Sie schien aufmerksam auf das Gesprâ°ch, ohne daï¬ sie daran teilgenommen hâ°tte.
Den andern Morgen sagte Eduard zu Charlotten: “es ist ein angenehmes, unterhaltendes Mâ°dchen”.
“Unterhaltend?” versetzte Charlotte mit Lâ°cheln;” sie hat ja den Mund noch nicht aufgetan”.
“So?” erwiderte Eduard, indem er sich zu besinnen schien, “das wâ°re doch wunderbar!” Charlotte gab dem neuen AnkËmmling nur wenig Winke, wie es mit dem Hausgeschâ°fte zu halten sei.
Ottilie hatte schnell die ganze Ordnung eingesehen, ja, was noch mehr ist, empfunden.
Was sie f¸r alle, f¸r einen jeden insbesondre zu besorgen hatte, begriff sie leicht.
Alles geschah p¸nktlich.
Sie wuï¬te anzuordnen, ohne daï¬ sie zu befehlen schien, und wo jemand sâ°umte, verrichtete sie das Geschâ°ft gleich selbst.
Sobald sie gewahr wurde, wieviel Zeit ihr ¸brigblieb, bat sie Charlotten, ihre Stunden einteilen zu d¸rfen, die nun genau beobachtet wurden.
Sie arbeitete das Vorgesetzte auf eine Art, von der Charlotte durch den Geh¸lfen unterrichtet war.
Man lieï¬ sie gewâ°hren.
Nur zuweilen suchte Charlotte sie anzuregen.
So schob sie ihr manchmal abgeschriebene Federn unter, um sie auf einen freieren Zug der Handschrift zu leiten; aber auch diese waren bald wieder scharf geschnitten.
Die Frauenzimmer hatten untereinander festgesetzt, franzËsisch zu reden, wenn sie allein wâ°ren, und Charlotte beharrte um so mehr dabei, als Ottilie gesprâ°chiger in der fremden Sprache war, indem man ihr die ¸bung derselben zur Pflicht gemacht hatte.
Hier sagte sie oft mehr, als sie zu wollen schien.
Besonders ergetzte sich Charlotte an einer zufâ°lligen, zwar genauen, aber doch liebevollen Schilderung der ganzen Pensionsanstalt.
Ottilie ward ihr eine liebe Gesellschafterin, und sie hoffte, dereinst an ihr eine zuverlâ°ssige Freundin zu finden.
Charlotte nahm indes die â°lteren Papiere wieder vor, die sich auf Ottilien bezogen, um sich in Erinnerung zu bringen, was die Vorsteherin, was der Geh¸lfe ¸ber das gute Kind geurteilt, um es mit ihrer PersËnlichkeit selbst zu vergleichen.
Denn Charlotte war der Meinung, man kËnne nicht geschwind genug mit dem Charakter der Menschen bekannt werden, mit denen man zu leben hat, um zu wissen, was sich von ihnen erwarten, was sich an ihnen bilden lâ°ï¬t, oder was man ihnen ein f¸r allemal zugestehen und verzeihen muï¬.
Sie fand zwar bei dieser Untersuchung nichts Neues, aber manches Bekannte ward ihr bedeutender und auffallender.
So konnte ihr zum Beispiel Ottiliens Mâ°ï¬igkeit im Essen und Trinken wirklich Sorge machen.
Das Nâ°chste, was die Frauen beschâ°ftigte, war der Anzug.
Charlotte verlangte von Ottilien, sie solle in Kleidern reicher und mehr ausgesucht erscheinen.
Sogleich schnitt das gute, tâ°tige Kind die ihr fr¸her geschenkten Stoffe selbst zu und wuï¬te sie sich mit geringer Beih¸lfe anderer schnell und hËchst zierlich anzupassen.
Die neuen, modischen Gewâ°nder erhËhten ihre Gestalt; denn indem das Angenehme einer Person sich auch ¸ber ihre H¸lle verbreitet, so glaubt man sie immer wieder von neuem und anmutiger zu sehen, wenn sie ihre Eigenschaften einer neuen Umgebung mitteilt.
Dadurch ward sie den Mâ°nnern, wie von Anfang so immer mehr, daï¬ wir es nur mit dem rechten Namen nennen, ein wahrer Augentrost.
Denn wenn der Smaragd durch seine herrliche Farbe dem Gesicht wohltut, ja sogar einige Heilkraft an diesem edlen Sinn aus¸bt, so wirkt die menschliche SchËnheit noch mit weit grËï¬erer Gewalt auf den â°uï¬ern und innern Sinn.
Wer sie erblickt, den kann nichts ¸bles anwehen; er f¸hlt sich mit sich selbst und mit der Welt in ¸bereinstimmung.
Auf manche Weise hatte daher die Gesellschaft durch Ottiliens Ankunft gewonnen.
Die beiden Freunde hielten regelmâ°ï¬iger die Stunden, ja die Minuten der Zusammenk¸nfte.
Sie lieï¬en weder zum Essen, noch zum Tee, noch zum Spaziergang lâ°nger als billig auf sich warten.
Sie eilten, besonders abends, nicht so bald von Tische weg. Charlotte bemerkte das wohl und lieï¬ beide nicht unbeobachtet. Sie suchte zu erforschen, ob einer vor dem andern hiezu den Anlaï¬ gâ°be; aber sie konnte keinen Unterschied bemerken.
Beide zeigten sich ¸berhaupt geselliger.
Bei ihren Unterhaltungen schienen sie zu bedenken, was Ottiliens Teilnahme zu erregen geeignet sein mËchte, was ihren Einsichten, ihren ¸brigen Kenntnissen gemâ°ï¬ wâ°re.
Beim Lesen und Erzâ°hlen hielten sie inne, bis sie wiederkam. Sie wurden milder und im ganzen mitteilender.
In Erwiderung dagegen wuchs die Dienstbeflissenheit Ottiliens mit jedem Tage.
Je mehr sie das Haus, die Menschen, die Verhâ°ltnisse kennenlernte, desto lebhafter griff sie ein, desto schneller verstand sie jeden Blicke, jede Bewegung, ein halbes Wort, einen Laut.
Ihre ruhige Aufmerksamkeit blieb sich immer gleich, so wie ihre gelassene Regsamkeit.
Und so war ihr Sitzen, Aufstehen, Gehen, Kommen, Holen, Bringen, Wiederniedersitzen ohne einen Schein von Unruhe, ein ewiger Wechsel, eine ewige angenehme Bewegung.
Dazu kam, daï¬ man sie nicht gehen hËrte; so leise trat sie auf.
Diese anstâ°ndige Dienstfertigkeit Ottiliens machte Charlotten viele Freude.
Ein einziges, was ihr nicht ganz angemessen vorkam, verbarg sie Ottilien nicht.
“Es gehËrt”, sagte sie eines Tages zu ihr, “unter die lobensw¸rdigen Aufmerksamkeiten, daï¬ wir uns schnell b¸cken, wenn jemand etwas aus der Hand fallen lâ°ï¬t, und es eilig aufzuheben suchen.
Wir bekennen uns dadurch ihm gleichsam dienstpflichtig; nur ist in der grËï¬ern Welt dabei zu bedenken, wenn man eine solche Ergebenheit bezeigt.
Gegen Frauen will ich dir dar¸ber keine Gesetze vorschreiben. Du bist jung.
Gegen HËhere und â°ltere ist es Schuldigkeit, gegen deinesgleichen Artigkeit, gegen J¸ngere und Niedere zeigt man sich dadurch menschlich und gut; nur will es einem Frauenzimmer nicht wohl geziemen, sich Mâ°nnern auf diese Weise ergeben und dienstbar zu bezeigen”.
“Ich will es mir abzugewËhnen suchen”, versetzte Ottilie.
“Indessen werden Sie mir diese Unschicklichkeit vergeben, wenn ich Ihnen sage, wie ich dazu gekommen bin.
Man hat uns die Geschichte gelehrt; ich habe nicht soviel daraus behalten, als ich wohl gesollt hâ°tte; denn ich wuï¬te nicht, wozu ichs brauchen w¸rde.
Nur einzelne Begebenheiten sind mir sehr eindr¸cklich gewesen, so folgende: als Karl der Erste von England von seinen sogenannten Richtern stand, fiel der goldne Knopf des StËckchens, das er trug, herunter.
Gewohnt, daï¬ bei solchen Gelegenheiten sich alles f¸r ihn bem¸hte, schien er sich umzusehen und zu erwarten, daï¬ ihm jemand auch diesmal den kleinen Dienst erzeigen sollte.
Es regte sich niemand; er b¸ckte sich selbst, um den Kopf aufzuheben.
Mir kam das so schmerzlich vor, ich weiï¬ nicht, ob mit Recht, daï¬ ich von jenem Augenblick an niemanden kann etwas aus den Hâ°nden fallen sehn, ohne mich darnach zu b¸cken.
Da es aber freilich nicht immer schicklich sein mag und ich”, fuhr sie lâ°chelnd fort, “nicht jederzeit meine Geschichte erzâ°hlen kann, so will ich mich k¸nftig mehr zur¸ckhalten”.
Indessen hatten die guten Anstalten, zu denen sich die beiden Freunde berufen f¸hlten, ununterbrochenen Fortgang.
Ja tâ°glich fanden sie neuen Anlaï¬, etwas zu bedenken und zu unternehmen.
Als sie eines Tages zusammen durch das Dorf gingen, bemerkten sie miï¬fâ°llig, wie weit es an Ordnung und Reinlichkeit hinter jenen DËrfern zur¸ckstehe, wo die Bewohner durch die Kostbarkeit des Raums auf beides hingewiesen werden.
“Du erinnerst dich”, sagte der Hauptmann, “wie wir auf unserer Reise durch die Schweiz den Wunsch â°uï¬erten, eine lâ°ndliche sogenannte Parkanlage recht eigentlich zu verschËnern, indem wir ein so gelegnes Dorf nicht zur Schweizer Bauart, sondern zur Schweizer Ordnung und Sauberkeit, welche die Benutzung so sehr befËrdern, einrichteten”.
“Hier zum Beispiel”, versetzte Eduard, “ginge das wohl an.
Der Schloï¬berg verlâ°uft sich in einen vorspringenden Winkel herunter; das Dorf ist ziemlich regelmâ°ï¬ig im Halbzirkel gegen¸ber gebaut; dazwischen flieï¬t der Bach, gegen dessen Anschwellen sich der eine mit Steinen, der andere mit Pfâ°hlen, wieder einer mit Balken und der Nachbar sodann mit Planken verwahren will, keiner aber den andern fËrdert, vielmehr sich und den ¸brigen Schaden und Nachteil bringt.
So geht der Weg auch in ungeschickter Bewegung bald herauf, bald herab, bald durchs Wasser, bald ¸ber Steine.
Wollten die Leute mit Hand anlegen, so w¸rde kein groï¬er Zuschuï¬ nËtig sein, um hier eine Mauer im Halbkreis aufzuf¸hren, den Weg dahinter bis an die Hâ°user zu erhËhen, den schËnsten Raum herzustellen, der Reinlichkeit Platz zu geben und durch eine ins Groï¬e gehende Anstalt alle kleine, unzulâ°ngliche Sorge auf einmal zu verbannen”.
“Laï¬ es uns versuchen!” sagte der Hauptmann, indem er die Lage mit den Augen ¸berlief und schnell beurteilte.
“Ich mag mit B¸rgern und Bauern nichts zu tun haben, wenn ich ihnen nicht geradezu befehlen kann”, versetzte Eduard.
“Du hast so unrecht nicht”, erwiderte der Hauptmann; “denn auch mir machten dergleichen Geschâ°fte im Leben schon viel Verdruï¬.
Wie schwer ist es, daï¬ der Mensch recht abwâ°ge, was man aufopfern muï¬ gegen das, was zu gewinnen ist, wie schwer, den Zweck zu wollen und die Mittel nicht zu verschmâ°hen!
Viele verwechseln gar die Mittel und den Zweck, erfreuen sich an jenen, ohne diesen im Auge zu behalten.
Jedes ¸bel soll an der Stelle geheilt werden, wo es zum Vorschein kommt, und man bek¸mmert sich nicht um jenen Punkt, wo es eigentlich seinen Ursprung nimmt, woher es wirkt.
Deswegen ist es so schwer, Rat zu pflegen, besonders mit der Menge, die im Tâ°glichen ganz verstâ°ndig ist, aber selten weiter sieht als auf morgen.
Kommt nun gar dazu, daï¬ der eine bei einer gemeinsamen Anstalt gewinnen, der andre verlieren soll, da ist mit Vergleich nun gar nichts auszurichten.
Alles eigentlich gemeinsame Gute muï¬ durch das unumschrâ°nkte Mejestâ°tsrecht gefËrdert werden”.
Indem sie standen und sprachen, bettelte sie ein Mensch an, der mehr frech als bed¸rftig aussah.
Eduard, ungern unterbrochen und beunruhigt, schalt ihn, nachdem er ihn einigemal vergebens gelassener abgewiesen hatte.
Als aber der Kerl sich murrend, ja gegenscheltend mit kleinen Schritten entfernte, auf die Rechte des Bettlers trotzte, dem man wohl ein Almosen versagen, ihn aber nicht beleidigen d¸rfe, weil er so gut wie jeder andere unter dem Schutze Gottes und der Obrigkeit stehe, kam Eduard ganz aus der Fassung.
Der Hauptmann, ihn zu beg¸tigen, sagte darauf: “laï¬ uns diesen Vorfall als eine Aufforderung annehmen, unsere lâ°ndliche Polizei auch hier¸ber zu erstrecken!
Almosen muï¬ man einmal geben; man tut aber besser, wenn man sie nicht selbst gibt, besonders zu Hause.
Da sollte man mâ°ï¬ig und gleichfËrmig in allem sein, auch im Wohltun.
Eine allzu reichliche Gabe lockt Bettler herbei, anstatt sie abzufertigen, dagegen man wohl auf der Reise, im Vorbeifliegen, einem Armen an der Straï¬e in der Gestalt des zufâ°lligen Gl¸cks erscheinen und ihm eine ¸berraschende Gabe zuwerfen mag.
Uns macht die Lage des Dorfes, des Schlosses eine solche Anstalt sehr leicht; ich habe schon fr¸her dar¸ber nachgedacht.
An dem einen Ende des Dorfes liegt das Wirtshaus, an dem andern wohnen ein Paar alte, gute Leute; an beiden Orten muï¬t du eine kleine Geldsumme niederlegen.
Nicht der ins Dorf Hereingehende, sondern der Hinausgehende erhâ°lt etwas; und da die beiden Hâ°user zugleich an den Wegen stehen, die auf das Schloï¬ f¸hren, so wird auch alles, was sich hinaufwenden wollte, an die beiden Stellen gewiesen”.
“Komm”, sagte Eduard, “wir wollen das gleich abmachen; das Genauere kËnnen wir immer noch nachholen”.
Sie gingen zum Wirt und zu dem alten Paare, und die Sache war abgetan.
“Ich weiï¬ recht gut”, sagte Eduard, indem sie zusammen den Schloï¬berg wieder hinaufstiegen, “daï¬ alles in der Welt ankommt auf einen gescheiten Einfall und auf einen festen Entschluï¬.
So hast du die Parkanlagen meiner Frau sehr richtig beurteilt und mir auch schon einen Wink zum Bessern gegeben, den ich ihr, wie ich gar nicht leugnen will, sogleich mitgeteilt habe”.
“Ich konnte es vermuten”, versetzte der Hauptmann, “aber nicht billigen.
Du hast sie irregemacht; sie lâ°ï¬t alles liegen und trutzt in dieser einzigen Sache mit uns; denn sie vermeidet davon zu reden und hat uns nicht wieder zur Moosh¸tte eingeladen, ob sie gleich mit Ottilien in den Zwischenstunden hinaufgeht”.
“Dadurch m¸ssen wir uns”, versetzte Eduard, “nicht abschrecken lassen.
Wenn ich von etwas Gutem ¸berzeugt bin, was geschehen kËnnte und sollte, so habe ich keine Ruhe, bis ich es getan sehe.
Sind wir doch sonst klug, etwas einzuleiten!
Laï¬ uns die englischen Parkbeschreibungen mit Kupfern zur Abendunterhaltung vornehmen, nachher deine Gutskarte!
Man muï¬ es erst problematisch und nur wie zum Scherz behandeln; der Ernst wird sich schon finden”.
Nach dieser Verabredung wurden die B¸cher aufgeschlagen, worin man jedesmal den Grundriï¬ der Gegend und ihre landschaftliche Ansicht in ihrem ersten, rohen Naturzustande gezeichnet sah, sodann auf andern Blâ°ttern die Verâ°nderung vorgestellt fand, welche die Kunst daran vorgenommen, um alles das bestehende Gute zu nutzen und zu steigern.
Hievon war der ¸bergang zur eigenen Besitzung, zur eignen Umgebung und zu dem, was man daran ausbilden kËnnte, sehr leicht.
Die von dem Hauptmann entworfene Karte zum Grunde zu legen, war nunmehr eine angenehme Beschâ°ftigung; nur konnte man sich von jener ersten Vorstellung, nach der Charlotte die Sache einmal angefangen hatte, nicht ganz losreiï¬en.
Doch erfand man einen leichtern Aufgang auf die HËhe; man wollte oberwâ°rts am Abhange vor einem angenehmen HËlzchen ein Lustgebâ°ude auff¸hren; dieses sollte einen Bezug aufs Schloï¬ haben; aus den Schloï¬fenstern sollte man es ¸bersehen, von dorther Schloï¬ und Gâ°rten wieder bestreichen kËnnen.
Der Hauptmann hatte alles wohl ¸berlegt und gemessen und brachte jenen Dorfweg, jene Mauer am Bache her, jene Ausf¸llung wieder zur Sprache.
“Ich gewinne”, sagte er, “indem ich einen bequemen Weg zur AnhËhe hinauff¸hre, gerade soviel Steine, als ich zu jener Mauer bedarf. Sobald eins ins andre greift, wird beides wohlfeiler und geschwinder bewerkstelligt”.
“Nun aber”, sagte Charlotte, “kommt meine Sorge.
Notwendig muï¬ etwas Bestimmtes ausgesetzt werden; und wenn man weiï¬, wieviel zu einer solchen Anlage erforderlich ist, dann teilt man es ein, wo nicht auf Wochen, doch wenigstens auf Monate.
Die Kasse ist unter meinem Beschluï¬; ich zahle die Zettel, und die Rechnung f¸hre ich selbst”.
“Du scheinst uns nicht sonderlich viel zu vertrauen”, sagte Eduard.
“Nicht viel in willk¸rlichen Dingen”, versetzte Charlotte. “Die Willk¸r wissen wir besser zu beherrschen als ihr”.
Die Einrichtung war gemacht, die Arbeit rasch angefangen, der Hauptmann immer gegenwâ°rtig und Charlotte nunmehr fast tâ°glich Zeuge seines ernsten und bestimmten Sinnes.
Auch er lernte sie nâ°her kennen, und beiden wurde es leicht, zusammenzuwirken und etwas zustande zu bringen.
Es ist mit den Geschâ°ften wie mit dem Tanze: Personen, die gleichen Schritt halten, m¸ssen sich unentbehrlich werden, ein wechselseitiges Wohlwollen muï¬ notwendig daraus entspringen, und daï¬ Charlotte dem Hauptmann, seitdem sie ihn nâ°her kennengelernt, wirklich wohlwollte, davon war ein sicherer Beweis, daï¬ sie ihn einen schËnen Ruheplatz, den sie bei ihren ersten Anlagen besonders ausgesucht und verziert hatte, der aber seinem Plane entgegenstand, ganz gelassen zerstËren lieï¬, ohne auch nur die mindeste unangenehme Empfindung dabei zu haben.
Indem nun Charlotte mit dem Hauptmann eine gemeinsame Beschâ°ftigung fand, so war die Folge, daï¬ sich Eduard mehr zu Ottilien gesellte.
F¸r sie sprach ohnehin seit einiger Zeit eine stille, freundliche Neigung in seinem Herzen.
Gegen jedermann war sie dienstfertig und zuvorkommend; daï¬ sie es gegen ihn am meisten sei, das wollte seiner Selbstliebe scheinen.
Nun war keine Frage: was f¸r Speisen und wie er sie liebte, hatte sie schon genau bemerkt; wieviel er Zucker zum Tee zu nehmen pflegte und was dergleichen mehr ist, entging ihr nicht.
Besonders war sie sorgfâ°ltig, alle Zugluft abzuwehren, gegen die er eine ¸bertriebene Empfindlichkeit zeigte und deshalb mit seiner Frau, der es nicht luftig genug sein konnte, manchmal in Widerspruch geriet.
Ebenso wuï¬te sie im Baum–und Blumengarten Bescheid.
Was er w¸nschte, suchte sie zu befËrdern, was ihn ungeduldig machen konnte, zu verh¸ten, dergestalt daï¬ sie in kurzem wie ein freundlicher Schutzgeist ihm unentbehrlich ward und er anfing, ihre Abwesenheit schon peinlich zu empfinden.
Hiezu kam noch, daï¬ sie gesprâ°chtiger und offener schien, sobald sie sich allein trafen.
Eduard hatte bei zunehmenden Jahren immer etwas Kindliches behalten, das der Jugend Ottiliens besonders zusagte.
Sie erinnerten sich gern fr¸herer Zeiten, wo sie einander gesehen; es stiegen diese Erinnerungen bis in die ersten Epochen der Neigung Eduards zu Charlotten.
Ottilie wollte sich der beiden noch als des schËnsten Hofpaares erinnern; und wenn Eduard ihr ein solches Gedâ°chtnis aus ganz fr¸her Jugend absprach, so behauptete sie doch, besonders einen Fall noch vollkommen gegenwâ°rtig zu haben, wie sie sich einmal bei seinem Hereintreten in Charlottens Schoï¬ versteckt, nicht aus Furcht, sondern aus kindischer ¸berraschung.
Sie hâ°tte dazusetzen kËnnen: weil er so lebhaften Eindruck auf sie gemacht, weil er ihr gar so wohl gefallen.
Bei solchen Verhâ°ltnissen waren manche Geschâ°fte, welche die beiden Freunde zusammen fr¸her vorgenommen, gewissermaï¬en in Stocken geraten, sodaï¬ sie f¸r nËtig fanden, sich wieder eine ¸bersicht zu verschaffen, einige Aufsâ°tze zu entwerfen, Briefe zu schreiben.
Sie bestellten sich deshalb auf ihre Kanzlei, wo sie den alten Kopisten m¸ï¬ig fanden.
Sie gingen an die Arbeit und gaben ihm bald zu tun, ohne zu bemerken, daï¬ sie ihm manches aufb¸rdeten, was sie sonst selbst zu verrichten gewohnt waren.
Gleich der erste Aufsatz wollte dem Hauptmann, gleich der erste Brief Eduarden nicht gelingen.
Sie quâ°lten sich eine Zeitlang mit Konzipieren und Umschreiben, bis endlich Eduard, dem es am wenigsten vonstatten ging, nach der Zeit fragte.
Da zeigte sich denn, daï¬ der Hauptmann vergessen hatte, seine chronometrische Sekundenuhr aufzuziehen, das erstemal seit vielen Jahren; und sie schienen, wo nicht zu empfinden, doch zu ahnen, daï¬ die Zeit anfange, ihnen gleichg¸ltig zu werden.
Indem so die Mâ°nner einigermaï¬en in ihrer Geschâ°ftigkeit nachlieï¬en, wuchs vielmehr die Tâ°tigkeit der Frauen.
¸berhaupt nimmt die gewËhnliche Lebensweise einer Familie, die aus den gegebenen Personen und aus notwendigen Umstâ°nden entspringt, auch wohl eine auï¬erordentliche Neigung, eine werdende Leidenschaft in sich wie ein Gefâ°ï¬ auf, und es kann eine ziemliche Zeit vergehen, ehe dieses neue Ingrediens eine merkliche Gâ°rung verursacht und schâ°umend ¸ber den Rand schwillt.
Bei unsern Freunden waren die entstehenden wechselseitigen Neigungen von der angenehmsten Wirkung.
Die Gem¸ter Ëffneten sich, und ein allgemeines Wohlwollen entsprang aus dem besonderen.
Jeder Teil f¸hlte sich gl¸cklich und gËnnte dem andern sein Gl¸ck.
Ein solcher Zustand erhebt den Geist, indem er das Herz erweitert, und alles, was man tut und vornimmt, hat eine Richtung gegen das Unermeï¬liche.
So waren auch die Freunde nicht mehr in ihrer Wohnung befangen.
Ihre Spaziergâ°nge dehnten sich weiter aus, und wenn dabei Eduard mit Ottilien, die Pfade zu wâ°hlen, die Wege zu bahnen, vorauseilte, so folgte der Hauptmann mit Charlotten in bedeutender Unterhaltung, Teilnehmend an manchem neuentdeckten Plâ°tzchen, an mancher unerwarteten Aussicht, geruhig der Spur jener rascheren Vorgâ°nger.
Eines Tages leitete sie ihr Spaziergang durch die Schloï¬pforte des rechten Fl¸gels hinunter nach dem Gasthofe, ¸ber die Br¸cke gegen die Teiche zu, an denen sie hingingen, soweit man gewËhnlich das Wasser verfolgte, dessen Ufer sodann, von einem buschigen H¸gel und witerhin von Felsen eingeschlossen, aufhËrte, gangbar zu sein. Aber Eduard, dem von seinen Jagdwanderungen her die Gegend bekannt war, drang mit Ottilien auf einem bewachsenen Pfade weiter vor, wohl wissend, daï¬ die alte, zwischen Felsen versteckte M¸hle nicht weit abliegen konnte.
Allein der wenig betretene Pfad verlor sich bald, und sie fanden sich im dichten Geb¸sch zwischen moosigen Gestein verirrt, doch nicht lange; denn das Rauschen der Râ°der verk¸ndigte ihnen sogleich die Nâ°he des gesuchten Ortes.
Auf eine Klippe vorwâ°rts tretend, sahen sie das alte, schwarze, wunderliche Holzgebâ°ude im Grunde vor sich, von steilen Felsen sowie von hohen Bâ°umen umschattet.
Sie entschlossen sich kurz und gut, ¸ber Moos und Felstr¸mmer hinabzusteigen, Eduard voran; und wenn er nun in die HËhe sah und Ottilie leicht schreitend, ohne Furcht und â°ngstlichkeit, im schËnsten Gleichgewicht von Stein zu Stein ihm folgte, glaubte er ein himmlisches Wesen zu sehen, das ¸ber ihm schwebte.
Und wenn sie nun manchmal an unsicherer Stelle seine ausgestreckte Hand ergriff, ja sich auf seine Schulter st¸tzte, dann konnte er sich nicht verleugnen, daï¬ es das zarteste weibliche Wesen sei, das ihn ber¸hrte.
Fast hâ°tte er gew¸nscht, sie mËchte straucheln, gleiten, daï¬ er sie in seine Arme auffangen, sie an sein Herz dr¸cken kËnnte.
Doch dies hâ°tte er unter keiner Bedingung getan, aus mehr als einer Ursache: er f¸rchtete sie zu beleidigen, sie zu beschâ°digen.
Wie dies gemeint sei, erfahren wir sogleich.
Denn als er nun herabgelangt, ihr unter den hohen Bâ°umen am lâ°ndlichen Tische gegen¸bersaï¬, die freundliche M¸llerin nach Milch, der bewillkommende M¸ller Charlotten und dem Hauptmann entgegen gesandt war, fing Eduard mit einigem Zaudern zu sprechen an: “ich habe eine Bitte, liebe Ottilie; verzeihen Sie mir die, wenn Sie mir sie auch versagen!
Sie machen kein Geheimnis daraus, und es braucht es auch nicht, daï¬ Sie unter Ihrem Gewand, auf Ihrer Brust ein Miniaturbild tragen.
Es ist das Bild Ihres Vaters, des braven Mannes, den Sie kaum gekannt und der in jedem Sinne eine Stelle an Ihrem Herzen verdient.
Aber vergeben Sie mir: das Bild ist ungeschickt groï¬, und dieses Metall, dieses Glas macht mir tausend â°ngste, wenn Sie ein Kind in die HËhe heben, etwas vor sich hintragen, wenn die Kutsche schwankt, wenn wir durchs Geb¸sch dringen, eben jetzt, wie wir vom Felsen herabstiegen.
Mir ist die MËglichkeit schrecklich, daï¬ irgendein unvorgesehener Stoï¬, ein Fall, eine Ber¸hrung Ihnen schâ°dlich und verderblich sein kËnnte.
Tun Sie es mir zuliebe, entfernen Sie das Bild, nicht aus Ihrem Andenken, nicht aus Ihrem Zimmer; ja geben Sie ihm den schËnsten, den heiligsten Ort Ihrer Wohnung; nur von Ihrer Brust entfernen Sie etwas, dessen Nâ°he mir, vielleicht aus ¸bertriebener â°ngstlichkeit, so gefâ°hrlich scheint!” Ottilie schwieg und hatte, wâ°hrend er sprach, vor sich hingesehen; dann, ohne ¸bereilung und ohne Zaudern, mit einem Blick mehr gen Himmel als auf Eduard gewendet, lËste sie die Kette, zog das Bild hervor, dr¸ckte es gegen ihre Stirn und reichte es dem Freunde hin mit den Worten: “heben Sie mir es auf, bis wir nach Hause kommen! Ich vermag Ihnen nicht besser zu bezeugen, wie sehr ich Ihre freundliche Sorgfalt zu schâ°tzen weiﬔ.
Der Freund wagte nicht, das Bild an seine Lippen zu dr¸cken, aber er faï¬te ihre Hand und dr¸ckte sie an seine Augen.
Es waren vielleicht die zwei schËnsten Hâ°nde, die sich jemals zusammenschlossen.
Ihm war, als wenn ihm ein Stein vom Herzen gefallen wâ°re, als wenn sich eine Scheidewand zwischen ihm und Ottilien niedergelegt hâ°tte.
Vom M¸ller gef¸hrt, langten Charlotte und der Hauptmann auf einem bequemeren Pfade herunter.
Man begr¸ï¬te sich, man erfreute und erquickte sich.
Zur¸ck wollte man denselben Weg nicht kehren, und Eduard schlug einen Felspfad auf der andern Seite des Baches vor, auf welchem die Teiche wieder zu Gesicht kamen, indem man ihn mit einiger Anstrengung zur¸cklegte.
Nun durchstrich man abwechselndes GehËlz und erblickte nach dem Lande zu mancherlei DËrfer, Flecken, Meiereien mit ihren gr¸nen und fruchtbaren Umgebungen; zunâ°chst ein Vorwerk, das an der HËhe mitten im Holze gar vertraulich lag.
Am schËnsten zeigte sich der grËï¬te Reichtum der Gegend, vor–und r¸ckwâ°rts, auf der sanfterstiegenen HËhe, von da man zu einem lustigen Wâ°ldchen gelangte und beim Heraustreten aus demselben sich auf dem Felsen dem Schlosse gegen¸ber befand.
Wie froh waren sie, als sie daselbst gewissermaï¬en unvermutet ankamen!
Sie hatten eine kleine Welt umgangen; sie standen auf dem Platze, wo das neue Gebâ°ude hinkommen sollte, und sahen wieder in die Fenster ihrer Wohnung.
Man stieg zur Moosh¸tte hinunter und saï¬ zum erstenmal darin zu vieren.
Nichts war nat¸rlicher, als daï¬ einstimmig der Wunsch ausgesprochen wurde, dieser heutige Weg, den sie langsam und nicht ohne Beschwerlichkeit gemacht, mËchte dergestalt gef¸hrt und eingerichtet werden, daï¬ man ihn gesellig, schlendernd und mit Behaglichkeit zur¸cklegen kËnnte.
Jedes tat Vorschlâ°ge, und man berechnete, daï¬ der Weg, zu welchem sie mehrere Stunden gebraucht hatten, wohlgebahnt in einer Stunde zum Schloï¬ zur¸ckf¸hren m¸ï¬te.
Schon legte man in Gedanken unterhalb der M¸hle, wo der Bach in die Teiche flieï¬t, eine wegverk¸rzende und die Landschaft zierende Br¸cke an, als Charlotte der erfindenden Einbildungskraft einigen Stillstand gebot, indem sie an die Kosten erinnerte, welche zu einem solchen Unternehmen erforderlich sein w¸rden.
“Hier ist auch zu helfen”, versetzte Eduard.
“Jenes Vorwerk im Walde, das so schËn zu liegen scheint und so wenig eintrâ°gt, d¸rfen wir nur verâ°uï¬ern und das daraus GelËste zu diesen Anlagen verwenden, so genieï¬en wir vergn¸glich auf einem unschâ°tzbaren Spaziergange die Interessen eines wohlangelegten Kapitals, da wir jetzt mit Miï¬mut, bei letzter Berechnung am Schlusse des Jahrs, eine k¸mmerliche Einnahme davon ziehen”.
Charlotte selbst konnte als gute Haushâ°lterin nicht viel dagegen erinnern.
Die Sache war schon fr¸her zur Sprache gekommen.
Nun wollte der Hauptmann einen Plan zu Zerschlagung der Grundst¸cke unter die Waldbauern machen; Eduard aber wollte k¸rzer und bequemer verfahren wissen.
Der gegenwâ°rtige Pachter, der schon Vorschlâ°ge getan hatte, sollte es erhalten, terminweise zahlen, und so terminweise wollte man die planmâ°ï¬igen Anlagen von Strecke zu Strecke vornehmen.
So eine vern¸nftige, gemâ°ï¬igte Einrichtung muï¬te durchaus Beifall finden, und schon sah die ganze Gesellschaft im Geiste die neuen Wege sich schlâ°ngeln, auf denen und in deren Nâ°he man noch die angenehmsten Ruhe–und Aussichtsplâ°tze zu entdecken hoffte.
Um sich alles mehr im einzelnen zu vergegenwâ°rtigen, nahm man abends zu Hause sogleich die neue Karte vor.
Man ¸bersah den zur¸ckgelegten Weg und wie er vielleicht an einigen Stellen noch vorteilhafter zu f¸hren wâ°re.
Alle fr¸heren Vorsâ°tze wurden nochmals durchgesprochen und mit den neuesten Gedanken verbunden, der Platz des neuen Hauses gegen dem Schloï¬ Â¸ber nochmals gebilligt und der Kreislauf der Wege bis dahin abgeschlossen.
Ottilie hatte zu dem allen geschwiegen, als Eduard zuletzt den Plan, der bisher vor Charlotten gelegen, vor sie hinwandte und sie zugleich einlud, ihre Meinung zu sagen, und, als sie einen Augenblick anhielt, sie liebevoll ermunterte, doch ja nicht zu schweigen; alles sei ja noch gleichg¸ltig, alles noch im Werden.
“Ich w¸rde”, sagte Ottilie, indem sie den Finger auf die hËchste Flâ°che der AnhËhe setzte, “das Haus hieher bauen.
Man sâ°he zwar das Schloï¬ nicht, denn es wird von dem Wâ°ldchen bedeckt; aber man befâ°nde sich auch daf¸r wie in einer andern und neuen Welt, indem zugleich das Dorf und alle Wohnungen verborgen wâ°ren.
Die Aussicht auf die Teiche, nach der M¸hle, auf die HËhen, in die Gebirge, nach dem Lande zu ist auï¬erordentlich schËn; ich habe es im Vorbeigehen bemerkt”.
“Sie hat recht!” rief Eduard.
“Wie konnte uns das nicht einfallen!
Nicht wahr, so ist es gemeint, Ottilie?”–er nahm einen Bleistift und strich ein lâ°ngliches Viereck recht stark und derb auf die AnhËhe.
Dem Hauptmann fuhr das durch die Seele, denn er sah einen sorgfâ°ltigen, reinlich gezeichneten Plan ungern auf diese Weise verunstaltet; doch faï¬te er sich nach einer leisen Miï¬billigung und ging auf den Gedanken ein.
“Ottilie hat recht”, sagte er; “macht man nicht gern eine entfernte Spazierfahrt, um einen Kaffee zu trinken, einen Fisch zu genieï¬en, der uns zu Hause nicht so gut geschmeckt hâ°tte?
Wir verlangen Abwechselung und fremde Gegenstâ°nde.
Das Schloï¬ haben die Alten mit Vernunft hieher gebaut, denn es liegt gesch¸tzt vor den Winden und nah an allen tâ°glichen Bed¸rfnissen; ein Gebâ°ude hingegen, mehr zum geselligen Aufenthalt als zur Wohnung, wird sich dorthin recht wohl schicken und in der guten Jahrszeit die angenehmsten Stunden gewâ°hren”.
Je mehr man die Sache durchsprach, desto g¸nstiger erschien sie, und Eduard konnte seinen Triumph nicht bergen, daï¬ Ottilie den Gedanken gehabt.
Er war so stolz darauf, als ob die Erfindung sein gewesen wâ°re.
Der Hauptmann untersuchte gleich am fr¸hsten Morgen den Platz, entwarf erst einen fl¸chtigen und, als die Gesellschaft an Ort und Stelle sich nochmals entschieden hatte, einen genauen Riï¬ nebst Anschlag und allem Erforderlichen.
Es fehlte nicht an der nËtigen Vorbereitung.
Jenes Geschâ°ft wegen Verkauf des Vorwerks ward auch sogleich wieder angegriffen.
Die Mâ°nner fanden zusammen neuen Anlaï¬ zur Tâ°tigkeit.
Der Hauptmann machte Eduarden bemerklich, daï¬ es eine Artigkeit, ja wohl gar eine Schuldigkeit sei, Charlottens Geburtstag durch Legung des Grundsteins zu feiern.
Es bedurfte nicht viel, die alte Abneigung Eduards gegen solche Feste zu ¸berwinden; denn es kam ihm schnell in den Sinn, Ottiliens Geburtstag, der spâ°ter fiel, gleichfalls recht feierlich zu begehen.
Charlotte, der die neuen Anlagen, und was deshalb geschehen sollte, bedeutend, ernstlich, ja fast bedenklich vorkamen, beschâ°ftigte sich damit, die Anschlâ°ge, Zeit–und Geldeinteilungen nochmals f¸r sich durchzugehen.
Man sah sich des Tages weniger, und mit desto mehr Verlangen suchte man sich des Abends auf.
Ottilie war indessen schon vËllig Herrin des Haushaltes, und wie konnte es anders sein bei ihrem stillen und sichern Betragen.
Auch war ihre ganze Sinnesweise dem Hause und dem Hâ°uslichen mehr als der Welt, mehr als dem Leben im Freien zugewendet.
Eduard bemerkte bald, daï¬ sie eigentlich nur aus Gefâ°lligkeit in die Gegend mitging, daï¬ sie nur aus geselliger Pflicht abends lâ°nger drauï¬en verweilte, auch wohl manchmal einen Vorwand hâ°uslicher Tâ°tigkeit suchte, um wieder hineinzugehen.
Sehr bald wuï¬te er daher die gemeinschaftlichen Wanderungen so einzurichten, daï¬ man vor Sonnenuntergang wieder zu Hause war, und fing an, was er lange unterlassen hatte, Gedichte vorzulesen, solche besonders, in deren Vortrag der Ausdruck einer reinen, doch leidenschaftlichen Liebe zu legen war.
GewËhnlich saï¬en sie abends um einen kleinen Tisch auf hergebrachten Plâ°tzen: Charlotte auf dem Sofa, Ottilie auf einem Sessel gegen ihr ¸ber, und die Mâ°nner nahmen die beiden andern Seiten ein.
Ottilie saï¬ zu Eduarden zur Rechten, wohin er auch das Licht schob, wenn er las.
Alsdann auch sie traute ihren eigenen Augen mehr als fremden Lippen; und Eduard gleichfalls r¸ckte zu, um es ihr auf alle Weise bequem zu machen, ja er hielt oft lâ°ngere Pausen als nËtig, damit er nur nicht eher umwendete, bis auch sie zu Ende der Seite gekommen.
Charlotte und der Hauptmann bemerkten es wohl und sahen manchmal einander lâ°chelnd an; doch wurden beide von einem andern Zeichen ¸berrascht, in welchem sich Ottiliens stille Neigung gelegentlich offenbarte.
An einem Abende, welcher der kleinen Gesellschaft durch einen lâ°stigen Besuch zum Teil verloren gegangen, tat Eduard den Vorschlag, noch beisammen zu bleiben.
Er f¸hlte sich aufgelegt, seine FlËte vorzunehmen, welche lange nicht an die Tagesordnung gekommen war.
Charlotte suchte nach den Sonaten, die sie zusammen gewËhnlich auszuf¸hren pflegten, und da sie nicht zu finden waren, gestand Ottilie nach einigem Zaudern, daï¬ sie solche mit auf ihr Zimmer genommen.
“Und Sie kËnnen, Sie wollen mich auf dem Fl¸gel begleiten?” rief Eduard, dem die Augen vor Freude glâ°nzten.
“Ich glaube wohl”, versetzte Ottilie, “daï¬ es gehen wird”.
Sie brachte die Noten herbei und setzte sich ans Klavier.
Die ZuhËrenden waren aufmerksam und ¸berrascht, wie vollkommen Ottilie das Musikst¸ck f¸r sich selbst eingelernt hatte, aber noch mehr ¸berrascht, wie sie es der Spielart Eduards anzupassen wuï¬te.
‘Anzupassen wuï¬te’ ist nicht der rechte Ausdruck; denn wenn es von Charlottens Geschicklichkeit und freiem Willen abhing, ihrem bald zËgernden, bald voreilenden Gatten zuliebe hier anzuhalten, dort mitzugehen, so schien Ottilie, welche die Sonate von jenen enigemal spielen sie gehËrt, nur in dem Sinne eingelernt zu haben, wie jener sie begleitete.
Sie hatte seine Mâ°ngel so zu den ihrigen gemacht, daï¬ daraus wieder eine Art von lebendigem Ganzen entsprang, das sich zwar nicht taktgemâ°ï¬ bewegte, aber doch hËchst angenehm und gefâ°llig lautete.
Der Komponist selbst hâ°tte seine Freude daran gehabt, sein Werk auf eine so liebevolle Weise entstellt zu sehen.
Auch diesem wundersamen, unerwarteten Begegnis sahen der Hauptmann und Charlotte stillschweigend mit einer Empfindung zu, wie man oft kindische Handlungen betrachtet, die man wegen ihrer besorglichen Folgen gerade nicht billigt und doch nicht schelten kann, ja vielleicht beneiden muï¬.
Denn eigentlich war die Neigung dieser beiden ebensogut im Wachsen als jene, und vielleicht nur noch gefâ°hrlicher dadurch, daï¬ beide ernster, sicherer von sich selbst, sich zu halten fâ°higer waren.
Schon fing der Hauptmann an zu f¸hlen, daï¬ eine unwiderstehliche Gewohnheit ihn an Charlotten zu fesseln drohte.
Er gewann es ¸ber sich, den Stunden auszuweichen, in denen Charlotte nach der Anlagen zu kommen pflegte, indem er schon am fr¸hsten Morgen aufstand, alles anordnete und sich dann zur Arbeit auf seinen Fl¸gel ins Schloï¬ zur¸ckzog.
Die ersten Tage hielt es Charlotte f¸r zufâ°llig; sie suchte ihn an allen wahrscheinlichen Stellen; dann glaubte sie ihn zu verstehen und achtete ihn nur um desto mehr.
Vermied nun der Hauptmann, mit Charlotten allein zu sein, so war er desto emsiger, zur glâ°nzenden Feier des herannahenden Geburtsfestes die Anlagen zu betreiben und zu beschleunigen; denn indem er von unten hinauf, hinter dem Dorfe her, den bequemen Weg f¸hrte, so lieï¬ er, vorgeblich um Steine zu brechen, auch von oben herunter arbeiten und hatte alles so eingerichtet und berechnet, daï¬ erst in der letzten Nacht die beiden Teile des Weges sich begegnen sollten.
Zum neuen Hause oben war auch schon der Keller mehr gebrochen als gegraben und ein schËner Grundstein mit Fâ°chern und Deckplatten zugehauen.
Die â°uï¬ere Tâ°tigkeit, diese kleinen, freundlichen, geheimnisvollen Absichten bei innern, mehr oder weniger zur¸ckgedrâ°ngten Empfindungen lieï¬en die Unterhaltung der Gesellschaft, wenn sie beisammen war, nicht lebhaft werden, dergestalt daï¬ Eduard, der etwas L¸ckenhaftes empfand, den Hauptmann eines Abends aufrief, seine Violine hervorzunehmen und Charlotten bei dem Klavier zu begleiten.
Der Hauptmann konnte dem allgemeinen Verlangen nicht widerstehen, und so f¸hrten beide mit Empfindung, Behagen und Freiheit eins der schwersten Musikst¸cke zusammen auf, daï¬ es ihnen und dem zuhËrenden Paar zum grËï¬ten Vergn¸gen gereichte.
Man versprach sich Ëftere Wiederholung und mehrere Zusammen¸bung.
“Sie machen es besser als wir, Ottilie!” sagte Eduard.
“Wir wollen sie bewundern, aber uns doch zusammen freuen”.
Der Geburtstag war herbeigekommen und alles fertig geworden: die ganze Mauer, die den Dorfweg gegen das Wasser zu einfaï¬te und erhËhte, ebenso der Weg an der Kirche vorbei, wo er eine Zeitlang in dem von Charlotten angelegten Pfade fortlief, sich dann die Felsen hinaufwâ°rts schlang, die Moosh¸tte links ¸ber sich, dann nach einer vËlligen Wendung links unter sich lieï¬ und so allmâ°hlich auf die HËhe gelangte.
Es hatte sich diesen Tag viel Gesellschaft eingefunden.
Man ging zur Kirche, wo man die Gemeinde im festlichen Schmuck versammelt antraf.
Nach dem Gottesdienste zogen die Knaben, J¸nglinge und Mâ°nner, wie es angeordnet war, voraus; dann kam die Herrschaft mit ihrem Besuch und Gefolge; Mâ°dchen, Jungfrauen und Frauen machten den Beschluï¬.
Bei der Wendung des Weges war ein erhËhter Felsenplatz eingerichtet; dort lieï¬ der Hauptmann Charlotten und die Gâ°ste ausruhen.
Hier ¸bersahen sie den ganzen Weg, die hinaufgeschrittene Mâ°nnrschar, die nachwandelnden Frauen, welche nun vorbeizogen.
Es war bei dem herrlichen Wetter ein wunderschËner Anblick.
Charlotte f¸hlte sich ¸berrascht, ger¸hrt und dr¸ckte dem Hauptmann herzlich die Hand.
Man folgte der sachte fortschreitenden Menge, die nun schon einen Kreis um den k¸nftigen Hausraum gebildet hatte.
Der Bauherr, die Seinigen und die vornehmsten Gâ°ste wurden eingeladen, in die Tiefe hinabzusteigen, wo der Grundstein, an einer Seite unterst¸tzt, eben zum Niederlassen bereit lag.
Ein wohlgeputzter Maurer, die Kelle in der einen, den Hammer in der andern Hand, hielt in Reimen eine anmutige Rede, die wir in Prosa nur unvollkommen wiedergeben kËnnen.
“Drei Dinge”, fing er an, “sind bei einem Gebâ°ude zu beachten: daï¬ es am rechten Fleck stehe, daï¬ es wohl gegr¸ndet, daï¬ es vollkommen ausgef¸hrt sei.
Das erste ist eigentlich die Sache des Bauherrn; denn wie in der Stadt nur der F¸rst und die Gemeine bestimmen kËnnen, wohin gebaut werden soll, so ist es auf dem Lande das Vorrecht des Grundherrn, daï¬ er sage: hier soll meine Wohnung stehen und nirgends anders”.
Eduard und Ottilie wagten nicht, bei diesen Worten einander anzusehen, ob sie gleich nahe gegen einander ¸ber standen.
“Das dritte, die Vollendung, ist die Sorge gar vieler Gewerke; ja wenige sind, die nicht dabei beschâ°ftigt wâ°ren.
Aber das zweite, die Gr¸ndung, ist des Maurers Angelengenheit und, daï¬ wir es nur heraussagen, die Hauptangelegenheit des ganzen Unternehmens.
Es ist ein ernstes Geschâ°ft, und unsre Einladung ist ernsthaft; denn diese Feierlichkeit wird in der Tiefe begangen.
Hier innerhalb dieses engen, ausgegrabenen Raums erweisen Sie uns die Ehre, als Zeugen unseres geheimnisvollen Geschâ°ftes zu erscheinen.
Gleich werden wir diesen wohlzugehauenen Stein niederlegen, und bald werden diese mit schËnen und w¸rdigen Personen gezierten Erdwâ°nde nicht mehr zugâ°nglich, sie werden ausgef¸llt sein.
Diesen Grundstein, der mit seiner Ecke die rechte Ecke des Gebâ°udes, mit seiner Rechtwinkligkeit die Regelmâ°ï¬igkeit desselben, mit seiner wasser–und senkrechten Lage Lot und Waage aller Mauern und Wâ°nde bezeichnet, kËnnten wir ohne weiteres niederlegen; denn er ruhte wohl auf seiner eignen Schwere.
Aber auch hier soll es am Kalk, am Bindungsmittel nicht fehlen; denn so wie Menschen, die einander von Natur geneigt sind, noch besser zusammenhalten, wenn das Gesetz sie verkittet, so werden auch Steine, deren Form schon zusammenpaï¬t, noch besser durch diese bindenden Krâ°fte vereinigt; und da es sich nicht ziemen will, unter den Tâ°tigen m¸ï¬ig zu sein, so werden Sie nicht verschmâ°hen, auch hier Mitarbeiter zu werden”.
Er ¸berreichte hierauf seine Kelle Charlotten, welche damit Kalk unter den Stein warf.
Mehreren wurde ein Gleiches zu tun angesonnen und der Stein alsobald niedergesenkt, worauf denn Charlotten und den ¸brigen sogleich der Hammer gereicht wurde, um durch ein dreimaliges Pochen die Verbindung des Steins mit dem Grunde ausdr¸cklich zu segnen.
“Des Maurers Arbeit”, fuhr der Redner fort, “zwar jetzt unter freiem Himmel, geschieht, wo nicht immer im Verborgnen, doch zum Verborgnen.
Der regelmâ°ï¬ig aufgef¸hrte Grund wird versch¸ttet, und sogar bei den Mauern, die wir am Tage auff¸hren, ist man unser am Ende kaum eingedenk.
Die Arbeiten des Steinmetzen und Bildhauers fallen mehr in die Augen, und wir m¸ssen es sogar noch gutheiï¬en, wenn der T¸ncher die Spur unserer Hâ°nde vËllig auslËscht und sich unser Werk zueignet, indem er es ¸berzieht, glâ°ttet und fâ°rbt.
Wem muï¬ also mehr daran gelegen sein, das, was er tut, sich selbst recht zu machen, indem er es recht macht, als dem Maurer?
Wer hat mehr als er das Selbstbewuï¬tsein zu nâ°hren Ursach?
Wenn das Haus aufgef¸hrt, der Boden geplattet und gepflastert, die Auï¬enseite mit Zieraten ¸berdeckt ist, so sieht er durch alle H¸llen immer noch hinein und erkennt noch jene regelmâ°ï¬igen, sorgfâ°ltigen Fugen, denen das Ganze sein Dasein und seinen Halt zu danken hat.
Aber wie jeder, der eine ¸beltat begangen, f¸rchten muï¬, daï¬, ungeachtet alles Abwehrens, sie dennoch ans Licht kommen werde, so muï¬ derjenige erwarten, der insgeheim das Gute getan, daï¬ auch dieses wider seinen Willen an den Tag komme.
Deswegen machen wir diesen Grundstein zugleich zum Denkstein. Hier in diese unterschiedlichen gehauenen Vertiefungen soll verschiedenes eingesenkt werden zum Zeugnis f¸r eine entfernte Nachwelt.
Diese metallnen zugelËteten KËcher enthalten schriftliche Nachrichten; auf diese Metallplatten ist allerlei Merkw¸rdiges eingegraben; in diesen schËnen glâ°sernen Flaschen versenken wir den besten Wein, mit Bezeichnung seines Geburtsjahrs; es fehlt nicht an M¸nzen verschiedener Art, in diesem Jahre geprâ°gt: alles dieses erhielten wir durch die Freigebigkeit unseres Bauherrn.
Auch ist hier noch mancher Platz, wenn irgendein Gast und Zuschauer etwas der Nachwelt zu ¸bergeben Belieben tr¸ge”.
Nach einer kleinen Pause sah der Geselle sich um; aber wie es in solchen Fâ°llen zu gehen pflegt: niemand war vorbereitet, jedermann ¸berrascht, bis endlich ein junger, munterer Offizier anfing und sagte: “wenn ich etwas beitragen soll, das in dieser Schatzkammer noch nicht niedergelegt ist, so muï¬ ich ein paar KnËpfe von der Uniform schneiden, die doch wohl auch verdienen, auf die Nachwelt zu kommen”.
Gesagt, getan!
Und nun hatte mancher einen â°hnlichen Einfall.
Die Frauenzimmer sâ°umten nicht, von ihren kleinen Haarkâ°mmen hineinzulegen; Riechenflâ°schchen und andre Zierden wurden nicht geschont; nur Ottilie zauderte, bis Eduard sie durch ein freundliches Wort aus der Betrachtung aller der beigesteuerten und eingelegten Dinge herausriï¬.
Sie lËste darauf die goldne Kette vom Halse, an der das Bild ihres Vaters gehangen hatte, und legte sie mit leiser Hand ¸ber die anderen Kleinode hin, worauf Eduard mit einiger Hast veranstaltete, daï¬ der wohlgefugte Deckel sogleich aufgest¸rzt und eingekittet wurde.
Der junge Gesell, der sich dabei am tâ°tigsten erwiesen, nahm seine Rednermiene wieder an und fuhr fort: “wir gr¸nden diesen Stein f¸r ewig, zur Sicherung des lâ°ngsten Genusses der gegenwâ°rtigen und k¸nftigen Besitzer dieses Hauses.
Allein indem wir hier gleichsam einen Schatz vergraben, so denken wir zugleich, bei dem gr¸ndlichsten aller Geschâ°fte, an die Vergâ°nglichkeit der menschlichen Dinge; wir denken uns eine MËglichkeit, daï¬ dieser festversiegelte Deckel wieder aufgehoben werden kËnne, welches nicht anders geschehen d¸rfte, als wenn das alles wieder zerstËrt wâ°re, was wir noch nicht einmal aufgef¸hrt haben.
Aber eben, damit dieses aufgef¸hrt werde: zur¸ck mit den Gedanken aus der Zukunft, zur¸ck ins Gegenwâ°rtige!
Laï¬t und nach begangenem heutigem Feste unsre Arbeit sogleich fËrdern, damit keiner von den Gewerken, die auf unserm Grunde fortarbeiten, zu feiern brauche, daï¬ der Bau eilig in die HËhe steige und vollendet werde und aus den Fenstern, die noch nicht sind, der Hausherr mit den Seinigen und seinen Gâ°sten sich frËhlich in der Gegend umschaue, deren aller sowie sâ°mtlicher Anwesenden Gesundheit hiermit getrunken sei!”
Und so leerte er ein wohlgeschliffenes Kelchglas auf einen Zug aus und warf es in die Luft; denn es bezeichnet das ¸bermaï¬ einer Freude, das Gefâ°ï¬ zu zerstËren, dessen man sich in der FrËhlichkeit bedient.
Aber diesmal ereignete es sich anders: das Glas kam nicht wieder auf den Boden, und zwar ohne Wunder.
Man hatte nâ°mlich, um mit dem Bau vorwâ°rtszukommen, bereits an der entgegengesetzten Ecke den Grund vËllig herausgeschlagen, ja schon angefangen, die Mauern aufzuf¸hren, und zu dem Endzweck das Ger¸st erbaut, so hoch, als es ¸berhaupt nËtig war.
Daï¬ man es besonders zu dieser Feierlichkeit mit Brettern belegt und eine Menge Zuschauer hinaufgelassen hatte, war zum Vorteil der Arbeitsleute geschehen.
Dort hinauf flog das Glas und wurde von einem aufgefangen, der diesen Zufall als ein gl¸ckliches Zeichen f¸r sich ansah.
Er wies es zuletzt herum, ohne es aus der Hand zu lassen, und man sah darauf die Buchstaben E und O in sehr zierlicher Verschlingung eingeschnitten: es war eins der Glâ°ser, die f¸r Eduarden in seiner Jugend verfertigt worden.
Die Ger¸ste standen wieder leer, und die leichtesten unter den Gâ°sten stiegen hinauf, sich umzusehen, und konnten die schËne Aussicht nach allen Seiten nicht genugsam r¸hmen; denn was entdeckt der nicht alles, der auf einem hohen Punkte nur um ein Geschoï¬ hËher steht! Nach dem Innern des Landes zu kamen mehrere neue DËrfer zum Vorschein, den silbernen Streifen des Flusses erblickte man deutlich, ja selbst die T¸rme der Hauptstadt wollte einer gewahr werden.
An der R¸ckseite, hinter den waldigen H¸geln, erhoben sich die blauen Gipfel eines fernen Gebirges, und die nâ°chste Gegend ¸bersah man im ganzen.
“Nun sollten nur noch”, rief einer, “die drei Teiche zu einem See vereinigt werden; dann hâ°tte der Anblick alles, was groï¬ und w¸nschenswert ist”.
“Das lieï¬e sich wohl machen”, sagte der Hauptmann; “denn sie bildeten schon vorzeiten einen Bergsee”.
“Nur bitte ich, meine Platanen–und Pappelgruppe zu schonen”, sagte Eduard, “die so schËn am mittelsten Teiche steht”.
“Sehen Sie”,–wandte er sich zu Ottilien, die er einige Schritte vorf¸hrte, indem er hinabwies–“diese Bâ°ume habe ich selbst gepflanzt”.
“Wie lange stehen sie wohl schon?” fragte Ottilie.
“Etwa so lange”, versetzte Eduard, “als Sie auf der Welt sind.
Ja, liebes Kind, ich pflanzte schon, da Sie noch in der Wiege lagen”.
Die Gesellschaft begab sich wieder in das Schloï¬ zur¸ck.
Nach aufgehobener Tafel wurde sie zu einem Spaziergang durch das Dorf eingeladen, um auch hier die neuen Anstalten in Augenschein zu nehmen.
Dort hatten sich auf des Hauptmanns Veranlassung die Bewohner vor ihren Hâ°usern versammelt; sie standen nicht in Reihen, sondern familienweise nat¸rlich gruppiert, teils, wie es der Abend forderte, beschâ°ftigt, teils auf neuen Bâ°nken ausruhend.
Es ward ihnen angenehmen Pflicht gemacht, wenigstens jeden Sonntag und Festtag diese Reinlichkeit, diese Ordnung zu erneuern.
Eine innere Geselligkeit mit Neigung, wie sie sich unter unseren Freunden erzeugt hatte, wird durch eine grËï¬ere Gesellschaft immer nur unangenehm unterbrochen.
Alle vier waren zufrieden, sich wieder im groï¬en Saale allein zu finden; doch ward dieses hâ°usliche Gef¸hl einigermaï¬en gestËrt, indem ein Brief, der Eduarden ¸berreicht wurde, neue Gâ°ste auf morgen ank¸ndigte.
“Wie wir vermuteten”, rief Eduard Charlotten zu; “der Graf wird nicht ausbleiben, er kommt morgen”.
“Da ist also auch die Baronesse nicht weit”, versetzte Charlotte.
“Gewiï¬ nicht!” antwortete Eduard;” sie wird auch morgen von ihrer Seite anlangen.
Sie bitten um ein Nachtquartier und wollen ¸bermorgen zusammen wieder fortreisen”.
“Da m¸ssen wir unsere Anstalten beizeiten machen, Ottilie! ” sagte Charlotte.
“Wie befehlen Sie die Einrichtung?” fragte Ottilie.
Charlotte gab es im allgemeinen an, und Ottilie entfernte sich.
Der Hauptmann erkundigte sich nach dem Verhâ°ltnis dieser beiden Personen, das er nur im allgemeinsten kannte.
Sie hatten fr¸her, beide schon anderwâ°rts verheiratet, sich leidenschaftlich liebgewonnen.
Eine doppelte Ehe war nicht ohne Aufsehn gestËrt; man dachte an Scheidung.
Bei der Baronesse war sie mËglich geworden, bei dem Grafen nicht.
Sie muï¬ten sich zum Scheine trennen, allein ihr Verhâ°ltnis blieb; und wenn sie Winters in der Residenz nicht zusammen sein konnten, so entschâ°digten sie sich Sommers auf Lustreisen und in Bâ°dern.
Sie waren beide um etwas â°lter als Eduard und Charlotte und sâ°mtlich genaue Freunde aus fr¸her Hofzeit her.
Man hatte immer ein gutes Verhâ°ltnis erhalten, ob man gleich nicht alles an seinen Freunden billigte.
Nur diesmal war Charlotten ihre Ankunft gewissermaï¬en ganz ungelegen, und wenn sie die Ursache genau untersucht hâ°tte: es war eigentlich um Ottiliens willen.
Das gute, reine Kind sollte ein solches Beispiel so fr¸h nicht gewahr werden.
“Sie hâ°tten wohl noch ein paar Tage wegbleiben kËnnen”, sagte Eduard, als eben Ottilie wieder hereintrat, “bis wir den Vorwerksverkauf in Ordnung gebracht.
Der Aufsatz ist fertig, die eine Abschrift habe ich hier; nun fehlt es aber an der zweiten, und unser alter Kanzellist ist recht krank”.
Der Hauptmann bot sich an, auch Charlotte; dagegen waren einige Einwendungen zu machen.
“Geben Sie mirs nur!” rief Ottilie mit einiger Hast.
“Du wirst nicht damit fertig”, sagte Charlotte.
“Freilich m¸ï¬te ich es ¸bermorgen fr¸h haben, und es ist viel”, sagte Eduard.
“Es soll fertig sein”, rief Ottilie und hatte das Blatt schon in den Hâ°nden.
Des andern Morgens, als sie sich aus dem obern Stock nach den Gâ°sten umsahen, denen sie entgegenzugehen nicht verfehlen wollten, sagte Eduard: “wer reitet denn so langsam dort die Straï¬e her?” Der Hauptmann beschrieb die Figur des Reiters genauer.
“So ist ers doch”, sagte Eduard; “denn das Einzelne, das du besser siehst als ich, paï¬t sehr gut zu dem Ganzen, das ich recht wohl sehe.
Es ist Mittler.
Wie kommt er aber dazu, langsam und so langsam zu reiten?” Die Figur kam nâ°her, und Mittler war es wirklich.
Man empfing ihn freundlich, als er langsam die Treppe heraufstieg.
“Warum sind Sie nicht gestern gekommen?” rief ihm Eduard entgegen.
“Laute Feste lieb ich nicht”, versetzte jener.
“Heute komm ich aber, den Geburtstag meiner Freundin mit euch im stillen nachzufeiern”.
“Wie kËnnen Sie denn soviel Zeit gewinnen?” fragte Eduard scherzend.
“Meinen Besuch, wenn er euch etwas wert ist, seid ihr einer Betrachtung schuldig, die ich gestern gemacht habe.
Ich freute mich recht herzlich den halben Tag in einem Hause, wo ich Frieden gestiftet hatte, und dann hËrte ich, daï¬ hier Geburtstag gefeiert werde.
‘Das kann man doch am Ende selbstisch nennen,’ dachte ich bei mir, ‘daï¬ du dich nur mit denen freuen willst, die du zum Frieden bewogen hast.
Warum freust du dich nicht auch einmal mit Freunden, die Frieden halten und hegen?’
Gesagt, getan!
Hier bin ich, wie ich mir vorgenommen hatte”.
“Gestern hâ°tten Sie groï¬e Gesellschaft gefunden, heute finden Sie nur kleine”, sagte Charlotte.
“Sie finden den Grafen und die Baronesse, die Ihnen auch schon zu schaffen gemacht haben”.
Aus der Mitte der vier Hausgenossen, die den seltsamen, willkommenen Mann umgeben hatten, fuhr er mit verdrieï¬licher Lebhaftigkeit heraus, indem er sogleich nach Hut und Reitgerte suchte: “schwebt doch immer ein Unstern ¸ber mir, sobald ich einmal ruhen und mir wohltun will!
Aber warum gehe ich aus meinem Charakter heraus!
Ich hâ°tte nicht kommen sollen, und nun werd ich vertrieben.
Denn mit jenen will ich nicht unter einem Dache bleiben; und nehmt euch in acht: sie bringen nichts als Unheil!
Ihr Wesen ist wie ein Sauerteig, der seine Ansteckung fortpflanzt”.
Man suchte ihn zu beg¸tigen, aber vergebens.
“Wer mir den Ehstand angreift”, rief er aus, “wer mir durch Wort, ja durch Tat diesen Grund aller sittlichen Gesellschaft untergrâ°bt, der hat es mit mir zu tun; oder wenn ich sein nicht Herr werden kann, habe ich nichts mit ihm zu tun.
Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Kultur.
Sie macht den Rohen mild, und der Gebildetste hat keine bessere Gelegenheit, seine Milde zu beweisen.
UnauflËslich muï¬ sie sein; denn sie bringt so vieles Gl¸ck, daï¬ alles einzelne Ungl¸ck dagegen gar nicht zu rechnen ist.
Und was will man von Ungl¸ck reden?
Ungeduld ist es, die den Menschen von Zeit zu Zeit anfâ°llt, und dann beliebt er sich ungl¸cklich zu finden.
Lasse man den Augenblick vor¸bergehen, und man wird sich gl¸cklich preisen, daï¬ ein so lange Bestandenes noch besteht.
Sich zu trennen gibts gar keinen hinlâ°nglichen Grund.
Der menschliche Zustand ist so hoch in Leiden und Freuden gesetzt, daï¬ gar nicht berechnet werden kann, was ein Paar Gatten einander schuldig werden.
Es ist eine unendliche Schuld, die nur durch die Ewigkeit abgetragen werden kann.
Unbequem mag es manchmal sein, das glaub ich wohl, und das ist eben recht.
Sind wir nicht auch mit dem Gewissen verheiratet, das wir oft gerne los sein mËchten, weil es unbequemer ist, als uns je ein Mann oder eine Frau werden kËnnte?” so sprach er lebhaft und hâ°tte wohl noch lange fortgesprochen, wenn nicht blasende Postillons die Ankunft der Herrschaften verk¸ndig hâ°tten, welche wie abgemessen von beiden Seiten zu gleicher Zeit in den Schloï¬hof hereinfuhren.
Als ihnen die Hausgenossen entgegeneilten, versteckte sich Mittler, lieï¬ sich das Pferd an den Gasthof bringen und ritt verdrieï¬lich davon.
Die Gâ°ste waren bewillkommt und eingef¸hrt; sie freuten sich, das Haus, die Zimmer wieder zu betreten, wo sie fr¸her so manchen guten Tag erlebt und die sie eine lange Zeit nicht gesehn hatten.
HËchst angenehm war auch den Freunden ihre Gegenwart.
Den Grafen sowie die Baronesse konnte man unter jene hohen, schËnen Gestalten zâ°hlen, die man in einem mittlern Alter fast lieber als in der Jugend sieht; denn wenn ihnen auch etwas von der ersten Bl¸te abgehn mËchte, so erregen sie doch nun mit der Neigung ein entschiedenes Zutrauen.
Auch dieses Paar zeigte sich hËchst bequem in der Gegenwart.
Ihre freie Weise, die Zustâ°nde des Lebens zu nehmen und zu behandeln, ihre Heiterkeit und scheinbare Unbefangenheit teilte sich sogleich mit, und ein hoher Anstand begrenzte das Ganze, ohne daï¬ man irgendeinen Zwang bemerkt hâ°tte.
Diese Wirkung lieï¬ sich augenblicks in der Gesellschaft empfinden.
Die Neueintretenden, welche unmittelbar aus der Welt kamen, wie man sogar an ihren Kleidern, Gerâ°tschaften und allen Umgebungen sehen konnte, machten gewissermaï¬en mit unsern Freunden, ihrem lâ°ndlichen und heimlich leidenschaftlichen Zustande eine Art von Gegensatz, der sich jedoch sehr bald verlor, indem alte Erinnerungen und gegenwâ°rtige Teilnahme sich vermischten und ein schnelles, lebhaftes Gesprâ°ch alle geschwind zusammenverband.
Es wâ°hrte indessen nicht lange, als schon eine Sonderung vorging.
Die Frauen zogen sich auf ihren Fl¸gel zur¸ck und fanden daselbst, indem sie sich mancherlei vertrauten und zugleich die neuesten Formen und Zuschnitte von Fr¸hkleidern, H¸ten und derglichen zu mustern anfingen, genugsame Unterhaltung, wâ°hrend die Mâ°nner sich um die neuen Reisewagen, mit vorgef¸hrten Pferden, beschâ°ftigten und gleich zu handeln und zu tauschen anfingen.
Erst zu Tische kam man wieder zusammen.
Die Umkleidung war geschehen, und auch hier zeigte sich das angekommene Paar zu seinem Vorteile.
Alles, was sie an sich trugen, war neu und gleichsam ungesehen und doch schon durch den Gebrauch zur Gewohnheit und Bequemlichkeit eingeweiht.
Das Gesprâ°ch war lebhaft und abwechselnd, wie denn in Gegenwart solcher Personen alles und nichts zu interessieren scheint.
Man bediente sich der franzËsischen Sprache, um die Aufwartenden von dem Mitverstâ°ndnis auszuschlieï¬en, und schweifte mit mutwilligem Behagen ¸ber hohe und mittlere Weltverhâ°ltnisse hin.
Auf einem einzigen Punkt blieb die Unterhaltung lâ°nger als billig haften, indem Charlotte nach einer Jugendfreundin sich erkundigte und mit einiger Befremdung vernahm, daï¬ sie ehstens geschieden werden sollte.
“Es ist unerfreulich”, sagte Charlotte, “wenn man seine abwesenden Freunde irgend einmal geborgen, eine Freundin, die man liebt, versorgt glaubt; eh man sichs versieht, muï¬ man wieder hËren, daï¬ ihr Schicksal im Schwanken ist, und daï¬ sie erst wieder neue und vielleicht abermals unsichre Pfade des Lebens betreten soll”.
“Eigentlich, meine Beste”, versetzte der Graf, “sind wir selbst schuld, wenn wir auf solche Weise ¸berrascht werden.
Wir mËgen uns die irdischen Dinge und besonders auch die ehlichen Verbindungen gern so recht dauerhaft vorstellen, und was den letzten Punkt betrifft, so verf¸hren uns die Lustspiele, die wir immer wiederholen sehen, zu solchen Einbildungen, die mit dem Gange der Welt nicht zusammentreffen.
In der KomËdie sehen wir eine Heirat als das letzte Ziel eines durch die Hindernisse mehrerer Akte verschobenen Wunsches, und im Augenblick, da er erreicht ist, fâ°llt der Vorhang, und die momentane Befriedigung klingt bei uns nach.
In der Welt ist es anders; da wird hinten immer fortgespielt, und wenn der Vorhang wieder aufgeht, mag man gern nichts weiter davon sehen noch hËren”.
“Es muï¬ doch so schlimm nicht sein”, sagte Charlotte lâ°chelnd, “da man sieht, daï¬ auch Personen, die von diesem Theater abgetreten sind, wohl gern darauf wieder eine Rolle spielen mËgen”.
“Dagegen ist nichts einzuwenden”, sagte der Graf.
“Eine neue Rolle mag man gern wieder ¸bernehmen, und wenn man die Welt kennt, so sieht man wohl: auch bei dem Ehestande ist es nur diese entschiedene, ewige Dauer zwischen soviel Beweglichem in der Welt, die etwas Ungeschicktes an sich trâ°gt.
Einer von meinen Freunden, dessen gute Laune sich meist in Vorschlâ°gen zu neuen Gesetzen hervortat, behauptet: eine jede Ehe solle nur auf f¸nf Jahre geschlossen werden.
Es sei, sagte er, dies eine schËne, ungrade, heilige Zahl und ein solcher Zeitraum eben hinreichend, um sich kennenzulernen, einige Kinder heranzubringen, sich zu entzweien und, was das SchËnste sei, sich wieder zu versËhnen.
GewËhnlich rief er aus: ‘ wie gl¸cklich w¸rde die erste Zeit verstreichen!
Zwei, drei Jahre wenigstens gingen vergn¸glich hin.
Dann w¸rde doch wohl dem einen Teil daran gelegen sein, das Verhâ°ltnis lâ°nger dauern zu sehen, die Gefâ°lligkeit w¸rde wachsen, je mehr man sich dem Termin der Aufk¸ndigung nâ°herte.
Der gleichg¸ltige, ja selbst der unzufriedene Teil w¸rde durch ein solches Betragen beg¸tigt und eingenommen.
Man vergâ°ï¬e, wie man in guter Gesellschaft die Stunden vergiï¬t, daï¬ die Zeit verflieï¬e, und fâ°nde sich aufs angenehmste ¸berrascht, wenn man nach verlaufenem Termin erst bemerkte, daï¬ er schon stillschweigend verlâ°ngert sei”.
So artig und lustig dies klang und so gut man, wie Charlotte wohl empfand, diesem Scherz eine tiefe moralische Deutung geben konnte, so waren ihr dergleichen â°uï¬erungen, besonders um Ottiliens willen, nicht angenehm.
Sie wuï¬te recht gut, daï¬ nichts gefâ°hrlicher sei als ein allzufreies Gesprâ°ch, das einen strafbaren oder halbstrafbaren Zustand als einen gewËhnlichen, gemeinen, ja lËblichen bahandelt; und dahin gehËrt doch gewiï¬ alles, was die eheliche Verbindung antastet.
Sie suchte daher nach ihrer gewandten Weise das Gesprâ°ch abzulenken; da sie es nicht vermochte, tat es ihr leid, daï¬ Ottilie alles so gut eingerichtet hatte, um nicht aufstehen zu d¸rfen.
Das ruhig aufmerksame Kind verstand sich mit dem Haushofmeister durch Blick und Wink, daï¬ alles auf das trefflichste geriet, obgleich ein paar neue, ungeschickte Bedienten in der livree staken.
Und so fuhr der Graf, Charlottens Ablenken nicht empfindend, ¸ber diesen Gegenstand sich zu â°uï¬ern fort.
Ihm, der sonst nicht gewohnt war, im Gesprâ°ch irgend lâ°stig zu sein, lastete diese Sache zu sehr auf dem Herzen, und die Schwierigkeiten, sich von seiner Gemahlin getrennt zu sehen, machten ihn bitter gegen alles, was eheliche Verbindung betraf, die er doch selbst mit der Baronesse so eifrig w¸nschte.
“Jener Freund”, so fuhr er fort, “tat noch einen andern Gesetzvorschlag: eine Ehe sollte nur alsdann f¸r unauflËslich gehalten werden, wenn entweder beide Teile oder wenigstens der eine Teil zum drittenmal verheiratet wâ°re.
Denn was eine solche Person betreffe, so bekenne sie unwidersprechlich, daï¬ sie die Ehe f¸r etwas Unentbehrliches halte.
Nun sei auch schon bekannt geworden, wie sie sich in ihren fr¸hern Verbindungen betragen, ob sie Eigenheiten habe, die oft mehr zur Trennung Anlaï¬ geben als ¸ble Eigenschaften.
Man habe sich also wechselseitig zu erkundigen; man habe ebensogut auf Verheiratete wie auf Unverheiratete achtzugeben, weil man nicht wisse, wie die Fâ°lle kommen kËnnen”.
“Das w¸rde freilich das Interesse der Gesellschaft sehr vermehren”, sagte Eduard; “denn in der Tat jetzt, wenn wir verheiratet sind, fragt niemand weiter mehr nach unsern Tugenden noch unsern Mâ°ngeln”.
“Bei einer solchen Einrichtung”, fiel die Baronesse lâ°chelnd ein, “hâ°tten unsere lieben Wirte schon zwei Stufen gl¸cklich ¸berstiegen und kËnnten sich zu der dritten vorbereiten”.
“Ihnen ists wohl geraten”, sagte der Graf; “hier hat der Tod willig getan, was die Konsistorien sonst nur ungern zu tun pflegen”. “Lassen wir die Toten ruhen”, versetzte Charlotte mit einem halb ernsten Blicke.
“Warum?” versetzte der Graf, “da man ihrer in Ehren gedenken kann.
Sie waren bescheiden genug, sich mit einigen Jahren zu begn¸gen f¸r mannigfaltiges Gute, das sie zur¸cklieï¬en”.
“Wenn nur nicht gerade”, sagte die Baronesse mit einem verhaltenen Seufzer, “in solchen Fâ°llen das Opfer der besten Jahre gebracht werden m¸ï¬te!” “Jawohl”, versetzte der Graf, “man m¸ï¬te dar¸ber verzweifeln, wenn nicht ¸berhaupt in der Welt so weniges eine gehoffte Folge zeigte.
Kinder halten nicht, was sie versprechen, junge Leute sehr selten, und wenn sie Wort halten, hâ°lt es ihnen die Welt nicht”.
Charlotte, welche froh war, daï¬ das Gesprâ°ch sich wendete, versetzte heiter:” nun!
Wir m¸ssen uns ja ohnehin bald genug gewËhnen, das Gute st¸ck–und teilweise zu genieï¬en”.
“Gewiﬔ, versetzte der Graf, “Sie haben beide sehr schËner Zeiten genossen.
Wenn ich mir die Jahre zur¸ckerinnere, da Sie und Eduard das schËnste Paar bei Hof waren; weder von so glâ°nzenden Zeiten noch von so hervorleuchtenden Gestalten ist jetzt die Rede mehr.
Wenn Sie beide zusammen tanzten, aller Augen waren auf Sie gerichtet, und wie umworben beide, indem Sie sich nur ineinander bespiegelten!” “Da sich so manches verâ°ndert hat”, sagte Charlotte, “kËnnen wir wohl soviel SchËnes mit Bescheidenheit anhËren”.
“Eduarden habe ich doch oft im stillen getadelt”, sagte der Graf, “daï¬ er nicht beharrlicher war; denn am Ende hâ°tten seine wunderlichen Eltern wohl nachgegeben; und zehn fr¸he Jahre gewinnen ist keine Kleinigkeit”.
“Ich muï¬ mich seiner anehmen”, fiel die Baronesse ein.
“Charlotte war nicht ganz ohne Schuld, nicht ganz rein von allem Umhersehen, und ob sie gleich Eduarden von Herzen liebte und sich ihn auch heimlich zum Gatten bestimmte, so war ich doch Zeuge, wie sehr sie ihn manchmal quâ°lte, sodaï¬ man ihn leicht zu dem ungl¸cklichen Entschluï¬ drâ°ngen konnte, zu reisen, sich zu entfernen, sich von ihr zu entwËhnen”.
Eduard nickte der Baronesse zu und schien dankbar f¸r ihre F¸rsprache.
“Und dann muï¬ ich eins”, fuhr sie fort, “zu Charlottens Entschuldigung beif¸gen: der Mann, der zu jener Zeit um sie warb, hatte sich schon lange durch Neigung zu ihr ausgezeichnet und war, wenn man ihn nâ°her kannte, gewiï¬ liebensw¸rdiger, als ihr andern gern zugestehen mËgt”.
“Liebe Freundin”, versetzte der Graf etwas lebhaft, “bekennen wir nur, daï¬ er Ihnen nicht ganz gleichg¸ltig war, und daï¬ Charlotte von Ihnen mehr zu bef¸rchten hatte als von einer andern.
Ich finde das einen sehr h¸bschen Zug an den Frauen, daï¬ sie ihre Anhâ°nglichkeit an irgendeinen Mann solange noch fortsetzen, ja durch keine Art von Trennung stËren oder aufheben lassen”.
“Diese gute Eigenschaft besitzen vielleicht die Mâ°nner noch mehr”, versetzte die Baronesse; “wenigstens an Ihnen lieber Graf, habe ich bemerkt, daï¬ niemand mehr Gewalt ¸ber Sie hat als ein Frauenzimmer, dem Sie fr¸her geneigt waren.
So habe ich gesehen, daï¬ Sie auf die F¸rsprache einer solchen sich mehr M¸he gaben, um etwas auszuwirken, als vielleicht die Freundin des Augenblicks von Ihnen erlangt hâ°tte”.
“Einen solchen Vorwurf darf man sich wohl gefallen lassen”, versetzte der Graf; “doch was Charlottens ersten Gemahl betrifft, so konnte ich ihn deshalb nicht leiden, weil er mir das schËne Paar auseinandersprengte, ein wahrhaft prâ°destiniertes Paar, das, einmal zusammengegeben, weder f¸nf Jahre zu scheuen, noch auf eine zweite oder gar dritte Verbindung hinzusehen brauchte”.
“Wir wollen versuchen”, sagte Charlotte, “wieder einzubringen, was wir versâ°umt haben”.
“Da m¸ssen Sie sich dazuhalten”, sagte der Graf.
“Ihre ersten Heiraten”, fuhr er mit einiger Heftigkeit fort, “waren doch so eigentlich rechte Heiraten von der verhaï¬ten Art, und leider haben ¸berhaupt die Heiraten–verzeihen Sie mir einen lebhafteren Ausdruck–etwas TËlpelhaftes; sie verderben die zartesten Verhâ°ltnisse, und es liegt doch eigentlich nur an der plumpen Sicherheit, auf die sich wenigstens ein Teil etwas zugute tut.
Alles versteht sich von selbst, und man scheint sich nur verbunden zu haben, damit eins wie das andere nunmehr seiner Wege gehe”. In diesem Augenblick machte Charlotte, die ein f¸r allemal dies Gesprâ°ch abbrechen wollte, von einer k¸hnen Wendung Gebrauch; es gelang ihr.
Die Unterhaltung ward allgemeiner, die beiden Gatten und der Hauptmann konnten daran teilnehmen; selbst Ottilie ward veranlaï¬t sich zu â°uï¬ern, und der Nachtisch ward mit der besten Stimmung genossen, woran der in zierlichen FruchtkËrben aufgestellte Obstreichtum, die bunteste, in Prachtgefâ°ï¬en schËn verteilte Blumenf¸lle den vorz¸glichsten Anteil hatte.
Auch die neuen Parkanlagen kamen zur Sprache, die man sogleich nach Tische besuchte.
Ottilie zog sich unter dem Vorwande hâ°uslicher Beschâ°ftigung zur¸ck; eigentlich aber setzte sie sich nieder zur Abschrift.
Der Graf wurde von dem Hauptmann unterhalten; spâ°ter gesellte sich Charlotte zu ihm.
Als sie oben auf die HËhe gelangt waren und der Hauptmann gefâ°llig hinuntereilte, um den Plan zu holen, sagte der Graf zu Charlotten: “dieser Mann gefâ°llt mir auï¬erordentlich.
Er ist sehr wohl und im Zusammenhang unterrichtet.
Ebenso scheint seine Tâ°tigkeit sehr ernst und folgerecht.
Was er hier leistet, w¸rde in einem hËhern Kreise von viel Bedeutung sein”.
Charlotte vernahm des Hauptmanns Lob mit innigem Behagen.
Sie faï¬te sich jedoch und bekrâ°ftigte das Gesagte mit Ruhe und Klarheit.
Wie ¸berrascht war sie aber, als der Graf fortfuhr: “diese Bekanntschaft kommt mir sehr zu gelegener Zeit.
Ich weiï¬ eine Stelle, an die der Mann vollkommen paï¬t, und ich kann mir durch eine solche Empfehlung, indem ich ihn gl¸cklich mache, einen hohen Freund auf das allerbeste verbinden”.
Es war wie ein Donnerschlag, der auf Charlotten herabfiel.
Der Graf bemerkte nichts; denn die Frauen, gewohnt, sich jederzeit zu bâ°ndigen, behalten in den auï¬erordentlichsten Fâ°llen immer noch eine Art von scheinbarer Fassung.
Doch hËrte sie schon nicht mehr, was der Graf sagte, indem er fortfuhr: “wenn ich von etwas ¸berzeugt bin, geht es bei mir geschwind her.
Ich habe schon meinen Brief im Kopfe zusammengestellt, und mich drâ°ngts, ihn zu schreiben.
Sie verschaffen mir einen reitenden Boten, den ich noch heute abend wegschicken kann”.
Charlotte war innerlich zerrissen.
Von diesen Vorschlâ°gen sowie von sich selbst ¸berrascht, konnte sie kein Wort hervorbringen.
Der Graf fuhr gl¸cklicherweise fort, von seinen Planen f¸r den Hauptmann zu sprechen, deren G¸nstiges Charlotten nur allzusehr in die Augen fiel.
Es war Zeit, daï¬ der Hauptmann herauftrat und seine Rolle vor dem Grafen entfaltete.
Aber mit wie andern Augen sah sie den Freund an, den sie verlieren sollte!
Mit einer notd¸rftigen Verbeugung wandte sie sich weg und eilte hinunter nach der Moosh¸tte.
Schon auf halbem Wege st¸rzten ihr die Trâ°nen aus den Augen, und nun warf sie sich in den engen Raum der kleinen Einsiedelei und ¸berlieï¬ sich ganz einem Schmerz, einer Leidenschaft, einer Verzweiflung, von deren MËglichkeit sie wenig Augenblicke vorher auch nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte.
Auf der andern Seite war Eduard mit der Baronesse an den Teichen hergegangen.
Die kluge Frau, die gern von allem unterrichtet sein mochte, bemerkte bald in einem tastenden Gesprâ°ch, daï¬ Eduard sich zu Ottiliens Lobe weitlâ°ufig herauslieï¬, und wuï¬te ihn auf eine so nat¸rliche Weise nach und nach in den Gang zu bringen, daï¬ ihr zuletzt kein Zweifel ¸brigblieb, hier sei eine Leidenschaft nicht auf dem Wege, sondern wirklich angelangt.
Verheiratete Frauen, wenn sie sich auch untereinander nicht lieben, stehen doch stillschweigend miteinander, besonders gegen junge Mâ°dchen, im B¸ndnis.
Die Folgen einer solchen Zuneigung stellten sich ihrem weltgewandten Geiste nur allzugeschwind dar.
Dazu kam noch, daï¬ sie schon heute fr¸h mit Charlotten ¸ber Ottilien gesprochen und den Aufenthalt dieses Kindes auf dem Lande, besonders bei seiner stillen Gem¸tsart, nicht gebilligt und den Vorschlag getan hatte, Ottilien in die Stadt zu einer Freundin zu bringen, die sehr viel an die Erziehung ihrer einzigen Tochter wende und sich nur nach einer gutartigen Gespielin umsehe, die an die zweite Kindesstatt eintreten und alle Vorteile mitgenieï¬en solle.
Charlotte hatte sichs zur ¸berlegung genommen.
Nun aber brachte der Blick in Eduards Gem¸t diesen Vorschlag bei der Baronesse ganz zur vorsâ°tzlichen Festigkeit, und um so schneller dieses in ihr vorging, um desto mehr schmeichelte sie â°uï¬erlich Eduards W¸nschen.
Denn niemand besaï¬ sich mehr als diese Frau, und diese Selbstbeherrschung in auï¬erordentlichen Fâ°llen gewËhnt uns, sogar einen gemeinen Fall mit Verstellung zu behandeln, macht uns geneigt, indem wir soviel Gewalt ¸ber uns selbst ¸ben, unsre Herrschaft auch ¸ber die andern zu verbreiten, um uns durch das, was wir â°uï¬erlich gewinnen, f¸r dasjenige, was wir innerlich entbehren, gewissermaï¬en schadlos zu halten. An diese Gesinnung schlieï¬t sich meist eine Art heimlicher Schadenfreude ¸ber die Dunkelheit der andern, ¸ber das Bewuï¬tlose, womit sie in eine Falle gehen.
Wir freuen uns nicht allein ¸ber das gegenwâ°rtige Gelingen, sondern zugleich auch auf die k¸nftig ¸berraschende Beschâ°mung.
Und so war die Baronesse boshaft genug, Eduarden zur Weinlese auf ihre G¸ter mit Charlotten einzuladen und die Frage Eduards, ob sie Ottilien mitbringen d¸rften, auf eine Weise, die er beliebig zu seinen Gunsten auslegen konnte, zu beantworten.
Eduard sprach schon mit Entz¸cken von der herrlichen Gegend, dem groï¬en Flusse, den H¸geln, Felsen und Weinbergen, von alen SchlËssern, von Wasserfahrten, von dem Jubel der Weinlese, des Kelterns und so weiter, wobei er in der Unschuld seines Herzens sich schon zum voraus laut ¸ber den Eindruck freute, den dergleichen Szenen auf das frische Gem¸t Ottiliens machen w¸rden.
In diesem Augenblick sah man Ottilien herankommen, und die Baronesse sagte schnell zu Eduard, er mËchte von dieser vorhabenden Herbstreise ja nichts reden; denn gewËhnlich geschâ°he das nicht, worauf man sich so lange voraus freue.
Eduard versprach, nËtigte sie aber, Ottilien entgegen geschwinder zu gehen, und eilte ihr endlich, dem lieben Kinde zu, mehrere Schritte voran.
Eine herzliche Freude dr¸ckte sich in seinem ganzen Wesen aus. Er k¸ï¬te ihr die Hand, in die er einen Strauï¬ Feldblumen dr¸ckte, die er unterwegs zusammengepfl¸ckt hatte.
Die Baronesse f¸hlte sich bei diesem Anblick in ihrem Innern fast erbittert.
Denn wenn sie auch das, was an dieser Neigung strafbar sein mochte, nicht billigen durfte, so konnte sie das, was daran liebensw¸rdig und angenehm war, jenem unbedeutenden Neuling von Mâ°dchen keineswegs gËnnen.
Als man sich zum Abendessen zusammengesetzt hatte, war eine vËllig andre Stimmung in der Gesellschaft verbreitet.
Der Graf, der schon vor Tische geschrieben und den Boten fortgeschickt hatte, unterhielt sich mit dem Hauptmann, den er auf eine verstâ°ndige und bescheidene Weise immer mehr ausforschte, indem er ihn diesen Abend an seine Seite gebracht hatte.
Die zur Rechten des Grafen sitzende Baronesse fand von daher wenig Unterhaltung, ebensowenig an Eduard, der, erst durstig, dann aufgeregt, des Weines nicht schonte und sich sehr lebhaft mit Ottilien unterhielt, die er an sich gezogen hatte, wie von der andern Seite neben dem Hauptmann Charlotte saï¬, der es schwer, ja beinahe unmËglich ward, die Bewegungen ihres Innern zu verbergen.
Die Baronesse hatte Zeit genug, Beobachtungen anzustellen.
Sie bemerkte Charlottens Unbehagen, und weil sie nur Eduards Verhâ°ltnis zu Ottilien im Sinn hatte, so ¸berzeugte sie sich leicht, auch Charlotte sei bedenklich und verdrieï¬lich ¸ber ihres Gemahls Benehmen, und ¸berlegte, wie sie nunmehr am besten zu ihren Zwecken gelangen kËnne.
Auch nach Tische fand sich ein Zwiespalt in der Gesellschaft. Der Graf, der den Hauptmann recht ergr¸nden wollte, brauchte bei einem so ruhigen, keineswegs eitlen und ¸berhaupt lakonischen Manne verschiedene Wendungen, um zu erfahren, was er w¸nschte.
Sie gingen miteinander an der einen Seite des Saals auf und ab, indes Eduard, aufgeregt von Wein und Hoffnung, mit Ottilien an einem Fenster scherzte, Charlotte und die Baronesse aber stillschweigend an der andern Seite des Saals nebeneinander hin und wider gingen.
Ihr Schweigen und m¸ï¬iges Umherstehen brachte denn auch zuletzt eine Stockung in die ¸brige Gesellschaft.
Die Frauen zogen sich zur¸ck auf ihren Fl¸gel, die Mâ°nner auf den andern, und so schien dieser Tag abgeschlossen.
Eduard begleitete den Grafen auf sein Zimmer und lieï¬ sich recht gern durchs Gesprâ°ch verf¸hren, noch eine Zeitlang bei ihm zu bleiben.
Der Graf verlor sich in vorige Zeiten, gedachte mit Lebhaftigkeit an die SchËnheit Charlottens, die er als ein Kenner mit vielem Feuer entwickelte:” ein schËner Fuï¬ ist eine groï¬e Gabe der Natur. Diese Anmut ist unverw¸nstlich.
Ich habe sie heute im Gehen Beobachtet; noch immer mËchte man ihren Schuh k¸ssen und die zwar etwas barbarische, aber doch tief gef¸hlte Ehrenbezeugung der Aarmaten wiederholen, die sich nichts Besseres kennen, als aus dem Schuh einer geliebten und verehrten Person ihre Gesundheit zu trinken”.
Die Spitze des Fuï¬es blieb nicht allein der Gegenstand des Lobes unter zwei vertrauten Mâ°nnern.
Sie gingen von der Person auf alte Geschichten und Abenteuer zur¸ck und kamen auf die Hindernisse, die man ehemals den Zusammenk¸nften dieser beiden Liebenden entgegengesetzt, welche M¸he sie sich gegeben, welche Kunstgriffe sie erfunden, nur um sich sagen zu kËnnen, daï¬ sie sich liebten.
“Erinnerst du dich”, fuhr der Graf fort, “welch Abenteuer ich dir recht freundschaftlich und uneigenn¸tzig bestehen helfen, als unsre hËchsten Herrschaften ihren Oheim besuchten und auf dem weitlâ°ufigen Schlosse zusammenkamen?
Der Tag war in Feierlichkeiten und Feierkleidern hingegangen; ein Teil der Nacht sollte wenigstens unter freiem, liebevollem Gesprâ°ch verstreichen”.
“Den Hinweg zu dem Quartier der Hofdamen hatten Sie sich wohl gemerkt”, sagte Eduard.
“Wir gelangten gl¸cklich zu meiner Geliebten”.
“Die”, versetzte der Graf, “mehr an den Anstand als an meine Zufriedenheit gedacht und eine sehr hâ°ï¬liche Ehrenwâ°chterin bei sich behalten hatte; da mir denn, indessen ihr euch mit Blicken und Worten sehr gut unterhieltet, ein hËchst unerfreuliches Los zuteil ward”.
“Ich habe mich noch gestern”, versetzte Eduard, “als Sie sich anmelden lieï¬en, mit meiner Frau an die Geschichte erinnert, besonders an unsern R¸ckzug.
Wir verfehlten den Weg und kamen an den Vorsaal der Garden.
Weil wir uns nun von da recht gut zu finden wuï¬ten, so glaubten wir auch hier ganz ohne Bedenken hindurch und an dem Posten, wie an den ¸brigen, vorbei gehen zu kËnnen.
Aber wie groï¬ war beim ErËffnen der T¸re unsere Verwunderung!
Der Weg war mit Matratzen verlegt, auf denen die Riesen in mehreren Reihen ausgestreckt lagen und schliefen.
Der einzige Wachende auf dem Posten sah uns verwundert an; wir aber, im jugendlichen Mut und Mutwillen, stiegen ganz gelassen ¸ber die ausgestreckten Stiefel weg, ohne daï¬ auch nur einer von diesen schnarchenden Enakskindern erwacht wâ°re”.
“Ich hatte groï¬e Lust zu stolpern”, sagte der Graf, “damit es Lâ°rm gegeben hâ°tte; denn welch eine seltsame Auferstehung w¸rden wir gesehen haben!” In diesem Augenblick schlug die Schloï¬glocke zwËlf.
“Es ist hoch Mitternacht”, sagte der Graf lâ°chelnd, “und eben gerechte Zeit.
Ich muï¬ Sie, lieber Baron, um eine Gefâ°lligkeit bitten: f¸hren Sie mich heute, wie ich Sie damals f¸hrte; ich habe der Baronesse das Versprechen gegeben, sie noch zu besuchen.
Wir haben uns den ganzen Tag nicht allein gesprochen, wir haben uns solange nicht gesehen, und nichts ist nat¸rlicher, als daï¬ man sich nach einer vertraulichen Stunde sehnt.
Zeigen Sie mir den Hinweg, den R¸ckweg will ich schon finden, und auf alle Fâ°lle werde ich ¸ber keine Stiefel wegzustolpern haben”.
“Ich will Ihnen recht gern diese gastliche Gefâ°lligkeit erzeigen”, versetzte Eduard; “nur sind die drei Frauenzimmer dr¸ben zusammen auf dem Fl¸gel.
Wer weiï¬, ob wir sie nicht noch beieinander finden, oder was wir sonst f¸r Hâ°ndel anrichten, die irgendein wunderliches Ansehn gewinnen”.
“Nur ohne Sorge!” sagte der Graf; “die Baronesse erwartet mich.
Sie ist um diese Zeit gewiï¬ auf ihrem Zimmer und allein”.
“Die Sache ist ¸bringens leicht”, versetzte Eduard und nahm ein Licht, dem Grafen vorleuchtend eine geheime Treppe hinunter, die zu einem langen Gang f¸hrte.
Am Ende desselben Ëffnete Eduard eine kleine T¸re.
Sie erstiegen eine Wendeltreppe; oben auf einem engen Ruheplatz deutete Eduard dem Grafen, dem er das Licht in die Hand gab, nach einer Tapetent¸re rechts, die beim ersten Versuch sogleich sich Ëffnete, den Grafen aufnahm und Eduarden in dem dunklen Raum zur¸cklieï¬.
Eine andre T¸re links ging in Charlottens Schlafzimmer.
Er hËrte reden und horchte.
Charlotte sprach zu ihrem Kammermâ°dchen: “ist Ottilie schon zu Bette?”–“Nein”, versetzte jene, “sie sitzt noch unten und schreibt”.
-“So z¸nde Sie das Nachtlicht an”, sagte Charlotte, “und gehe Sie nur hin: es ist spâ°t.
Die Kerze will ich selbst auslËschen und f¸r mich zu Bette gehen”.
Eduard hËrte mit Entz¸cken, daï¬ Ottilie noch schreibe.
‘Sie beschâ°ftigt sich f¸r mich!’ dachte er triumphierend.
Durch die Finsternis ganz in sich selbst geengt, sah er sie sitzen, schreiben; er glaubte zu ihr zu treten, sie zu sehen, wie sie sich nach ihm umkehrte; er f¸hlte ein un¸berwindliches Verlangen, ihr noch einmal nahe zu sein.
Von hier aber war kein Weg in das Halbgeschoï¬, wo sie wohnte. Nun fand er sich unmittelbar an seiner Frauen T¸re, eine sonderbare Verwechselung ging in seiner Seele vor; er suchte die T¸re aufzudrehen, er fand sie verschlossen, er pochte leise an, Charlotte hËrte nicht.
Sie ging in dem grËï¬eren Nebenzimmer lebhaft auf und ab.
Sie wiederholte sich aber–und abermals, was sie seit jenem unerwarteten Vorschlag des Grafen oft genug bei sich um und um gewendet hatte.
Der Hauptmann schien vor ihr zu stehen.
Er f¸llte noch das Haus, er belebte noch die Spaziergâ°nge, und er sollte fort, das alles sollte leer werden!
Sie sagte sich alles, was man sich sagen kann, ja sie antizipierte, wie man gewËhnlich pflegt, den leidigen Trost, daï¬ auch solche Schmerzen durch die Zeit gelindert werden.
Sie verw¸nschte die Zeit, die es braucht, um sie zu lindern; sie verw¸nschte die totenhafte Zeit, wo sie w¸rden gelindert sein.
Da war denn zuletzt die Zuflucht zu den Trâ°nen um so willkommner, als sie bei ihr selten stattfand.
Sie warf sich auf den Sofa und ¸berlieï¬ sich ganz ihrem Schmerz.
Eduard seinerseits konnte von der T¸re nicht weg; er pochte nochmals, und zum drittenmal etwas stâ°rker, sodaï¬ Charlotte durch die Nachtstille es ganz deutlich vernahm und erschreckt auffuhr.
Der erste Gedanke war, es kËnne, es m¸sse der Hauptmann sein; der zweite, das sei unmËglich.
Sie hielt es f¸r Tâ°uschung, aber sie hatte es gehËrt, sie w¸nschte, sie f¸rchtete es gehËrt zu haben.
Sie ging ins Schlafzimmer, trat leise zu der verriegelten Tapetent¸r.
Sie schalt sich ¸ber ihre Furcht.
ëWie leicht kann die Grâ°fin etwas bed¸rfen!à sagte sie zu sich selbst und rief gefaï¬t und gesetzt: “ist jemand da?” Eine leise Stimme antwortete: “ich bins”.
-“Wer?” entgegnete Charlotte, die den Ton nicht unterscheiden konnte.
Ihr stand des Hauptmanns Gestalt vor der T¸r.
Etwas lauter klang es ihr entgegen:” Eduard!” Sie Ëffnete, und ihr Gemahl stand vor ihr.
Er begr¸ï¬te sie mit einem Scherz.
Es ward ihr mËglich, in diesem Tone fortzufahren.
Er verwickelte den râ°tselhaften Besuch in râ°tselhafte Erklâ°rungen.
“Warum ich denn aber eigentlich komme”, sagte er zuletzt, “muï¬ ich dir nur gestehen.
Ich habe ein Gel¸bde getan, heute abend noch deinen Schuh zu k¸ssen”.
“Das ist dir lange nicht eingefallen”, sagte Charlotte.
“Desto schlimmer”, versetzte Eduard,” und desto besser!” Sie hatte sich in einen Sessel gesetzt, um ihre leichte Nachtkleidung seinen Blicken zu entziehen.
Er warf sich vor ihr nieder, und sie konnte sich nicht erwehren, daï¬ er nicht ihren Schuh k¸ï¬te, und daï¬, als dieser ihm in der Hand blieb, er den Fuï¬ ergriff und ihn zâ°rtlich an seine Brust dr¸ckte.
Charlotte war eine von den Frauen, die, von Natur mâ°ï¬ig, im Ehestande ohne Vorsatz und Anstrengung die Art und Weise der Liebhaberinnen fortf¸hren.
Niemals reizte sie den Mann, ja seinem Verlangen kam sie kaum entgegen; aber ohne Kâ°lte und abstoï¬ende Strenge glich sie immer einer liebevollen Braut, die selbst vor dem Erlaubten noch innige Scheu trâ°gt.
Und so fand sie Eduard diesen Abend in doppeltem Sinne.
Wie sehnlich w¸nschte sie den Gatten weg; denn die Luftgestalt des Freundes schien ihr Vorw¸rfe zu machen.
Aber das, was Eduarden hâ°tte entfernen sollen, zog ihn nur mehr an.
Eine gewisse Bewegung war an ihr sichtbar.
Sie hatte geweint, und wenn weiche Personen dadurch meist an Anmut verlieren, so gewinnen diejenigen dadurch unendlich, die wir gewËhnlich als stark und gefaï¬t kennen.
Eduard war so liebensw¸rdig, so freundlich, so dringend; er bat sie, bei ihr bleiben zu d¸rfen, er forderte nicht, bald ernst bald scherzhaft suchte er sie zu bereden, er dachte nicht daran, daï¬ er Rechte habe, und lËschte zuletzt mutwillig die Kerze aus.
In der Lampendâ°mmerung sogleich behauptete die innre Neigung, behauptete die Einbildungskraft ihre Rechte ¸ber das Wirkliche: Eduard hielt nur Ottilien in seinen Armen, Charlotten schwebte der Hauptmann nâ°her oder ferner vor der Seele, und so verwebten, wundersam genug, sich Abwesendes und Gegenwâ°rtiges reizend und wonnevoll durcheinander.