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  • 1821
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“Die Sache ist ernsthafter, als du denkst”, sagte die Schˆne; “indessen bin ich recht wohl zufrieden, dafl du sie leicht nimmst: denn f¸r uns beide kann noch immer die heiterste Folge werden. Ich will dir vertrauen und von meiner Seite das Mˆgliche tun, nur versprich mir, dieser Entdeckung niemals vorwurfsweise zu gedenken. Dazu f¸g’ ich noch eine Bitte recht inst‰ndig: nimm dich vor Wein und Zorn mehr als jemals in acht.”

Ich versprach, was sie begehrte, ich h‰tte zu und immer zu versprochen; doch sie wendete selbst das Gespr‰ch, und alles war im vorigen Gleise. Wir hatten nicht Ursache, den Ort unseres Aufenthaltes zu ver‰ndern; die Stadt war grofl, die Gesellschaft vielfach, die Jahreszeit veranlaflte manches Land–und Gartenfest.

Bei allen solchen Freuden war meine Frau sehr gern gesehen, ja von M‰nnern und Frauen lebhaft verlangt. Ein gutes, einschmeichelndes Betragen, mit einer gewissen Hoheit verkn¸pft, machte sie jedermann lieb und ehrenwert. ¸berdies spielte sie herrlich die Laute und sang dazu, und alle geselligen N‰chte muflten durch ihr Talent gekrˆnt werden.

Ich will nur gestehen, dafl ich mir aus der Musik niemals viel habe machen kˆnnen, ja sie hatte vielmehr auf mich eine unangenehme Wirkung. Meine Schˆne, die mir das bald abgemerkt hatte, suchte mich daher niemals, wenn wir allein waren, auf diese Weise zu unterhalten; dagegen schien sie sich in Gesellschaft zu entsch‰digen, wo sie denn gewˆhnlich eine Menge Bewunderer fand.

Und nun, warum sollte ich es leugnen, unsere letzte Unterredung, ungeachtet meines besten Willens, war doch nicht vermˆgend gewesen, die Sache ganz bei mir abzutun; vielmehr hatte sich meine Empfindungsweise gar seltsam gestimmt, ohne dafl ich es mir vollkommen bewuflt gewesen w‰re. Da brach eines Abends in grofler Gesellschaft der verhaltene Unmut los, und mir entsprang daraus der allergrˆflte Nachteil.

Wenn ich es jetzt recht bedenke, so liebte ich nach jener ungl¸cklichen Entdeckung meine Schˆnheit viel weniger, und nun ward ich eifers¸chtig auf sie, was mir vorher gar nicht eingefallen war. Abends bei Tafel, wo wir schr‰g gegen einander ¸ber in ziemlicher Entfernung saflen, befand ich mich sehr wohl mit meinen beiden Nachbarinnen, ein paar Frauenzimmern, die mir seit einiger Zeit reizend geschienen hatten. Unter Scherz–und Liebesreden sparte man des Weines nicht, indessen von der andern Seite ein paar Musikfreunde sich meiner Frau bem‰chtigt hatten und die Gesellschaft zu Ges‰ngen, einzelnen und chorm‰fligen, aufzumuntern und anzuf¸hren wuflten. Dar¸ber fiel ich in bˆse Laune; die beiden Kunstliebhaber schienen zudringlich; der Gesang machte mich ‰rgerlich, und als man gar von mir auch eine Solostrophe begehrte, so wurde ich wirklich aufgebracht, leerte den Becher und setzte ihn sehr unsanft nieder.

Durch die Anmut meiner Nachbarinnen f¸hlte ich mich sogleich zwar wieder gemildert, aber es ist eine bˆse Sache um den ‰rger, wenn er einmal auf dem Wege ist. Er kochte heimlich fort, obgleich alles mich h‰tte sollen zur Freude, zur Nachgiebigkeit stimmen. Im Gegenteil wurde ich nur noch t¸ckischer, als man eine Laute brachte und meine Schˆne ihren Gesang zur Bewunderung aller ¸brigen begleitete. Ungl¸cklicherweise erbat man sich eine allgemeine Stille. Also auch schwatzen sollte ich nicht mehr, und die Tˆne taten mir in den Z‰hnen weh. War es nun ein Wunder, dafl endlich der kleinste Funke die Mine z¸ndete?

Eben hatte die S‰ngerin ein Lied unter dem grˆflten Beifall geendigt, als sie nach mir, und wahrlich recht liebevoll, her¸bersah. Leider drangen die Blicke nicht bei mir ein. Sie bemerkte, dafl ich einen Becher Wein hinunterschlang und einen neu anf¸llte. Mit dem rechten Zeigefinger winkte sie mir lieblich drohend. “Bedenken Sie, dafl es Wein ist!” sagte sie, nicht lauter, als dafl ich es hˆren konnte. –“Wasser ist f¸r die Nixen!” rief ich aus.–“Meine Damen”, sagte sie zu meinen Nachbarinnen, “kr‰nzen Sie den Becher mit aller Anmut, dafl er nicht zu oft leer werde.”–“Sie werden sich doch nicht meistern lassen!” zischelte mir die eine ins Ohr.–“Was will der Zwerg?” rief ich aus, mich heftiger geb‰rdend, wodurch ich den Becher umstiefl. “Hier ist viel versch¸ttet!” rief die Wunderschˆne, tat einen Griff in die Saiten, als wolle sie die Aufmerksamkeit der Gesellschaft aus dieser Stˆrung wieder auf sich heranziehen. Es gelang ihr wirklich, um so mehr, als sie aufstand, aber nur, als wenn sie sich das Spiel bequemer machen wollte, und zu pr‰ludieren fortfuhr.

Als ich den roten Wein ¸ber das Tischtuch flieflen sah, kam ich wieder zu mir selbst. Ich erkannte den groflen Fehler, den ich begangen hatte, und war recht innerlich zerknirscht. Zum erstenmal sprach die Musik mich an. Die erste Strophe, die sie sang, war ein freundlicher Abschied an die Gesellschaft, wie sie sich noch zusammen f¸hlen konnte. Bei der folgenden Strophe flofl die Soziet‰t gleichsam auseinander, jeder f¸hlte sich einzeln, abgesondert, niemand glaubte sich mehr gegenw‰rtig. Aber was soll ich denn von der letzten Strophe sagen? Sie war allein an mich gerichtet, die Stimme der gekr‰nkten Liebe, die von Unmut und ¸bermut Abschied nimmt.

Stumm f¸hrte ich sie nach Hause und erwartete mir nichts Gutes. Doch kaum waren wir in unserm Zimmer angelangt, als sie sich hˆchst freundlich und anmutig, ja sogar schalkhaft erwies und mich zum gl¸cklichsten aller Menschen machte.

Des andern Morgens sagte ich ganz getrost und liebevoll: “Du hast so manchmal, durch gute Gesellschaft aufgefordert, gesungen, so zum Beispiel gestern abend das r¸hrende Abschiedslied; singe nun auch einmal mir zuliebe ein h¸bsches, frˆhliches Willkommen in dieser Morgenstunde, damit es uns werde, als wenn wir uns zum erstenmal kennen lernten.”

“Das vermag ich nicht, mein Freund”, versetzte sie mit Ernst. “Das Lied von gestern abend bezog sich auf unsere Scheidung, die nun sogleich vor sich gehen mufl: denn ich kann dir nur sagen, die Beleidigung gegen Versprechen und Schwur hat f¸r uns beide die schlimmsten Folgen; du verscherzest ein grofles Gl¸ck, und auch ich mufl meinen liebsten W¸nschen entsagen.”

Als ich nun hierauf in sie drang und bat, sie mˆchte sich n‰her erkl‰ren, versetzte sie: “Das kann ich leider wohl, denn es ist doch um mein Belieben bei dir getan. Vernimm also, was ich dir lieber bis in die sp‰testen Zeiten verborgen h‰tte. Die Gestalt, in der du mich im K‰stchen erblicktest, ist mir wirklich angeboren und nat¸rlich; denn ich bin aus dem Stamm des Kˆnigs Eckwald, des m‰chtigen F¸rsten der Zwerge, von dem die wahrhafte Geschichte so vieles meldet. Unser Volk ist noch immer wie vor alters t‰tig und gesch‰ftig und auch daher leicht zu regieren. Du muflt dir aber nicht vorstellen, dafl die Zwerge in ihren Arbeiten zur¸ckgeblieben sind. Sonst waren Schwerter, die den Feind verfolgten, wenn man sie ihm nachwarf, unsichtbar und geheimnisvoll bindende Ketten, undurchdringliche Schilder und dergleichen ihre ber¸hmtesten Arbeiten. Jetzt aber besch‰ftigen sie sich haupts‰chlich mit Sachen der Bequemlichkeit und des Putzes und ¸bertreffen darin alle andern Vˆlker der Erde. Du w¸rdest erstaunen, wenn du unsere Werkst‰tten und Warenlager hindurchgehen solltest. Dies w‰re nun alles gut, wenn nicht bei der ganzen Nation ¸berhaupt, vorz¸glich aber bei der kˆniglichen Familie, ein besonderer Umstand eintr‰te.”

Da sie einen Augenblick innehielt, ersuchte ich sie um fernere Erˆffnung dieser wundersamen Geheimnisse, worin sie mir denn auch sogleich willfahrte.

“Es ist bekannt”, sagte sie, “dafl Gott, sobald er die Welt erschaffen hatte, so dafl alles Erdreich trocken war und das Gebirg m‰chtig und herrlich dastand, dafl Gott, sage ich, sogleich vor allen Dingen die Zwerglein erschuf, damit auch vern¸nftige Wesen w‰ren, welche seine Wunder im Innern der Erde auf G‰ngen und Kl¸ften anstaunen und verehren kˆnnten. Ferner ist bekannt, dafl dieses kleine Geschlecht sich nachmals erhoben und sich die Herrschaft der Erde anzumaflen gedacht, weshalb denn Gott die Drachen erschaffen, um das Gezwerge ins Gebirge zur¸ckzudr‰ngen. Weil aber die Drachen sich in den groflen Hˆhlen und Spalten selbst einzunisten und dort zu wohnen pflegten, auch viele derselben Feuer spieen und manch anderes W¸ste begingen, so wurde dadurch den Zwerglein gar grofle Not und Kummer bereitet, dergestalt, dafl sie nicht mehr wuflten, wo aus noch ein, und sich daher zu Gott dem Herrn gar dem¸tiglich und flehentlich wendeten, auch ihn im Gebet anriefen, er mˆchte doch dieses unsaubere Drachenvolk wieder vertilgen. Ob er nun aber gleich nach seiner Weisheit sein Geschˆpf zu zerstˆren nicht beschlieflen mochte, so ging ihm doch der armen Zwerglein grofle Not dermaflen zu Herzen, dafl er alsobald die Riesen erschuf, welche die Drachen bek‰mpfen und, wo nicht ausrotten, doch wenigstens vermindern sollten.

Als nun aber die Riesen so ziemlich mit den Drachen fertig geworden, stieg ihnen gleichfalls der Mut und D¸nkel, weswegen sie gar manches Frevele, besonders auch gegen die guten Zwerglein, ver¸bten, welche denn abermals in ihrer Not sich zu dem Herrn wandten, der sodann aus seiner Machtgewalt die Ritter schuf, welche die Riesen und Drachen bek‰mpfen und mit den Zwerglein in guter Eintracht leben sollten. Damit war denn das Schˆpfungswerk von dieser Seite beschlossen, und es findet sich, dafl nachher Riesen und Drachen sowie die Ritter und Zwerge immer zusammengehalten haben. Daraus kannst du nun ersehen, mein Freund, dafl wir von dem ‰ltesten Geschlecht der Welt sind, welches uns zwar zu Ehren gereicht, doch aber auch groflen Nachteil mit sich f¸hrt.

Da n‰mlich auf der Welt nichts ewig bestehen kann, sondern alles, was einmal grofl gewesen, klein werden und abnehmen mufl, so sind auch wir in dem Falle, dafl wir seit Erschaffung der Welt immer abnehmen und kleiner werden, vor allen andern aber die kˆnigliche Familie, welche wegen ihres reinen Blutes diesem Schicksal am ersten unterworfen ist. Deshalb haben unsere weisen Meister schon vor vielen Jahren den Ausweg erdacht, dafl von Zeit zu Zeit eine Prinzessin aus dem kˆniglichen Hause heraus ins Land gesendet werde, um sich mit einem ehrsamen Ritter zu verm‰hlen, damit das Zwergengeschlecht wieder angefrischt und vom g‰nzlichen Verfall gerettet sei.”

Indessen meine Schˆne diese Worte ganz treuherzig vorbrachte, sah ich sie bedenklich an, weil es schien, als ob sie Lust habe, mir etwas aufzubinden. Was ihre niedliche Herkunft betraf, daran hatte ich weiter keinen Zweifel; aber dafl sie mich anstatt eines Ritters ergriffen hatte, das machte mir einiges Mifltrauen, indem ich mich denn doch zu wohl kannte, als dafl ich h‰tte glauben sollen, meine Vorfahren seien von Gott unmittelbar erschaffen worden.

Ich verbarg Verwunderung und Zweifel und fragte sie freundlich: “Aber sage mir, mein liebes Kind, wie kommst du zu dieser groflen und ansehnlichen Gestalt? denn ich kenne wenig Frauen, die sich dir an pr‰chtiger Bildung vergleichen kˆnnen.”–“Das sollst du erfahren”, versetzte meine Schˆne. “Es ist von jeher im Rat der Zwergenkˆnige hergebracht, dafl man sich so lange als mˆglich vor jedem auflerordentlichen Schritt in acht nehme, welches ich denn auch ganz nat¸rlich und billig finde. Man h‰tte vielleicht noch lange gezaudert, eine Prinzessin wieder einmal in das Land zu senden, wenn nicht mein nachgeborner Bruder so klein ausgefallen w‰re, dafl ihn die W‰rterinnen sogar aus den Windeln verloren haben und man nicht weifl, wo er hingekommen ist. Bei diesem in den Jahrb¸chern des Zwergenreichs ganz unerhˆrten Falle versammelte man die Weisen, und kurz und gut, der Entschlufl ward gefaflt, mich auf die Freite zu schicken.”

“Der Entschlufl!” rief ich aus, “das ist wohl alles schˆn und gut. Man kann sich entschlieflen, man kann etwas beschlieflen; aber einem Zwerglein diese Gˆttergestalt zu geben, wie haben eure Weisen dies zustande gebracht?”

“Es war auch schon”, sagte sie, “von unsern Ahnherren vorgesehen. In dem kˆniglichen Schatze lag ein ungeheurer goldner Fingerring. Ich spreche jetzt von ihm, wie er mir vorkam, da er mir, als einem Kinde, ehemals an seinem Orte gezeigt wurde: denn es ist derselbe, den ich hier am Finger habe; und nun ging man folgendergestalt zu Werke. Man unterrichtete mich von allem, was bevorstehe, und belehrte mich, was ich zu tun und zu lassen habe.

Ein kˆstlicher Palast, nach dem Muster des liebsten Sommeraufenthalts meiner Eltern, wurde verfertigt: ein Hauptgeb‰ude, Seitenfl¸gel und was man nur w¸nschen kann. Er stand am Eingang einer groflen Felskluft und verzierte sie aufs beste. An dem bestimmten Tage zog der Hof dorthin und meine Eltern mit mir. Die Armee paradierte, und vierundzwanzig Priester trugen auf einer kˆstlichen Bahre, nicht ohne Beschwerlichkeit, den wundervollen Ring. Er ward an die Schwelle des Geb‰udes gelegt, gleich innerhalb, wo man ¸ber sie hin¸bertritt. Manche Zeremonien wurden begangen, und nach einem herzlichen Abschiede schritt ich zum Werke. Ich trat hinzu, legte die Hand an den Ring und fing sogleich merklich zu wachsen an. In wenig Augenblicken war ich zu meiner gegenw‰rtigen Grˆfle angelangt, worauf ich den Ring sogleich an den Finger steckte. Nun im Nu verschlossen sich Fenster, T¸ren und Tore, die Seitenfl¸gel zogen sich ins Hauptgeb‰ude zur¸ck, statt des Palastes stand ein K‰stchen neben mir, das ich sogleich aufhob und mit mir forttrug, nicht ohne ein angenehmes Gef¸hl, so grofl und so stark zu sein, zwar immer noch ein Zwerg gegen B‰ume und Berge, gegen Strˆme wie gegen Landstrecken, aber doch immer schon ein Riese gegen Gras und Kr‰uter, besonders aber gegen die Ameisen, mit denen wir Zwerge nicht immer in gutem Verh‰ltnis stehen und deswegen oft gewaltig von ihnen geplagt werden.

Wie es mir auf meiner Wallfahrt erging, ehe ich dich fand, davon h‰tte ich viel zu erz‰hlen. Genug, ich pr¸fte manchen, aber niemand als du schien mir wert, den Stamm des herrlichen Eckwald zu erneuern und zu verewigen.”

Bei allen diesen Erz‰hlungen wackelte mir mitunter der Kopf, ohne dafl ich ihn gerade gesch¸ttelt h‰tte. Ich tat verschiedene Fragen, worauf ich aber keine sonderlichen Antworten erhielt, vielmehr zu meiner grˆflten Betr¸bnis erfuhr, dafl sie nach dem, was begegnet, notwendig zu ihren Eltern zur¸ckkehren m¸sse. Sie hoffe zwar, wieder zu mir zu kommen, doch jetzt habe sie sich unvermeidlich zu stellen, weil sonst f¸r sie so wie f¸r mich alles verloren w‰re. Die Beutel w¸rden bald aufhˆren zu zahlen, und was sonst noch alles daraus entstehen kˆnnte.

Da ich hˆrte, dafl uns das Geld ausgehen d¸rfte, fragte ich nicht weiter, was sonst noch geschehen mˆchte. Ich zuckte die Achseln, ich schwieg, und sie schien mich zu verstehen.

Wir packten zusammen und setzten uns in den Wagen, das K‰stchen gegen uns ¸ber, dem ich aber noch nichts von einem Palast ansehen konnte. So ging es mehrere Stationen fort. Postgeld und Trinkgeld wurden aus den T‰schchen rechts und links bequem und reichlich bezahlt, bis wir endlich in eine gebirgige Gegend gelangten und kaum abgestiegen waren, als meine Schˆne vorausging und ich auf ihr Geheifl mit dem K‰stchen folgte. Sie f¸hrte mich auf ziemlich steilen Pfaden zu einem engen Wiesengrund, durch welchen sich eine klare Quelle bald st¸rzte, bald ruhig laufend schl‰ngelte. Da zeigte sie mir eine erhˆhte Fl‰che, hiefl mich das K‰stchen niedersetzen und sagte: “Lebe wohl: du findest den Weg gar leicht zur¸ck; gedenke mein, ich hoffe, dich wiederzusehen.”

In diesem Augenblick war mir’s, als wenn ich sie nicht verlassen kˆnnte. Sie hatte gerade wieder ihren schˆnen Tag oder, wenn ihr wollt, ihre schˆne Stunde. Mit einem so lieblichen Wesen allein, auf gr¸ner Matte, zwischen Gras und Blumen, von Felsen beschr‰nkt, von Wasser umrauscht, welches Herz w‰re da wohl f¸hllos geblieben! Ich wollte sie bei der Hand fassen, sie umarmen, aber sie stiefl mich zur¸ck und bedrohte mich, obwohl noch immer liebreich genug, mit grofler Gefahr, wenn ich mich nicht sogleich entfernte.

“Ist denn gar keine Mˆglichkeit”, rief ich aus, “dafl ich bei dir bleibe, dafl du mich bei dir behalten kˆnntest?” Ich begleitete diese Worte mit so j‰mmerlichen Geb‰rden und Tˆnen, dafl sie ger¸hrt schien und nach einigem Bedenken mir gestand, eine Fortdauer unserer Verbindung sei nicht ganz unmˆglich. Wer war gl¸cklicher als ich! Meine Zudringlichkeit, die immer lebhafter ward, nˆtigte sie endlich, mit der Sprache herauszur¸cken und mir zu entdecken, dafl, wenn ich mich entschlˆsse, mit ihr so klein zu werden, als ich sie schon gesehen, so kˆnnte ich auch jetzt bei ihr bleiben, in ihre Wohnung, in ihr Reich, zu ihrer Familie mit ¸bertreten. Dieser Vorschlag gefiel mir nicht ganz, doch konnte ich mich einmal in diesem Augenblick nicht von ihr losreiflen, und ans Wunderbare seit geraumer Zeit schon gewˆhnt, zu raschen Entschl¸ssen aufgelegt, schlug ich ein und sagte, sie mˆchte mit mir machen, was sie wolle.

Sogleich muflte ich den kleinen Finger meiner rechten Hand ausstrecken, sie st¸tzte den ihrigen dagegen, zog mit der linken Hand den goldnen Ring ganz leise sich ab und liefl ihn her¸ber an meinen Finger laufen. Kaum war dies geschehen, so f¸hlte ich einen gewaltigen Schmerz am Finger, der Ring zog sich zusammen und folterte mich entsetzlich. Ich tat einen gewaltigen Schrei und griff unwillk¸rlich um mich her nach meiner Schˆnen, die aber verschwunden war. Wie mir indessen zumute gewesen, daf¸r w¸flte ich keinen Ausdruck zu finden, auch bleibt mir nichts ¸brig zu sagen, als dafl ich mich sehr bald in kleiner, niedriger Person neben meiner Schˆnen in einem Walde von Grashalmen befand. Die Freude des Wiedersehens nach einer kurzen und doch so seltsamen Trennung, oder, wenn ihr wollt, einer Wiedervereinigung ohne Trennung, ¸bersteigt alle Begriffe. Ich fiel ihr um den Hals, sie erwiderte meine Liebkosungen, und das kleine Paar f¸hlte sich so gl¸cklich als das grofle.

Mit einiger Unbequemlichkeit stiegen wir nunmehr an einem H¸gel hinauf; denn die Matte war f¸r uns beinah ein undurchdringlicher Wald geworden. Doch gelangten wir endlich auf eine Blˆfle, und wie erstaunt war ich, dort eine grofle, geregelte Masse zu sehen, die ich doch bald f¸r das K‰stchen, in dem Zustand, wie ich es hingesetzt hatte, wieder erkennen muflte.

“Gehe hin, mein Freund, und klopfe mit dem Ringe nur an, du wirst Wunder sehen”, sagte meine Geliebte. Ich trat hinzu und hatte kaum angepocht, so erlebte ich wirklich das grˆflte Wunder. Zwei Seitenfl¸gel bewegten sich hervor, und zugleich fielen wie Schuppen und Sp‰ne verschiedene Teile herunter, da mir denn T¸ren, Fenster, S‰uleng‰nge und alles, was zu einem vollst‰ndigen Palaste gehˆrt, auf einmal zu Gesichte kamen.

Wer einen k¸nstlichen Schreibtisch von Rˆntgen gesehen hat, wo mit einem Zug viele Federn und Ressorts in Bewegung kommen, Pult und Schreibzeug, Brief–und Geldf‰cher sich auf einmal oder kurz nacheinander entwickeln, der wird sich eine Vorstellung machen kˆnnen, wie sich jener Palast entfaltete, in welchen mich meine s¸fle Begleiterin nunmehr hineinzog. In dem Hauptsaal erkannte ich sogleich das Kamin, das ich ehemals von oben gesehen, und den Sessel, worauf sie gesessen. Und als ich ¸ber mich blickte, glaubte ich wirklich noch etwas von dem Sprunge in der Kuppel zu bemerken, durch den ich hereingeschaut hatte. Ich verschone euch mit Beschreibung des ¸brigen; genug, alles war ger‰umig, kˆstlich und geschmackvoll. Kaum hatte ich mich von meiner Verwunderung erholt, als ich von fern eine milit‰rische Musik vernahm. Meine schˆne H‰lfte sprang vor Freuden auf und verk¸ndigte mir mit Entz¸cken die Ankunft ihres Herrn Vaters. Hier traten wir unter die T¸re und schauten, wie aus einer ansehnlichen Felskluft ein gl‰nzender Zug sich bewegte. Soldaten, Bediente, Hausoffizianten und ein gl‰nzender Hofstaat folgten hintereinander. Endlich erblickte man ein goldnes Gedr‰nge und in demselben den Kˆnig selbst. Als der ganze Zug vor dem Palast aufgestellt war, trat der Kˆnig mit seiner n‰chsten Umgebung heran. Seine z‰rtliche Tochter eilte ihm entgegen, sie rifl mich mit sich fort, wir warfen uns ihm zu F¸flen, er hob mich sehr gn‰dig auf, und als ich vor ihn zu stehen kam, bemerkte ich erst, dafl ich freilich in dieser kleinen Welt die ansehnlichste Statur hatte. Wir gingen zusammen nach dem Palaste, da mich der Kˆnig in Gegenwart seines ganzen Hofes mit einer wohlstudierten Rede, worin er seine ¸berraschung, uns hier zu finden, ausdr¸ckte, zu bewillkommnen geruhte, mich als seinen Schwiegersohn erkannte und die Trauungszeremonie auf morgen ansetzte.

Wie schrecklich ward mir auf einmal zumute, als ich von Heirat reden hˆrte: denn ich f¸rchtete mich bisher davor fast mehr als vor der Musik selbst, die mir doch sonst das Verhaflteste auf Erden schien. Diejenigen, die Musik machen, pflegte ich zu sagen, stehen doch wenigstens in der Einbildung, untereinander einig zu sein und in ¸bereinstimmung zu wirken: denn wenn sie lange genug gestimmt und uns die Ohren mit allerlei Mifltˆnen zerrissen haben, so glauben sie steif und fest, die Sache sei nunmehr aufs reine gebracht und ein Instrument passe genau zum andern. Der Kapellmeister selbst ist in diesem gl¸cklichen Wahn, und nun geht es freudig los, unterdes uns andern immerfort die Ohren gellen. Bei dem Ehestand hingegen ist dies nicht einmal der Fall: denn ob er gleich nur ein Duett ist und man doch denken sollte, zwei Stimmen, ja zwei Instrumente m¸flten einigermaflen ¸berein gestimmt werden kˆnnen, so trifft es doch selten zu; denn wenn der Mann einen Ton angibt, so nimmt ihn die Frau gleich hˆher und der Mann wieder hˆher; da geht es denn aus dem Kammer–in den Chorton und immer so weiter hinauf, dafl zuletzt die blasenden Instrumente selbst nicht folgen kˆnnen. Und also, da mir die harmonische Musik zuwider bleibt, so ist mir noch weniger zu verdenken, dafl ich die disharmonische gar nicht leiden kann.

Von allen Festlichkeiten, worunter der Tag hinging, mag und kann ich nicht erz‰hlen: denn ich achtete gar wenig darauf. Das kostbare Essen, der kˆstliche Wein, nichts wollte mir schmecken. Ich sann und ¸berlegte, was ich zu tun h‰tte. Doch da war nicht viel auszusinnen. Ich entschlofl mich, als es Nacht wurde, kurz und gut, auf und davon zu gehen und mich irgendwo zu verbergen. Auch gelangte ich gl¸cklich zu einer Steinritze, in die ich mich hineinzw‰ngte und so gut als mˆglich verbarg. Mein erstes Bem¸hen darauf war, den ungl¸cklichen Ring vom Finger zu schaffen, welches jedoch mir keineswegs gelingen wollte, vielmehr muflte ich f¸hlen, dafl er immer enger ward, sobald ich ihn abzuziehen gedachte, wor¸ber ich heftige Schmerzen litt, die aber sogleich nachlieflen, sobald ich von meinem Vorhaben abstand.

Fr¸hmorgens wach’ ich auf–denn meine kleine Person hatte sehr gut geschlafen–und wollte mich eben weiter umsehen, als es ¸ber mir wie zu regnen anfing. Es fiel n‰mlich durch Gras, Bl‰tter und Blumen wie Sand und Grus in Menge herunter; allein wie entsetzte ich mich, als alles um mich her lebendig ward und ein unendliches Ameisenheer ¸ber mich niederst¸rzte. Kaum wurden sie mich gewahr, als sie mich von allen Seiten angriffen und, ob ich mich gleich wacker und mutig genug verteidigte, doch zuletzt auf solche Weise zudeckten, kneipten und peinigten, dafl ich froh war, als ich mir zurufen hˆrte, ich solle mich ergeben. Ich ergab mich wirklich und gleich, worauf denn eine Ameise von ansehnlicher Statur sich mit Hˆflichkeit, ja mit Ehrfurcht n‰herte und sich sogar meiner Gunst empfahl. Ich vernahm, dafl die Ameisen Alliierte meines Schwiegervaters geworden und dafl er sie im gegenw‰rtigen Fall aufgerufen und verpflichtet, mich herbeizuschaffen. Nun war ich Kleiner in den H‰nden von noch Kleinern. Ich sah der Trauung entgegen und muflte noch Gott danken, wenn mein Schwiegervater nicht z¸rnte, wenn meine Schˆne nicht verdriefllich geworden.

Laflt mich nun von allen Zeremonien schweigen; genug, wir waren verheiratet. So lustig und munter es jedoch bei uns herging, so fanden sich dessenungeachtet einsame Stunden, in denen man zum Nachdenken verleitet wird, und mir begegnete, was mir noch niemals begegnet war; was aber und wie, das sollt ihr vernehmen.

Alles um mich her war meiner gegenw‰rtigen Gestalt und meinen Bed¸rfnissen vˆllig gem‰fl, die Flaschen und Becher, einem kleinen Trinker wohl proportioniert, ja, wenn man will, verh‰ltnism‰flig besseres Mafl als bei uns. Meinem kleinen Gaumen schmeckten die zarten Bissen vortrefflich, ein Kufl von dem M¸ndchen meiner Gattin war gar zu reizend, und ich leugne nicht, die Neuheit machte mir alle diese Verh‰ltnisse hˆchst angenehm. Dabei hatte ich jedoch leider meinen vorigen Zustand nicht vergessen. Ich empfand in mir einen Maflstab voriger Grˆfle, welches mich unruhig und ungl¸cklich machte. Nun begriff ich zum erstenmal, was die Philosophen unter ihren Idealen verstehen mˆchten, wodurch die Menschen so gequ‰lt sein sollen. Ich hatte ein Ideal von mir selbst und erschien mir manchmal im Traum wie ein Riese. Genug, die Frau, der Ring, die Zwergenfigur, so viele andere Bande machten mich ganz und gar ungl¸cklich, dafl ich auf meine Befreiung im Ernst zu denken begann.

Weil ich ¸berzeugt war, dafl der ganze Zauber in dem Ring verborgen liege, so beschlofl ich, ihn abzuteilen. Ich entwendete deshalb dem Hofjuwelier einige Feilen. Gl¸cklicherweise war ich links, und ich hatte in meinem Leben niemals etwas rechts gemacht. Ich hielt mich tapfer an die Arbeit; sie war nicht gering: denn das goldne Reifchen, so d¸nn es aussah, war in dem Verh‰ltnis dichter geworden, als es sich aus seiner ersten Grˆfle zusammengezogen hatte. Alle freien Stunden wendete ich unbeobachtet an dieses Gesch‰ft und war klug genug, als das Metall bald durchgefeilt war, vor die T¸r zu treten. Das war mir geraten: denn auf einmal sprang der goldne Reif mit Gewalt vom Finger, und meine Figur schofl mit solcher Heftigkeit in die Hˆhe, dafl ich wirklich an den Himmel zu stoflen glaubte und auf alle F‰lle die Kuppel unseres Sommerpalastes durchgestoflen, ja das ganze Sommergeb‰ude durch meine frische Unbeh¸lflichkeit zerstˆrt haben w¸rde.

Da stand ich nun wieder, freilich um so vieles grˆfler, allein, wie mir vorkam, auch um vieles d¸mmer und unbeh¸lflicher. Und als ich mich aus meiner Bet‰ubung erholt, sah ich die Schatulle neben mir stehen, die ich ziemlich schwer fand, als ich sie aufhob und den Fuflpfad hinunter nach der Station trug, wo ich denn gleich einspannen und fortfahren liefl. Unterwegs machte ich sogleich den Versuch, mit den T‰schchen an beiden Seiten. An der Stelle des Geldes, welches ausgegangen schien, fand ich ein Schl¸sselchen; es gehˆrte zur Schatulle, in welcher ich einen ziemlichen Ersatz fand. Solange das vorhielt, bediente ich mich des Wagens; nachher wurde dieser verkauft, um mich auf dem Postwagen fortzubringen. Die Schatulle schlug ich zuletzt los, weil ich immer dachte, sie sollte sich noch einmal f¸llen, und so kam ich denn endlich, obgleich durch einen ziemlichen Umweg, wieder an den Herd zur Kˆchin, wo ihr mich zuerst habt kennen lernen.

Siebentes Kapitel

Hersilie an Wilhelm

Bekanntschaften, wenn sie sich auch gleichg¸ltig ank¸ndigen, haben oft die wichtigsten Folgen, und nun gar die Ihrige, die gleich von Anfang nicht gleichg¸ltig war. Der wunderliche Schl¸ssel kam in meine H‰nde als ein seltsames Pfand; nun besitze ich das K‰stchen auch. Schl¸ssel und K‰stchen, was sagen Sie dazu? Was soll man dazu sagen? Hˆren Sie, wie’s zuging:

Ein junger, feiner Mann l‰flt sich bei meinem Oheim melden und erz‰hlt, dafl der kuriose Antiquit‰tenkr‰mer, der mit Ihnen lange in Verbindung gestanden, vor kurzem gestorben sei und ihm die ganze merkw¸rdige Verlassenschaft ¸bertragen, zugleich aber zur Pflicht gemacht habe, alles fremde Eigentum, was eigentlich nur deponiert sei, unverz¸glich zur¸ckzugeben. Eignes Gut beunruhige niemanden, denn man habe den Verlust allein zu ertragen; fremdes Gut jedoch zu bewahren, habe er sich nur in besondern F‰llen erlaubt, ihm wolle er diese Last nicht aufb¸rden, ja er verbiete ihm, in v‰terlicher Liebe und Autorit‰t, sich damit zu befassen. Und hiermit zog er das K‰stchen hervor, das, wenn ich es schon aus der Beschreibung kannte, mir doch ganz vorz¸glich in die Augen fiel.

Der Oheim, nachdem er es von allen Seiten besehen, gab es zur¸ck und sagte: Auch er habe es sich zur Pflicht gemacht, in gleichem Sinne zu handeln und sich mit keiner Antiquit‰t, sie sei auch noch so schˆn und wunderbar, zu belasten, wenn er nicht wisse, wem sie fr¸her angehˆrt und was f¸r eine historische Merkw¸rdigkeit damit zu verkn¸pfen sei. Nun zeige dieses K‰stchen weder Buchstaben noch Ziffer, weder Jahreszahl noch sonst eine Andeutung, woraus man den fr¸hern Besitzer oder K¸nstler erraten kˆnne, es sei ihm also vˆllig unn¸tz und ohne Interesse.

Der junge Mann stand in grofler Verlegenheit und fragte nach einigem Besinnen, ob er nicht erlauben wolle, solches bei seinen Gerichten niederzulegen? Der Oheim l‰chelte, wandte sich zu mir und sprach: “Das w‰r’ ein h¸bsches Gesch‰ft f¸r dich, Hersilie; du hast ja auch allerlei Schmuck und zierliche Kostbarkeiten, leg’ es dazu; denn ich wollte wetten, der Freund, der dir nicht gleichg¸ltig blieb, kommt gelegentlich wieder und holt es ab.”

Das mufl ich nun so hinschreiben, wenn ich treu erz‰hlen will, und sodann mufl ich bekennen, ich sah das K‰stchen mit neidischen Augen an, und eine gewisse Habsucht bem‰chtigte sich meiner. Mir widerte, das herrliche, dem holden Felix vom Schicksal zugedachte Schatzk‰stlein in dem alt-eisernen, verrosteten Depositenkasten der Gerichtsstube zu wissen. W¸nschelrutenartig zog sich die Hand darnach, mein biflchen Vernunft hielt sie zur¸ck; ich hatte ja den Schl¸ssel, das durfte ich nicht entdecken; und sollte ich mir die Qual antun, das Schlofl unerˆffnet zu lassen, oder mich der unbefugten K¸hnheit hingeben, es aufzuschlieflen? Allein ich weifl nicht, war es Wunsch oder Ahnung, ich stellte mir vor, Sie k‰men, k‰men bald, w‰ren schon da, wenn ich auf mein Zimmer tr‰te; genug, es war mir so wunderlich, so seltsam, so konfus, wie es mir immer geht, wenn ich aus meiner gleichm¸tigen Heiterkeit herausgenˆtigt werde. Ich sage nichts weiter, beschreibe nicht, entschuldige nicht; genug, hier liegt das K‰stchen vor mir in meiner Schatulle, der Schl¸ssel daneben, und wenn Sie eine Art von Herz und Gem¸t haben, so denken Sie, wie mir zumute ist, wie viele Leidenschaften sich in mir herumk‰mpfen, wie ich Sie herw¸nsche, auch wohl Felix dazu, dafl es ein Ende werde, wenigstens dafl eine Deutung vorgehe, was damit gemeint sei, mit diesem wunderbaren Finden, Wiederfinden, Trennen und Vereinigen; und sollte ich auch nicht aus aller Verlegenheit gerettet werden, so w¸nsche ich wenigstens sehnlichste dafl diese sich aufkl‰re, sich endige, wenn mir auch, wie ich f¸rchte, etwas Schlimmeres begegnen sollte.

Achtes Kapitel

Unter den Papieren, die uns zur Redaktion vorliegen, finden wir einen Schwank, den wir ohne weitere Vorbereitung hier einschalten, weil unsre Angelegenheiten immer ernsthafter werden und wir f¸r dergleichen Unregelm‰fligkeiten fernerhin keine Stelle finden mˆchten.

Im ganzen mˆchte diese Erz‰hlung dem Leser nicht unangenehm sein, wie sie St. Christoph am heitern Abend einem Kreise versammelter lustiger Gesellen vortrug. Die gef‰hrliche Wette

Es ist bekannt, dafl die Menschen, sobald es ihnen einigermaflen wohl und nach ihrem Sinne geht, alsobald nicht wissen, was sie vor ¸bermut anfangen sollen; und so hatten denn auch mutwillige Studenten die Gewohnheit, w‰hrend der Ferien scharenweis das Land zu durchziehen und nach ihrer Art Suiten zu reiflen, welche freilich nicht immer die besten Folgen hatten. Sie waren gar verschiedener Art, wie sie das Burschenleben zusammenf¸hrt und bindet. Ungleich von Geburt und Wohlhabenheit, Geist und Bildung, aber alle gesellig in einem heitern Sinne miteinander sich fortbewegend und treibend. Mich aber w‰hlten sie oft zum Gesellen: denn wenn ich schwerere Lasten trug als einer von ihnen, so muflten sie mir denn auch den Ehrentitel eines groflen Suitiers erteilen, und zwar haupts‰chlich deshalb, weil ich seltener, aber desto kr‰ftiger meine Possen trieb, wovon denn folgendes ein Zeugnis geben mag.

Wir hatten auf unseren Wanderungen ein angenehmes Bergdorf erreicht, das bei einer abgeschiedenen Lage den Vorteil einer Poststation und in grofler Einsamkeit ein paar h¸bsche M‰dchen zu Bewohnerinnen hatte. Man wollte ausruhen, die Zeit verschleudern, verliebeln, eine Weile wohlfeiler leben und deshalb desto mehr Geld vergeuden.

Es war gerade nach Tisch, als einige sich im erhˆhten, andere im erniedrigten Zustand befanden. Die einen lagen und schliefen ihren Rausch aus; die andern h‰tten ihn gern auf irgendeine mutwillige Weise ausgelassen. Wir hatten ein paar grofle Zimmer im Seitenfl¸gel nach dem Hof zu. Eine schˆne Equipage, die mit vier Pferden hereinrasselte, zog uns an die Fenster. Die Bedienten sprangen vom Bock und halfen einem Herrn von stattlichem, vornehmem Ansehen heraus, der ungeachtet seiner Jahre noch r¸stig genug auftrat. Seine grofle, wohlgebildete Nase fiel mir zuerst ins Gesicht, und ich weifl nicht, was f¸r ein bˆser Geist mich anhauchte, so dafl ich in einem Augenblick den tollsten Plan erfand und ihn, ohne weiter zu denken, sogleich auszuf¸hren begann.

“Was d¸nkt euch von diesem Herrn?” fragte ich die Gesellschaft.–“Er sieht aus”, versetzte der eine, “als ob er nicht mit sich spaflen lasse.” –“Ja, ja”, sagte der andre, “er hat ganz das Ansehen so eines vornehmen R¸hrmichnichtan.”–“Und dessenungeachtet”, erwiderte ich ganz getrost, “was wettet ihr, ich will ihn bei der Nase zupfen, ohne dafl mir deshalb etwas ¸bles widerfahre; ja ich will mir sogar dadurch einen gn‰digen Herrn an ihm verdienen.”

“Wenn du es leistest”, sagte Raufbold, “so zahlt dir jeder einen Louisdor.” –“Kassieren Sie das Geld f¸r mich ein”, rief ich aus; “auf Sie verlasse ich mich.”–“Ich mˆchte lieber einem Lˆwen ein Haar von der Schnauze raufen”, sagte der Kleine.–“Ich habe keine Zeit zu verlieren”, versetzte ich und sprang die Treppe hinunter.

Bei dem ersten Anblick des Fremden hatte ich bemerkt, dafl er einen sehr starken Bart hatte, und vermutete, dafl keiner von seinen Leuten rasieren kˆnne. Nun begegnete ich dem Kellner und fragte: “Hat der Fremde nicht nach einem Barbier gefragt?”– “Freilich!” versetzte der Kellner, “und es ist eine rechte Not. Der Kammerdiener des Herrn ist schon zwei Tage zur¸ckgeblieben. Der Herr will seinen Bart absolut los sein, und unser einziger Barbier, wer weifl, wo er in die Nachbarschaft hingegangen.”

“So meldet mich an”, versetzte ich; “f¸hrt mich als Bartscherer bei dem Herrn nur ein, und Ihr werdet Ehre mit mir einlegen.” Ich nahm das Rasierzeug, das ich im Hause fand, und folgte dem Kellner.

Der alte Herr empfing mich mit grofler Gravit‰t, besah mich von oben bis unten, als ob er meine Geschicklichkeit aus mir herausphysiognomieren wollte. “Versteht Er Sein Handwerk?” sagte er zu mir.

“Ich suche meinesgleichen”, versetzte ich, “ohne mich zu r¸hmen.” Auch war ich meiner Sache gewifl: denn ich hatte fr¸h die edle Kunst getrieben und war besonders deswegen ber¸hmt, weil ich mit der linken Hand rasierte.

Das Zimmer, in welchem der Herr seine Toilette machte, ging nach dem Hof und war gerade so gelegen, dafl unsere Freunde f¸glich hereinsehen konnten, besonders wenn die Fenster offen waren. An gehˆriger Vorrichtung fehlte nichts mehr. Der Patron hatte sich gesetzt und das Tuch vorgenommen. Ich trat ganz bescheidentlich vor ihn hin und sagte: “Exzellenz! mir ist bei Aus¸bung meiner Kunst das Besondere vorgekommen, dafl ich die gemeinen Leute besser und zu mehrerer Zufriedenheit rasiert habe als die Vornehmen. Dar¸ber habe ich denn lange nachgedacht und die Ursache bald da, bald dort gesucht, endlich aber gefunden, dafl ich meine Sache in freier Luft viel besser mache als in verschlossenen Zimmern. Wollten Ew. Exzellenz deshalb erlauben, dafl ich die Fenster aufmache, so w¸rden Sie den Effekt zu eigener Zufriedenheit gar bald empfinden.” Er gab es zu, ich ˆffnete das Fenster, gab meinen Freunden einen Wink und fing an, den starken Bart mit grofler Anmut einzuseifen. Ebenso behend und leicht strich ich das Stoppelfeld vom Boden weg, wobei ich nicht vers‰umte, als es an die Oberlippe kam, meinen Gˆnner bei der Nase zu fassen und sie merklich her¸ber und hin¸ber zu biegen, wobei ich mich so zu stellen wuflte, dafl die Wettenden zu ihrem grˆflten Vergn¸gen erkennen und bekennen muflten, ihre Seite habe verloren.

Sehr stattlich bewegte sich der alte Herr gegen den Spiegel: man sah, dafl er sich mit einiger Gef‰lligkeit betrachtete, und wirklich, es war ein sehr schˆner Mann. Dann wendete er sich zu mir mit einem feurigen, schwarzen, aber freundlichen Blick und sagte: “Er verdient, mein Freund, vor vielen seinesgleichen gelobt zu werden, denn ich bemerke an Ihm weit weniger Unarten als an andern. So f‰hrt Er nicht zwei-, dreimal ¸ber dieselbige Stelle, sondern es ist mit einem Strich getan; auch streicht Er nicht, wie mehrere tun, sein Schermesser in der flachen Hand ab und f¸hrt den Unrat nicht der Person ¸ber die Nase. Besonders aber ist Seine Geschicklichkeit der linken Hand zu bewundern. Hier ist etwas f¸r Seine M¸he”, fuhr er fort, indem er mir einen Gulden reichte. “Nur eines merk’ Er sich: dafl man Leute von Stande nicht bei der Nase faflt. Wird Er diese b‰urische Sitte k¸nftig vermeiden, so kann Er wohl noch in der Welt sein Gl¸ck machen.”

Ich verneigte mich tief, versprach alles mˆgliche, bat ihn, bei allenfallsiger R¸ckkehr mich wieder zu beehren, und eilte, was ich konnte, zu unseren jungen Gesellen, die mir zuletzt ziemlich Angst gemacht hatten. Denn sie verf¸hrten ein solches Gel‰chter und ein solches Geschrei, sprangen wie toll in der Stube herum, klatschten und riefen, weckten die Schlafenden und erz‰hlten die Begebenheit immer mit neuem Lachen und Toben, dafl ich selbst, als ich ins Zimmer trat, die Fenster vor allen Dingen zumachte und sie um Gottes willen bat, ruhig zu sein, endlich aber mitlachen muflte ¸ber das Aussehen einer n‰rrischen Handlung, die ich mit so vielem Ernste durchgef¸hrt hatte.

Als nach einiger Zeit sich die tobenden Wellen des Lachens einigermaflen gelegt hatten, hielt ich mich f¸r gl¸cklich; die Goldst¸cke hatte ich in der Tasche und den wohlverdienten Gulden dazu, und ich hielt mich f¸r ganz wohl ausgestattet, welches mir um so erw¸nschter war, als die Gesellschaft beschlossen hatte, des andern Tages auseinanderzugehen. Aber uns war nicht bestimmt, mit Zucht und Ordnung zu scheiden. Die Geschichte war zu reizend, als dafl man sie h‰tte bei sich behalten kˆnnen, so sehr ich auch gebeten und beschworen hatte, nur bis zur Abreise des alten Herrn reinen Mund zu halten. Einer bei uns, der Fahrige genannt, hatte ein Liebesverst‰ndnis mit der Tochter des Hauses. Sie kamen zusammen, und Gott weifl, ob er sie nicht besser zu unterhalten wuflte, genug, er erz‰hlt ihr den Spafl, und so wollten sie sich nun zusammen totlachen. Dabei blieb es nicht, sondern das M‰dchen brachte die M‰re lachend weiter, und so mochte sie endlich noch kurz vor Schlafengehen an den alten Herrn gelangen.

Wir saflen ruhiger als sonst: denn es war den Tag ¸ber genug getobt worden, als auf einmal der kleine Kellner, der uns sehr zugetan war, hereinsprang und rief: “Rettet euch, man wird euch totschlagen!” Wir fuhren auf und wollten mehr wissen; er aber war schon zur T¸re wieder hinaus. Ich sprang auf und schob den Nachtriegel vor; schon aber hˆrten wir an der T¸re pochen und schlagen, ja wir glaubten zu hˆren, dafl sie durch eine Axt gespalten werde. Maschinenm‰flig zogen wir uns ins zweite Zimmer zur¸ck, alle waren verstummt: “Wir sind verraten”, rief ich aus, “der Teufel hat uns bei der Nase!”

Raufbold griff nach seinem Degen, ich zeigte hier abermals meine Riesenkraft und schob ohne Beih¸lfe eine schwere Kommode vor die T¸re, die gl¸cklicherweise hereinw‰rts ging. Doch hˆrten wir schon das Gepolter im Vorzimmer und die heftigsten Schl‰ge an unsere T¸re.

Raufbold schien entschieden, sich zu verteidigen, wiederholt aber rief ich ihm und den ¸brigen zu: “Rettet euch! hier sind Schl‰ge zu f¸rchten nicht allein, aber Beschimpfung, das Schlimmere f¸r den Edelgebornen.” Das M‰dchen st¸rzte herein, dieselbe, die uns verraten hatte, nun verzweifelnd, ihren Liebhaber in Todesgefahr zu wissen. “Fort, fort!” rief sie und faflte ihn an; “fort, fort! ich bring’ euch ¸ber Bˆden, Scheunen und G‰nge. Kommt alle, der letzte zieht die Leiter nach.”

Alles st¸rzte nun zur Hintert¸re hinaus; ich hob noch einen Koffer auf die Kiste, um die schon hereinbrechenden F¸llungen der belagerten T¸re zur¸ckzuschieben und festzuhalten. Aber meine Beharrlichkeit, mein Trutz wollte mir verderblich werden.

Als ich den ¸brigen nachzueilen rannte, fand ich die Leiter schon aufgezogen und sah alle Hoffnung, mich zu retten, g‰nzlich versperrt. Da steh’ ich nun, ich, der eigentliche Verbrecher, der ich mit heiler Haut, mit ganzen Knochen zu entrinnen schon aufgab. Und wer weifl–doch laflt mich immer dort in Gedanken stehen, da ich jetzt hier gegenw‰rtig euch das M‰rchen vorerz‰hlen kann. Nur vernehmt noch, dafl diese verwegene Suite sich in schlechte Folgen verlor.

Der alte Herr, tief gekr‰nkt von Verhˆhnung ohne Rache, zog sich’s zu Gem¸te, und man behauptet, dieses Ereignis habe seinen Tod zur Folge gehabt, wo nicht unmittelbar, doch mitwirkend. Sein Sohn, den T‰tern auf die Spur zu gelangen trachtend, erfuhr ungl¸cklicherweise die Teilnahme Raufbolds, und erst nach Jahren hier¸ber ganz klar, forderte er diesen heraus, und eine Wunde, ihn, den schˆnen Mann, entstellend, ward ‰rgerlich f¸r das ganze Leben. Auch seinem Gegner verdarb dieser Handel einige schˆne Jahre, durch zuf‰llig sich anschlieflende Ereignisse.

Da nun jede Fabel eigentlich etwas lehren soll, so ist euch allen, wohin die gegenw‰rtige gemeint sei, wohl ¸berklar und deutlich.

Neuntes Kapitel

Der hˆchst bedeutende Tag war angebrochen, heute sollten die ersten Schritte zur allgemeinen Fortwanderung eingeleitet werden, heut sollte sich’s entscheiden, wer denn wirklich in die Welt hinaus gehen, oder wer lieber diesseits, auf dem zusammenh‰ngenden Boden der alten Erde, verweilen und sein Gl¸ck versuchen wolle.

Ein munteres Lied erscholl in allen Straflen des heitern Fleckens; Massen taten sich zusammen, die einzelnen Glieder eines jeden Handwerks schlossen sich aneinander an, und so zogen sie, unter einstimmigem Gesang, nach einer durch das Los entschiedenen Ordnung in den Saal.

Die Vorgesetzten, wie wir Lenardo, Friedrichen und den Amtmann bezeichnen wollen, waren eben im Begriff, ihnen zu folgen und den geb¸hrenden Platz einzunehmen, als ein Mann von einnehmendem Wesen zu ihnen trat und sich die Erlaubnis ausbat, an der Versammlung teilnehmen zu kˆnnen. Ihm w‰re nichts abzuschlagen gewesen, so gesittet, zuvorkommend und freundlich war sein Betragen, wodurch eine imposante Gestalt, welche sowohl nach der Armee als dem Hofe und dem geselligen Leben hindeutete, sich hˆchst anmutig erwies. Er trat mit den ¸brigen hinein, man ¸berliefl ihm einen Ehrenplatz; alle hatten sich gesetzt, Lenardo blieb stehen und fing folgendermaflen zu reden an:

“Betrachten wir, meine Freunde, des festen Landes bewohnteste Provinzen und Reiche, so finden wir ¸berall, wo sich nutzbarer Boden hervortut, denselben bebaut, bepflanzt, geregelt, verschˆnt und in gleichem Verh‰ltnis gew¸nscht, in Besitz genommen, befestigt und verteidigt. Da ¸berzeugen wir uns denn von dem hohen Wert des Grundbesitzes und sind genˆtigt, ihn als das Erste, das Beste anzusehen, was dem Menschen werden kˆnne. Finden wir nun, bei n‰herer Ansicht, Eltern–und Kinderliebe, innige Verbindung der Flur–und Stadtgenossen, somit auch das allgemeine patriotische Gef¸hl unmittelbar auf den Boden gegr¸ndet, dann erscheint uns jenes Ergreifen und Behaupten des Raums, im groflen und kleinen, immer bedeutender und ehrw¸rdiger. Ja, so hat es die Natur gewollt! Ein Mensch, auf der Scholle geboren, wird ihr durch Gewohnheit angehˆrig, beide verwachsen miteinander, und sogleich kn¸pfen sich die schˆnsten Bande. Wer mˆchte denn wohl die Grundfeste alles Daseins widerw‰rtig ber¸hren, Wert und W¸rde so schˆner, einziger Himmelsgabe verkennen?

Und doch darf man sagen: Wenn das, was der Mensch besitzt, von groflem Wert ist, so mufl man demjenigen, was er tut und leistet, noch einen grˆflern zuschreiben. Wir mˆgen daher bei vˆlligem ¸berschauen den Grundbesitz als einen kleineren Teil der uns verliehenen G¸ter betrachten. Die meisten und hˆchsten derselben bestehen aber eigentlich im Beweglichen und in demjenigen, was durchs bewegte Leben gewonnen wird.

Hiernach uns umzusehen, werden wir J¸ngeren besonders genˆtigt; denn h‰tten wir auch die Lust, zu bleiben und zu verharren, von unsern V‰tern geerbt, so finden wir uns doch tausendf‰ltig aufgefordert, die Augen vor weiterer Aus–und Umsicht keineswegs zu verschlieflen. Eilen wir deshalb schnell ans Meeresufer und ¸berzeugen uns mit einem Blick, welch unermeflliche R‰ume der T‰tigkeit offenstehen, und bekennen wir schon bei dem bloflen Gedanken uns ganz anders aufgeregt.

Doch in solche grenzenlose Weiten wollen wir uns nicht verlieren, sondern unsere Aufmerksamkeit dem zusammenh‰ngenden, weiten, breiten Boden so mancher L‰nder und Reiche zuwenden. Dort sehen wir grofle Strecken des Landes von Nomaden durchzogen, deren St‰dte beweglich, deren lebendign‰hrender Herdenbesitz ¸berall hinzuleiten ist. Wir sehen sie inmitten der W¸ste, auf groflen gr¸nen Weidepl‰tzen, wie in erw¸nschten H‰fen vor Anker liegen. Solche Bewegung, solches Wandern wird ihnen zur Gewohnheit, zum Bed¸rfnis; endlich betrachten sie die Oberfl‰che der Welt, als w‰re sie nicht durch Berge ged‰mmt, nicht von Fl¸ssen durchzogen. Haben wir doch den Nordosten gesehen sich gegen S¸dwesten bewegen, ein Volk das andere vor sich hertreiben, Herrschaft und Grundbesitz durchaus ver‰ndert.

Von ¸bervˆlkerten Gegenden her wird sich ebendasselbe in dem groflen Weltlauf noch mehrmals ereignen. Was wir von Fremden zu erwarten haben, w‰re schwer zu sagen; wundersam aber ist es, dafl durch eigene ¸bervˆlkerung wir uns einander innerlich dr‰ngen und, ohne erst abzuwarten, dafl wir vertrieben werden, uns selbst vertreiben, das Urteil der Verbannung gegen einander selbst aussprechend.

Hier ist nun Zeit und Ort, ohne Verdrufl und Miflmut in unserm Busen einer gewissen Beweglichkeit Raum zu geben, die ungeduldige Lust nicht zu unterdr¸cken, die uns antreibt, Platz und Ort zu ver‰ndern. Doch was wir auch sinnen und vorhaben, geschehe nicht aus Leidenschaft, noch aus irgendeiner andern Nˆtigung, sondern aus einer dem besten Rat entsprechenden ¸berzeugung.

Man hat gesagt und wiederholt: “Wo mir’s wohl geht, ist mein Vaterland!”; doch w‰re dieser trˆstliche Spruch noch besser ausgedr¸ckt, wenn es hiefle: “Wo ich n¸tze, ist mein Vaterland!” Zu Hause kann einer unn¸tz sein, ohne dafl es eben sogleich bemerkt wird; auflen in der Welt ist der Unn¸tze gar bald offenbar. Wenn ich nun sage: “Trachte jeder, ¸berall sich und andern zu nutzen!”, so ist dies nicht etwa Lehre noch Rat, sondern der Ausspruch des Lebens selbst.

Nun beschaue man den Erdball und lasse das Meer vorerst unbeachtet, man lasse sich von dem Schiffsgewimmel nicht mit fortreiflen und hefte den Blick auf das feste Land und staune, wie es mit einem sich wimmelnd durchkreuzenden Ameisengeschlecht ¸bergossen ist. Hiezu hat Gott der Herr selbst Anlafl gegeben, indem er, den babylonischen Turmbau verhindernd, das Menschengeschlecht in alle Welt zerstreute. Lasset uns ihn darum preisen, denn dieser Segen ist auf alle Geschlechter ¸bergegangen.

Bemerket nun mit Heiterkeit, wie sich alle Jugend sogleich in Bewegung setzt. Da ihr der Unterricht weder im Hause noch an der T¸re geboten wird, eilt sie alsobald nach L‰ndern und St‰dten, wohin sie der Ruf des Wissens und der Weisheit verlockt; nach empfangener schneller, m‰fliger Bildung f¸hlt sie sich sogleich getrieben, weiter in der Welt umherzuschauen, ob sie da oder dort irgendeine nutzbare Erfahrung, zu ihren Zwecken beh¸lflich, auffinden und erhaschen kˆnne. Mˆgen sie denn ihr Gl¸ck versuchen! wir aber gedenken sogleich vollendeter, ausgezeichneter M‰nner, jener edlen Naturforscher, die jeder Beschwerlichkeit, jeder Gefahr wissentlich entgegengehen, um der Welt die Welt zu erˆffnen und durch das Unwegsamste hindurch Pfad und Bahn zu bereiten.

Sehet aber auch auf glatten Heerstraflen Staub auf Staub in langen Wolkenz¸gen emporgeregt, die Spur bezeichnend bequemer, ¸berpackter W‰gen, worin Vornehme, Reiche und so manche andere dahinrollen, deren verschiedene Denkweise und Absicht Yorik uns gar zierlich auseinandersetzt.

Mˆge nun aber der wackere Handwerker ihnen zu Fufle getrost nachschauen, dem das Vaterland zur Pflicht machte, fremde Geschicklichkeit sich anzueignen und nicht eher, als bis ihm dies gelungen, an den v‰terlichen Herd zur¸ckzukehren. H‰ufiger aber begegnen wir auf unsern Wegen Marktenden und Handelnden; ein kleiner Kr‰mer sogar darf nicht vers‰umen, von Zeit zu Zeit seine Bude zu verlassen, Messen und M‰rkte zu besuchen, um sich dem Groflh‰ndler zu n‰hern und seinen kleinen Vorteil am Beispiel, an der Teilnahme des Grenzenlosen zu steigern. Aber noch unruhiger durchkreuzt sich einzeln, zu Pferde, auf allen Haupt–und Nebenstraflen die Menge derer, die auf unsern Beutel auch gegen unser Wollen Anspruch zu machen beflissen sind. Muster aller Art und Preisverzeichnisse verfolgen uns in Stadt–und Landh‰usern, und wohin wir uns auch fl¸chten mˆgen, gesch‰ftig ¸berraschen sie uns, Gelegenheit bietend, welche selbst aufzusuchen niemand in den Sinn gekommen w‰re. Was soll ich aber nun von dem Volke sagen, das den Segen des ewigen Wanderns vor allen andern sich zueignet und durch seine bewegliche T‰tigkeit die Ruhenden zu ¸berlisten und die Mitwandernden zu ¸berschreiten versteht? Wir d¸rfen weder Gutes noch Bˆses von ihnen sprechen; nichts Gutes, weil sich unser Bund vor ihnen h¸tet, nichts Bˆses, weil der Wanderer jeden Begegnenden freundlich zu behandeln, wechselseitigen Vorteils eingedenk, verpflichtet ist.

Nun aber vor allen Dingen haben wir der s‰mtlichen K¸nstler mit Teilnahme zu gedenken, denn sie sind auch durchaus in die Weltbewegung mit verflochten. Wandert nicht der Maler mit Staffelei und Palette von Gesicht zu Gesicht? und werden seine Kunstgenossen nicht bald da-, bald dorthin berufen, weil ¸berall zu bauen und zu bilden ist? Lebhafter jedoch schreitet der Musiker daher, denn er ist es eigentlich, der f¸r ein neues Ohr neue ¸berraschung, f¸r einen frischen Sinn frisches Erstaunen bereitet. Die Schauspieler sodann, wenn sie gleich Thespis’ Wagen verschm‰hen, ziehen doch noch immer in kleineren Chˆren umher, und ihre bewegliche Welt ist an jeder Stelle behend genug auferbaut. Ebenso ver‰ndern sie einzeln, sogar ernste, vorteilhafte Verbindungen aufgebend, gern den Ort mit dem Orte, wozu ein gesteigertes Talent mit zugleich gesteigertem Bed¸rfnis Anlafl und Vorwand gibt. Hierzu bereiten sie sich gewˆhnlich dadurch vor, dafl sie kein bedeutendes Bretterger¸st des Vaterlandes unbestiegen lassen.

Hiernach werden wir sogleich gemahnt, auf den Lehrstand zu sehen; diesen findet ihr gleichfalls in fortdauernder Bewegung, ein Katheder um das andere wird betreten und verlassen, um den Samen eiliger Bildung ja nach allen Seiten hin reichlich auszuspenden. Emsiger aber und weiter ausgreifend sind jene frommen Seelen, die, das Heil den Vˆlkern zu bringen, sich durch alle Weltteile zerstreuen. Dagegen pilgern andere, sich das Heil abzuholen; sie ziehen zu ganzen Scharen nach geweihter, wundert‰tiger Stelle, dort zu suchen und zu empfangen, was ihrem Innern zu Hause nicht verliehen ward.

Wenn uns nun diese s‰mtlich nicht in Verwunderung setzen, weil ihr Tun und Lassen ohne Wandern meist nicht denkbar w‰re, so sollten wir diejenigen, die ihren Fleifl dem Boden widmen, doch wenigstens an denselben gefesselt halten. Keineswegs! Auch ohne Besitz l‰flt sich Benutzung denken, und wir sehen den eifrigen Landwirt eine Flur verlassen, die ihm als Zeitp‰chter Vorteil und Freude mehrere Jahre gew‰hrt hat; ungeduldig forscht er nach gleichen oder grˆfleren Vorteilen, es sei nah oder fern. Ja sogar der Eigent¸mer verl‰flt seinen erst gerodeten Neubruch, sobald er ihn durch Kultur einem weniger gewandten Besitzer erst angenehm gemacht hat; aufs neue dringt er in die W¸ste, macht sich abermals in W‰ldern Platz, zur Belohnung jenes ersten Bem¸hens einen doppelt und dreifach grˆflern Raum, auf dem er vielleicht auch nicht zu beharren gedenkt.

Lassen wir ihn dort mit B‰ren und anderm Getier sich herumschlagen und kehren in die gebildete Welt zur¸ck, wo wir es auch keineswegs beruhigter antreffen. Irgendein grofles, geregeltes Reich beschaue man, wo der F‰higste sich als den Beweglichsten denken mufl; nach dem Winke des F¸rsten, nach Anordnung des Staatsrats wird der Brauchbare von einem Ort zum andern versetzt. Auch ihm gilt unser Zuruf. “Suchet ¸berall zu n¸tzen, ¸berall seid ihr zu Hause.” Sehen wir aber bedeutende Staatsm‰nner, obwohl ungern, ihren hohen Posten verlassen, so haben wir Ursache, sie zu bedauern, da wir sie weder als Auswanderer noch als Wanderer anerkennen d¸rfen; nicht als Auswanderer, weil sie einen w¸nschenswerten Zustand entbehren, ohne dafl irgendeine Aussicht auf bessere Zust‰nde sich auch nur scheinbar erˆffnete; nicht als Wanderer, weil ihnen anderer Orten auf irgendeine Weise n¸tzlich zu sein selten vergˆnnt ist.

Zu einem eigenen Wanderleben jedoch ist der Soldat berufen; selbst im Frieden wird ihm bald dieser, bald jener Posten angewiesen; f¸rs Vaterland nah oder fern zu streiten, mufl er sich immer beweglich erhalten; und nicht nur f¸rs unmittelbare Heil, sondern auch nach dem Sinne der Vˆlker und Herrscher wendet er seinen Schritt allen Weltteilen zu, und nur wenigen ist es vergˆnnt, sich hie oder da anzusiedeln. Wie nun bei dem Soldaten die Tapferkeit als erste Eigenschaft obenan steht, so wird sie doch stets mit der Treue verbunden gedacht, deshalb wir denn gewisse wegen ihrer Zuverl‰ssigkeit ger¸hmte Vˆlker, aus der Heimat gerufen, weltlichen und geistlichen Regenten als Leibwache dienen sehen.

Noch eine sehr bewegliche, dem Staat unentbehrliche Klasse erblicken wir in jenen Gesch‰ftsm‰nnern, welche, von Hof zu Hofe gesandt, F¸rsten und Minister umlagern und die ganze bewohnte Welt mit unsichtbaren F‰den ¸berkreuzen. Auch deren ist keiner an Ort und Stelle auch nur einen Augenblick sicher; im Frieden sendet man die t¸chtigsten von einer Weltgegend zur andern; im Kriege, dem siegenden Heere nachziehend, dem fl¸chtigen die Wege bahnend, sind sie immer eingerichtet, einen Ort um den andern zu verlassen, deshalb sie auch jederzeit einen groflen Vorrat von Abschiedskarten mit sich f¸hren.

Haben wir uns nun bisher auf jedem Schritt zu ehren gewuflt, indem wir die vorz¸glichste Masse t‰tiger Menschen als unsere Gesellen und Schicksalsgenossen angesprochen, so stehet euch, teure Freunde, zum Abschlufl noch die hˆchste Gunst bevor, indem ihr euch mit Kaisern, Kˆnigen und F¸rsten verbr¸dert findet. Denken wir zuerst segnend jenes edlen kaiserlichen Wanderers Hadrian, welcher zu Fufl, an der Spitze seines Heers, den bewohnten, ihm unterworfenen Erdkreis durchschnitt und ihn so erst vollkommen in Besitz nahm. Denken wir mit Schaudern der Eroberer, jener gewaffneten Wanderer, gegen die kein Widerstreit helfen, Mauer und Bollwerk harmlose Vˆlker nicht schirmen konnte; begleiten wir endlich mit redlichem Bedauern jene ungl¸cklichen vertriebenen F¸rsten, die, von dem Gipfel der Hˆhe herabsteigend, nicht einmal in die bescheidene Gilde t‰tiger Wanderer aufgenommen werden kˆnnten.

Da wir uns nun alles dieses einander vergegenw‰rtigt und aufgekl‰rt, so wird kein beschr‰nkter Tr¸bsinn, keine leidenschaftliche Dunkelheit ¸ber uns walten. Die Zeit ist vor¸ber, wo man abenteuerlich in die weite Welt rannte; durch die Bem¸hungen wissenschaftlicher, weislich beschreibender, k¸nstlerisch nachbildender Weltumreiser sind wir ¸berall bekannt genug, dafl wir ungef‰hr wissen, was zu erwarten sei.

Doch kann zu einer vollkommenen Klarheit der einzelne nicht gelangen. Unsere Gesellschaft aber ist darauf gegr¸ndet, dafl jeder in seinem Mafle, nach seinen Zwecken aufgekl‰rt werde. Hat irgendeiner ein Land im Sinne, wohin er seine W¸nsche richtet, so suchen wir ihm das einzelne deutlich zu machen, was im ganzen seiner Einbildungskraft vorschwebte; uns wechselseitig einen ¸berblick der bewohnten und bewohnbaren Welt zu geben, ist die angenehmste, hˆchst belohnende Unterhaltung.

In solchem Sinne nun d¸rfen wir uns in einem Weltbunde begriffen ansehen. Einfach-grofl ist der Gedanke, leicht die Ausf¸hrung durch Verstand und Kraft. Einheit ist allm‰chtig, deshalb keine Spaltung, kein Widerstreit unter uns. Insofern wir Grunds‰tze haben, sind sie uns allen gemein. Der Mensch, so sagen wir, lerne sich ohne dauernden ‰ufleren Bezug zu denken, er suche das Folgerechte nicht an den Umst‰nden, sondern in sich selbst, dort wird er’s finden, mit Liebe hegen und pflegen. Er wird sich ausbilden und einrichten, dafl er ¸berall zu Hause sei. Wer sich dem Notwendigsten widmet, geht ¸berall am sichersten zum Ziel; andere hingegen, das Hˆhere, Zartere suchend, haben schon in der Wahl des Weges vorsichtiger zu sein. Doch was der Mensch auch ergreife und handhabe, der einzelne ist sich nicht hinreichend, Gesellschaft bleibt eines wackern Mannes hˆchstes Bed¸rfnis. Alle brauchbaren Menschen sollen in Bezug untereinander stehen, wie sich der Bauherr nach dem Architekten und dieser nach Maurer und Zimmermann umsieht.

Und so ist denn allen bekannt, wie und auf welche Weise unser Bund geschlossen und gegr¸ndet sei; niemand sehen wir unter uns, der nicht zweckm‰flig seine T‰tigkeit jeden Augenblick ¸ben kˆnnte, der nicht versichert w‰re, dafl er ¸berall, wohin Zufall, Neigung, ja Leidenschaft ihn f¸hren kˆnnte, sich immer wohl empfohlen, aufgenommen und gefˆrdert, ja von Ungl¸cksf‰llen mˆglichst wiederhergestellt finden werde.

Zwei Pflichten sodann haben wir aufs strengste ¸bernommen: jeden Gottesdienst in Ehren zu halten, denn sie sind alle mehr oder weniger im Credo verfaflt; ferner alle Regierungsformen gleichfalls gelten zu lassen und, da sie s‰mtlich eine zweckm‰flige T‰tigkeit fordern und befˆrdern, innerhalb einer jeden uns, auf wie lange es auch sei, nach ihrem Willen und Wunsch zu bem¸hen. Schliefllich halten wir’s f¸r Pflicht, die Sittlichkeit ohne Pedanterei und Strenge zu ¸ben und zu fˆrdern, wie es die Ehrfurcht vor uns selbst verlangt, welche aus den drei Ehrfurchten entsprieflt, zu denen wir uns s‰mtlich bekennen, auch alle in diese hˆhere, allgemeine Weisheit, einige sogar von Jugend auf, eingeweiht zu sein das Gl¸ck und die Freude haben. Dieses alles haben wir in der feierlichen Trennungsstunde nochmals bedenken, erkl‰ren, vernehmen und anerkennen, auch mit einem traulichen Lebewohl besiegeln wollen.

Bleibe nicht am Boden heften,
Frisch gewagt und frisch hinaus!
Kopf und Arm mit heitern Kr‰ften, ¸berall sind sie zu Haus;
Wo wir uns der Sonne freuen,
Sind wir jede Sorge los.
Dafl wir uns in ihr zerstreuen,
Darum ist die Welt so grofl.”

Zehntes Kapitel

Unter dem Schluflgesange richtete sich ein grofler Teil der Anwesenden rasch empor und zog paarweise geordnet mit weit umherklingendem Schalle den Saal hinaus. Lenardo, sich niedersetzend, fragte den Gast: ob er sein Anliegen hier ˆffentlich vorzutragen gedenke oder eine besondere Sitzung verlange? Der Fremde stand auf, begr¸flte die Gesellschaft und begann folgende Rede:

“Hier ist es, gerade in solcher Versammlung, wo ich mich vorerst ohne weiteres zu erkl‰ren w¸nsche. Diese hier in Ruhe verbliebenen, dem Anblick nach s‰mtlich wackern M‰nner geben schon durch ein solches Verharren deutlich Wunsch und Absicht zu erkennen, dem vaterl‰ndischen Grund und Boden auch fernerhin angehˆren zu wollen. Sie sind mir alle freundlich gegr¸flt, denn ich darf erkl‰ren: dafl ich ihnen s‰mtlich, wie sie sich hier ank¸ndigen, ein hinreichendes Tagewerk auf mehrere Jahre anzubieten im Fall bin. Ich w¸nsche jedoch, aber erst nach kurzer Frist, eine nochmalige Zusammenkunft, weil es nˆtig ist, vor allen Dingen den w¸rdigen Vorstehern, welche bisher diese wackern Leute zusammenhielten, meine Angelegenheit vertraulich zu offenbaren und sie von der Zuverl‰ssigkeit meiner Sendung zu ¸berzeugen. Sodann aber will es sich ziemen, mich mit den Verharrenden im einzelnen zu besprechen, damit ich erfahre, mit welchen Leistungen sie mein stattliches Anerbieten zu erwidern gedenken.”

Hierauf begehrte Lenardo einige Frist, die nˆtigsten Gesch‰fte des Augenblicks zu besorgen, und nachdem diese bestimmt war, richtete sich die Masse der ¸briggebliebenen anst‰ndig in die Hˆhe, gleichfalls paarweise unter einem m‰flig geselligen Gesang aus dem Saale sich entfernend.

Odoard entdeckte sodann den zur¸ckbleibenden beiden F¸hrern seine Absichten und Vors‰tze und zeigte sodann seine Berechtigung hiezu. Nun konnte er aber mit so vorz¸glichen Menschen in fernerer Unterhaltung von dem Gesch‰ft nicht Rechenschaft geben, ohne des menschlichen Grundes zu gedenken, worauf das Ganze eigentlich beruhe. Wechselseitige Erkl‰rungen und Bekenntnisse tiefer Herzensangelegenheiten entfalteten sich hieraus bei fortgesetztem Gespr‰ch. Bis tief in die Nacht blieb man zusammen und verwickelte sich immer unentwirrbarer in die Labyrinthe menschlicher Gesinnungen und Schicksale. Hier nun fand sich Odoard bewogen, nach und nach von den Angelegenheiten seines Geistes und Herzens fragmentarische Rechenschaft zu geben, deshalb denn auch von diesem Gespr‰ch uns freilich nur unvollst‰ndige und unbefriedigende Kenntnis zugekommen. Doch sollen wir auch hier Friedrichs gl¸cklichem Talent des Auffassens und Festhaltens die Vergegenw‰rtigung interessanter Szenen verdanken, sowie einige Aufkl‰rung ¸ber den Lebensgang eines vorz¸glichen Mannes, der uns zu interessieren anf‰ngt, wenn es auch nur Andeutungen w‰ren desjenigen, was in der Folge vielleicht ausf¸hrlicher und im Zusammenhange mitzuteilen ist. Nicht zu weit

Es schlug zehn in der Nacht, und so war denn zur verabredeten Stunde alles bereit: im bekr‰nzten S‰lchen zu vieren eine ger‰umige, artige Tafel gedeckt, mit feinem Nachtisch und Zuckerzierlichkeiten zwischen blinkenden Leuchtern und Blumen bestellt. Wie freuten sich die Kinder auf diese Nachkost, denn sie sollten mit zu Tische sitzen; indessen schlichen sie umher, geputzt und maskiert, und weil Kinder nicht zu entstellen sind, erschienen sie als die niedlichsten Zwillingsgenien. Der Vater berief sie zu sich, und sie sagten das Festgespr‰ch, zu ihrer Mutter Geburtstag gedichtet, bei weniger Nachh¸lfe gar schicklich her.

Die Zeit verstrich, von Viertel–zu Viertelstunde enthielt die gute Alte sich nicht, des Freundes Ungeduld zu vermehren. Mehrere Lampen, sagte sie, seien auf der Treppe dem Erlˆschen ganz nahe, ausgesuchte Lieblingsspeisen der Gefeierten kˆnnten ¸bergar werden, so sei es zu bef¸rchten. Die Kinder aus Langerweile fingen erst unartig an, und aus Ungeduld wurden sie unertr‰glich. Der Vater nahm sich zusammen, und doch wollte die ungewohnte Gelassenheit ihm nicht zu Gebote stehen; er horchte sehns¸chtig auf die Wagen, einige rasselten unaufgehalten vorbei, ein gewisses ‰rgernis wollte sich regen. Zum Zeitvertreib forderte er noch eine Repetition von den Kindern; diese, im ¸berdrufl unachtsam, zerstreut und ungeschickt, sprachen falsch, keine Geb‰rde war mehr richtig, sie ¸bertrieben wie Schauspieler, die nichts empfinden. Die Pein des guten Mannes wuchs mit jedem Momente, halb eilf Uhr war vor¸ber; das Weitere zu schildern, ¸berlassen wir ihm selbst.

“Die Glocke schlug eilfe, meine Ungeduld war bis zur Verzweiflung gesteigert, ich hoffte nicht mehr, ich f¸rchtete. Nun war mir bange, sie mˆchte hereintreten, mit ihrer gewˆhnlichen leichten Anmut sich fl¸chtig entschuldigen, versichern, dafl sie sehr m¸de sei, und sich betragen, als w¸rfe sie mir vor, ich beschr‰nke ihre Freuden. In mir kehrte sich alles um und um, und gar vieles, was ich Jahre her geduldet, lastete wiederkehrend auf meinem Geiste. Ich fing an, sie zu hassen, ich wuflte kein Betragen zu denken, wie ich sie empfangen sollte. Die guten Kinder, wie Engelchen herausgeputzt, schliefen ruhig auf dem Sofa. Unter meinen F¸flen brannte der Boden, ich begriff, ich verstand mich nicht, und mir blieb nichts ¸brig als zu fliehen, bis nur die n‰chsten Augenblicke ¸berstanden w‰ren. Ich eilte, leicht und festlich angezogen wie ich war, nach der Haust¸re. Ich weifl nicht, was ich der guten Alten f¸r einen Vorwand hinstotterte, sie drang mir einen ¸berrock zu, und ich fand mich auf der Strafle in einem Zustande, den ich seit langen Jahren nicht empfunden hatte. Gleich dem j¸ngsten leidenschaftlichen Menschen, der nicht wo ein noch aus weifl, rannt’ ich die Gassen hin und wider. Ich h‰tte das freie Feld gewonnen, aber ein kalter, feuchter Wind blies streng und widerw‰rtig genug, um meinen Verdrufl zu begrenzen.”

Wir haben, wie an dieser Stelle auffallend zu bemerken ist, die Rechte des epischen Dichters uns anmaflend, einen geneigten Leser nur allzu schnell in die Mitte leidenschaftlicher Darstellung gerissen. Wir sehen einen bedeutenden Mann in h‰uslicher Verwirrung, ohne von ihm etwas weiter erfahren zu haben; deshalb wir denn f¸r den Augenblick, um nur einigermaflen den Zustand aufzukl‰ren, uns zu der guten Alten gesellen, horchend, was sie allenfalls vor sich hin, bewegt und verlegen, leise murmeln oder laut ausrufen mˆchte.

“Ich hab’ es l‰ngst gedacht, ich habe es vorausgesagt, ich habe die gn‰dige Frau nicht geschont, sie ˆfter gewarnt, aber es ist st‰rker wie sie. Wenn der Herr sich des Tags auf der Kanzlei, in der Stadt, auf dem Lande in Gesch‰ften abm¸det, so findet er abends ein leeres Haus, oder Gesellschaft, die ihm nicht zusagt. Sie kann es nicht lassen. Wenn sie nicht immer Menschen, M‰nner um sich sieht, wenn sie nicht hin und wider f‰hrt, sich an und aus–und umziehen kann, ist es, als wenn ihr der Atem ausginge. Heute an ihrem Geburtstag f‰hrt sie fr¸h aufs Land. Gut! wir machen indes hier alles zurecht; sie verspricht heilig, um neun Uhr zu Hause zu sein; wir sind bereit. Der Herr ¸berhˆrt die Kinder ein auswendig gelerntes artiges Gedicht, sie sind herausgeputzt; Lampen und Lichter, Gesottenes und Gebratenes, an gar nichts fehlt es, aber sie kommt nicht. Der Herr hat viel Gewalt ¸ber sich, er verbirgt seine Ungeduld, sie bricht aus. Er entfernt sich aus dem Hause so sp‰t. Warum, ist offenbar; aber wohin? Ich habe ihr oft mit Nebenbuhlerinnen gedroht, ehrlich und redlich. Bisher hab’ ich am Herrn nichts bemerkt; eine Schˆne paflt ihm l‰ngst auf, bem¸ht sich um ihn. Wer weifl, wie er bisher gek‰mpft hat. Nun bricht’s los, diesmal treibt ihn die Verzweiflung, seinen guten Willen nicht besser anerkannt zu sehen, bei Nacht aus dem Hause, da geb’ ich alles verloren. Ich sagt’ es ihr mehr als einmal, sie solle es nicht zu weit treiben.”

Suchen wir den Freund nun wieder auf und hˆren ihn selber. “In dem angesehensten Gasthofe sah ich unten Licht, klopfte am Fenster und fragte den herausschauenden Kellner mit bekannter Stimme: ob nicht Fremde angekommen oder angemeldet seien? Schon hatte er das Tor geˆffnet, verneinte beides und bat mich hereinzutreten. Ich fand es meiner Lage gem‰fl, das M‰rchen fortzusetzen, ersuchte ihn um ein Zimmer, das er mir gleich im zweiten Stock einr‰umte; der erste sollte, wie er meinte, f¸r die erwarteten Fremden bleiben. Er eilte, einiges zu veranstalten, ich liefl es geschehen und verb¸rgte mich f¸r die Zeche. So weit war’s vor¸ber; ich aber fiel wieder in meine Schmerzen zur¸ck, vergegenw‰rtigte mir alles und jedes, erhˆhte und milderte, schalt mich und suchte mich zu fassen, zu bes‰nftigen: liefle sich doch morgen fr¸h alles wieder einleiten; ich dachte mir schon den Tag abermals im gewohnten Gange; dann aber k‰mpfte sich aufs neue der Verdrufl unb‰ndig hervor: ich hatte nie geglaubt, dafl ich so ungl¸cklich sein kˆnne.”

An dem edlen Manne, den wir hier so unerwartet ¸ber einen gering scheinenden Vorfall in leidenschaftlicher Bewegung sehen, haben unsere Leser gewifl schon in dem Grade teilgenommen, dafl sie n‰here Nachricht von seinen Verh‰ltnissen zu erfahren w¸nschen. Wir benutzen die Pause, die hier in das n‰chtliche Abenteuer eintritt, indem er stumm und heftig in dem Zimmer auf und ab zu gehen fortf‰hrt.

Wir lernen Odoard als den Sprˆflling eines alten Hauses kennen, auf welchen durch eine Folge von Generationen die edelsten Vorz¸ge vererbt worden. In der Milit‰rschule gebildet, ward ihm ein gewandter Anstand zu eigen, der, mit den lˆblichsten F‰higkeiten des Geistes verbunden, seinem Betragen eine ganz besondere Anmut verlieh. Ein kurzer Hofdienst lehrte ihn die ‰uflern Verh‰ltnisse hoher Persˆnlichkeiten gar wohl einsehen, und als er nun hierauf, durch fr¸h erworbene Gunst einer gesandtschaftlichen Sendung angeschlossen, die Welt zu sehen und fremde Hˆfe zu kennen Gelegenheit hatte, so tat sich die Klarheit seiner Auffassung und gl¸ckliches Ged‰chtnis des Vorgegangenen bis aufs genaueste, besonders aber ein guter Wille in Unternehmungen aller Art aufs baldigste hervor. Die Leichtigkeit des Ausdrucks in manchen Sprachen, bei einer freien und nicht aufdringlichen Persˆnlichkeit, f¸hrten ihn von einer Stufe zur andern; er hatte Gl¸ck bei allen diplomatischen Sendungen, weil er das Wohlwollen der Menschen gewann und sich dadurch in den Vorteil setzte, Miflhelligkeiten zu schlichten, besonders auch die beiderseitigen Interessen bei gerechter Erw‰gung vorliegender Gr¸nde zu befriedigen wuflte.

Einen so vorz¸glichen Mann sich anzueignen, war der erste Minister bedacht; er verheiratete ihm seine Tochter, ein Frauenzimmer von der heitersten Schˆnheit und gewandt in allen hˆheren geselligen Tugenden. Allein wie dem Laufe aller menschlichen Gl¸ckseligkeit sich je einmal ein Damm entgegenstellt, der ihn irgendwo zur¸ckdr‰ngt, so war es auch hier der Fall. An dem f¸rstlichen Hofe wurde Prinzessin Sophronie als M¸ndel erzogen, sie, der letzte Zweig ihres Astes, deren Vermˆgen und Anforderungen, wenn auch Land und Leute an den Oheim zur¸ckfielen, noch immer bedeutend genug blieben, weshalb man sie denn, um weitl‰ufige Erˆrterungen zu vermeiden, an den Erbprinzen, der freilich viel j¸nger war, zu verheiraten w¸nschte.

Odoard kam in Verdacht einer Neigung zu ihr, man fand, er habe sie in einem Gedichte unter dem Namen Aurora allzu leidenschaftlich gefeiert; hiezu gesellte sich eine Unvorsichtigkeit von ihrer Seite, indem sie mit eigner Charakterst‰rke gewissen Neckereien ihrer Gespielinnen trotzig entgegnete: sie m¸flte keine Augen haben, wenn sie f¸r solche Vorz¸ge blind sein sollte.

Durch seine Heirat wurde nun wohl ein solcher Verdacht beschwichtigt, aber durch heimliche Gegner dennoch im stillen fortgen‰hrt und gelegentlich wieder aufgeregt.

Die Staats–und Erbschaftsverh‰ltnisse, ob man sie gleich so wenig als mˆglich zu ber¸hren suchte, kamen doch manchmal zur Sprache. Der F¸rst nicht sowohl als kluge R‰te hielten es durchaus f¸r n¸tzlich, die Angelegenheit fernerhin ruhen zu lassen, w‰hrend die stillen Anh‰nger der Prinzessin sie abgetan und dadurch die edle Dame in grˆflerer Freiheit zu sehen w¸nschten, besonders da der benachbarte alte Kˆnig, Sophronien verwandt und g¸nstig, noch am Leben sei und sich zu v‰terlicher Einwirkung gelegentlich bereit erwiesen habe.

Odoard kam in Verdacht, bei einer blofl zeremoniellen Sendung dorthin das Gesch‰ft, das man versp‰ten wollte, wieder in Anregung gebracht zu haben. Die Widersacher bedienten sich dieses Vorfalls, und der Schwiegervater, den er von seiner Unschuld ¸berzeugt hatte, muflte seinen ganzen Einflufl anwenden, um ihm eine Art von Statthalterschaft in einer entfernten Provinz zu erwirken. Er fand sich gl¸cklich daselbst, alle seine Kr‰fte konnte er in T‰tigkeit setzen, es war Notwendiges, N¸tzliches, Gutes, Schˆnes, Grofles zu tun, er konnte Dauerndes leisten, ohne sich aufzuopfern, anstatt dafl man in jenen Verh‰ltnissen, gegen seine ¸berzeugung sich mit Vor¸bergehendem besch‰ftigend, gelegentlich selbst zugrunde geht.

Nicht so empfand es seine Gattin, welche nur in grˆflern Zirkeln ihre Existenz fand und ihm nur sp‰ter notgedrungen folgte. Er betrug sich so schonend als mˆglich gegen sie und beg¸nstigte alle Surrogate ihrer bisherigen Gl¸ckseligkeit, des Sommers Landpartien in der Nachbarschaft, im Winter ein Liebhabertheater, B‰lle und was sie sonst einzuleiten beliebte. Ja er duldete einen Hausfreund, einen Fremden, der sich seit einiger Zeit eingef¸hrt hatte, ob er ihm gleich keineswegs gefiel, da er ihm durchaus, bei seinem klaren Blick auf Menschen, eine gewisse Falschheit anzusehen glaubte.

Von allem diesem, was wir aussprechen, mag in dem gegenw‰rtigen bedenklichen Augenblick einiges dunkel und tr¸be, ein anderes klar und deutlich ihm vor der Seele vor¸bergegangen sein. Genug, wenn wir nach dieser vertraulichen Erˆffnung, zu der Friedrichs gutes Ged‰chtnis den Stoff mitgeteilt, uns abermals zu ihm wenden, so finden wir ihn wieder in dem Zimmer heftig auf und ab gehend, durch Geb‰rden und manche Ausrufungen einen innern Kampf offenbarend.

“In solchen Gedanken war ich heftig im Zimmer auf und ab gegangen, der Kellner hatte mir eine Tasse Bouillon gebracht, deren ich sehr bedurfte; denn ¸ber die sorgf‰ltigsten Anstalten dem Fest zuliebe hatte ich nichts zu mir genommen, und ein kˆstlich Abendessen stand unber¸hrt zu Hause. In dem Augenblick hˆrten wir ein Posthorn sehr angenehm die Strafle herauf. “Der kommt aus dem Gebirge”, sagte der Kellner. Wir fuhren ans Fenster und sahen beim Schein zweier helleuchtenden Wagenlaternen viersp‰nnig, wohlbepackt vorfahren einen Herrschaftswagen. Die Bedienten sprangen vom Bocke: “Da sind sie!” rief der Kellner und eilte nach der T¸re. Ich hielt ihn fest, ihm einzusch‰rfen, er solle ja nichts sagen, dafl ich da sei, nicht verraten, dafl etwas bestellt worden; er versprach’s und sprang davon.

Indessen hatte ich vers‰umt zu beobachten, wer ausgestiegen sei, und eine neue Ungeduld bem‰chtigte sich meiner; mir schien, der Kellner s‰ume allzu lange, mir Nachricht zu geben. Endlich vernahm ich von ihm, die G‰ste seien Frauenzimmer, eine ‰ltliche Dame von w¸rdigem Ansehen, eine mittlere von unglaublicher Anmut, ein Kammerm‰dchen, wie man sie nur w¸nschen mˆchte. “Sie fing an”, sagte er, “mit Befehlen, fuhr fort mit Schmeicheln und fiel, als ich ihr schˆntat, in ein heiter schnippisches Wesen, das ihr wohl das nat¸rlichste sein mochte. “”

“Gar schnell bemerkte ich”, fahrt er fort, “die allgemeine Verwunderung, mich so alert und das Haus zu ihrem Empfang so bereit zu finden, die Zimmer erleuchtet, die Kamine brennend; sie machten sich’s bequem, im Saale fanden sie ein kaltes Abendessen; ich bot Bouillon an, die ihnen willkommen schien.”

Nun saflen die Damen bei Tische, die ‰ltere speiste kaum, die schˆne Liebliche gar nicht; das Kammerm‰dchen, das sie Lucie nannten, liefl sich’s wohl schmecken und erhob dabei die Vorz¸ge des Gasthofes, erfreute sich der hellen Kerzen, des feinen Tafelzeugs, des Porzellans und aller Ger‰tschaften. Am lodernden Kamin hatte sie sich fr¸her ausgew‰rmt und fragte nun den wieder eintretenden Kellner, ob man hier denn immer so bereit sei, zu jeder Stunde des Tags und der Nacht unvermutet ankommende G‰ste zu bewirten? Dem jungen, gewandten Burschen ging es in diesem Falle wie Kindern, die wohl das Geheimnis verschweigen, aber, dafl etwas Geheimes ihnen vertraut sei, nicht verbergen kˆnnen. Erst antwortete er zweideutig, ann‰hernd sodann, und zuletzt, durch die Lebhaftigkeit der Zofe, durch Hin–und Widerreden in die Enge getrieben, gestand er: es sei ein Bedienter, es sei ein Herr gekommen, sei fortgegangen, wiedergekommen, zuletzt aber entfuhr es ihm, der Herr sei wirklich oben und gehe beunruhigt auf und ab. Die junge Dame sprang auf, die andern folgten; es sollte ein alter Herr sein, meinten sie hastig; der Kellner versicherte dagegen, er sei jung. Nun zweifelten sie wieder, er beteuerte die Wahrheit seiner Aussage. Die Verwirrung, die Unruhe vermehrte sich. Es m¸sse der Oheim sein, versicherte die Schˆne; es sei nicht in seiner Art, erwiderte die ‰ltere. Niemand als er habe wissen kˆnnen, dafl sie in dieser Stunde hier eintreffen w¸rden, versetzte jene beharrlich. Der Kellner aber beteuerte fort und fort, es sei ein junger, ansehnlicher, kr‰ftiger Mann. Lucie schwur dagegen auf den Oheim: dem Schalk, dem Kellner, sei nicht zu trauen, er widerspreche sich schon eine halbe Stunde.

Nach allem diesem muflte der Kellner hinauf, dringend zu bitten, der Herr mˆge doch ja eilig herunterkommen, dabei auch zu drohen, die Damen w¸rden heraufsteigen und selbst danken. “Es ist ein Wirrwarr ohne Grenzen”, fuhr der Kellner fort; “ich begreife nicht, warum Sie zaudern, sich sehen zu lassen; man h‰lt Sie f¸r einen alten Oheim, den man wieder zu umarmen leidenschaftlich verlangt. Gehen Sie hinunter, ich bitte. Sind denn das nicht die Personen, die Sie erwarteten? Verschm‰hen Sie ein allerliebstes Abenteuer nicht mutwillig; sehens–und hˆrenswert ist die junge Schˆne, es sind die anst‰ndigsten Personen. Eilen Sie hinunter, sonst r¸cken sie Ihnen wahrlich auf die Stube.”

Leidenschaft erzeugt Leidenschaft. Bewegt, wie er war, sehnte er sich nach etwas anderem, Fremdem. Er stieg hinab, in Hoffnung, sich mit den Ankˆmmlingen in heiterem Gespr‰ch zu erkl‰ren, aufzukl‰ren, fremde Zust‰nde zu gewahren, sich zu zerstreuen, und doch war es ihm, als ging’ er einem bekannten ahnungsvollen Zustand entgegen. Nun stand er vor der T¸re; die Damen, die des Oheims Tritte zu hˆren glaubten, eilten ihm entgegen, er trat ein. Welch ein Zusammentreffen! Welch ein Anblick! Die sehr Schˆne tat einen Schrei und warf sich der ‰ltern um den Hals, der Freund erkannte sie beide, er schrak zur¸ck, dann dr‰ngt’ es ihn vorw‰rts, er lag zu ihren F¸flen und ber¸hrte ihre Hand, die er sogleich wieder losliefl, mit dem bescheidensten Kufl. Die Silben “Au-ro-ra!” erstarben auf seinen Lippen.

Wenden wir unsern Blick nunmehr nach dem Hause unsres Freundes, so finden wir daselbst ganz eigne Zust‰nde. Die gute Alte wuflte nicht, was sie tun oder lassen sollte; sie unterhielt die Lampen des Vorhauses und der Treppe; das Essen hatte sie vom Feuer gehoben, einiges war unwiederbringlich verdorben. Die Kammerjungfer war bei den schlafenden Kindern geblieben und hatte die vielen Kerzen der Zimmer geh¸tet, so ruhig und geduldig als jene verdriefllich hin und her fahrend.

Endlich rollte der Wagen vor, die Dame stieg aus und vernahm, ihr Gemahl sei vor einigen Stunden abgerufen worden. Die Treppe hinaufsteigend, schien sie von der festlichen Erleuchtung keine Kenntnis zu nehmen. Nun erfuhr die Alte von dem Bedienten, ein Ungl¸ck sei unterwegs begegnet, der Wagen in einen Graben geworfen worden, und was alles nachher sich ereignet.

Die Dame trat ins Zimmer: “Was ist das f¸r eine Maskerade?” sagte sie, auf die Kinder deutend. “Es h‰tte Ihnen viel Vergn¸gen gemacht”, versetzte die Jungfer, “w‰ren Sie einige Stunden fr¸her angekommen.” Die Kinder, aus dem Schlafe ger¸ttelt, sprangen auf und begannen, als sie die Mutter vor sich sahen, ihren eingelernten Spruch. Von beiden Seiten verlegen, ging es eine Weile, dann, ohne Aufmunterung und Nachh¸lfe, kam es zum Stocken, endlich brach es vˆllig ab, und die guten Kleinen wurden mit einigen Liebkosungen zu Bette geschickt. Die Dame sah sich allein, warf sich auf den Sofa und brach in bittre Tr‰nen aus.

Doch es wird nun ebenfalls notwendig, von der Dame selbst und von dem, wie es scheint. ¸bel abgelaufenen l‰ndlichen Feste n‰here Nachricht zu geben. Albertine war eine von den Frauenzimmern, denen man unter vier Augen nichts zu sagen h‰tte, die man aber sehr gern in grofler Gesellschaft sieht. Dort erscheinen sie als wahre Zierden des Ganzen und als Reizmittel in jedem Augenblick einer Stockung. Ihre Anmut ist von der Art, dafl sie, um sich zu ‰uflern, sich bequem darzutun, einen gewissen Raum braucht, ihre Wirkungen verlangen ein grˆfleres Publikum, sie bed¸rfen eines Elements, das sie tr‰gt, das sie nˆtigt, anmutig zu sein; gegen den einzelnen wissen sie sich kaum zu betragen.

Auch hatte der Hausfreund blofl dadurch ihre Gunst und erhielt sich darin, weil er Bewegung auf Bewegung einzuleiten und immerfort, wenn auch keinen groflen, doch einen heitern Kreis im Treiben zu erhalten wuflte. Bei Rollenausteilungen w‰hlte er sich die z‰rtlichen V‰ter und wuflte durch ein anst‰ndiges, altkluges Benehmen ¸ber die j¸ngeren ersten, zweiten und dritten Liebhaber sich ein ¸bergewicht zu verschaffen.

Florine, Besitzerin eines bedeutenden Rittergutes in der N‰he, winters in der Stadt wohnend, verpflichtet gegen Odoard, dessen staatswirtliche Einrichtung zuf‰lliger-, aber gl¸cklicherweise ihrem Landsitz hˆchlich zugute kam und den Ertrag desselben in der Folge bedeutend zu vermehren die Aussicht gab, bezog sommers ihr Landgut und machte es zum Schauplatze vielfacher anst‰ndiger Vergn¸gungen. Geburtstage besonders wurden niemals verabs‰umt und mannigfaltige Feste veranstaltet.

Florine war ein munteres, neckisches Wesen, wie es schien, nirgends anh‰nglich, auch keine Anh‰nglichkeit fordernd noch verlangend. Leidenschaftliche T‰nzerin, sch‰tzte sie die M‰nner nur, insofern sie sich gut im Takte bewegten; ewig rege Gesellschafterin, hielt sie denjenigen unertr‰glich, der auch nur einen Augenblick vor sich hinsah und nachzudenken schien; ¸brigens als heitere Liebhaberin, wie sie in jedem St¸ck, jeder Oper nˆtig sind, sich gar anmutig darstellend, weshalb denn zwischen ihr und Albertinen, welche die Anst‰ndigen spielte, sich nie ein Rangstreit hervortat.

Den eintretenden Geburtstag in guter Gesellschaft zu feiern, war aus der Stadt und aus dem Lande umher die beste Gesellschaft eingeladen. Einen Tanz, schon nach dem Fr¸hst¸ck begonnen, setzte man nach Tafel fort; die Bewegung zog sich in die L‰nge, man fuhr zu sp‰t ab, und von der Nacht auf schlimmem Wege, doppelt schlimm, weil er eben gebessert wurde, ehe man’s dachte, schon ¸berrascht, versah’s der Kutscher und warf in einen Graben. Unsere Schˆne mit Florinen und dem Hausfreunde f¸hlten sich in schlimmer Verwickelung; der letzte wuflte sich schnell herauszuwinden, dann, ¸ber den Wagen sich biegend, rief er: “Florine, wo bist du?” Albertine glaubte zu tr‰umen; er faflte hinein und zog Florinen, die oben lag, ohnm‰chtig hervor, bem¸hte sich um sie und trug sie endlich auf kr‰ftigem Arm den wiedergefundenen Weg hin. Albertine stak noch im Wagen, Kutscher und Bedienter halfen ihr heraus, und gest¸tzt auf den letzten suchte sie weiterzukommen. Der Weg war schlimm, f¸r Tanzschuhe nicht g¸nstig; obgleich von dem Burschen unterst¸tzt, strauchelte sie jeden Augenblick. Aber im Innern sah es noch wilder, noch w¸ster aus. Wie ihr geschah, wuflte sie nicht, begriff sie nicht.

Allein als sie ins Wirtshaus trat, in der kleinen Stube Florinen auf dem Bette, die Wirtin und Lelio um sie besch‰ftigt sah, ward sie ihres Ungl¸cks gewifl. Ein geheimes Verh‰ltnis zwischen dem untreuen Freund und der verr‰terischen Freundin offenbarte sich blitzschnell auf einmal, sie muflte sehen, wie diese, die Augen aufschlagend, sich dem Freund um den Hals warf, mit der Wonne einer neu wiederauflebenden z‰rtlichsten Aneignung, wie die schwarzen Augen wieder gl‰nzten, eine frische Rˆte die bl‰fllichen Wangen auf einmal wieder zierend f‰rbte; wirklich sah sie verj¸ngt, reizend, allerliebst aus.

Albertine stand vor sich hinschauend, einzeln, kaum bemerkt; jene erholten sich, nahmen sich zusammen, der Schade war geschehen, man war denn doch genˆtigt, sich wieder in den Wagen zu setzen, und in der Hˆlle selbst kˆnnten widerw‰rtig Gesinnte, Verratene mit Verr‰tern so eng nicht zusammengepackt sein.

Eilftes Kapitel

Lenardo sowohl als Odoard waren einige Tage sehr lebhaft besch‰ftigt, jener, die Abreisenden mit allem Nˆtigen zu versehen, dieser, sich mit den Bleibenden bekannt zu machen, ihre F‰higkeiten zu beurteilen, um sie von seinen Zwecken hinreichend zu unterrichten. Indessen blieb Friedrichen und unserm Freunde Raum und Ruhe zu stiller Unterhaltung. Wilhelm liefl sich den Plan im allgemeinen vorzeichnen, und da man mit Landschaft und Gegend genugsam vertraut geworden, auch die Hoffnung besprochen war, in einem ausgedehnten Gebiete schnell eine grofle Anzahl Bewohner entwickelt zu sehen, so wendete sich das Gespr‰ch, wie nat¸rlich, zuletzt auf das, was Menschen eigentlich zusammenh‰lt: auf Religion und Sitte. Hier¸ber konnte denn der heitere Friedrich hinreichende Auskunft geben, und wir w¸rden wohl Dank verdienen, wenn wir das Gespr‰ch in seinem Laufe mitteilen kˆnnten, das durch Frag’ und Antwort, durch Einwendung und Berichtigung sich gar lˆblich durchschlang und in mannigfaltigem Schwanken zu dem eigentlichen Zweck gef‰llig hinbewegte. Indessen d¸rfen wir uns so lange nicht aufhalten und geben lieber gleich die Resultate, als dafl wir uns verpflichteten, sie erst nach und nach in dem Geiste unsrer Leser hervortreten zu lassen. Folgendes ergab sich als die Quintessenz dessen, was verhandelt wurde:

Dafl der Mensch ins Unvermeidliche sich f¸ge, darauf dringen alle Religionen, jede sucht auf ihre Weise mit dieser Aufgabe fertig zu werden.

Die christliche hilft durch Glaube, Liebe, Hoffnung gar anmutig nach; daraus entsteht denn die Geduld, ein s¸fles Gef¸hl, welch eine sch‰tzbare Gabe das Dasein bleibe, auch wenn ihm, anstatt des gew¸nschten Genusses, das widerw‰rtigste Leiden aufgeb¸rdet wird. An dieser Religion halten wir fest, aber auf eine eigne Weise; wir unterrichten unsre Kinder von Jugend auf von den groflen Vorteilen, die sie uns gebracht hat; dagegen von ihrem Ursprung, von ihrem Verlauf geben wir zuletzt Kenntnis. Alsdann wird uns der Urheber erst lieb und wert, und alle Nachricht, die sich auf ihn bezieht, wird heilig. In diesem Sinne, den man vielleicht pedantisch nennen mag, aber doch als folgerecht anerkennen mufl, dulden wir keinen Juden unter uns; denn wie sollten wir ihm den Anteil an der hˆchsten Kultur vergˆnnen, deren Ursprung und Herkommen er verleugnet?

Hievon ist unsre Sittenlehre ganz abgesondert, sie ist rein t‰tig und wird in den wenigen Geboten begriffen: M‰fligung im Willk¸rlichen, Emsigkeit im Notwendigen. Nun mag ein jeder diese lakonischen Worte nach seiner Art im Lebensgange benutzen, und er hat einen ergiebigen Text zu grenzenloser Ausf¸hrung.

Der grˆflte Respekt wird allen eingepr‰gt f¸r die Zeit, als f¸r die hˆchste Gabe Gottes und der Natur und die aufmerksamste Begleiterin des Daseins. Die Uhren sind bei uns vervielf‰ltigt und deuten s‰mtlich mit Zeiger und Schlag die Viertelstunden an, und um solche Zeichen mˆglichst zu vervielf‰ltigen, geben die in unserm Lande errichteten Telegraphen, wenn sie sonst nicht besch‰ftigt sind, den Lauf der Stunden bei Tag und bei Nacht an, und zwar durch eine sehr geistreiche Vorrichtung.

Unsre Sittenlehre, die also ganz praktisch ist, dringt nun haupts‰chlich auf Besonnenheit, und diese wird durch Einteilung der Zeit, durch Aufmerksamkeit auf jede Stunde hˆchlichst gefˆrdert. Etwas mufl getan sein in jedem Moment, und wie wollt’ es geschehen, achtete man nicht auf das Werk wie auf die Stunde?

In Betracht, dafl wir erst anfangen, legen wir grofles Gewicht auf die Familienkreise. Den Hausv‰tern und Hausm¸ttern denken wir grofle Verpflichtungen zuzuteilen; die Erziehung wird bei uns um so leichter, als jeder f¸r sich selbst, Knecht und Magd, Diener und Dienerin, stehen mufl.

Gewisse Dinge freilich m¸ssen nach einer gewissen gleichfˆrmigen Einheit gebildet werden: Lesen, Schreiben, Rechnen mit Leichtigkeit der Masse zu ¸berliefern, ¸bernimmt der AbbÈ; seine Methode erinnert an den wechselsweisen Unterricht, doch ist sie geistreicher; eigentlich aber kommt alles darauf an, zu gleicher Zeit Lehrer und Sch¸ler zu bilden.

Aber noch eines wechselseitigen Unterrichts will ich erw‰hnen: der ¸bung, anzugreifen und sich zu verteidigen. Hier ist Lothario in seinem Felde; seine Manˆver haben etwas ‰hnliches von unsern Feldj‰gern; doch kann er nicht anders als original sein.

Hiebei bemerke ich, dafl wir im b¸rgerlichen Leben keine Glocken, im soldatischen keine Trommeln haben; dort wie hier ist Menschenstimme, verbunden mit Blasinstrumenten, hinreichend. Das alles ist schon dagewesen und ist noch da; die schickliche Anwendung desselben aber ist dem Geist ¸berlassen, der es auch allenfalls wohl erfunden h‰tte.

Das grˆflte Bed¸rfnis eines Staats ist das einer mutigen Obrigkeit, und daran soll es dem unsrigen nicht fehlen; wir alle sind ungeduldig, das Gesch‰ft anzutreten, munter und ¸berzeugt, dafl man einfach anfangen m¸sse. So denken wir nicht an Justiz, aber wohl an Polizei. Ihr Grundsatz wird kr‰ftig ausgesprochen; niemand soll dem andern unbequem sein; wer sich unbequem erweist, wird beseitigt, bis er begreift, wie man sich anstellt, um geduldet zu werden. Ist etwas Lebloses, Unvern¸nftiges in dem Falle, so wird dies gleichm‰flig beiseitegebracht.

In jedem Bezirk sind drei Polizeidirektoren, die alle acht Stunden wechseln, schichtweise, wie im Bergwerk, das auch nicht stillstehen darf, und einer unsrer M‰nner wird bei Nachtzeit vorz¸glich bei der Hand sein.

Sie haben das Recht, zu ermahnen, zu tadeln, zu schelten und zu beseitigen; finden sie es nˆtig, so rufen sie mehr oder weniger Geschworne zusammen. Sind die Stimmen gleich, so entscheidet der Vorsitzende nicht, sondern es wird das Los gezogen, weil man ¸berzeugt ist, dafl bei gegeneinander stehenden Meinungen es immer gleichg¸ltig ist, welche befolgt wird.

Wegen der Majorit‰t haben wir ganz eigne Gedanken; wir lassen sie freilich gelten im notwendigen Weltlauf, im hˆhern Sinne haben wir aber nicht viel Zutrauen auf sie. Doch dar¸ber darf ich mich nicht weiter auslassen.

Fragt man nach der hˆhern Obrigkeit, die alles lenkt, so findet man sie niemals an einem Orte; sie zieht best‰ndig umher, um Gleichheit in den Hauptsachen zu erhalten und in l‰fllichen Dingen einem jeden seinen Willen zu gestatten. Ist dies doch schon einmal im Lauf der Geschichte dagewesen: die deutschen Kaiser zogen umher, und diese Einrichtung ist dem Sinne freier Staaten am allergem‰flesten. Wir f¸rchten uns vor einer Hauptstadt, ob wir schon den Punkt in unsern Besitzungen sehen, wo sich die grˆflte Anzahl von Menschen zusammenhalten wird. Dies aber verheimlichen wir, dies mag nach und nach und wird noch fr¸h genug entstehen.

Dieses sind im allgemeinsten die Punkte, ¸ber die man meistens einig ist, doch werden sie beim Zusammentreten von mehrern oder auch wenigern Gliedern immer wieder aufs neue durchgesprochen. Die Hauptsache wird aber sein, wenn wir uns an Ort und Stelle befinden. Den neuen Zustand, der aber dauern soll, spricht eigentlich das Gesetz aus. Unsre Strafen sind gelind; Ermahnung darf sich jeder erlauben, der ein gewisses Alter hinter sich hat; miflbilligen und schelten nur der anerkannte ‰lteste; bestrafen nur eine zusammenberufene Zahl.

Man bemerkt, dafl strenge Gesetze sich sehr bald abstumpfen und nach und nach loser werden, weil die Natur immer ihre Rechte behauptet. Wir haben l‰flliche Gesetze, um nach und nach strenger werden zu kˆnnen; unsre Strafen bestehen vorerst in Absonderung von der b¸rgerlichen Gesellschaft, gelinder, entschiedener, k¸rzer und l‰nger nach Befund. W‰chst nach und nach der Besitz der Staatsb¸rger, so zwackt man ihnen auch davon ab, weniger oder mehr, wie sie verdienen, dafl man ihnen von dieser Seite wehe tue.

Allen Gliedern des Bandes ist davon Kenntnis gegeben, und bei angestelltem Examen hat sich gefunden, dafl jeder von den Hauptpunkten auf sich selbst die schicklichste Anwendung macht. Die Hauptsache bleibt nur immer, dafl wir die Vorteile der Kultur mit hin¸bernehmen und die Nachteile zur¸cklassen. Branntweinschenken und Lesebibliotheken werden bei uns nicht geduldet; wie wir uns aber gegen Flaschen und B¸cher verhalten, will ich lieber nicht erˆffnen: dergleichen Dinge wollen getan sein, wenn man sie beurteilen soll.

Und in eben diesem Sinne h‰lt der Sammler und Ordner dieser Papiere mit andern Anordnungen zur¸ck, welche unter der Gesellschaft selbst noch als Probleme zirkulieren und welche zu versuchen man vielleicht an Ort und Stelle nicht r‰tlich findet; um desto weniger Beifall d¸rfte man sich versprechen, wenn man derselben hier umst‰ndlich erw‰hnen wollte.

Zwˆlftes Kapitel

Die zu Odoardos Vortrag angesetzte Frist war gekommen, welcher, nachdem alles versammelt und beruhigt war, folgendermaflen zu reden begann: “Das bedeutende Werk, an welchem teilzunehmen ich diese Masse wackerer M‰nner einzuladen habe, ist Ihnen nicht ganz unbekannt, denn ich habe ja schon im allgemeinen mit Ihnen davon gesprochen. Aus meinen Erˆffnungen geht hervor, dafl in der alten Welt so gut wie in der neuen R‰ume sind, welche einen bessern Anbau bed¸rfen, als ihnen bisher zuteil ward. Dort hat die Natur grofle, weite Strecken ausgebreitet, wo sie unber¸hrt und eingewildert liegt, dafl man sich kaum getraut, auf sie loszugehen und ihr einen Kampf anzubieten. Und doch ist es leicht f¸r den Entschlossenen, ihr nach und nach die W¸steneien abzugewinnen und sich eines teilweisen Besitzes zu versichern. In der alten Welt ist es das Umgekehrte. Hier ist ¸berall ein teilweiser Besitz schon ergriffen, mehr oder weniger durch undenkliche Zeit das Recht dazu geheiligt; und wenn dort das Grenzenlose als un¸berwindliches Hindernis erscheint, so setzt hier das Einfachbegrenzte beinahe noch schwerer zu ¸berwindende Hindernisse entgegen. Die Natur ist durch Emsigkeit, der Mensch durch Gewalt oder ¸berredung zu nˆtigen.

Wird der einzelne Besitz von der ganzen Gesellschaft f¸r heilig geachtet, so ist er es dem Besitzer noch mehr. Gewohnheit, jugendliche Eindr¸cke, Achtung f¸r Vorfahren, Abneigung gegen den Nachbar und hunderterlei Dinge sind es, die den Besitzer starr und gegen jede Ver‰nderung widerwillig machen. Je ‰lter dergleichen Zust‰nde sind, je verflochtener, je geteilter, desto schwieriger wird es, das Allgemeine durchzuf¸hren, das, indem es dem Einzelnen etwas n‰hme, dem Ganzen und durch R¸ck–und Mitwirkung auch jenem wieder unerwartet zugute k‰me.

Schon mehrere Jahre steh’ ich im Namen meines F¸rsten einer Provinz vor, die, von seinen Staaten getrennt, lange nicht so, wie es mˆglich w‰re, benutzt wird. Eben diese Abgeschlossenheit oder Eingeschlossenheit, wenn man will, hindert, dafl bisher keine Anstalt sich treffen liefl, die den Bewohnern Gelegenheit gegeben h‰tte, das, was sie vermˆgen, nach auflen zu verbreiten, und von auflen zu empfangen, was sie bed¸rfen.

Mit unumschr‰nkter Vollmacht gebot ich in diesem Lande. Manches Gute war zu tun, aber doch immer nur ein beschr‰nktes; dem Bessern waren ¸berall Riegel vorgeschoben, und das W¸nschenswerteste schien in einer andern Welt zu liegen.

Ich hatte keine andere Verpflichtung, als gut hauszuhalten. Was ist leichter als das! Ebenso leicht ist es, Miflbr‰uche zu beseitigen, menschlicher F‰higkeiten sich zu bedienen, den Bestrebsamen nachzuhelfen. Dies alles liefl sich mit Verstand und Gewalt recht bequem leisten, dies alles tat sich gewissermaflen von selbst. Aber wohin besonders meine Aufmerksamkeit, meine Sorge sich richtete, dies waren die Nachbarn, die nicht mit gleichen Gesinnungen, am wenigsten mit gleicher ¸berzeugung ihre Landesteile regierten und regieren lieflen.

Beinahe h‰tte ich mich resigniert und mich innerhalb meiner Lage am besten gehalten und das Herkˆmmliche, so gut als es sich tun liefl, benutzt, aber ich bemerkte auf einmal, das Jahrhundert komme mir zu H¸lfe. J¸ngere Beamte wurden in der Nachbarschaft angestellt, sie hegten gleiche Gesinnungen, aber freilich nur im allgemeinen wohlwollend, und pflichteten nach und nach meinen Planen zu allseitiger Verbindung um so eher bei, als mich das Los traf, die grˆfleren Aufopferungen zuzugestehen, ohne dafl gerade jemand merkte, auch der grˆflere Vorteil neige sich auf meine Seite.

So sind nun unser drei ¸ber ansehnliche Landesstrecken zu gebieten befugt, unsre F¸rsten und Minister sind von der Redlichkeit und N¸tzlichkeit unsrer Vorschl‰ge ¸berzeugt; denn es gehˆrt freilich mehr dazu, seinen Vorteil im Groflen als im Kleinen zu ¸bersehen. Hier zeigt uns immer die Notwendigkeit, was wir zu tun und zu lassen haben, und da ist denn schon genug, wenn wir diesen Maflstab ans Gegenw‰rtige legen; dort aber sollen wir eine Zukunft erschaffen, und wenn auch ein durchdringender Geist den Plan dazu f‰nde, wie kann er hoffen, andere darin einstimmen zu sehen?

Noch w¸rde dies dem einzelnen nicht gelingen; die Zeit, welche die Geister frei macht, ˆffnet zugleich ihren Blick ins Weitere, und im Weiteren l‰flt sich das Grˆflere leicht erkennen, und eins der st‰rksten Hindernisse menschlicher Handlungen wird leichter zu entfernen. Dieses besteht n‰mlich darin, dafl die Menschen wohl ¸ber die Zwecke einig werden, viel seltener aber ¸ber die Mittel, dahin zu gelangen. Denn das wahre Grofle hebt uns ¸ber uns selbst hinaus und leuchtet uns vor wie ein Stern; die Wahl der Mittel aber ruft uns in uns selbst zur¸ck, und da wird der einzelne gerade, wie er war, und f¸hlt sich ebenso isoliert, als h‰tt’ er vorher nicht ins Ganze gestimmt.

Hier also haben wir zu wiederholen: Das Jahrhundert mufl uns zu H¸lfe kommen, die Zeit an die Stelle der Vernunft treten und in einem erweiterten Herzen der hˆhere Vorteil den niedern verdr‰ngen.

Hiermit sei es genug, und w‰r’ es zu viel f¸r den Augenblick, in der Folge werd’ ich einen jeden Teilnehmer daran erinnern. Genaue Vermessungen sind geschehen, die Straflen bezeichnet, die Punkte bestimmt, wo man die Gasthˆfe und in der Folge vielleicht die Dˆrfer heranr¸ckt. Zu aller Art von Baulichkeiten ist Gelegenheit, ja Notwendigkeit vorhanden. Treffliche Baumeister und Techniker bereiten alles vor; Risse und Anschl‰ge sind gefertigt; die Absicht ist, grˆflere und kleinere Akkorde abzuschlieflen und so mit genauer Kontrolle die bereitliegenden Geldsummen, zur Verwunderung des Mutterlandes, zu verwenden: da wir denn der schˆnsten Hoffnung leben, es werde sich eine vereinte T‰tigkeit nach allen Seiten von nun an entwickeln.

Worauf ich nun aber die s‰mtlichen Teilnehmer aufmerksam zu machen habe, weil es vielleicht auf ihre Entschlieflung Einflufl haben kˆnnte, ist die Einrichtung, die Gestalt, in welche wir alle Mitwirkenden vereinigen und ihnen eine w¸rdige Stellung unter sich und gegen die ¸brige b¸rgerliche Welt zu schaffen gedenken.

Sobald wir jenen bezeichneten Boden betreten, werden die Handwerke sogleich f¸r K¸nste erkl‰rt und durch die Bezeichnung “strenge K¸nste” von den “freien” entschieden getrennt und abgesondert. Diesmal kann hier nur von solchen Besch‰ftigungen die Rede sein, welche den Aufbau sich zur Angelegenheit machen; die s‰mtlichen hier anwesenden M‰nner, jung und alt, bekennen sich zu dieser Klasse.

Z‰hlen wir sie her in der Folge, wie sie den Bau in die Hˆhe richten und nach und nach zur Wohnbarkeit befˆrdern.

Die Steinmetzen nenn’ ich voraus, welche den Grund–und Eckstein vollkommen bearbeiten, den sie mit Beih¸lfe der Maurer am rechten Ort in der genauesten Bezeichnung niedersenken. Die Maurer folgen hierauf, die auf den streng untersuchten Grund das Gegenw‰rtige und Zuk¸nftige wohl befestigen. Fr¸her oder sp‰ter bringt der Zimmermann seine vorbereiteten Kontignationen herbei, und so steigt nach und nach das Beabsichtigte in die Hˆhe. Den Dachdecker rufen wir eiligst herbei; im Innern bed¸rfen wir des Tischers, Glasers, Schlossers, und wenn ich den T¸ncher zuletzt nenne, so geschieht es, weil er mit seiner Arbeit zur verschiedensten Zeit eintreten kann, um zuletzt dem Ganzen in–und auswendig einen gef‰lligen Schein zu geben. Mancher H¸lfsarbeiten gedenk’ ich nicht, nur die Hauptsache verfolgend.

Die Stufen von Lehrling, Gesell und Meister m¸ssen aufs strengste beobachtet werden; auch kˆnnen in diesen viele Abstufungen gelten, aber Pr¸fungen kˆnnen nicht sorgf‰ltig genug sein. Wer herantritt, weifl, dafl er sich einer strengen Kunst ergibt, und er darf keine l‰fllichen Forderungen von ihr erwarten; ein einziges Glied, das in einer groflen Kette bricht, vernichtet das Ganze. Bei groflen Unternehmungen wie bei groflen Gefahren mufl der Leichtsinn verbannt sein.

Gerade hier mufl die strenge Kunst der freien zum Muster dienen und sie zu besch‰men trachten. Sehen wir die sogenannten freien K¸nste an, die doch eigentlich in einem hˆhern Sinne zu nehmen und zu nennen sind, so findet man, dafl es ganz gleichg¸ltig ist, ob sie gut oder schlecht betrieben werden. Die schlechteste Statue steht auf ihren F¸flen wie die beste, eine gemalte Figur schreitet mit verzeichneten F¸flen gar munter vorw‰rts, ihre miflgestalteten Arme greifen gar kr‰ftig zu, die Figuren stehen nicht auf dem richtigen Plan, und der Boden f‰llt deswegen nicht zusammen. Bei der Musik ist es noch auffallender; die gellende Fiedel einer Dorfschenke erregt die wackern Glieder aufs kr‰ftigste, und wir haben die unschicklichsten Kirchenmusiken gehˆrt, bei denen der Gl‰ubige sich erbaute. Wollt ihr nun gar auch die Poesie zu den freien K¸nsten rechnen, so werdet ihr freilich sehen, dafl diese kaum weifl, wo sie eine Grenze finden soll. Und doch hat jede Kunst ihre innern Gesetze, deren Nichtbeobachtung aber der Menschheit keinen Schaden bringt; dagegen die strengen K¸nste d¸rfen sich nichts erlauben. Den freien K¸nstler darf man loben, man kann an seinen Vorz¸gen Gefallen finden, wenngleich seine Arbeit bei n‰herer Untersuchung nicht Stich h‰lt.

Betrachten wir aber die beiden, sowohl die freien als strengen K¸nste, in ihren vollkommensten Zust‰nden, so hat sich diese vor Pedanterei und Bocksbeutelei, jene vor Gedankenlosigkeit und Pfuscherei zu h¸ten. Wer sie zu leiten hat, wird hierauf aufmerksam machen, Miflbr‰uche und M‰ngel werden dadurch verh¸tet werden.

Ich wiederhole mich nicht, denn unser ganzes Leben wird eine Wiederholung des Gesagten sein; ich bemerke nur noch folgendes: Wer sich einer strengen Kunst ergibt, mufl sich ihr f¸rs Leben widmen. Bisher nannte man sie Handwerk, ganz angemessen und richtig; die Bekenner sollten mit der Hand wirken, und die Hand, soll sie das, so mufl ein eigenes Leben sie beseelen, sie mufl eine Natur f¸r sich sein, ihre eignen Gedanken, ihren eignen Willen haben, und das kann sie nicht auf vielerlei Weise.”

Nachdem der Redende mit noch einigen hinzugef¸gten guten Worten geschlossen hatte, richteten die s‰mtlichen Anwesenden sich auf, und die Gewerke, anstatt abzuziehen, bildeten einen regelm‰fligen Kreis vor der Tafel der anerkannten Oberen. Odoard reichte den s‰mtlichen ein gedrucktes Blatt umher, wovon sie, nach einer bekannten Melodie, m‰flig munter ein zutrauliches Lied sangen:

“Bleiben, Gehen, Gehen, Bleiben
Sei fortan dem T¸cht’gen gleich.
Wo wir N¸tzliches betreiben,
Ist der werteste Bereich.
Dir zu folgen, wird ein Leichtes,
Wer gehorchet, der erreicht es,
Zeig’ ein festes Vaterland.
Heil dem F¸hrer! Heil dem Band!

Du verteilest Kraft und B¸rde
Und erw‰gst es ganz genau,
Gibst dem Alten Ruh’ und W¸rde,
J¸nglingen Gesch‰ft und Frau.
Wechselseitiges Vertrauen
Wird ein reinlich H‰uschen bauen, Schlieflen Hof und Gartenzaun,
Auch der Nachbarschaft vertraun.

Wo an wohlgebahnten Straflen
Man in neuer Schenke weilt,
Wo dem Fremdling reicher Maflen
Ackerfeld ist zugeteilt,
Siedeln wir uns an mit andern.
Eilet, eilet, einzuwandern
In das feste Vaterland.
Heil dir F¸hrer! Heil dir Band!”

Dreizehntes Kapitel

Eine vollkommene Stille schlofl sich an diese lebhafte Bewegung der vergangenen Tage. Die drei Freunde blieben allein gegen einander ¸ber stehen, und es ward gar bald merkbar, dafl zwei von ihnen, Lenardo und Friedrich, von einer sonderbaren Unruhe bewegt wurden; sie verbargen nicht, dafl sie beide ungeduldig seien, f¸r ihren Teil in der Abreise von diesem Ort sich gehindert zu sehen. Sie erwarteten einen Boten, hiefl es, und es kam indessen nichts Vern¸nftiges, nichts Entscheidendes zur Sprache.

Endlich kommt der Bote, ein bedeutendes Paket ¸berbringend, wor¸ber sich Friedrich sogleich herwirft, um es zu erˆffnen. Lenardo h‰lt ihn ab und spricht: “Lafl es unber¸hrt, leg’ es vor uns nieder auf den Tisch; wir wollen es ansehen, denken und vermuten, was es enthalten mˆge. Denn unser Schicksal ist seiner Bestimmung n‰her, und wenn wir nicht selbst Herren dar¸ber sind, wenn es von dem Verstande, von den Empfindungen anderer abh‰ngt, ein Ja oder Nein, ein So oder So zu erwarten ist, dann ziemt es, ruhig zu stehen, sich zu fassen, sich zu fragen, ob man es erdulden w¸rde als wenn es ein sogenanntes Gottesurteil w‰re, wo uns auferlegt ist, die Vernunft gefangenzunehmen.”

“Du bist nicht so gefaflt, als du scheinen willst”, versetzte Friedrich, “bleibe deswegen allein mit deinen Geheimnissen und schalte dar¸ber nach Belieben, mich ber¸hren sie auf alle F‰lle nicht; aber lafl mich indes diesem alten, gepr¸ften Freunde den Inhalt offenbaren und die zweifelhaften Zust‰nde vorlegen, die wir ihm schon so lange verheimlicht haben.” Mit diesen Worten rifl er unsern Freund mit sich weg, und schon unterwegs rief er aus: “Sie ist gefunden, l‰ngst gefunden! und es ist nur die Frage, wie es mit ihr werden soll.”

“Das wuflt’ ich schon”, sagte Wilhelm, “denn Freunde offenbaren einander gerade das am deutlichsten, was sie einander verschweigen; die letzte Stelle des Tagebuchs, wo sich Lenardo gerade mitten im Gebirg des Briefes erinnert, den ich ihm schrieb, rief mir in der Einbildungskraft im ganzen Umgange des Geistes und Gef¸hls jenes gute Wesen hervor; ich sah ihn schon mit dem n‰chsten Morgen sich ihr n‰hern, sie anerkennen und was daraus mochte gefolgt sein. Da will ich denn aber aufrichtig gestehen, dafl nicht Neugierde, sondern ein redlicher Anteil, den ich ihr gewidmet habe, mich ¸ber euer Schweigen und Zur¸ckhalten beunruhigte.”

“Und in diesem Sinne”, rief Friedrich, “bist du gerade bei diesem angekommenen Paket haupts‰chlich mit interessiert; der Verfolg des Tagebuchs war an Makarien gesandt, und man wollte dir durch Erz‰hlung das ernst-anmutige Ereignis nicht verk¸mmern. Nun sollst du’s auch gleich haben; Lenardo hat gewifl indessen ausgepackt, und das braucht er nicht zu seiner Aufkl‰rung.”

Friedrich sprang hiermit nach alter Art hinweg, sprang wieder herbei und brachte das versprochene Heft. “Nun mufl ich aber auch erfahren”, rief er, “was aus uns werden wird.” Hiemit war er wieder entsprungen, und Wilhelm las: Lenardos Tagebuch Fortsetzung

Freitag, den 19ten.

Da man heute nicht s‰umen durfte, um zeitig zu Frau Susanne zu gelangen, so fr¸hst¸ckte man eilig mit der ganzen Familie, dankte mit versteckten Gl¸ckw¸nschen und hinterliefl dem Geschirrfasser, welcher zur¸ckblieb, die den Jungfrauen zugedachten Geschenke, etwas reichlicher und br‰utlicher als die vorgestrigen, sie ihm heimlich zuschiebend, wor¸ber der gute Mann sich sehr erfreut zeigte.

Diesmal war der Weg fr¸he zur¸ckgelegt; nach einigen Stunden erblickten wir in einem ruhigen, nicht allzu weiten, flachen Tale, dessen eine, felsige Seite von Wellen des klarsten Sees leicht besp¸lt sich widerspiegelte, wohl und anst‰ndig gebaute H‰user, um welche ein besserer, sorgf‰ltig gepflegter Boden, bei sonniger Lage, einiges Gartenwesen beg¸nstigte. In das Haupthaus durch den Garnboten eingef¸hrt und Frau Susannen vorgestellt, f¸hlte ich etwas ganz Eigenes, als sie uns freundlich ansprach und versicherte: es sei ihr sehr angenehm, dafl wir Freitags k‰men, als dem ruhigsten Tage der Woche, da Donnerstags abends die gefertigte Ware zum See und in die Stadt gef¸hrt werde. Dem einfallenden Garnboten, welcher sagte: “Die bringt wohl Daniel jederzeit hinunter!”, versetzte sie: “Gewifl, er versieht das Gesch‰ft so lˆblich und treu, als wenn es sein eigenes w‰re.”–“Ist doch auch der Unterschied nicht grofl”, versetzte jener; ¸bernahm einige Auftr‰ge von der freundlichen Wirtin und eilte, seine Gesch‰fte in den Seitent‰lern zu vollbringen, versprach in einigen Tagen wiederzukommen und mich abzuholen.

Mir war indessen ganz wunderlich zumute; mich hatte gleich beim Eintritt eine Ahnung befallen, dafl es die Ersehnte sei; beim l‰ngeren Hinblick war sie es wieder nicht, konnte es nicht sein, und doch beim Wegblicken, oder wenn sie sich umkehrte, war sie es wieder; eben wie im Traum Erinnerung und Phantasie ihr Wesen gegeneinander treiben.

Einige Spinnerinnen, die mit ihrer Wochenarbeit gezˆgert hatten, brachten sie nach; die Herrin, mit freundlichster Ermahnung zum Fleifle, marktete mit ihnen, ¸berliefl aber, um sich mit dem Gast zu unterhalten, das Gesch‰ft an zwei M‰dchen, welche sie Gretchen und Lieschen nannte und welche ich um desto aufmerksamer betrachtete, als ich ausforschen wollte, wie sie mit der Schilderung des Geschirrfassers allenfalls zusammentr‰fen. Diese beiden Figuren machten mich ganz irre und zerstˆrten alle ‰hnlichkeit zwischen der Gesuchten und der Hausfrau.

Aber ich beobachtete diese nur desto genauer, und sie schien mir allerdings das w¸rdigste, liebensw¸rdigste Wesen von allen, die ich auf meiner Gebirgsreise erblickte. Schon war ich von dem Gewerbe unterrichtet genug, um mit ihr ¸ber das Gesch‰ft, welches sie gut verstand, mit Kenntnis sprechen zu kˆnnen; meine einsichtige Teilnahme erfreute sie sehr, und als ich fragte: woher sie ihre Baumwolle beziehe, deren groflen Transport ¸bers Gebirg ich vor einigen Tagen gesehen, so erwiderte sie, dafl eben dieser Transport ihr einen ansehnlichen Vorrat mitgebracht. Die Lage ihres Wohnorts sei auch deshalb so gl¸cklich, weil die nach dem See hinunterf¸hrende Hauptstrafle etwa nur eine Viertelstunde ihres Tals hinabw‰rts vorbeigehe, wo sie denn entweder in Person oder durch einen Faktor die ihr von Triest bestimmten und adressierten Ballen in Empfang nehme, wie denn das vorgestern auch geschehen.

Sie liefl nun den neuen Freund in einen groflen, l¸ftigen Keller hineingehen, wo der Vorrat aufgehoben wird, damit die Baumwolle nicht zu sehr austrockne, am Gewicht verliere und weniger geschmeidig werde. Dann fand ich auch, was ich schon im einzelnen kannte, meistenteils hier versammelt; sie deutete nach und nach auf dies und jenes, und ich nahm verst‰ndigen Anteil. Indessen wurde sie stiller, aus ihren Fragen konnt’ ich erraten, sie vermute, dafl ich vom Handwerk sei. Denn sie sagte, da die Baumwolle soeben angekommen, so erwarte sie nun bald einen Kommis oder Teilnehmer der Triester Handlung, der nach einer bescheidenen Ansicht ihres Zustandes die schuldige Geldpost abholen werde; diese liege bereit f¸r einen jeden, welcher sich legitimieren kˆnne.

Einigermaflen verlegen suchte ich auszuweichen und blickte ihr nach, als sie eben einiges anzuordnen durchs Zimmer ging; sie erschien mir wie Penelope unter den M‰gden.

Sie kehrt zur¸ck, und mich d¸nkt, es sei was Eigenes in ihr vorgegangen. “Sie sind denn nicht vom Kaufmannsstande?” sagte sie, “ich weifl nicht, woher mir das Vertrauen kommt und wie ich mich unterfangen mag, das Ihrige zu verlangen; erdringen will ich’s nicht, aber gˆnnen Sie mir’s, wie es Ihnen ums Herz ist.” Dabei sah mich ein fremdes Gesicht mit so ganz bekannten erkennenden Augen an, dafl ich mich ganz durchdrungen f¸hlte und mich kaum zu fassen wuflte. Meine Kniee, mein Verstand wollten mir versagen, als man sie gl¸cklicherweise sehr eilig abrief. Ich konnte mich erholen, meinen Vorsatz st‰rken, so lang als mˆglich an mich zu halten; denn es