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  • 1809
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Und doch l‰flt sich die Gegenwart ihr ungeheures Recht nicht rauben.

Sie brachten einen Teil der Nacht unter allerlei Gespr‰chen und Scherzen zu, die um desto freier waren, als das Herz leider keinen Teil daran nahm.

Aber als Eduard des andern Morgens an dem Busen seiner Frau erwachte, schien ihm der Tag ahnungsvoll hereinzublicken, die Sonne schien ihm ein Verbrechen zu beleuchten; er schlich sich leise von ihrer Seite, und sie fand sich, seltsam genug, allein, als sie erwachte.

Als die Gesellschaft zum Fr¸hst¸ck wieder zusammenkam, h‰tte ein aufmerksamer Beobachter an dem Betragen der einzelnen die Verschiedenheit der innern Gesinnungen und Empfindungen abnehmen kˆnnen.

Der Graf und die Baronesse begegneten sich mit dem heitern Behagen, das ein Paar Liebende empfinden, die sich nach erduldeter Trennung ihrer wechselseitigen Neigung abermals versichert halten, dagegen Charlotte und Eduard gleichsam besch‰mt und ruhig dem Hauptmann und Ottilien entgegentraten.

Denn so ist die Liebe beschaffen, dafl sie allein recht zu haben glaubt und alle anderen Rechte vor ihr verschwinden.

Ottilie war kindlich heiter, nach ihrer Weise konnte man sie offen nennen.

Ernst erschien der Hauptmann; ihm war bei der Unterredung mit dem Grafen, indem dieser alles in ihm aufregte, was einige Zeit geruht und geschlafen hatte, nur zu f¸hlbar geworden, dafl er eigentlich hier seine Bestimmung nicht erf¸lle und im Grunde blofl in einem halbt‰tigen M¸fliggang hinschlendere.

Kaum hatten sich die beiden G‰ste entfernt, als schon wieder neuer Besuch eintraf, Charlotten willkommen, die aus sich selbst herauszugehen, sich zu zerstreuen w¸nschte; Eduarden ungelegen, der eine doppelte Neigung f¸hlte, sich mit Ottilien zu besch‰ftigen; Ottilien gleichfalls unerw¸nscht, die mit ihrer auf morgen fr¸h so nˆtigen Abschrift noch nicht fertig war.

Und so eilte sie auch, als die Fremden sich sp‰t entfernten, sogleich auf ihr Zimmer.

Es war Abend geworden.

Eduard, Charlotte und der Hauptmann, welche die Fremden, ehe sie sich in den Wagen setzten, eine Strecke zu Fufl begleitet hatten, wurden einig, noch einen Spaziergang nach den Teichen zu machen.

Ein Kahn war angekommen, den Eduard mit ansehnlichen Kosten aus der Ferne verschrieben hatte.

Man wollte versuchen, ob er sich leicht bewegen und lenken lasse.

Er war am Ufer des mittelsten Teiches nicht weit von einigen alten Eichb‰umen angebunden, auf die man schon bei k¸nftigen Anlagen gerechnet hatte.

Hier sollte ein Landungsplatz angebracht, unter den B‰umen ein architektonischer Ruhesitz aufgef¸hrt werden, wonach diejenigen, die ¸ber den See fahren, zu steuern h‰tten.

“Wo wird man denn nun dr¸ben die Landung am besten anlegen?” fragte Eduard.

“Ich sollte denken, bei meinen Platanen”.

“Sie stehen ein wenig zu weit rechts”, sagte der Hauptmann. “Landet man weiter unten, so ist man dem Schlosse n‰her; doch mufl man es ¸berlegen”.

Der Hauptmann stand schon im Hinterteile des Kahns und hatte ein Ruder ergriffen.

Charlotte stieg ein, Eduard gleichfalls und faflte das andre Ruder; aber als er eben im Abstoflen begriffen war, gedachte er Ottiliens, gedachte, dafl ihn diese Wasserfahrt versp‰ten, wer weifl erst wann zur¸ckf¸hren w¸rde.

Er entschlofl sich kurz und gut, sprang wieder ans Land, reichte dem Hauptmann das andre Ruder und eilte, sich fl¸chtig entschuldigend, nach Hause.

Dort vernahm er, Ottilie habe sich eingeschlossen, sie schreibe.

Bei dem angenehmen Gef¸hle, dafl sie f¸r ihn etwas tue, empfand er das lebhafteste Miflbehagen, sie nicht gegenw‰rtig zu sehen.

Seine Ungeduld vermehrte sich mit jedem Augenblicke.

Er ging in dem groflen Saale auf und ab, versuchte allerlei, und nichts vermochte seine Aufmerksamkeit zu fesseln.

Sie w¸nschte er zu sehen, allein zu sehen, ehe noch Charlotte mit dem Hauptmann zur¸ckk‰me.

Es ward Nacht, die Kerzen wurden angez¸ndet.

Endlich trat sie herein, gl‰nzend von Liebensw¸rdigkeit.

Das Gef¸hl, etwas f¸r den Freund getan zu haben, hatte ihr ganzes Wesen ¸ber sich selbst gehoben.

Sie legte das Original und die Abschrift vor Eduard auf den Tisch.

“Wollen wir kollationieren?” sagte sie l‰chelnd.

Eduard wuflte nicht, was er erwidern sollte.

Er sah sie an, er besah die Abschrift.

Die ersten Bl‰tter waren mit der grˆflten Sorgfalt, mit einer zarten weiblichen Hand geschrieben, dann schienen sich die Z¸ge zu ver‰ndern, leichter und freier zu werden; aber wie erstaunt war er, als er die letzten Seiten mit den Augen ¸berlief!

“Um Gottes willen!” rief er aus, “was ist das?

Das ist meine Hand!” Er sah Ottilien an und wieder auf die Bl‰tter, besonders der Schlufl war ganz, als wenn er ihn selbst geschrieben h‰tte.

Ottilie schwieg, aber sie blickte ihm mit der grˆflten Zufriedenheit in die Augen.

Eduard hob seine Arme empor: “du liebst mich!” rief er aus, “Ottilie, du liebst mich” und sie hielten einander umfaflte.

Wer das andere zuerst ergriffen, w‰re nicht zu unterscheiden gewesen.

Von diesem Augenblick an war die Welt f¸r Eduarden umgewendet, er nicht mehr, was er gewesen, die Welt nicht mehr, was sie gewesen.

Sie standen voreinander, er hielt ihre H‰nde, sie sahen einander in die Augen, im Begriff, sich wieder zu umarmen.

Charlotte mit dem Hauptmann trat herein.

Zu den Entschuldigungen eines l‰ngeren Auflenbleibens l‰chelte Eduard heimlich.

‘O wie viel zu fr¸h kommt ihr!’ sagte er zu sich selbst.

Sie setzten sich zum Abendessen.

Die Personen des heutigen Besuchs wurden beurteilt.

Eduard, liebevoll aufgeregt, sprach gut von einem jeden, immer schonend, oft billigend.

Charlotte, die nicht durchaus seiner Meinung war, bemerkte diese Stimmung und scherzte mit ihm, dafl er, der sonst ¸ber die scheidende Gesellschaft immer das strengste Zungengericht ergehen lasse, heute so mild und nachsichtig sei.

Mit Feuer und herzlicher ¸berzeugung rief Eduard: “man mufl nur Ein Wesen recht von Grund aus lieben, da kommen einem die ¸brigen alle liebensw¸rdig vor!” Ottilie schlug die Augen nieder, und Charlotte sah vor sich hin.

Der Hauptmann nahm das Wort und sagte:” mit den Gef¸hlen der Hochachtung, der Verehrung ist es doch auch etwas ‰hnliches.

Man erkennt nur erst das Sch‰tzenswerte in der Welt, wenn man solche Gesinnungen an Einem Gegenstande zu ¸ben Gelegenheit findet”.

Charlotte suchte bald in ihr Schlafzimmer zu gelangen, um sich der Erinnerung dessen zu ¸berlassen, was diesen Abend zwischen ihr und dem Hauptmann vorgegangen war.

Als Eduard ans Ufer springend den Kahn vom Lande stiefl, Gattin und Freund dem schwankenden Element selbst ¸berantwortete, sah nunmehr Charlotte den Mann, um den sie im stillen schon soviel gelitten hatte, in der D‰mmerung vor sich sitzen und durch die F¸hrung zweier Ruder das Fahrzeug in beliebiger Richtung fortbewegen.

Sie empfand eine tiefe, selten gef¸hlte Traurigkeit.

Das Kreisen des Kahns, das Pl‰tschern der Ruder, der ¸ber den Wasserspiegel hinschauernde Wildhauch, das S‰useln der Rohre, das letzte Schweben der Vˆgel, das Blinken und Widerblinken der ersten Sterne: alles hatte etwas Geisterhaftes in dieser allgemeinen Stille.

Es schien ihr, der Freund f¸hre sie weit weg, um sie auszusetzen, sie allein zu lassen.

Eine wunderbare Bewegung war in ihrem Innern, und sie konnte nicht weinen.

Der Hauptmann beschrieb ihr unterdessen, wie nach seiner Absicht die Anlagen werden sollten.

Er r¸hmte die guten Eigenschaften des Kahns, dafl er sich leicht mit zwei Rudern von einer Person bewegen und regieren lasse.

Sie werde das selbst lernen, es sei eine angenehme Empfindung, manchmal allein auf dem Wasser hinzuschwimmen und sein eigner F‰hr–und Steuermann zu sein.

Bei diesen Worten fiel der Freundin die bevorstehende Trennung aufs Herz.

‘Sagt er das mit Vorsatz?’ dachte sie bei sich selbst.

‘Weifl er schon davon?

Vermutet ers?

Oder sagt er es zuf‰llig, so dafl er mir bewufltlos mein Schicksal vorausverk¸ndigt?’ Es ergriff sie eine grofle Wehmut, eine Ungeduld; sie bat ihn, baldmˆglichst zu landen und mit ihr nach dem Schlosse zur¸ckzukehren. Es war das erstemal, dafl der Hauptmann die Teiche befuhr, und ob er gleich im allgemeinen ihre Tiefe untersucht hatte, so waren ihm doch die einzelnen Stellen unbekannt.

Dunkel fing es an zu werden; er richtete seinen Lauf dahin, wo er einen bequemen Ort zum Aussteigen vermutete und den Fuflpfad nicht entfernt wuflte, der nach dem Schlosse f¸hrte.

Aber auch von dieser Bahn wurde er einigermaflen abgelenkt, als Scharlotte mit einer Art von Angstlichkeit den Wunsch wiederholte, bald am Lande zu sein.

Er n‰herte sich mit erneuten Anstrengungen dem Ufer, aber leider f¸hlte er sich in einiger Entfernung davon angehalten; er hatte sich festgefahren, und seine Bem¸hungen, wieder loszukommen, waren vergebens.

Was war zu tun?

Ihm blieb nichts ¸brig, als in das Wasser zu steigen, das seicht genug war, und die Freundin an das Land zu tragen.

Gl¸cklich brachte er die liebe B¸rde hin¸ber, stark genug, um nicht zu schwanken oder ihr einige Sorgen zu geben; aber doch hatte sie ‰ngstlich ihre Arme um seinen Hals geschlungen.

Er hielt sie fest und dr¸ckte sie an sich.

Erst auf einem Rasenabhang liefl er sie nieder, nicht ohne Bewegung und Verwirrung.

Sie lag noch an seinem Halse; er schlofl sie aufs neue in seine Arme und dr¸ckte einen lebhaften Kufl auf ihre Lippen; aber auch im Augenblick lag er zu ihrem F¸flen, dr¸ckte seinen Mund auf ihre Hand und rief: “Charlotte, werden Sie mir vergeben?” Der Kufl, den der Freund gewagt, den sie ihm beinahe zur¸ckgegeben, brachte Charlotten wieder zu sich selbst.

Sie dr¸ckte seine Hand, aber sie hob ihn nicht auf.

Doch indem sie sich zu ihm hinunterneigte und eine Hand auf seine Schultern legte, rief sie aus: “dafl dieser Augenblick in unserm Leben Epoche mache, kˆnnen wir nicht verhindern; aber dafl sie unser wert sei, h‰ngt von uns ab.

Sie m¸ssen scheiden, lieber Freund, und Sie werden scheiden. Der Graf macht Anstalt, Ihr Schicksal zu verbessern; es freut und schmerzt mich.

Ich wollte es verschweigen, bis es gewifl w‰re; der Augenblick nˆtigt mich, dies Geheimnis zu entdecken.

Nur insofern kann ich Ihnen, kann ich mir verzeihen, wenn wir den Mut haben, unsre Lage zu ‰ndern, da es von uns nicht abh‰ngt, unsre Gesinnung zu ‰ndern”.

Sie hub ihn auf und ergriff seinen Arm, um sich darauf zu st¸tzen, und so kamen sie stillschweigend nach dem Schlosse.

Nun aber stand sie in ihrem Schlafzimmer, wo sie sich als Gattin Eduards empfinden und betrachten muflte.

Ihr kam bei diesen Widerspr¸chen ihr t¸chtiger und durchs Leben mannigfaltig ge¸bter Charakter zu H¸lfe.

Immer gewohnt, sich ihrer selbst bewuflt zu sein, sich selbst zu gebieten, ward es ihr auch jetzt nicht schwer, durch ernste Betrachtung sich dem erw¸nschten Gleichgewichte zu n‰hern; ja sie muflte ¸ber sich selbst l‰cheln, indem sie des wunderlichen Nachtbesuches gedachte.

Doch schnell ergriff sie eine seltsame Ahnung, ein freudig b‰ngliches Erzittern, das in fromme W¸nsche und Hoffnungen sich auflˆste. Ger¸hrt kniete sie nieder, sie wiederholte den Schwur, den sie Eduarden vor dem Altar getan.

Freundschaft, Neigung, Entsagen gingen vor ihr in heitern Bildern vor¸ber.

Sie f¸hlte sich innerlich wiederhergestellt.

Bald ergreift sie eine s¸fle M¸digkeit und ruhig schl‰ft sie ein.

Eduard von seiner Seite ist in einer ganz verschiedenen Stimmung.

Zu schlafen denkt er so wenig, dafl es ihm nicht einmal einf‰llt, sich auszuziehen.

Die Abschrift des Dokuments k¸flte er tausendmal, den Anfang von Ottiliens kindlich sch¸chterner Hand; das Ende wagt er kaum zu k¸ssen, weil er seine eigene Hand zu sehen glaubt.

‘O, dafl es ein andres Dokument w‰re!’ sagt er sich im stillen; und doch ist es ihm auch schon die schˆnste Versicherung, dafl sein hˆchster Wunsch erf¸llt sei.

Bleibt es ja doch in seinen H‰nden!

Und wird er es nicht immerfort an sein Herz dr¸cken, obgleich entstellt durch die Unterschrift eines Dritten?

Der abnehmende Mond steigt ¸ber den Wald hervor.

Die warme Nacht lockt ins Freie; er schweift umher, er ist der unruhigste und der gl¸cklichste aller Sterblichen.

Er wandelt durch die G‰rten; sie sind ihm zu enge; er eilt auf das Feld, und es wird ihm zu weit.

Nach dem Schlosse zieht es ihn zur¸ck; er findet sich unter Ottiliens Fenstern.

Dort setzt er sich auf eine Terrassentreppe.

‘Mauern und Riegel’, sagt er zu sich selbst, ‘trennen uns jetzt, aber unsre Herzen sind nicht getrennt.

St¸nde sie vor mir, in meine Arme w¸rde sie fallen, ich in die ihrigen, und was bedarf es weiter als diese Gewiflheit!’

Alles war still um ihn her, kein L¸ftchen regte sich; so still wars, dafl er das w¸hlende Arbeiten emsiger Tiere unter der Erde vernehmen konnte, denen Tag und Nacht gleich sind.

Er hing ganz seinen gl¸cklichen Tr‰umen nach, schlief endlich ein und erwachte nicht eher wieder, als bis die Sonne mit herrlichem Blick heraufstieg und die fr¸hsten Nebel gew‰ltigte.

Nun fand er sich den ersten Wachenden in seinen Besitzungen.

Die Arbeiter schienen ihm zu lange auszubleiben.

Sie kamen; es schienen ihm ihrer zu wenig und die vorgesetzte Tagesarbeit f¸r seine W¸nsche zu gering.

Er fragte nach mehreren Arbeitern; man versprach sie und stellte sie im Laufe des Tages.

Aber auch diese sind ihm nicht genug, um seine Vors‰tze schleunig ausgef¸hrt zu sehen.

Das Schaffen macht ihm keine Freude mehr; es soll schon alles fertig sein, und f¸r wen?

Die Wege sollen gebahnt sein, damit Ottilie bequem sie gehen, die Sitze schon an Ort und Stelle, damit Ottilie dort ruhen kˆnne.

Auch an dem neuen Hause treibt er, was er kann; es soll an Ottiliens Geburtstage gerichtet werden.

In Eduards Gesinnungen wie in seinen Handlungen ist kein Mafl mehr.

Das Bewufltsein, zu lieben und geliebt zu werden, treibt ihn ins Unendliche.

Wie ver‰ndert ist ihm die Ansicht von allen Zimmern, von allen Umgebungen!

Er findet sich in seinem eigenen Hause nicht mehr.

Ottiliens Gegenwart verschlingt ihm alles; er ist ganz in ihr versunken, keine andre Betrachtung steigt vor ihm auf, kein Gewissen spricht ihm zu; alles, was in seiner Natur geb‰ndigt war, bricht los, sein ganzes Wesen strˆmt gegen Ottilien.

Der Hauptmann beobachtet dieses leidenschaftliche Treiben und w¸nscht den traurigen Folgen zuvorzukommen.

Alle diese Anlagen, die jetzt mit einem einseitigen Triebe, ¸berm‰flig gefˆrdert werden, hatte er auf ein ruhig freundliches Zusammenleben berechnet.

Der Verkauf des Vorwerks war durch ihn zustande gebracht, die erste Zahlung geschehen, Charlotte hatte sie der Abrede nach in ihre Kasse genommen.

Aber sie mufl gleich in der ersten Woche Ernst und Geduld und Ordnung mehr als sonst ¸ben und im Auge haben; denn nach der ¸bereilten Weise wird das Ausgesetzte nicht lange reichen.

Es war viel angefangen und viel zu tun.

Wie soll er Charlotten in dieser Lage lassen!

Sie beraten sich und kommen ¸berein, man wolle die planm‰fligen Arbeiten lieber selbst beschleunigen, zu dem Ende Gelder aufnehmen und zu deren Abtragung die Zahlungstermine anweisen, die vom Vorwerksverkauf zur¸ckgeblieben waren.

Es liefl sich fast ohne Verlust durch Zession der Gerechtsame tun; man hatte freiere Hand; man leistete, da alles im Gange, Arbeiter genug vorhanden waren, mehr auf einmal und gelangte gewifl und bald zum Zweck.

Eduard stimmte gern bei, weil es mit seinen Absichten ¸bereintraf.

Im innern Herzen beharrt indessen Charlotte bei dem, was sie bedacht und sich vorgesetzt, und m‰nnlich steht ihr der Freund mit gleichem Sinn zur Seite.

Aber eben dadurch wird ihre Vertraulichkeit nur vermehrt.

Sie erkl‰ren sich wechselseitig ¸ber Eduards Leidenschaft, sie beraten sich dar¸ber.

Charotte schlieflt Ottilien n‰her an sich, beobachtet sie strenger, und je mehr sie ihr eigen Herz gewahr worden, desto tiefer blickt sie in das Herz des M‰dchens.

Sie sieht keine Rettung, als sie mufl das Kind entfernen.

Nun scheint es ihr eine gl¸ckliche F¸gung, dafl Luciane ein so ausgezeichnetes Lob in der Pension erhalten; denn die Grofltante, davon unterrichtet, will sie nun ein f¸r allemal zu sich nehmen, sie um sich haben, sie in die Welt einf¸hren.

Ottilie konnte in die Pension zur¸ckkehren, der Hauptmann entfernte sich wohlversorgt; und alles stand wie vor wenigen Monaten, ja um so viel besser.

Ihr eigenes Verh‰ltnis hoffte Charlotte zu Eduard bald wiederherzustellen, und sie legte das alles so verst‰ndig bei sich zurecht, dafl sie sich nur immer mehr in dem Wahn best‰rkte: in einen fr¸hern, beschr‰nktern Zustand kˆnne man zur¸ckkehren, ein gewaltsam Entbundenes lasse sich wieder ins Enge bringen.

Eduard empfand indessen die Hindernisse sehr hoch, die man ihm in den Weg legte.

Er bemerkte gar bald, dafl man ihn und Ottilien auseinanderhielt, dafl man ihm erschwerte, sie allein zu sprechen, ja sich ihr zu n‰hern, aufler in Gegenwart von mehreren; und indem er hier¸ber verdriefllich war, ward er es ¸ber manches andere.

Konnte er Ottilien fl¸chtig sprechen, so war es nicht nur, sie seiner Liebe zu versichern, sondern sich auch ¸ber seine Gattin, ¸ber den Hauptmann zu beschweren.

Er f¸hlte nicht, dafl er selbst durch sein heftiges Treiben die Kasse zu erschˆpfen auf dem Wege war; er tadelte bitter Charlotten und den Hauptmann, dafl sie bei dem Gesch‰ft gegen die erste Abrede handelten, und doch hatte er in die zweite Abrede gewilligt, ja er hatte sie selbst veranlaflt und notwendig gemacht.

Der Hafl ist parteiisch, aber die Liebe ist es noch mehr.

Auch Ottilie entfremdete sich einigermaflen von Charlotten und dem Hauptmann.

Als Eduard sich einst gegen Ottilien ¸ber den letztern beklagte, dafl er als Freund und in einem solchen Verh‰ltnisse nicht ganz aufrichtig handle, versetzte Ottilie unbedachtsam: “es hat mir schon fr¸her miflfallen, dafl er nicht ganz redlich gegen Sie ist.

Ich hˆrte ihn einmal zu Charlotten sagen: ‘wenn uns nur Eduard mit seiner Flˆtendudelei verschonte!

Es kann daraus nichts werden und ist f¸r die Zuhˆrer so l‰stig.’

Sie kˆnnen denken, wie mich das geschmerzt hat, da ich Sie so gern akkompagniere”.

Kaum hatte sie es gesagt, als ihr schon der Geist zufl¸sterte, dafl sie h‰tte schweigen sollen; aber es war heraus.

Eduards Gesichtsz¸ge verwandelten sich.

Nie hatte ihn etwas mehr verdrossen; er war in seinen liebsten Forderungen angegriffen, er war sich eines kindlichen Strebens ohne die mindeste Anmaflung bewuflt.

Was ihn unterhielt, was ihn erfreute, sollte doch mit Schonung von Freuden behandelt werden.

Er dachte nicht, wie schrecklich es f¸r einen Dritten sei, sich die Ohren durch ein unzul‰ngliches Talent verletzen zu lassen.

Er war beleidigt, w¸tend, um nicht wieder zu vergeben.

Er f¸hlte sich von allen Pflichten losgesprochen.

Die Notwendigkeit, mit Ottilien zu sein, sie zu sehen, ihr etwas zuzufl¸stern, ihr zu vertrauen, wuchs mit jedem Tage.

Er entschlofl sich, ihr zu schreiben, sie um einen geheimen Briefwechsel zu bitten.

Das Streifchen Papier, worauf er dies lakonisch genug getan hatte, lag auf dem Schreibtisch und ward vom Zugwind heruntergef¸hrt, als der Kammerdiener hereintrat, ihm die Haare zu kr‰useln.

Gewˆhnlich, um die Hitze des Eisens zu versuchen, b¸ckte sich dieser nach Papierschnitzeln auf der Erde; diesmal ergriff er das Billet, zwickte es eilig, und es war versengt.

Eduard, den Miflgriff bemerkend, rifl es ihm aus der Hand.

Bald darauf setzte er sich hin, es noch einmal zu schreiben; es wollte nicht ganz so zum zweitenmal aus der Feder.

Er f¸hlte einiges Bedenken, einige Besorgnis, die er jedoch ¸berwand.

Ottilien wurde das Bl‰ttchen in die Hand gedr¸ckt, den ersten Augenblick, wo er sich ihr n‰hern konnte.

Ottilie vers‰umte nicht, ihm zu antworten.

Ungelesen steckte er das Zettelchen in die Weste, die, modisch kurz, es nicht gut verwahrte.

Es schob sich heraus und fiel, ohne von ihm bemerkt zu werden, auf den Boden.

Charlotte sah es und hob es auf und reichte es ihm mit einem fl¸chtigen ¸berblick.

“Hier ist etwas von deiner Hand”, sagte sie, “das du vielleicht ungern verlˆrest”.

Er war betroffen.

‘Verstellt sie sich?’ dachte er.

‘Ist sie den Inhalt des Bl‰ttchens gewahr worden, oder irrt sie sich an der ‰hnlichkeit der H‰nde?’ Er hoffte, er dachte das letztre.

Er war gewarnt, doppelt gewarnt; aber diese sonderbaren, zuf‰lligen Zeichen, durch die ein hˆheres Wesen mit uns zu sprechen scheint, waren seiner Leidenschaft unverst‰ndlich; vielmehr, indem sie ihn immer weiter f¸hrte, empfand er die Beschr‰nkung, in der man ihn zu halten schien, immer unangenehmer.

Die freundliche Geselligkeit verlor sich.

Sein Herz war verschlossen, und wenn er mit Eduard und Frau zusammenzusein genˆtigt war, so gelang es ihm nicht, seine fr¸here Neigung zu ihnen in seinem Busen wieder aufzufinden, zu beleben.

Der stille Vorwurf, den er sich selbst hier¸ber machen muflte, war ihm unbequem, und er suchte sich durch eine Art von Humor zu helfen, der aber, weil er ohne Liebe war, auch der gewohnten Anmut ermangelte. ¸ber alle diese Pr¸fungen half Charlotten ihr inneres Gef¸hl hinweg.

Sie war sich ihres ernsten Vorsatzes bewuflt, auf eine so schˆne, edle Neigung Verzicht zu tun.

Wie sehr w¸nschte sie, jenen beiden auch zu H¸lfe zu kommen!

Entfernung, f¸hlte sie wohl, wird nicht allein hinreichend sein, ein solches ¸bel zu heilen.

Sie nimmt sich vor, die Sache gegen das gute Kind zur Sprache zu bringen; aber sie vermag es nicht; die Erinnerung ihres eignen Schwankens steht ihr im Wege.

Sie sucht sich dar¸ber im allgemeinen auszudr¸cken; das Allgemeine paflt auch auf ihren eignen Zustand, den sie auszusprechen scheut.

Ein jeder Wink, den sie Ottilien geben will, deutet zur¸ck in ihr eignes Herz.

Sie will warnen und f¸hlt, dafl sie wohl selbst noch einer Warnung bed¸rfen kˆnnte.

Schweigend h‰lt sie daher die Liebenden noch immer auseinander, und die Sache wird dadurch nicht besser.

Leise Andeutungen, die ihr manchmal entschl¸pfen, wirken auf Ottilien nicht; denn Eduard hatte diese von Charlottens Neigung zum Hauptmann ¸berzeugt, sie ¸berzeugt, dafl Charlotte selbst eine Scheidung w¸nsche, die er nun auf eine anst‰ndige Weise zu bewirken denke.

Ottilie, getragen durch das Gef¸hl ihrer Unschuld, auf dem Wege zu dem erw¸nschtesten Gl¸ck, lebt nur f¸r Eduard.

Durch die Liebe zu ihm in allem Guten gest‰rkt, um seinetwillen freudiger in ihrem Tun, aufgeschlossener gegen andre, findet sie sich in einem Himmel auf Erden.

So setzen alle zusammen, jeder auf seine Weise, das t‰gliche Leben fort, mit und ohne Nachdenken; alles scheint seinen gewˆhnlichen Gang zu gehen, wie man auch in ungeheuren F‰llen, wo alles auf dem Spiele steht, noch immer so fortlebt, als wenn von nichts die Rede w‰re.

Von dem Grafen war indessen ein Brief an den Hauptmann angekommen, und zwar ein doppelter, einer zum Vorzeigen, der sehr schˆne Aussichten in die Ferne darwies; der andre hingegen, der ein entschiedenes Anerbieten f¸r die Gegenwart enthielt, eine bedeutende Hof–und Gesch‰ftsstelle, den Charakter als Major, ansehnlichen Gehalt und andre Vorteile, sollte wegen verschiedener Nebenumst‰nde noch geheimgehalten werden.

Auch unterrichtete der Hauptmann seine Freunde nur von jenen Hoffnungen und verbarg, was so nahe bevorstand.

Indessen setzte er die gegenw‰rtigen Gesch‰fte lebhaft fort und machte in der Stille Einrichtungen, wie alles in seiner Abwesenheit ungehinderten Fortgang haben kˆnnte.

Es ist ihm nun selbst daran gelegen, dafl f¸r manches ein Termin bestimmt werde, dafl Ottiliens Geburtstag manches beschleunige.

Nun wirken die beiden Freunde, obschon ohne ausdr¸ckliches Einverst‰ndnis, gern zusammen.

Eduard ist nun recht zufrieden, dafl man durch das Vorauserheben der Gelder die Kasse verst‰rkt hat; die ganze Anstalt r¸ckt auf das rascheste vorw‰rts.

Die drei Teiche in einen See zu verwandeln, h‰tte jetzt der Hauptmann am liebsten ganz widerraten.

Der untere Damm war zu verst‰rken, die mittlern abzutragen und die ganze Sache in mehr als einem Sinne wichtig und bedenklich.

Beide Arbeiten aber, wie sie ineinanderwirken konnten, waren schon angefangen, und hier kam ein junger Architekt, ein ehemaliger Zˆgling des Hauptmanns, sehr erw¸nscht, der teils mit Anstellung t¸chtiger Meister, teils mit Verdingen der Arbeit, wo sichs tun liefl, die Sache fˆrderte und dem Werke Sicherheit und Dauer versprach; wobei sich der Hauptmann im stillen freute, dafl man seine Entfernung nicht f¸hlen w¸rde.

Denn er hatte den Grundsatz, aus einem ¸bernommenen unvollendeten Gesch‰ft nicht zu scheiden, bis er seine Stelle genugsam ersetzt s‰he.

Ja er verachtete diejenigen, die, um ihren Abgang f¸hlbar zu machen, erst noch Verwirrung in ihrem Kreise anrichten, indem sie als ungebildete Selbstler das zu zerstˆren w¸nschen, wobei sie nicht mehr fortwirken sollen.

So arbeitete man immer mit Anstrengung, um Ottiliens Geburtstag zu verherrlichen, ohne dafl man es aussprach oder sichs recht aufrichtig bekannte.

Nach Charlottens obgleich neidlosen Gesinnungen konnte es doch kein entschiedenes Fest werden.

Die Jugend Ottiliens, ihre Gl¸cksumst‰nde, das Verh‰ltnis zur Familie berechtigten sie nicht, als Kˆnigin eines Tages zu erscheinen. Und Eduard wollte nicht davon gesprochen haben, weil alles wie von selbst entspringen, ¸berraschen und nat¸rlich erfreuen sollte.

Alle kamen daher stillschweigend in dem Vorwande ¸berein, als wenn an diesem Tage, ohne weitere Beziehung, jenes Lusthaus gerichtet werden sollte, und bei diesem Anlafl konnte man dem Volke sowie den Freunden ein Fest ank¸ndigen.

Eduards Neigung war aber grenzenlos.

Wie er sich Ottilien zuzueignen begehrte, so kannte er auch kein Mafl des Hingebens, Schenkens, Versprechens.

Zu einigen Gaben, die er Ottilien an diesem Tage verehren wollte, hatte ihm Charlotte viel zu ‰rmliche Vorschl‰ge getan.

Er sprach mit seinem Kammerdiener, der seine Garderobe besorgte und mit Handelsleuten und Modeh‰ndlern in best‰ndigem Verh‰ltnis blieb; dieser, nicht unbekannt sowohl mit den angenehmsten Gaben selbst als mit der besten Art, sie zu ¸berreichen, bestellte sogleich in der Stadt den niedlichsten Koffer, mit rotem Saffian ¸berzogen, mit Stahln‰geln beschlagen und angef¸llt mit Geschenken, einer solchen Schale w¸rdig.

Noch einen andern Vorschlag tat er Eduarden.

Es war ein kleines Feuerwerk vorhanden, das man immer abzubrennen vers‰umt hatte.

Dies konnte man leicht verst‰rken und erweitern.

Eduard ergriff den Gedanken, und jener versprach, f¸r die Ausf¸hrung zu sorgen.

Die Sache sollte ein Geheimnis bleiben.

Der Hauptmann hatte unterdessen, je n‰her der Tag heranr¸ckte, seine polizeilichen Einrichtungen getroffen, die er f¸r so nˆtig hielt, wenn eine Masse Menschen zusammenberufen oder -gelockt wird. Ja sogar hatte er wegen des Bettelns und andrer Unbequemlichkeiten, wodurch die Anmut eines Festes gestˆrt wird, durchaus Vorsorge genommen.

Eduard und sein Vertrauter dagegen besch‰ftigten sich vorz¸glich mit dem Feuerwerk.

Am mittelsten Teiche vor jenen groflen Eichb‰umen sollte es abgebrannt werden; gegen¸ber unter den Platanen sollte die Gesellschaft sich aufhalten, um die Wirkung aus gehˆriger Ferne, die Abspiegelung im Wasser, und was auf dem Wasser selbst brennend zu schwimmen bestimmt war, mit Sicherheit und Bequemlichkeit anzuschauen.

Unter einem andern Vorwand liefl daher Eduard den Raum unter den Platanen von Gestr‰uch, Gras und Moos s‰ubern, und nun erschien erst die Herrlichkeit des Baumwuchses sowohl an Hˆhe als Breite auf dem gereinigten Boden.

Eduard empfand dar¸ber die grˆflte Freude.

‘Es war ungef‰hr um diese Jahrszeit, als ich sie pflanzte. Wie lange mag es her sein?’ sagte er zu sich selbst.

Sobald er nach Hause kam, schlug er in alten Tageb¸chern nach, die sein Vater, besonders auf dem Lande, sehr ordentlich gef¸hrt hatte.

Zwar diese Pflanzung konnte nicht darin erw‰hnt sein, aber eine andre h‰uslich wichtige Begebenheit an demselben Tage, deren sich Eduard noch wohl erinnerte, muflte notwendig darin angemerkt stehen.

Er durchbl‰ttert einige B‰nde, der Umstand findet sich.

Aber wie erstaunt, wie erfreut ist Eduard, als er das wunderbarste Zusammentreffen bemerkt!

Der Tag, das Jahr jener Baumpflanzung ist zugleich der Tag, das Jahr von Ottiliens Geburt.

Endlich leuchtete Eduarden der sehnlich erwartete Morgen, und nach und nach stellten viele G‰ste sich ein; denn man hatte die Einladungen weit umhergeschickt, und manche, die das Legen des Grundsteins vers‰umt hatten, wovon man soviel Artiges erz‰hlte, wollten diese zweite Feierlichkeit um so weniger verfehlen.

Vor Tafel erschienen die Zimmerleute mit Musik im Schloflhofe, ihren reichen Kranz tragend, der aus vielen stufenweise ¸bereinander schwankenden Laub–und Blumenreifen zusammengesetzt war.

Sie sprachen ihren Grufl und erbaten sich zur gewˆhnlichen Ausschm¸ckung seidene T¸cher und B‰nder von dem schˆnen Geschlecht.

Indes die Herrschaft speiste, setzten sie ihren jauchzenden Zug weiter fort, und nachdem sie sich eine Zeitlang im Dorfe aufgehalten und daselbst Frauen und M‰dchen gleichfalls um manches Band gebracht, so kamen sie endlich, begleitet und erwartet von einer groflen Menge, auf die Hˆhe, wo das gerichtete Haus stand.

Charlotte hielt nach der Tafel die Gesellschaft einigermaflen zur¸ck.

Sie wollte keinen feierlichen, fˆrmlichen Zug, und man fand Sich daher in einzelnen Partieen, ohne Rang und Ordnung, auf dem Platz gem‰chlich ein.

Charlotte zˆgerte mit Ottilien und machte dadurch die Sache nicht besser; denn weil Ottilie wirklich die letzte war, die herantrat, so schien es, als wenn Trompeten und Pauken nur auf sie gewartet h‰tten, als wenn die Feierlichkeit bei ihrer Ankunft nun gleich beginnen m¸flte.

Dem Hause das rohe Ansehn zu nehmen, hatte man es mit gr¸nem Reisig und Blumen, nach Angabe des Hauptmanns, architektonisch ausgeschm¸ckt; allein ohne dessen Mitwissen hatte Eduard den Architekten veranlaflt, in dem Gesims das Datum mit Blumen zu bezeichnen.

Das mochte noch hingehen; allein zeitig genug langte der Hauptmann an, um zu verhindern, dafl nicht auch der Name Ottiliens im Giebelfelde gl‰nzte.

Er wuflte dieses Beginnen auf eine geschickte Weise abzulehnen und die schon fertigen Blumenbuchstaben beiseitezubringen.

Der Kranz war aufgesteckt und weit umher in der Gegend sichtbar.

Bunt flatterten die B‰nder und T¸cher in der Luft, und eine kurze Rede verscholl zum grˆflten Teil im Winde.

Die Feierlichkeit war zu Ende, der Tanz auf dem geebneten und mit Lauben umkreiseten Platze vor dem Geb‰ude sollte nun angehen.

Ein schmucker Zimmergeselle f¸hrte Eduarden ein flinkes Bauerm‰dchen zu und forderte Ottilien auf, welche danebenstand.

Die beiden Paare fanden sogleich ihre Nachfolger, und bald genug wechselte Eduard, indem er Ottilien ergriff und mit ihr die Runde machte.

Die j¸ngere Gesellschaft mischte sich frˆhlich in den Tanz des Volks, indes die ‰ltern beobachteten.

Sodann, ehe man sich auf den Spazierg‰ngen zerstreute, ward abgeredet, dafl man sich mit Untergang der Sonne bei den Platanen wieder versammeln wollte.

Eduard fand sich zuerst ein, ordnete alles und nahm Abrede mit dem Kammerdiener, der auf der andern Seite in Gesellschaft des Feuerwerkers die Lusterscheinungen zu besorgen hatte.

Der Hauptmann bemerkte die dazu getroffenen Vorrichtungen nicht mit Vergn¸gen; er wollte wegen des zu erwartenden Andrangs der Zuschauer mit Eduard sprechen, als ihn derselbe etwas hastig bat, er mˆge ihm diesen Teil der Feierlichkeit doch allein ¸berlassen.

Schon hatte sich das Volk auf die oberw‰rts abgestochenen und vom Rasen entblˆflten D‰mme gedr‰ngt, wo das Erdreich uneben und unsicher war.

Die Sonne ging unter, die D‰mmerung trat ein, und in Erwartung grˆflerer Dunkelheit wurde die Gesellschaft unter den Platanen mit Erfrischungen bedient.

Man fand den Ort unvergleichlich und freute sich in Gedanken, k¸nftig von hier die Aussicht auf einen weiten und so mannigfaltig begrenzten See zu genieflen.

Ein ruhiger Abend, eine vollkommene Windstille versprachen das n‰chtliche Fest zu beg¸nstigen, als auf einmal ein entsetzliches Geschrei entstand.

Grofle Schollen hatten sich vom Damme losgetrennt, man sah mehrere Menschen ins Wasser st¸rzen.

Das Erdreich hatte nachgegeben unter dem Dr‰ngen und Treten der immer zunehmenden Menge.

Jeder wollte den besten Platz haben, und nun konnte niemand vorw‰rts noch zur¸ck.

Jedermann sprang auf und hinzu, mehr um zu schauen als zu tun; denn was war da zu tun, wo niemand hinreichen konnte.

Nebst einigen Entschlossenen eilte der Hauptmann herbei, trieb sogleich die Menge von dem Damm herunter nach den Ufern, um den H¸lfreichen freie Hand zu geben, welche die Versinkenden herauszuziehen suchten.

Schon waren alle teils durch eignes, teils durch fremdes Bestreben wieder auf dem Trochnen, bis auf einen Knaben, der durch allzu ‰ngstliches Bem¸hen, statt sich dem Damm zu n‰hern, sich davon entfernt hatte.

Die Kr‰fte schienen ihn zu verlassen, nur einigemal kam noch eine Hand, ein Fufl in die Hˆhe.

Ungl¸cklicherweise war der Kahn auf der andern Seite, mit Feuerwerk gef¸llt, nur langsam konnte man ihn ausladen, und die H¸lfe verzˆgerte sich.

Des Hauptmanns Entschlufl war gefaflt, er warf die Oberkleider weg, aller Augen richteten sich auf ihn, und seine t¸chtige, kr‰ftige Gestalt flˆflte jedermann Zutrauen ein; aber ein Schrei der ¸berraschung drang aus der Menge hervor, als er sich ins Wasser st¸rzte, jedes Auge begleitete ihn, der als geschickter Schwimmer den Knaben bald erreichte und ihn, jedoch f¸r tot, an den Damm brachte.

Indessen ruderte der Kahn herbei, der Hauptmann bestieg ihn und forschte genau von den Anwesenden, ob denn auch wirklich alle gerettet seien.

Der Chirurgus kommt und ¸bernimmt den totgeglaubten Knaben; Charlotte tritt hinzu, sie bittet den Hauptmann, nur f¸r sich zu sorgen, nach dem Schlosse zur¸ckzukehren und die Kleider zu wechseln.

Er zaudert, bis ihm gesetzte, verst‰ndige Leute, die ganz nahe gegenw‰rtig gewesen, die selbst zur Rettung der einzelnen beigetragen, auf das heiligste versichern, dafl alle gerettet seien.

Charlotte sieht ihn nach Hause gehen, sie denkt, dafl Wein und Tee und was sonst nˆtig w‰re, verschlossen ist, dafl ein solchen F‰llen die Menschen gewˆhnlich verkehrt handeln; sie eilt durch die zerstreute Gesellschaft, die sich noch unter den Platanen befindet.

Eduard ist besch‰ftigt, jedermann zuzureden: man soll bleiben; in kurzem gedenkt er das Zeichen zu geben, und das Feuerwerk soll beginnen.

Charlotte tritt hinzu und bittet ihn, ein Vergn¸gen zu verschieben, das jetzt nicht am Platze sei, das in dem gegenw‰rtigen Augenblick nicht genossen werden kˆnne; sie erinnert ihn, was man dem Geretteten und dem Retter schuldig sei.

“Der Chirurgus wird schon seine Pflicht tun”, versetzte Eduard.

“Er ist mit allem versehen, und unser Zudringen w‰re nur eine hinderliche Teilnahme”.

Charlotte bestand auf ihrem Sinne und winkte Ottilien, die sich sogleich zum Weggehen anschickte.

Eduard ergriff ihre Hand und rief: “wir wollen diesen Tag nicht im Lazarett endigen!

Zur barmherzigen Schwester ist sie zu gut.

Auch ohne uns werden die Scheintoten erwachen und die Lebendigen sich abtrocknen”.

Charlotte schwieg und ging.

Einige folgten ihr, andere diesen; endlich wollte niemand der Letzte sein, und so folgten alle.

Eduard und Ottilie fanden sich allein unter den Platanen.

Er bestand darauf, zu bleiben, so dringend, so ‰ngstlich sie ihn auch bat, mit ihr nach dem Schlosse zur¸ckzukehren.

“Nein, Ottilie!” rief er, “das Auflerordentliche geschieht nicht auf glattem, gewˆhnlichem Wege.

Dieser ¸berraschende Vorfall von heute abend bringt uns schneller zusammen.

Du bist die Meine!

Ich habe dirs schon so oft gesagt und geschworen; wir wollen es nicht mehr sagen und schwˆren, nun soll es werden”.

Der Kahn von der andern Seite schwamm her¸ber.

Es war der Kammerdiener, der verlegen anfragte, was nunmehr mit dem Feuerwerk werden sollte.

“Brennt es ab!” rief er ihm entgegen.

“F¸r dich allein war es bestellt, Ottilie, und nun sollst du es auch allein sehen!

Erlaube mir, an deiner Seite sitzend, es mitzugenieflen”.

Z‰rtlich bescheiden setzte er sich neben sie, ohne sie zu ber¸hren.

Raketen rauschten auf, Kanonenschl‰ge donnerten, Leuchtkugeln stiegen, Schw‰rmer schl‰ngelten und platzten, R‰der gischten, jedes erst einzeln, dann gepaart, dann alle zusammen und immer gewaltsamer hintereinander und zusammen.

Eduard, dessen Busen brannte, verfolgte mit lebhaft zufriedenem Blick diese feurigen Erscheinungen.

Ottiliens zartem, aufgeregtem Gem¸t war dieses rauschende, blitzende Entstehen und Verschwinden eher ‰ngstlich als angenehm.

Sie lehnte sich sch¸chtern an Eduard, dem diese Ann‰herung, dieses Zutrauen das volle Gef¸hl gab, dafl sie ihm ganz angehˆre.

Die Nacht war kaum in ihre Rechte wieder eingetreten, als der Mond aufging und die Pfade der beiden R¸ckkehrenden beleuchtete.

Eine Figur, den Hut in der Hand, vertrat ihnen den Weg und sprach sie um ein Almosen an, da er an diesem Festlichen Tage vers‰umt worden sei.

Der Mond schien ihm ins Gesicht, und Eduard erkannte die Z¸ge jenes zudringlichen Bettlers.

Aber so gl¸cklich wie er war, konnte er nicht ungehalten sein, konnte es ihm nicht einfallen, dafl besonders f¸r heute das Betteln hˆchlich verpˆnt worden.

Er forschte nicht lange in der Tasche und gab ein Goldst¸ck hin.

Er h‰tte jeden gern gl¸cklich gemacht, da sein Gl¸ck ohne Grenzen schien.

Zu Hause war indes alles erw¸nscht gelungen.

Die T‰tigkeit des Chirurgen, die Bereitschaft alles Nˆtigen, der Beistand Charlottens, alles wirkte zusammen, und der Knabe ward wieder zum Leben hergestellt.

Die G‰ste zerstreuten sich, sowohl um noch etwas vom Feuerwerk aus der Ferne zu sehen, als auch um nach solchen verworrnen Szenen ihre ruhige Heimat wieder zu betreten.

Auch hatte der Hauptmann, geschwind umgekleidet, an der nˆtigen Vorsorge t‰tigen Anteil genommen; alles war beruhigt, und er fand sich mit Charlotten allein.

Mit zutraulicher Freundlichkeit erkl‰rte er nun, dafl seine Abreise nahe bevorstehe.

Sie hatte diesen Abend so viel erlebt, dafl diese Entdeckung wenig Eindruck auf sie machte; sie hatte gesehen, wie der Freund sich aufopferte, wie er rettete und selbst gerettet war.

Diese wunderbaren Ereignisse schienen ihr eine bedeutende Zukunft, aber keine ungl¸ckliche zu weissagen.

Eduarden, der mit Ottilien hereintrat, wurde die bevorstehende Abreise des Hauptmanns gleichfalls angek¸ndigt.

Er argwohnte, dafl Charlotte fr¸her um das N‰here gewuflt habe, war aber viel zu sehr mit sich und seinen Absichten besch‰ftigt, als dafl er es h‰tte ¸bel empfinden sollen.

Im Gegenteil vernahm er aufmerksam und zufrieden die gute und ehrenvolle Lage, in die der Hauptmann versetzt werden sollte.

Unb‰ndig drangen seine geheimen W¸nsche den Begebenheiten vor. Schon sah er jenen mit Charlotten verbunden, sich mit Ottilien.

Man h‰tte ihm zu diesem Fest kein grˆfleres Geschenk machen kˆnnen.

Aber wie erstaunt war Ottilie, als sie auf ihr Zimmer trat und den kˆstlichen kleinen Koffer auf ihrem Tische fand!

Sie s‰umte nicht, ihn zu erˆffnen.

Da zeigte sich alles so schˆn gepackt und geordnet, dafl sie es nicht auseinanderzunehmen, ja kaum zu l¸ften wagte.

Musselin, Batist, Seide, Schals und Spitzen wetteiferten an Feinheit, Zierlichkeit und Kostbarkeit.

Auch war der Schmuck nicht vergessen.

Sie begriff wohl die Absicht, sie mehr als einmal vom Kopf bis auf den Fufl zu kleiden; es war aber alles so kostbar und fremd, dafl sie sichs in Gedanken nicht zuzueignen getraute.

Des andern Morgens war der Hauptmann verschwunden und ein dankbar gef¸hltes Blatt an die Freunde von ihm zur¸ckgeblieben.

Er und Charlotte hatten abends vorher schon halben und einsilbigen Abschied genommen.

Sie empfand eine ewige Trennung und ergab sich darein; denn in dem zweiten Briefe des Grafen, den ihr der Hauptmann zuletzt mitteilte, war auch von einer Aussicht auf eine vorteilhafte Heirat die Rede, und obgleich er diesem Punkt keine Aufmerksamkeit schenkte, so hielt sie doch die Sache schon f¸r gewifl und entsagte ihm rein und vˆllig.

Dagegen glaubte sie nun auch die Gewalt, die sie ¸ber sich selbst ausge¸bt, von andern fordern zu kˆnnen.

Ihr war es nicht unmˆglich gewesen, andern sollte das gleiche mˆglich sein.

In diesem Sinne begann sie das Gespr‰ch mit ihrem Gemahl, um so mehr offen und zuversichtlich, als sie empfand, dafl die Sache ein f¸r allemal abgetan werden m¸sse.

“Unser Freund hat uns verlassen”, sagte sie; “wir sind nun wieder gegeneinander ¸ber wie vormals, und es k‰me nun wohl auf uns an, ob wir wieder vˆllig in den alten Zustand zur¸ckkehren wollten”.

Eduard, der nichts vernahm, als was seiner Leidenschaft schmeichelte, glaubte, dafl Charlotte durch diese Worte den fr¸heren Witwenstand bezeichnen und, obgleich auf unbestimmte Weise, zu einer Scheidung Hoffnung machen wolle.

Er antwortete deshalb mit L‰cheln: “warum nicht?

Es k‰me nur darauf an, dafl man sich verst‰ndigte”.

Er fand sich daher gar sehr betrogen, als Charlotte versetzte: “auch Ottilien in eine andere Lage zu bringen, haben wir gegenw‰rtig nur zu w‰hlen; denn es findet sich eine doppelte Gelegenheit, ihr Verh‰ltnisse zu geben, die f¸r sie w¸nschenswert sind.

Sie kann in die Pension zur¸ckkehren, da meine Tochter zur Grofltante gezogen ist; sie kann in ein angesehenes Haus aufgenommen werden, um mit einer einzigen Tochter alle Vorteile einer standesm‰fligen Erziehung zu genieflen”.

“Indessen”, versetzte Eduard ziemlich gefaflt, “hat Ottilie sich in unserer freundlichen Gesellschaft so verwˆhnt, dafl ihr eine andere wohl schwerlich willkommen sein mˆchte”.

“Wir haben uns alle verwˆhnt”, sagte Charlotte, “und du nicht zum letzten.

Indessen ist es eine Epoche, die uns zur Besinnung auffordert, die uns ernstlich ermahnt, an das Beste s‰mtlicher Mitglieder unseres kleinen Zirkels zu denken und auch irgendeine Aufopferung nicht zu versagen”.

“Wenigstens finde ich es nicht billig”, versetzte Eduard, “dafl Ottilie aufgeopfert werde, und das gesch‰he doch, wenn man sie gegenw‰rtig unter fremde Menschen hinunterstiefle.

Den Hauptmann hat sein gutes Geschick hier aufgesucht; wir d¸rfen ihn mit Ruhe, ja mit Behagen von uns wegscheiden lassen.

Wer weifl, was Ottilien bevorsteht; warum sollten wir uns ¸bereilen?” “Was uns bevorsteht, ist ziemlich klar”, versetzte Charlotte mit einiger Bewegung, und da sie die Absicht hatte, ein f¸r allemal sich auszusprechen, fuhr sie fort: “du liebst Ottilien, du gewˆhnst dich an sie.

Neigung und Leidenschaft entspringt und n‰hrt sich auch von ihrer Seite.

Warum sollen wir nicht mit Worten aussprechen, was uns jede Stunde gesteht und bekennt?

Sollen wir nicht soviel Vorsicht haben, uns zu fragen, was das werden wird?” “Wenn man auch sogleich nicht darauf antworten kann”, versetzte Eduard, der sich zusammennahm, “so l‰flt sich doch soviel sagen, dafl man eben alsdann sich am ersten entschlieflt abzuwarten, was uns die Zukunft lehren wird, wenn man gerade nicht sagen kann, was aus einer Sache werden soll”.

“Hier vorauszusehen”, versetzte Charlotte, “bedarf es wohl keiner groflen Weisheit, und soviel l‰flt sich auf alle F‰lle gleich sagen, dafl wir beide nicht mehr jung genug sind, um blindlings dahin zu gehen, wohin man nicht mˆchte oder nicht sollte.

Niemand kann mehr f¸r uns sorgen; wir m¸ssen unsre eigenen Freunde sein, unsre eigenen Hofmeister.

Niemand erwartet von uns, dafl wir uns in ein ‰uflerstes verlieren werden, niemand erwartet, uns tadelnswert oder gar l‰cherlich zu finden”.

“Kannst du mirs verdenken”, versetzte Eduard, der die offne, reine Sprache seiner Gattin nicht zu erwidern vermochte, “kannst du mich schelten, wenn mir Ottiliens Gl¸ck am Herzen liegt?

Und nicht etwa ein k¸nftiges, das immer nicht zu berechnen ist, sondern ein gegenw‰rtiges?

Denke dir aufrichtig und ohne Selbstbetrug Ottilien aus unserer Gesellschaft gerissen und fremden Menschen untergeben–ich wenigstens f¸hle mich nicht grausam genug, ihr eine solche Ver‰nderung zuzumuten”.

Charlotte ward gar wohl die Entschlossenheit ihres Gemahls hinter seiner Verstellung gewahr.

Erst jetzt f¸hlte sie, wie weit er sich von ihr entfernt hatte.

Mit einiger Bewegung rief sie aus: “kann Ottilie gl¸cklich sein, wenn sie uns entzweit, wenn sie mir einen Gatten, seinen Kindern einen Vater entreiflt?” “F¸r unsere Kinder, d‰chte ich, w‰re gesorgt”, sagte Eduard l‰chelnd und kalt; etwas freundlicher aber f¸gte er hinzu: “wer wird auch gleich das ‰uflerste denken!” “Das ‰uflerste liegt der Leidenschaft zu allern‰chst”, bemerkte Charlotte.

“Lehne, solange es noch Zeit ist, den guten Rat nicht ab, nicht die H¸lfe, die ich uns biete.

In tr¸ben F‰llen mufl derjenige wirken und helfen, der am klarsten sieht.

Diesmal bin ichs.

Lieber, liebster Eduard, lafl mich gew‰hren!

Kannst du mir zumuten, dafl ich auf mein wohlerworbenes Gl¸ck, auf die schˆnsten Rechte, auf dich so geradehin Verzicht leisten soll?” “Wer sagt das?” versetzte Eduard mit einiger Verlegenheit.

“Du selbst”, versetzte Charlotte; “indem du Ottilien in der N‰he behalten willst, gestehst du nicht alles zu, was daraus entspringen mufl?

Ich will nicht in dich dringen; aber wenn du dich nicht ¸berwinden kannst, so wirst du wenigstens dich nicht lange mehr betriegen kˆnnen”.

Eduard f¸hlte, wie recht sie hatte.

Ein ausgesprochenes Wort ist f¸rchterlich, wenn es das auf einmal ausspricht, was das Herz lange sich erlaubt hat; und um nur f¸r den Augenblick auszuweichen, erwiderte Eduard: “es ist mir ja noch nicht einmal klar, was du vorhast”.

“Meine Absicht war”, versetzte Charlotte, “mit dir die beiden Vorschl‰ge zu ¸berlegen.

Beide haben viel Gutes.

Die Pension w¸rde Ottilien am gem‰flesten sein, wenn ich betrachte, wie das Kind jetzt ist.

Jene grˆflere und weitere Lage verspricht aber mehr, wenn ich bedenke, was sie werden soll”.

Sie legte darauf umst‰ndlich ihrem Gemahl die beiden Verh‰ltnisse dar und schlofl mit den Worten: “was meine Meinung betrifft, so w¸rde ich das Haus jener Dame der Pension vorziehen aus mehreren Ursachen, besonders aber auch, weil ich die Neigung, ja die Leidenschaft des jungen Mannes, den Ottilie dort f¸r sich gewonnen, nicht vermehren will”.

Eduard schien ihr Beifall zu geben, nur aber, um einigen Aufschub zu suchen.

Charlotte, die darauf ausging, etwas Entscheidendes zu tun, ergriff sogleich die Gelegenheit, als Eduard nicht unmittelbar widersprach, die Abreise Ottiliens, zu der sie schon alles im stillen vorbereitet hatte, auf die n‰chsten Tage festzusetzen.

Eduard schauderte, er hielt sich f¸r verraten und die liebevolle Sprache seiner Frau f¸r ausgedacht, k¸nstlich und planm‰flig, um ihn auf ewig von seinem Gl¸cke zu trennen.

Er schien ihr die Sache ganz zu ¸berlassen; allein schon war innerlich sein Entschlufl gefaflt.

Um nur zu Atem zu kommen, um das bevorstehende unabsehliche Unheil der Entfernung Ottiliens abzuwenden, entschied er sich, sein Haus zu verlassen, und zwar nicht ganz ohne Vorbewuflt Charlottens, die er jedoch durch die Einleitung zu t‰uschen verstand, dafl er bei Ottiliens Abreise nicht gegenw‰rtig sein, ja sie von diesem Augenblick an nicht mehr sehen wolle.

Charlotte, die gewonnen zu haben glaubte, tat ihm allen Vorschub.

Er befahl seine Pferde, gab dem Kammerdiener die nˆtige Anweisung, was er einpacken und wie er ihm folgen solle, und so, wie schon im Stegreife, setzte er sich hin und schrieb.

“Das ¸bel, meine Liebe, das uns befallen hat, mag heilbar sein oder nicht, dies nur f¸hle ich: wenn ich im Augenblicke nicht verzweifeln soll, so mufl ich Aufschub finden f¸r mich, f¸r uns alle.

Indem ich mich aufopfre, kann ich fordern.

Ich verlasse mein Haus und kehre nur unter g¸nstigern, ruhigern Aussichten zur¸ck.

Du sollst es indessen besitzen, aber mit Ottilien.

Bei dir will ich sie wissen, nicht unter fremden Menschen.

Sorge f¸r sie, behandle sie wie sonst, wie bisher, ja nur immer liebevoller, freundlicher und zarter.

Ich verspreche, kein heimliches Verh‰ltnis zu Ottilien zu suchen.

Laflt mich lieber eine Zeitlang ganz unwissend, wie ihr lebt; ich will mir das Beste denken.

Denkt auch so von mir.

Nur, was ich dich bitte, auf das innigste, auf das lebhafteste: mache keinen Versuch, Ottilien sonst irgendwo unterzugeben, in neue Verh‰ltnisse zu bringen!

Aufler dem Bezirk deines Schlosses, deines Parks, fremden Menschen anvertraut, gehˆrt sie mir, und ich werde mich ihrer bem‰chtigen.

Ehrst du aber meine Neigung, meine W¸nsche, meine Schmerzen, schmeichelst du meinem Wahn, meinen Hoffnungen, so will ich auch der Genesung nicht widerstreben, wenn sie sich mir anbietet”.

Diese letzte Wendung flofl ihm aus der Feder, nicht aus dem Herzen.

Ja, wie er sie auf dem Papier sah, fing er bitterlich an zu weinen.

Er sollte auf irgendeine Weise dem Gl¸ck, ja dem Ungl¸ck, Ottilien zu lieben, entsagen!

Jetzt f¸hlte er, was er tat.

Er entfernte sich, ohne zu wissen, was daraus entstehen konnte.

Er sollte sie wenigstens jetzt nicht wiedersehen; ob er sie je widers‰he, welche Sicherheit konnte er sich dar¸ber versprechen?

Aber der Brief war geschrieben; die Pferde standen vor der T¸r; jeden Augenblick muflte er f¸rchten, Ottilien irgendwo zu erblicken und zugleich seinen Entschlufl vereitelt zu sehen.

Er faflte sich; er dachte, dafl es ihm doch mˆglich sei, jeden Augenblick zur¸ckzukehren und durch die Entfernung gerade seinen W¸nschen n‰her zu kommen.

Im Gegenteil stellte er sich Ottilien vor, aus dem Hause gedr‰ngt, wenn er bliebe.

Er siegelte den Brief, eilte die Treppe hinab und schwang sich aufs Pferd.

Als er beim Wirtshause vorbeitritt, sah er den Bettler in der Laube sitzen, den er gestern nacht so reichlich beschenkt hatte.

Dieser safl behaglich an seinem Mittagsmahle, stand auf und neigte sich ehrerbietig, ja anbetend vor Eduarden.

Eben diese Gestalt war ihm gestern erschienen, als er Ottilien am Arm f¸hrte; nun erinnerte sie ihn schmerzlich an die gl¸cklichste Stunde seines Lebens.

Seine Leiden vermehrten sich; das Gef¸hl dessen, was er zur¸ckliefl, war ihm unertr‰glich; nochmals blickte er nach dem Bettler: “o du Beneidenswerter!” rief er aus; “du kannst noch am gestrigen Almosen zehren und ich nicht mehr am gestrigen Gl¸cke!” Ottilie trat ans Fenster, als sie jemanden wegreiten hˆrte, und sah Eduarden noch im R¸cken.

Es kam ihr wunderbar vor, dafl er das Haus verliefl, ohne sie gesehen, ohne ihr einen Morgengrufl geboten zu haben.

Sie ward unruhig und immer nachdenklicher, als Charlotte sie auf einen weiten Spaziergang mit sich zog und von mancherlei Gegenst‰nden sprach, aber des Gemahls, und wie es schien vors‰tzlich, nicht erw‰hnte. Doppelt betroffen war sie daher, bei ihrer Zur¸ckkunft den Tisch nur mit zwei Gedecken besetzt zu finden.

Wir vermissen ungern gering scheinende Gewohnheiten, aber schmerzlich empfinden wir erst ein solches Entbehren in bedeutenden F‰llen. Eduard und der Hauptmann fehlten, Charlotte hatte seit langer Zeit zum erstenmal den Tisch selbst angeordnet, und es wollte Ottilien scheinen, als wenn sie abgesetzt w‰re.

Die beiden Frauen saflen gegeneinander ¸ber; Charlotte sprach ganz unbefangen von der Anstellung des Hauptmanns und von der wenigen Hoffnung, ihn bald wiederzusehen.

Das einzige trˆstete Ottilien in ihrer Lage, dafl sie glauben konnte, Eduard sei, um den Freund noch eine Strecke zu begleiten, ihm nachgeritten.

Allein da sie von Tische aufstanden, sahen sie Eduards Reisewagen unter dem Fenster, und als Charlotte einigermaflen unwillig fragte, wer ihn hieher bestellt habe, so antwortete man ihr, es sei der Kammerdiener, der hier noch einiges aufpacken wolle.

Ottilie brauchte ihre ganze Fassung, um ihre Verwunderung und ihren Schmerz zu verbergen.

Der Kammerdiener trat herein und verlangte noch einiges.

Es war eine Mundtasse des Herrn, ein paar silberne Lˆffel und mancherlei, was Ottilien auf eine weitere Reise, auf ein l‰ngeres Auflenbleiben zu deuten schien.

Charlotte verwies ihm sein Begehren ganz trocken: sie verstehe nicht, was er damit sagen wolle; denn er habe ja alles, was sich auf den Herrn beziehe, selbst im Beschlufl.

Der gewandte Mann, dem es freilich nur darum zu tun war, Ottilien zu sprechen und sie deswegen unter irgendeinem Vorwande aus dem Zimmer zu locken, wuflte sich zu entschuldigen und auf seinem Verlangen zu beharren, das ihm Ottilie auch zu gew‰hren w¸nschte; allein Charlotte lehnte es ab, der Kammerdiener muflte sich entfernen, und der Wagen rollte fort.

Es war f¸r Ottilien ein schrecklicher Augenblick.

Sie verstand es nicht, sie begriff es nicht; aber dafl ihr Eduard auf geraume Zeit entrissen war, konnte sie f¸hlen.

Charlotte f¸hlte den Zustand mit und liefl sie allein.

Wir wagen nicht, ihren Schmerz, ihre Tr‰nen zu schildern.

Sie litt unendlich.

Sie bat nur Gott, dafl er ihr nur ¸ber diesen Tag weghelfen mˆchte; sie ¸berstand den Tag und die Nacht, und als sie sich wiedergefunden, glaubte sie, ein anderes Wesen anzutreffen.

Sie hatte sich nicht gefaflt, sich nicht ergeben, aber sie war nach so groflem Verluste noch da und hatte noch mehr zu bef¸rchten.

Ihre n‰chste Sorge, nachdem das Bewufltsein wiedergekehrt, war sogleich, sie mˆchte nun, nach Entfernung der M‰nner, gleichfalls entfernt werden.

Sie ahnte nichts von Eduards Drohungen, wodurch ihr der Aufenthalt neben Charlotten gesichert war; doch diente ihr das Betragen Charlottens zu einiger Beruhigung.

Diese suchte das gute Kind zu besch‰ftigen und liefl sie nur selten, nur ungern von sich; und ob sie gleich wohl wuflte, dafl man mit Worten nicht viel gegen eine entschiedene Leidenschaft zu wirken vermag, so kannte sie doch die Macht der Besonnenheit, des Bewufltseins, und brachte daher manches zwischen sich und Ottilien zur Sprache.

So war es f¸r diese ein grofler Trost, als jene gelegentlich mit Bedacht und Vorsatz die weise Betrachtung anstellte: “wie lebhaft ist”, sagte sie, “die Dankbarkeit derjenigen, denen wir mit Ruhe ¸ber leidenschaftliche Verlegenheiten hinaushelfen!

Lafl uns freudig und munter in das eingreifen, was die M‰nner unvollendet zur¸ckgelassen haben; so bereiten wir uns die schˆnste Aussicht auf ihre R¸ckkehr, indem wir das, was ihr st¸rmendes, ungeduldiges Wesen zerstˆren mˆchte, durch unsre M‰fligung erhalten und fˆrdern”.

“Da Sie von M‰fligung sprechen, liebe Tante”, versetzte Ottilie, “so kann ich nicht bergen, dafl mir dabei die Unm‰fligkeit der M‰nner, besonders was den Wein betrifft, einf‰llt.

Wie oft hat es mich betr¸bt und ge‰ngstigt, wenn ich bemerken muflte, dafl reiner Verstand, Klugheit, Schonung anderer, Anmut und Liebensw¸rdigkeit selbst f¸r mehrere Stunden verlorengingen und oft statt alles des Guten, was ein trefflicher Mann hervorzubringen und zu gew‰hren vermag, Unheil und Verwirrung hereinzubrechen drohte!

Wie oft mˆgen dadurch gewaltsame Entschlieflungen veranlaflt werden!” Charlotte gab ihr recht, doch setzte sie das Gespr‰ch nicht fort; denn sie f¸hlte nur zu wohl, dafl auch hier Ottilie blofl Eduarden wieder im Sinne hatte, der zwar nicht gewˆhnlich, aber doch ˆfter, als es w¸nschenswert war, sein Vergn¸gen, seine Gespr‰chigkeit, seine T‰tigkeit durch einen gelegentlichen Weingenufl zu steigern pflegte.

Hatte bei jener ‰uflerung Charlottens sich Ottilie die M‰nner, besonders Eduarden, wieder herandenken kˆnnen, so war es ihr um desto auffallender, als Charlotte von einer bevorstehenden Heirat des Hauptmanns wie von einer ganz bekannten und gewissen Sache sprach, wodurch denn alles ein andres Ansehn gewann, als sie nach Eduards fr¸hern Versicherungen sich vorstellen mochte.

Durch alles dies vermehrte sich die Aufmerksamkeit Ottiliens auf jede ‰uflerung, jeden Wink, jede Handlung, jeden Schritt Charlottens. Ottilie war klug, scharfsinnig, argwˆhnisch geworden, ohne es zu wissen.

Charlotte durchdrang indessen das einzelne ihrer ganzen Umgebung mit scharfem Blick und wirkte darin mit ihrer klaren Gewandtheit, wobei sie Ottilien best‰ndig teilzunehmen nˆtigte.

Sie zog ihren Haushalt ohne B‰nglichkeit ins Enge; ja, wenn sie alles genau betrachtete, so hielt sie den leidenschaftlichen Vorfall f¸r eine Art von gl¸cklicher Schickung.

Denn auf den bisherigen Wege w‰re man leicht ins Grenzenlose geraten und h‰tte den schˆnen Zustand reichlicher Gl¸cksg¸ter, ohne sich zeitig genug zu besinnen, durch ein vordringliches Leben und Treiben, wo nicht zerstˆrt, doch ersch¸ttert.

Was von Parkanlagen im Gange war, stˆrte sie nicht.

Sie liefl vielmehr dasjenige fortsetzen, was zum Grunde k¸nftiger Ausbildung liegen muflte; aber dabei hatte es auch sein Bewenden. Ihr zur¸ckkehrender Gemahl sollte noch genug erfreuliche Besch‰ftigung finden.

Bei diesen Arbeiten und Vors‰tzen konnte sie nicht genug das Verfahren des Architekten loben.

Der See lag in kurzer Zeit ausgebreitet vor ihren Augen und die neuentstandenen Ufer zierlich und mannigfaltig bepflanzt und beraset.

An dem neuen Hause ward alle rauhe Arbeit vollbracht, was zur Erhaltung nˆtig war, besorgt, und dann machte sie einen Abschlufl da, wo man mit Vergn¸gen wieder von vorn anfangen konnte.

Dabei war sie ruhig und heiter; Ottilie schien es nur; denn in allem beobachtete sie nichts als Symptome, ob Eduard wohl bald erwartet werde oder nicht.

Nichts interessierte sie an allem als diese Betrachtung.

Willkommen war ihr daher eine Anstalt, zu der man die Bauerknaben versammelte und die darauf abzielte, den weitl‰ufig gewordenen Park immer rein zu erhalten.

Eduard hatte schon den Gedanken gehegt.

Man liefl den Knaben eine Art von heiterer Montierung machen, die sie in den Abendstunden anzogen, nachdem sie sich durchaus gereinigt und ges‰ubert hatten.

Die Garderobe war im Schlofl; dem verst‰ndigsten, genausten Knaben vertraute man die Aufsicht an; der Architekt leitete das Ganze, und ehe man sichs versah, so hatten die Knaben alle ein gewisses Geschick. Man fand an ihnen eine bequeme Dressur, und sie verrichteten ihr Gesch‰ft nicht ohne eine Art von Manˆver.

Gewifl, wenn sie mit ihren Scharreisen, gestielten Messerklingen, Rechen, kleinen Spaten und Hacken und wedelartigen Besen einherzogen, wenn andre mit Kˆrben hinterdrein kamen, um Unkraut und Steine beiseitezuschaffen, andre das hohe, grofle, eiserne Walzenrad hinter sich herzogen, so gab es einen h¸bschen, erfreulichen Aufzug, in welchem der Architekt eine artige Folge von Stellungen und T‰tigkeiten f¸r den Fries eines Gartenhauses sich anmerkte; Ottilie hingegen sah darin nur eine Art von Parade, welche den r¸ckkehrenden Hausherrn bald begr¸flen sollte.

Dies gab ihr Mut und Lust, ihn mit etwas ‰hnlichem zu empfangen.

Man hatte zeither die M‰dchen des Dorfes im N‰hen, Stricken, Spinnen und andern weiblichen Arbeiten zu ermuntern gesucht.

Auch diese Tugenden hatten zugenommen seit jenen Anstalten zu Reinlichkeit und Schˆnheit des Dorfes.

Ottilie wirkte stets mit ein, aber mehr zuf‰llig, nach Gelegenheit und Neigung.

Nun gedachte sie es vollst‰ndiger und folgerechter zu machen. Aber aus einer Anzahl M‰dchen l‰flt sich kein Chor bilden wie aus einer Anzahl Knaben.

Sie folgte ihrem guten Sinne, und ohne sichs ganz deutlich zu machen, suchte sie nichts, als einem jeden M‰dchen Anh‰nglichkeit an sein Haus, seine Eltern und seine Geschwister einzuflˆflen.

Das gelang ihr mit vielen.

Nur ¸ber ein kleines, lebhaftes M‰dchen wurde immer geklagt, dafl sie ohne Geschick sei und im Hause nun ein f¸r allemal nichts tun wolle.

Ottilie konnte dem M‰dchen nicht feind sein, denn ihr war es besonders freundlich.

Zu ihr zog es sich, mit ihr ging und lief es, wenn sie es erlaubte.

Da war es t‰tig, munter und unerm¸det.

Die Anh‰nglichkeit an eine schˆne Herrin schien dem Kinde Bed¸rfnis zu sein.

Anf‰nglich duldete Ottilie die Begleitung des Kindes; dann faflte sie selbst Neigung zu ihm; endlich trennten sie sich nicht mehr, und Nanny begleitete ihre Herrin ¸berallhin.

Diese nahm ˆfters den Weg nach dem Garten und freute sich ¸ber das schˆne Gedeihen.

Die Beeren–und Kirschenzeit ging zu Ende, deren Sp‰tlinge jedoch Nanny sich besonders schmecken liefl.

Bei dem ¸brigen Obste, das f¸r den Herbst eine so reichliche Ernte versprach, gedachte der G‰rtner best‰ndig des Herrn und niemals, ohne ihn herbeizuw¸nschen.

Ottilie hˆrte dem guten alten Manne so gern zu.

Er verstand sein Handwerk vollkommen und hˆrte nicht auf, ihr von Eduard vorzusprechen.

Als Ottilie sich freute, dafl die Pfropfreiser dieses Fr¸hjahrs alle so gar schˆn gekommen, erwiderte der G‰rtner bedenklich: “ich w¸nsche nur, dafl der gute Herr viel Freude daran erleben mˆge.

W‰re er diesen Herbst hier, so w¸rde er sehen, was f¸r kˆstliche Sorten noch von seinem Herrn Vater her im alten Schloflgarten stehen.

Die jetzigen Herren Obstg‰rtner sind nicht so zuverl‰ssig, als sonst die Kart‰user waren.

In den Katalogen findet man wohl lauter honette Namen.

Man pfropft und erzieht und endlich, wenn sie F¸rchte tragen, so ist es nicht der M¸he wert, dafl solche B‰ume im Garten stehen”.

Am wiederholtesten aber fragte der treue Diener, fast so oft er Ottilien sah, nach der R¸ckkunft des Herrn und nach dem Termin derselben.

Und wenn Ottilie ihn nicht angeben konnte, so liefl ihr der gute Mann nicht ohne stille Betr¸bnis merken, dafl er glaube, sie vertraue ihm nicht, und peinlich war ihr das Gef¸hl der Unwissenheit, das ihr auf diese Weise recht aufgedrungen ward.

Doch konnte sie sich von diesen Rabatten und Beeten nicht trennen.

Was sie zusammen zum Teil ges‰et, alles gepflanzt hatten, stand nur im vˆlligen Flor; kaum bedurfte es noch einer Pflege, aufler dafl Nanny immer zum Gieflen bereit war.

Mit welchen Empfindungen betrachtete Ottilie die sp‰teren Blumen, die sich erst anzeigten, deren Glanz und F¸lle dereinst an Eduards Geburtstag, dessen Feier sie sich manchmal versprach, prangen, ihre Neigung und Dankbarkeit ausdr¸cken sollten!

Doch war die Hoffnung, dieses Fest zu sehen, nicht immer gleich lebendig.

Zweifel und Sorgen umfl¸sterten stets die Seele des guten M‰dchens.

Zu einer eigentlichen, offnen ¸bereinstimmung mit Charlotten konnte es auch wohl nicht wieder gebracht werden.

Denn freilich war der Zustand beider Frauen sehr verschieden. Wenn alles beim alten blieb, wenn man in das Gleis des gesetzm‰fligen Lebens zur¸ckkehrte, gewann Charlotte an gegenw‰rtigem Gl¸ck, und eine frohe Aussicht in die Zukunft ˆffnete sich ihr; Ottilie hingegen verlor alles, man kann wohl sagen alles; denn sie hatte zuerst Leben und Freude in Eduard gefunden, und in dem gegenw‰rtigen Zustande f¸hlte sie eine unendliche Leere, wovon sie fr¸her kaum etwas geahnet hatte.

Denn ein Herz, das sucht, f¸hlt wohl, dafl ihm etwas mangle; ein Herz, das verloren hat, f¸hlt, dafl es entbehre.

Sehnsucht verwandelt sich in Unmut und Ungeduld, und ein weibliches Gem¸t, zum Erwarten und Abwarten gewˆhnt, mˆchte nun aus seinem Kreise herausschreiten, t‰tig werden, unternehmen und auch etwas f¸r sein Gl¸ck tun.

Ottilie hatte Eduarden nicht entsagt.

Wie konnte sie es auch, obgleich Charlotte klug genug, gegen ihre eigne ¸berzeugung die Sache f¸r bekannt annahm und als entschieden voraussetzte, dafl ein freundschaftliches, ruhiges Verh‰ltnis zwischen ihrem Gatten und Ottilien mˆglich sei.

Wie oft aber lag diese nachts, wenn sie sich eingeschlossen, auf den Knieen vor dem erˆffneten Koffer und betrachtete die Geburtstagsgeschenke, von denen sie noch nichts gebraucht, nichts zerschnitten, nichts gefertigt.

Wie oft eilte das gute M‰dchen mit Sonnenaufgang aus dem Hause, in dem sie sonst alle ihre Gl¸ckseligkeit gefunden hatte, ins Freie hinaus, in die Gegend, die sie sonst nicht ansprach.

Auch auf dem Boden mochte sie nicht verweilen.

Sie sprang in den Kahn und ruderte sich bis mitten in den See; dann zog sie eine Reisebeschreibung hervor, liefl sich von den bewegten Wellen schaukeln, las, tr‰umte sich in die Fremde, und immer fand sie dort ihren Freund; seinem Herzen war sie noch immer nahe geblieben, er dem ihrigen.

Dafl jener wunderlich t‰tige Mann, den wir bereits kennengelernt, dafl Mittler, nachdem er von dem Unheil, das unter diesen Freunden ausgebrochen, Nachricht erhalten, obgleich kein Teil noch seine H¸lfe angerufen, in diesem Falle seine Freundschaft, seine Geschicklichkeit zu beweisen, zu ¸ben geneigt war, l‰flt sich denken.

Doch schien es ihm r‰tlich, erst eine Weile zu zaudern; denn er wuflte nur zu wohl, dafl es schwerer sei, gebildeten Menschen bei sittlichen Verworrenheiten zu H¸lfe zu kommen als ungebildeten.

Er ¸berliefl sie deshalb eine Zeitlang sich selbst; allein zuletzt konnte er es nicht mehr aushalten und eilte, Eduarden aufzusuchen, dem er schon auf die Spur gekommen war.

Sein Weg f¸hrte ihn zu einem angenehmen Tal, dessen anmutig gr¸nen, baumreichen Wiesengrund die Wasserf¸lle eines immer lebendigen Baches bald durchschl‰ngelte, bald durchrauschte.

Auf den sanften Anhˆhen zogen sich fruchtbare Felder und wohlbestandene Obstpflanzungen hin.

Die Dˆrfer lagen nicht zu nah aneinander, das Ganze hatte einen friedlichen Charakter, und die einzelnen Partieen, wenn auch nicht zum Malen, schienen doch zum Leben vorz¸glich geeignet zu sein.

Ein wohlerhaltenes Vorwerk mit einem reinlichen, bescheidenen Wohnhause, von G‰rten umgeben, fiel ihm endlich in die Augen.

Er vermutete, hier sei Eduards gegenw‰rtiger Aufenthalt, und er irrte nicht.

Von diesem einsamen Freunde kˆnnen wir soviel sagen, dafl er sich im stillen dem Gef¸hl seiner Leidenschaft ganz ¸berliefl und dabei mancherlei Plane sich ausdachte, mancherlei Hoffnungen n‰hrte.

Er konnte sich nicht leugnen, dafl er Ottilien hier zu sehen w¸nsche, dafl er w¸nsche, sie hieher zu f¸hren, zu locken, und was er sich sonst noch Erlaubtes und Unerlaubtes zu denken nicht verwehrte.

Dann schwankte seine Einbildungskraft in allen Mˆglichkeiten herum.

Sollte er sie hier nicht besitzen, nicht rechtm‰flig besitzen kˆnnen, so wollte er ihr den Besitz des Gutes zueignen.

Hier sollte sie still f¸r sich, unabh‰ngig leben; sie sollte gl¸cklich sein und, wenn ihn eine selbstqu‰lerische Einbildungskraft noch weiter f¸hrte, vielleicht mit einem andern gl¸cklich sein.

So verflossen ihm seine Tage in einem ewigen Schwanken zwischen Hoffnung und Schmerz, zwischen Tr‰nen und Heiterkeit, zwischen Vors‰tzen, Vorbereitungen und Verzweiflung.

Der Anblick Mittlers ¸berraschte ihn nicht.

Er hatte dessen Ankunft l‰ngst erwartet, und so war er ihm auch halb willkommen.

Glaubte er ihn von Charlotten gesendet, so hatte er sich schon auf allerlei Entschuldigungen und Verzˆgerungen und sodann auf entscheidendere Vorschl‰ge bereitet; hoffte er nun aber von Ottilien wieder etwas zu vernehmen, so war ihm Mittler so lieb als ein himmlischer Bote.

Verdriefllich daher und verstimmt war Eduard, als er vernahm, Mittler komme nicht von dorther, sondern aus eignem Antriebe.

Sein Herz verschlofl sich, und das Gespr‰ch wollte sich anfangs nicht einleiten.

Doch wuflte Mittler nur zu gut, dafl ein liebevoll besch‰ftigtes Gem¸t das dringende Bed¸rfnis hat, sich zu ‰uflern, das, was in ihm vorgeht, vor einem Freunde auszusch¸tten, und liefl sich daher gefallen, nach einigem Hin–und Widerreden diesmal aus seiner Rolle herauszugehen und statt des Vermittlers den Vertrauten zu spielen.

Als er hiernach auf eine freundliche Weise Eduarden wegen seines einsamen Lebens tadelte, erwiderte dieser: “o, ich w¸flte nicht, wie ich meine Zeit angenehmer zubringen sollte!

Immer bin ich mit ihr besch‰ftigt, immer in ihrer N‰he.

Ich habe den unsch‰tzbaren Vorteil, mir denken zu kˆnnen, wo sich Ottilie befindet, wo sie geht, wo sie steht, wo sie ausruht.

Ich sehe sie vor mir tun und handeln wie gewˆhnlich, schaffen und vornehmen, freilich immer das, was mir am meisten schmeichelt.

Dabei bleibt es aber nicht; denn wie kann ich fern von ihr gl¸cklich sein!

Nun arbeitet meine Phantasie durch, was Ottilie tun sollte, sich mir zu n‰hern.

Ich schreibe s¸fle, zutrauliche Briefe in ihrem Namen an mich, ich antworte ihr und verwahre die Bl‰tter zusammen.

Ich habe versprochen, keinen Schritt gegen sie zu tun, und das will ich halten.

Aber was bindet sie, dafl sie sich nicht zu mir wendet?

Hat etwa Charlotte die Grausamkeit gehabt, Versprechen und Schwur von ihr zu fordern, dafl sie mir nicht schreiben, keine Nachricht von sich geben wolle?

Es ist nat¸rlich, es ist wahrscheinlich, und doch finde ich es unerhˆrt, unertr‰glich.

Wenn sie mich liebt, wie ich glaube, wie ich weifl, warum entschlieflt sie sich nicht, warum wagt sie es nicht, zu fliehen und sich in meine Arme zu werfen?

Sie sollte das, denke ich manchmal, sie kˆnnte das.

Wenn sich etwas auf dem Vorsaale regt, sehe ich gegen die T¸re.

Sie soll hereintreten!

Denk ich, hoff ich.

Ach!

Und da das Mˆgliche unmˆglich ist, bilde ich mir ein, das Unmˆgliche m¸sse mˆglich werden.

Nachts, wenn ich aufwache, die Lampe einen unsichern Schein durch das Schlafzimmer wirft, da sollte ihre Gestalt, ihr Geist, eine Ahnung von ihr vor¸berschweben, herantreten, mich ergreifen, nur einen Augenblick, dafl ich eine Art von Versicherung h‰tte, sie denke mein, sie sei mein.

Eine einzige Freude bleibt mir noch.

Da ich ihr nahe war, tr‰umte ich nie von ihr; jetzt aber, in der Ferne, sind wir im Traume zusammen, und sonderbar genug: seit ich andre liebensw¸rdige Personen hier in der Nachbarschaft kennengelernt, jetzt erst erscheint mir ihr Bild im Traum, als wenn sie mir sagen wollte: ‘siehe nur hin und her! Du findest doch nichts Schˆneres und Lieberes als mich.’

Und so mischt sich ihr Bild in jeden meiner Tr‰ume.

Alles, was mir mit ihr begegnet, schiebt sich durch–und ¸bereinander.

Bald unterschreiben wir einen Kontrakt; da ist ihre Hand und die meinige, ihr Name und der meinige; beide lˆschen einander aus, beide verschlingen sich.

Auch nicht ohne Schmerz sind diese wonnevollen Gaukeleien der Phantasie.

Manchmal tut sie etwas, das die reine Idee beleidigt, die ich von ihr habe, dann f¸h ich erst, wie sehr ich sie liebe, indem ich ¸ber alle Beschreibung ge‰ngstet bin.

Manchmal neckt sie mich ganz gegen ihre Art und qu‰lt mich; aber sogleich ver‰ndert sich ihr Bild, ihr schˆnes, rundes, himmlisches Gesichtchen verl‰ngert sich: es ist eine andre.

Aber ich bin doch gequ‰lt, unbefriedigt und zerr¸ttet.

L‰cheln Sie nicht, lieber Mittler, oder l‰cheln Sie auch! O ich sch‰me mich nicht dieser Anh‰nglichkeit, dieser, wenn Sie wollen, tˆrigen, rasenden Neigung.

Nein, ich habe noch nie geliebt; jetzt erfahre ich erst, was das heiflt.

Bisher war alles in meinem Leben nur ein Vorspiel, nur Hinhalten, nur Zeitvertreib, nur Zeitverderb, bis ich sie kennenlernte, bis ich sie liebte und ganz und eigentlich liebte.

Man hat mir mir nicht gerade ins Gesicht, aber doch wohl im R¸cken den Vorwurf gemacht: ich pfusche, ich st¸mpere nur in den meisten Dingen.

Es mag sein; aber ich hatte das noch nicht gefunden, worin ich mich als Meister zeigen kann.

Ich will den sehen, der mich im Talent des Liebens ¸bertrifft.

Zwar ist es ein jammervolles, ein schmerzen-, ein tr‰nenreiches; aber ich finde es mir so nat¸rlich, so eigen, dafl ich es wohl schwerlich je wieder aufgebe”.

Durch diese lebhaften, herzlichen ‰uflerungen hatte sich Eduard wohl erleichtert; aber es war ihm auch auf einmal jeder einzelne Zug seines wunderlichen Zustandes deutlich vor die Augen getreten, dafl er, vom schmerzlichen Widerstreit ¸berw‰ltigt, in Tr‰nen ausbrach, die um so reichlicher flossen, als sein Herz durch Mitteilung weich geworden war. Mittler, der sein rasches Naturell, seinen unerbittlichen Verstand um so weniger verleugnen konnte, als er sich durch diesen schmerzlichen Ausbruch der Leidenschaft Eduards weit von dem Ziel seiner Reise verschlagen sah, ‰uflerte aufrichtig und derb seine Mibilligung.

Eduard–hiefl es–solle sich ermannen, solle bedenken, was er seiner Mannesw¸rde schuldig sei, solle nicht vergessen, dafl dem Menschen zur hˆchsten Ehre gereiche, im Ungl¸ck sich zu fassen, den Schmerz mit Gleichmut und Anstand zu ertragen, um hˆchlich gesch‰tzt, verehrt und als Muster aufgestellt zu werden.

Aufgeregt, durchdrungen von den peinlichsten Gef¸hlen, wie Eduard war, muflten ihm diese Worte hohl und nichtig vorkommen.

“Der Gl¸ckliche, der Behagliche hat gut reden”, fuhr Eduard auf; “aber sch‰men w¸rde er sich, wenn er eins‰he, wie unertr‰glich er dem Leidenden wird.

Eine unendliche Geduld soll es geben, einen unendlichen Schmerz will der starre Behagliche nicht anerkennen.

Es gibt F‰lle, ja, es gibt deren!

Wo jeder Trost niedertr‰chtig und Verzweiflung Pflicht ist.

Verschm‰ht doch ein edler Grieche, der auch Helden zu schildern weifl, keineswegs, die seinigen bei schmerzlichem Drange weinen zu lassen.

Selbst im Spr¸chwort sagt er: ‘tr‰nenreiche M‰nner sind gut.’ Verlasse mich jeder, der trocknen Herzens, trockner Augen ist!

Ich verw¸nsche die Gl¸cklichen, denen der Ungl¸ckliche nur zum Spektakel dienen soll.

Er soll sich in der grausamsten Lage kˆrperlicher und geistiger Bedr‰ngnis noch edel geb‰rden, um ihren Beifall zu erhalten, und, damit sie ihm beim Verscheiden noch applaudieren, wie ein Gladiator mit Anstand vor ihren Augen umkommen.

Lieber Mittler, ich danke Ihnen f¸r Ihren Besuch; aber Sie erzeigten mir eine grofle Liebe, wenn Sie sich im Garten, in der Gegend ums‰hen.

Wir kommen wieder zusammen.

Ich suche gefaflter und Ihnen ‰hnlicher zu werden”.

Mittler mochte lieber einlenken als die Unterhaltung abbrechen, die er so leicht nicht wieder ankn¸pfen konnte.

Auch Eduarden war es ganz gem‰fl, das Gespr‰ch weiter fortzusetzen, das ohnehin zu seinem Ziele abzulaufen strebte.

“Freilich”, sagte Eduard, “hilft das Hin–und Widerdenken, das Hin–und Widerreden zu nichts; doch unter diesem Reden bin ich mich selbst erst gewahr worden, habe ich erst entschieden gef¸hlt, wozu ich mich entschlieflen sollte, wozu ich entschlossen bin.

Ich sehe mein gegenw‰rtiges, mein zuk¸nftiges Leben vor mir; nur zwischen Elend und Genufl habe ich zu w‰hlen.

Bewirken Sie, bester Mann, eine Scheidung, die so notwendig, die schon geschehen ist; schaffen Sie mir Charlottens Einwilligung!

Ich will nicht weiter ausf¸hren, warum ich glaube, dafl sie zu erlangen sein wird.

Gehen Sie hin, lieber Mann, beruhigen Sie uns alle, machen Sie uns gl¸cklich!” Mittler stockte.

Eduard fuhr fort: “mein Schicksal und Ottiliens ist nicht zu trennen, und wir werden nicht zugrunde gehen.

Sehen Sie dieses Glas!

Unsere Namensz¸ge sind dareingeschnitten.

Ein frˆhlich Jubelnder warf es in die Luft; niemand sollte mehr daraus trinken, auf dem felsigen Boden sollte es zerschellen; aber es ward aufgefangen.

Um hohen Preis habe ich es wieder eingehandelt, und ich trinke nun t‰glich daraus, um mich t‰glich zu ¸berzeugen, dafl alle Verh‰ltnisse unzerstˆrlich sind, die das Schicksal beschlossen hat”.

“O wehe mir”, rief Mittler, “was mufl ich nicht mit meinen Freunden f¸r Geduld haben!

Nun begegnet mir noch gar der Aberglaube, der mir als das Sch‰dlichste, was bei den Menschen einkehren kann, verhaflt bleibt.

Wir spielen mit Voraussagungen und Tr‰umen und machen dadurch das allt‰gliche Leben bedeutend.

Aber wenn das Leben nun selbst bedeutend wird, wenn alles um uns sich bewegt und braust, dann wird das Gewitter durch jene Gespenster nur noch f¸rchterlicher”.

“Lassen Sie in dieser Ungewiflheit des Lebens”, rief Eduard, “zwischen diesem Hoffen und Bangen dem bed¸rftigen Herzen doch nur eine Art von Leitstern, nach welchem es hinblicke, wenn es auch nicht darnach steuern kann”.

“Ich liefle mirs wohl gefallen”, versetzte Mittler, “wenn dabei nur einige Konsequenz zu hoffen w‰re, aber ich habe immer gefunden: auf die warnenden Symptome achtet kein Mensch, auf die schmeichelnden und versprechenden allein ist die Aufmerksamkeit gerichtet und der Glaube f¸r sie ganz allein lebendig”.

Da sich nun Mittler sogar in die dunklen Regionen gef¸hrt sah, in denen er sich immer unbehaglicher f¸hlte, je l‰nger er darin verweilte, so nahm er den dringenden Wunsch Eduards, der ihn zu Charlotten gehen hiefl, etwas williger auf.

Denn was wollte er ¸berhaupt Eduarden in diesem Augenblicke noch entgegensetzen?

Zeit zu gewinnen, zu erforschen, wie es um die Frauen stehe, das war es, was ihm selbst nach seinen eignen Gesinnungen zu tun ¸brigblieb.

Er eilte zu Charlotten, die er wie sonst gefaflt und heiter fand.

Sie unterrichtete ihn gern von allem, was vorgefallen war; denn aus Eduards Reden konnte er nur die Wirkung abnehmen.

Er trat von seiner Seite behutsam heran, konnte es aber nicht ¸ber sich gewinnen, das Wort Scheidung auch nur im Vorbeigehn auszusprechen.

Wie verwundert, erstaunt und, nach seiner Gesinnung, erheitert war er daher, als Charlotte ihm in Gefolg so manches Unerfreulichen endlich sagte: “ich mufl glauben, ich mufl hoffen, dafl alles sich wieder geben, dafl Eduard sich wieder n‰hern werde.

Wie kann es auch wohl anders sein, da Sie mich guter Hoffnung finden”.

“Versteh ich Sie recht?” fiel Mittler ein.

“Vollkommen”, versetzte Charlotte.

“Tausendmal gesegnet sei mir diese Nachricht!” rief er, die H‰nde zusammenschlagend.

“Ich kenne die St‰rke dieses Arguments auf ein m‰nnliches Gem¸t.

Wie viele Heiraten sah ich dadurch beschleunigt, befestigt, wiederhergestellt!

Mehr als tausend Worte wirkt eine solche gute Hoffnung, die f¸rwahr die beste Hoffnung ist, die wir haben kˆnnen.

Doch”, fuhr er fort, “was mich betrifft, so h‰tte ich alle Ursache, verdriefllich zu sein.

In diesem Falle, sehe ich wohl, wird meiner Eigenliebe nicht geschmeichelt.

Bei euch kann meine T‰tigkeit keinen Dank verdienen.

Ich komme mir vor wie jener Arzt, mein Freund, dem alle Kuren gelangen, die er um Gottes willen an Armen tat, der aber selten einen Reichen heilen konnte, der es gut bezahlen wollte.