This page contains affiliate links. As Amazon Associates we earn from qualifying purchases.
Language:
Form:
Genre:
Published:
  • 1838
Edition:
Collection:
Tags:
Buy it on Amazon FREE Audible 30 days

“–Da eilten sie vors Schloß, wo bereits Frau Hinkel breit in der Barutsche saß, die mit sechs Schimmeln bespannt war, auf welchen sechs Postillone das Oratorium bliesen. Die Signora Agatha Gaddi gieng, die Fuge Solo singend, mit einem Teller unter den versammelten Bäckern und Metzgern herum und nahm Heller und Pfennige ein, als sie aber Gockel kommen sah, legte sie ein variirtes Hahnengeschrei in ihre Partie ein, und Gockel warf ihr eine brilliantene Repetir-Uhr mit Schnupftabackdosen von Lava besetzt, worauf der Adler des Gesangs, den Ganymed des Gefühls zum Himmel hinreißend, in Stein gehauen war, in die Schürze, dabei rief er: “bravissimo! da capissimo! cito citissimo!”–hob Gackeleia in die Barutsche und sprang mit gleichen Beinen hinter ihr drein; Alles das zugleich, und die Postillone knallten ein Finale mit den Peitschen, und sie kamen gerade auf der Eierburg an, als die Signora ihren Danktriller geendet, der bis zum Pfarrthurm hinauf stieg. Wir haben es aus seinem Munde vernommen. –Das heiße ich mir gefahren!–Bei der Eierburg waren viele Menschen auf einer grünen Wiese versammelt, wo getanzt und gespielt wurde um Eier; denn es war Ostern, und das große Ordensfest des Ostereierordens. Man lief und sprang um die Wette nach aufgestellten Eiern, man warf mit Eiern nach Eiern, man stieß mit Eiern gegen Eier, und wessen Ei eingeknickt wurde, der hatte verloren. Die Kinder von ganz Gelnhausen suchten Eier, welche der große königliche geheime Oberhof-Osterhaas in versteckten Winkeln ins hohe Gras gelegt hatte; kurz die Freude war allgemein. Bei Gockels Ankunft war das Volk in einem weiten Kreis unter dem Baume versammelt, auf welchem die königlichen Hofmusikanten und die Gelnhausener Stadtpfeifer einen herrlichen Tanz aufspielten, nämlich den Eiertanz, den die königliche Familie mit der Raugräflichen in höchsteigener Person tanzen wollte. Auf einem köstlichen Teppich wurden hundert vergoldete Pfaueneier, immer zehn und zehn, in Reihen gelegt. Nun trat die Königin Eilegia zu Gockel und verband ihm die Augen mit einem seidenen Tuch, und er that ihr dasselbe; eben so verbanden der König Eifrasius und Frau Hinkel, und der Prinz Kronovus und Gackeleia sich die Augen und wurden nun von den Hofmarschällen auf den Eierteppich geführt, auf welchem sie mit den zierlichsten Schritten, Sprüngen und Wendungen zwischen den Eiern herumtanzen mußten, ohne auch nur Eines mit den Füßen zu berühren. Die Zuschauer sahen mit gespannter Aufmerksamkeit ganz stille zu, und bewunderten die erstaunliche Agilität der hohen Herrschaften.

Aber nicht weit davon in einem Gebüsche saßen ein paar alte Männer, die hatten keine Freude an dem Tanz und guckten mit unabgewendeten Augen nach dem Fußsteige, der aus der Stadt herlief, ob ihr Geselle, der dritte, nicht bald komme, und ehe sie sichs versahen, stand er mitten unter ihnen. “Hast du, hast du?” schrieen sie dem Neuangekommenen entgegen und machten Finger so spitz wie Krallen gegen seine festgeschlossene Faust, und er erwiederte: “Ja ich habe glücklich den Ring durch Gackeleia’s Puppensucht ertappt, ich habe ihr einen ganz ähnlichen mit einem falschen grünen Glasstein gegeben, welchen Gockel jetzt am Finger hat. Jetzt können wir uns an ihm rächen, daß er uns bei dem Hahnenkauf betrogen und uns in die Wolfsgrube hat fallen lassen, wo wir elend verhungert wären, wenn uns die Bauern nicht herausgeholten hätten.”

So sprachen die drei alten morgenländischen Petschierstecher, die Gockel hatten anführen wollen, und die er angeführt hatte. Sie hatten sich doch durch ihre List in den Besitz des Ringes gebracht und wollten jetzt gleich seine Wunderkraft versuchen. Sie faßten alle drei an den Ring und sprachen zu gleicher Zeit die Worte:

“Salomon du weiser König,
Dem die Geister unterthänig,
Mach’ den Gockel wieder alt,
Zumpig, lumpig, mißgestalt,
Mach’ Frau Hinkel wieder häßlich,
Zänkisch, ränkisch, griesgram, gräßlich, Mach’ die Gackeleia schmutzig,
Ruppig, stuppig, zuppig, trutzig.
Nehme ihnen Gut und Geld,
Schloß und Roß und Hof und Feld,
Jag’ sie wieder Knall und Fall
In den alten Hühnerstall.
Aber uns drei Petschaftstechern,
Bau’ ein Haus mit goldnen Dächern,
Mache uns zu Hofagenten,
Hoffactoren, Consulenten,
Rittern und Kommerzienräthen,
Commissären und Propheten.
Gieb uns Gold und Geld und Glanz,
Stell’ uns hoch in der Finanz,
Mach’ uns schön wie Davids Sohn,
Den scharmanten Absalon,
Mach’ uns glücklich ganz enorm,
Orden gieb und Uniform!
Ringlein, Ringlein dreh’ dich um,
Mach’ es schön, wir bitten drum.

Während sie so am Ring drehten, entstand lautes Murren und Lachen und Schimpfen unter dem versammelten Volk. “Ei, seht den alten Bettler, die alte schmutzige Bettlerin, das schmutzige freche Kind, nein das ist unverschämt; jagt sie fort, pratsch, pratsch, wie sie die Eier zertreten!”–und bald ward das Geschrei und Getümmel so allgemein, daß der König Eifrasius und die Königin Eilegia und der Prinz Kronovus ihre Binden von den Augen rissen, und wie erstaunten sie nicht, als sie den Raugrafen Gockel und die Frau Hinkel und Fräulein Gackeleia, die vorher so schön und jung, und prächtig gekleidet gewesen waren, in eine alte, häßliche, zerrissene Bettlerfamilie verwandelt sahen, welche alle Eier auf dem köstlichen Teppich zertreten hatten; auf ihr unwilliges Geschrei rissen nun auch diese Unglücklichen die Binden von den Augen, und fiengen an, bitterlich zu weinen und zu klagen über ihren verwandelten Zustand, denn sie erkannten sich kaum mehr wieder. Gockel griff nach seinem Ring Salomonis und drehte, aber der falsche verwechselte Ring vermochte nichts; da sah er den Ring an und erkannte, daß er ausgetauscht war, und schrie laut aus: “o weh mir! ich bin verloren, ich bin um den Ring betrogen!”

Er wollte eben dem König Eifrasius zu Füßen fallen und ihm sein Unglück klagen, aber dieser stieß ihn zurück, zog sein Schwert und stieß einen Schwur aus, auf welchen seine Adjutanten, ihn in jedem Falle zurückzuhalten, perennirenden Befehl hatten, damit er nicht das Alleräußerste thue. Die Königin Eilegia war so entsetzt, daß sie unter Glucksen und Schluchsen in Nerven-Zuund Umstände und in die Arme der Ober–und Unter-Eiermarschallin ohnmächtig sank. Gockel und Hinkel welche diese Erscheinungen theils aus früherer Erfahrung, theils aus den Annalen der leidenden Menschheit kannten, nahmen die Beine auf die Schultern und liefen davon, um so mehr und schneller aber, als die Mitglieder der k. Hofkapelle erstaunliche Leistungen, mit Eiern nach ihnen werfend, gegen sie zu Stande brachten, worin sie von der hochlöblichen Gelnhausener bürgerlichen Scharfschützen-Compagnie patriotisch unterstützt wurden, nachdem der wachsame Stadthürmer zu Hülfe geblasen hatte.

Das hoffnungsvolle Prinzchen Kronovus allein statuirte abermals ein Exempel seines standhaften Charakters. Als Gackeleia die Eltern alt, häßlich und verlumpt fliehen und sich selbst schmutzig und zerrißen sah, schrie sie weinend: “ach Kronovus, ach wie bin ich so schmutzig und wa wa geworden! wer hat mich so schmutzig gemacht?” da reichte mit schöner Fassung ihr Kronovus sein Schnupftuch mit den Worten: “da Gackeleia wische dich schön ab und putze dir die Nase tüchtig, so–so, das ist brav, da hast du auch dein Körbchen, ich hab dirs beim Tanzen aufgehoben.”–dann warf er ihr noch einen Thaler in die Schürze–“da hast du mein Taschengeld. Samstag Abends hinten am Entenpfuhl, wo die Vergißmeinnicht stehen, sollst du immer ein Ei finden, worauf Vivat Gackeleia steht, und worin mein Taschengeld steckt, das hole dir!”–dann zog er eine Bretzel hervor und sagte:

“ziehe!”–da zogen sie, und jedes riß ein Stück davon;–und einen Bubenschenkel und sprach: “reiße!” und jedes riß die Hälfte davon; dann sprach er: “jedes von uns bewahre seinen Theil, und wenn wir uns wieder sehen und jeder bringt seinen Theil wieder, und die Stücke passen noch hübsch zusammen, dann sind wir recht brave, treue Spielkameraden gewesen, und ich schwöre dir, wie du mir, bei dem Grab des alten Urgockels, von dem du mir erzählet hast, daß wir dann immer beisammen bleiben wollen!”–da hoben sie beide die Hände auf und schworen.–Gackeleia weinte in dem feierlichen Momente und wollte Kronovus umarmen, da rief Gockel: “Gackeleia tummle dich geschwind, der Bettelvogt kömmt!”–worauf Kronovus diesem zurief: “halte er sich zurück, Meister Schelm, ich werde das Comteßchen selbst fortführen”; in demselben Augenblicke kam aber ein Adjutant des Eifrasius, forderte dem Prinzchen seinen Degen ab und führte ihn fort in das königliche Oberhof-Ofenloch. Kronovus aber sagte vorher noch dem Bettelvogt: “daß er sich nicht untersteht, meine liebe Spielkamerädin, das Comteßchen anzurühren!” reichte ihr die Hand und sprach: “leide geduldig, aber jetzt laufe, was du kannst!” da lief Gackeleia, was giebst du, was hast du? ihren Eltern mit ihrem Körbchen nach, und der Bettelvogt begleitete die unglückliche Familie, mehr um sie mit seinem ausgespannten Regenschirm gegen den Regen von Eiern zu schützen, welchen die unartigen Gassenbuben auf sie schleuderten, als daß er sie fortgetrieben hätte. Auf dem Eiercirkus war große Verwirrung eingetreten; der König Eifrasius war allzusehr außer sich, die Königin Eilegia allzusehr inner sich gekommen. Eifrasius hatte sein Schwert gezogen, er wollte dem Gockel ans Leben, er strampelte mit allen vier Füßen, da er aber den allerhöchsten Familienschwur ausstieß: “in Kraft sechzig destillirter Eierschnäpse, ich fresse den Kerl auf einem Butterbrod!” so faßten ihn der Kommandant der Leibgarde unter den Armen und der Obrist des Garde-Zwergen-Korps hielt ihm ein Bein fest, bis die erste Courage beruhiget und die Außersichkeit wieder nach Haus gekommen war. Die Königin Eilegia forderte noch größere Anstrengung, um sie aus ihrer Innerlichkeit wieder ans Tageslicht zu bringen; sie war in sich selbst, wie in einen tiefen Ziehbrunnen, vor Schrecken hinabgestürzt. Die Nerven, an welchen bekanntlich der goldene Eimer hängt, in dem die Seele des Menschen sitzt, waren bei Eilegia von so großer Zartheit und Feinheit, daß sie vor Schrecken zerrissen und die hehre Seele mit sammt dem goldenen Eimer tief, tief, tief in ihr schönes Gemüth hinunter plumps’te. Eilegia war unter einem lauten Schrei: “horreur! welche Bettelbagage!” der Oberhof-Eiermarschallin ohnmächtig in die Arme gesunken. Nur den vereinten Anstrengungen der Akademie der Rettungswissenschaften für Verunglückte, welche sogleich eine außerordentliche Sitzung hielt, gelang es, die theure Innige wieder zurückzurufen; die geheime Kammer-Schnürdame schnürte sie auf, um ihrem hehren Gemüthe mehr Luft zu geben; der so ganz fürs Vaterland glühende Oberhof-Osterhaas legte sinnig in kürzester Bälde ein frisches Osterei mit der Inschrift: “Vivat Eilegia!”, mit welchem die Ohnmächtige angestrichen ward; und der für das Beßte der leidenden Menschheit immer auf dem Sprung stehende Leibchirurg und Aderlaßschnepper rief die Seele der edeln, sinnigen, innigen Eilegia durch eine, mit eben so viel Geschmack, als Wirkung, mit eben so viel Grazie als Präzision geleistete Blutentlassung wieder aus der innern Tiefe ihres herrlichen Gemüthes auf ihr edles Antlitz zurück–ach! –und ihr erstes schönes Thun war, ihre geliebten Gelnhausener anzulächeln. Die Hofkapelle spielte eine patriotische Dankgallopade, unter welcher Eifrasius und Eilegia in zwei Portchaisen sitzend in die Eierburg zurückwalzten, um sich ganz zu erholen; Prinz Kronovus aber mußte die Nacht im Oberhof-Ofenloch bei Bisquit-Torte und süßem Wein einen strengen Arrest aushalten.

Alles Volk zog nach Gelnhausen lärmend zurück, um Gockels Palast zu plündern und dem Boden gleich zu machen, aber sie kehrten unterwegs so oft in den Wirthshäusern ein, daß sie erst in tiefer Nacht auf dem Markte ankamen, wo ihnen der Nachtwächter entgegen sang:

“Hört ihr Herrn und laßt euch sagen,
Die Glocke hat zwölf Uhr geschlagen, Aber das ist noch gar nicht viel
Gegen ein Schloß, das in Staub zerfiel; Hier hat’s gestanden lang und breit,
Wir leben in wunderbarer Zeit;
Der Markt ist leer als wie zuvor,
Die Kuh steht wieder vor dem alten Thor, Schaut an ihr Herren dieses Wunder
Gieng schnell, wie es entstanden, unter; Bewahrt das Feuer und das Licht,
Daß nicht der Stadt selbst Unglück g’schiecht, Und lobet Gott den Herrn.”

Wirklich war auch das herrliche Schloß Gockels und alle seine Gärten und Alles, was darin war, mit Mann und Maus verschwunden; auf dem Markte plätscherte der alte Stadtbrunnen, als wenn er gar nichts wüßte. Die guten Bürger giengen nach Hause, nachdem sie lange in die leere Luft geschaut hatten, und überlegten, wo sie mit allen ihren Semmeln und Braten hin sollten, da der große Hofstaat Gockels nicht mehr bei ihnen einkaufen würde.–Die guten Gelnhausener konnten aber doch nicht viel schlafen, denn der Bürgermeister hatte von der Eierburg bis auf das Rathhaus eine lange Reihe von Nachtwächtern aufgestellt, welche sich einander zubliesen, wie Eifrasius und Eilegia sich befänden, was der Leibarzt alle Viertelstunden auf der Schloßwache melden ließ, und was die Nachtswächter sich in der ganzen Stadt wieder zuflüsterten, wozu die unzähligen Metzgerhunde bellten und heulten und alle Hähne krähten. Es war eine beispiellos angestrengte, theilnahmvolle, schlaflose, patriotische Nacht für Gelnhausen. Kaum hatten die Bürger die Schlafkappen aufgesetzt, als plötzlich alle Nachtwächter an den Fensterladen pochten und ausriefen:

“Patriotisches Gelnhausen jubilire,
Deine Fenster gleich all’ illuminire, Hochlöbliche städtische Metzgerschaft
Beurkunde jetzt deiner Treue Kraft; Liefre Schweinsblasen viel und billig,
Zeig’ edles Gelnhausen dich willig, Lass’ donnern den hehren Feierknall,
Erfülle die Nacht mit Freudenschall; Eifrasius und Eilegia theuer
Geruhen harmonisch ungeheuer
Zu ruhen, zu schlafen und zu schnarchen, Wer kanns ihnen unterthänigst verargen?
Es war ja, was ich schier heiser sag, Wohl gestern fürwahr ein heißer Tag.
Prinz Kronovus im Oberhof-Ofenloch
Ist ganz wohl auf und singt munter noch: “Gackeleia, liebste Gackeleia mein,
“Wann werden wir wieder beisammen seyn.” Postskriptum.
“Jetzt allgemeine Illumination,
Nebst großer Blasendetonation;
Morgen früh vor dem Hanauerthor
Große Parade vom Nachtwächterchor,
Dann nach Eierburg Deputation
Vom weißgekleideten Bataillon
Der Mädchen, Blumen zu streuen,
Sie können heute Nacht noch heuen
Im Mondschein auf städtischer Weide; Daß keinen Schaden doch leide
Die Au bürgermeisterlicher Schafe
Wird geboten bei fünf Gulden Strafe.”

Auf diese Bekanntmachung hatten schon mehrere Bürger ihre Nachtlichter ans Fenster gestellt, da kam ein anderer Befehl:

“Der Patriotismus soll sich noch fassen Und alles Obige unterlassen;
Nach einem ärztlichen Consulte
Sind zu vermeiden alle Tumulte.
Ein Genesungsfest in leisester Stille Ist Eifrasii allerweisester Wille.”

Die guten Bürger waren so müd und schläfrig, daß sie ihren Patriotismus diesmal beruhigen ließen, und ganz Gelnhausen in das tiefe Schnarchen der Eierburger einstimmte.–Auf dem Markt am folgenden Tag stieg der Eierpreis um 3 und 7/87 Procent. Der arme Gockel, die arme Frau Hinkel, die arme Gackeleia zogen wieder wie ehedem durch den wilden Wald nach dem alten Schloß; aber sie waren viel trauriger und redeten kein Wort, ja Frau Hinkel hatte gar die Schürze über den Kopf gehängt, weil sie sich schämte, so häßlich geworden zu seyn. Als sie auf einer Höhe angekommen waren, wo man Gelnhausen noch einmal sehen konnte, drehte sich Gockel um, und sprach: “unseliger Ort, wo ich um den köstlichen Ring Salomonis betrogen ward; abscheulicher, undankbarer Eifrasius, wie schändlich hast du mich in meinem Unglück verstoßen, und hast nicht daran gedacht, mir die hundert Stück neue Gockeld’ors wieder zu geben, die du in glücklicher Zeit von mir geborgt.” Frau Hinkel aber rief aus: “o Königin Eilegia! wie manches indianische Vogelnest sammt den Eiern habe ich dir zum Geschenk gemacht, wie viele Eierspeisen habe ich dich bereiten gelehrt, wie viel hundert Ostereier habe ich dir mit schönen Blumen und Blättern bunt gesotten, die schönsten Muster zu Hauben und Garnituren a l’öff de Puffpuff habe ich dir mitgetheilt, und nun, da wir den Ring verloren und arm geworden, lässest du Undankbare mich zerlumpt und hungernd über die Gränze führen!”–Nun erhob auch Gackeleia ihre Stimme und sprach: “Ach du herzliebes Prinzchen Kronovus, du bist doch der Beste von Allen, du hast mir deinen Thaler geschenkt und dein Taschentuch gereicht, daß ich mich abwischen konnte; du willst mir dein Taschengeld alle Sonnabend am Entenpfuhl bei den Vergißmeinnicht in ein Ei verstecken; ach, du bist doch mein guter Kronovus geblieben und hast die arme, schmutzige Gackeleia nicht von dir weggestoßen. Ach, es thut mir recht leid, daß ich in der Angst vergessen, dir meine herrliche Puppe zum Andenken zu schenken.”

Kaum hatte Gackeleia das Wort Puppe ausgesprochen, als Gockel zornig nach ihr blickte und sprach: “du unseliges Kind! du hast eine Puppe? welche Puppe? woher hast du die Puppe? weißt du nicht mehr das Urtheil bei dem hochnothpeinlichen Halsgericht wegen der Ermordung Gallina’s, daß du von nun an und nimmermehr keine Puppe haben darfst! –ach, ich ahnde die Ursache meines Verderbens!” Und da er hierauf die kleine Gackeleia ergreifen wollte, lief sie vor dem erzürnten Vater nach dem äußersten Rande eines Felsens hin, der über einen schroffen Abhang hinausragte. Frau Hinkel schrie: “um Gotteswillen, das Kind fällt sich zu Tode!” und hielt Gockel beim Arme zurück. Gackeleia aber kniete auf dem äußersten Rande des Felsens, breitete ihre Aermchen gegen den Vater aus und sprach:

“Vater Gockel ach verzeih’,
Mutter Hinkel steh’ mir bei,
Oder Gackeleia klein
Springt und bricht sich Hals und Bein!”

Da bat die Frau Hinkel den Gockel sehr, er solle dem Kind verzeihen, und Gockel sagte: sie solle nur Alles erzählen, was sie angestellt, er werde sie nicht umbringen. “Erzähle Gackeleia”, sagte die Mutter, “wo hast du eine Puppe herbekommen?” Da war Gackeleia in großer Angst, denn der Vater riß während der Erzählung an einer Birke, die bei dem Felsen stand, dann und wann ein Zweiglein ab, und es sah so ziemlich aus, als wenn er, wo nicht einen Besen, doch wenigstens eine Ruthe binden wolle; aber was half Alles, das Kind mußte sprechen und sprach:

“An mein Gärtchen kam heut Morgen
Ein alt Männchen ganz voll Sorgen,
Ließ vor mir im Tanz sich drehn
Ach! ein Püppchen, wunderschön.”

“Da haben wir es”, rief Gockel und riß ein starkes Birkenreis ab, “da haben wir die saubere Bescheerung, eine Puppe, o es ist himmelschreiend!” Gackeleia aber sagte geschwind: ”
Keine Puppe, es ist nur
Eine schöne Kunstfigur,
Eine kleine Gärtnerin,
Lehrerin und Tänzerin,
Wirthin, Hirtin und so weiter,
Jede hat besondre Kleider.”

“Abscheulich, abscheulich!” sagte Gockel, aber Gackeleia fuhr fort:

“Allerliebst, kaum auszusprechen,
Mir wollt’ schier das Herz zerbrechen Nach dem schönen Wunderding;
Als es an zu laufen fieng,
Als die Räder in ihm knarrten,
Wollt’ es zu mir in den Garten,
Lief am Gitter hin und her,
Als ob es lebendig wär’.
Und ich glaubt’ des Alten Schwur,
Daß es eine Kunstfigur,
Daß es keine Puppe sey,
Dacht’ nichts Arges mir dabei.”

“Schöne Ausreden”, sagte Gockel unwillig und riß wieder ein Birkenreis ab; Gackeleia gefiel das gar nicht, und sie sagte:

“Vater, bitte, bitte schön,
Laß das Birkenreis doch stehn,
Ach ich sorg’ vor Angst verwirrt,
Daß es eine Ruthe wird.”

Da sprach Gockel ernsthaft:

“Gackeleia glaub’ du nur,
Daß es eine Kunstfigur,
Daß es keine Ruthe sey,
Denk’ nichts Arges dir dabei.”

Da sagte Gackeleia:

“Kunstfigur von Birkenreis?
Ach du machst mir gar zu heiß!”

Und Gockel sagte:

“Kunstfigur für Kunstfigur,
Ruthe für die Puppe nur.”

Da ward Gackeleia wieder sehr betrübt und schrie wieder ganz erbärmlich:

“Vater Gockel ach verzeih’,
Mutter Hinkel steh’ mir bei,
Oder Gackeleia klein,
Springt und bricht sich Hals und Bein!”

Frau Hinkel bat sehr, und Gockel sagte: “ich werde sie nicht umbringen, sie soll nur erzählen, was der Alte weiter gesagt hat, und was sie ihm für die Kunstfigur gegeben hat.” Da fuhr Gackeleia fort:

“Ach der Alte weinte sehr,
Hätt’ nicht Vater, Mutter mehr,
Bruder nicht, noch Schwesterlein,
Keinen Sohn, kein Töchterlein,
Keinen Vetter, keine Base,
Nichts als eine lange Nase,
Einen Bart ganz weiß und lang,
War betrübt und angst und bang.”

“Der alte Schelm”, rief da Frau Hinkel aus und riß nun auch ein starkes Birkenreis ab, “der alte Schelm ist schuld, daß ich auch wieder eine so häßliche lange Nase habe.” Und Gockel sagte: “Schau, Frau Hinkel, jetzt merkst du auch, was wir ihm zu danken haben, du die Nase und ich den Bart. O unglückselige Kunstfigur, was sind wir für abscheuliche Figuren durch dich geworden. Aber erzähle weiter Gackeleia, was wollte er für die Puppe”? Da erwiederte Gackeleia mit großer Angst:

“Für die schöne Kunstfigur
Wollt’ in deinen Ring er nur
Einmal ein klein bischen blicken,
Seinen Kummer zu erquicken.”

“O du abgefeimter Gaudieb”, rief Gockel aus, “o du unseliges, leichtsinniges, spielsüchtiges Kind!–und da zogst du mir den Ring im Schlafe ab, und gabst dem Schelmen den Ring, sprich, sprich, hast du das gethan? sprich gleich, oder ich werfe dich auf der Stelle vom Felsen hinab.” Da rief Gackeleia wieder in großer Angst:

“Vater Gockel ach verzeih’,
Mutter Hinkel steh’ mir bei;
Ja als Vater Gockel schlief,
Mit dem Ring ich zu ihm lief,
Doch er sah nicht lang hinein,
Gab zurück den Edelstein,
Den ich schnell zurückgebracht,
Eh’ der Vater aufgewacht.
Ach ich will’s nicht wieder thun,
Einmal ist das Unglück nun
Durch mich böses Kind geschehn.
Werdet ihr die Puppe sehn–
Nein nicht Puppe, es ist nur
Eine schöne Kunstfigur,
Ganz natürlich nach dem Leben–
Ach ihr müßt mir dann vergeben.”

Und nun nahm sie die Puppe aus ihrem Körbchen, das sie am Arm hängen hatte, zog das Uhrwerk auf, und die kleine Reisende schnurrte so artig zwischen dem Thymian auf dem Felsen herum, daß Gackeleia ihr, in die Hände patschend, nachlief. Da erwischte der alte Gockel das Kind beim Arm und sagte: “Nun habe ich dich, habe ich dir nicht tausendmal verboten, meinen Ring ohne meine Erlaubniß anzurühren? Du hast ihn aber dem alten Betrüger gegeben, und der hat ihn mit einem andern vertauscht, der keinen Heller werth ist, und so hast du deine Eltern und dich in Schande und Armuth gebracht durch deine Begierde nach einer elenden Puppe”. Da schrie Gackeleia ganz erbärmlich:

“Keine Puppe, es ist nur
Eine schöne Kunstfigur.
Vater, Vater laß mich los!
Ach sie läuft durch Stein und Moos
Von dem Fels in vollem Lauf,
Mutter Hinkel halt’ sie auf!
Daß sie nicht den Hals zerbricht;
Denn sie kennt die Wege nicht.”

Die kleine Puppe lief auch ganz wie toll den Felsen hinunter, und Frau Hinkel wollte sie aufhalten, aber glitt auf dem glatten Rasen aus und rutschte ein ziemlich Stück Weg hinab. Darüber wurde der alte Gockel noch viel ungeduldiger und sagte: “nun sieh, das Unglück, deine Mutter bricht noch schier ein Bein über der abscheulichen Puppe. Recht muß seyn, du hast unverzeihlich gefehlt; jetzt wähle Gackeleia: entweder kriegst du hier recht tüchtig die Ruthe, oder du läßt die Puppe laufen”, und da Gackeleia wieder schrie:

“Keine Puppe, es ist nur
Eine schöne Kunstfigur,
Nach der Uhr und nach der Schnur,
Und ein Mäuschen von Natur.”-legte Gockel sie über das Knie und gab ihr tüchtig die Ruthe mit den Worten:

“Keine Ruthe, es ist nur
Eine Birken-Kunstfigur,
Und du kriegst sie nach der Schnur, O du Nichtsnutz von Natur!”

Und Gackeleia schrie:

“Mutter halt’, o Jemine!
Halt’ sie auf, sie thut sich weh.”

Und Gockel schlug immer zu und schrie:

“Fitze, fitze, Domine
Thut die ganze Woche weh!”

Er hätte auch noch länger zugeschlagen, aber Frau Hinkel schrie so erbärmlich, sie könne nicht wieder herauf, daß Gockel das Kind los ließ und hinabgieng, ihr zu helfen. Kaum aber war Gackeleia los, so rüttelte und schüttelte sie sich über die fatale Kunstfigur, die sie empfunden hatte, und lief ihrer flüchtig gewordenen schönen Kunstfigur nach, die sie eben unten im Thale über den Steg eines Baches laufen sah; die Puppe lief, als ob sie vier Beine hätte, über den Steg und links um und in den Wald hinein und Gackeleia immer hinter ihr drein.

Gockel hatte indessen Frau Hinkel durch einen Umweg wieder auf die Höhe hinauf gebracht, und sie klagten sich unterwegs einander, wie der Schelm, der sie durch Gackeleia’s Spielsucht um den köstlichen Ring Salomonis gebracht, gewiß einer von den alten Petschierstechern sey, die ihn einst um den Hahn Alektryo hatten betrügen wollen. Als sie unter solchen Reden auf den Fels zurückkamen und die Gackeleia nicht mehr sahen, riefen sie nach allen Seiten nach dem Kinde, aber nirgends hörten und sahen sie etwas von ihr. Da ward ihr Kummer um allen ihren Verlust in eine große Sorge um ihr Kind verwandelt, sie liefen hin und her und schrieen durch den Wald: “Gackeleia, Gackeleia!” und wenn das Echo wieder rief. Eia, Eia! glaubten sie, das Kind antworte, und so verirrten sie sich immer tiefer in der Wildniß, bis sie endlich beide, ach aber ohne Gackeleia, sich bei ihrem Stammschlosse wieder fanden. Die Vögel wachten alle auf und flogen wie alte Bekannte um sie her und grüßten sie, aber Gockel und Hinkel riefen immer in alle Büsche hinein:

“Gackeleia, komm doch nur,
S’ist ja eine Kunstfigur,
Komm’ es soll dir nichts geschehn,
Wenn wir dich nur wieder sehn.”

Aber keine Antwort von keiner Seite. Da saßen die zwei armen Eltern auf der Schwelle des alten Hühnerstalles nieder und weinten die ganze Nacht bitterlich, und alle Vögelein weinten mit. Am Morgen aber schnitt sich Gockel einen tüchtigen Knotenstock und gab auch der Frau Hinkel einen und sagte: “Liebe Frau! wir sind arme Leute geworden; aber es gebührt einem Raugrafen Gockel von Hanau und einer Raugräfin Hinkel von Hennegau nicht, im Unglücke zu verzweifeln; laß uns auf Gott vertrauen und unser Fräulein Tochter Gackeleia durch die weite Welt suchen, und sollten wir unterwegs Hungers sterben. Geh’ du links, und ich geh’ rechts. Alle Monate kommen wir hier wieder zusammen und sagen uns einander, was wir entdeckt haben, dabei können wir zugleich dem Dieb unsers Ringes nachforschen.” Frau Hinkel war das zufrieden, sie umarmten sich beide unter bitteren Thränen und wanderten dann auf getrennten Wegen, Herr Gockel rechts, Frau Hinkel links. Und wenn sie in die Dörfer oder Städte kamen, sangen sie vor allen Thüren:

“Habt ihr nicht ein Kind gesehn?
Ein klein Mägdlein wunderschön,
Blaue Augen, rothe Backen,
Zähnchen weiß zum Nüsseknacken,
Einen rothen Kirschenmund,
Frisch und froh und dick und rund,
Glänzend wie ein Mandelkern,
Hüpft und spielt und singt so gern. Es hat einen blonden Zopf,
Einen Strohhut auf dem Kopf,
Trägt auch eine alte Juppe
Und läuft hinter einer Puppe
Her und schreit, es sey ja nur
Eine schöne Kunstfigur.
Barfuß läuft es ohne Schuh,
Fragt man es, wie heißest du?
Sagt es gleich ganz freundlich: “Eja Ich bin Gockels Gackeleia.”
Ach das Kind hab’ ich verloren
Und hab’ einen Eid geschworen,
Nicht zu ruhn, bis ich das Kind
Gackeleia wieder find’!”

Aber immer sagten die Leute:

“Wir haben so kein Kind gesehn,
Ihr armer Mensch müßt weiter gehn;
Da habet ihr ein Stücklein Brod,
Gott helfe euch in eurer Noth!”

Da nahmen sie dann das Brod, die armen Eltern, und assen es mit Thränen und setzten ihren Stab traurig weiter.

So waren sie schon dreimal wieder in dem alten Schloße ohne Gackeleia zusammen gekommen, hatten mit großem Jammer im alten Hühnerstall geschlafen, und sich ihre vergeblichen Nachforschungen einander mitgetheilt. “Ach Gott”, sagte Frau Hinkel, “das arme Kind ist gewiß umgekommen, hättest du es doch nicht so hart wegen der Puppe behandelt.” Da erwiederte Gockel: “Und hättest du besser auf sie Acht gegeben, so hätten wir den Ring und das Kind nicht verloren; nichts ist leichter zu sagen, als–hättest du. Lasse uns lieber auf dem Grabe des Alektryo in der Kapelle recht herzlich beten, daß wir das Kind morgen zum viertenmale nicht vergebens suchen mögen.” Hierauf giengen sie nach der Kapelle und beteten recht eifrig, legten sich dann auf ihr Mooslager und schliefen einen gar süßen Schlaf und träumten von Gackeleia.

Gegen Morgen hörte Gockel noch halb im Schlafe etwas um sich her rasseln, es war noch sehr dunkel in dem Stalle; aber er sah etwas an der Erde hinlaufen und verschwinden, er stieß Frau Hinkel und sagte: “Mir war gerade, als wenn die fatale Puppe der Gackeleia vorüber gelaufen wäre.” Da sprach eine Stimme:

“Keine Puppe, es ist nur
Eine schöne Kunstfigur.”

Gockel meinte, Frau Hinkel habe das gesagt, und verwies ihr, daß auch sie so eigensinnig wie Gackeleia spreche. Frau Hinkel hatte schlaftrunken die Worte gehört und behauptete, er habe es selbst gesagt. Sie wollten eben zu zanken anfangen, als sie leise an der Thüre pochen hörten. Sie fuhren ordentlich vor Schrecken zusammen, wer das wohl seyn könne, der in dem wüsten zerstörten Schlosse so leise anpoche. Da es aber zum drittenmale pochte, fragte Gockel laut: “Wer ist draus?” und es antwortete eine männliche Stimme: “ich bitte allerunterthänigst um Verzeihung, Herr Graf, daß ich so früh störe, aber die Eseltreiber lassen mir keine Ruhe; sie sagen, daß ich ihnen drei Zentner Käse aus der gräflichen Käsefabrik auf ihre Thiere packen soll, nun wollte ich doch den Befehl des Herrn Grafen selbst abholen.”

Gockel wußte auf diese Rede gar nicht, wo ihm der Kopf stand; “drei Zentner Käse”, sagte er, “aus der gräflichen Käsefabrik, hast du gehört Hinkel?” “Ja”, sagte Frau Hinkel, “was kann das seyn? ich weiß nicht, ob ich träume oder wache.” Da der Mann aber immer von neuem pochte und um die Erlaubniß bat, die Käse abzuliefern, schrie Gockel heftig: “bist du, der da pochet, toll oder ein Spötter, der einen armen Greis zum Narren haben will? so nehme dich in Acht, oder ich komme mit dem Knotenstock über dich. Wo habe ich denn Käse oder eine Käsefabrik? Gehe von dannen und gönne den Armen ihr einziges Gut: die Ruhe und den Schlaf.” Da antwortete die Stimme wieder: “Gnädigster Graf, vergebet mir, daß ich euch erweckte, ich sehe wohl, daß ihr den Leuten die Käse nicht abliefern lassen wollet, ich werde sie abweisen!”

Nun hörte Gockel draußen auf dem Hofe sprechen und hin und wieder gehen, und seine Verwunderung, was das zu bedeuten habe, wuchs immer mehr. “Ach”, sagte er zu seiner Frau, “ich fürchte fast, es ist irgend eine Nachstellung von unsern Feinden aus Gelnhausen, die uns ermorden wollen.” “Das wäre entsetzlich”, erwiederte Frau Hinkel und drückte sich in der Angst dicht an ihn. Da pochte es wieder an der Thüre, und Gockel rief zwar erschrocken, aber doch ziemlich laut: “Wer da?” Da antwortete eine andere Stimme: “Eurer Hochgräflichen Gnaden unterthänigster Küchenmeister fragt an, ob er einen Zentner Schinken aus der gräflichen Rauchkammer abliefern darf, welche auf den drei Eseln, die vom König Sissi angekommen sind, abgeholt werden sollen?” Gockel, dem bei diesen Reden zu Muthe ward, wie einem Hahn ohne Kopf, rief aus: “Warte, ich will dir Schinken geben, du nichtswürdiger Spötter!” indem er aufsprang und nach seinem Stocke suchte. Als er aber ganz klar und deutlich drei Esel vor der Thüre schreien hörte, rief er und Frau Hinkel zugleich: “Herr Jemine, die Esel sind wirklich da.” Es war noch dunkel in dem Stalle, der kein Fenster hatte, und dessen verschlossene Thüre nur durch einen Spalt einen Schimmer des Tages hereinfallen ließ. Gockel tappte an der Wand nach seinem Knotenstock herum, und plötzlich wurde er von ein paar zarten Armen herzlich umschlossen, so daß er laut aufschrie: “um Gotteswillen, wer ist das?” Aber die Unbekannte hörte nicht auf, ihn mit den zärtlichsten Küssen zu bedecken, und als Frau Hinkel auch dazu kam, gieng es derselben nicht besser; und da sie sich in diese Liebkosungen gar nicht finden konnten, sagte endlich das unbekannte Wesen mit einer wohlbekannten Stimme zu ihnen: “Ach! kennt ihr denn euer Töchterlein Gackeleia gar nicht mehr?”-“Du, Gackeleia?” riefen Beide aus, “nein das ist nicht möglich, du bist ja eine erwachsene Jungfrau.”–“Ach, groß oder klein”, antwortete es, “ich bin doch eure Gackeleia”, und da riß sie die Thüre auf, und es fiel zu gleicher Zeit so viel Fremdes und Wunderbares in die Augen des alten Gockels und der Frau Hinkel, daß sie sich einander in die Arme sanken und weinen mußten.

Erstens sahen sie wirklich die ganze Gackeleia vor sich, aber nicht mehr als ein kleines Mädchen, sondern als eine blühende, wunderschöne, allerliebst geputzte Jungfrau; und zweitens sahen sie sich selbst beide nicht mehr alt und in Lumpen, sondern als zwei schöne wohlbekleidete Leute in den besten Jahren; und drittens sahen sie durch die Thüre nicht mehr in einen verfallenen, mit Schutt und wildem Unkraut bewachsenen Burghof hinaus, sondern in einen schön gepflasterten, reinlichen Hof von schönen Schloßgebäuden, Ställen, Gärten und Terrassen umgeben; in der Mitte des Hofes aber, an einem plätschernden Springbrunnen, sahen sie drei verdrießliche alte Esel mit langen Ohren angebunden, welche die Köpfe zusammendrückten, als ob sie sich schämten. Auch sahen sie allerlei Bediente in schönen Livreen geschäftig auf und niedergehen, die immer, so oft sie am Hühnerstall vorüber kamen, tiefe Verbeugungen machten und schönen guten Morgen wünschten.

“Ach, was ist das, es ist nicht möglich, woher alle diese Wunder?” rief Gockel aus; da reichte Gackeleia ihm ihre schöne Hand und sah ihm freundlich lächelnd in die Augen, und Gockel schrie mit lautem Jubel aus: “ach der Ring, der köstliche Ring Salomonis ist wieder da, den du durch die Puppe verloren!” Da sagte aber Gackeleia gleich wieder:

“Keine Puppe, es ist nur Eine schöne Kunstfigur”,

und Gockel sagte: “meinetwegen, ich will dir die Ruthe nicht mehr geben, du bist auch zu groß dazu, und Alles ist ja wieder gut.” “Aber wie hast du nur Alles angefangen?” sagte Frau Hinkel, welche immer um die schöne, prächtige Jungfrau herumgegangen war, sie zu betrachten und zu küßen und zu drücken, “um Gotteswillen, Herz-Wunder-Gackeleia, erzähle!” “Ja, erzähle”, rief Gockel und drückte sie herzlich an seine Brust. Gackeleia aber erwiederte: “lobet mich nicht zu sehr, geliebter Vater, denn all unser neues Glück haben wir allein Euch selbst zu verdanken.” “Mir?” fragte Gockel, “das müßte seltsam zugehen; ach ich habe ja nichts thun können, als vor den Häusern nach dir suchend herumbetteln.” Da sagte Gackeleia: “schon gut, Ihr sollt Alles hören; folgt mir nur an einen andern Ort, wir wollen das wieder hergestellte Stammschloß unsrer lieben Vorfahren einmal ein wenig durchmustern, wir werden gewiß ein Plätzchen finden, wo es uns besser gefällt, als in dem alten Hühnerstall, in dem wir ohnedieß dem Federvieh Platz machen wollen, das gleich wieder hinein muß.” Da drehte Gackeleia den Ring und sprach:

“Salomon, du weiser König,
Dem die Geister unterthänig,
Fülle gleich den Hühnerstall,
Lass’ die bunten Hühner all’
Gackeln, scharren, glucken, brüten, Und vom hohen Hahn behüten;
Alle soll er übersehen,
Stolz mit Spornen einhergehen,
Kamm und Sichelschweif hoch tragen, Streitbar mit den Flügeln schlagen;
Krähen wie ein Hoftrompeter,
Daß bei seinem Anblick jeder
Ganz mit Wahrheit sagen kann:
“Das ist recht ein Rittersmann.”
Bringe uns auch schöne Pfauen,
Die bei ihren grauen Frauen
Gold’ne Augenräder schlagen,
Abends nach der Sonne klagen.
Gieb uns dann auch wälsche Hahnen,
Zornig schwarze Indianen,
Solch’ hoffärtige Gesellen,
Denen roth die Hälse schwellen,
Die sich kollernd neidisch blähen,
Wenn sie rothe Farben sehen,
Aufgespreitzt mit Hofmanieren
Um die Hennen her turniren.
Schenk’ uns Enten bunt und prächtig, Weiße Gänse, die bedächtig
Nach dem Wolkenhimmel sehn
Und auf einem Beine stehn,
Oder auf der Wiese gackeln,
Bis sie in das Wasser wackeln.
Lasse auch schneeweiße Schwäne,
Rein, wie blanke Silberkähne,
Ernst und klar mit edlem Schweigen
Schwimmen in den Spiegelteichen.
Auf dem Dache lass’ sich drehen
Tauben, schimmernd anzusehen,
Um den Hals mit gold’nen Strahlen,
Schöner, als man sie kann malen.
Alles sey recht auserlesen,
Wie’s im Paradies gewesen.
Ringlein, Ringlein dreh’ dich um,
Mach’s recht schön ich bitt’ dich drum.”

Kaum hatte Gackeleia dieses gesagt, als aus dem Hühnerstalle, den sie verlassen hatten, ihnen eine Schaar der buntesten Hühner, Pfauen, Puter, Enten, Gänse und Schwäne nachströmte, und auf dem Dache Alles von Tauben wimmelte. Gockel und Hinkel hatten die größte Freude an dem herrlichen Federgeviehzel und folgten, nachdem sie Alles einzeln bewundert hatten, der Gackeleia in das Schloß. Freudig und neugierig betrachteten sie eine Reihe von Gemächern und Sälen, welche alle mit dem prächtigsten alten Hausrath versehen waren, und traten endlich oben auf einer Terrasse heraus, von welcher sie herab in den Hühnerhof. links auf das Schloß und vor sich hin Gärten und Wald in die Ferne bis nach Gelnhausen und Hanau sahen.

“Hier ist es gar schön”, sagte Gackeleia, “seht wie die schönen Tauben neben uns schweben, und der Pfau sieht auf der Spitze des Thurmes der Sonne entgegen; hier will ich Euch Alles erzählen, wie ich den Ring wieder erhalten habe, aber wir wollen auch etwas frühstücken.” Kaum hatte sie dieses gesagt, als ein alter Diener einen großen Präsentirteller mit Früchten und kaltem Fleischwerk und feinem Gebackenem und Wein und Milch über die Treppe heraufbrachte, und als er Alles vor sie niedergesetzt hatte, nochmals fragte: “sollen die drei Esel mit dem Käse und den Schinken bepackt werden!” “Ja”, sagte Gackeleia, “und daß nur Alles recht gut und ausgesucht sey; ich werde hernach das Weitere selbst befehlen.” Gockel und Hinkel waren sehr begierig nach ihrer Erzählung und baten sie zu beginnen. Da erzählte sie Folgendes:

“Lieber Vater, als meine Puppe–nein, meine schöne Kunstfigur–so weit vor mir vorausgelaufen und eure Ruthe–nein, eure häßliche Kunstfigur–so dicht hinter mir her war, zappelte ich mit Händen und Füßen, von euerm Knie herunter auf die Beine zu kommen, um meinem lieben Klandestinchen nachzueilen, welche bergab lief, wie sie noch nie gelaufen war; da ließest du mich los und eiltest den Felsen hinab der Mutter zu Hülfe, ich aber raffte mein Körbchen auf und rannte über Hals und Kopf der Kunstfigur nach, die einen guten Vorsprung hatte. Da wir aber in den dichten Wald kamen, hinderten sie öfter Gras und Gesträuch im Lauf, und ich war ihr endlich so nah, daß ich die Hand ausstreckte, sie zu ergreifen, aber in demselben Augenblick entschlüpfte sie zwischen zwei Felsstücken in eine kleine Höhle.–Ich war in der größten Betrübniß, ich konnte ihr nicht nach; ich kniete vor der Oeffnung nieder und rief zu ihr hinein: “Klandestinchen, Klandestinchen! wie handelst du so undankbar gegen mich, ich habe dich so lieb, so lieb, daß ich lieber die schimpflichste Strafe über mich ergehen ließ, als dich zu verlassen, und jetzt versteckst du dich vor mir, als wenn ich deine ärgste Feindin wäre.”

“Als ich diese Worte gesprochen hatte, fiel mir auch erst ein, wie sehr weit ich von Euch, liebe Aeltern, fortgelaufen war; ich sah die Sonne bereits sinken und war außer allem Weg und Steg. Weinend schrie ich in den Wald hinein: “Vater Gockel, Mutter Hinkel!” aber Alles war vergebens, nur das Echo antwortete mir. Dann fiel mir ein, daß jetzt die Stunde sey, wo der alte Mann gesagt, daß die Puppe etwas müsse zu knuppern haben; ich holte etwas Zuckerbrod aus meinem Körbchen und legte es auf ein reines Blatt vor die kleine Höhle und füllte meinen Fingerhut in einem nahen Quell und stellte ihn aufrecht in den feuchten Sand gedrückt darneben, dann rief ich in das Höhlchen hinein: “Klandestinchen, wenn’s gefällig ist, es ist servirt.”–Ich dachte, der Alte hat von ihrem guten Appetit gesprochen, sie hat Bewegung genug gehabt, es sollte ihr wohl schmecken, wenn sie merkt, daß aufgetragen ist. Ich selbst hatte Hunger, und nahm ein Stück hartes Brod aus meinem Bettelsack, tauchte es ins Wasser und aß in einiger Entfernung, weil ich gehört hatte, daß sie sich nicht gern beim Essen zusehen lasse.–Ach ich war so müd, so müd, Hände und Füße zuckten mir, ich lag im Gras, der Schlaf krabbelte mir den Rücken herauf und machte mir die Augendeckelchen zu, denn das Sandmännchen kam und wollte mir Sand hinein streuen, und das wäre nicht gut gewesen, aber ich raffte mich noch einmahl auf und wusch mich ein bischen am Bach, weil ich so viel Staub und Schmutz im Gesicht und an Händen und Füßen hatte, denn ich habe nie vergessen, was die Mutter mich gelehrt, man soll nie ungewaschen und ungebetet zu Tische gehen, aufstehen und schlafen gehen.–Ich setzte mich also ins weiche Moos, und war so müd, so müd und wußte nicht, sollte ich mich rechts, sollte ich mich links legen, und sagte alle meine Kindergebetchen durch einander her:

“Guten Abend, gute Nacht,
Von Sternen bedacht,
Vom Mond angelacht,
Von Engeln bewacht,
Von Blumen umbaut,
Von Rosen beschaut,
Von Lilien bethaut,
Den Veilchen vertraut;
Schlupf’ unter die Deck’
Dich reck’ und dich streck’,
Schlaf’ fromm und schlaf’ still,
Wenns Herrgottchen will,
Früh Morgen ohn Sorgen
Das Schwälbchen dich weck’!”

Unter diesen Gebetchen kehrte ich mich nach einer Seite, zuckte noch einige Male und schlief ein.

Da träumte mir, ich sehe Clandestinchen die schöne Kunstfigur aus der Höhle kommen, sie verzehrte das Zuckerbrod, sie trank aus dem Fingerhut, und kam nachher zu meinem Bettchen und sagte: “Herzkind, Gackeleia, schlaf nur süß fort, denn nur im Schlaf kannst du mich verstehen; sag, süß Lieb! darf ich wohl ein bischen zu dir kommen? o nimm dein Püppchen in den Arm an dein lieb Herzchen, meine Füßchen sind ganz wund vom vielen Laufen, auch ist mir gar nicht wohl, ich muß mich verkältet haben, ach Kind nimm die Puppe zu dir”–da sagte ich ganz erschrocken:

Darf nicht, darf nicht, denn ich schwur, Keine Puppe, sondern nur
Eine schöne Kunstfigur,
Nach der Uhr und nach der Schnur
Und ein Mäuschen von Natur.

“Ach Gackeleia”, sprach sie, “das bin ich alles, und noch mehr, ich weiß kaum mehr, was ich bin, ich will dir ja Alles erzählen, nimm mich doch, ich bin ja gewiß keine Puppe.”–Hierauf schlupfte sie zu mir und ich hielt sie schlummernd im Arm an meinem Herzen, wobei ich sagte:

Zu Bett, zu Bett,
Die ein Püppchen hätt,
Die keines hätt’,
Muß auch zu Bett!

Und da ich mein Schürzchen uns Beiden gegen den Nachtthau übers Gesicht deckte, ward mir ganz weich ums Herz und ich wiegte das Klandestinchen ein bischen, daß es schlafen sollte, und sprach:

Eia popeia popolen!
Unser Herr Gottchen mag uns nur holen, Kommt er mit dem goldenen Lädchen,
Legt uns hinunter ins Gräbchen,
Ueber mich Kräuterlein,
Ueber dich Blümelein,
Bis wir beisammen im Himmelreich sein.

Da sagte die Figur: ” Das ist alles gar schön, und man mag die Puppe und die Kunstfigur nach der Uhr und nach der Schnur in einem goldenen Lädchen immer ins Grab legen, nur das Mäuschen von Natur, muß ich bitten, damit zu verschonen, denn es muß für Gatte und Familie, für Volk und Vaterland noch lange leben; drum Gackeleia bitte ich dich um Gotteswillen, mache mir das fatale Drathgürtelchen los, womit mich der böse Alte unter die verschraubte Kunstfigur festgeschnürt hat, ich habe solches Leibschneiden, ich hab’ mich überlaufen, ich hab’ mich übergessen, es ist mir zum Sterben, geschwind, geschwind hilf dem Mäuschen von Natur, denn ich bin keine Puppe, keine Kunstfigur, ich bin die unglückliche Mäuse-Prinzessin Sissi von Mandelbiß, der dein Vater einmal das Leben gerettet hat.” Da sah ich gleich nach und fand wirklich das schönste weiße Mäuschen von Natur mit einem Drath zwischen kleine Räder befestigt, die an den Füßchen der Puppe angebracht waren, ich machte die arme Prinzessin los, die mir freudig dankte und sagte: “Schlaf fort Herz-Gackeleia, gleich komm ich wieder, ich muß mich nothwendig ein bischen bewegen und durch das thauichte Gras laufen, um mich zu waschen und zu erfrischen, gleich komme ich wieder zu dir”–und husch war sie fort.”

So weit hatte Gackeleia erzählt, da sah Gockel nach den beiden Mäusen, die sich in ein Stück Kuchen eingefressen hatten und ruhig darin schliefen, und sprach: “Es ist doch eine kuriose Theater-Prinzessin, die Sissi von Mandelbiß; wo die überall herum kömmt, die kann auch mehr als Brod essen! Aber erzähle weiter, wie ist sie nur mit der Kunstfigur zusammengekommen?”

Da fuhr Gackeleia fort: “Als Sissi wieder kam, schlupfte sie mir dicht ans Ohr, versteckte sich warm in meine Haarlocken und erzählte mir alles ganz ausführlich, und ich war so neugierig, daß ich sie nie unterbrach. Sie sagte: “dein Vater Gockel hat mich und meinen Gemahl Prinz Pfiffi von Speckelfleck vor der Katze Schurrimurri gerettet und uns wieder nach Haus befördert; der Mord der Gallina durch dieselbe Katze und die Hinrichtung der Katze und der edle Tod Alektryos ward uns durch Musterreiter unsers Volkes erzählet, wir wollten Gallina und Alektryo ein Mausoleum auf dem Mauskirchhof setzen lassen, und da ich mit Prinz Speckelfleck wegen unserer Rettung eine Wahlfahrt nach dem Mausthurm bei Bingen gelobt hatte, gedachten wir damit eine Kunstreise zu verbinden und uns mit den schönsten Mausoleen in Kirchen und auf Kirchhöfen bekannt zu machen. Prinz Speckelfleck meinte, wir müßten incognito wie gemeine Mäuse nur in geringen Häusern einkehren;–ich folgte, aber nie thue ichs wieder, denn was man da erwischen kann, ist nichts werth, und am Ende wird man noch selbst erwischt.–So waren wir in Friedberg neben drei alten schmutzigen Männern mit langen Bärten im Stroh eingekehrt. Pfiffi schlupfte zur Thüre hinaus, mir etwas zu essen zu suchen, und ich war so unbesonnen dem Geruch von gebranntem Speck in meiner Nähe nach zu gehen, ach schon nagte ich ein bischen–klapp that es einen Schlag, die Falle schloß sich zu, und ich war gefangen. Meine Verzweiflung kannst du dir denken.–Der Schlag der Falle hatte die drei Alten auf dem Stroh erweckt; sie liefen mit der Falle ans Fenster, der Tag brach schon an. “Da haben wir, was wir brauchen”, sagte der eine, “eine schöne, große weiße Maus hat sich gefangen; die befestige ich mit einem Drathgürtel unter der Kunstfigur, die wir in Nürnberg gekauft haben; das Räderwerk ist zu schwach, die Puppe kann nicht lang laufen, da kann die Maus als Vorspann dienen, damit sie von der Stelle kömmt. Geschwind zünde ein Licht an, sagte er zu dem Andern, ich will mich gleich an die Arbeit machen.” Da schlug der Andere Licht, und der Alte hatte mich bald mit einem Drath an die kleine Puppe befestigt, die er aus seinem Schnappsack holte; dann zog er das Uhrwerk in der Puppe auf und setzte sie an den Boden, und ich lief von dem Saum des seidenen Puppenkleides bedeckt an der Erde in großer Angst umher; da ich aber aus Begierde zu entfliehen, in allen Ecken anstieß, ergriff er mich mit der Puppe und sagte mit einem widerlichen Zorn zu mir: “ich muß andre Saiten mit dir aufspannen, höre Madame weiße Maus, wenn du mir so toll herum rennst, lasse ich dich hungern, daß du schwarz wirst, oder ich gebe dich der Katze, die soll dich besser tanzen lehren.”–Vor dieser Drohung hatte ich einen solchen Respekt, daß ich mir vornahm, Alles zu thun, was der Alte nur wollte. Er sprach aber noch allerlei wunderliche Worte Abracadabra über ein Stückchen harten Kuchen, das er mich zu essen zwang, es muß das ein Zauberwerk gewesen seyn; denn nun mußte ich Alles thun, was er nur wollte, bald laufen, bald hüpfen, bald so, bald so, wie er verlangte, und auf alle Namen, die er mir gab, hörte ich, wie ein gut abgerichtetes Hündchen.–“Nun”, sagte er zu den Andern, “reisen wir nach Gelnhausen, ich zeige die Puppe der kleinen Gackeleia und schwätze ihr leicht den Ring Gockels dafür ab; ich habe schon einen ähnlichen nachmachen lassen, und haben wir den Ring, so haben wir für nichts mehr zu sorgen.”–Nach diesen Worten steckte er mich mit der Puppe in seinen Gürtel, und sie zogen nach Gelnhausen. O ich war froh, zu dir, Gackeleia, zu kommen, ich machte die artigsten Sprünge vor dir, ich dachte, wenn du schlafen würdest, dir Alles zu sagen, und durch die Großmuth deines Vaters nochmals gerettet zu werden; –das Uebrige weißt du, liebste Herzgackeleia!–Jetzt aber werde ich dich bald aufwecken, wir sind nicht weit von der Residenz meines Herrn Vaters, Alles ist gewiß noch in großer Trauer um meinen Verlust, du sollst die Freude sehen, wenn ich wieder komme. Ich muß dir nur noch sagen, daß unsre Stadt nicht ist wie eure Städte, Alles ist ländlich, sittlich; du könntest nicht bequem bei uns wohnen, es ist alles zu eng.–Sieh unsre Stadt ist gegründet worden auf einem ehemaligen Schlachtfeld; der Proviantwagen der Marketenderin und allerlei andere Bagage wurden zerschlagen und geplündert, und das zwar in einer einsamen unwegsamen Gegend. Meine Vorältern waren als freiwillige Mäuse mit den Proviantwagen gezogen, und da nun alles zerstört und die Soldaten fort waren, ließen sie sich dort nieder, sammelten noch andere edle Mäuse, richteten Alles in eine vollkommene Stadt ein, und es wird jetzt von dort aus ein großes Mäusereich regiert. Du wirst dein blaues Wunder an den herrlichen, geschmackvollen Anlagen sehen. Sobald wir dort sind, lasse ich dir ein Blumenbettchen auf unserm Maifeld machen, da legst du dich gleich nieder und schläfst und kannst dann Alles verstehen, was ich sagen und thun werde, um deinem Vater Gockel den Ring Salomonis wieder zu verschaffen.–Jetzt erschrick nicht, ich beiße dich ein bischen ins Ohr, damit du aufwachst; dann nehme ich einen leuchtenden Johanniswurm in den Mund und laufe vor dir her nach meiner Heimath, da folgst du mir, wie einer Fackelträgerin. Glück auf Gackeleia!” Nun biß die Prinzessin Mandelbiß mich ins Ohrläppchen, und ich erwachte.

Schnell packte ich die Kunstfigur und alles Andre wieder in mein Körbchen und rüstete mich zum Abmarsch. Die Mäuseprinzessin machte die lustigsten Freudensprünge mit dem leuchtenden Johanniswürmchen vor mir her durch das Gras, was gut war; denn da der Mond noch nicht aufgegangen, so war es im dichten Wald noch sehr dunkel und ich wußte weder Weg, noch Steg. Ich folgte dem Lichte; aber sie eilte so sehr, daß ich sie oft aus dem Gesichte verlor. Wenn ich dann ängstlich rief: “Mandelbißchen, laß mich nicht im Stiche!” pfiff sie laut und sprang mit dem Lichtchen vor mir hoch aus dem Gras auf, wodurch ich mich wieder zurecht fand.

Als wir ungefähr eine halbe Stunde gegangen waren, hörte ich ein großes Gepfeife und sah um einen Hügel herum die Residenz des Mäusekönigs im Sternenschein liegen, die ich euch gleich beschreiben will. Kaum hatte die Prinzessin sich am Thore der Stadt gezeigt, als es weit aufflog, und ein freudiges Gepfeife durch die ganze Stadt und das oben liegende Schloß sich verbreitete, aus welchem viele weiße Mäuse ihr entgegenstürzten und sie mit großem Jubel empfingen. Sie wollte aber nicht in das Schloß hinein, sondern drehte sich abwechselnd gegen mich und die Ihrigen, welchen sie von mir zu erzählen schien, so, daß alle die Mäuse bald ihre Köpfchen gegen mich aufhoben und allerlei pfiffen, was ich nicht verstand. Da sagte ich zu ihnen: “ihr lieben Mäuse, gleich will ich mich schlafen legen, damit ich eure Gespräche verstehen kann,” und kaum hatte ich das gesagt, als sie auch zu Tausenden anströmten und das zarteste Moos an einem reinen Plätzchen zwischen Blumen zusammen trugen. Ich sah wohl, das dieß ein Bettchen für mich werden sollte, und betrachtete unterdessen die schöne Mäuse-Stadt. Oben auf dem Hügel lag das königliche Schloß, von grossen holländischen Käsen erbaut, die alle auf das reinlichste ausgenagt waren. Alle Thüren und Fenster waren zwar etwas nach altem Geschmack, und nicht ganz gleichförmig vertheilt; doch hatte die Burg ein sehr ehrwürdiges Ansehen; sie war pyramidalisch im perspektivischen Stile erbaut, und ich kann noch nicht begreifen, wie es Mäuse-möglich war, ein so kühnes Werk zu Stande zu bringen.

Rings um das Schloß her und selbst auf seinen Dächern waren die schönsten Gärten von Schimmel angelegt, den ich nie höher und feuchter gesehen habe. Thürme von ausgehöhlten Commisbroden, mit Kuppeln von Flaschen-Kürbissen schmückten das mit Bretzeln und dergleichen verzierte Schloß. Die neuern Häuser der Unterthanen bestanden aus hohlen Kürbissen und Melonen, die sie früher selbst mit Mühe herangewältzt, in der neuern Zeit aber, bei zunehmender Bildung und Industrie, an den Stellen gepflanzt und, wenn sie groß waren, ausgehöhlt hatten. Aeltere adelige und Patrizier-Geschlechter bewohnten alte Reiterstiefel, Patrontaschen, Tornister, Pistolenhulfter, Mantelsäcke, Filzhüte und Lederhelme und was auf dem Schlachtfelde liegen geblieben war; jedoch schienen diese Gebäude der Reparatur zu bedürfen. Einen alten Reutersattel sah ich als Thor oder Triumphbogen zwei Stadttheile verbinden. Alle Gebäude der etwas sehr unregelmäßigen Stadt wurden durch größere und kleinere Anlagen von Schimmel, Pilzen und vielerlei andern Pflanzen umher verschönert. Auch bemerkte ich viele Höhlen in die Erde hinein, die theils Keller und Vorrathskammern waren, theils von einem eigenen Stamm der Feldmäuse bewohnt wurden.

Das Schönste aber von allem war Folgendes: herrlich und kunstreich schaute von einer Höhe eine große gothische Kirche auf die ganze Stadt wie ein Hirt auf seine Heerde herab; ihr Schiff bestand aus einem großen alten Koffer, worüber ein zerrissener Flaschenkorb stand, die beiden Thürme waren aber zwei weißgebleichte Pferdeschädel, welche das Gebiß noch im Maule hatten. Leider war, wie bei den meisten solchen Werken der Stil nicht ganz gleichartig, denn das eine Gebiß war eine Trense das andre eine Stange. Die Thurmspitzen selbst waren mit tausend kleinen Knochensplittern verziert und verspitzt; um die Kirche her breitete sich der Kirchhof aus, Grab an Grab schön geordnet, und mitten darauf ein Beinhaus von lauter Mäusegerippen und Beinchen, weiß wie Elfenbein, in schönster Ordnung zusammengelegt. Etwas tiefer als die Kirche lag ein Bauwerk, das zu den sieben Wundern der Welt gezählt wird, es bestand aus einem Trinkhumpen, der gekrönt von einem Reuterhelm in einer Trommel stand. Man nannte es das Mausoleum, denn hier ist der erste König dieses Volkes Namens Mausolus I. begraben, und seine Gattin Artemisia I. hat es ihm errichtet. Alles das konnte ich nicht genug bewundern, und der Mond schien so hell in die kleine wimmelnde Welt, daß es eine Lust war hinein zu schauen.

Während dem hatten die Mäuschen mein Bettchen und neben mir eines für die Kunstfigur von dem weichsten Moose zwischen Blumen fertig gemacht. Die meisten giengen ihrer Wege, einige konnten aber gar nicht fertig werden, mir gute Nacht zu sagen, und ich war doch von den vielen Anstrengungen so müde, daß ich schier vergessen hätte, wie ich hier bei weltfremden Leuten war; ja, lieber Vater! ich war so in der Empfindung des Schlafes, daß ich glaubte, ich sey bei Mutter Hinkel in Gelnhausen, und ich rieb mir die Augen und hatte schon angefangen, mit weinerlicher Stimme zu sagen: “Mutter, Mutter, Gackeleia ins Bettchen legen, Gackeleia ist müd, müd!”–Da ich aber die Worte der Mutter nicht hörte:

“ja, schlafen gehen, das Kind ist müde, das Sandmännchen kömmt angeschlichen”, besann ich mich und schaute um mich, und sprach mit majestätischer Stimme: “Ich habe die Ehre, Ihnen sämmtlich eine geruhsame Nacht zu wünschen, lassen Sie sich etwas recht Schönes träumen. Sie würden mich unendlich verbinden, wenn Sie sich zurückziehen wollten, damit ich mich schlafen legen kann.” Da aber die dummen Mäuse immer noch verwundert da standen, jagte ich sie endlich mit meiner Schürze nach Haus. Es ist mir nichts Peinlicher, als das lange unentschiedene Zaudern, und doch war ich nun, da ich mich zum Schlafen niederlegte, längere Zeit beunruhiget, daß ich die armen Schelmen so hart angefahren hatte und bat sie in meinem Innern herzlich um Verzeihung. Kaum war ich entschlafen, so versammelte sich die königliche Mäusefamilie mit ihrem Ministerium um mich her, und ich hörte alle die schönen Reden, die sie hielten, an denen nichts auszusetzen war, als daß die kurzen zu langweilig und die langen zu kurzweilig waren. Die Hauptsache war, wie sie der Raugräflich Gockelschen Familie nun schon zweimalige Rettung verdankten. Prinz Pfiffi sagte, als seine Gemahlin in die Gefangenschaft unter die Kunstfigur gekommen, sey er den drei Petschierstechern gefolgt, habe gesehen, wie sie sich den Ring verschafft und sich zu vornehmen, schönen, jungen Leuten gemacht, den Graf Gockel und seine Familie aber in arme Bettler verwünscht hätten. Kurz er wußte Alles, und wollte morgen allein ausziehen, mir den Ring wieder zu verschaffen, was ihm wegen der Uneinigkeit der Besitzer sehr leicht schien. “Nein, nein” rief da die Prinzeß Sissi, “ich will dabei seyn, du bist viel zu ungestüm, wir wollen es zusammen versuchen, und Gackeleia soll auch mitgehn.” Da sprach ich: ja, ja, das wollen wir, und ich verspreche euren königlichen Eltern, wenn ich den Ring wieder erhalte, einen Zentner der schönsten holländischen Käse und einen Sack der besten Knackmandeln, um ihre Residenz neu erbauen zu können, und dazu noch einen Zentner der beßten Schinken zur allgemeinen Belustigung der Nation, und sonst Alles, was dem edeln Volk der Mäuse lieb und angenehm seyn kann. “–“Ach”, rief der alte König aus, “meine liebe Gemahlin sagt mir so eben, daß sie vor ihr Leben gerne einmal Königsberger Marzipan und Thornischen Pfefferkuchen und Jauersche Bratwürste und Spandauer Zimmtbretzeln und Nürnberger Honigkuchen und Frankfurter Brenten und Sachsenhauser Kugelhupfen und Mainzer Vitzen und Gelnhauser Bubenschenkel und Koblenzer Todtenbeinchen und Liestaller Leckerli und Botzner Zelten und dergleichen patriotische Kuchen essen möge.”

“Alles das sollt ihr im Ueberfluße erhalten”, sagte ich, “sobald ich den Ring besitze.”–“Wohlan”, sprach der König, “so mögt ihr morgen mit Tagesanbruch auf das Abentheuer ausziehen. Jetzt aber soll gleich, sobald unsre Rathsitzung geschlossen ist, in die Kirche gezogen werden, um den Segen des Himmels zu erflehen; die fliegende Gensdarmerie soll gleich die nöthigen Anstalten treffen.”–Nach diesen Worten des Königs Mausolus VIII. sah ich viele Fledermäuse geschäftig durch die Stadt hin- und wiederfliegen.

Jetzt trat noch ein fataler Schmeichelredner auf, um den Muth herauszustreichen, mit welchem ich die Ruthe für Prinzessin Sissi ertragen hätte. Ein alter Pair aber unterbrach ihn mit den Worten: “Ehre, dem Ehre, Ruthe, dem Ruthe gebührt! Sie litt nicht weil sie eine Mäusefreundin, sondern eine Spielratze und einst eine Katzenfreundin war; wer weiß, ob sie nicht noch jetzt deren Spionin ist”–dieser Verdacht schnitt mir durchs Herz, so daß ich im Schlafe wie eine Katze zu miauen begann, worauf dem Redner das Wort in der Kehle stecken blieb, und das ganze Parlament über Hals und Kopf auseinanderlief und sich in alle mögliche Wohnungen und Löcher verkroch.

Die Prinzessin von Mandelbiß hatte nach ihrem Zartgefühl mich wohl verstanden, sie blieb bei mir und sagte: “liebe Gackeleia, du hast die Sitzung etwas schnell aufgehoben, aber ich hätte es an deiner Stelle auch gethan; jetzt will ich gleich verkünden lassen, woher das Katzengeschrei kam, dann fällt Alles auf den undelikaten Redner. Vorher muß ich dich bitten, mir die Kunstfigur als Königin gekleidet aufzubinden, denn ich will mit derselben die Prozession begleiten, das wird eine so große Wirkung thun, als das Trojanische Pferd;–ich bringe sie dir nachher wieder, wenn wir nach der Feierlichkeit auf die Eroberung des Ringes ausziehen.” Schnell kleidete ich die Figur nach ihrem Verlangen, heftete sie ihr wieder auf den Rücken und zog die Uhr in ihr auf. Da lief sie so schnell durch die Gassen hin, daß die Mäusekinder, welche sich schon vor der Thüre des Schulmeisters zur Prozession versammelt hatten, nicht wenig über sie erschracken.

Ich war froh, endlich ein wenig Ruhe zu haben, und kauerte mich recht auf meinem Lager zusammen; aber es dauerte nicht lange, da gieng wieder was Neues los. Die Kirchenmäuse liefen auf die Thürme der Kirche und riefen das Volk zum Gebet; sie hatten keine Glocken, und ich glaube darum, daß sie eine Art türkischer Religion haben. Die Fledermäuse, eine Art fliegender Nachtwächter-Gensdarmerie, schwebten über der Stadt hin und wieder und verkündeten, das gehörte Katzengeschrei sey nur im Traume geschehen, die Prozession finde Statt, Prinzeß Mandelbiß trage die schöne Kunstfigur als Königin dabei durch die Strassen u.s.w. Nun hörte ich ein fernes Singen immer näher und näher kommen; endlich verweilte der Gesang in der Nähe meines Lagers, und ich hörte, daß Prinz Speckelfleck ausrief: “hier wird das ganze Lied sanft wiederholt, um der Comtesse Gackeleia den Schlaf zu versüßen.”–Ich hörte nun das folgende Lied, welches von Zeit zu Zeit von dem Chor der vorüberziehenden Mäuseprozession unterbrochen ward.

Kein Thierlein ist auf Erden
Dir lieber Gott zu klein,
Du ließt sie alle werden,
Und alle sind sie dein.
####Zu dir, zu dir
####Ruft Mensch und Thier;
####Der Vogel dir singt,
####Das Fischlein dir springt,
####Die Biene dir brummt,
####Der Käfer dir summt,
####Auch pfeifet dir das Mäuslein klein: ####Herr, Gott, du sollst gelobet seyn.
Das Vöglein in den Lüften
Singt dir aus voller Brust,
Die Schlange in den Klüften
Zischt dir in Lebenslust.
####Zu dir, zu dir u.s.w.
Die Fischlein, die da schwimmen,
Sind, Herr, vor dir nicht stumm,
Du hörest ihre Stimmen,
Vor dir kömmt Keines um.
####Zu dir, zu dir u.s.w.
Vor dir tanzt in der Sonne
Der kleinen Mücken Schwarm,
Zum Dank für Lebenswonne
Ist Keins zu klein und arm.
####Zu dir, zu dir u.s.w.
Sonn, Mond geh’n auf und unter
In deinem Gnadenreich,
Und alle deine Wunder
Sind sich an Größe gleich.
####Zu dir, zu dir u.s.w.
Zu dir muß Jedes ringen,
Wenn es in Nöthen schwebt,
Nur du kannst Hülfe bringen,
Durch den das Ganze lebt.
####Zu dir, zu dir u.s.w.
In starker Hand die Erde
Trägst du mit Mann und Maus,
Es ruft dein Odem: “werde”,
Und bläst das Lichtlein aus.
####Zu dir, zu dir u.s.w.
Kein Sperling fällt vom Dache
Ohn’ dich, vom Haupt kein Haar,
O theurer Vater wache
Bei uns in der Gefahr!
####Zu dir, zu dir u.s.w.
Behüt’ uns vor der Falle
Und vor dem süßen Gift
Und vor der Katzenkralle,
Die gar unfehlbar trifft.
####Zu dir, zu dir u.s.w.
Daß unsre Fahrt gelinge,
Schütz’ uns vor aller Noth,
Und hilf uns zu dem Ringe
Und zu dem Zuckerbrod.
####Zu dir, zu dir u.s.w.

Nach diesem frommen Gesang hielten sie eine kleine Pause, dann stimmten sie in einem rascheren Takt folgende drei Verse an:

Vivat! beim höchsten Schwure
Nicht Puppe, sondern nur
Nach Uhr und nach der Schnure
Die schöne Kunstfigur!
####Von ihrer Zier
####Spricht Mensch und Thier
####Das Vögelein singt,
####Das Fischelein springt,
####Das Bienelein summt,
####Das Käferlein brummt,
####Auch pfeifen alle Mäuselein:
####Die Kunstfigur ist schön allein. Vivat! du feine gute
Prinzessin Mandelbiß,
Die sich mit Heldenmuthe
Aus schlimmem Handel riß.
####Von ihr, von ihr
####Spricht Mensch und Thier
####Das Vögelein singt,
####Das Fischelein springt,
####Das Bienelein brummt,
####Das Käferlein summt,
####Auch pfeifen alle Mäuselein:
####Prinzeß Sissi ist superfein.
Vivat! hoch Gackeleia,
Singt ihr ein Wiegenlied,
Singt Heia und Popeia,
Das Kind ist müd, so müd!
####Von ihr, von ihr
####Spricht Mensch und Thier,
####Das Vögelein singt,
####Das Fischelein springt,
####Das Bienelein brummt,
####Das Käferlein summt,
####Auch pfeifen alle Mäuselein:
####Schlaf’ Gackeleia popeia ein!

Ich erwachte über dem schönen Gesang und hatte schon im Sinn aufzustehen und für die Nachtmusik zu danken, aber ich fürchtete, dann möchten sie kein Ende in ihren Gegenkomplimenten finden, und so hielt ich mich dann mäuschenstille und schien wie eine Ratze zu schlafen, bis die Sänger weiter gezogen waren; dann aber richtete ich mich auf und sah die schönste Procession ein wenig an. An der Spitze gieng die schöne Kunstfigur, umgeben von der königlichen Familie und dem ganzen Hofstaat. Unter den Hoffräulein sah ich eine viel zu große, kuriose Person mitgehen, sie war wie eine Riesin unter ihnen, tanzte mehr als sie gieng, und ihre Stimme paßte gar nicht in den Gesang. Hierauf folgten mehrere fremdartige Mäuse, sie unterschieden sich nicht nur durch Gestalt, Größe und Farbe, sondern auch leider meistens durch ihr nicht sehr erbauliches Betragen; sie guckten viel umher und flüsterten immer sehr angelegentlich unter einander. ich erfuhr später, wer sie waren. Auf sie folgten alle adelichen Geschlechter, worunter das schöne Geschlecht meistens aus weißen Mäuschen von hoher Zartheit und Delikatesse bestand. Alle, von welchen ich bis jetzt gesprochen, trugen Fackeln, aus leuchtenden Johanniskäfern bestehend, welche ihnen die herumschweifenden Fledermäuse hatten einfangen müssen. Hierauf folgten nun die Bürgerlichen und endlich die Landmäuse, alle in ihren National–und Naturalfarben; diese bedienten sich der Splitter von leuchtendem faulem Holze als Fackeln, welche sie im Vorübergehen an einem alten Weidenstumpf abbissen. Ich kann euch gar nicht sagen, wie feierlich sich der Zug der vielen kleinen Lichter durch die Straßen der wunderlichen Mäusestadt den Hügel hinan in den ehrwürdigen Dom hinein schlängelte–es war, als wenn die Funken an einem verglimmenden Zunderlappen hinlaufen; weißt du noch Vater, du sagtest mir manchmal in Gelnhausen am Kamin, “das sind die Studentchen, die aus der Schule laufen”, ich dachte noch an diese deine Rede. Vor der Thüre der Kirche empfieng eine sehr elegante Maus an der Spitze der andern Kirchenmäuse die schöne Kunstfigur und den Hof und geleitete sie in den Dom, den ich nun aus allen seinen Oeffnungen erleuchtet sah; dann vernahm ich einen sanft pfeifenden Gesang, worauf es mäuschenstille ward.–Da nun Alles in der Kirche, und die ganze Stadt todt und stille war, warf ich noch einen Blick auf die seltsamen Gebäude im Sternenlicht. Ach, da wuchs mir das Herz; die Welt ward zu enge, weit ward es um die Seele, meine Locken schienen mir Gefühle und Wünsche, die sich sehnten, im Winde zu spielen, und ich gab sie ihm hin; denn, horch’, jetzt kam auch ein Wehen und regte die Wipfel des Hains auf; sieh, und das Ebenbild unsrer Erde, der Mond, kam da geheim nun auch; die schwärmerische, die Nacht kam, trunken von Sternen und wohl wenig bekümmert um uns glänzte die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen, über Gebirgsanhöhen traurig und prächtig herauf!–Ach! da dachte ich nichts mehr, als wäre nur Vater und Mutter hier, und wenn selbst nur Kronovus hier wäre, daß ich mittheilen könnte, was ich fühle!–ja liebe Eltern, es giebt Eindrücke, die ein armes Kind nicht allein fassen kann, wo es sich anklammern möchte an ein vertrautes festeres Wesen, wie an einen Fels, einen Baum des Ufers, wenn der Strom der Empfindung anschwillt und uns reißend ins weite Meer der Begeisterung dahin tragen will! –nirgends aber ist dieses mehr der Fall, als bei großer Architektur im Mondschein”–da hielt Gackeleia ein wenig in der Erzählung ein, Frau Hinkel schloß sie ans Herz und sagte: “O das ist eine sehr poetische Stelle, o das ist aus meinem Herzen, ja du bist mein Kind, mein herz–und seelenvolles Kind, auch mich hätte einst zu Gelnhausen im Pallast Barbarossa’s im Mondschein der Strom der Empfindung ins Meer der Begeisterung reißend dahin getragen,–aber Vater Gockel war bei mir und so einerlei, daß ich nicht so allerlei empfinden konnte. “-“Bleibe bei der Wahrheit”, sagte Gockel, “du hast doch zweierlei empfunden, du hast an die Fleischerladen und Bäckerladen gedacht und den Schnupfen bekommen. Dir aber Gackeleia, sage ich: ich müßte mich sehr irren, oder du bist eine Schwärmerin mit deinen verschimmelten Käsen, Kürbißen, alten Reuterstiefeln, Sätteln, Patrontaschen und gothischen Kirchen im Mondschein–auch finde ich deine Gefühle im Mondschein nicht kindlich genug ausgesprochen, wärst du damals schon so groß gewesen, als jetzt, so wären dergleichen Redensarten zu verzeihen, aber so warst du ja kaum vor einigen Stunden der Ruthe entlaufen.”–“Vater”, erwiederte Gackeleia, “entschuldiget mich, ich bin durch den Ring Salomonis jetzt wie eine erwachsene Jungfrau und kann nicht mehr Alles so wie eine kleine Gackeleia vorbringen, ich sage als Jungfrau, was ich als Kind gefühlt, und gewiß, Vater, als Kind habe ich nur anders gesprochen.”

“Gott, lasse dich immer weise, immer ein Kind zugleich seyn,” sagte Gockel, “aber erzähle weiter, damit wir aus der kuriosen Stadt herauskommen–jetzt, wo du den Ring Salomonis hast, brauchst du in dem sehnsüchtigen Strom der Empfindung nicht mehr herum zu patschen–jetzt heißt es, dreh’ den Ring, und du wirst so viel Bäume am Ufer der Sehnsucht haben, daß du Kohlen daraus brennen kannst und zuletzt ausrufen mußt: “ach, es ist Alles, Alles einerlei! o Eitelkeit der Eitelkeiten und Alles Eitelkeit, spricht der weise Salomo selbst und sein Siegelring wird ihm nicht widersprechen”–aber erzähl weiter Herz Gackeleia!”

“Ja”, fuhr Gackeleia fort, “wie ich mein Herz so groß, meine Seele so weit fühlte, erkannte ich wohl, daß jedes Geschöpf der Eitelkeit unterworfen begehret und verlanget und immerfort seufzet und sich quält; so gieng ich umher und schaute in alle Winkel, ob gar kein Wesen da sey, dem ich mein Herz auspacken könne, und sang dabei stille vor mich hin:

“Mutter-seelig ganz allein,
Wie der stille Mondenschein
Schauet in die Stadt hinein,
Muß die Gackeleia klein
In der weiten Welt noch seyn,
Wie ist Alles klar und rein,
Wie ist Alles licht und fein,
Wie ist Alles im Verein
Zwei und zwei, und mein und dein;
Aber ich, ich bin allein,
Mutterseelig ganz allein!”

Da hörte ich einige Schritte von meinem Moosbettchen entfernt einen dumpfen Ton, wie von leisem, verstecktem Katzengeschrei, was mich für die frommen Mäuse sehr besorgt machte; ich schlich mich leise hinzu und fand, von Distel und Dornen überwachsen, eine alte, leere Pulvertonne dort liegen, das Spundloch war gegen mich gekehrt, der Mond schien hinein–ich guckte auch hinein–ach liebe Eltern! ich sah etwas so Entsetzliches, daß mich der Schrecken wie mit einer Gänsehaut überzog; in der alten Pulvertonne, deren einer Boden fehlte, saßen fünf junge Kater, in welchen ich zu meinem größten Schrecken–ach, sie waren mir nur zu bekannt geworden:–die fünf Söhne Schurrimurri’s, Mack, Benack, Gog, Magog und Demagog, erkannte. Sie waren also der Hinrichtung entgangen–ihre Mutter Schurrimurri aber hatte ihre Strafe erlitten, denn sie saßen um deren Todtenkopf herum, der in einer alten Alongeperücke lag.–Mack schien eine heftige Rede zu halten, aber nur leise, leise, alle machten große Buckel, spreitzten die Haare, und schlugen einander den Pelz mit ihren Schweifen, daß Feuerfunken umher flogen; manchmal konnten sie ihren Grimm nicht ganz unterdrücken und ließen ein dumpfes Murren und Wimmern, wie ein unterirdisches Erdbeben, hören, wobei sie ihre weitvorgestreckten Krallen auf dem Todtenkopf, wie Dolche, wetzten. Das Ganze hatte vom Monde im Faß beleuchtet etwas höchst Gräuliches, Tückisches; mir war, als sehe ich in die Hölle, und unwillkührlich kam mir in die Seele, das ist eine Verschwörung, eine Meuterei, rette deine Freunde, die frommen Mäuse! Diese Verbrecher sind schon gerichtet, sie dürfen ihrer Strafe nicht entgehen.–Ich besann mich nicht lang, erwischte das Fäßchen beim hinteren Ende und stellte es aufrecht, so daß es wie eine Glocke über der ganzen Verschwörung stand; das junge Katzenellenbogen war gefangen, und das Spundloch stopfte ich mit einem Stück Rasen zu. Ich legte noch soviel Steine auf das Faß, als ich in der Eile rings finden konnte, damit die Gefangenen es nicht umwerfen möchten, und begab mich mit dem Gefühle, eine edle Handlung gethan zu haben, nach meinem Moosbettchen; ich horchte noch ein Bischen nach dem Faße hin, aber sie hielten sich ganz stille, und so deckte ich mein Schürzchen über die Augen, zuckte ein Bischen und schlief einen süßen Schlaf ein.

Nach einer Weile träumte mir, die Prinzeß Mandelbiß komme wieder mit der schönen Kunstfigur zu mir und sage mir ins Ohr: “Gackeleia, mache mich los und lege die Kunstfigur neben dich in ihr Bettchen, sie wird wohl so müde seyn wie ich, ich will mich in deine Locken an dein Oehrchen legen und dir alles erklären, was du bei der schönen Prozession gesehen hast und wie unser Hofredner Muskulus so herrlich gesprochen hat.”

Ich that halb träumend, wie sie verlangte, dann legte sie sich in meine Locken und plauderte mir wie ein Schlafkamerädchen ins Ohr; da habe ich dann Alles folgende gehört: Die große, seltsame Person, die mir unter den Hoffräulein der Prinzeß Sissi so sehr gefallen, war eine vornehme Bergmaus, die Marquise Marmotte, welche, aus der Gefangenschaft eines Savoyardenbuben entflohen, hier bei Hof eine anständige Gelegenheit abwartete, wieder in ihr Vaterland zurückzureisen. Sissi war nicht gut auf sie zu sprechen, denn Prinz Speckelfleck hatte sich zu oft nach ihr umgeschaut und sie allzusehr gelobt, was sie bei keinem Menschen recht leiden konnte. Er bewunderte ihren Tanz, ihre schönen Träume und vor Allem ihre artigen Vorderpfötchen.–Sissi, blind für alle diese Vorzüge, sagte:

“Vorderpfötchen! es ist mir schier lächerlich! in allen Naturgeschichten steht von den Murmelthieren: ihre Vorderfüße haben vier Zehen und einen sehr kurzen Daumen, die Hinterfüße fünf; aber, daß dieses schön sey, das steht nirgends!–Wie mag sie sich nur eine Maus nennen? ihrer Größe nach könnte sie eben so gut Bergbär als Bergmaus heißen; diese Marquise Marmotte hat einen großen, runden Kopf, Nase und Lippen wie ein Hase, Haare und Klauen wie ein Dachs, unbedeckte Zähne wie ein Biber, einen Schnurrbart wie eine Katze, Augen wie ein Siebenschläfer, Pfoten wie ein Bär, einen kurzen Schweif und gestutzte Ohren. Wenn man ihr schön thut, so knurrt sie wie ein Hündchen. Was ist Schönes hieran? ihr Tanzen und Purzeln ist ihr von dem Savoyarden mit Hunger und Schlägen eingequält, und schläft man, wie sie, vom Oktober bis in den April, so hat man allerdings Zeit, sich etwas Schönes träumen zu lassen.” Jene, welche ich in der Prozession so viel umherschauen und untereinander plaudern gesehen, waren die Abgesandten von mancherlei fremden und ausländischen Mäusegeschlechtern und Arten, welche sich hier am Hofe befinden, Bündnisse abzuschließen, Gratulationen abzustatten und sich Erfahrungen mitzutheilen, wie den Katzen, Eulen, Geiern und andern Mäusefeinden zu entgehen sey, auch theilten sie sich Warnungen vor gelegtem Gift und Gegenmittel und Nachrichten von neu erfundenen Mausfallen mit. Eine unter diesen Standespersonen hatte der Prinzeß Sissi ganz besonders gefallen, er war mit einem Schiffe über See sehr weit her, von den Antillen gekommen, um zu hohen und allerhöchsten wohlthätigen Zwecken eine Collekte zu machen, er hatte die Gestalt einer großen Ratte, trug einen schwarzen Frack und weiße Unterkleider. Er hieß Herr Piloris, und Sissi behauptete, er habe durch seinen Moschusgeruch die ganze Prozession erbaut und sehr wohlthätig auf ihre schwachen Nerven gewirkt. Die übrigen Abgesandten waren von den Spitzmäusen, Bergmäusen, Waldmäusen, Wurzelmäusen u. dgl. Sie plauderten in der Kirche und bei der Prozession von der Rettung der Prinzeß Sissi und besonders von der Hinrichtung der Katze Schurrimurri und ihrer Jungen, äußerten sich alle aber sehr bedenklich über ein umlaufendes Gerücht, daß die fünf verwegenen Söhne der Schurrimurri der Hinrichtung durch Einverständniß mit den Söhnen des Scharfrichters entgangen seyn und unter dem Nahmen des jungen Katzenellenbogens eine höchst gefährliche Verschwörung, angeblich zur Rache ihrer Mutter, eingegangen haben sollten; ihre Absicht aber sey eigentlich gegen das edle Mausgeschlecht, gegen Hühner und Vögel; die Eulen seyen bereits für sie gewonnen, ebenso die Füchse, mit den Wieseln unterhandelten sie, man müsse sehr auf seiner Hut seyn u.s.w.–Sissi erzählte mir dieses Gerede der ausgezeichneten Staatsmäuse mit großer Bangigkeit;–o wie froh war ich, ihr versichern zu können, obgleich jenes Gerücht gegründet, sey dennoch gar nichts von diesen Verschwörern zu befürchten. Sissi erzählte mir auch noch den Inhalt der Rede, welche der edle Hofredner Muskulus im Dome gehalten. Er sprach über Mann und Maus, Menschheit und Mausheit, Menschlichkeit und Mäuslichkeit, Menschenmöglichkeit und Mäusemöglichkeit. Er erwähnte den Verstand der Mäuse, welche stäts von jeder Speise das beste Theil erwählen; ihre Großmuth, weil sie trotz ihrer Blödigkeit vor allen Thieren ein sehr großes Herz haben; ihre Dankbarkeit, wie sie den Löwen aus dem Netze befreit; ihren Heldenmuth, weil sich der Elephant fürchtet, sie möchten ihm in den Rüssel schlüpfen; ihren prophetischen Geist, weil sie ein Haus verlassen, ehe es zusammenstürzt. Er sprach von der Ehrfurcht der Ratzen gegen ihre Eltern, welche, wenn sie alt sind, von den Jungen gefüttert werden. Er erwähnte die große Nächstenliebe der Mäuse, welche, wenn eine in eine Grube gefallen ist, sich einander in die Schwänze beißend, eine Kette bilden, um ihre verunglückte Nebenmaus aus der Grube zu ziehen. Er sagte, wie thöricht bei all diesen großen Eigenschaften die Fabel sey: ein Berg habe gebären wollen, und eine lächerliche Maus sey hervorgekommen; er führte die Mäuse als Werkzeuge Gottes in den Aegyptischen Plagen, und bei dem geitzigen Hatto von Mainz an, den sie gefressen, obschon er sich auf den Mausthurm mitten in den Rhein geflüchtet. Er sprach auch von der Holdseligkeit der Mäuse, daß sogar die Menschen ihre artigsten Kinder: “kleine Maus, liebes Mäuschen,” nennen. Er erwähnte, daß die Mäuse das feinste Gehör außer den Eseln haben. Aber auch vom Uebermuth der Mäuse sprach der edle Muskulus, er sprach: wenn die Maus satt ist, schmeckt ihr das Mehl bitter. Er sprach von gefährlichen Zeiten, und daß die Mäuse, welche auf dem Tische herumtanzten, wenn die Katze nicht zu Hause sey, sich nicht so mausig machen, sondern bedenken sollten, daß die Katze das Mausen nicht lasse. Dann flehte er noch den Segen des Himmels auf das edle Vorhaben der Prinzessin Mandelbiß und des Prinzen Speckelfleck herab und forderte sie auf, das Sprichwort wohl zu überlegen:

“Zu bedauern ist die Maus,
Kennt sie nur ein Loch im Haus;
Aber ins Verderben rennt
Jene, die gar keines kennt,”

und nun setzte der gelehrte Muskulus hinzu, wie er bei seinen Studien eine halbe Bibliothek durchfressen und wie trefflich ihm endlich die schöne Stelle des heidnischen Komödienschreibers Plautus geschmeckt habe:

“Bedenk’ die Weisheit der kleinen Maus, Sie hat viel Thüren in ihrem Haus,
Sperrst du ihr einen Schlupfwinkel zu Flieht sie zum andern und sitzt in Ruh’.”

Als der Klingelbeutel in dem Dom herumgieng, hielt der edle Muskulus noch eine rührende Auslegung des tiefsinnigen Wortes: “er ist so arm wie eine Kirchenmaus,” welche den ganzen Klingelbeutel mit Waitzenkörnern so reichlich füllte, daß die Marquise Marmotte genug zu thun hatte, ihn herum zu schleppen, wenn gleich der duftende Herr Piloris ihr dabei den Arm gab.

So erzählte mir Prinzeß Sissi Alles, daß ich es eben so gut wußte, als wenn ich in der Rede des edlen Muskulus geschlafen hätte.–Ich dankte ihr herzlich dafür und sagte ihr: “Liebste Sissi, ich bin glücklich, daß sich unsre Herzen gefunden haben und daß wir uns du nennen–ach so kann ich auch alle meine Leiden in deinen schwesterlichen Busen ausschütten; ach ich muß dir zu meiner großen Beschämung gestehen, es ist mir so sehnsüchtig um’s Herz, ich sehne mich nach einem Gegenstand, den ich freßlieb haben könnte, es ist mir so leer, so leer, ich möchte Alles verschlingen; ich müßte mich sehr irren, oder ich habe einen ganz abscheulichen Hunger, denn seit ich das Birkenreis geschmeckt, habe ich nichts mehr über mein Herz gebracht, als einige Wald-Erdbeeren; Sissi, schaffe mir etwas zum schnabelieren, oder ich sterbe aus Sehnsucht.”–Da erwiederte Sissi: “Herz Gackeleia! du hast ja noch eine halbe Bretzel und einen halben Bubenschenkel in deinem Körbchen;” aber ich entgegnete: “das sind Dokumente, und ich wollte eher verhungern, als Dokumente essen.” “Wohlan,” sagte Sissi, “ich will sehen, was ich dir auftreiben kann,” da pfiff sie einige Mal, worauf eine Fledermaus zu ihr heranflog, welcher sie den Auftrag gab: die reinsten Schulmauskinder sollten augenblicklich Beeren pflücken und auf grünen Blättern mir zu Füßen legen–eben so solle sie den anwesenden Geschäftsträger der Haselmäuse, den wohlriechenden Chevalier Muscardin in ihrem Namen um eine Portion Haselnüße bitten und diese hieher besorgen, überhaupt möge sie Alles, was sie von menschlichen Eßwaaren auftreiben könne, ohne großes Aufsehen zu machen, so schnell als möglich herbeischaffen. –Die Fledermaus machte ihr unterthäniges Kompliment und flog von dannen.–Schon nach einigen Minuten bemerkte ich eine große Thätigkeit: die Mäuse schleiften ein altes, rund genagtes Trommelfell auf den Rasen in meine Nähe und deckten mehrere große Pilze, die wie kleine Tische umherstanden, mit Blättern und trugen allerlei Eßwaaren darauf zusammen.

Nun sprach ich zu Sissi: “Höre mich an, du bist besonnen und klug, was ich dir sage ist wahr, was ich verlange, mußt du thun, sonst seyd ihr Alle verloren, Aufsehen muß vermieden werden, damit kein unnöthiger Schrecken das schüchterne Volk verwirrt. Sieh dort die kleine Pulvertonne aufgerichtet und mit Steinen belegt: Mack, Benack, Gog, Magog und Demagog, die fünf Rädelsführer des jungen Katzenellenbogens, welche darin in einer Alonge-Perücke ihre Krallen auf einem Todtenkopf zu eurem Untergange gewetzt haben, wurden von mir darunter gefangen, ich habe ihre Loge gedeckt und die Pulververschwörung, das Spundloch der Hölle, verstopft. Gehe gleich mit deinem Gatten, Prinz Speckelfleck, zu deinem königlichen Vater Mausolus VIII., zeige es ihm an, und sage ihm, er solle eilend befehlen, daß alle Mäuse und den Mäusen Befreundete ohne Ausnahme Lehm, Erde und Rasen zu dem Fasse hintragen und es rund damit umgeben, bis es ganz ummauert eine Pyramide wird. So eingeschlossen werden sie einander selbst zerreißen und ihr werdet euch durch euer frommes Gebet gerettet finden.–Dem Volke soll gesagt werden, das Ganze sey ein Monument zum Andenken meiner Anwesenheit und deiner Rettung und heiße Gackeleioeum, ein Gegenstück zu dem Mausoleum. Er soll nur sein Volk, aber keine Maurer daran arbeiten lassen, denn die da drinnen dürften nur einmal rufen: “Mack,” und die draußen antworten:

“Benack,” so wäre Alles verrathen.–Eile, es ist keine Zeit zu verlieren, der Bau muß fertig seyn, wenn ich deinem Vater die versprochenen patriotischen Backwerke schicke, welche bei der Einweihung das Fest verherrlichen können. Mache deinen Bericht kurz und kehre schnell mit Prinz Speckelfleck zurück, damit wir inkognito fortreisen.”

Ich bewunderte die Gemüthsfassung der hochherzigen Prinzessin Sissi: ein Blick des Entsetzens gegen die Pulvertonne, ein Blick des Dankes gegen mich, ein Blick der Hoffnung gegen den Himmel war alles, was sie erwiederte, und sogleich lief sie in der größten Eile zu dem königlichen Käsepallast hinauf. Der Hunger weckte mich nun, ich näherte mich der von den Mäusen zusammengetragenen Mahlzeit, da fand ich auf dem Trommelfell eine kleine Melone, welche die Marquise Marmotte selbst herangewälzt hatte; der Chevalier Muskardin hatte nicht nur ein halb Hundert der schönsten Haselnüße eigenmaulig heraufgetragen, sondern auch aufgeknackt; die Schuljugend hatte einen Haufen Erdbeeren und Heidelbeeren herbeigetragen und in Nußschaalen sehr artig angerichtet, eine Speckmaus hatte einen gewaltigen Flug gethan und mir einen ganzen frischen Bubenschenkel aus einem Bäckerladen und ein Würstchen aus einem Fleischerrauchfang von Gelnhausen gebracht, Dank dem edlen, biedern, deutschen Herzen! an ihm wird die alle edlen Anstrengungen so sehr beachtende Familie der Mausoleer das Sprichwort wahr machen: “dem Verdienste seine Kronen.” Ach! wie rührend war es, als nun noch ein gemüthvoller, junger Igel von der schönsten Haltung zu mir heran rasselte, wie ein ganzer Rüstwagen; er hatte sich in einem benachbarten Ort unter den Borstorfer Aepfelbäumen gewälzt und alle herabgefallenen Aepfel auf seinen Stacheln aufgespießt, die ich ihm dankbar herabnahm, worauf er sich schweigend empfahl. Er war etwas melancholisch, denn er war verkannt, sein Geschlecht gehört zu den Feinden der Mäuse, aber er hatte seine Natur besiegt und lebte in einsamer Betrachtung als philosophischer Wohlthäter und Mäusefreund unter ihnen von dem schönen Herzen der geistvollen Prinzessin Sissi geschätzt. Ich aß nun im Zwielicht (denn der Mond war untergegangen und es dämmerte im Osten) ohne große Wahl, was mir unter die Finger kam, lustig hinein, Alles, Alles schmeckte köstlich–o da kam erst das Beste!–ach es raschelte etwas neben mir und es rollte etwas in mein Schürzchen, ich fühlte, es war ein Ei, ich hielt es neugierig dem ersten Strahle des Tages entgegen–es war schwarz mit einem schönen Vergißmeinnicht bemahlt, ringsum standen die Worte: “Vivat Gackeleia,” ich schüttelte es, ach es rasselte Geld darin; wie ein Blitzstrahl durchfuhr es meine Seele: es ist das Ei meines lieben Kronovus, das er für mich alle Wochen mit seinem Taschengeld hinten an den Entenpfuhl verstecken wollte! meine Freude war unaussprechlich–aber wer ist der wohlthätige Sterbliche, der mir diese höchste Freude gemacht? dachte ich und sprang auf und rief aus: “o mein heimlicher Wohlthäter entziehe dich meinem Danke nicht!” aber ich hörte es fern weg eilen, und ein wundersüßer Moschusgeruch drang mir entgegen. Da wurde es mir klar, und ich rief ihm nach: “du bist es edler Piloris, fernher pilgernden Menschenwohlbezwecker im schwarzen Frack und weißen Unterkleidern, der Wohlgeruch deiner schönen Handlungen verräth dich!”

“Ja, liebe Eltern,” unterbrach sich hier Gackeleia, “ich hatte mich nicht geirrt, diese edle Moschusratte Piloris war es gewesen. Sissi, der ich von dem Ei des Kronovus erzählte, hatte ihm schon in der Kirche zugeflüstert, welche große Freude es ihr machen würde, wenn sie meine Wohlthaten gegen sie mit diesem Eie belohnen könnte. Piloris, so hohes Interesse er auch an der Rede des edlen Muskulus hatte, verließ sogleich den Dom und eilte, ohne sich umzusehen, nach der Eierburg an den Entenpfuhl und brachte dies Ei, welches Kronovus seinen Worte getreu mit 1 Gulden 30 Kreuzer beschwert dort hin versteckt hatte.”

Gockel und Hinkel sahen das Ei mit großer Rührung an, die beiden Mäuschen kamen herbeigelaufen und tanzten lustig umher, als gäben sie ihren Beifall. Frau Hinkel aber sagte: “erzähle weiter Gackeleia, damit du einmal von all dem Ungeziefer wegkömmst” und Gackeleia fuhr fort:

Gleich werde ich davon weg seyn, um zu noch viel ärgerm Ungeziefer zu kommen. Ich hatte mich pumpsatt gegessen, ich packte die Puppe–nein die nur eine schöne Kunstfigur–in mein Körbchen, ich legte mein liebes Ei, einige Aepfel und Haselnüße und den halben Bubenschenkel, der noch übrig, hinein und auch das Würstchen und von dem Moos meines Lagers; kaum war ich fertig, da kam Prinz Speckelfleck und Prinzeß Mandelbiß und hüpften in das Körbchen und pfifferten allerlei, was ich nicht verstand–aber es mußte wohl heißen, daß meine Sendung ausgerichtet sey, denn ich sah das Andringen von unzähligen Mäusen mit Erde und Rasen durch alle Straßen und Schluchten in solcher Menge, daß ich mich auf die Höhe vor den Dom retirirte, um keinen der Arbeiter zu zertreten. Es war ein wunderbarer Anblick, viele strömten gegen die Pulvertonne hin und bissen die Dornen und Disteln rings weg, andere wühlten Erde und Lehm auf, andere benetzten sie und machten Klumpen daraus, dann legten sich Ratzen und Mäuse auf den Rücken und faßten die Erde mit den Füßen, und die andern zogen sie bei den Schweifen wie beladene Wagen fort. Vor allen zeichnete sich die Marquise Marmotte aus, sie hatte einen Klumpen Rasen, größer als ein Backstein, zwischen ihren Pfoten, der Chevalier Muskardin und der edle Piloris spannten sich vor und zogen sie bis an die Pulvertonne; der edle Igeljüngling war auch mit Rasenstücken bedeckt und trug sie hinauf.–Ich segnete die liebe Mäusestadt und eilte mit meinen zwei Mäuschen und sieben Sächelchen im Korbe dem Walde zu.

Ich zog über Berg und Thal und fragte vergebens nach euch, liebe Eltern; manchmal ließ ich bei Bäckerläden meine Kunstfigur vor den Kindern herumtanzen und der Bäcker gab mir gern ein Brödchen zur Belohnung. So fristete ich mein Leben. Wir zogen um Gelnhausen herum, denn ich fürchtete den Bettelvogt, Meister Schelm; da ich aber die Hahnen dort krähen und auf den Thurmspitzen in die Ferne blinken sah, ward mir es recht schwer ums Herz, und wenn etwas im Gebüsch raßelte, guckte ich um und meinte immer das Prinzchen Kronovus käme vielleicht auf seinem Schimmelchen zur Jagd geritten. Aber, wer nicht kam, das war er. Da ich nun einige Stunden weiter, nahe bei einer ganz herrlichen Stadt, reisemüd an einem Bächlein niedersaß und mich im Wasser beschaute, mußte ich mich recht schämen, ich hatte vergessen, mich am Morgen meiner Abreise und am folgenden Abend zu waschen und sah nun, daß ich Mund und Nase ganz schwarz von den vielen Heidelbeeren hatte, die ich in der Mäusestadt im Dunkeln gegessen hatte. Nun wußte ich erst, warum die Kinder überall mich ausgelacht hatten, und ich war recht froh, daß Kronovus mich nicht so schmutzig gesehen hatte. Geschwind wusch ich mich und erfrischte mich durch und durch. Ich aß auch ein Bischen mit meinen Mäuschen, und da es sehr heiß gewesen, war ich schläfrig und legte mich vom Gebüsch versteckt auf den weichen Rasen und schlief. Da kam Prinz Speckelfleck an mein Ohr und sagte mir:”Wir sind am Ziel unserer Reise, wir haben die herrliche Hauptstadt Urbs des Weltreichs Orbis vor uns. Hier ist der Ring deines Vaters, hier wohnen die morgenländischen Petschierstecher; als sie mir Sissi entführt, bin ich ihnen bis hieher gefolgt, wo sie hingiengen, weil Alles, was Salz lecken kann, hier frei und ungestört leben darf. Sie sind immer in Angst vor allen Menschen und vor einander selbst. Sie fürchten des Ringes halber getödtet zu werden; damit man nun nicht merken möge, wo ihr großer Reichthum herkömmt, haben sie hier die großen Salzbergwerke gekauft und sind Salzverschwärzer, Salzversilberer, Salzjunker und endlich Salzgrafen geworden; sie haben sich einen salzgräflichen Pallast erbaut, sie sagen, daß sie Gold machen können; aber Alles ist durch den Ring Salomonis. Trage mich und Sissi nur gleich in die Kirche und bete einstweilen, daß Gott uns hilft, so wollen wir den Ring bald erwischen. So gern ich und Sissi und alle Mäuse Salz lecken, brauchen wir doch kein Scheffel Salz mit diesen kuriosen Grafen zu essen, bis wir sie kennen lernen.”

Nach diesen Worten wachte ich auf und trug die Mäuschen geschwind, geschwind in meinem Korb in die Kirche nach Urbs; der Gedanke, dem lieben Ring so nah zu seyn, lehrte mich so schnelle zu laufen, als da ich die Puppe und mich die Ruthe verfolgte.–O liebe Eltern, welche Kirche! welches Wunder der Architekto-Natürlichkeit, der ungeheure große gothische Säulenwald mit unzählichem Schnitz-, Spitz-, Glitz-, Blitz-, Ritz-, Kritz–und Spritzwerk im vorgothischen und hintergelnhausenschen Spitzbubenschenkel-Katzenellenbogen-Styl übertraf das Unerhörte.–Alles, alles war von Salz, die Kirche war ein Salzkrystall, die Fenster waren Salzscheiben, die Kanzel war ein Salzfaß; das Merkwürdigste aber war die Erbauung dieser Kirche: ein eifriger Mann hatte hier vom Krystalismus predigend gesagt: wer die Hand an den Pflug gelegt, der solle sich nicht mehr umschauen, die Weiber sollten an Loths Weib denken, die durch das Umschauen in eine Salzsäule verwandelt worden; “ach!” rief er aus, “wollte Gott ein Wunder zur Erbauung der Kirche thun, an eurem Umschauen fehlt es nicht, so hätten wir einen Wald von Säulen, ehe man sich umsieht, um eine Kirche darauf zu stützen.” In demselben Augenblick kam die Frau Salzinspektorin mit einem neuen Hut in die Kirche, da schauten sich um alle Fräulen und dienten verwandelt in Säulen zur allgemeinen Erbauung der Kirche im gothischen Styl, denn in diesem Styl war der Hut der Frau Inspektorin. So wurde die Kirche zwar sehr schnell, aber doch nicht, ehe man sich umsah, erbaut. Als ich in das Salzmünster hineintrat, verließ eben nach der Nachmittags-Predigt der Redner die Kirche, aber ich versäumte nichts, die Kirche ist echoistisch gebaut, der Redner braucht nur ein paar Worte zu verlieren, so werden sie sogleich von Frau Echo, der unverbesserlichen Widerbellerin, aufgeschnappt und eine halbe Stunde lang zwischen den Säulen herumgehetzt und geschleudert, und so lief auch jetzt zwischen allen Salzsäulen die Rede umher: “so gut auch das Salz sey, wäre es doch mißlich, wenn es dumm werde, man habe Nichts, um es zu salzen und es mache weder das Feld noch den Mist besser. “–Ich kniete in ein Winkelchen und betete herzlich um die Hülfe Gottes; nicht weit von mir kniete eine prächtig geputzte Köchin, und neben ihr stand ein von Makaroninudeln geflochtener Gemüskorb, auf welchem mit goldenen Buchstaben stand:
“salzgräflich-Salomon-Salabonischer Salatkorb.” Sissi und Pfiffi merkten gleich, daß dieses die Köchin der drei morgenländischen Petschierstecher sey, sie schlupften in den Korb und ließen sich von ihr in den salzgräflichen Pallast tragen. Als ich nun in der Kirche einsam und allein war, vernahm ich durch das geschäftige Echo jedes Gebet, jedes Flüstern und Seufzen der Umherknieenden; der Eine betete: “ach Gott! befreie uns von dem Hoffaktor Salzgraf Salathiel Salaboni, er ist schuld, daß das Salz so dumm und theuer geworden;” der Andere: “befreie uns von dem Commerzienrath, Salzgraf Salomon Salaboni, er ist schuld, daß die Salzkukummern so kümmerlich schmecken und so klein sind;” der Dritte seufzte: “ach hilf uns aus dem Salz des Elendes, befreie uns von dem Hoflieferanten, Salzgraf Salmanasser Salaboni, er versalzt uns alles Leben, füllt unsere Augen mit gesalzenen Thränen und fegt unsre Beutel aus dem Salz!”–Da betete ich dann auch so recht von Herzen, Gott möge mir wieder zu dem Ringe helfen, weil die drei Morgenländer doch keinen Menschen damit glücklich machten.–Da es aber in der Kirche so hübsch stille und kühl war, überfiel mich ein leiser Schlummer, und ich hatte schier so lange geschlafen, daß mich der Küster in die Kirche eingesperrt hätte; aber Sissi kam gerade zur rechten Zeit und flüsterte mir in die Ohren: “geschwind Gackeleia, geh mit mir aus der Kirche; hörst du? der Küster rasselt schon mit den Schlüsseln; geh mit mir, du sollst selbst sehen, wie wir den Ring erwischen, wir haben die beste Hoffnung.” Fröhlich nahm ich nun die kleine Maus in mein Körbchen und gieng mit ihr nach dem Schlosse der Petschierstecher. Als wir an die Gartenmauer kamen, sprang Sissi an die Erde und zeigte mir den Weg. Die Sonne war im Begriff unterzugehen. Ich gelangte hinter ein artiges Lusthaus, Krystalline genannt, wo ich auf den Kübel eines Orangenbaumes stieg und durch eine Spalte im Fensterladen Alles sehen und hören konnte, was im Gartenhaus vorgieng.

Die drei Salzgrafen saßen jung und glänzend mit wohlakkomodirten Perücken in verschiedenen alamodischen kuriosen Uniformen um einen Tisch, in dessen Mitte der köstliche Ring Salomonis lag und stritten miteinander, wer den Ring am Finger tragen und wünschen sollte; sie nannten sich Commerzienrath, Hoffaktor, Hoflieferant untereinander und jeder wollte nicht mehr so heißen, jeder wollte den Salzgrafentitel haben; der Eine schrie: “einer muß der Erste seyn,” die Andern schrien: “das geht nicht, wir sind Drillinge, wir sind eine große Merkwürdigkeit, keiner geht vor dem andern;” da schrie der Eine wieder: “ich habe die Maus gefangen und unter die Puppe geheftet, wodurch wir der Gackeleia den Ring abgelockt, ich muß ihn haben, wem ich was wünschen soll, der bringt mir einen vollwichtigen Gockelsd’or, da wünsche ich ihm Etwas, wie gerade der Kurs steht.”–“Wie kömmst du mir vor?” sprach der Andere, “habe ich doch den falschen Ring gemacht, der für den ächten dem Gockel an den Finger gesteckt ward, ich muß den Ring haben!”–“Was soll mir das?” schrie der Dritte, “habe ich doch die Puppe gekleidet und tanzen lassen und die große Arie gedichtet und abgesungen von der großen Garderobe, habe ich doch der Spielratze die Puppe aufgeschwätzt, den Ring abgeschwätzt und euch den Ring gebracht, mein muß er seyn!” Da sie aber gar nicht einig werden konnten und lange geschrieen und gezankt hatten, weil immer der Eine fürchtete, der Andere möge ihm den Tod anwünschen, wenn er den Ring am Finger habe, griff endlich der Eine mit solcher Heftigkeit nach dem Ring, daß er den Tisch umstieß, und dieß machte sich der Andere zu Nutz und ertappte den an die Erde gefallenen Ring, steckte ihn an den Finger und drehte und schrie:

“Salomon du weiser König,
Dem die Geister unterthänig,
Mach’ zwei Esel aus den Beiden,
Die in diesem Garten weiden,
Ringlein, Ringlein dreh dich um,
Mach’s geschwind, ich bitt dich d’rum.”

Während er dieses mit der größten Eile hergeschnattert hatte, rissen die Beiden Andern ihn hin und her; aber es währte nicht lange, so waren sie Beide zwei dicke, häßliche Esel, und er nahm einen Prügel und trieb sie aus dem Gartenhaus hinaus, das er hinter ihnen verschloß. Sie schrieen und bissen sich unter einander noch eine Weile, fiengen aber bald an, sich in ihre neue Natur zu schicken und Trauben und Disteln durcheinander zu fressen.

Ich guckte wieder in das Gartenhaus, da wollte sich der, welcher den Ring hatte, schier bucklicht lachen, weil er seine Gesellen endlich so sauber angeführt. “Gott sey Dank,” sagte er, “nun kann unser eins doch einmal ruhig ausschlafen, ohne die Gefahr, daß der andre ihm den Tod wünscht.” Nach diesen Worten schaute er sich lachend im Spiegel an und hängte seinen Federhut auf die Spitze einer wunderbaren Kaktuspflanze, die an der Wand blühte. Der Ankaufspreis stand auf dem Topf. Die Perücken und Hüte der zwei andern lagen noch an der Erde, wie auch ihre Stühle. Nun lehnte er sich breit in seinen Prachtstuhl, stellte die Füße auf einen Schemel und sprach: “reich zum zahlen, klug zum prahlen, schön zum malen–was fehlt mir noch, ich will berühmt werden–da fällt mir was ein–ich will den Namen Pictus, Salzgraf von Orbis annehmen, und will einen neuen Orbis Pictus herausgeben, da sollen alle unbefriedigten Wünsche der Welt nach dem ABC darin abgemalt werden, und ich will sie mir alle mit dem Ring befriedigen von A bis Z–aber Alles, Alles mit Geschmack und Kunstgefühl–poetisch, sympathetisch, magnetisch”–und nun fieng er an, bald tüchtig zu schnarchen.

Nun ist es Zeit, dachten Pfiffi und Sissi und schlupften beide durch ein Loch in das Gartenhaus. Ich wendete kein Auge von dem Schlafenden und dem Ring an seinem Finger; ach, er hatte eine Faust gemacht, und der Ring schien sehr schwer zu bekommen; aber Sissi nahte sich seinem Ohr und sang mit der süßesten Stimme nichts als das Verslein:

“Louisd’ore und Dukaten
Aechte Perlen, Diamant,
Ritterorden, Ihro Gnaden,
Hohe Bildung, Ordensband,
Witz und Wesen, scharf und zart,
Gänsefett und Backenbart.”

Kaum hatte der Schlafende diesen Vers gehört, als er die Hand so öffnete, als wolle er nach all den schönen Sachen greifen. Nun biß ihn Prinz Pfiffi in den Ringfinger; er wachte auf und sagte: “ein scharmanter Traum, aber der Ring drückt mich und weckt mich auf, wer kann ihn mir hier nehmen? die zwei Esel grasen draußen nach dem besten Appetit; was brauchen sie mehr? ungebildete Menschen kennen keine höheren Bedürfnisse. Sie sollen nicht einmal die Ehre haben unter den dreihundert weißen Mauleseln zu seyn, die ich mir wünschen werde, um die Schlüssel meiner Schatzkammer zu tragen. Ach, der schöne Traum! ich will versuchen, ob ich ihn wieder träumen kann; Psyche, das angenehmste Frauenzimmerchen aus der klassischen Literatur, rührte mich an der Nase mit einer Blumenzwiebel an und beleuchtete mit einer hetrurischen Lampe das Traumbild meiner Wünsche–ich will nochmals gerührt werden, ich will gerührt seyn, der Ring soll mich nicht wieder stechen, ich lege ihn, bis ich erwache, auf den Tisch.” Nun zog er den Ring ab und schlief wieder ein, indem er flüsterte:

“Psyche rühr’! und nicht vergebens!
Führ’, was ich im Schilde führ’,
Führ’ das Traumbild meines Lebens,
Mir empor dort an der Thür!”

Kaum aber schnarchte er, als Sissi ihm wieder ins Ohr sang:

“Louisdore und Dukaten,
Aechte Perlen, Diamant,
Ritterorden, Ihro Gnaden,
Hohe Bildung und Verstand,
Witz und Wesen scharf und zart,
Gänsefett und Backenbart.”

Da lächelte er so süß wie ein Topf voll saurer Milch und antwortete mit schmachtender Stimme im Traume:

“Psyche rührt und nicht vergebens,
Seh’ das Traumbild meines Lebens,
Seh’, was ich im Schilde führ”
Ich im Wappen an der Thür,
Von dem Goldsack blasonirt,
Mit Papieren kraus verziert,
Grand-Kordon und Lorbeerkron,
Huldigung, Dedikation,
Und weil ich gemalt seyn muß,
Seh’ ich dort mich als Modell
Vor dem kühnsten Genius,
Der sein eigner Pegasus,
Der sein eigner Musenquell,
Schöpfer schier, kaum Kreatur,
Alles lernte von Natur.
Ja, ein solcher Geist haucht nur
Treu in ganzer Positur
Und ursprünglicher Figur
Meiner Grazie Formenzauber
Auf die Leinwand zart und sauber;
O wie duftig! wie moelleux!
Kunst, das ist die höchste Höh!”

Hierauf breitete er die Arme mit großer Innigkeit aus und sprach:

“Seyd umschlungen Millionen,
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Schönste Psyche, o verschonen
Sie doch mein, ich hab’ kein Geld,
Bin gerührt und alterirt,
Denn die Schildwach’ präsentirt!”

Da brachte mir Sissi den Ring Salomonis durch das Loch heraus, ich steckte ihn in tausend Freuden an den Finger, drehte ihn und sagte voll Neugier:

“Ringlein sag’ mir unversäumt,
Was der Petschaftstecher träumt!”

Und gleich sah ich, daß dem Petschierstecher Alles, was er im Schild führte, in einem prächtigen Wappen im Traume vorgestellt wurde. Ein Geldsack war der Helm, allerlei Papiere und Wechselbriefe die Helmzierde, er selbst stand voll Anstand in der Mitte, ein Genius krönte ihn mit Lorbeern, ein Andrer reichte ihm ein Ordensband, einer huldigte ihm mit Kleinodien, einer dedizirte ihm ein Buch; auch war das Sinnbild der Sternsehenden Wachsamkeit eine fette Gans vor seinen Füssen. Ganz unten aber im Wappen malte der geflügelte Genius der Kunst selbst den Schönsten der Sterblichen, denn ein Anderer hätte nie vermocht, einen so ursprünglichen Menschen aufzufassen. Nun aber öffnete sich plötzlich der purpurfarbichte Sammetkelch einer Kaktusblüthe und zwischen den weißseidenen Staubfäden schwebte eine feine Jungfer mit Schmetterlingsflügeln hervor an die Seite des Wappens hin; in der einen Hand hatte sie eine Zwiebelpflanze, mit der sie die Nase des Glücklichen berührte, in der andern trug sie eine antike Lampe, womit sie das Wappen beleuchtete. Er nannte sie Psyche. –An der andern Seite des Wappens erschien ein Grenadier, der das Gewehr präsentirte.–Ach, der gute Salzgraf träumte so selig, daß er mich schier dauerte; aber ich konnte ihm nicht helfen, ich mußte ihm aus dem Traum helfen;–ich drehte also den Ring mit den Worten:

“Salomon du weiser König,
Dem die Geister unterthänig,
Lasse diesen, wie die andern
Gleich als einen Esel wandern;
Schaff’ auch einen Eseltreiber,
Der mir ihre faulen Leiber
Mit dem Prügel tüchtig rührt,
Und zum Vater Gockel führt.
Ringlein, Ringlein dreh dich um,
Mach’s recht schnell ich bitt’ dich drum.”

Und sieh da, gleich war der Esel fertig, und der Treiber stand schon bei ihm, trieb ihn mit einem Prügel aus dem Gartenhaus hinaus und mit den beiden Andern hieher. Ich aber drehte den Ring und wünschte bei euch zu seyn. Da war ich gleich hier in dem Hof und als ich euch in dem alten Hühnerstall so klagen hörte, wünschte ich, daß das Schloß wieder seyn möchte, wie es einst im höchsten Glanze bei unsern Vorältern gewesen; auch wünschte ich euch als schöne Leute in den besten Jahren und mich als eine schöne vernünftige Jungfrau, über die Puppen–wollt’ ich sagen Kunstfiguren-Jahre hinaus zu sehen; zürnet nicht lieber Vater, aber der Gedanke an die Kunstfigur von Birkenreis kann mich noch jetzt erbittern.”–Gockel lachte und sagte: “Gackeleia dreh’ den Ring nur noch einmal, um verständig zu werden, es steckt noch viel vom eigensinnigen Kind in der erwachsenen Jungfrau, du willst die Ruthe noch nicht küßen!”–da küßte Gackeleia ihm die Hand und fuhr fort: “Als nun Alles nach meinem Wunsche geworden war, schlich ich zu euch in den Hühnerstall und drückte mich in einen Winkel, um eure Ueberraschung recht zu genießen. Sissi aber wollte mit aller Gewalt unter die Puppe gebunden seyn, um euch zu wecken; da lief sie über euer Stroh und als ihr aufriefet: “die Puppe! die Puppe!” sagte ich:

“Keine Puppe, es ist nur
Eine schöne Kunstfigur.”

“Das Andre wißt ihr Alles.”

Nach dieser Erzählung umarmten Gockel und Hinkel die Gackeleia unter Freudenthränen und sagten: “Dank, tausend Dank, liebes Kind; du