden war, hatte zum Muster gedient, einen Ort auszuschm¸cken, der, wenn er nicht blofl eine K¸nstlergrille bleiben, wenn er zu irgend etwas genutzt werden sollte, nur zu einer gemeinsamen Grabst‰tte geeignet schien.

Sie muflte sich dabei der ger‰uschvollen Gesch‰ftigkeit erinnern, mit welcher Eduard ihr Geburtsfest gefeiert; sie muflte des neugerichteten Hauses gedenken, unter dessen Decke man sich soviel Freundliches versprach.

Ja das Feuerwerk rauschte ihr wieder vor Augen und Ohren, je einsamer sie war, desto mehr vor der Einbildungskraft; aber sie f¸hlte sich auch nur um desto mehr allein.

Sie lehnte sich nicht mehr auf seinen Arm und hatte keine Hoffnung, an ihm jemals wieder eine St¸tze zu finden.

Eine Bemerkung des jungen K¸nstlers mufl ich aufzeichnen: “wie am Handwerker so am bildenden K¸nstler kann man auf das deutlichste gewahr werden, dafl der Mensch sich am wenigsten zuzueignen vermag, was ihm ganz eigens angehˆrt.

Seine Werke verlassen ihn so wie die Vˆgel das Nest, worin sie ausgebr¸tet worden”.

Der Bauk¸nstler vor allen hat hierin das wunderlichste Schicksal.

Wie oft wendet er seinen ganzen Geist, seine ganze Neigung auf, um R‰ume hervorzubringen, von denen er sich selbst ausschlieflen mufl! Die kˆniglichen S‰le sind ihm ihre Pracht schuldig, deren grˆflte Wirkung er nicht mitgenieflt.

In den Tempeln zieht er eine Grenze zwischen sich und dem Allerheiligsten; er darf die Stufen nicht mehr betreten, die er zur hrzerhebenden Feierlichkeit gr¸ndete, so wie der Goldschmied die Monstranz nur von fern anbetet, deren Schmelz und Edelsteine er zusammengeordnet hat.

Dem Reichen ¸bergibt der Baumeister mit dem Schl¸ssel des Palastes alle Bequemlichkeit und Beh‰bigkeit, ohne irgend etwas davon mitzugenieflen.

Mufl sich nicht allgemach auf diese Weise die Kunst von dem K¸nstler entfernen, wenn das Werk wie ein ausgestattetes Kind nicht mehr auf den Vater zur¸ckwirkt?

Und wie sehr muflte die Kunst sich selbst befˆrdern, als sie fast allein mit dem ˆffentlichen, mit dem, was allen und also auch dem K¸nstler gehˆrte, sich zu besch‰ftigen bestimmt war!

Eine Vorstellung der alten Vˆlker ist ernst und kann furchtbar scheinen.

Sie dachten sich ihre Vorfahren in groflen Hˆhlen ringsumher auf Thronen sitzend in stummer Unterhaltung.

Dem Neuen, der hereintrat, wenn er w¸rdig genug war, standen sie auf und neigten ihm einen Willkommen.

Gestern, als ich in der Kapelle safl und meinem geschnitzten Stuhle gegen¸ber noch mehrere umhergestellt sah, erschien mir jener Gedanke gar freundlich und anmutig.

“Warum kannst du nicht sitzenbleiben?” dachte ich bei mir selbst, “still und in dich gekehrt sitzenbleiben, lange, lange, bis endlich die Freunde k‰men, denen du aufst¸ndest und ihren Platz mit freundlichem Neigen anwiesest”.

Die farbigen Scheiben machen den Tag zur ernsten D‰mmerung, und jemand m¸flte eine ewige Lampe stiften, damit auch die Nacht nicht ganz finster bliebe.

Man mag sich stellen, wie man will, und man denkt sich immer sehend.

Ich glaube, der Mensch tr‰umt nur, damit er nicht aufhˆre zu sehen.

Es kˆnnte wohl sein, dafl das innere Licht einmal aus uns heraustr‰te, sodafl wir keines andern mehr bed¸rften.

Das Jahr klingt ab.

Der Wind geht ¸ber die Stoppeln und findet nichts mehr zu bewegen; nur die roten Beeren jener schlanken B‰ume scheinen uns noch an etwas Munteres erinnern zu wollen, so wie uns der Taktschlag des Dreschers den Gedanken erweckt, dafl in der abgesichelten ‰hre soviel N‰hrendes und Lebendiges verborgen liegt.

Wie seltsam muflte solchen Ereignissen, nach diesem aufgedrungenen Gef¸hl von Verg‰nglichkeit und Hinschwinden Ottilie durch die Nachricht getroffen werden, die ihr nicht l‰nger verborgen bleiben konnte, dafl Eduard sich dem wechselnden Kriegsgl¸ck ¸berliefert habe.

Es entging ihr leider keine von den Betrachtungen, die sie dabei zu machen Ursache hatte.

Gl¸cklicherweise kann der Mensch nur einen gewissen Grad des Ungl¸cks fassen; was dar¸ber hinausgeht, vernichtet ihn oder l‰flt ihn gleichg¸ltig.

Es gibt Lagen, in denen Furcht und Hoffnung eins werden, sich einander wechselseitig aufheben und in eine dunkle F¸hllosigkeit verlieren.

Wie kˆnnten wir sonst die entfernten Geliebtesten in st¸ndlicher Gefahr wissen und dennoch unser t‰gliches, gewˆhnliches Leben immer so forttreiben.

Es war daher, als wenn ein guter Geist f¸r Ottilien gesorgt h‰tte, indem er auf einmal in diese Stille, in der sie einsam und unbesch‰ftigt zu versinken schien, ein wildes Heer hereinbrachte, das, indem es ihr von auflen genug zu schaffen gab und sie aus sich selbst f¸hrte, zugleich in ihr das Gef¸hl eigener Kraft anregte.

Charlottens Tochter, Luciane, war kaum aus der Pension in die grofle Welt getreten, hatte kaum in dem Hause ihrer Tante sich von zahlreicher Gesellschaft umgeben gesehen, als ihr Gefallenwollen wirklich Gefallen erregte und ein junger, sehr reicher Mann gar bald eine heftige Neigung empfand, sie zu besitzen.

Sein ansehnliches Vermˆgen gab ihm ein Recht, das Beste jeder Art sein eigen zu nennen, und es schien ihm nichts weiter abzugehen als eine vollkommene Frau, um die ihn die Welt so wie um das ¸brige zu beneiden h‰tte.

Diese Familienangelegenheit war es, welche Charlotten bisher sehr viel zu tun gab, der sie ihre ganze ¸berlegung, ihre Korrespondenz widmete, insofern diese nicht darauf gerichtet war, von Eduard n‰here Nachricht zu erhalten; deswegen auch Ottilie mehr als sonst in der letzten Zeit allein blieb.

Diese wuflte zwar um die Ankunft Lucianens; im Hause hatte sie deshalb die nˆtigsten Vorkehrungen getroffen; allein so nahe stellte man sich den Besuch nicht vor.

Man wollte vorher noch schreiben, abreden, n‰her bestimmen, als der Sturm auf einmal ¸ber das Schlofl und Ottilien hereinbrach.

Angefahren kamen nun Kammerjungfern und Bediente, Brancards mit Koffern und Kisten; man glaubte schon eine doppelte und dreifache Herrschaft im Hause zu haben; aber nun erschienen erst die G‰ste selbst: die Grofltante mit Lucianen und einigen Freundinnen, der Br‰utigam gleichfalls nicht unbegleitet.

Da lag das Vorhaus voll Vachen, Mantels‰cke und anderer lederner Geh‰use.

Mit M¸he sonderte man die vielen K‰stchen und Futterale auseinander.

Des Gep‰ckes und Geschleppes war kein Ende.

Dazwischen regnete es mit Gewalt, woraus manche Unbequemlichkeit entstand.

Diesem ungest¸men Treiben begegnete Ottilie mit gleichm¸tiger T‰tigkeit, ja ihr heiteres Geschick erschien im schˆnsten Glanze; denn sie hatte in kurzer Zeit alles untergebracht und angeordnet.

Jedermann war logiert, jedermann nach seiner Art bequem, und glaubte gut bedient zu sein, weil er nicht gehindert war, sich selbst zu bedienen.

Nun h‰tten alle gern, nach einer hˆchst beschwerlichen Reise, einige Ruhe genossen; der Br‰utigam h‰tte sich seiner Schwiegermutter gern gen‰hert, um ihr seine Liebe, seinen guten Willen zu beteuern; aber Luciane konnte nicht rasten.

Sie war nun einmal zu dem Gl¸cke gelangt, ein Pferd besteigen zu d¸rfen.

Der Br‰utigam hatte schˆne Pferde, und sogleich muflte man aufsitzen.

Wetter und Wind, Regen und Sturm kamen nicht in Anschlag; es war, als wenn man nur lebte, um nafl zu werden und sich wieder zu trocknen.

Fiel es ihr ein, zu Fufle auszugehen, so fragte sie nicht, was f¸r Kleider sie anhatte und wie sie beschuht war: sie muflte die Anlagen besichtigen, von denen sie vieles gehˆrt hatte.

Was nicht zu Pferde geschehen konnte, wurde zu Fufl durchrannt.

Bald hatte sie alles gesehen und abgeurteilt.

Bei der Schnelligkeit ihres Wesens war ihr nicht leicht zu widersprechen.

Die Gesellschaft hatte manches zu leiden, am meisten aber die Kammerm‰dchen, die mit Waschen und B¸geln, Auftrennen und Ann‰hen nicht fertig werden konnten.

Kaum hatte sie das Haus und die Gegend erschˆpft, als sie sich verpflichtet f¸hlte, rings in der Nachbarschaft Besuch abzulegen.

Weil man sehr schnell ritt und fuhr, so reichte die Nachbarschaft ziemlich fern umher.

Das Schlofl ward mit Gegenbesuchen ¸berschwemmt, und damit man sich ja nicht verfehlen mˆchte, wurden bald bestimmte Tage angesetzt. Indessen Charlotte mit der Tante und dem Gesch‰ftstr‰ger des Br‰utigams die innern Verh‰ltnisse festzustellen bem¸ht war und Ottilie mit ihren Untergebenen daf¸r zu sorgen wuflte, dafl es an nichts bei so groflem Zugang fehlen mˆchte, da denn J‰ger und G‰rtner, Fischer und Kr‰mer in Bewegung gesetzt wurden, zeigte sich Luciane immer wie ein brennender Kometenkern, der einen langen Schweif nach sich zieht.

Die gewˆhnlichen Besuchsunterhaltungen d¸nkten ihr bald ganz unschmackhaft.

Kaum dafl sie den ‰ltesten Personen eine Ruhe am Spieltisch gˆnnte: wer noch einigermaflen beweglich war–und wer liefl sich nicht durch ihre reizenden Zudringlichkeiten in Bewegung setzen?

-, Muflte herbei, wo nicht zum Tanze, doch zum lebhaften Pfand-, Straf–und Vexierspiel.

Und obgleich das alles, so wie hernach die Pf‰nderlˆsung, auf sie selbst berechnet war, so ging doch von der andern Seite niemand, besonders kein Mann, er mochte von einer Art sein, von welcher er wollte, ganz leer aus; ja es gl¸ckte ihr, einige ‰ltere Personen von Bedeutung ganz f¸r sich zu gewinnen, indem sie ihre eben einfallenden Geburts–und Namenstage ausgeforscht hatte und besonders feierte.

Dabei kam ihr ein ganz eignes Geschick zustatten, sodafl, indem alle sich beg¸nstigt sahen, jeder sich f¸r den am meisten Beg¸nstigten hielt: eine Schwachheit, deren sich sogar der ‰lteste in der Gesellschaft am allermerklichsten schuldig machte.

Schien es bei ihr Plan zu sein, M‰nner, die etwas vorstellten, Rang, Ansehen, Ruhm oder sonst etwas Bedeutendes f¸r sich hatten, f¸r sich zu gewinnen, Weisheit und Besonnenheit zuschanden zu machen und ihrem wilden, wunderlichen Wesen selbst bei der Bed‰chtlichkeit Gust zu erwerben, so kam die Jugend doch dabei nicht zu kurz; jeder hatte sein Teil, seinen Tag, seine Stunde, in der sie ihn zu entz¸cken und zu fesseln wuflte.

So hatte sie den Architekten schon bald ins Auge gefaflt, der jedoch aus seinem schwarzen, langlockigen Haar so unbefangen heraussah, so gerad und ruhig in der Entfernung stand, auf alle Fragen kurz und verst‰ndig antwortete, sich aber auf nichts weiter einzulassen geneigt schien, dafl sie sich endlich einmal, halb unwillig halb listig, entschlofl, ihn zum Helden des Tages zu machen und dadurch auch f¸r ihren Hof zu gewinnen.

Nicht umsonst hatte sie so vieles Gep‰ck mitgebracht, ja es war ihr noch manches gefolgt.

Sie hatte sich auf eine unendliche Abwechselung in Kleidern vorgesehen.

Wenn es ihr Vergn¸gen machte, sich des Tages drei-, viermal umzuziehen und mit gewˆhnlichen, in der Gesellschaft ¸blichen Kleidern vom Morgen bis in die Nacht zu wechseln, so erschien sie dazwischen wohl auch einmal im wirklichen Maskenkleid, als B‰uerin und Fischerin, als Fee und Blumenm‰dchen.

Sie verschm‰hte nicht, sich als alte Frau zu verkleiden, um desto frischer ihr junges Gesicht aus der Kutte hervorzuzeigen; und wirklich verwirrte sie dadurch das Gegenw‰rtige und das Eingebildete dergestalt, dafl man sich mit der Saalnixe verwandt und verschw‰gert zu sein glaubte.

Wozu sie aber diese Verkleidungen haupts‰chlich benutzte, waren pantomimische Stellungen und T‰nze, in denen sie verschiedene Charaktere auszudr¸cken gewandt war.

Ein Kavalier aus ihrem Gefolge hatte sich eingerichtet, auf dem Fl¸gel ihre Geb‰rden mit der wenigen nˆtigen Musik zu begleiten; es bedurfte nur einer kurzen Abrede, und sie waren sogleich in Einstimmung.

Eines Tages, als man sie bei der Pause eines lebhaften Balls auf ihren eigenen heimlichen Antrieb gleichsam aus dem Stegereife zu einer solchen Darstellung aufgefordert hatte, schien sie verlegen und ¸berrascht und liefl sich wider ihre Gewohnheit lange bitten.

Sie zeigte sich unentschlossen, liefl die Wahl, bat wie ein Imporvisator um einen Gegenstand, bis endlich jener Klavier spielende Geh¸lfe, mit dem es abgeredet sein mochte, sich an den Fl¸gel setzte, einen Trauermarsch zu spielen anfing und sie aufforderte, jene Artemisia zu geben, welche sie so vortrefflich einstudiert habe.

Sie liefl sich erbitten, und nach einer kurzen Abwesenheit erschien sie, bei den z‰rtlich traurigen Tˆnen des Totenmarsches, in Gestalt der kˆniglichen Witwe, mit gemessenem Schritt, einen Aschenkrug vor sich hertragend.

Hinter ihr brachte man eine grofle schwarze Tafel und in einer goldenen Reiflfeder ein wohlzugeschnitztes St¸ck Kreide.

Einer ihrer Verehrer und Adjutanten, dem sie etwas ins Ohr sagte, ging sogleich den Architekten aufzufordern, zu nˆtigen und gewissermaflen herbeizuschieben, dafl er als Baumeister das Grab des mausolus zeichnen und also keineswegs einen Statisten, sondern einen ernstlich Mitspielenden vorstellen sollte.

Wie verlegen der Architekt auch ‰uflerlich erschien–denn er machte in seiner ganz schwarzen, knappen, modernen Zivilgestalt einen wunderlichen Kontrast mit jenen Flˆren, Kreppen, Fransen, Schmelzen, Quasten und Kronen -, so faflte er sich doch gleich innerlich, allein um so wunderlicher war es anzusehen.

Mit dem grˆflten Ernst stellte er sich vor die grofle Tafel, die von ein paar Pagen gehalten wurde, und zeichnete mit viel Bedacht und Genauigkeit ein Grabmal, das zwar eher einem longobardischen als einem karischen Kˆnig w‰re gem‰fl gewesen, aber doch in so schˆnen Verh‰ltnissen, so ernst in seinen Teilen, so geistreich in seinen Zieraten, dafl man es mit Vergn¸gen entstehen sah und, als es fertig war, bewunderte.

Er hatte sich in diesem ganzen Zeitraum fast nicht gegen die Kˆnigin gewendet, sondern seinem Gesch‰ft alle Aufmerksamkeit gewidmet.

Endlich, als er sich vor ihr neigte und andeutete, dafl er nun ihre Befehle vollzogen zu haben glaube, hielt sie ihm noch die Urne hin und bezeichnete das Verlangen, diese oben auf dem Gipfel abgebildet zu sehen.

Er tat es, obgleich ungern, weil sie zu dem Charakter seines ¸brigen Entwurfs nicht passen wollte.

Was Lucianen betraf, so war sie endlich von ihrer Ungeduld erlˆst; denn ihre Absicht war keineswegs, eine gewissenhafte Zeichnung von ihm zu haben.

H‰tte er mit wenigen Strichen nur hinskizziert, was etwa einem Monument ‰hnlich gesehen, und sich die ¸brige Zeit mit ihr abgegeben, so w‰re das wohl dem Endzweck und ihren W¸nschen gem‰fler gewesen.

Bei seinem Benehmen dagegen kam sie in die grˆflte Verlegenheit; denn ob sie gleich in ihrem Schmerz, ihren Anordnungen und Andeutungen, ihrem Beifall ¸ber das nach und nach Entstehende ziemlich abzuwechseln suchte und sie ihn einigemal beinahe herumzerrte, um nur mit ihm in eine Art von Verh‰ltnis zu kommen, so erwies er sich doch gar zu steif, dergestalt dafl sie allzuoft ihre Zuflucht zur Urne nehmen, sie an ihr Herz dr¸cken und zum Himmel schauen muflte, ja zuletzt, weil sich doch dergleichen Situationen immer steigern, mehr einer Witwe von Ephesus als einer Kˆnigin von Karien ‰hnlich sah.

Die Vorstellung zog sich daher in die Lage; der Klavierspieler, der sonst Geduld genug hatte, wuflte nicht mehr, in welchen Ton er ausweichen sollte.

Er dankte Gott, als er die Urne auf der Pyramide stehn sah, und fiel unwillk¸rlich, als die Kˆnigin ihren Dank ausdr¸cken wollte, in ein lustiges Thema, wodurch die Vorstellung zwar ihren Charakter verlor, die Gesellschaft jedoch vˆllig aufgeheitert wurde, die sich denn solgeich teilte, der Dame f¸r ihren vortrefflichen Ausdruck und dem Architekten f¸r seine k¸nstliche und zierliche Zeichnung eine freudige Bewunderung zu beweisen.

Besonders der Br‰utigam unterhielt sich mit dem Achritekten.

“Es tut mir leid”, sagte jener, “dafl die Zeichnung so verg‰nglich ist.

Sie erlauben wenigstens, dafl ich sie mir auf mein Zimmer bringen lasse und mich mit Ihnen dar¸ber unterhalte”.

-“Wenn es Ihnen Vergn¸gen macht”, sagte der Architekt, “so kann ich Ihnen sorgf‰ltige Zeichnungen von dergleichen Geb‰uden und Monumenten vorlegen, wovon dieses nur ein zuf‰lliger, fl¸chtiger Entwurf ist”.

Ottilie stand nicht fern und trat zu den beiden.

“Vers‰umen Sie nicht”,sagte sie zum Architekten, “den Herrn Baron gelegentlich Ihre Sammlung sehen zu lassen; er ist ein Freund der Kunst und des Altertums; ich w¸nsche, dafl Sie sich n‰her kennenlernen”.

Luciane kam herbeigefahren und fragte: “wovon ist die Rede?” “Von einer Sammlung Kunstwerke”, antwortete der Baron, “welche dieser Herr besitzt und die er uns gelegentlich zeigen will”.

“Er mag sie nur gleich bringen!” rief Luciane.

“Nicht wahr, Sie bringen sie gleich?” setzte sie schmeichelnd hinzu, indem sie ihn mit beiden H‰nden freundlich anfaflte.

“Es mˆchte jetzt der Zeitpunkt nicht sein”, versetzte der Architekt.

“Was!” rief Luciane gebieterisch, “Sie wollen dem Befehl Ihrer Kˆnigin nicht gehorchen?” Dann legte sie sich auf ein neckisches Bitten.

“Sein Sie nicht eigensinnig!” sagte Ottilie halb leise.

Der Architekt entfernte sich mit einer Beugung; sie war weder bejahend noch verneinend.

Kaum war er fort, als Luciane sich mit einem Windspiel im Saale herumjagte.

“Ach!” rief sie aus, indem sie zuf‰llig an ihre Mutter stiefl, “wie bin ich nicht ungl¸cklich!

Ich habe meinen Affen nicht mitgenommen; man hat es mir abgeraten; es ist aber nur die Bequemlichkeit meiner Leute, die mich um dieses Vergn¸gen bringt.

Ich will ihn aber nachkommen lassen, es soll mir jemand hin, ihn zu holen.

Wenn ich nur sein Bildnis sehen kˆnnte, so w‰re ich schon vergn¸gt.

Ich will ihn aber gewifl auch malen lassen, und er soll mir nicht von der Seite kommen”.

“Vielleicht kann ich dich trˆsten”, versetzte Charlotte, “wenn ich dir aus der Bibliothek einen ganzen Band der wunderlichsten Affenbilder kommen lasse”.

Luciane schrie vor Freuden laut auf, und der Folioband wurde gebracht.

Der Anblick dieser menschen‰hnlichen und durch den K¸nstler noch mehr vermenschlichten abscheulichen Geschˆpfe machte Lucianen die grˆflte Freude.

Ganz gl¸cklich aber f¸hlte sie sich, bei einem jeden dieser Tiere die ‰hnlichkeit mit bekannten Menschen zu finden.

“Sieht der nicht aus wie die Onkel?” rief sie unbarmherzig, “der wie der Galanterieh‰ndler M-, der wie der Pfarrer S-, und dieser ist der Dings -, der–leibhaftig.

Im Grunde sind doch die Affen die eigentlichen Incroyables, und es ist unbegreiflich, wie man sie aus der besten Gesellschaft ausschlieflen mag”.

Sie sagte das in der besten Gesellschaft, doch niemand nahm es ihr ¸bel.

Man war so gewohnt, ihrer Anmut vieles zu erlauben, dafl man zuletzt ihrer Unart alles erlaubte.

Ottilie unterhielt sich indessen mit dem Br‰utigam.

Sie hoffte auf die R¸ckkunft des Architekten, dessen ernstere, geschmackvollere Sammlungen die Gesellschaft von diesem Affenwesen befreien sollten.

In dieser Erwartung hatte sie sich mit dem Baron besprochen und ihn auf manches aufmerksam gemacht.

Allein der Architekt blieb aus, und als er endlich wiederkam, verlor er sich unter der Gesellschaft, ohne etwas mitzubringen und ohne zu tun, als ob von etwas die Frage gewesen w‰re.

Ottilie ward einen Augenblick–wie soll mans nennen?–Verdriefllich, ungehalten, betroffen; sie hatte ein gutes Wort an ihn gewendet, sie gˆnnte dem Br‰utigam eine vergn¸gte Stunde nach seinem Sinne, der bei seiner unendlichen Liebe f¸r Lucianen doch von ihrem Betragen zu leiden schien.

Die Affen muflten einer Kollation Platz machen.

Gesellige Spiele, ja sogar noch T‰nze, zuletzt ein freudeloses Herumsitzen und Wiederaufjagen einer schon gesunkenen Lust dauerten diesmal, wie sonst auch, weit ¸ber Mitternacht.

Denn schon hatte sich Luciane gewˆhnt, morgens nicht aus dem Bette und abends nicht ins Bette gelangen zu kˆnnen.

Um diese Zeit finden sich in Ottiliens Tagebuch Ereignisse seltner angemerkt, dagegen h‰ufiger auf das Leben bez¸gliche und vom Leben abgezogene Maximen und Sentenzen.

Weil aber die meisten derselben wohl nicht durch ihre eigene Reflexion entstanden sein kˆnnen, so ist es wahrscheinlich, dafl man ihr irgendeinen Heft mitgeteilt, aus dem sie sich, was ihr gem¸tlich war, ausgeschrieben.

Manches Eigene von innigererem Bezug wird an dem roten Faden wohl zu erkennen sein.

Wir blicken so gern in die Zukunft, weil wir das Ungef‰hre, was sich in ihr hin und her bewegt, durch stille W¸nsche so gern zu unsern Gunsten heranleiten mˆchten.

Wir befinden uns nicht leicht in grofler Gesellschaft, ohne zu denken, der Zufall, der so viele zusammenbringt, solle uns auch unsre Freunde herbeif¸hren.

Man mag noch so eingezogen leben, so wird man, ehe man sichs versieht, ein Schuldner oder ein Gl‰ubiger.

Begegnet uns jemand, der uns Dank schuldig ist, gleich f‰llt es uns ein.

Wie oft kˆnnen wir jemand begegnen, dem wir Dank schuldig sind, ohne daran zu denken!

Sich mitzuteilen ist Natur; mitgeteiltes aufzunehmen, wie es gegeben wird, ist Bildung.

Niemand w¸rde viel in Gesellschaften sprechen, wenn er sich bewuflt w‰re, wie oft er die andern miflversteht.

Man ver‰ndert fremde Reden beim Wiederholen wohl nur darum so sehr, weil man sie nicht verstanden hat.

Wer vor andern lange allein spricht, ohne den Zuhˆrern zu schmeicheln, erregt Widerwillen.

Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn.

Widerspruch und Scheichelei machen beide ein schlechtes Gespr‰ch.

Die angenehmsten Gesellschaften sind die, in welchen eine heitere Ehrerbietung der Glieder gegeneinander obwaltet.

Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie l‰cherlich finden.

Das L‰cherliche entspringt aus einem sittlichen Kontrast, der auf eine unsch‰dliche Weise f¸r die Sinne in Verbindung gebracht wird. Der sinnliche Mensch lacht oft, wo nichts zu lachen ist.

Was ihn auch anregt, sein inneres Behagen kommt zum Vorschein.

Der Verst‰ndige findet fast alles l‰cherlich, der Vern¸nftige fast nichts.

Einem bejahrten Manne verdachte man, dafl er sich noch um junge Frauenzimmer bem¸hte.

“Es ist das einzige Mittel”, versetzte er, “sich zu verj¸ngen, und das will doch jedermann”.

Man l‰flt sich seine M‰ngel vorhalten, man l‰flt sich strafen, man leidet manches um ihrer willen mit Geduld; aber ungeduldig wird man, wenn man sie ablegen soll.

Gewisse M‰ngel sind notwendig zum Dasein des einzelnen.

Es w¸rde uns unangenehm sein, wenn alte Freunde gewisse Eigenheiten ablegten.

Man sagt: “es stirbt bald”, wenn einer etwas gern seine Art und Weise tut.

Was f¸r M‰ngel d¸rfen wir behalten, ja an uns kultivieren? Solche, die den andern eher schmeicheln als sie verletzen.

Die Leidenschaften sind M‰ngel oder Tugenden, nur gesteigerte.

Unsre Leidenschaften sind wahre Phˆnixe.

Wie der alte verbrennt, steigt der neue sogleich wieder aus der Asche hervor.

Grofle Leidenschaften sind Krankheiten ohne Hoffnung.

Was sie heilen kˆnnte, macht sie erst recht gef‰hrlich.

Die Leidenschaft erhˆht und mildert sich durchs Bekennen.

In nichts w‰re die Mittelstrafle vielleicht w¸nschenswerter als im Vertrauen und Verschweigen gegen die, die wir lieben.

So peitschte Luciane den Lebensrausch im geselligen Strudel immer vor sich her.

Ihr Hofstaat vermehrte sich t‰glich, teils weil ihr Treiben so manchen erregte und anzog, teils weil sie sich andre durch Gef‰lligkeit und Wohltun zu verbinden wuflte.

Mittteilend war sie im hˆchsten Grade; denn da ihr durch die Neigung der Tante und des Br‰utigams soviel Schˆnes und Kˆstliches auf einmal zugeflossen war, so schien sie nichts Eigenes zu besitzen und den Wert der Dinge nicht zu kennen, die sich um sie geh‰uft hatten.

So zauderte sie nicht einen Augenblick, einen kostbaren Schal abzunehmen und ihn einem Frauenzimmer umzuh‰ngen, das ihr gegen die ¸brigen zu ‰rmlich gekleidet schien, und sie tat das auf eine so neckische, geschickte Weise, dafl niemand eine solche Gabe ablehnen konnte.

Einer von ihrem Hofstaat hatte stets eine Bˆrse und den Auftrag, in den Orten, wo sie einkehrten, sich nach den ‰ltesten und Kr‰nksten zu erkundigen und ihren Zustand wenigstens f¸r den Augenblick zu erleichtern.

Dadurch entstand ihr in der ganzen Gegend ein Name von Vortrefflichkeit, der ihr doch auch manchmal unbequem ward, weil er allzuviel l‰stige Notleidende an sie heranzog.

Durch nichts aber vermehrte sie so sehr ihren Ruf als durch ein auffallendes, gutes, beharrliches Benehmen gegen einen ungl¸cklichen jungen Mann, der die Gesellschaft floh, weil er, ¸brigens schˆn und wohlgebildet, seine rechte Hand, obgleich r¸hmlich, in der Schlacht verloren hatte.

Diese Verst¸mmlung erregte ihm einen solchen Miflmut, es war ihm so verdriefllich, dafl jede neue Bekanntschaft sich auch immer mit seinem Unfall bekannt machen sollte, dafl er sich lieber versteckte, sich dem Lesen und andern Studien ergab und ein f¸r allemal mit der Gesellschaft nichts wollte zu schaffen haben.

Das Dasein dieses jungen Mannes blieb ihr nicht verborgen.

Er muflte herbei, erst in kleiner Gesellschaft, dann in grˆflerer, dann in der grˆflten.

Sie benahm sich anmutiger gegen ihn als gegen irgendeinen andern; besonders wuflte sie durch zudringliche Dienstfertigkeit ihm seinen Verlust wert zu machen, indem sie gesch‰ftig war, ihn zu ersetzen. Bei Tafel muflte er neben ihr seinen Platz nehmen; sie schnitt ihm vor, sodafl er nur die Gabel gebrauchen durfte.

Nahmen ‰ltere, Vornehmere ihm ihre Nachbarschaft weg, so erstreckte sie ihre Aufmerksamkeit ¸ber die ganze Tafel hin, und die eilenden Bedienten muflten das ersetzen, was ihm die Entfernung zu rauben drohte.

Zuletzt munterte sie ihn auf, mit der linken Hand zu schreiben; er muflte alle seine Versuche an sie richten, und so stand sie, entfernt oder nah, immer mit ihm in Verh‰ltnis.

Der junge Mann wuflte nicht, wie ihm geworden war, und wirklich fing er von diesem Augenblick ein neues Leben an.

Vielleicht sollte man denken, ein solches Betragen w‰re dem Br‰utigam miflf‰llig gewesen; allein es fand sich das Gegenteil.

Er rechnete ihr diese Bem¸hungen zu groflem Verdienst an und war um so mehr dar¸ber ganz ruhig, als er ihre fast ¸bertriebenen Eigenheiten kannte, wodurch sie alles, was im mindesten verf‰nglich schien, von sich abzulehnen wuflte.

Sie wollte mit jedermann nach Belieben umspringen, jeder war in Gefahr, von ihr einmal angestoflen, gezerrt oder sonst geneckt zu werden; niemand aber durfte sich gegen sie ein Gleiches erlauben, niemand sie nach Willk¸r ber¸hren, niemand auch nur im entferntesten Sinne eine Freiheit, die sie sich nahm, erwidern; und so hielt sie die andern in den strengsten Grenzen der Sittlichkeit gegen sich, die sie gegen andere jeden Augenblick zu ¸bertreten schien.

¸berhaupt h‰tte man glauben kˆnnen, es sei bei ihr Maxime gewesen, sich dem Lobe und dem Tadel, der Neigung und der Abneigung gleichm‰flig auszusetzen.

Denn wenn sie die Menschen auf mancherlei Weise f¸r sich zu gewinnen suchte, so verdarb sie es wieder mit ihnen gewˆhnlich durch eine bˆse Zunge, die niemanden schonte.

So wurde kein Besuch in der Nachbarschaft abgelegt, nirgends sie und ihre Gesellschaft in Schlˆssern und Wohnungen freundlich aufgenommen, ohne dafl sie bei der R¸ckkehr auf das ausgelassenste merken liefl, wie sie alle menschlichen Verh‰ltnisse nur von der l‰cherlichen Seite zu nehmen geneigt sei.

Da waren drei Br¸der, welche unter lauter Komplimenten, wer zuerst heiraten sollte, das Alter ¸bereilt hatte; hier eine kleine, junge Frau mit einem groflen, alten Manne; dort umgekehrt ein kleiner, munterer Mann und eine unbeh¸lfliche Riesin.

In dem einen Hause stolperte man bei jedem Schritt ¸ber ein Kind; das andre wollte ihr bei der grˆflten Gesellschaft nicht voll erscheinen, weil keine Kinder gegenw‰rtig waren.

Alte Gatten sollten sich nur schnell begraben lassen, damit doch wieder einmal jemand im Hause zum Lachen k‰me, da ihnen keine Noterben gegeben waren.

Junge Eheleute sollten reisen, weil das Haushalten sie gar nicht kleide.

Und wie mit den Personen, so machte sie es auch mit den Sachen, mit den Geb‰uden wie mit dem Haus–und Tischger‰te.

Besonders alle Wandverzierungen reizten sie zu lustigen Bemerkungen.

Von dem ‰ltesten Hautelisseteppich bis zu der neusten Papiertapete, vom ehrw¸rdigsten Familienbilde bis zum frivolsten neuen Kupferstich, eins wie das andre muflte leiden, eins wie das andre wurde durch ihre spˆttischen Bemerkungen gleichsam aufgezehrt, so dafl man sich h‰tte verwundern sollen, wie f¸nf Meilen umher irgend etwas nur noch existierte.

Eigentliche Bosheit war vielleicht nicht in diesem verneinenden Bestreben; ein selbstischer Mutwille mochte sie gewˆhnlich anreizen; aber eine wahrhafte Bitterkeit hatte sich in ihrem Verh‰ltnis zu Ottilien erzeugt.

Auf die ruhige, ununterbrochene T‰tigkeit des lieben Kindes, die von jedermann bemerkt und gepriesen wurde, sah sie mit Verachtung herab; und als zur Sprache kam, wie sehr sich Ottilie der G‰rten und der Treibh‰user annehme, spottete sie nicht allein dar¸ber, indem sie uneingedenk des tiefen Winters, in dem man lebte, sich zu verwundern schien, dafl man weder Blumen noch Fr¸chte gewahr werde, sondern sie liefl auch von nun an so viel Gr¸nes, so viel Zweige und was nur irgend keimte, herbeiholen und zur t‰glichen Zierde der Zimmer und des Tisches verschwenden, dafl Ottilie und der G‰rtner nicht wenig gekr‰nkt waren, ihre Hoffnungen f¸r das n‰chste Jahr und vielleicht auf l‰ngere Zeit zerstˆrt zu sehen.

Ebensowenig gˆnnte sie Ottilien die Ruhe des h‰uslichen Ganges, worin sie sich mit Bequemlichkeit fortbewegte.

Ottilie sollte mit auf die Lust–und Schlittenfahrten, sie sollte mit auf die B‰lle, die in der Nachbarschaft veranstaltet wurden; sie sollte weder Schnee noch K‰lte noch gewaltsame Nachtst¸rme scheuen, da ja soviel andre nicht davon st¸rben.

Das zarte Kind litt nicht wenig darunter, aber Luciane gewann nichts dabei; denn obgleich Ottilie sehr einfach gekleidet ging, so war sie doch, oder so schien sie wenigstens immer den M‰nnern die Schˆnste.

Ein sanftes Anziehen versammelte alle M‰nner um sie her, sie mochte sich in den groflen R‰umen am ersten oder am letzten Platze befinden; ja der Br‰utigam Lucianens selbst unterhielt sich oft mit ihr, und zwar um so mehr, las er in einer Angelegenheit, die ihn besch‰ftigte, ihren Rat, ihre Mitwirkung verlangte.

Er hatte den Architekten n‰her kennen lernen, bei Gelegenheit seiner Kunstsammlung viel ¸ber das Geschichtliche mit ihm gesprochen, in andern F‰llen auch, besonders bei Betrachtung der Kapelle, sein Talent sch‰tzen gelernt.

Der Baron war jung, reich; er sammelte, er wollte bauen; seine Liebhaberei war lebhaft, seine Kenntnisse schwach; er glaubte in dem Architekten seinen Mann zu finden, mit dem er mehr als Einen Zweck zugleich erreichen kˆnnte.

Er hatte seiner Braut von dieser Absicht gesprochen; sie lobte ihn darum und war hˆchlich mit dem Vorschlag zufrieden, doch vielleicht mehr, um diesen jungen Mann Ottilien zu entziehen–denn sie glaubte so etwas von Neigung bei ihm zu bemerken -, als dafl sie gedacht h‰tte, sein Talent zu ihren Absichten zu benutzen.

Denn ob er gleich bei ihren extemporierten Festen sich sehr t‰tig erwiesen und manche Ressourcen bei dieser und jener Anstalt dargeboten, so glaubte sie es doch immer selbst besser zu verstehen; und da ihre Erfindungen gewˆhnlich gemein waren, so reichte, um sie auszuf¸hren, die Geschicklichkeit eines gewandten Kammerdieners ebensogut hin als die des vorz¸glichsten K¸nstlers.

Weiter als zu einem Altar, worauf geopfert ward, und zu einer Bekr‰nzung, es mochte nun ein gipsernes oder ein lebendes Haupt sein, konnte ihre Einbildungskraft sich nicht versteigen, wenn sie irgend jemand zum Geburts–und Ehrentage ein festliches Kompliment zu machen gedachte.

Ottilie konnte dem Br‰utigam, der sich nach dem Verh‰ltnis des Architekten zum Hause erkundigte, die beste Auskunft geben.

Sie wuflte, dafl Charlotte sich schon fr¸her nach einer Stelle f¸r ihn umgetan hatte; denn w‰re die Gesellschaft nicht gekommen, so h‰tte sich der junge Mann gleich nach Vollendung der Kapelle entfernt, weil alle Bauten den Winter ¸ber stillstehn sollten und muflten; und es war daher sehr erw¸nscht, wenn der geschickte K¸nstler durch einen neuen Gˆnner wieder genutzt und befˆrdert wurde.

Das persˆnliche Verh‰ltnis Ottiliens zum Architekten war ganz rein und unbefangen.

Seine angenehme und t‰tige Gegenwart hatte sie wie die N‰he eines ‰ltern Bruders unterhalten und erfreut.

Ihre Empfindungen f¸r ihn blieben auf der ruhigen, leidenschaftslosen Oberfl‰che der Blutsverwandtschaft; denn in ihrem Herzen war kein Raum mehr; es war von der Liebe zu Eduard ganz gedr‰ngt ausgef¸llt, und nur die Gottheit, die alles durchdringt, konnte dieses Herz zugleich mit ihm besitzen.

Indessen je tiefer der Winter sich senkte, je wilderes Wetter, je unzug‰nglicher die Wege, desto anziehender schien es, in so guter Gesellschaft die abnehmenden Tage zuzubringen.

Nach kurzen Ebben ¸berflutete die Menge von Zeit zu Zeit das Haus.

Offiziere von entfernteren Garnisonen, die gebildeten zu ihrem groflen Vorteil, die roheren zur Unbequemlichkeit der Gesellschaft, zogen sich herbei; am Zivilstande fehlte es auch nicht, und ganz unerwartet kamen eines Tages der Graf und die Baronesse zusammen angefahren.

Ihre Gegenwart schien erst einen wahren Hof zu bilden.

Die M‰nner von Stand und Sitten umgaben den Grafen, und die Frauen lieflen der Baronesse Gerechtigkeit widerfahren.

Man verwunderte sich nicht lange, sie beide zusammen und so heiter zu sehen; denn man vernahm, des Grafen Gemahlin sei gestorben, und eine neue Verbindung werde geschlossen sein, sobald es die Schicklichkeit nur erlaube.

Ottilie erinnerte sich jenes ersten Besuchs, jedes Worts, was ¸ber Ehestand und Scheidung, ¸ber Verbindung und und Trennung, ¸ber Hoffnung, Erwartung, Entbehren und Entsagen gesprochen ward.

Beide Personen, damals noch ganz ohne Aussichten, standen nun vor ihr, dem gehofften Gl¸ck so nahe, und ein unwillk¸rlicher Seufzer drang aus ihrem Herzen.

Luciane hˆrte kaum, dafl der Graf ein Liebhaber von Musik sei, so wuflte sie ein Konzert zu veranstalten; sie wollte sich dabei mit Gesang zur Gitarre hˆren lassen.

Es geschah.

Das Instrument spielte sie nicht ungeschickt, ihre Stimme war angenehm; was aber die Worte betraf, so verstand man sie so wenig, als wenn sonst eine deutsche Schˆne zur Gitarre singt.

Indes versicherte jedermann, sie habe mit viel Ausdruck gesungen, und sie konnte mit dem lauten Beifall zufrieden sein.

Nur ein wunderliches Ungl¸ck begegnete bei dieser Gelegenheit. In der Gesellschaft befand sich ein Dichter, den sie auch besonders zu verbinden hoffte, weil sie einige Lieder von ihm an sie gerichtet w¸nschte, und deshalb diesen Abend meist nur von seinen Liedern vortrug.

Er war ¸berhaupt, wie alle, hˆflich gegen sie, aber sie hatte mehr erwartet.

Sie legte es ihm einigemal nahe, konnte aber weiter nichts von ihm vernehmen, bis sie endlich aus Ungeduld einen ihrer Hofleute an ihn schickte und sondieren liefl, ob er denn nicht entz¸ckt gewesen sei, seine vortrefflichen Gedichte so vortrefflich vortragen zu hˆren.

“Meine Gedichte?” versetzte dieser mit Erstaunen.

“Verzeihen Sie, mein Herr”, f¸gte er hinzu; “ich habe nichts als Vokale gehˆrt und die nicht einmal alle.

Unterdessen ist es meine Schuldigkeit, mich f¸r eine so liebensw¸rdige Intention dankbar zu erweisen”.

Der Hofmann schwieg und verschwieg.

Der andre suchte sich durch einige wohltˆnende Komplimente aus der Sache zu ziehen.

Sie liefl ihre Absicht nicht undeutlich merken, auch etwas eigens f¸r sie Gedichtetes zu besitzen.

Wenn es nicht allzu unfreundlich gewesen w‰re, so h‰tte er ihr das Alphabet ¸berreichen kˆnnen, um sich daraus ein beliebiges Lobgedicht zu irgendeiner vorkommenden Melodie selbst einzubilden.

Doch sollte sie nicht ohne Kr‰nkung aus dieser Begebenheit scheiden.

Kurze Zeit darauf erfuhr sie, er habe noch selbigen Abend einer von Ottiliens Lieblingsmelodien ein allerliebstes Gedicht untergelegt, das noch mehr als verbindlich sei.

Luciane, wie alle Menschen ihrer Art, die immer durcheinander mischen, was ihnen vorteilhaft und was ihnen nachteilig ist, wollte nun ihr Gl¸ck im Rezitieren versuchen.

Ihr Ged‰chtnis war gut, aber, wenn man aufrichtig reden sollte, ihr Vortrag geistlos und heftig, ohne leidenschaftlich zu sein.

Sie rezitierte Balladen, Erz‰hlungen und was sonst in Deklamatorien vorzukommen pflegt.

Dabei hatte sie die ungl¸ckliche Gewohnheit angenommen, das, was sie vortrug, mit Gesten zu begleiten, wodurch man das, was eigentlich episch und lyrisch ist, auf eine unangenehme Weise mit dem Dramatischen mehr verwirrt als verbindet.

Der Graf, ein einsichtsvoller Mann, der gar bald die Gesellschaft, ihre Neigungen, Leidenschaften und Unterhaltungen ¸bersah, brachte Lucianen gl¸cklicher–oder ungl¸cklicherweise auf eine neue Art von Darstellung, die ihrer Persˆnlichkeit sehr gem‰fl war.

“Ich finde”, sagte er, “hier so manche wohlgestaltete Personen, denen es gewifl nicht fehlt, malerische Bewegungen und Stellungen nachzuahmen.

Sollten sie es noch nicht versucht haben, wirkliche, bekannte Gem‰lde vorzustellen?

Eine solche Nachbildung, wenn sie auch manche m¸hsame Anordnung erfordert, bringt dagegen auch einen unglaublichen Reiz hervor”.

Schnell ward Luciane gewahr, dafl sie hier ganz in ihrem Fach sein w¸rde.

Ihr schˆner Wuchs, ihre volle Gestalt, ihr regelm‰fliges und doch bedeutendes Gesicht, ihre lichtbraunen Haarflechten, ihr schlanker Hals, alles war schon wie aufs Gem‰lde berechnet; und h‰tte sie nun gar gewuflt, dafl sie schˆner aussah, wenn sie still stand, als wenn sie sich bewegte, indem ihr im letzten Falle manchmal etwas stˆrendes Ungraziˆses entschl¸pfte, so h‰tte sie sich mit noch mehrerem Eifer dieser nat¸rlichen Bildnerei ergeben.

Man suchte nun Kupferstiche nach ber¸hmten Gem‰lden, man w‰hlte zuerst den Belisar nach van Dyck.

Ein grofler und wohlgebauter Mann von gewissen Jahren sollte den sitzenden blinden General, der Architekt den vor ihm teilnehmend traurig stehenden Krieger nachbilden, dem er wirklich etwas ‰hnlich sah.

Luciane hatte sich, halb bescheiden, das junge Weibchen im Hintergrunde gew‰hlt, das reichliche Almosen aus einem Beutel in die flache Hand z‰hlt, indes eine Alte sie abzumahnen und ihr vorzustellen scheint, dafl sie zuviel tue.

Eine andre, ihm wirklich Almosen reichende Frauensperson war nicht vergessen.

Mit diesen und andern Bildern besch‰ftigte man sich sehr ernstlich.

Der Graf gab dem Architekten ¸ber die Art der Einrichtung einige Winke, der sogleich ein Theater dazu aufstellte und wegen der Beleuchtung die nˆtige Sorge trug.

Man war schon tief in die Anstalten verwickelt, als man erst bemerkte, dafl ein solches Unternehmen einen ansehnlichen Aufwand verlangte und dafl auf dem Lande mitten im Winter gar manches Erfordernis abging.

Deshalb liefl, damit ja nichts stocken mˆge.

Luciane beinah ihre s‰mtliche Garderobe zerschneiden, um die verschiedenen Kost¸me zu liefern, die jene K¸nstler willk¸rlich genug angegeben hatten.

Der Abend kam herbei, und die Darstellung wurde vor einer groflen Gesellschaft und zu allgemeinem Beifall ausgef¸hrt.

Eine bedeutende Musik spannte die Erwartung.

Jener Belisar erˆffnete die B¸hne.

Die Gestalten waren so passend, die Farben so gl¸cklich ausgeteilt, die Beleuchtung so kunstreich, dafl man f¸rwahr in einer andern Welt zu sein glaubte, nur dafl die Gegenwart des Wirklichen statt des Scheins eine Art von ‰ngstlicher Empfindung hervorbrachte.

Der Vorhang fiel und ward auf Verlangen mehr als einmal wieder aufgezogen.

Ein musikalisches Zwischenspiel unterhielt die Gesellschaft, die man durch ein Bild hˆherer Art ¸berraschen wollte.

Es war die bekannte Vorstellung von Poussin: Ahasverus und Esther.

Diesmal hatte sich Luciane besser bedacht.

Sie entwickelte in der ohnm‰chtig hingesunkenen Kˆnigin alle ihre Reize und hatte sich klugerweise zu den umgebenden, unterst¸tzenden M‰dchen lauter h¸bsche, wohlgebildete Figuren ausgesucht, worunter sich jedoch keine mit ihr auch nur im mindesten messen konnte.

Ottilie blieb von diesem Bilde wie von den ¸brigen ausgeschlossen.

Auf den goldnen Thron hatten sie, um den Zeus gleichen Kˆnig vorzustellen, den r¸stigsten und schˆnsten Mann der Gesellschaft gew‰hlt, sodafl dieses Bild wirklich eine unvergleichliche Vollkommenheit gewann.

Als drittes hatte man die sogenannte “v‰terliche Ermahnung” von Terburg gew‰hlt, und wer kennt nicht den herrlichen Kupferstich unseres Wille von diesem Gem‰lde!

Einen Fufl ¸ber den andern geschlagen, sitzt ein edler, ritterlicher Vater und scheint seiner vor ihm stehenden Tochter ins Gewissen zu reden.

Diese, eine herrliche Gestalt im faltenreichen, weiflen Atlaskleide, wird zwar nur von hinten gesehen, aber ihr ganzes Wesen scheint anzudeuten, dafl sie sich zusammennimmt.

Dafl jedoch die Ermahnung nicht heftig und besch‰mend sei, sieht man aus der Miene und Geb‰rde des Vaters; und was die Mutter betrifft, so scheint diese eine kleine Verlegenheit zu verbergen, indem sie in ein Glas Wein blickt, das sie eben auszuschl¸rfen im Begriff ist.

bei dieser Gelegenheit nun sollte Luciane in ihrem hˆchsten Glanze erscheinen.

Ihre Zˆpfe, die Form ihres Kopfes, Hals und Nacken waren ¸ber alle Begriffe schˆn, und die Taille, von der bei den modernen antikisierenden Bekleidungen der Frauenzimmer wenig sichtbar wird, hˆchst zierlich, schlank und leicht, zeigte sich an ihr in dem ‰lteren Kost¸m ‰uflerst vorteilhaft; und der Architekt hatte gesorgt, die reichen Falten des weiflen Atlasses mit der k¸nstlichsten Natur zu legen, sodafl ganz ohne Frage diese lebendige Nachbildung weit ¸ber jenes Originalbildnis hinausreichte und ein allgemeines Entz¸cken erregte.

Man konnte mit dem Wiederverlangen nicht endigen, und der ganz nat¸rliche Wunsch, einem so schˆnen Wesen, das man genugsam von der R¸ckseite gesehen, auch ins Angesicht zu schauen, nahm dergestalt ¸berhand, dafl ein lustiger, ungeduldiger Vogel die Worte, die man manchmal an das Ende einer Seite zu schreiben pflegt: “tournez s’il vous plait”, laut ausrief und eine allgemeine Beistimmung erregte.

Die Darstellenden aber kannten ihren Vorteil zu gut und hatten den Sinn dieser Kunstst¸cke zu wohl gefaflt, als dafl sie dem allgemeinen Ruf h‰tten nachgeben sollen.

Die besch‰mt scheinende Tochter blieb ruhig stehen, ohne den Zuschauern den Ausdruck ihres Angesichts zu gˆnnen; der Vater blieb in seiner ermahnenden Stellung sitzen, und die Mutter brachte Nase und Augen nicht aus dem durchsichtigen Glase, worin sich, ob sie gleich zu trinken schien, der Wein nicht verminderte.–Was sollen wir noch viel von kleinen Nachst¸cken sagen, wozu man niederl‰ndische Wirtshaus–und Jahrmarktsszenen gew‰hlt hatte!

Der Graf und die Baronesse reisten ab und versprachen, in den ersten gl¸cklichen Wochen ihrer nahen Verbindung wiederzukehren, und Charlotte hoffte nunmehr, nach zwei m¸hsam ¸berstandenen Monaten, die ¸brige Gesellschaft gleichfalls loszuwerden.

Sie war des Gl¸cks ihrer Tochter gewifl, wenn bei dieser der erste Braut–und Jugendtaumel sich w¸rde gelegt haben; denn der Br‰utigam hielt sich f¸r den gl¸cklichsten Menschen von der Welt.

Bei groflem Vermˆgen und gem‰fligter Sinnesart schien er auf eine wunderbare Weise von dem Vorzuge geschmeichelt, ein Frauenzimmer zu besitzen, das der ganzen Welt gefallen muflte.

Er hatte einen so ganz eigenen Sinn, alles auf sie und erst durch sie auf sich zu beziehen, dafl es ihm eine unangenehme Empfindung machte, wenn sich nicht gleich ein Neuankommender mit aller Aufmerksamkeit auf sie richtete und mit ihm, wie es wegen seiner guten Eigenschaften besonders von ‰lteren Personen oft geschah, eine n‰here Verbindung suchte, ohne sich sonderlich um sie zu k¸mmern.

Wegen des Architekten kam es bald zur Richtigkeit.

Aufs Neujahr sollte ihm dieser folgen und das Karneval mit ihm in der Stadt zubringen, wo Luciane sich von der Wiederholung der so schˆn eingerichteten Gem‰lde sowie von hundert andern Dingen die grˆflte Gl¸ckseligkeit versprach, um so mehr, als Tante und Br‰utigam jeden Aufwand f¸r gering zu achten schienen, der zu ihrem Vergn¸gen erfordert wurde.

Nun sollte man scheiden, aber das konnte nicht auf eine gewˆhnliche Weise geschehen.

Man scherzte einmal ziemlich laut, dafl Charlottens Wintervorr‰te nun bald aufgezehrt seien, als der Ehrenmann, der den Belisar vorgestellt hatte und freilich reich genug war, von Lucianens Vorz¸gen hingerissen, denen er nun schon so lange huldigte, unbedachtsam ausrief: “so lassen Sie es uns auf politische Art halten!

Kommen Sie nun und zehren mich auch auf!

Und so geht es dann weiter in der Runde herum”.

Gesagt, getan: Luciane schlug ein.

Den andern Tag war gepackt, und der Schwarm warf sich auf ein anderes Besitztum.

Dort hatte man auch Raum genug, aber weniger Bequemlichkeit und Einrichtung.

Daraus entstand manches Unschickliche, das erst Lucianen recht gl¸cklich machte.

Das Leben wurde immer w¸ster und wilder.

Treibjagen im tiefsten Schnee, und was man sonst nur Unbequemes auffinden konnte, wurde veranstaltet.

Frauen so wenig als M‰nner durften sich ausschlieflen, und so zog man jagend und reitend, schlittenfahrend und l‰rmend von einem Gute zum andern, bis man sich endlich der Residenz n‰herte; da denn die Nachrichten und Erz‰hlungen, wie man sich bei Hofe und in der Stadt vergn¸ge, der Einbildungskraft eine andere Wendung gaben und Lucianen mit ihrer s‰mtlichen Begleitung, indem die Tante schon vorausgegangen war, unaufhaltsam in einen andern Lebenskreis hineinzogen.

Man nimmt in der Welt jeden, wof¸r er sich gibt; aber er mufl sich auch f¸r etwas geben.

Man ertr‰gt die Unbequemen lieber, als man die Unbedeutenden duldet.

Man kann der Gesellschaft alles aufdringen, nur nicht, was eine Folge hat.

Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen; wir m¸ssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht.

Ich finde es beinahe nat¸rlich, dafl wir an Besuchenden mancherlei auszusetzen haben, dafl wir sogleich, wenn sie weg sind, ¸ber sie nicht zum liebevollsten urteilen; denn wir haben sozusagen ein Recht, sie nach unserm Maflstabe zu messen.

Selbst verst‰ndige und billige Menschen enthalten sich in solchen F‰llen kaum einer scharfen Zensur.

Wenn man dagegen bei andern gewesen ist und hat sie mit ihren Umgebungen, Gewohnheiten, in ihren notwendigen, unausweichlichen Zust‰nden gesehen, wie sie um sich wirken oder wie sie sich f¸gen, so gehˆrt schon Unverstand und bˆser Wille dazu, um das l‰cherlich zu finden, was uns in mehr als einem Sinne ehrw¸rdig scheinen m¸flte.

Durch das, was wir Betragen und gute Sitten mennen, soll das erreicht werden, was auflerdem nur durch Gewalt oder auch nicht einmal durch Gewalt zu erreichen ist.

Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten.

Wie kann der Charakter, die Eigent¸mlichkeit des Menschen, mit der Lebensart bestehen?

Das Eigent¸mliche m¸flte durch die Lebensart erst recht hervorgehoben werden.

Das Bedeutende will jedermann, nur soll es nicht unbequem sein.

Die grˆflten Vorteile im Leben ¸berhaupt wie in der Gesellschaft hat ein gebildeter Soldat.

Rohe Kriegsleute gehen wenigstens nicht aus ihrem Charakter, und weil doch meist hinter der St‰rke eine Gutm¸tigkeit verborgen liegt, so ist im Notfall auch mit ihnen auszukommen.

Niemand ist l‰stiger als ein t‰ppischer Mensch vom Zivilstande.

Von ihm kˆnnte man die Feinheit fordern, da er sich mit nichts Rohem zu besch‰ftigen hat.

Wenn wir mit Menschen leben, die ein zartes Gef¸hl f¸r das Schickliche haben, so wird es uns angst um ihretwillen, wenn etwas Ungeschicktes begegnet.

So f¸hle ich immer f¸r und mit Charlotten, wenn jemand mit dem Stuhle schaukelt, weil sie das in den Tod nicht leiden kann.

Es k‰me niemand mit der Brille auf der Nase in ein vertrauliches Gemach, wenn er w¸flte, dafl uns Frauen sogleich die Lust vergeht, ihn anzusehen und uns mit ihm zu unterhalten.

Zutraulichkeit an der Stelle der Ehrfurcht ist immer l‰cherlich.

Es w¸rde niemand den Hut ablegen, nachdem er kaum das Kompliment gemacht hat, wenn er w¸flte, wie komisch das aussieht.

Es gibt kein ‰ufleres Zeichen der Hˆflichkeit, das nicht einen tiefen sittlichen Grund h‰tte.

Die rechte Erziehung w‰re, welche dieses Zeichen und den Grund zugleich ¸berlieferte.

Das Betragen ist ein Spiegel, in welchem jeder sein Bild zeigt.

Es gibt eine Hˆflichkeit des Herzens; sie ist der Liebe verwandt.

Aus ihr entspringt die bequemste Hˆflichkeit des ‰uflern Betragens.

Freiwillige Abh‰nglichkeit ist der schˆnste Zustand, und wie w‰re der mˆglich ohne Liebe.

Wir sind nie entfernter von unsern W¸nschen, als wenn wir uns einbilden, das Gew¸nschte zu besitzen.

Niemand ist mehr Sklave, als der sich f¸r frei h‰lt, ohne es zu sein.

Es darf sich einer nur f¸r frei erkl‰ren, so f¸hlt er sich den Augenblick als bedingt.

Wagt er es, sich f¸r bedingt zu erkl‰ren, so f¸hlt er sich frei.

Gegen grofle Vorz¸ge eines andern gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe.

Es ist was Schreckliches um einen vorz¸glichen Mann, auf den sich die Dummen was zugute tun.

Es gibt, sagt man, f¸r den Kammerdiener keinen Helden.

Das kommt aber blofl daher, weil der Held nur vom Helden anerkannt werden kann.

Der Kammerdiener wird aber wahrscheinlich seinesgleichen zu sch‰tzen wissen.

Es gibt keinen grˆflern Trost f¸r die Mittelm‰fligkeit, als dafl das Genie nicht unsterblich sei.

Die grˆflten Menschen h‰ngen immer mit ihrem Jahrhundert durch eine Schwachheit zusammen.

Man h‰lt die Menschen gewˆhnlich f¸r gef‰hrlicher, als sie sind.

Toren und gescheite Leute sind gleich unsch‰dlich.

Nur die Halbnarren und Halbweisen, das sind die Gef‰hrlichsten.

Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst, und man verkn¸pft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst.

Selbst im Augenblick des hˆchsten Gl¸cks und der hˆchsten Not bed¸rfen wir des K¸nstlers.

Die Kunst besch‰ftigt sich mit dem Schweren und Guten.

Das Schwierige leicht behandelt zu sehen, gibt uns das Anschauen des Unmˆglichen.

Die Schwierigkeiten wachsen, je n‰her man dem Ziele kommt.

S‰en ist nicht so beschwerlich als ernten.

Die grofle Unruhe, welche Charlotten durch diesen Besuch erwuchs, ward ihr dadurch verg¸tet, dafl sie ihre Tochter vˆllig begreifen lernte, worin ihr die Bekanntschaft mit der Welt sehr zu H¸lfe kam.

Es war nicht zum erstenmal, dafl ihr ein so seltsamer Charakter begegnete, ob er ihr gleich noch niemals auf dieser Hˆhe erschien.

Und doch hatte sie aus der Erfahrung, dafl solche Personen, durchs Leben, durch mancherlei Ereignisse, durch elterliche Verh‰ltnisse