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  • 1821
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II. Buch, Betrachtungen im Sinne der Wanderer–3

Es ist eine Eigenheit dem Menschen angeboren und mit seiner Natur innigst verwebt; dafl ihm zur Erkenntnis das N‰chste nicht gen¸gt; da doch jede Erscheinung, die wir selbst gewahr werden, im Augenblick das N‰chste ist und wir von ihr fordern kˆnnen, dafl sie sich selbst erkl‰re, wenn wir kr‰ftig in sie dringen.

Das werden aber die Menschen nicht lernen, weil es gegen ihre Natur ist; daher die Gebildeten es selbst nicht lassen kˆnnen, wenn sie an Ort und Stelle irgendein Wahres erkannt haben, es nicht nur mit dem N‰chsten, sondern auch mit dem Weitesten und Fernsten zusammenzuh‰ngen, woraus denn Irrtum ¸ber Irrtum entspringt. Das nahe Ph‰nomen h‰ngt aber mit dem fernen nur in dem Sinne zusammen, dafl sich alles auf wenige grofle Gesetze bezieht, die sich ¸berall manifestieren.

Was ist das Allgemeine?
Der einzelne Fall.
Was ist das Besondere?
Millionen F‰lle.

Die Analogie hat zwei Verirrungen zu f¸rchten: einmal sich dem Witz hinzugeben, wo sie in nichts zerflieflt; die andere, sich mit Tropen und Gleichnissen zu umh¸llen, welches jedoch weniger sch‰dlich ist.

Weder Mythologie noch Legenden sind in der Wissenschaft zu dulden. Lasse man diese den Poeten, die berufen sind, sie zu Nutz und Freude der Welt zu behandeln. Der wissenschaftliche Mann beschr‰nke sich auf die n‰chste, klarste Gegenwart. Wollte derselbe jedoch gelegentlich als Rhetor auftreten, so sei ihm jenes auch nicht verwehrt.

Um mich zu retten, betrachte ich alle Erscheinungen als unabh‰ngig voneinander und suche sie gewaltsam zu isolieren; dann betrachte ich sie als Korrelate, und sie verbinden sich zu einem entschiedenen Leben. Dies bezieh’ ich vorz¸glich auf Natur; aber auch in bezug auf die neueste um uns her bewegte Weltgeschichte ist diese Betrachtungsweise fruchtbar.

Alles, was wir Erfinden, Entdecken im hˆheren Sinne nennen, ist die bedeutende Aus¸bung, Bet‰tigung eines originalen Wahrheitsgef¸hles, das, im stillen l‰ngst ausgebildet, unversehens mit Blitzesschnelle zu einer fruchtbaren Erkenntnis f¸hrt. Es ist eine aus dem Innern am ‰uflern sich entwickelnde Offenbarung, die den Menschen seine Gott‰hnlichkeit vorahnen l‰flt. Es ist eine Synthese von Welt und Geist, welche von der ewigen Harmonie des Daseins die seligste Versicherung gibt.

Der Mensch mufl bei dem Glauben verharren, dafl das Unbegreifliche begreiflich sei; er w¸rde sonst nicht forschen.

Begreiflich ist jedes Besondere, das sich auf irgendeine Weise anwenden l‰flt. Auf diese Weise kann das Unbegreifliche n¸tzlich werden.

Es gibt eine zarte Empirie, die sich mit dem Gegenstand innigst identisch macht und dadurch zur eigentlichen Theorie wird. Diese Steigerung des geistigen Vermˆgens aber gehˆrt einer hochgebildeten Zeit an.

Am widerw‰rtigsten sind die kricklichen Beobachter und grilligen Theoristen; ihre Versuche sind kleinlich und kompliziert, ihre Hypothesen abstrus und wunderlich.

Es gibt Pedanten, die zugleich Schelme sind, und das sind die allerschlimmsten.

Um zu begreifen, dafl der Himmel ¸berall blau ist, braucht man nicht um die Welt zu reisen.

Das Allgemeine und Besondere fallen zusammen; das Besondere ist das Allgemeine, unter verschiedenen Bedingungen erscheinend.

Man braucht nicht alles selbst gesehen noch erlebt zu haben; willst du aber dem andern und seinen Darstellungen vertrauen, so denke, dafl du es nun mit dreien zu tun hast: mit dem Gegenstand und zwei Subjekten.

Grundeigenschaft der lebendigen Einheit: sich zu trennen, sich zu vereinen, sich ins Allgemeine zu ergehen, im Besondern zu verharren, sich zu verwandeln, sich zu spezifizieren und, wie das Lebendige unter tausend Bedingungen sich dartun mag, hervorzutreten und zu verschwinden, zu solideszieren und zu schmelzen, zu erstarren und zu flieflen, sich auszudehnen und sich zusammenzuziehen. Weil nun alle diese Wirkungen im gleichen Zeitmoment zugleich vorgehen, so kann alles und jedes zu gleicher Zeit eintreten. Entstehen und Vergehen, Schaffen und Vernichten, Geburt und Tod, Freud und Leid, alles wirkt durcheinander, in gleichem Sinn und gleicher Mafle, deswegen denn auch das Besonderste, das sich ereignet, immer als Bild und Gleichnis des Allgemeinsten auftritt.

Ist das ganze Dasein ein ewiges Trennen und Verbinden, so folgt auch, dafl die Menschen im Betrachten des ungeheuren Zustandes auch bald trennen, bald verbinden werden.

Als getrennt mufl sich darstellen: Physik von Mathematik. Jene mufl in einer entschiedenen Unabh‰ngigkeit bestehen und mit allen liebenden, verehrenden, frommen Kr‰ften in die Natur und das heilige Leben derselben einzudringen suchen, ganz unbek¸mmert, was die Mathematik von ihrer Seite leistet und tut. Diese mufl sich dagegen unabh‰ngig von allem ‰uflern erkl‰ren, ihren eigenen groflen Geistesgang gehen und sich selber reiner ausbilden, als es geschehen kann, wenn sie wie bisher sich mit dem Vorhandenen abgibt und diesem etwas abzugewinnen oder anzupassen trachtet.

In der Naturforschung bedarf es eines kategorischen Imperativs so gut als im Sittlichen; nur bedenke man, dafl man dadurch nicht am Ende, sondern erst am Anfang ist.

Das Hˆchste w‰re, zu begreifen, dafl alles Faktische schon Theorie ist. Die Bl‰ue des Himmels offenbart uns das Grundgesetz der Chromatik. Man suche nur nichts hinter den Ph‰nomenen; sie selbst sind die Lehre.

In den Wissenschaften ist viel Gewisses, sobald man sich von den Ausnahmen nicht irremachen l‰flt und die Probleme zu ehren weifl.

Wenn ich mich beim Urph‰nomen zuletzt beruhige, so ist es doch auch nur Resignation; aber es bleibt ein grofler Unterschied, ob ich mich an den Grenzen der Menschheit resigniere oder innerhalb einer hypothetischen Beschr‰nktheit meines bornierten Individuums.

Wenn man die Probleme des Aristoteles ansieht, so erstaunt man ¸ber die Gabe des Bemerkens und f¸r was alles die Griechen Augen gehabt haben. Nur begehen sie den Fehler der ¸bereilung, da sie von dem Ph‰nomen unmittelbar zur Erkl‰rung schreiten, wodurch denn ganz unzul‰ngliche theoretische Ausspr¸che zum Vorschein kommen. Dieses ist jedoch der allgemeine Fehler, der noch heutzutage begangen wird.

Hypothesen sind Wiegenlieder, womit der Lehrer seine Sch¸ler einlullt; der denkende treue Beobachter lernt immer mehr seine Beschr‰nkung kennen, er sieht: je weiter sich das Wissen ausbreitet, desto mehr Probleme kommen zum Vorschein.

Unser Fehler besteht darin, dafl wir am Gewissen zweifeln und das Ungewisse fixieren mˆchten. Meine Maxime bei der Naturforschung ist: das Gewisse festzuhalten und dem Ungewissen aufzupassen.

L‰flliche Hypothese nenn’ ich eine solche, die man gleichsam schalkhaft aufstellt, um sich von der ernsthaften Natur widerlegen zu lassen.

Wie wollte einer als Meister in seinem Fach erscheinen, wenn er nichts Unn¸tzes lehrte.

Das N‰rrischste ist, dafl jeder glaubt ¸berliefern zu m¸ssen, was man gewuflt zu haben glaubt.

Weil zum didaktischen Vortrag Gewiflheit verlangt wird, indem der Sch¸ler nichts Unsicheres ¸berliefert haben will, so darf der Lehrer kein Problem stehenlassen und sich etwa in einiger Entfernung da herumbewegen. Gleich mufl etwas bestimmt sein (“bepaalt” sagt der Holl‰nder), und nun glaubt man eine Weile den unbekannten Raum zu besitzen, bis ein anderer die Pf‰hle wieder ausreiflt und sogleich enger oder weiter abermals wieder bepf‰hlt.

Lebhafte Frage nach der Ursache, Verwechselung von Ursache und Wirkung, Beruhigung in einer falschen Theorie sind von grofler nicht zu entwickelnder Sch‰dlichkeit.

Wenn mancher sich nicht verpflichtet f¸hlte, das Unwahre zu wiederholen, weil er’s einmal gesagt hat, so w‰ren es ganz andre Leute geworden.

Das Falsche hat den Vorteil, dafl man immer dar¸ber schw‰tzen kann, das Wahre mufl gleich genutzt werden, sonst ist es nicht da.

Wer nicht einsieht, wie das Wahre praktisch erleichtert, mag gern daran m‰keln und h‰keln, damit er nur sein irriges m¸hseliges Treiben einigermaflen beschˆnigen kˆnne.

Die Deutschen, und sie nicht allein, besitzen die Gabe, die Wissenschaften unzug‰nglich zu machen.

Der Engl‰nder ist Meister, das Entdeckte gleich zu nutzen, bis es wieder zu neuer Entdeckung und frischer Tat f¸hrt. Man frage nun, warum sie uns ¸berall voraus sind.

Der denkende Mensch hat die wunderliche Eigenschaft, dafl er an die Stelle, wo das unaufgelˆste Problem liegt, gerne ein Phantasiebild hinfabelt, das er nicht loswerden kann, wenn das Problem auch aufgelˆst und die Wahrheit am Tage ist.

Es gehˆrt eine eigene Geisteswendung dazu, um das gestaltlose Wirkliche in seiner eigensten Art zu fassen und es von Hirngespinsten zu unterscheiden, die sich denn doch auch mit einer gewissen Wirklichkeit lebhaft aufdringen.

Bei Betrachtung der Natur im groflen wie im kleinen hab’ ich unausgesetzt die Frage gestellt: Ist es der Gegenstand oder bist du es, der sich hier ausspricht? Und in diesem Sinne betrachtete ich auch Vorg‰nger und Mitarbeiter.

Ein jeder Mensch sieht die fertige und geregelte, gebildete, vollkommene Welt doch nur als ein Element an, woraus er sich eine besondere ihm angemessene Welt zu erschaffen bem¸ht ist. T¸chtige Menschen ergreifen sie ohne Bedenken und suchen damit, wie es gehen will, zu gebaren; andere zaudern an ihr herum; einige zweifeln sogar an ihrem Dasein.

Wer sich von dieser Grundwahrheit recht durchdrungen f¸hlte, w¸rde mit niemandem streiten, sondern nur die Vorstellungsart eines andern wie seine eigene als ein Ph‰nomen betrachten. Denn wir erfahren fast t‰glich, dafl der eine mit Bequemlichkeit denken mag, was dem andern zu denken unmˆglich ist, und zwar nicht etwa in Dingen, die auf Wohl und Wehe nur irgendeinen Einflufl h‰tten, sondern in Dingen, die f¸r uns vˆllig gleichg¸ltig sind.

Man weifl eigentlich das, was man weifl, nur f¸r sich selbst. Spreche ich mit einem andern von dem, was ich zu wissen glaube, unmittelbar glaubt er’s besser zu wissen, und ich mufl mit meinem Wissen immer wieder in mich selbst zur¸ckkehren.

Das Wahre fˆrdert; aus dem Irrtum entwickelt sich nichts, er verwickelt uns nur.

Der Mensch findet sich mitten unter Wirkungen und kann sich nicht enthalten, nach den Ursachen zu fragen; als ein bequemes Wesen greift er nach der n‰chsten als der besten und beruhigt sich dabei; besonders ist dies die Art des allgemeinen Menschenverstandes.

Sieht man ein ¸bel, so wirkt man unmittelbar darauf, d. h. man kuriert unmittelbar aufs Symptom los.

Die Vernunft hat nur ¸ber das Lebendige Herrschaft; die entstandene Welt, mit der sich die Geognosie abgibt, ist tot. Daher kann es keine Geologie geben, denn die Vernunft hat hier nichts zu tun.

Wenn ich ein zerstreutes Gerippe finde, so kann ich es zusammenlesen und aufstellen; denn hier spricht die ewige Vernunft durch ein Analogon zu mir, und wenn es das Riesenfaultier w‰re.

Was nicht mehr entsteht, kˆnnen wir uns als entstehend nicht denken; das Entstandene begreifen wir nicht.

Der allgemeine neuere Vulkanismus ist eigentlich ein k¸hner Versuch, die gegenw‰rtige unbegreifliche Welt an eine vergangene unbekannte zu kn¸pfen.

Gleiche oder wenigstens ‰hnliche Wirkungen werden auf verschiedene Weise durch Naturkr‰fte hervorgebracht.

Nichts ist widerw‰rtiger als die Majorit‰t: denn sie besteht aus wenigen kr‰ftigen Vorg‰ngern, aus Schelmen die sich akkommodieren, aus Schwachen die sich assimilieren, und der Masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will.

Die Mathematik ist, wie die Dialektik, ein Organ des inneren hˆheren Sinnes, in der Aus¸bung ist sie eine Kunst wie die Beredsamkeit. F¸r beide hat nichts Wert als die Form; der Gehalt ist ihnen gleichg¸ltig. Ob die Mathematik Pfennige oder Guineen berechne, die Rhetorik Wahres oder Falsches verteidige, ist beiden vollkommen gleich.

Hier aber kommt es nun auf die Natur des Menschen an, der ein solches Gesch‰ft betreibt, eine solche Kunst aus¸bt. Ein durchgreifender Advokat in einer gerechten Sache, ein durchdringender Mathematiker vor dem Sternenhimmel erscheinen beide gleich gott‰hnlich.

Was ist an der Mathematik exakt als die Exaktheit? Und diese, ist sie nicht eine Folge des innern Wahrheitsgef¸hls?

Die Mathematik vermag kein Vorurteil wegzuheben, sie kann den Eigensinn nicht lindern, den Parteigeist nicht beschwichtigen, nichts von allem Sittlichen vermag sie.

Der Mathematiker ist nur insofern vollkommen, als er ein vollkommener Mensch ist, als er das Schˆne des Wahren in sich empfindet; dann erst wird er gr¸ndlich, durchsichtig, umsichtig, rein, klar, anmutig, ja elegant wirken. Das alles gehˆrt dazu, um La Grange ‰hnlich zu werden.

Nicht die Sprache an und f¸r sich ist richtig, t¸chtig, zierlich, sondern der Geist ist es der sich darin verkˆrpert; und so kommt es nicht auf einen jeden an, ob er seinen Rechnungen, Reden oder Gedichten die w¸nschenswerten Eigenschaften verleihen will; es ist die Frage, ob ihm die Natur hiezu die geistigen und sittlichen Eigenschaften verliehen hat. Die geistigen: das Vermˆgen der An–und Durchschauung, die sittlichen: dafl er die bˆsen D‰monen ablehne, die ihn hindern kˆnnten, dem Wahren die Ehre zu geben.

Das Einfache durch das Zusammengesetzte, das Leichte durch das Schwierige erkl‰ren zu wollen, ist ein Unheil, das in dem ganzen Kˆrper der Wissenschaft verteilt ist, von den Einsichtigen wohl anerkannt, aber nicht ¸berall eingestanden.

Man sehe die Physik genau durch, und man wird finden, dafl die Ph‰nomene sowie die Versuche, worauf sie gebaut ist, verschiedenen Wert haben.

Auf die Prim‰ren, die Urversuche kommt alles an, und das Kapitel, das hierauf gebaut ist, steht sicher und fest; aber es gibt auch sekund‰re, terti‰re u.s.w. Gesteht man diesen das gleiche Recht zu, so verwirren sie nur das, was von den ersten aufgekl‰rt war.

Ein grofles ¸bel in den Wissenschaften, ja ¸berall entsteht daher, dafl Menschen, die kein Ideenvermˆgen haben, zu theoretisieren sich vermessen, weil sie nicht begreifen, dafl noch so vieles Wissen hiezu nicht berechtigt. Sie gehen im Anfange wohl mit einem lˆblichen Menschenverstand zu Werke, dieser aber hat seine Grenzen, und wenn er sie ¸berschreitet, kommt er in Gefahr, absurd zu werden. Des Menschenverstandes angewiesenes Gebiet und Erbteil ist der Bezirk des Tuns und Handelns. T‰tig wird er sich selten verirren; das hˆhere Denken, Schlieflen und Urteilen jedoch ist nicht seine Sache.

Die Erfahrung nutzt erst der Wissenschaft, sodann schadet sie, weil die Erfahrung Gesetz und Ausnahme gewahr werden l‰flt. Der Durchschnitt von beiden gibt keineswegs das Wahre.

Man sagt: zwischen zwei entgegengesetzten Meinungen liege die Wahrheit mitten inne. Keineswegs! Das Problem liegt dazwischen, das Unschaubare, das ewig t‰tige Leben, in Ruhe gedacht.