Die mehreren Wehm¸ller und ungarischen Nationalgesichter
Clemens Brentano
Gegen Ende des Sommers, wâ°hrend der Pest in Kroatien, hatte Herr Wehm¸ller, ein reisender Maler, von Wien aus einen Freund besucht, der in dieser Ëstreichischen Provinz als Erzieher auf dem Schlosse eines Grafen Giulowitsch lebte. Die Zeit, welche ihm seine Geschâ°fte zu dem Besuche erlaubten, war vor¸ber. Er hatte von seiner jungen Frau, welche ihm nach Siebenb¸rgen vorausgereist war, einen Brief aus Stuhlweiï¬enburg erhalten, daï¬ er sie nicht mehr lâ°nger allein lassen mËge; es erwarte ihn das Offizierkorps des dort liegenden hochlËblichen ungarischen Grenadier–und Husarenregiments sehns¸chtig, um, von seiner Meisterhand gemalt, sich in dem Andenken mannigfaltiger schËner Freundinnen zu erhalten, da ein naher Garnisonswechsel manches engverkn¸pfte Liebes–und Freundschaftsband zu zerreiï¬en drohte. Dieser Brief brachte den Herrn Wehm¸ller in groï¬e Unruhe, denn er war viermal so lange unterwegs geblieben als gewËhnlich und dermaï¬en durch die Quarantâ°ne zerstochen und durchrâ°uchert worden, daï¬ er die ohnedies nicht allzu leserliche Hand seiner guten Frau, die mit oft gewâ°sserter Dinte geschrieben hatte, nur mit M¸he lesen konnte. Er eilte in die Stube seines Freundes Lury und sagte zu ihm: “Ich muï¬ gleich auf der Stelle fort nach Stuhlweiï¬enburg, denn die hochlËblichen Grenadier–und Husarenregimenter sind im Begriff, von dort abzuziehen; lesen Sie, der Brief ist an f¸nf Wochen alt.” Der Freund verstand ihn nicht, nahm aber den Brief und las. Wehm¸ller lief sogleich zur Stube hinaus und die Treppe hinab in die Hauskapelle, um zu sehen, ob er die 39 Nationalgesichter, welche er in Ël gemalt und dort zum Trocknen aufgehâ°ngt hatte, schon ohne groï¬e Gefahr des Verwischens zusammenrollen kËnne. Ihre Trockenheit ¸bertraf alle seine Erwartung, denn er malte mit Terpentinfirnis, welcher trocken wird, ehe man sich umsieht. Was ¸brigens diese 39 Nationalgesichter betrifft, hatte es mit ihnen folgende Bewandtnis: Sie waren nichts mehr und nichts weniger als 39 Portrâ°ts von Ungaren, welche Herr Wehm¸ller gemalt hatte, ehe er sie gesehen. Er pflegte solcher Nationalgesichter immer ein halb Hundert fertig bei sich zu f¸hren. Kam er in einer Stadt an, wo er Gewinn durch seine Kunst erwartete, so pflegte er Ëffentlich ausschellen oder austrommeln zu lassen: der bekannte K¸nstler, Herr Wehm¸ller, sei mit einem reichassortierten Lager wohlgetroffener Nationalgesichter angelangt und lade diejenigen unter einem hochedlen Publikum, welche ihr Portrâ°t w¸nschten, untertâ°nigst ein, sich dasselbe, St¸ck vor St¸ck zu einem Dukaten in Gold, selbst auszusuchen. Er f¸gte sodann noch, durch wenige Meisterstriche, einige persËnliche Z¸ge und Ehrennarben oder die Individualitâ°t des Schnurrbartes des Kâ°ufers unentgeltlich bei; f¸r die Uniform aber, welche er immer ausgelassen hatte, muï¬te nach Maï¬gabe ihres Reichtums nachgezahlt werden. Er hatte diese Verfahrungsart auf seinen Kunstreisen als die befriedigendste f¸r sich und die Kâ°ufer gefunden. Er malte die Leute nach Belieben im Winter mit aller Bequemlichkeit zu Haus und brachte sie in der schËnen Jahreszeit zu Markte. So genoï¬ er des groï¬en Trostes, daï¬ keiner ¸ber Unâ°hnlichkeit oder langes Sitzen klagen konnte, weil sich jeder sein Bildnis fertig nach bestimmtem Preise, wie einen Weck auf dem Laden, selbst aussuchte. Wehm¸ller hatte seine Gattin vorausgeschickt, um seine Ankunft in Stuhlweiï¬enburg vorzubereiten, wâ°hrend er seinen Vorrat von Portrâ°ts bei seinem Freunde Lury zu der gehËrigen Menge brachte; er muï¬te diesmal in vollem Glanze auftreten, weil er in einer Zeitung gelesen. Ein Maler Froschauer aus Klagenfurt habe dieselbe Kunstreise vor. Dieser aber war bisher sein Antagonist und Nebenbuhler gewesen, wenn sie sich gleich nicht kannten, denn Froschauer war von der entgegengesetzten Schule; er hatte nâ°mlich immer alle Uniformen voraus fertig und lieï¬ sich f¸r die Gesichter extra bezahlen.
Schon hatte Wehm¸ller die 39 Nationalgesichter zusammengerollt in eine groï¬e, weite Blechb¸chse gesteckt, in welcher auch seine Farben und Pinsel, ein paar Hemden, ein Paar gelbe Stiefelstulpen und eine Haarlocke seiner Frau Platz fanden; schon schnallte er sich diese B¸chse mit zwei Riemen wie einen Tornister auf den R¸cken, als sein Freund Lury hereintrat und ihm den Brief mit den Worten zur¸ckgab: “Du kannst nicht reisen; soeben hat ein Bauer hier auf dem Hofe erzâ°hlt, daï¬ er vor einigen Tagen einen Fuï¬reisenden begleitet habe, und daï¬ dieser der letzte Mensch gewesen sei, der ¸ber die Grenze gekommen, denn auf seinem R¸ckwege hierher habe er, der Bote, schon alle Wege vom Pestkordon besetzt gefunden.” Wehm¸ller aber lieï¬ sich nicht mehr zur¸ckhalten, er schob seine Palette unter den Wachstuch¸berzug auf seinen runden Hut, wie die Bâ°cker in den Zipfel ihrer gestrickten spitzen M¸tzen eine Semmel zu stecken pflegen, und begann seinen Reisestab zusammenzurichten, der ein wahres Wunder der Mechanik, wenn ich mich nicht irre, von der Erfindung des Mechanikus Eckler in Berlin, war; denn er enthielt erstens: sich selbst, nâ°mlich einen Reisestock; zweitens: nochmals sich selbst, einen Malerstock; drittens: nochmals sich selbst, einen Meï¬stock; viertens: nochmals sich selbst, ein Richtscheit; f¸nftens: nochmals sich selbst, ein Blaserohr; sechstens: nochmals sich selbst, ein Tabakspfeifenrohr; siebentens: nochmals sich selbst, einen Angelstock; darin aber waren noch ein Stiefelknecht, ein Barometer, ein Thermometer, ein Perspektiv, ein Zeichenstuhl, ein chemisches Feuerzeug, ein Reiï¬zeug, ein Bleistift und das Brauchbarste von allem, eine approbierte hËlzerne H¸hneraugenfeile, angebracht; das Ganze aber war so eingerichtet, daï¬ man die Masse des Inhalts durch den Druck einer Feder aus diesem Stocke, wie aus einer Windb¸chse, seinem Feind auf den Leib schieï¬en konnte. Wâ°hrend Wehm¸ller diesen Stock zusammenrichtete, machte Lury ihm die lebhaftesten Vorstellungen wegen der Gefahr seiner Reise, aber er lieï¬ sich nicht halten. “So rede wenigstens mit dem Bauer selbst”, sprach Lury; das war Wehm¸ller zufrieden und ging, ganz zum Abmarsche fertig, hinab. Kaum aber waren sie in die Schenke getreten, als der Bauer zu ihm trat und, ihm den â°rmel k¸ssend, sagte: “Nu, gnâ°diger Herr, wie kommen wir schon wieder zusammen? Sie hatten ja eine solche Eile nach Stuhlweiï¬enburg, daï¬ ich glaubte, Euer Gnaden m¸ï¬ten bald dort sein.” Wehm¸ller verstand den Bauer nicht, der ihm versicherte, daï¬ er ihn, mit derselben blechernen B¸chse auf dem R¸cken und demselben langen Stocke in der Hand, nach der ungarischen Grenze gef¸hrt habe, und zwar zu rechter Zeit, weil kurz nachher der Weg vom Pestkordon geschlossen worden sei, wobei der Mann ihm eine Menge einzelne Vorfâ°lle der Reise erzâ°hlte, von welchen, wie vom ganzen, Wehm¸ller nichts begriff. Da aber endlich der Bauer ein kleines Bild hervorzog mit den Worten: “Haben Euer Gnaden mir dieses Bildchen, das in Ihrer B¸chse keinen Platz fand, nicht zu tragen gegeben, und haben es Euer Gnaden nicht in der Eile der Reise vergessen?”–ergriff Wehm¸ller das Bild mit Heftigkeit. Es war das Bild seiner Frau, ganz wie von ihm selbst gemalt, ja der Name Wehm¸ller war unterzeichnet. Er wuï¬te nicht, wo ihm der Kopf stand. Bald sah er den Bauer, bald Lury, bald das Bild an, “Wer gab dir das Bild?” fuhr er den Bauer an. “Euer Gnaden selbst”, sagte dieser; “Sie wollten nach Stuhlweiï¬enburg zu Ihrer Liebsten, sagten Euer Gnaden, und das Botenlohn sind mir Euer Gnaden auch schuldig geblieben.”–“Das ist erlogen!” schrie Wehm¸ller. “Es ist die Wahrheit!” sagte der Bauer. “Es ist nicht die Wahrheit!” sagte Lury, “denn dieser Herr ist seit vier Wochen nicht hier weggekommen und hat mit mir in einer Stube geschlafen.” Der Bauer aber wollte von seiner Behauptung nicht abgehen und drang auf die Bezahlung des Botenlohns oder auf die R¸ckgabe des Portrâ°ts, welches sein Pfand sei, und dem er, wenn er nicht bezahle, einen Schimpf antun wolle. Wehm¸ller ward auï¬er sich.
“Was?” schrie er, “ich soll f¸r einen andern das Botenlohn zahlen oder das Portrâ°t meiner Frau beschimpfen lassen? Das ist entsetzlich!” Lury machte endlich den Schiedsrichter und sagte zu dem Bauer: “Habt Ihr diesen Herrn ¸ber die Grenze gebracht?”–“Ja!” sagte der Bauer. “Wie kommt er dann wieder hierher, und wie war er die ganze Zeit hier?” erwiderte Lury. “Ihr m¸ï¬t ihn daher nicht recht t¸chtig hin¸ber gebracht haben und kËnnt f¸r so schlechte Arbeit kein Botenlohn begehren; bringt ihn heute nochmals hin¸ber, aber dermaï¬en, daï¬ auch kein St¸mpfchen hier in Kroatien bleibt, und laï¬t Euch doppelt bezahlen.” Der Bauer sagte: “Ich bin es zufrieden, aber es ist doch eine sehr heillose Sache; wer von den beiden ist nun der Teufel, dieser gnâ°dige Herr oder der andre? Es kËnnte mich dieser, der viel widerspenstiger scheint, vielleicht gar mit ¸ber die Grenze holen, auch ist der Weg jetzt gesperrt, und der andre war der letzte; ich glaube doch, er muï¬ der Teufel gewesen sein, der bei der Pest zu tun hat.”–“Was”, schrie Wehm¸ller, “der Teufel mit dem Portrâ°t meiner Frau! Ich werde verr¸ckt; gesperrt oder nicht gesperrt, ich muï¬ fort, der scheuï¬lichste Betrug muï¬ entdeckt werden. Ach, meine arme Frau, wie kann sie getâ°uscht werden! Adie, Lury, ich brauche keinen Boten, ich will schon allein finden.” Und somit lief er zum offnen Hoftore mit solcher Schnelligkeit hinaus, daï¬ ihn weder der nachlaufende Bauer noch das Geschrei Lurys einholen konnte.
Nach dieser Szene trat der Graf Giulowitsch, der Prinzipal Lurys, aus dem Schlosse, um auf seinen Finkenherd zu fahren. Lury erzâ°hlte ihm die Geschichte, und der Graf, neugierig, mehr von der Sache zu hËren, bestieg seinen Wurstwagen und fuhr dem Maler in vollem Trabe nach; das leichte Fuhrwerk, mit zwei raschen Pferden bespannt, flog ¸ber die Stoppelfelder, welche einen festeren Boden als die moorichte Landstraï¬e darboten. Bald war der Maler eingeholt, der Graf bat ihn, aufzusitzen, mit dem Anerbieten, ihn einige Meilen bis an die Grenze seiner G¸ter zu bringen, wo er noch eine halbe Stunde nach dem letzten Grenzdorf habe. Wehm¸ller, der schon viel Grund und Boden an seinen Stiefeln hâ°ngen hatte, nahm den Vorschlag mit untertâ°nigstem Dank an. Er muï¬te einige Z¸ge alten Slibowitz aus des Grafen Jagdflasche tun und fand dadurch schon etwas mehr Mut, sich selbst auf der eignen Fâ°hrte zu seiner Frau nachzueilen. Der Graf fragte ihn, ob er denn niemand kenne, der ihm so â°hnlich sei und so malen kËnne wie er. Wehm¸ller sagte nein, und das Portrâ°t â°ngstige ihn am meisten, denn dadurch zeige sich eine Beziehung des falschen Wehm¸llers auf seine Frau, welche ihm besonders fatal werden kËnne. Der Graf sagte ihm, der falsche Wehm¸ller sei wohl nur eine Strafe Gottes f¸r den echten Wehm¸ller, weil dieser alle Ungarn ¸ber einen Leisten male; so gâ°be es jetzt auch mehrere Wehm¸ller ¸ber einen Leisten. Wehm¸ller meinte, alles sei ihm einerlei, aber seine Frau, seine Frau, wenn die sich nur nicht irre. Der Graf stellte ihm nochmals vor, er mËge lieber mit ihm auf seinen Finkenherd und dann zur¸ckfahren; er gefâ°hrde, wenn er auch hËchst unwahrscheinlich den Pestkordon durchschleichen sollte, jenseits an der Pest zu sterben. Wehm¸ller aber meinte: “Ein zweiter Wehm¸ller, der zu meiner Frau reist, ist auch eine Pest, an der man sterben kann”, und er wolle so wenig als die Schneegâ°nse, welche schreiend ¸ber ihnen hinstrichen, den Pestkordon respektieren; er habe keine Ruhe, bis er bei seiner Tonerl sei. So kamen sie bis auf die Grenze der Giulowitschschen G¸ter, und der Graf schenkte Wehm¸llern noch eine Flasche Tokaier mit den Worten: “Wenn Sie diese ausstechen, lieber Wehm¸ller, werden Sie sich nicht wundern, daï¬ man Sie doppelt gesehn, denn Sie selbst werden alles doppelt sehn; geben Sie uns so bald als mËglich Bericht von Ihrem Abenteuer, und mËge Ihre Gemahlin anders sehen, als der Bauer gesehen hat. Leben Sie wohl!”
Nun eilte Wehm¸ller, so schnell er konnte, nach dem nâ°chsten Dorf, und kaum war er in die kleine, dumpfichte Schenke eingetreten, als die alte Wirtin, in Husarenuniform, ihm entgegenschrie: “Ha, ha! da sind der Herr wieder zur¸ck, ich hab es gleich gesagt, daï¬ Sie nicht durch den Kordon w¸rden hin¸bergelassen werden.” Wehm¸ller sagte, daï¬ er hier niemals gewesen, und daï¬ er gleich jetzt erst versuchen wolle, durch den Kordon zu kommen. Da lachte Frau Tschermack und ihr Gesinde ihm ins Gesicht und behaupteten steif und fest, er sei vor einigen Tagen hier durchpassiert, von einem Giulowitscher Bauer begleitet, dem er das Botenlohn zu zahlen vergessen; er habe ja hier gefr¸hst¸ckt und erzâ°hlt, daï¬ er nach Stuhlweiï¬enburg zu seiner Frau Tonerl wolle, um dort das hochlËbliche Offizierkorps zu malen. Wehm¸ller kam durch diese neue Bestâ°tigung, daï¬ er doppelt in der Welt herumreise, beinahe in Verzweiflung. Er sagte der Wirtin mit kurzen Worten seine ganze Lage, sie wuï¬te nicht, was sie glauben sollte, und sah ihn sehr kurios an. Es war ihr nicht allzu heimlich bei ihm. Aber er wartete alle ihre Skrupel nicht ab und lief wie toll und blind zum Dorfe hinaus und dem Pestkordon zu. Als er eine Viertelmeile auf der Landstraï¬e gelaufen war, sah er auf dem Stoppelfeld eine Reihe von Rauchsâ°ulen aufsteigen, und ein angenehmer Wacholdergeruch dampfte ihm entgegen. Er sah bald eine Reihe von Erdh¸tten und Soldaten, welche kochten und sangen; es war ein Hauptbivouac des Pestkordons. Als er sich der Schildwache nâ°herte, rief sie ihm ein schreckliches “Halt!” entgegen und schlug sogleich ihr Gewehr auf ihn an. Wehm¸ller stand wie angewurzelt. Die Schildwache rief den Unteroffizier, und nach einigen Minuten sprengte ein Szekler-Husar gegen ihn heran und schrie aus der Ferne: “Wos willstu, quid vis? Wo kommst her, unde venis? An welchen Ort willst du, ad quem locum vis? Bist du nicht vorige Woche hier durchpassiert, es tu non altera hebdomada hic perpassatus?” Er fragte ihn so auf deutsch und husarenlateinisch zugleich, weil er nicht wuï¬te, ob er ein Deutscher oder ein Ungar sei. Wehm¸ller muï¬te aus den letzten Worten des Husaren abermals hËren, daï¬ er hier schon durchgereist sei, welche Nachricht ihm eiskalt ¸ber den R¸cken lief. Er schrie sich beinah die Kehle aus, daï¬ er grade von dem Grafen Giulowitsch komme, daï¬ er in seinem Leben nicht hier gewesen. Der Husar aber lachte und sprach: “Du l¸gst, mentiris! Hast du nicht dem Herrn Chirurg sein Bild gegeben, non dedidisti Domino Chirurgo suam imaginem!–daï¬ er durch die Finger gesehen und dich passieren lassen, ut vidit per digitos et te fecit passare! Du bist zur¸ckgekehrt aus den PestËrtern, es returnatus ex pestiferatis locis!” Wehm¸ller sank auf die Knie nieder und bat, man mËge den Chirurgen doch herbeirufen.
Wâ°hrend diesem Gesprâ°ch waren mehrere Soldaten um den Husaren herum getreten, zuzuhËren; endlich kam der Chirurg auch, und nachdem er Wehm¸llers Klagen angehËrt, der sich die Lunge fast weggeschrien, befahl er ihm, sich einem der Feuer von Wacholderholz zu nâ°hern, so daï¬ es zwischen ihnen beiden sei, dann wolle er mit ihm reden. Wehm¸ller tat dies und erzâ°hlte ihm die ganze Aussage ¸ber einen zweiten Wehm¸ller, der hier durchgereist sei, und seine groï¬e Sorge, daï¬ ihn dieser um all sein Gl¸ck betr¸gen kËnne, und bot dem Chirurgen alles an, was er besitze, er mËge ihm nur durchhelfen. Der Chirurg holte nun eine Rolle Wachsleinwand aus seiner Erdh¸tte, und Wehm¸ller erblickte auf derselben eines der ungarischen Nationalgesichter, grade wie er sie selbst zu malen pflegte, auch sein Name stand drunter, und da der Chirurg sagte, ob er dies Bild nicht gemalt und ihm neulich geschenkt habe, weil er ihn passieren lassen, gestand Wehm¸ller, er w¸rde nie dies Bild von den seinigen unterscheiden kËnnen, aber durchpassiert sei er hier nie und habe nie die Gelegenheit gehabt, den Herren Chirurgen zu sprechen. Da sagte der Chirurg: “Hatten Sie nicht heftiges Zahnweh? Habe ich Ihnen nicht noch einen Zahn ausgezogen f¸r das Bild?”–“Nein, Herr Chirurg”, erwiderte Wehm¸ller, “ich habe alle meine Zâ°hne frisch und gesund, wenn Sie zuschauen wollen.” Nun faï¬te der Feldscher einigen Mut; Wehm¸ller sperrte das Maul auf, er sah nach und gestand ihm zu, daï¬ er ganz ein andrer Mensch sei; denn jetzt, da er ihn weder aus der Ferne noch von Rauch getr¸bt ansehe, m¸sse er ihm gestehen, daï¬ der andre Wehm¸ller viel glatter und auch etwas fetter sei, ja daï¬ sie beide, wenn sie nebeneinander stâ°nden, kaum verwechselt werden kËnnten; aber durchpassieren lassen kËnne er ihn jetzt doch nicht. Es habe zuviel Aufsehens bei der Wache gemacht, und er kËnne Verdruï¬ haben; morgen fr¸h werde aber der Kordonkommandant mit einer Patrouille bei der Visitation hieher kommen, und da lieï¬e sich sehen, was er f¸r ihn tun kËnne; er mËge bis dahin nach der Schenke des Dorfs zur¸ckkehren, er wolle ihn rufen lassen, wenn es Zeit sei; er solle auch das Bild mitnehmen und ihm den Schnauzbart etwas spitzer malen, damit es ganz â°hnlich werde. Wehm¸ller bat, in seiner Erdh¸tte einen Brief an sein Tonerl schreiben zu d¸rfen und ihm den Brief hin¸ber zu besorgen. Der Chirurg war es zufrieden. Wehm¸ller schrieb seiner Frau, erzâ°hlte ihr sein Ungl¸ck, bat sie um Gottes willen, nicht den falschen Wehm¸ller mit ihm zu verwechseln und lieber sogleich ihm entgegen zu reisen. Der Chirurg besorgte den Brief und gab Wehm¸llern noch ein Attestat, daï¬ seine Person eine ganz andre sei als die des ersten Wehm¸llers, und nun kehrte unser Maler, durchgerâ°uchert wie ein Quarantâ°nebrief, nach der Dorfschenke zur¸ck.
Hier war die Gesellschaft vermehrt, die Erzâ°hlung von dem doppelten Wehm¸ller hatte sich im Dorfe und auf einem benachbarten Edelhof ausgebreitet, und es waren allerlei Leute bei der Wirtin zusammengekommen, um sich wegen der Geschichte zu befragen. Unter dieser Gesellschaft waren ein alter invalider Feuerwerker und ein Franzose die Hauptpersonen. Der Feuerwerker, ein Venetianer von Geburt, hieï¬ Baciochi und war ein Allesinallem bei dem Edelmanne, der einen B¸chsenschuï¬ von dem Dorfe wohnte. Der Franzose war ein Monsieur Devillier, der, von einer alten reichen Ungarin gefesselt, in Ungarn sitzen geblieben war; seine GËnnerin starb und hinterlieï¬ ihm ein kleines G¸tchen, auf welchem er lebte und sich bei seinen Nachbarn umher mit der Jagd und allerlei Liebeshâ°ndeln die Zeit vertrieb. Er hatte gerade eine Kammerjungfer auf dem Edelhofe besucht, der er Sprachunterricht gab, und diese hatte ihn mit dem Hofmeister des jungen Edelmanns auf seinem R¸ckwege in die Schenke begleitet, um ihrer Herrschaft von dem doppelten Wehm¸ller Bericht zu erstatten. Die Kammerjungfer hieï¬ Nanny, und der Hofmeister war ein geborner Wiener mit Namen Lindpeindler, ein zartf¸hlender Dichter, der oft verkannt worden ist. Die ber¸hmteste Person von allen war aber der Violinspieler Michaly, ein Zigeuner von etwa dreiï¬ig Jahren, von eigent¸mlicher SchËnheit und K¸hnheit, der wegen seinem groï¬en Talent, alle mËglichen Tâ°nze ununterbrochen auf seiner Violine zu erfinden und zu variieren, bei allen groï¬en Hochzeiten im Lande allein spielen muï¬te. Er war hieher gereist, um seine Schwester zu erwarten, die bis jetzt bei einer verstorbenen Groï¬mutter gelebt und nun auf der Reise zu ihm durch den Pestkordon von ihm getrennt war. Zu diesen Personen f¸gte sich noch ein alter kroatischer Edelmann, der einen einsamen Hof in der Nâ°he der t¸rkischen Grenze besaï¬; er ¸bernachtete hier, von einem Kreistage zur¸ckkehrend. Ein Tiroler Teppichkrâ°mer und sein Reisegeselle, ein Savoyardenjunge, dem sein Murmeltier gestorben war, und der sich nach Hause bettelte, machten die Gesellschaft voll, auï¬er der alten Wirtin, die Tabak rauchte und in ihrer Jugend als Amazone unter den Wurmserschen Husaren gedient hatte. Sie trug noch den Dolman und die M¸tze, die Haare in einen Zopf am Nacken und zwei kleine ZËpfe an den Schlâ°fen gekn¸pft, und hatte hinter ihrem Spinnrad ein martialisches Ansehen. Diese bunte Versammlung saï¬ in der Stube, welche zugleich die K¸che und der Stall f¸r zwei B¸ffelk¸he war, um den lodernden, niedern Feuerherd und war im vollen Gesprâ°ch ¸ber den doppelten Wehm¸ller, als dieser in der Dâ°mmerung an der verschlossenen Haust¸re pochte. Die Wirtin fragte zum Fenster hinaus, und als sie Wehm¸ller sah, rief sie: “Gott steh uns bei! Da ist noch ein dritter Wehm¸ller; ich mache die T¸re nicht eher auf, bis sie alle drei zusammen kommen!”
Ein lautes Gelâ°chter und Geschrei des Verwunderns aus der Stube unterbrach des armen Malers Bitte um Einlaï¬. Er nahte sich dem Fenster und hËrte eine lebhafte Beratschlagung ¸ber sich an. Der kroatische Edelmann behauptete, er kËnne sehr leicht ein Vampyr sein oder die Leiche des ersten an der Pest verstorbenen Wehm¸llers, die hier den Leuten das Blut aussaugen wolle; der Feuerwerker meinte, er kËnne die Pest bringen, er habe wahrscheinlich den Kordon ¸berschritten und sei wieder zur¸ckgeschlichen; der Tiroler bewies, er w¸rde niemand fressen; die Kammerjungfer verkroch sich hinter dem Franzosen, der, nebst dem Hofmeister, die Gastfreiheit und Menschlichkeit verteidigte. Devillier sagte, er kËnne nicht erwarten, daï¬ eine so auserwâ°hlte Gesellschaft, in der er sich befâ°nde, jemals aus Furcht und Aberglauben die Rechte der Menschheit so sehr verletzen werde, einen Fremden wegen einer bloï¬en Grille auszusperren, er wolle mit dem Manne reden; der Zigeuner aber ergriff in dem allgemeinen, ziemlich lauten Wortwechsel seine Violine und machte ein wunderbares Schariwari dazu, und da die ungarischen Bauern nicht leicht eine Fiedel hËren, ohne den Tanzkrampf in den F¸ï¬en zu f¸hlen, so versammelte sich bald Horia und Klotzka vor der Schenke–was so viel heiï¬t als Hinz und Kunz bei uns zulande–die Mâ°dchen wurden aus den Betten getrieben und vor die Schenke gezogen, und sie begannen zu jauchzen und zu tanzen.
Durch den Lâ°rm ward der Vizegespan, des Orts Obrigkeit, herbeigelockt, und Wehm¸ller brachte ihm seine Klagen und das Attestat des Chirurgen vor, versprach ihm auch, sein Portrâ°t unter den Nationalgesichtern sich aussuchen zu lassen, wenn er ihm ein ruhiges Nachtquartier verschaffe und seine PersËnlichkeit in der Schenke attestiere. Der Vizegespan lieï¬ sich nun die Schenke Ëffnen und las drinnen das Attestat des Herren Chirurgen, das er allen Anwesenden zur Beruhigung mitteilte. Durch seine Autoritâ°t brachte er es dahin, daï¬ Wehm¸ller endlich hereingelassen wurde, und er nahm, um der Sache mehr Ansehen zu geben, ein Protokoll ¸ber ihn auf, an dem nichts merkw¸rdig war, als daï¬ es mit dem Worte “sondern” anfing. Indessen hatten die Bauern den musikalischen Zigeuner herausgezerrt und waren mit ihm unter die Linde des Dorfs gezogen, der Tiroler zog hintendrein und joudelte aus der Fistel, der Savoyarde gurgelte sein “Escoutta Gianetta” und klapperte mit dem Deckel seines leeren Kastens den Takt dazu bis unter die Linde. Monsieur Devillier forderte die Kammerjungfer zu einem Tâ°nzchen auf, und Herr Lindpeindler gab der schËnen Herbstnacht und dem romantischen Eindruck nach. So war die Stube ziemlich leer geworden; Wehm¸ller holte seine Nationalgesichter aus der Blechb¸chse, und der Vizegespan hatte bald sein Portrâ°t gefunden, versprach auch dem Maler ins Ohr, daï¬ er ihm morgen ¸ber den Kordon helfen wolle, wenn er ihm heute nacht noch eine Reihe KnËpfe mehr auf die Jacke male. Wehm¸ller dankte ihm herzlich und begann sogleich bei einer Kienfackel seine Arbeit. Der Feuerwerker und der kroatische Edelmann r¸ckten zu dem Tisch, auf welchem Wehm¸ller seine Flasche Tokaier preisgab; die Herren drehten sich die Schnauzbâ°rte, steckten sich die Pfeifen an und lieï¬en es sich wohlschmecken. Der Vizegespan sprach von der Jagdzeit, die am St. Egiditag, da der Hirsch in die Brunst gehe, begonnen habe, und daï¬ er morgen fr¸h nach einem Vierzehnender ausgehen wolle, der ihm groï¬en Schaden in seinem Weinberge getan; zugleich lud er Herrn Wehm¸ller ein, mitzugehen, wobei er ihm auf den Fuï¬ trat. Wehm¸ller verstand, daï¬ dies ein Wink sei, wie er ihm ¸ber den Kordon helfen wolle, und wenn ihm gleich nicht so zumute war, gern von Hirschgeweihen zu hËren, nahm er doch das Anerbieten mit Dank an, nur bat er sich die Erlaubnis aus, nach der R¸ckkehr das Bild des Herrn Vizegespans in seinem Hause fertig malen zu d¸rfen. Der kroatische Edelmann und der Feuerwerker sprachen nun noch mancherlei von der Jagd, und wie der Wein so vortrefflich stehe, darum sei das Volk auch so lustig; wenn der unbequeme Pestkordon nur erst aufgelËst sei; aller Verkehr sei durch ihn gestËrt, und der Kordon sei eigentlich â°rger als die Pest selbst. “Es wird bald aus sein mit dem Kordon”, sagte der Kroate, “die Kâ°lte ist der beste Doktor, und ich habe heute an den Eicheln gesehen, daï¬ es einen strengen Winter geben wird; denn die Eicheln kamen heuer fr¸h und viel, und es heiï¬t von den Eicheln im September:
Haben sie Spinnen, so kËmmt ein bËs Jahr, Haben sie Fliegen, kËmmt Mittelzeit zwar, Haben sie Maden, so wird das Jahr gut,
Ist nichts darin, so hâ°lt der Tod die Hut, Sind die Eicheln fr¸h und sehr viel,
So schau, was der Winter anrichten will: Mit vielem Schnee kËmmt er vor Weihnachten, Darnach magst du groï¬e Kâ°lte betrachten. Sind die Eicheln schËn innerlich,
Folgt ein schËner Sommer, glaub sicherlich; Auch wird dieselbe Zeit wachsen schËn Korn, Also ist M¸h und Arbeit nicht verlorn.
Werden sie innerlich naï¬ befunden, Tuts uns einen nassen Sommer bekunden;
Sind sie mager, wird der Sommer heiï¬, Das sei dir gesagt mit allem Fleiï¬.
Diesen September waren sie aber so fr¸h und hâ°ufig, daï¬ es gewiï¬ bald kalt und der Frost die Pest schon vertilgen wird.”–“Ganz recht”, sagte der Vizegespan, “wir werden einen fr¸hen Winter und einen schËnen Herbst haben, denn tritt der Hirsch an einem schËnen Egiditag in Brunst, so tritt er auch an einem schËnen Tag heraus, und wenn er fr¸h eintritt, wie dieses Jahr, so naht der Winter auch fr¸h.”
â¹ber diesen Wetterbetrachtungen kamen sie auf kalte Winter zu sprechen, und der Kroate erzâ°hlte folgende Geschichte, die ihm vor einigen Jahren im kalten Winter in der Christnacht geschehen sein sollte, und er beschwor sie hoch und teuer. Aber eben, als er beginnen wollte, schallte ein groï¬er Spektakel von der Linde her. Lindpeindler und die Kammerjungfer st¸rzten mit dem Geschrei in die Stube, auf dem Tanzplatz sei wieder ein Wehm¸ller erschienen. “Ach”, schrie die Kammerjungfer, “er hat mich wie ein Gespenst angepackt und ist mit mir so entsetzlich unter der Linde herumgetanzt, daï¬ mir die Haube in den Zweigen blieb.” Auf diese Aussage sprangen alle vom Tisch auf und wollten hinausst¸rzen. Der Vizegespan aber gebot dem Maler, sitzen zu bleiben, bis man wisse, ob er oder der andere es sei. Da nâ°herte sich das Spektakel, und bald trat der Zigeuner, lustig fiedelnd, von den krâ°henden Bauern begleitet, mit dem neuen Wehm¸ller vor die Schenke. Da klâ°rte sich denn bald der Scherz auf. Devillier hatte den grauen Reisekittel und den Hut Wehm¸llers im Hinausgehen aufgesetzt und ein blechernes Ofenrohr, das in einem Winkel lag, umgehâ°ngt, die furchtsame Kammerjungfer zu erschrecken. Nanny ward sehr ausgelacht, und der Vizegespan befahl nun den Leuten, zu Bette zu gehen; da aber einige noch tanzen wollten und grob wurden, rief er nach seinen Heiducken, setzte selbst eine Bank vor die T¸re, legte eigenhâ°ndig einen frechen Burschen ¸ber und lieï¬ ihm f¸nf aufzâ°hlen, auf welche kleine Erfrischung die ganze Ballgesellschaft mit einem lauten “Vivat noster Dominus Vicegespannus!” jubelnd nach Haus zog. Nun ordnete sich die ¸brige Gesellschaft in der engen Stube, wie es gehen wollte, um Tisch und Herd, auf K¸beln und Tonnen und den zur Nachtstreue von der Wirtin angeschleppten Strohb¸ndeln. Devillier lieï¬ einige Kr¸ge Wein bringen, und der erschrockenen Kammerjungfer wurde auf den Schreck wacker zugetrunken. Man bat dann den Kroaten, seine versprochene Geschichte zu erzâ°hlen, welcher, wâ°hrend Wehm¸ller in schweren Gedanken an sein Tonerl KnËpfe malte, also begann.
Das Pickenick des Katers Mores
Erzâ°hlung des kroatischen Edelmanns
Mein Freihof liegt einsam, eine halbe Stunde von der t¸rkischen Grenze, in einem sumpfichten Wald, wo alles im herrlichsten und fatalsten ¸berfluï¬ ist, zum Beispiel die Nachtigallen, die einen immer vor Tag aus dem Schlafe wecken, und im letzten Sommer pfiffen die Bestien so unverschâ°mt nah und in solcher Menge vor meinem Fenster, daï¬ ich einmal im grËï¬ten Zorne den Nachttopf nach ihnen warf. Aber ich kriegte bald einen Hausgenossen, der ihnen auf den Dienst paï¬te und mich von dem Ungeziefer befreite. Heut sind es drei Jahre, als ich morgens auf meinen Finkenherd ging, mit einem Pallasch, einer guten Doppelb¸chse und einem Paar doppelten Pistolen versehen, denn ich hatte einen t¸rkischen Wildpretdieb und Hâ°ndler auf dem Korn, der mir seit einiger Zeit groï¬en Wildschaden angetan und mir, da ich ihn gewarnt hatte, trotzig hatte sagen lassen, er stËre sich nicht an mir und wolle unter meinen Augen in meinem Wald jagen. Als ich nach dem Finkenherd kam, fand ich alle meine ausgestellten Dohnen und Schlingen ausgeleert und merkte, daï¬ der Spitzbube muï¬te da gewesen sein. Erbittert stellte ich meinen Fang wieder auf, da strich ein groï¬er schwarzer Kater aus dem Gestrâ°uch murrend zu mir her und machte sich so zutulich, daï¬ ich seinen Pelz mit Wohlgefallen ansah und ihn liebkoste mit der Hoffnung, ihn an mich zu gewËhnen und mir etwa aus seinen Winterhaaren eine M¸tze zu machen. Ich habe immer so eine lebendige Wintergarderobe im Sommer in meinem Revier, ich brauche darum kein Geld zum K¸rschner zu tragen, es kommen mir auch keine Motten in mein Pelzwerk. Vier Paar t¸chtige lederne Hosen laufen immer als lebendige BËcke auf meinem Hofe, und mitten unter ihnen ein herrlicher Dudelsack, der sich jetzt als lebendiger Bock schon so musikalisch zeigt, daï¬ die zu einzelnen Hosenbeinen bestimmten Kandidaten, sobald er meckernd unter sie tritt, zu tanzen und gegeneinander zu stutzen anfangen, als f¸hlten sie jetzt schon ihre Bestimmung, einst mit meinen Beinen nach diesem Dudelsack ungarisch zu tanzen. So habe ich auch einen neuen Reisekoffer als Wildsau in meinem Forste herumlaufen, ein prâ°chtiger Wolfspelz hat mir im letzten Winter in der Gestalt von sechs t¸chtigen WËlfen schon auf den Leib gewollt; die Bestien hatten mir ein t¸chtiges Loch in die Kammert¸re genagt, da fuhr ich einem nach dem andern durch ein Loch ¸ber der T¸re mit einem Pinsel voll Ëlfarbe ¸ber den R¸cken und erwarte sie nâ°chstens wieder, um ihnen das Fell ¸ber die Ohren zu ziehen.
Aus solchen Gesichtspunkten sah ich auch den schwarzen Kater an und gab ihm, teils weil er schwarz wie ein Mohr war, teils weil er gar vortreffliche Mores oder Sitten hatte, den Namen Mores. Der Kater folgte mir nach Hause und wuï¬te sich so vortrefflich durch Mâ°usefangen und Vertrâ°glichkeit mit meinen Hunden auszuzeichnen, daï¬ ich den Gedanken, ihn aus seinem Pelz zu vertreiben, bald aufgegeben hatte. Mores war mein steter Begleiter, und nachts schlief er auf einem ledernen Stuhl neben meinem Bette. Merkw¸rdig war es mir besonders an dem Tiere, daï¬ es, als ich ihm scherzhaft bei Tage einigemal Wein aus meinem Glase zu trinken anbot, sich gewaltig dagegen strâ°ubte und ich es doch einst im Keller erwischte, wie es den Schwanz ins Spundloch hâ°ngte und dann mit dem grËï¬ten Appetit ableckte. Auch zeichnete sich Mores vor allen Katzen durch seine Neigung, sich zu waschen, aus, da doch sonst sein Geschlecht eine Feindschaft gegen das Wasser hat. Alle diese Absonderlichkeiten hatten den Mores in meiner Nachbarschaft sehr ber¸hmt gemacht, und ich lieï¬ ihn ruhig bei mir aus und ein gehen, er jagte auf seine eigne Hand und kostete mich nichts als Kaffee, den er ¸ber die Maï¬en gern soff. So hatte ich meinen Gesellen bis gegen Weihnachten immer als Schlafkameraden gehabt, als ich ihn die zwei letzten Tage und Nâ°chte vor dem Christtag ausbleiben sah. Ich war schon an den Gedanken gewËhnt, daï¬ ihn irgendein Wildsch¸tze, vielleicht gar mein t¸rkischer Grenznachbar, mËge weggeschossen oder gefangen haben, und sendete deswegen einen Knecht hin¸ber zu dem Wildhâ°ndler, um etwas von dem Mores auszukundschaften. Aber der Knecht kam mit der Nachricht zur¸ck, daï¬ der Wildhâ°ndler von meinem Kater nichts wisse, daï¬ er eben von einer Reise von Stambul zur¸ckgekommen sei und seiner Frau eine Menge schËner Katzen mitgebracht habe; ¸brigens sei es ihm lieb, daï¬ er von meinem trefflichen Kater gehËrt, und wolle er auf alle Weise suchen, ihn in seine Gewalt zu bringen, da ihm ein t¸chtiger Bassa f¸r sein Serail fehle. Diese Nachricht erhielt ich mit Verdruï¬ am Weihnachtsabend und sehnte mich um so mehr nach meinem Mores, weil ich ihn dem t¸rkischen Schelm nicht gËnnte. Ich legte mich an diesem Abend fr¸h zu Bette, weil ich in der Mitternacht eine Stunde Weges nach der Kirche in die Metten gehen wollte. Mein Knecht weckte mich zur gehËrigen Zeit; ich legte meine Waffen an und hâ°ngte meine Doppelb¸chse, mit dem grËbsten Schrote geladen, um. So machte ich mich auf den Weg, in der kâ°ltesten Winternacht, die ich je erlebt; ich war eingeh¸llt wie ein Pelznickel, die brennende Tabakspfeife fror mir einigemal ein, der Pelz um meinen Hals starrte von meinem gefrornen Hauch wie ein Stachelschwein, der feste Schnee knarrte unter meinen Stiefeln, die WËlfe heulten rings um meinen Hof, und ich befahl meinen Knechten, Jagd auf sie zu machen.
So war ich bei sternheller Nacht auf das freie Feld hinaus gekommen und sah schon in der Ferne eine Eiche, die auf einer kleinen Insel mitten in einem zugefrornen Teiche stand und etwa die Hâ°lfte des Weges bezeichnete, den ich zum Kirchdorf hatte. Da hËrte ich eine wunderbare Musik und glaubte anfangs, es sei etwa ein Zug Bauern, der mit einem Dudelsack sich den Weg zur Kirche verk¸rzte, und so schritt ich derber zu, um mich an diese Leute anzuschlieï¬en. Aber je nâ°her ich kam, je toller war die kuriose Musik, sie lËste sich in ein Gewimmer auf, und, schon dem Baume nah, hËrte ich, daï¬ die Musik von demselben herunter schallte. Ich nahm mein Gewehr in die Hand, spannte den Hahn und schlich ¸ber den festen Teich auf die Eiche los; was sah ich, was hËrte ich? Das Haar stand mir zu Berge; der ganze Baum saï¬ voll schrecklich heulender Katzen, und in der Krone thronte mein Herr Mores mit krummem Buckel und blies ganz erbâ°rmlich auf einem Dudelsack, wozu die Katzen unter gewaltigem Geschrei um ihn her durch die Zweige tanzten. Ich war anfangs vor Entsetzen wie versteinert, bald aber zwickte mich der Klang des Dudelsacks so sonderbar in den Beinen, daï¬ ich selbst anfing zu tanzen und beinahe in eine von Fischern gehauene EisËffnung fiel; da tËnte aber die Mettenglocke durch die helle Nacht, ich kam zu Sinnen und schoï¬ die volle Schrotladung meiner Doppelb¸chse in den vermaledeiten Tanzchor hinein, und in demselben Augenblick fegte die ganze Tanzgesellschaft wie ein Hagelwetter von der Eiche herunter und wie ein Bienenschwarm ¸ber mich weg, so daï¬ ich auf dem Eise ausglitt und platt niederst¸rzte. Als ich mich aufraffte, war das Feld leer, und ich wunderte mich, daï¬ ich auch keine einzige von den Katzen getroffen unter dem Baume fand. Der ganze Handel hatte mich so erschreckt und so wunderlich gemacht, daï¬ ich es aufgab, nach der Kirche zu gehen; ich eilte nach meinem Hofe zur¸ck und schoï¬ meine Pistolen mehrere Male ab, um meine Knechte herbeizurufen. Sie nahten mir bald auf dieses verabredete Zeichen; ich erzâ°hlte ihnen mein Abenteuer, und der eine, ein alter, erfahrener Kerl, sagte: “Sei’n Ihr Gnaden nur ruhig, wir werden die Katzen bald finden, die Ihr Gnaden geschossen haben.” Ich machte mir allerlei Gedanken und legte mich zu Hause, nachdem ich auf den Schreck einen warmen Wein getrunken hatte, zu Bett.
Als ich gegen Morgen ein Gerâ°usch vernahm, erwachte ich aus dem unruhigen Schlaf, und sieh da: mein vermaledeiter Mores lag–mit versengtem Pelz–wie gewËhnlich neben mir auf dem Lederstuhl. Es lief mir ein grimmiger Zorn durch alle Glieder; “Passaveanelkiteremtete!” schrie ich, “vermaledelte Zauberkanaille! bist du wieder da?” und griff nach einer neuen Mistgabel, die neben meinem Bette stand; aber die Bestie st¸rzte mir an die Kehle und w¸rgte mich; ich schrie Zetermordio. Meine Knechte eilten herbei mit gezogenen Sâ°beln und fegten nicht schlecht ¸ber meinen Mores her, der an allen Wâ°nden hinauf fuhr, endlich das Fenster zerstieï¬ und dem Walde zust¸rzte, wo es vergebens war, das Untier zu verfolgen; doch waren wir gewiï¬, daï¬ Herr Mores seinen Teil Sâ°belhiebe weghabe, um nie wieder auf dem Dudelsack zu blasen. Ich war schâ°ndlich zerkratzt, und der Hals und das Gesicht schwoll mir grâ°ï¬lich an. Ich lieï¬ nach einer slavonischen Viehmagd rufen, die bei mir diente, um mir einen Umschlag von ihr kochen zu lassen, aber sie war nirgends zu finden, und ich muï¬te nach dem Kirchdorf fahren, wo ein Feldscher wohnte. Als wir an die Eiche kamen, wo das nâ°chtliche Konzert gewesen war, sahen wir einen Menschen darauf sitzen, der uns erbâ°rmlich um H¸lfe anflehte. Ich erkannte bald Mladka, die slavonische Magd; sie hing halb erfroren mit den RËcken in den Baumâ°sten verwickelt, und das Blut rann von ihr nieder in den Schnee; auch sahen wir blutige Spuren von da her, wo mich die Katzen ¸ber den Haufen geworfen, nach dem Walde zu. Ich wuï¬te nun, wie es mit der Slavonierin beschaffen war, lieï¬ sie schwebend, daï¬ sie die Erde nicht ber¸hrte, auf den Wurstwagen tragen und festbinden und fuhr eilend mit der Hexe nach dem Dorfe. Als ich bei dem Chirurg ankam, wurde gleich der Vizegespan und der Pfarrer des Orts gerufen, alles zu Protokoll genommen, und die Magd Mladka ward ins Gefâ°ngnis geworfen; sie ist zu ihrem Gl¸ck an dem Schuï¬, den sie im Leibe hatte, gestorben, sonst wâ°re sie gewiï¬ auf den Scheiterhaufen gekommen. Sie war ein wunderschËnes Weibsbild, und ihr Skelett ist nach Pest ins Naturalienkabinett als ein Muster schËnen Wachstums gekommen; sie hat sich auch herzlich bekehrt und ist unter vielen Trâ°nen gestorben. Auf ihre Aussagen sollten verschiedene andere Weibspersonen in der Gegend gefangengenommen werden, aber man fand zwei tot in ihren Betten, die anderen waren entflohen.
Als ich wiederhergestellt war, muï¬te ich mit einer Kreiskommission ¸ber die t¸rkische Grenze reisen; wir meldeten uns bei der Obrigkeit mit unserer Anzeige gegen den Wildhâ°ndler, aber da kamen wir schier in eine noch schlimmere Suppe; es wurde uns erklâ°rt, daï¬ der Wildhâ°ndler nebst seiner Frau und mehreren t¸rkischen, serbischen und slavonischen Mâ°gden und Sklavinnen von Schrotsch¸ssen und Sâ°belhieben verwundet zu Hause angekommen, und daï¬ der Wildhâ°ndler gestorben sei mit der Angabe: er sei, von einer Hochzeit kommend, auf der Grenze von mir ¸berfallen und so zugerichtet worden. Wâ°hrend dies angezeigt wurde, versammelte sich eine Menge Volks, und die Frau des Wildhâ°ndlers mit mehreren Weibern und Mâ°gden, verbunden und bepflastert, erhoben ein mËrderliches Geschrei gegen uns. Der Richter sagte: er kËnne uns nicht sch¸tzen, wir mËchten sehen, daï¬ wir fortkâ°men; da eilten wir nach dem Hof, sprangen zu Pferde, nahmen den Kreiskommissâ°r in die Mitte, ich setzte mich an die Spitze der sechs Szekler-Husaren, die uns begleitet hatten, und so sprengten wir, Sâ°bel und Pistole in der Hand, fr¸h genug zum Orte hinaus, um nicht mehr zu erleiden als einige Steinw¸rfe und blinde Sch¸sse, eine Menge t¸rkischer Fl¸che mit eingerechnet. Die T¸rken verfolgten uns bis ¸ber die Grenze, wurden aber von den Szeklern, die sich im Walde setzten, so zugerichtet, daï¬ wenigstens ein paar von ihnen dem Wildhâ°ndler in Mahomeds Paradies Nachricht von dem Erfolg werden gegeben haben. Als ich nach Haus kam, war das erste, daï¬ ich meinen Dudelsack visitierte, den ich auch mit drei Schroten durchlËchert hinter meinem Bette liegen fand. Mores hatte also auf meinem eigenen Dudelsack geblasen und war von ihm gegen meinen Schuï¬ gedeckt worden. Ich hatte mit der unseligen Geschichte noch viele Schererei, ich wurde weitlâ°ufig zu Protokoll vernommen, es kam eine Kommission nach der andern auf meinen Hof und lieï¬ sich t¸chtig aufwarten; die T¸rken klagten wegen Grenzverletzung, und ich muï¬te es mir am Ende noch mehrere St¸cke Wild und ein ziemliches Geld kosten lassen, daï¬ die Gerichtsplackerei endlich einschlief, nachdem ich und meine Knechte vereidigt worden waren. Trotzdem wurde ich mehrmals vom Kreisphysikus untersucht, ob ich auch vËllig bei Verstand sei, und dieser kam nicht eher zur vËlligen Gewiï¬heit dar¸ber, bis ich ihm ein Paar doppelte Pistolen und seiner Frau eine Verbrâ°mung von schwarzem Fuchspelz und mehrere t¸chtige Wildbraten zugeschickt hatte. So wurde die Sache endlich stille; um aber in etwas auf meine Kosten zu kommen, legte ich eine Schenke unter der Eiche auf der Insel in dem Teiche an, wo seither die Bauern und Grenznachbarn aus der Gegend sich sonntags im Sommer viel einstellen und den ledernen Stuhl, worauf Mores geschlafen, und an den ich ein St¸ck seines Schweifs, das ihm die Knechte in der Nacht abgehauen, genagelt habe, besehen; den Dudelsack habe ich flicken lassen, und mein Knecht, der den Wirt dort macht, pflegt oben in der Eiche, wo Mores gesessen, darauf den Gâ°sten, die um den Baum tanzen, vorzuspielen. Ich habe schon ein schËnes Geld da eingenommen, und wenn mich die Herrschaften einmal dort besuchen wollen, so sollen sie gewiï¬ gut bedient werden.
Diese Erzâ°hlung, welche der Kroat mit dem ganzen Ausdruck der Wahrheit vorgebracht hatte, wirkte auf die verschiedenste Weise in der Gesellschaft. Der Vizegespan, der Tiroler und die Wirtin hatten keinen Zweifel und der Savoyarde zeigte seine Freude, daï¬ man noch kein Beispiel gehabt habe: ein Murmeltier sei eine Hexe gewesen. Lindpeindler â°uï¬erte: es mËge an der Geschichte wahr sein, was da wolle, so habe sie doch eine hËhere poetische Wahrheit; sie sei in jedem Falle wahr, insofern sie den Charakter der Einsamkeit, Wildnis und der t¸rkischen Barbarei ausdr¸cke; sie sei durchaus f¸r den Ort, auf welchem sie spiele, scharf bezeichnend und mythisch und darum dort wahrer als irgendeine Lafontainesche Familiengeschichte. Aber es verstand keiner der Anwesenden, was Lindpeindler sagen wollte, und Devillier leugnete ihm grade ins Gesicht, daï¬ Lafontaine irgendeine seiner Fabeln jemals f¸r eine wahre Familiengeschichte ausgegeben habe; Lindpeindler schwieg und wurde verkannt.
Nun aber wendete sich der Franzose zu der Kammerjungfer, welche sich mit stillem Schauer in einen Winkel gedr¸ckt hatte, sprechend: “Und Sie, schËne Nanny, sind ja so stille, als f¸hlten Sie sich bei der Geschichte getroffen.”–“Wieso getroffen?” fragte Nanny. “Nun, ich meine”, erwiderte Devillier lâ°chelnd, “von einem Schrote des kroatischen Herrn. Sollte das artigste Kammerkâ°tzchen der Gegend nicht zu dem Teedansant eingeladen gewesen sein?–Das wâ°re ein Fehler des Herrn Mores gegen die Galanterie, wegen welchem er die Rache seines Herrn allein schon verdient hâ°tte.” Alle lachten, Nanny aber gab dem Franzosen eine ziemliche Ohrfeige und erwiderte: “Sie sind der Mann dazu, einen in den Ruf zu bringen, daï¬ man geschossen sei, denn Sie haben selbst einen Schuï¬!” und dabei zeigte sie ihm von neuem die f¸nf Finger; worauf Devillier sagte: “Erhebt das nicht den Verdacht, sind das nicht Katzenmanieren? Sie waren gewiï¬ dabei! Frau Tschermack, die Wirtin, wird es uns sagen kËnnen, denn die hat gewiï¬ nicht gefehlt; ich glaube, daï¬ sie die Blessur in der H¸fte eher bei solcher Gelegenheit als bei den Wurmserschen Husaren erhalten.” Alles lachte von neuem, und der Zigeuner sagte: “Ich will sie fragen.”
Der Kroate fand sich ¸ber die Unglâ°ubigkeit Devilliers gekrâ°nkt und fing an, seine Geschichte nochmals zu beteuern, indem er seine pferdehaarne steife Halsbinde ablËste, um die Narben von den Klauen des Mores zu zeigen. Nanny dr¸ckte die Augen zu, und indessen brachte der Zigeuner die Nachricht. Frau Tschermack meine, Mores m¸sse es selbst am besten wissen. Er setzte mit diesen Worten die groï¬e schwarze Katze der Wirtin, welche er vor der T¸re gefangen hatte, der Kammerjungfer in den Schoï¬, welche mit einem heftigen Schrei des Entsetzens auffuhr.–“Eingestanden!” rief Devillier; aber der Spaï¬ war dumm, denn Nanny kam einer Ohnmacht nah, die Katze sprang auf den Tisch, warf das Licht um und fuhr dem armen Wehm¸ller ¸ber seine nassen Farben; der Vizegespan riï¬ das Fenster auf und entlieï¬ die Katze, aber alles war rebellisch geworden; die B¸ffelk¸he im Hintergrund der Stube zerrten an den Ketten, und jeder drâ°ngte nach der T¸re. Wehm¸ller und Lindpeindler sprangen auf den Tisch und stieï¬en mit dem Tiroler zusammen, der es auch in demselben Augenblick tat und mit seinen nâ°gelbeschlagenen Schuhen mehr KnopflËcher in das Portrâ°t des Vizegespans trat, als KnËpfe darauf waren. Devillier trug Nanny hinaus; der Kroate schrie immer: “Da haben wir es, das kËmmt vom Unglauben!” Frau Tschermack aber, welche mit einem vollen Weinkrug in die VerstËrung trat, fluchte stark und beruhigte die K¸he; der Zigeuner griff wie ein zweiter Orpheus nach seiner Violine, und als Monsieur Devillier mit Nanny, die er am Brunnen erfrischt hatte, wieder hereintrat, kniete der kecke Bursche vor ihr nieder und sang und spielte eine so r¸hrende Weise auf seinem Instrument, daï¬ niemand widerstehen konnte und bald alles stille ward. Es war dies ein altes zigeunerisches Schlachtlied, wobei der Zigeuner endlich in Trâ°nen zerfloï¬, und Nanny konnte ihm nicht widerstehen, sie weinte auch und reichte ihm die Hand; Lindpeindler aber sprang auf den Sâ°nger zu und umarmte ihn mit den Worten: “O, das ist groï¬, das ist urspr¸nglich! Bester Michaly, wollen Sie mir Ihr Lied wohl in die Feder diktieren?”–“Nimmermehr!” sagte der Zigeuner, “so was diktiert sich nicht, ich w¸ï¬te es auch jetzt nicht mehr, und wenn Sie mir den Hals abschnitten; wenn ich einmal wieder eine schËne Jungfer betr¸bt habe, wird es mir auch wieder einfallen.”
Da lachte die ganze Gesellschaft, und Michaly begann so tolle Melodien aus seiner Geige herauszulocken, daï¬ die FrËhlichkeit bald wieder hergestellt wurde und Devillier den Kroaten fragte, ob Mores nicht diesen Tanz aufgespielt hâ°tte; Herr Lindpeindler notierte sich wenigstens den Inhalt des extemporierten Liedes; es war die Wehklage ¸ber den Tod von tausend Zigeunern. Im Jahr 1537 wurde in den Zapolischen Unruhen das Kastell Nagy-Ida in der Abanywarer Gespanschaft mit Belagerung von kaiserlichen Truppen bedroht. Franz von Perecey, der das Kastell verteidigte, stutzte, aus Truppenmangel, tausend Zigeuner in der Eile zu Soldaten und legte sie unter reichen Versprechungen von Geld und Freiheiten auf Kindeskinder, wenn sie sich wacker hielten, gegen den ersten Anlauf in die â°uï¬eren Schanzen. Auf diese vertrauend hielten sich diese Helden auch ganz vortrefflich, sie empfingen die Belagerer mit einem heftigen Feuer, so daï¬ sie umwendeten. Aber nun krochen die Helden ¸berm¸tig aus ihren LËchern und schrien den Fliehenden nach: “Geht zum Henker, ihr Lumpen, hâ°tten wir noch Pulver und Blei, so wollten wir euch anders zwiebeln.” Da sahen sich die Abziehenden um, und als sie statt regulierter Truppen einen frechen Zigeunerschwarm auf den Wâ°llen merkten, ergriff sie der Zorn, sie drangen in die Schanze und sâ°belten die armen Helden bis auf den letzten Mann nieder. Diese Niederlage, eine der traurigsten Erinnerungen der Zigeuner in jener Gegend, hatte Michaly in der Klage einer Mutter um ihren Sohn und einer Braut um ihren gefallenen Geliebten besungen. Devillier sagte nun zu dem Kroaten: “Damit Sie nicht lâ°nger meinen Glauben an den Hexenmeister Mores in Katzengestalt bezweifeln, will ich Ihnen eine Geschichte erzâ°hlen, bei welcher ich selbst geholfen habe, ein paar hundert solcher Zauberer zu tËten.”–Ein paar hundert!” riefen mehrere in der Gesellschaft. “Ja!” erwiderte Devillier, “und das will ich ebenso getrost beschwËren als unser Freund den musizierenden Katzenkongreï¬.”
Devilliers Erzâ°hlung von den Hexen auf dem Austerfelsen
Vor mehreren Jahren, da ich als Lieutenant zu D¸nkirchen in Garnison lag, genoï¬ ich der vertrauten Freundschaft meines Majors, eines alten Gascogners. Er war ein groï¬er Liebhaber von Austern, und zu seiner Majorschaft gehËrte der Genuï¬ von einem groï¬en Austerfelsen, der hinter einem Lustwâ°ldchen einen halben B¸chsenschuï¬ weit vom Ufer in der See lag, so daï¬ man ihn bei der Ebbe trocknen Fuï¬es erreichen konnte, um die frischen Austern vom Felsen zu schlagen. Da der Major eine Zeit her bemerkt hatte, daï¬ in den meisten zutage liegenden Austern nichts drinnen war, konnte er sich gar nicht denken, wer ihm die Austern aus den Schalen hinwegstehle, und er bat mich, ihn in einer Nacht, mit Schieï¬gewehr bewaffnet, nach dem Austerfelsen zu begleiten, um den Dieb zu belauern. Wir hatten kaum das kleine GehËlz betreten, als uns ein schreckliches Katzengeheul nach der See hin rief, und wie groï¬ war unser Erstaunen, als wir den Felsen mit einer Unzahl von Katzen besetzt fanden, die, ohne sich von der Stelle zu bewegen, das durchdringendste Jammergeschrei ausstieï¬en. Ich wollte unter sie schieï¬en, aber mein Freund warnte mich, indem es gewiï¬ eine Gesellschaft von Zauberern und Hexen sei und ich durch den Schuï¬ ihre Rache auf uns ziehen kËnnte. Ich lachte und lief mit gezogenem Sâ°bel nach dem Felsen hin; aber wie ward mir zumute, da ich unter die Bestien hieb und sich doch keine einzige von der Stelle bewegte! Ich warf meinen Mantel ¸ber eine, um sie ungekratzt von der Erde aufheben zu kËnnen, aber es war unmËglich, sie von der Stelle zu bringen, sie war wie angewurzelt. Da lief es mir eiskalt ¸ber den R¸cken, und ich eilte, zu meinem Freunde zur¸ckzukommen, der mich wegen meiner tollk¸hnen Expedition t¸chtig ausschmâ°lte. Wir standen noch, bis die Flut eintrat, um zu sehen, wie sich die Hexenmeister betragen w¸rden, wenn das Wasser ¸ber sie her strËmte; aber da ging es uns wie unserem kroatischen Freunde, als die Kirchglocke das Katzenpickenick auf der Eiche unterbrach. Kaum rollte die erste Welle ¸ber den Felsen, als die ganze Hexengesellschaft mit solchem Ungest¸m gegen das Ufer und auf uns los st¸rzte, daï¬ wir in der grËï¬ten Eile Reiï¬aus nahmen. Am andern Morgen begab sich der alte Major zum Gouverneur der Festung und zeigte ihm an: wie die ganze Festung voll Hexen und Zauberern sei, deren Versammlung er auf seinem Austerfelsen entdeckt habe. Der Gouverneur lachte ihn anfangs aus und begann, als er ernsthaft Truppen begehrte, diese Zauberer in der nâ°chsten Nacht niederschieï¬en zu lassen, an seinem Verstande zu zweifeln. Der Major stellte mich als Zeugen auf, und ich bestâ°tigte, was ich gesehen, und die wunderbare Erscheinung von Unbeweglichkeit der Katzen. Dem Gouverneur war die Sache unbegreiflich, und er versprach, in der nâ°chsten Nacht selbst zu untersuchen. Er lieï¬ allen Wachen andeuten, ehe er in der Nacht mit uns und hundert Mann Voltigeurs ausmarschierte, keine R¸cksicht darauf zu nehmen, wenn sie schieï¬en hËrten.
Als wir dem GehËlz nahten, tËnte dasselbe Katzengeschrei, und wir hatten vom Ufer dasselbe eigent¸mlich-schauerliche Schauspiel: den lebendigen heulenden Felsen im Mondschein ¸ber der weiten, unbegrenzten Meeresflâ°che. Der Gouverneur stutzte, er wollte hin, aber der Major hielt ihn mit â°ngstlicher Sorge zur¸ck; nun lieï¬ der Gouverneur die hundert Mann von der Landseite den Felsen umgeben und zwei volle Ladungen unter die Hexenmeister geben, aber es wich keiner von der Stelle, wenngleich eine Menge Stimmen unter ihnen zu schweigen begannen. Hier¸ber verwundert lieï¬ sich der Gouverneur nicht lâ°nger halten, er ging nach dem Felsen, und wir folgten ihm; er versuchte, eine der Katzen wegzunehmen, aber sie waren alle wie angewachsen; da entdeckte ich, daï¬ sie alle mit einer oder mehreren Pfoten, manche auch mit dem Schwanz in die fest geschlossenen Austern eingeklemmt waren. Als ich dies angezeigt, muï¬ten die Soldaten heran und sie sâ°mtlich erlegen. Da aber die Flut nahte, zogen wir uns ans Land zur¸ck, und die ganze Katzenversammlung, welche gestern so lebhaft vor der ersten Woge geflohen war, wurde jetzt von der Flut mausetot ans Ufer gesp¸lt, worauf wir, den guten Major herzlich mit seinen Hexen auslachend, nach Hause marschierten. Die Sache aber war folgende: Die Katzen, welche die Austern ¸ber alles lieben, zogen sie mit den Pfoten aus den Schalen, und das gelang nicht lâ°nger, als bis sie von den sich schlieï¬enden Muscheln festgeklemmt wurden, wo sie sich dann so lange mit Wehklagen unterhielten, bis die Austern, von der Flut ¸berschwemmt, sich wieder Ëffneten und ihre Gefangenen entlieï¬en; und ich glaube, bei strenger Untersuchung und weniger Phantasie w¸rde unser Freund bei seinem Katzenabenteuer ebenso gut lauter Fischdiebe, wie wir Austerdiebe, entdeckt haben. Baciochis Erzâ°hlung vom wilden Jâ°ger
Nachdem die Aufklâ°rung dieses Ereignisses die Erzâ°hlung des Kroaten in ihrer Schauerlichkeit sehr gemildert hatte, kam man auf allerlei Jagdgespenster zu sprechen, und Lindpeindler fragte: ob einer in der Gesellschaft vielleicht je den wilden Jâ°ger gesehen oder gehËrt habe? Da sagte der Feuerwerker: “Mir kam er schon so nahe, daï¬ ich das Blanke in den Augen sah, und wenn die Jungfer Nanny sich tapfer halten und die ganze ehrsame Gesellschaft wenigstens so lange daran glauben will, bis die Geschichte zu Ende ist, so will ich sie erzâ°hlen.” Nanny erwiderte: “Erzâ°hle nur, Baciochi, du kennst mein Temperament und wirst es nicht zu arg machen.”–“Erzâ°hlen Sie”, fiel Devillier ein; “wenn wir die Geschichte auch am Ende f¸r eine L¸ge erklâ°ren, so soll Ihnen bis dahin geglaubt werden.” Und bald waren alle Stimmen vereint, den Feuerwerker einzuladen, welcher alle aufforderte, sich an ihre Plâ°tze zu setzen, und seiner Erzâ°hlung einen eigent¸mlichen theatralischen Charakter zu geben wuï¬te. Alle saï¬en an Ort und Stelle, er machte eine Pause, steckte sich eine Pfeife Tabak an und schlug mit der Faust so unerwartet heftig auf den Tisch, daï¬ die Lichter verlËschten und alle laut aufschrien.
“Meine Feuerwerke fangen immer mit einem Kanonenschuï¬ an”, sagte er, “erschrecken Sie nicht!” und in demselben Augenblick brannte er mehrere Spr¸hkegel an, die er aus Pulver und vergoï¬nem Weine in der Stille geknetet hatte, und sagte: “Stellen Sie sich vor, Sie wâ°ren bei meinem groï¬en Feuerwerke in Venedig, welches ich am KrËnungstage Napoleons dort abbrannte. Es muï¬ten mir einige KËrner prophetischen Schieï¬pulvers in die Masse gekommen sein; kurz gesagt: als der Thron und die Krone und das groï¬e Notabene, NB, Napoleon Bonapartes Namenszug, im vollen Brillantfeuer, von hunderttausend Schwâ°rmern und Raketen umzischt, kaum eine Viertelstunde von einer hohen Generalitâ°t und dem verehrten Publikum beklatscht worden waren, fing mein Feuerwerk an, ein wenig zu frËsteln; es platzte und zischte manches zu fr¸h und zu spâ°t ab, eine gute Partie einzelner Sonnen und Râ°der brannten mir in einer Scheune nieder, die dabei das Dach verlor. Das Schauspiel war so grandios angelegt, daï¬ man diesen ganzen kunstlosen Scheunenbrand f¸r seinen Triumph hielt, man klatschte, und ich paukte und trompetete; schnell lieï¬ ich alle meine ¸brigen St¸cke in die L¸cken stellen und von neuem losfigurieren. Aber der Satan fuhr mir mit dem Schwanz dr¸ber, und die ganze Pastete flog mit einem groï¬en Geprassel auf einmal in die Luft, die Menschen fuhren grâ°ï¬lich auseinander, Ger¸ste brachen ein, alle Einzâ°unungen wurden niedergerissen, die Menge st¸rzte nach den Gondeln, die Gondelf¸hrer wehrten ab, die B¸rger pr¸gelten sich mit den franzËsischen Soldaten, meine Kasse wurde gepl¸ndert; es war eine Verwirrung, als sei der Teufel in die Schweine gefahren und diese st¸rzten dem Meer zu. Unsereins kennt sein Handwerk, man ist auf dergleichen gefaï¬t, mein persËnlicher R¸ckzug war gedeckt. Ich lieï¬ nichts zur¸ck als alle meine Schulden, meine Reputation und meinen halben Daumen. Meine selige Frau, welcher der Rock am Leibe brannte, riï¬ mich in die Gondel ihres Bruders, eines Schiffers, und der brachte mich an einen Zufluchtsort, worauf wir am folgenden Morgen die Stadt verlieï¬en. Als wir das Gebirg erreichten, nahten wir uns auf Abwegen einer Kapelle, bei welcher ich mit meinem liebsten Gesellen Martino verabredet hatte, wieder zusammenzutreffen, wenn wir durch irgendein Ungl¸ck auseinander gesprengt werden sollten. Mein gutes Weib hatte ein St¸ck von einer Wachsfackel, die bei der Leiche unsers seligen TËchterleins gebrannt hatte, in der Tasche und pflegte, wenn sie nâ°hte, ihren Zwirn damit zu wichsen; aus diesem Wachs hatte sie wâ°hrend unseres Weges die Figur eines Daumens geknetet und hâ°ngte dieselbe, nebst einem Rosenkranz von roten und schwarzen Beeren, den sie auch sehr artig eingefâ°delt hatte, dem kleinen Jesulein auf dem Schoï¬e der Mutter Gottes in der Kapelle als ein Opfer an das Hâ°ndchen, und wir beteten beide von Herzen, daï¬ mein Daumen heilen und wir gl¸cklich ¸ber die Grenze in das Ësterreichische kommen mËchten. Wir lagen noch auf den Knien, als ich die Stimme Martinos rufen hËrte: “Sia benedetto il San Marco!”; da schrie ich wieder: “E la Santissima Vergine Maria!”, wie wir verabredet hatten, und lief mit meinem Weibe vor die Kapelle. Da trat uns Martino in einem tollen Aufzug entgegen. Er hatte bei dem Feuerwerk den Meergott Neptun vorgestellt und in seinem vollen Kost¸m Reiï¬aus genommen; er hatte den Schilfg¸rtel noch um den Leib, einen Wams von Seemuscheln an und eine Binsenper¸cke auf, sein langer Bart war von Seegras, auf der Schulter trug er den Dreizack, auf welchem er ein t¸chtiges Bauernbrot und drei fette Schnepfen, die er mitsamt dem Neste erwischte, gespieï¬t hatte. Nach herzlicher Umarmung erzâ°hlte er uns: wie ihn seine Kleidung gl¸cklich gerettet habe; die Strickreiter seien ihm auf der Spur gewesen, da habe er sich in das Schilf eines Sumpfes versteckt, und sein Schilfg¸rtel machte ihn da nicht bemerkbar. Als er stille liegend sie vor¸berreiten lassen, hâ°tten sich die drei Schnepfen sorglos neben ihm in ihr Nest niedergelassen, und er habe sie mit der Hand alle drei ergriffen. Das Brot hatte er von einem Contrebandier um einige Pfennige gekauft, der ihm zugleich die nâ°chste Herberge auf der HËhe des Gebirges beschrieben, aber nicht eben allzu vorteilhaft: denn der ganze Wald sei nicht recht geheuer, der wilde Jâ°ger ziehe darin um und pflege grade in dieser Herberge sein Nachtquartier zu halten. “Wohlauf denn!” sagte ich, “so haben wir heute nacht gute Gesellschaft; ich hâ°tte den Kerl lange gern einmal gesehen, um seinen Jagdzug recht nat¸rlich in einem Feuerwerk darstellen zu kËnnen.” Mein Weib Marinina aber, welche, um ja nichts zu versâ°umen, alles miteinander glaubte, machte ein saures Gesicht zu der Herberge. Das konnte aber nichts helfen, wir muï¬ten den Weg wâ°hlen; er war ganz entlegen und sicher und ein Schleichweg der Contrebandiers, mit welchen Martino einige Bekanntschaft hatte. Die Nacht brach herein, es nahte ein Gewitter, und wir muï¬ten uns auf den Weg machen. Martino machte unsere Wanderschaft etwas lustiger, er ¸bergab meiner Marinina die Schnepfen und sagte: “Rupft sie unterwegs, damit wir in der Herberge dem wilden Jâ°ger bald einen Braten vorsetzen kËnnen”, und nun marschierte er mit tausend Spâ°ï¬en in seinem tollen Habit, wie ein vazierender Waldteufel, voraus. Ich folgte ihm auf dem schmalen Waldpfade und hatte meinen halben Daumen, der mich nicht wenig schmerzte, meistens in dem Munde, und hinter mir zog–daï¬ Gott erbarm! –meine selige Marinina und rupfte die Schnepfen unter Singen und Beten. ¸ber der rechten H¸fte war ihr ein ziemliches Loch in den Rock gebrannt, und sie schâ°mte sich, vorauszugehen, daï¬ Martino, der seinen Witz in allen Nestern auszubr¸ten pflegte, an ihrer BlËï¬e nicht â°rgernis nehmen mËchte. Der Weg war steil, unheimlich und beschwerlich; der Sturm sauste durch den Wald, es blitzte in der Ferne, Marinina schlug ein Kreuz ¸ber das andre. Aber die M¸digkeit vertrieb ihre Furcht vor dem wilden Jâ°ger immer mehr, von welchem Martino die tollsten Geschichten vorbrachte. “Es ist gut”, sagte er, “daï¬ wir selbst Proviant bei uns haben, denn wenn wir mit ihm essen m¸ï¬ten, d¸rften wir leicht mit dem Schenkel eines Gehâ°ngten oder mit einem immarinierten Pferdekopf bewirtet werden. Fasset Mut, Frau Marinina, schaut mich nur an, â°rger kann er nicht aussehen!”
Unter solchen Gesprâ°chen hatten wir die GebirgshËhe erstiegen und waren ein ziemlich St¸ck Wegs in den wilden, finstern Wald geschritten, da hËrten wir ein abscheuliches Katzengeheul und kamen bald an eine H¸tte, mit Stroh und Reisern gedeckt; alte Lumpen hingen auf dem Zaun, und an einer Stange war ein groï¬es Stachelschwein ¸ber der T¸re herausgesteckt als Schild. “Da sind wir”, sagte Martino; “wie glaubt ihr, daï¬ dies vornehme Gasthaus heiï¬e?”–“Zum Stachelschwein!” sagte ich.-“Nein!” erwiderte Martino, “es hat mehrere Namen; einige nennen es des Teufels Zahnb¸rste, andre des Teufels Pelzm¸tze, andre gar seinen Hosenknopf.” Wir lachten ¸ber die nâ°rrischen Namen. Die Katze saï¬ vor der T¸re auf einem zerbrochenen H¸hnerkorb, machte einen Buckel gegen uns und ein Paar feurige Augen und hËrte nicht auf zu solfeggieren. In dem Hause aber rumpelte es wie in einem Raspelhause und leeren Magen. Nun schlug Martino mit der Faust gegen die T¸re und schrie: “Holla, Frau Susanna, f¸r Geld und gute Worte Einlaï¬ und Herberge; Eure Katze will auch hinein.” Da krâ°hte eine Stimme heraus: “Wer seid ihr Schalksknechte zu nachtschlafender Zeit?” Und Martino, der in Reimen wie ein Improvisatore schwatzen konnte, schrie: “Ich bin ja der Rechte und komme von weit!” Nun keifte die Stimme wieder: “Wenn die Katze nicht drauï¬en wâ°r, ich lieï¬ Euch nimmermehr ein!” Und Martino sagte: “Ihr denket so zâ°rtlich ungefâ°hr wie Euer Schild, das Stachelschwein.” Marinina war in tausend â°ngsten; sie bat immer den Martino, die alte Wirtin nicht zu schelten, sie sei gewiï¬ eine Hexe und werde uns nichts Gutes antun. Da ging die T¸r auf, ein schwarzbraunes, zerlumptes, sonst glattes und h¸bsches Mâ°gdlein, glâ°nzend und schlank wie ein brauner Aal, leuchtete uns aus der K¸che mit einer Kienfackel ins Gesicht und war nicht wenig erschrocken, als Martino in seinem wilden Aufzug ihr rasch entgegenschritt und, indem er drâ°ngend sie verhinderte, die T¸re wieder zuzuschlagen, ihr sagte: “Brauner Schatz, mach uns Platz! Menschen sind wir, schËnes Kind, hier: hast zum Zeichen diesen Schmatz!” und somit k¸ï¬te er sie herzlich; wir drangen indessen hinein. Die kleine Braune aber sagte: “Und wenn du auch nicht der Satan selbst bist, so kËnnt ihr heute hier doch nicht bleiben; meine Groï¬mutter ist sehr brummig, sie f¸rchtet, das Waldgespenst komme heut nacht, und da nimmt sie keine Gâ°ste, um die Herberge nicht in bËsen Ruf zu bringen; unsre Kammer, wo wir schlafen, ist eng, und sie r¸ckt schon allen Hausrat vor ihr Bett, um das Gespenst nicht zu sehen, welches oft quer durch unsre H¸tte zieht.” Martino aber erwiderte: “Eben in dieser Kammer wollen wir schlafen, und eben dieses Waldgespenst wollen wir mit gebratenen Schnepfen bewirten; wir sind des wilden Jâ°gers K¸chengesinde!” Und somit packte er ein Bund Stroh auf, das in der Ecke lag, und marschierte in die Kammer; wir kamen nach, trotz allen Zeremonien, welche die nuï¬braune Jungfer machen wollte.
Es war gar keine alte Groï¬mutter in der H¸tte; das Mâ°dchen log uns etwas vor. Martino breitete das Stroh an die Erde, und Marinina, furchtsam und m¸de, legte sich gleich, mit dem Gesicht, ¸ber das sie noch ihre Sch¸rze deckte, gegen die Wand gekehrt, nieder und r¸hrte sich nicht. Martino begab sich mit den Schnepfen wieder in die K¸che, in welcher die braune Jungfer schmollend und brummend zur¸ckgeblieben war, und ich sah mich einstweilen in der Stube um. Eine Kienfackel brannte in der Mitte; sie war in einen K¸rbis festgesteckt, der neben schmutzigen Spielkarten auf einem breiten Eichenstumpf lag, welcher als Tisch und Hackstock diente und fest genug stand, denn er steckte noch mit allen seinen Wurzeln in der Erde, welche ungedielt der ganzen H¸tte ihren Grund und Boden gab. Ein paar Bretter, auf eingepfâ°hlte StËcke befestigt, waren die unbeweglichen Sitze; die Wâ°nde bestanden aus Flechtwerk, mit Lehm und Erde verstrichen, und einzelne hereinragende â°ste bildeten mancherlei Wandhaken, an denen zerlËcherte KËrbe, Lumpen, Zwiebelb¸ndel, Hasen-, Hunde-, Katzen–und Dachsfelle hingen, auch einige zerbrochene Gartenwerkzeuge. Auf einem derselben aber saï¬ ein greuliches Tier, eine ungeheure Ohreule, welche gegen die Kienfackel mit den Augen blinzte und sich in die Schultern warf wie ein alter Professor, der soeben den Theriak erfunden hat. In einem ausgebauten Winkel der Stube lag, auf zwei Baumst¸cken, die Bettstelle der Groï¬mutter, die sehr dauerhaft in einer ausgehËhlten Eiche bestand, an der die Rinde noch saï¬. Sonst war das Bett wohl bedacht, denn seine schmutzigen Federkissen lagen so hoch aufgebauscht, daï¬ die niedre H¸ttendecke, aus der das Stroh herabhing, weder hoch noch hart gefallen wâ°re, wenn sie einst¸rzte; aber, sich noch zu besinnen, schien sie unentschlossen hin und her zu schwanken. Der Hausrat, von welchem das Mâ°dchen gelogen hatte: daï¬ die Groï¬mutter ihn vor das Bett r¸cke, bestand in einer zerbrochenen T¸re und einer alten Tonne, mit welcher wahrscheinlich der Lâ°rm gemacht worden war, den wir in der H¸tte hËrten. Sie waren beide vor den Bettrog der Groï¬mutter ger¸ckt. Auï¬er allem diesen sah man nichts als eine sehr baufâ°llige Leiter, die an einem Loche in der Ecke lehnte, durch welches ich einige H¸hner oben gackern hËrte, die das Gerâ°usch unsrer Ankunft erweckt hatte, die Katze nicht zu vergessen, welche auf einer alten Trommel hinter der T¸re schlief. Eine Geige, ein Triangel und ein Tambourin hingen an der Wand, und neben ihnen ein zerrissener bunter Tiroler Teppich.
Ich hatte kaum alle diese Herrlichkeiten betrachtet, als Martino hereintrat und zu mir sagte: “Meister, ich habe alle Schwierigkeiten geebnet und weiï¬, wo wir sind. Wir hausen bei einer alten Zigeunerin, welche auï¬er ihren Privatgeschâ°ften: der Wahrsagerei, Hexerei, Dieberei, Viehdoktorei, auch eine Hehlerin der Contrebandiers macht; die Kleine drauï¬en ist ihr Tochterkind, das auf der hohen Schule bei ihr ist und der Groï¬mutter Tod abwarten soll, um hinter einen Topf von Gold zu kommen, von dem sie immer spricht, ohne doch je zu sagen, wo sie ihn hin versteckt hat. Das hat mir das Mâ°dchen alles anvertraut; ich habe ihr Herzchen ger¸hrt, sie ist kirre wie ein Zeisig, und wenn wir wollen, lâ°ï¬t sie die Groï¬mutter und den Goldtopf im Stich, lâ°uft morgen mit uns und verdient uns das Brot mit Burzelbâ°umen, deren sie ganz wunderbare schlagen kann. F¸r all dies Vertrauen habe ich ihr versprechen m¸ssen, zu glauben: daï¬ der wilde Jâ°ger heute nacht wirklich durch die H¸tte zieht; wir sollen uns nur um Gottes willen ruhig halten. Die Groï¬mutter wird in kurzer Zeit zur¸ckkommen; sie ist mit Lebensmitteln zu einem Zug Schleichhâ°ndler gegangen, der ¸ber das Gebirge zieht. Der wilde Jâ°ger, sagt sie, treibe um Mitternacht durch die Stube, und wenn wir uns ruhig hielten, werde er uns kein Haar kr¸mmen, sonst aber riskieren wir Leib und Leben; ich denke aber, wir wollen es mit ihm versuchen.” Nun legte er meinen Pr¸gel und seinen Dreizack neben uns auf das Stroh nieder und fuhr fort: “Es ist beinahe eilf Uhr, die Kleine hat es an ihrer Sanduhr gesehen; die Schnepfen weiï¬ sie nicht am Spieï¬ zu braten, sie hat sie mit Zwiebeln gef¸llt in einen Topf gesteckt, und wenn wir die Schnepfensuppe gegessen, sollen wir das Fleisch mit Essig und OlivenËl als Salat verzehren; Wein muï¬ hier in der Kammer ein Schlauch voll sein.” Da suchte Martino herum und fand unter einigen alten Brettern ein tiefes Loch in der Erde, das, als Keller, einen alten Dudelsack voll Wein enthielt. Er zog ihn heraus, wir setzten die zwei Pfeifen an den Mund und dr¸ckten den vollen Sack so zâ°rtlich an das Herz, daï¬ uns der s¸ï¬e Wein in die Kehle stieg. Nie hat ein Dudelsack so liebliche Musik gemacht. Wir labten uns herzlich; ich weckte meine Marinina, und sie muï¬te auch eins drauf spielen; dazu verzehrten wir unser Brot und einige Zwiebeln aus dem Vorrat, der an der Wand hing, und streckten uns, in der Erwartung des weiteren, zur Ruhe auf das Stroh. Marinina schlief fest ein. Ich betete mit Martino noch eine Litanei; dann legten wir uns neben unsere Waffen bequem, und Martino sagte: “Laï¬t uns nun ruhen; mir ist so rund und so wohl, daï¬ mir das Blut in den Adern flimmert; wer den wilden Jâ°ger zuerst sieht, stËï¬t den andern, dann springen wir mit unseren TrËstern ¸ber ihn her und schlagen den Kerl zu Brei; ich habe noch einen Schwâ°rmer in der Tasche, den will ich dem Schelm unter die Nase brennen.” Ich freute mich an seinem frischen Herzen; wir empfahlen uns dem Schutz des heiligen Markus und lauschten dem Schlafe entgegen, der uns den R¸cken hinaufkroch und uns schon hinter den Ohren krabbelte. Nun ward alles mâ°uschenstill; der Donner rollte fern, der Sturm hatte sich in den Waldwipfeln schlafen gelegt, die ihn mit leisem Rauschen einwiegten. Die Kienfackel knisterte, Grillen sangen, die Katze schnurrte auf der Trommel, welche, von dem Tone ersch¸ttert, das ferne Donnern zu begleiten schien; Marinina pfiff durch die Nase, denn sie hatte sich einen Schnupfen geholt, in der K¸che knackte das gr¸ne Holz im Feuer, die Schnepfensuppe sauste im Topf, und unsere braune KËchin sang mit einer klaren und starken Stimme, wie ich noch keine Primadonna gehËrt, folgendes Lied:
Mitidika! Mitidika!
Wien ¸ng quatsch,
Ba nu, Ba nu n’am tsche fatsch,
Waja, Waja, Kur libu,
Ich bin ich und du bist du;
Ich spricht Stolz,
Du spricht Lieb!
Wer sich scheut vor Galgenholz,
Wird im gr¸nen Wald zum Dieb.
Mitidika! Mitidika!
Wien ¸ng quatsch,
Ba nu, Ba nu n’am tsche fatsch,
Singt die Magd, so kocht der Brei,
Singt das Huhn, so legts ein Ei;
Er spricht Schimpf,
Sie spricht Fremd;
Fehlen mir gleich Schuh und Str¸mpf, Hab ich doch ein buntes Hemd.
Mitidika! Mitidika!
Wien ¸ng quatsch,
Ba nu, Ba nu n’am tsche fatsch,
HËr, was pocht dort an der T¸r?
Drauï¬en schrein sie nach Quartier. Ists der Er?
Ists der Sie?
Mach ich auf wohl nimmermehr,
Nur du Lieber, du schlâ°fst hie.
Mitidika! Mitidika!
Wien ¸ng quatsch,
Ba nu, Ba nu n’am tsche fatsch,
Waja, Waja, Kur libu,
In dem Topf hats nimmer Ruh;
Saus und Braus
‘rab und ‘rauf,
K¸chenteufel drinnen haus:
Daï¬ es mir nicht ¸berlauf!”
Als der Feuerwerker den Anfang dieses Liedes: “Mitidika! Mitidika!” gesagt, nahm der Zigeuner Michaly seine Violine und sang es unter den lieblichsten Variationen der Gesellschaft vor; alle dankten ihm, der Feuerwerker aber sagte: “Michaly, du sangst das nâ°mliche Lied, wie die kleine Braune, und hast eine â°hnlichkeit mit ihr in der Stimme. “–“Kann sein”, sagte Michaly lâ°chelnd, “aber erzâ°hl nur weiter, ich bin auf den wilden Jâ°ger sehr begierig.”–“Ich hob a a Schneid uf den soakrische Schlankl!” sagte der Tiroler; alle drangen auf die weitere Erzâ°hlung, und der Feuerwerker fuhr fort:
“Als die Kleine das Lied sang, ward sie von einem Schlag gegen die T¸re unterbrochen: “Mitidika!” rief es drauï¬en mit einer rauhen, heiseren Stimme. “Gleich, Groï¬mutter!” antwortete sie, Ëffnete die T¸re und erzâ°hlte ihr von den Gâ°sten; die Groï¬mutter brummte allerlei, was ich nicht verstand, und trat sodann zu uns in die Stube. Ihr Schatten sah aus wie der Teufel, der sich ¸ber die Leiden der Verdammten bucklicht gelacht, und wâ°re er nicht vor ihr her in die Stube gefallen, um einen ein wenig vorzubereiten, ich hâ°tte geglaubt, der Alp komme, mich zu w¸rgen, als sie eintrat. Sie war von oben und rings herum eine Borste, ein Pelz und eine Quaste und sah darin aus wie der Oberpriester der Stachelschweine. Sie ging nicht, lief nicht, h¸pfte nicht, kroch nicht, schwebte nicht, sie rutschte, als hâ°tte sie Rollen unter den Beinen wie groï¬er Herren Studierst¸hle. Wie die kleine flinke Braune hinter ihr drein und um sie her schl¸pfte, um sie zu bedienen, dachte ich: so mag des Erzfeinds Groï¬mutter aussehen und die Schlange, ihre Kammerjungfer.
“Mache mir das Bett, Mitidika!” sagte sie, “und wenn ich ruhe, kannst du die Gâ°ste besorgen.” Wâ°hrend das Mâ°dchen die Kissen aufsch¸ttelte, begann die Alte sich zu entkleiden, und ich weiï¬ nicht zu sagen, ob ihre Kleidung oder ihr Bett aus mehreren St¸cken bestand. Sie zog einen Schreckenswams, eine Schauderjacke und Zauberkapuze um die andre aus, und die ganze Wand, an der sie die Schalen aufhâ°ngte, ward eine Art Zeughaus; ich dachte alle Augenblick: noch eine H¸lse herunter, so liegt ein biï¬chen Lung und Leber an der Erde, das friï¬t die Katze auf, und die Groï¬mutter ist all; keine Zwiebel hâ°utet sich so oft. Bei jedem Kissen, welches die Kleine ins Bett legte und aufsch¸ttelte, brummte die Alte und legte es anders, befahl ihr dann, es ganz sein zu lassen und ihr ein Rauchbad zu geben, sie m¸sse in einen Ameisenhaufen getreten haben; das Gewitter mache alles Vieh lebendig. Da setzte sich die Alte auf die zerbrochene Leiter und hâ°ngte die Tiroler Decke ¸ber sich, und die junge z¸ndete Krâ°uter unter ihr an und machte einen scheuï¬lichen Qualm, den sie uns, da sie von neuem anfing, die Federbetten hin und her zu werfen, in dicken Wolken auf den Leib jagte, als gehËrten wir auch zu den Ameisen, die vertrieben werden sollten. Es sah ziemlich aus, als wenn man eine Hexe verbrennte oder einen ungeheuren Taschenkrebs râ°uchre, als die Alte so ¸ber dem Dampf wie eine Mumie, in den bunten Tiroler Teppich geh¸llt, auf der Leiter saï¬.”
“Da sieht man, Wastl”, sprach der Zigeuner zu dem Tiroler, “wozu ihr die Teppiche fabriziert: um die Hexen darin zu râ°uchern.”–“Potz Schlakri”, erwiderte Wastl, “wonn’s daine sakrische ziganerische Groï¬muetta is, so loï¬ i’s poassiera; i bin gawis, es mËga a Legion Spodifankerl aus ihr raussi floga sein, un du bist a ains dervo.” Die Gesellschaft lachte ¸ber Wastls Antwort, und die Kammerjungfer wie auch Lindpeindler baten den Feuerwerker: er mËge machen, daï¬ die Alte ins Bett komme, die Schnepfen kËnnten ¸bergar werden. “Ganz recht”, sagte Baciochi, “das meinte Martino auch; denn als der sie in der Decke zappeln sah wie Hunde und Katzen, die in einen Sack gesteckt sind, und der Rauch zu dick zu werden begann, sprang er vom Stroh auf, trat vor die Alte hin und sagte: “Hochverehrte Frau Wirtin, ich versichere Euch im Namen Eurer Gâ°ste, daï¬ wir kein Rauchfleisch zu essen bestellt haben, und daï¬ wir auch von keinem verpesteten Orte kommen, um eines so kostbaren Rauchkerzchens zu bed¸rfen; seid so g¸tig, dem Wohlgeruch ein Ende zu machen, wir m¸ssen sonst mit all den Ameisen, die Euch plagen, davonlaufen.” Da fing die Alte eine weitlâ°ufige Gegenrede an und sagte: “Schicksalen und Verhâ°ltnissen haben mich so weit gebracht.” Martino aber nahm keine Vernunft an, packte die Alte mit beiden Hâ°nden und warf sie von der Leiter in ihre Federbetten; sie zappelte wie eine Meerspinne, aber er wâ°lzte ein Federbett ¸ber sie und sang ihr ein Wiegenlied mit so viel gutem Humor vor, indem er sie mit beiden Hâ°nden festhielt, daï¬ sie endlich selbst mit lachte und sagte: “Nun, legt Euch nur wieder nieder, hâ°tte ich doch nicht gedacht, heute von einem so lustigen Gesellen zu Bette gebracht zu werden. Mitidika, gib den Kavalieren zu essen!” Und somit kriegte sie den Martino beim Kopf und gab ihm unter groï¬em Gelâ°chter einen Kuï¬.
“Profiziat!” sprach dieser, “schlaf wohl, du allerschËnster Schatz!”
und legte sich mit einem sauern Gesichte wieder neben mich. “Gott sei Dank, Martino, daï¬ sie weg ist!” fl¸sterte ich.
“Hast du gewacht, Meister?” sprach der Schelm.
“Leider Gottes!” erwiderte ich, “du hast ein Kunstst¸ck gemacht; sie rauchte wie ein nasses Feuerwerk; f¸r einen Hutmacher wâ°re sie ein sauberes Gestell, alle seine M¸tzen daran aufzuhâ°ngen, er brauchte keinen Nagel einzuschlagen.”-“Ich werde mich wohl hâ°uten m¸ssen, da sie mich gek¸ï¬t hat”, sagte Martino.
“Warum?” fragte ich.
“Ei”, entgegnete er, “ich werde sonst die Augen nie wieder zukriegen kËnnen und die Zâ°hne immer blecken wie ein Mops; die Haut ist mir vor Schrecken zu kurz geworden.”–Unter diesen Scherzreden hËrten wir die Alte einschnarchen, und Mitidika ging ab und zu und verbaute leise das Bett der Alten mit der Tonne und der alten T¸re, die K¸chent¸re lieï¬ sie auf, daï¬ der Dampf hinauszog. Dann zupfte sie den Martino bei den Haaren und fl¸sterte. “Komm hinaus, deine Schnepfen sind gar, ich habe die Br¸he abgegossen, ich muï¬ das Feuer lËschen, die zwËlfte Stunde naht; denn fâ°hrt der wilde Jâ°ger mir durch das Feuer, steckt er uns die ganze H¸tte an.” Martino ging hinaus, und ich streckte den Kopf nach der T¸re und hËrte ihre Scherzreden. Mitidika sagte: “Ich habe dir deine VËgel trefflich gekocht und dir auch Krâ°uter an die Suppe getan; was gibst du mir nun?”-“Geben?” sagte Martino, “ich will dich mit der M¸nze bezahlen, welche hier zu gelten scheint, und in der mich deine Groï¬mutter zahlte; einen Kuï¬ will ich dir geben.”–“Das lâ°ï¬t sich hËren”, erwiderte sie; “aber die Groï¬mutter gab dir ein altes Schaust¸ck, das kann ich nicht brauchen, die M¸nze ist verschlagen.”–“Auch du bist verschlagen, Schelm!” erwiderte Martino, “ich will dir kleine M¸nze geben, wenn du herausgeben und wechseln kannst; wâ°rst du nur nicht so schwarz! “–“Und du nicht so weiﬔ, sagte sie; “ich werde dir einen Schein geben, einen Wechsel schwarz auf weiï¬, aber gib mir keine Scheidem¸nze!” sagte sie. “Die kriegst du morgen fr¸h beim Abschied”, erwiderte Martino, faï¬te sie beim Kopf, k¸ï¬te sie herzlich und sagte: “Ich habe dich lieb und bleibe dir treu.”–“Ei so l¸ge, daï¬ du schwarz wirst!” sprach sie. “Dann wâ°re ich deinesgleichen, und es kËnnte etwas daraus werden”, sprach Martino und schenkte ihr eine Nadelb¸chse von Elfenbein und Ebenholz, die er bei sich trug.
Das Mâ°dchen dankte und sprach: “Sieh, wie artig schwarz und weiï¬ zusammen aussehn; bleib bei uns; wenn die Alte stirbt, finden wir den Goldtopf und contrebandieren.”–“Ja, auf die Galeere!” sprach Martino. “Ich gehe mit auf die Galeere!” sagte sie; “pitsch, patsch! geht das Ruder, und ich singe dir dazu.”–“Das wollen wir ¸berlegen”, meinte Martino, “es ist eine zu glâ°nzende Aussicht um Mitternacht.” Da traten sie mit der Suppe und den Schnepfen herein und stellten sie auf den Eichenblock; die Suppe tranken wir aus dem Topf, ich wollte meine Marinina nicht wecken und lieï¬ ihr Teil in die warme Asche setzen, die VËgel wollten wir morgen fr¸h verzehren. Nun begann sich der Sturm in dem Walde wieder zu heben, und das Gewitter zog mit Macht heran. “Ach Gott”, sagte Mitidika, “lege dich nieder, Martino, und schlafe ein! HËrst du das Wetter? Der Jâ°ger blâ°st sein Horn, er wird gewiï¬ bald kommen; lege dich nieder, gleich, gleich!” Dabei sah sie â°ngstlich in der Stube umher. “Nun, nun, was fehlt dir?” fragte Martino, und sie sagte: “Schlafen sollst du und das Angesicht von mir kehren, denn ich muï¬ mich entkleiden und schlafen gehn, und das sollst du nicht sehen; ach, dreh dich um, Blanker!”-“Bravo!” sagte Martino; “es freut mich, daï¬ du so auf Zucht hâ°ltst, putze nur den Kien aus, bei der Nacht sind alle K¸he schwarz, selbst die schwatzen”-“Ja”, sagte sie, “auch die blanken Esel! Dreh dich um, ich bitte dich, ich will den Kien schon lËschen, wenn es Zeit ist.” Da drehte sich der ehrliche Martino um. “Gute Nacht, Mitidika!” sagte er.–“Gute Nacht, Martino!” sprach sie.
Nun breitete sie sich eine bunte wollene Decke an die Erde aus neben dem Eichenblock, stellte einen halben K¸rbis voll Wasser darauf, holte einen kleinen, zierlichen Kasten gar heimlich unter der Trommel hervor und setzte ihn neben sich auf die Bank, wobei sie sich â°ngstlich nach uns umsah. Ich blinzte durch die Augen und schnarchte, als lâ°ge ich im tiefsten Schlaf. Mitidika traute und schloï¬ das Kâ°stchen leise auf, musterte alle die Herrlichkeiten, die darin waren, und suchte sich einen Raum aus, die Nadelb¸chse des Martino bequem hineinzulegen. Ihr kËnnt euch meine Verwunderung nicht denken, als ich, in dieser w¸sten Zigeunerherberge, die Kleine auf einmal in einem so zierlichen und reichgef¸llten Schmuckkâ°stchen kramen sah. Es sah nicht ganz so aus, als sei ein Affe hinter die Toilette seiner Herrschaft geraten, auch nicht, als richte der Satan einen Juwelenkasten ein, um einem unschuldigen Mâ°dchen die Augen zu blenden; aber eine indianische Prinzessin, welche die Geschenke eines englischen Gouverneurs mustert, mag wohl so aussehn. Als sie so die Perlen–und Korallenschn¸re, die brillantenen Ohrringe und die Zitternadeln durch die schwarzen Hâ°nde laufen lieï¬, konnte ich vor Augenlust gar nicht denken, daï¬ dies gestohlnes Gut sein m¸sse. Nun stellte sie mehrere Kristallflâ°schchen mit Wohlger¸chen und Salben aus dem Kâ°stchen auf den Block, zog feine Kâ°mme und Zahnb¸rsten hervor und begann sich zu putzen und zu schm¸cken, wie die Nacht, die mit dem Monde Hochzeit machen will. Sie nahm die kleine, von buntem Stroh geflochtene M¸tze von ihrem Kopf, und ein Strom von schwarzen Haaren st¸rzte ihr ¸ber die Schultern; sie gewann dadurch ein reizendes und wildes Ansehn, wenn ihre weiï¬en Augâ°pfel und die blanken Zâ°hne aus den schwarzen Mâ°hnen hervorfunkelten. Sie kâ°mmte sich, schlâ°ngelte sich goldene Schn¸re in die ZËpfe, die sie flocht und kunstreich wie eine Krone um das schËne runde KËpfchen legte. Sie wusch sich das Gesicht und die Hâ°nde, putzte die Zâ°hne, beschnitt sich die Nâ°gel und tat alles mit so unbegreiflicher Zierlichkeit, Anmut und hinreiï¬ender Schnelligkeit der Bewegungen, daï¬ es mir vor den Augen zitterte und bebte. Als sie die brillantenen Ohrringe in die kleinen schwarzen MuschelËhrchen befestigte und die glitzernden Zitternadeln in den Flechtenkranz steckte und die Korallen–und Bernsteinschn¸re um das braune Hâ°lschen legte und dabei hin und her zuckte wie ein Wunderwerkchen, gingen mir die Augen ¸ber. Sie begoï¬ sich mit Wohlger¸chen, rieb sich die schwarzen Patschchen mit duftendem Ël und steckte sich ein blitzendes Ringlein um das andere an die schlanken Fingerchen. Nun stellte sie einen Spiegel auf und bleckte die Zâ°hnchen so artig hinein, es ist nicht zu beschreiben. Und bei allem dem donnerte und blitzte es drauï¬en, und ihre Eile ward immer grËï¬er; ich verstehe mich auf Lichtwirkungen in der Nacht, aber ich habe mein Lebtag kein solches Feuerwerk gesehen, kein Blitzen auf so schËnem dunkeln Grund als das Spiel der Diamanten und Perlen auf ihr; denn sie war ein wunderschËnes, frei, k¸hn, scheu und z¸chtig bewegtes Menschenbild.
Fl¸chtig packte sie nun alle Gerâ°te wieder in das Kâ°stchen, steckte noch eine Handvoll weiï¬es Zuckerwerk in das Mâ°ulchen und knupperte wie eine Maus, wâ°hrend sie das Kâ°stchen mit scheuen Blicken um sich her: ob wir auch schliefen, wieder unter die alte Trommel stellte. Die schwarze Katze, die auf derselben schlief, erhob sich dabei und machte einen hohen Buckel, als verwundere sie sich ¸ber sie, da sie ihr mit den funkelnden Hâ°nden ¸ber den R¸cken strich. Nun brachte sie ein feines Hemd von weiï¬er Seide, legte es ¸ber den Arm und fing an, ihr Mieder aufzuschn¸ren, wobei sie uns den R¸cken kehrte; es sah aus, als werfe sie Kuï¬hâ°ndchen aus, wenn sie die Nestel zog; nun aber schl¸pfte sie in die K¸che und trat in wenigen Minuten wieder herein in einem schneeweiï¬en RËckchen und einem Mieder von rotem venetianischen Samt. So stand sie mitten auf der Decke und betrachtete ihren Staat mit kindischem Wohlgefallen; der Donner rollte heftiger, Martino wachte auf, Mitidika faï¬te den Teppich mit beiden Hâ°nden ¸ber die Schultern, stieï¬ mit dem Fuï¬ die Kienfackel aus, wickelte sich schnell ein wie eine Schmetterlingslarve, ein heller Blitz erleuchtete die Kammer, sie schoï¬ wie eine Schlange an die Erde nieder und kr¸mmte sich zusammen. Martino hatte sie im Leuchten des Blitzes noch gesehen, aber er wuï¬te nicht, was es war; er sprach: “Meister, saht Ihr etwas?” Ich war aber so erstaunt, daï¬ ich stumm blieb; da sprach er: “Mitidika, schlâ°fst du?”, aber sie schwieg; Martino drehte sich um und schlief auch wieder. Meine Gedanken ¸ber das, was ich gesehen, lieï¬en mich nicht ruhen, der wunderbare Schmuck in dem Besitz der kleinen braunen Bettlerin, und daï¬ sie ihn jetzt so sorgsam und heimlich angelegt, befremdete mich ungemein; alles kam mir wie Zauberei vor. Sie erwartet ein Waldgespenst und schm¸ckt sich wie eine Braut. War dies gestohlnes Gut? Ist sie eine verkleidete, versteckte Prinzessin? Warum geht sie in dieser Pracht schlafen, und warum wickelt sie sich mit all der Herrlichkeit in den alten Teppich ein? Sollte alles dies geheim sein, wie war es mËglich, da wir sie morgen fr¸h doch in ihrem Putz finden muï¬ten? So lag ich nachsinnend; das Gewitter war in vollem Grimme ¸ber uns, und das Licht der zuckenden Blitze zeigte mir Ëfters das Bild der Mitidika, welche, wie eine Mumie in den Teppich geh¸llt, an der Erde ausgestreckt lag. Als ich aber durch das wilde Wetter ein Horn schallen hËrte, stieï¬ ich Martino an und fl¸sterte ihm zu: “Halte dich bereit, ich glaube, der wilde Jâ°ger ist im Anzug.” Wir hËrten das Horn nochmals und Pferdegetrapp und Gewieher, und ich bemerkte, daï¬ Mitidika aufstand; ich kroch aber quer vor die offene K¸chent¸re, und als sie mit dem Fuï¬e an mich anstieï¬, glaubte sie umgegangen zu sein und wendete sich nach einer andern Seite. Martino stand auf, die Haust¸re Ëffnete sich, und es trat eine Gestalt mit raschem Schritt durch die K¸che auf uns zu; ich faï¬te sie bei den Beinen, daï¬ sie niederschlug, und Martino drosch so gewaltig auf ihn los, daï¬ der wilde Jâ°ger Zetermordio zu schreien begann. “Mitidika, H¸lfe, H¸lfe! man mordet mich!” schrie er.-“Ha ha! Herr wilder Jâ°ger”, schrie nun Martino, “wir haben dich!” und so zerrten wir ihn in die Stube herein und machten die T¸re zu. Der Lâ°rm ward allgemein; der Kerl wehrte sich verzweifelt. Meine Marinina erwachte und schrie: “Jesus, Maria, Joseph! Licht her, Licht her! Was ist das, o Baciochi, Martino!” Die Alte fuhr aus ihren Betten auf, warf die alten Bretter um, die vor ihr standen, und schrie: “MËrder, H¸lfe, Mitidika!” Dabei wurden die H¸hner auf dem Boden rebellisch, die Trommel kollerte brummend durch die Stube; Mitidika allein lieï¬ sich nicht hËren. “Martino, schlage Feuer!” rief ich und dr¸ckte meinen fremden Gast fest in die Gurgel, daï¬ er sich nicht r¸hren konnte. Da stieï¬ Martino einen Schwâ°rmer in die gl¸hende Asche des Herds, der leuchtend durch die Kammer zischte und dem ganzen Spektakel ein noch tolleres Ansehen gab. Mein Gefangener fing von neuem an zu ringen, und indem ich ihn gegen die Wand dr¸ckte, trat ich gegen einige Bretter, die auswichen–ich warf ihn nieder. Ein groï¬er Bock, der hinter den Brettern geruht hatte, sprang auf und fing nicht schlecht an zu stoï¬en, und ich warf meinen wilden Jâ°ger so krâ°ftig zur Erde, daï¬ er keinen Laut mehr von sich gab. Martino brachte nun eine brennende Kienfackel herein, und wir sahen die ganze Verwirrung. Der wilde Jâ°ger war ein schËner, schlanker Kerl in galanter Jagduniform. Er r¸hrte sich nicht; der Gedanke, daï¬ ich ihn gar totgedr¸ckt hâ°tte, fuhr mir unheimlich durch die Glieder, ich st¸rzte zur K¸che nach Wasser; Martino faï¬te die Alte, die fluchend und schreiend aus dem Bett gesprungen war, und warf sie wieder in die Federn mit den Worten: “Schweig still, Drache! Wir wollen dir kein Haar kr¸mmen; wir haben nur den wilden Jâ°ger abgefangen.” Nun trat ich mit einem Eimer Wasser hinein und goï¬ ihn pratsch! ¸ber den leblosen wilden Jâ°ger; da sprang er wie eine nasse Katze in die HËhe–.”
“Das Wasser, das kalte Wasser”, schrie hier Devillier aufspringend, “war das Allerfatalste!” und die ganze Gesellschaft sah ihn verwundert an. “Nun, was schauen Sie”, fuhr er fort, “soll ich lâ°nger schweigen? Habe ich nicht schrecklich ausgehalten und mich hier in der Erzâ°hlung nochmals miï¬handeln lassen?” Baciochi wuï¬te nicht, was er vor Erstaunen sagen sollte ¸ber Devilliers Unterbrechung; dieser aber sprach heiter: “Ja, Herr Baciochi, ich war der wilde Jâ°ger, mich habt Ihr so krâ°ftig zugedeckt, ich habe es von Anfang der Geschichte gewuï¬t und hâ°tte gern geschwiegen, aber das kalte Wasser lief mir wieder erweckend ¸ber den R¸cken.” Da ward die ganze Gesellschaft vergn¸gt, der Feuerwerker reichte Devillier die Hand, und dieser sagte: “Es freut mich, Euch wiederzusehen; alles ist lâ°ngst vergessen, nur Mitidika nicht!”–“Das will ich hoffen”, meinte der Zigeuner ernsthaft, “ich bitte mir das Ende der Geschichte aus.” Da tranken alle lustig herum, und Devillier trank die Gesundheit der Mitidika, wozu Michaly einen Tusch geigte und Lindpeindler das hochpoetische freie Leben der Zigeuner pries; der Vizegespan meinte jedoch: sie hâ°tten nicht die reinsten Hâ°nde. Die Kammerjungfer aber fragte: “Wo hat sie nur den Schmuck hergehabt?” Der Tiroler sagte: “Den wilda Jaaga hobt’s maisterli zuagdeckt!” und alle drangen, Devillier mËge weiter erzâ°hlen.
“Wohlan!” sagte dieser: “Ich hatte damals Geschâ°fte mit der Contrebande und manche andere politische Ber¸hrungen diesseits und jenseits auf der Grenze. Ich dirigierte den ganzen Schleichhandel und forschte auf hËhere Veranlassung dem Orden der Carbonari nach. Auf meinen Streifereien hatte ich Mitidika kennengelernt und mich leidenschaftlich in dies schËne, unschuldige und geistvolle wilde Naturkind verliebt. In bestimmten Nâ°chten besuchte ich sie; der Schmuck, den Ihr, Baciochi, sie anlegen sahet, war ein Geschenk von mir. Sie hatte den Glauben der Alten an den wilden Jâ°ger benutzt, um sich unentdeckt einige Stunden von mir unterhalten zu lassen. Wenn ich kommen sollte, schm¸ckte sie sich immer wie eine Zauberin; ich setzte sie dann mit auf mein Pferd und brachte sie nach einer HËhle, eine Viertelstunde von ihrer H¸tte, welche das Warenlager meines Schleichhandels war; da saï¬ sie in einem mit dem feinsten englischen bunten Kattun ausgeschlagenen Raum mit mir und ergËtzte mich und einen verstorbenen Freund mit Tanz, Gesang und freundlicher Rede. Gegen Morgen ging sie zur¸ck, einen B¸ndel Holz in die K¸che tragend, und wurde von der Groï¬mutter wegen ihrem Fleiï¬ gelobt. Ich liebte sie unaussprechlich um ihrer Tugend und SchËnheit, und ihr ganzes Wesen war so wunderbar und bei allem Mutwillen und aller kindlichen Ergebenheit so gebieterisch, daï¬ ich nie daran denken konnte, ihre Unschuld auch nur mit einem Gedanken zu verletzen. O, sie war gar nicht mehr wie ein Mensch, sie war wie eine Zauberin, wie ein Berggeist, wenn sie in dem Edelsteinschmuck vor uns tanzte, sang, lachte und weinte; ich kann sie nie vergessen. In der Nacht, wo Ihr und Martino mich so hâ°ï¬lich zerpr¸geltet, ging die ganze Herrlichkeit zu Ende. Anfangs hielt ich meine Angreifer f¸r italienische Gendarmen, die mir auf die Spur kamen; als wir uns aber erklâ°rt hatten, nahm mir die Entdeckung vom Gegenteil allen Zorn hinweg, und unsere erste Sorge war: wo Mitidika hingekommen sei. Die alte Zigeunerin jammerte auch nach ihr, wir suchten alle Winkel aus und fanden sie nicht, bis die Alte die Leiter vermiï¬te. Baciochi sagte: zur T¸re kËnne sie nicht hinausgekommen sein, er habe davorgelegen; da machte uns der Regen, der durch das Loch in der Decke hereinstrËmte, aufmerksam; Martino kletterte auf den Schultern Baciochis hinan und fand die Leiter, aber Mitidika, welche die Leiter nach sich gezogen, war durch das Strohdach hinaus geklettert und nirgends zu finden. Ich eilte nach der T¸re und vermiï¬te mein Pferd; nun war ich gewiï¬, daï¬ sie nach meinem Schlupfwinkel entflohen sein m¸sse, und war ruhig. Ich durfte diesen weder an Baciochi noch an die Zigeunerin, die nichts von meinem Verhâ°ltnisse mit Mitidika wuï¬te, verraten und suchte deshalb noch lange mit. Das Wetter war aber so abscheulich, daï¬ wir bald wieder zur¸ckkehrten, und die Alte jammerte nicht mehr lange; da hËrten wir Hufschlag, und Mitidika st¸rzte in ihrem ganzen Schmuck mit wilder Gebâ°rde in die Stube auf mich zu: “Geschwind, fort, geflohen!” schrie sie, “die italienischen Gendarmen streifen in der Nâ°he, Euren Freund haben sie mit einem ganzen Zug Schleichhâ°ndler gefangen; es ist ein Gl¸ck, daï¬ hier der Spektakel losging, ich bin aus Angst durch das Dach geschl¸pft, dadurch habe ich die nahe Gefahr entdeckt; geschwind fort!”–“Wohin?” schrie ich, und Baciochi, Martino und Marinina, die sich auch vor der Entdeckung f¸rchteten, folgten alle mit mir der treibenden Mitidika zur T¸re hinaus. Sie schwang sich auf mein Pferd, ich hinter sie, und so sprengten wir beide nach unserem Schlupfwinkel, unbek¸mmert um Euch, Herr Baciochi, und die Eurigen.”
“Ja”, sagte der Feuerwerker, “Ihr rittet nicht schlecht, und wir hatten in dem wilden Wetter ¸bles Nachsehen; ¸brigens war es Euch nicht zu verargen, daï¬ Ihr uns nicht eingeladen, mitzugehen; wir hatten Euch schlecht bewillkommt. Ich will mein Lebtag an den Mordweg denken. Meine Marinina ward krank und starb zwei Monate nachher in Kroatien; Gott habe sie selig! Martino lieï¬ sich bei der Ësterreichischen Artillerie anwerben und war neulich mit in Neapel, wenn er noch lebt. Ich fand mein Brot–Gott sei gelobt!–bei unserm gnâ°digen Herrn. Es freut mich, daï¬ Ihr so gut davongekommen; aber was ist denn aus der braunen Mitidika geworden?”
“Ja, wer das w¸ï¬te!” sagte Devillier; “wir kamen vor der HËhle an und zogen das Pferd herein. Sie war voll Sorge um mich, wusch mir meine Kopfwunden und Beulen mit Wein und bewies mir unendliche Liebe. So brachten wir die Nacht in steter Angst und Sorge zu. Gegen Morgen hatte sie keine Ruhe mehr, sie verlangte nach der alten Mutter; sie beschwor mich, sogleich die HËhle zu verlassen und zu fliehen. Das Schicksal meines Freundes ersch¸tterte mich tief, ich war entschlossen, ihn aufzusuchen. Sie schwur mir ewige Treue; ich versprach ihr, wenn ich sie nach einiger Zeit hier wieder fâ°nde, sie zu meiner Frau zu machen; sie lachte und meinte: sie wolle nie einen Mann, der kein Zigeuner sei, und nun auch keinen Zigeuner, sie wolle gar keinen Mann. Dabei scherzte und weinte sie, tanzte und sang noch einmal vor mir, und als ich sie umarmen wollte, schlug sie mich ins Gesicht und floh zur HËhle hinaus. Ich verlieï¬ den Ort gegen Abend. Als ich vom Tode meines Freundes gehËrt hatte und zu Mitidika zur¸ckkehrte, war ihre H¸tte abgebrannt; ich ging nach der HËhle, sie war ausgepl¸ndert. Auf der Wand aber fand ich mit Kohle geschrieben: “Wie gewonnen, so zerronnen! Ich behalte dich lieb, tue, was du kannst, ich will tun, was ich muï¬.” Ich habe das holdselige GeschËpf durch ganz Ungarn aufgesucht, aber leider nicht wiedergefunden; hundert Mitidikas sind mir vorgestellt worden, aber keine war die rechte.”
“Es gibt auch nur eine”, sagte hier Michaly, “und wird alle tausend Jahre nur eine geboren.”–“Kennt Ihr sie?” sprach Devillier heftig. “Was geht es Euch an”, erwiderte Michaly, “ob ich sie kenne? Habt Ihr nicht die Ehe ihr versprochen und doch eine Ungarin geheiratet? Sie hat Euch Treue gehalten bis jetzt, sie ist meine Schwester, und ich wollte sie abholen, da die Groï¬mutter in Siebenb¸rgen gestorben, wo sie sich mit Goldwaschen ernâ°hrten; der Pestkordon hat mir aber den Weg abgeschnitten.” Da ward Devillier â°uï¬erst bewegt; er sagte: “Ich habe sie lange gesucht und nicht gefunden, sie hatte mir ausdr¸cklich gesagt, sie werde nie einem Blanken die Hand reichen und nun auch keinem Zigeuner; nur in der Hoffnung, sie wiederzusehen, blieb ich bis jetzt in Ungarn, und ich w¸rde nicht die Mittel gehabt haben, hier zu bleiben, wenn ich die alte Dame nicht geheiratet hâ°tte, die mir jetzt mein schËnes G¸tchen zur¸ckgelassen. KËnnt Ihr mich mit Mitidika wieder zusammenbringen, so will ich sie gern heiraten und ihr alles lassen, was ich habe.”–“Das ist ein nicht zu verachtender Vorschlag, Michaly”, sagte der Vizegespan, “schlagt das nicht so in den Wind, Ihr habt Zeugen!” Michaly aber lachte und sprach: “Mitidika wird nicht an dem St¸ckchen Erde kleben, sie wird nicht in einem gemauerten Hause gefangen sein wollen und sich um Abgaben und Zinsen zerquâ°len. Wer nichts hat, hat alles; es war immer ihr Spr¸chwort: “Der Himmel ist mein Hut; die Erde ist mein Schuh; das heilige Kreuz ist mein Schwert; wer mich sieht, hat mich lieb und wert.””-“Das ist echt zigeunerisch gesprochen”, sagte der Vizegespan, “drum bleibt ihr auch immer vogelfreies Gesindel.” Michaly nahm da seine Geige und wollte ein Lied auf die Freiheit singen, aber der Nachtwâ°chter blies zwËlf Uhr und mahnte die Gesellschaft zur Ruhe. Lindpeindler hatte sich mit dem Feuerwerker und der Kammerjungfer, welche durch die erwachte Neigung Devilliers f¸r Mitidika sehr gekrâ°nkt worden war (denn sie spitzte sich selbst auf ihn), noch eine Viertelstunde nach dem Edelhof begeben. Als sie sich der Gesellschaft empfahlen, bot Devillier der Zofe seine Begleitung an; sie sagte aber: “Ich danke, ich mËchte das werte Andenken an die unbeschreibliche Mitidika nicht stËren.” Damit machte sie einen hËhnischen Knicks und verlieï¬ die Stube mit Lindpeindler, der diese Nacht als eine der romantischsten seines Lebens pries.
Der Kroate, der Tiroler und der Savoyarde waren bereits eingeschlummert, und der Vizegespan lud Wehm¸llern, der mit seiner Arbeit ziemlich fertig war, wie auch den Zigeuner und Devillier zu sich in sein Haus ein. Sie nahmen es mit Freuden an, da sie dort doch ein Bett zu erwarten hatten. Frau Tschermack, die Wirtin, ward bezahlt und schloï¬ die T¸re mit der Bitte: wenn sie lâ°nger hier blieben, nochmals eine so schËne Gesellschaft bei ihr zu halten. Vor Schlafengehen wuï¬ten Devillier und der Zigeuner den Vizegespan zu bereden, am andern Morgen den Kordon mit durchschleichen zu d¸rfen, denn Michaly und Devillier sehnten sich ebenso sehr nach Mitidika, die jenseits war, als Wehm¸ller nach seiner Tonerl. Sie schliefen bis zwei Uhr, da packte der Vizegespan jedem eine Jagdflinte auf, und sie zogen, als Jâ°ger, einem Waldr¸cken zu; aber kaum waren sie hundert Schritt vor dem Dorf, als sie seitwâ°rts bei den Kordonpiketten verwirrtes Lâ°rmen und Schieï¬en hËrten und bald einen Husaren, dem das Pferd erschossen war, querfeldein laufen sahen, welcher auf das Anrufen des Vizegespans schrie: “Cordonus est ruptus cum armes in manibus a pestiferatis loci vicini, der Kordon ist mit bewaffneter Hand von den Pestkranken des benachbarten Ortes durchbrochen.” Als der Vizegespan dies hËrte, lieï¬ er seine Gesellschaft im Stich und lief ¸ber Hals und Kopf nach dem Dorfe zur¸ck, um seine Bauern unter die Waffen zu bringen. Wehm¸ller und der Zigeuner schrien: “Gott sei Dank, nun laï¬t uns eilen!” Devillier besann sich auch nicht lange, und sie liefen spornstreichs nach dem verlassenen Pikettfeuer hin, wo sie Bauern beschâ°ftigt fanden, unter groï¬em Geschrei das Brot und die anderen Vorrâ°te zu teilen, welche das Pikett zur¸ckgelassen hatte. Als sie sich nâ°herten, kam ihnen ein Reiter entgegen und schrie: “Steht, oder ich schieï¬e euch nieder!” Sie standen und warfen die Waffen hinweg. Sie wurden gefragt, wer sie seien? und als sie erklâ°rt: sie wollten ¸ber den Kordon, und der Reiter ihre Stimmen vernommen, st¸rzte er vom Pferde und fiel dem Zigeuner und Devillier wechselsweise um den Hals und schrie immer: “Michaly! Devillier! Ich bin Mitidika.”
Vor Freude des Wiedersehens ganz zitternd, riï¬ das Mâ°dchen sie in die Erdh¸tte des Piketts, wo sie dieselbe in mâ°nnlicher Kleidung, mit Sâ°bel und Pistole bewaffnet, erkannten, und sie wollte eben zu erzâ°hlen anfangen, als sie Wehm¸llern scharf ansah und zu ihm sprach: “Bist du noch immer hier, Betr¸ger? Ich meinte, du seist gestern zu deiner angeblichen Frau nach Stuhlweiï¬enburg gereist.” Alle sahen bei diesen Worten auf den best¸rzten Wehm¸ller; dieser sperrte das Maul auf vor Verwunderung.
“Ich?” fragte er endlich, “ich, gestern zu meiner angeblichen Frau?”-“Ja, du!” sagte Mitidika, “du, der du dich Wehm¸ller nennst und es nicht bist, du, der du deine Frau nicht einmal kennst.”-“O, das ist um rasend zu werden!” schrie Wehm¸ller, “welche tolle Beschuldigungen, und das von einer wildfremden Person, die ich niemals gesehen!”-“Unverschâ°mter Gesell!” schrie Mitidika; “du kenntest mich nicht! Hast du mir nicht seit mehreren Tagen mit deinen Liebesversicherungen zugesetzt? Hat der wirkliche Wehm¸ller dir nicht deswegen schon ins Gesicht bewiesen: daï¬ du Wehm¸ller nicht sein kËnnest, weil der rechte Wehm¸ller an niemand denkt als an sein liebes Tonerl?”–“Der rechte Wehm¸ller?” schrie nun Wehm¸ller, “wo haben Sie den je gesehen? Er wenigstens kennt Sie nicht.”–“Kennt mich nicht?” erwiderte Mitidika, “und reist mit mir?”–“Ich werde verr¸ckt!” schrie Wehm¸ller, “nun ist gar noch ein dritter auf dem Tapet; wo sind die zwei andern? Geschwind, ich will sie sehn, ich will sie erw¸rgen!”–“Den dritten l¸gst du hinzu”, versetzte Mitidika; “der echte wird nicht weit von hier sein, ich will ihn holen, da sollst du beschâ°mt werden!” Nun lief sie schnell zur H¸tte hinaus.
Dieser Wortwechsel war so schnell und heftig und die Veranlassung so wunderbar, daï¬ Michaly und Devillier nicht Zeit hatten, dem verbl¸fften Maler zu bezeugen: daï¬ er seit gestern in ihrer Gesellschaft sei und unmËglich der sein kËnne, welchen Mitidika kannte. Sie waren eben noch beschâ°ftigt, den weinenden Wehm¸ller zu trËsten, als eine ganz â°hnliche Figur wie er selbst in die H¸tte trat; bei dem erloschenen Feuer war es unmËglich, jemand bestimmter zu erkennen. Kaum hatte Wehm¸ller sein Ebenbild in derselben Gestalt und Kleidung erkannt, als er wie eine Furie darauf losst¸rzte; der andre tat ein gleiches, und beide schrien: “Ha, ertappe ich dich bei deiner Buhlerei unter meinem ehrlichen Namen!” Sie rissen sich wie zwei Hâ°hne herum. Devillier und Michaly brachten sie mit Gewalt auseinander, und Mitidika f¸hrte den dritten Wehm¸ller herein. Wie groï¬ war die Best¸rzung aller, da nun wirklich drei Wehm¸ller zugegen waren. “Nein, das ist zum Verzweifeln!” rief der Wehm¸ller, den Mitidika mitgebracht hatte, “da ist noch einer!”–“Herr Jesus!” schrie nun unser Wehm¸ller, “Tonerl, bist du es, bist du hier, Tonerl?”–“Franzerl, lieber Franzerl!” schrie der andere, und sie sanken sich als Mann und Frau in die Arme. Da wurde es dem einen Wehm¸ller, den Devillier festhielt, nicht recht wohl, und er sank vor Schreck zur Erde. Michaly sch¸rte nun das Feuer wieder an, daï¬ man sehen konnte, und Mitidika bezeugte die grËï¬te Freude, daï¬ Tonerl, die in einem ganz â°hnlichen Kleide wie ihr Mann von Stuhlweiï¬enburg mit ihr diesem entgegengereist war, ihn endlich gefunden habe, nachdem sie zu ihrem groï¬en Schrecken von dem falschen Wehm¸ller in dem Dorfe, das man wegen Pestverdacht eingeschlossen, sehr geplagt worden war, ohne sich ihm als Wehm¸llers Weib zu entdecken, denn sie war auf einen alten Paï¬ ihres Mannes gereist.
Sie hatten sich kaum von der ersten Freude erholt, als Mitidika sagte: “Wir m¸ssen doch den falschen Wehm¸ller, der die Sprache verloren hat, wieder zu sich bringen.” Da aber ihr R¸tteln und Sch¸tteln ganz vergeblich war, sagte sie: “Ich habe ein untr¸glich Mittel von der seligen Groï¬mutter gelernt; das Herz ist ihm gefallen, wir wollen es ihm wieder heraufziehen.” Da nahm sie ein Schoppenglas und gab es Michaly nebst einem Endchen Licht–das sie am Feuer anz¸ndete–und einem Scheibchen Brot. “Aha, ich weiï¬ schon!” sagte Michaly und Ëffnete dem Ohnmâ°chtigen die Weste ¸ber dem Magen, setzte ihm das Licht, auf der Brotscheibe befestigt, auf den Leib und st¸lpte das Glas dar¸ber. Das brennende Licht, welches die Luft unter dem Glas verzehrte, machte ihm den Leib wie in einem SchrËpfkopf in das Glas aufsteigen. Die ganze Gesellschaft lachte ¸ber dieses zigeunerische Kunstst¸ck, und der falsche Wehm¸ller kam bald zu Sinnen; der echte ging auf ihn zu und sprach: “Wer sind Sie, der auf eine so unverschâ°mte Weise meinen Namen miï¬brauchte?” Da antwortete der Patient, welchen Devillier und Michaly an der Erde festhielten: “Was Guckuck habe ich auf dem Leib? Es ist, als wollten Sie mir den Magen herausreiï¬en; tun Sie mir die vermaledeite Laterne vom Leibe, eher sage ich kein Wort; ich bin Wehm¸ller und bleibe Wehm¸ller!”–“Gut”, sagte Mitidika, “wenn du noch nicht bei Sinnen bist, wollen wir dir etwas S¸ï¬es eingeben.”-“Recht”, sagte Michaly, “Katzenkot mit Honig, Zigeunertheriak.” Auf dieses Rezept bekam der Patient andere Gesinnung und sprach: “Um Gottes willen, laï¬t mich aufstehen, ich will alles bekennen! Ich bin der Maler Froschauer von Klagenfurt. “-“Das habe ich gleich gedacht”, sagte Wehm¸ller, “jetzt habe ich Sie in meinen Hâ°nden, ich kann Sie als einen Falsarius bei der Obrigkeit angeben, aber ich will groï¬m¸tig sein, wenn Sie mir einen kËrperlichen Eid schwËren: daï¬ Sie auf ewige Tage resignieren, ungarische Nationalgesichter in meiner Manier zu malen.”-“Das ist sehr hart”, sagte Froschauer, “denn ich habe ganz darauf studiert und m¸ï¬te verhungern; den Eid kann ich nicht schwËren.”–“Er ist noch hartnâ°ckig!” sagte Michaly; “geschwind den Zigeunertheriak her!” Und da Mitidika sich stellte, als wolle sie ihm etwas eingeben, entschloï¬ er sich kurz und schwor alles, was man haben wollte, worauf sie ihn loslieï¬en und ihm die Laterne vom Leib nahmen.
Die Freude und der Mutwille ward nun allgemein; aber der Tag nâ°herte sich, und Mitidika rief eben die Kordonbrecher zusammen, um mit ihrem erbeuteten Proviant sich dahin zur¸ckzuziehen, wo sie hergekommen waren. Aber der Vizegespan kam mit dem Kroaten, dem Feuerwerker, dem Gutsbesitzer und einigen Heiducken und Panduren herbei und brachte die freudige Nachricht, daï¬ sie gar nicht nËtig hâ°tten, sich zur¸ckzuziehen, denn der Kordonkommandant habe soeben bekanntgemacht: nur durch Miï¬verstâ°ndnis sei das Dorf, in dem sie vierzehn Tage blockiert waren, in den Kordon eingeschlossen worden. Es solle ihnen deshalb verziehen sein, daï¬ sie den Kordon durchbrachen, wenn sie dagegen auch keine Klage ¸ber den Irrtum erheben wollten; der Kordon habe sich schon nach einer andern Richtung bewegt. Der Gutsbesitzer bestâ°tigte dies und lud die Gesellschaft, von der ihm Baciochi, Nanny und Lindpeindler so viel Interessantes erzâ°hlten, sâ°mtlich nach seinem Edelhofe ein.
Die Bauern und Zigeuner, die unter der Anf¸hrung Mitidikas den Kordon durchbrochen hatten, waren hoch erfreut ¸ber diese Nachricht, dankten ihrer Anf¸hrerin herzlich und kehrten singend nach ihrer Heimat zur¸ck. Michaly aber nahm seine Violine und spielte lustig vor der Gesellschaft her, die dem Edelmanne folgte. Unterwegs gab es viele Aufklâ°rungen und Herzensergieï¬ungen. Devillier und Mitidika hatten ihre Neigung bald zâ°rtlich erneuert und gingen Arm in Arm; dann aber folgten die drei Wehm¸ller, Tonerl in der Mitte, und die andern gingen hintendrein ¸ber das Stoppelfeld. Mitidika sagte, daï¬ sie Tonerl in Stuhlweiï¬enburg kennengelernt, die, sehr bek¸mmert ¸ber das Ausbleiben ihres Mannes, eine Reisegesellschaft nach Kroatien gesucht, und da sie selbst, nach dem Tode ihrer Groï¬mutter, zu ihrem Bruder Michaly habe ziehen wollen, hâ°tten sie sich entschlossen, zusammen zu reisen in mâ°nnlicher Kleidung. Frau Tonerl sei in einem Habit ihres Mannes und sie als ungarischer Arzneihâ°ndler gereist, bis sie in dem Dorfe plËtzlich von dem Kordon eingeschlossen worden seien, wo sie auch Froschauer unter dem Namen Wehm¸ller ganz in derselben Kleidung vorgefunden, was die arme Tonerl nicht wenig erschreckt habe. Nach vierzehn Tagen sei die Ungeduld und der Mangel der Einwohner, die wohl Hunger, aber keine Pest gehabt, ¸ber alle Grenzen gestiegen, und so habe sie sich an ihre Spitze gesetzt und den Kordon durchbrochen; das sei ihr aber gar leicht geworden, denn die Kordonisten wâ°ren, aus Furcht, angesteckt zu werden, gleich ausgerissen, als sie mit ihrem Haufen unter ihnen erschien.
Nun muï¬te Froschauer erzâ°hlen; er war eigentlich ein guter Schelm und sagte: “Lieber Herr Wehm¸ller, ich will Ihnen die Wahrheit sagen; der Spaï¬ kostet mich f¸nfundzwanzig Dukaten und meine Braut. Ich bin der Maler Froschauer von Klagenfurt und liebe die Tochter eines Fleischhauers; das Mâ°dchen aber wâ°hlte immer zwischen mir und einem wohlhabenden Siebmacher, der auch um sie freite. Er setzte dem Vater des Mâ°dchens in den Kopf: es sei in den kaiserlichen Erblanden kein Maler, der eine Frau ernâ°hren kËnne, und der ¸berhaupt Genie habe, als der Wehm¸ller in Wien, der die ungarischen Nationalgesichter male, und der so und so gekleidet gehe; dabei hËrte er nicht auf, von Ihnen und Ihrer Arbeit zu reden, so daï¬ der alte Fleischhauer und seine Tochter mir endlich erklâ°rten: sie w¸rden den Siebmacher vorziehen, wenn ich Ihnen in Ungarn den Rang nicht abliefe, und nun wettete ich mit dem Siebmacher: daï¬ ich ihm in Jahr und Tag das Mâ°dchen abtreten und noch f¸nfundzwanzig Dukaten dazu geben wollte, wenn ich Ihnen den Rang nicht ablaufen kËnne. Ich reiste nach Wien und nach Ungarn, forschte nach allen Ihren Bildern und warf mich so in Ihre Manier, daï¬ man unsre Bilder nicht mehr unterscheiden konnte. Da ich nun erfuhr, daï¬ Sie die Reise nach Stuhlweiï¬enburg machen w¸rden, wo Sie noch nicht gewesen, und sich auf dem Gute des Grafen Giulowitsch vorbereiteten, benutzte ich die Gelegenheit, Ihnen zuvorzukommen, denn ich wuï¬te durch einen Freund bei der Hofkriegskanzelei, daï¬ die dortigen Regimenter verlegt werden w¸rden. Mit einem Vorrate von Nationalgesichtern in einer Blechb¸chse und ganz gekleidet wie Sie, machte ich mich nun als neuer Wehm¸ller auf, und als ich auf der Grenze an der Maut ein Pâ°ckchen liegen sah, an Herrn Wehm¸ller, wenn er durchreist, ¸berschrieben, ward es mir von dem Mautbeamten ausgeliefert. Es war dies das Bild Ihrer Gemahlin, welches sie auf ihrer Reise in einem Posthause hatte liegen lassen; ich nahm es mit, um es ihr einhâ°ndigen zu lassen, habe es aber vergessen dem Boten abzunehmen, der es trug, als er mich durch den Kordon brachte; denn meine Eile war groï¬, und ich triumphierte schon, daï¬ ich, indem der Kordon Sie aussperrte, Ihnen gewiï¬ zuvorkommen w¸rde. Aber wie war mir zumute, da ich mich mit Ihrer Frau, als einem zweiten Wehm¸ller, den ich auch nicht f¸r den echten erkannte, weil er von der Malerei gar nichts verstand, eingesperrt sah; bald ward ich aber von der K¸hnheit und SchËnheit Mitidikas, die es kein Hehl hatte, daï¬ sie eine verkleidete Jungfer sei, so hingerissen, daï¬ ich gern auf meine Braut und Wehm¸llerschaft resigniert und alles gleich eingestanden hâ°tte; aber Ehrgeiz und die f¸nfundzwanzig Dukaten hielten mich zur¸ck. Ihr Erscheinen fuhr mir aber so durch alle Glieder, daï¬ ich die Besinnung verlor; die fatale Laterne auf dem Magen und der angedrohte Theriak haben mich gâ°nzlich hergestellt, und nun bleibt mir nichts ¸brig, als Sie herzlich um Verzeihung zu bitten, mit dem Vorschlag: mich in Ihren Unternehmungen zum Kompagnon zu machen; Sie kËnnen meine Arbeiten untersuchen, und gehen Sie den Vorschlag ein, so glaube ich, daï¬ wir einen solchen Vorrat von Nationalgesichtern anfertigen, daï¬ unser Gl¸ck begr¸ndet ist, wenn wir redlich teilen.”–“Das lâ°ï¬t sich hËren!” sagte Wehm¸ller, “die ganze Geschichte macht mir jetzt Spaï¬, und wenn ich meine Tonerl nicht so lieb hâ°tte, so mËchte ich, um es Ihnen wettzumachen, nach Klagenfurt reisen und Ihre Fleischerstochter und die f¸nfundzwanzig Dukaten Ihnen wegschnappen, aber so geht es nicht.” Da umarmte er Tonerl herzlich und ward mit Froschauer eins: daï¬ er ihm, wenn er seine Arbeiten untersucht, ein eigenhâ°ndiges Attest schreiben wolle: daï¬ er ihn in allem sich gleich achte; gewâ°nne er dann seine Wette, so kËnne er sein Mâ°dchen heiraten und sich mit ihm auf gleichen Vorteil vereinigen. “Ja”, sagte Tonerl, “da habe ich doch eine Gesellschaft an Frau Froschauer, wenn ihr herumzieht.”
So ward der Friede gestiftet, und sie kamen auf dem Edelhofe an. Die Kammerjungfer und Lindpeindler standen unter der T¸re und waren in groï¬em Erstaunen ¸ber die drei Wehm¸ller, noch mehr aber ¸ber Mitidika; schnell liefen sie, der gnâ°digen Frau und dem jungen Baron die interessante Gesellschaft anzuk¸ndigen, und diese trat, von dem Edelmann gef¸hrt, in eine gerâ°umige Weinlaube, wo die Hausfrau bald mit einem guten Fr¸hst¸ck erschien und alle die Abenteuer nochmals berichtet werden muï¬ten; der Tiroler und der Savoyarde stellten sich auch ein, und der Edelmann bat alle, bei der Weinlese ihm behilflich zu sein, was zugesagt wurde.
Am Abend, als noch viel ¸ber die drei Wehm¸ller gescherzt worden war, wollte Devillier der Gesellschaft eine Geschichte erzâ°hlen, die er selbst erlebt, und bei welcher die Verwechselung zweier Personen noch viel unterhaltender war, als der Graf Giulowitsch und Lury, sein Hofmeister, mit seinen Eleven bei dem Edelmann zum Besuch kamen; sie freuten sich ungemein, den guten Wehm¸ller zu finden und die Aufklâ°rung seines Abenteuers zu hËren. Die Erzâ°hlung Devilliers ward aufgeschoben, aber nach dem Abendessen muï¬te die schËne Mitidika all ihren Schmuck, den sie einst von Devillier empfing, anlegen; die Edeldame half ihr selbst bei ihrer Toilette, denn Nanny, die Kammerjungfer, wurde unpâ°ï¬lich. So geschm¸ckt trat das braune Mâ°dchen wie eine Zauberin vor die Gesellschaft; der Tiroler breitete seine Teppiche aus, und das reizende GeschËpf tanzte, schlug das Tambourin und sang–wozu Michaly sie begleitete–so ganz wunderbar hinreiï¬end, daï¬ alles vor Erstaunen versteinert war. Sie schloï¬ ihren Tanz damit, daï¬ sie den Teppich plËtzlich erfaï¬te, sich schnell in ihn einpuppte und an die Erde niederstreckte, wie damals in der H¸tte. Ein lebhaftes Beifallklatschen rauschte durch den Saal; Devillier aber kniete vor ihr, weinte wie ein Kind und wurde ausgelacht; so schied die Gesellschaft f¸r diesen Abend auseinander.
Die Erzâ°hlung, welche Devillier versprochen, eine andere des Tirolers und eine des Savoyarden unterhielten an den folgenden Tagen, und ich werde sie mitteilen, wenn ich Lust dazu habe.