Das Mâ°rchen von dem Myrtenfrâ°ulein
Clemens Brentano
Im sandigen Lande, wo nicht viel Gr¸nes wâ°chst, wohnten einige Meilen von der prozellanenen Hauptstadt, wo der Prinz Wetschwuth residierte, ein TËpfer und seine Frau mitten auf ihrem Tonfeld neben ihrem TËpferofen, beide ohne Kinder, einsam und allein. Das Land war ringsum so flach wie ein See, kein Baum und Busch war zu sehen, und es war gar betr¸bt und langweilig. Tâ°glich beteten die guten Leute zum Himmel, er mËge ihnen doch ein Kind bescheren, damit sie eine Unterhaltung hâ°tten, aber der Himmel erhËrte ihre W¸nsche nicht. Der TËpfer verzierte alle seine Gefâ°ï¬e mit schËnen EngelskËpfen, und die TËpferin trâ°umte alle Nacht von gr¸nen Wiesen und anmutigen Geb¸schen und Bâ°umen, bei welchen Kinder spielten; denn wonach das Herz sich sehnt, das hat man immer vor Augen.
Einstens hatte der TËpfer seiner Frau zwei schËne Werke auf ihrem Geburtstag verfertigt, eine wunderschËne Wiege von dem weiï¬esten Ton, ganz mit goldenen EngelskËpfen und Rosen verziert, und ein groï¬es Gartengefâ°ï¬ von rotem Ton, rings mit bunten Schmetterlingen und Blumen bemalt. Sie machte sich ein Bettchen in die Wiege und f¸llte das Gartengefâ°ï¬ mit der besten Erde, die sie selbst stundenweit in ihrer Sch¸rze dazu herbeitrug, und so stellte sie die beiden Geschenke neben ihre Schlafstelle, in bestâ°ndiger Hoffnung, der Himmel werde ihr ihre Bitte gewâ°hren; und so betete sie auch einst abends von ganzer Seele:
Herr, ich flehe auf den Knien,
Schenke mir ein liebes Kind,
Fromm will ich es auferziehen:
Ists ein Mâ°gdlein, daï¬ es spinnt Einen klaren reinen Faden
Und dabei h¸bsch singt und betet;
Ists ein Sohn durch deine Gnaden,
Daï¬ er kluge Dinge redet
Und ein Mann wird treu von Worten,
Stark von Willen, k¸hn von Tat,
Der geehrt wird aller Orten,
Wie im Kampfe, so im Rat.
Herr! bereitet ist die Wiege,
Gib, daï¬ mir ein Kind drin liege! Ach, und sollte es nicht sein,
Gib mir doch nur eine Wonne,
Wâ°rs auch nur ein Bâ°umelein,
das ich in der lieben Sonne
KËnnte ziehen, kËnnte pflegen,
Daï¬ ich mich mit meinem Gatten
Einst im selbsterzognen Schatten
Unter ihm ins Grab kËnnt legen.
So betete die gute Frau unter Trâ°nen und ging zu Bett. In der Nacht war ein schweres Gewitter, es donnerte und blitzte, und einmal fuhr ein heller Glanz durch die Schlafkammer. Am andern Morgen war das schËnste Wetter, ein k¸hler Wind wehte durch das offene Fenster, und die gute TËpferin lag in einem s¸ï¬en Traum, als sitze sie unter einem schËnen Myrtenbaum bei ihrem lieben Manne. Da sâ°uselte das Laub um sie und sie erwachte, und siehe da! ein frisches junges Myrtenreis lag neben ihr auf dem Kopfkissen und spielte mit seinen zarten im Winde bewegten Blâ°ttern um ihre Wangen. Da weckte sie mit groï¬en Freuden ihren Mann, und zeigte es ihm, und sie dankten beide Gott auf ihren Knien, daï¬ er ihnen doch etwas Lebendiges geschenkt hatte, das sie kËnnten gr¸nen und bl¸hen sehen. Sie pflanzten das Myrtenreis mit der grËï¬ten Sorgfalt in das schËne Gartengefâ°ï¬, und es war tâ°glich ihr liebstes Geschâ°ft, das junge Stâ°mmchen zu begieï¬en und in der Sonne zu setzen und vor bËsem Tau und rauhen Winden zu sch¸tzen. Der Myrtenreis wuchs zusehends unter ihren Hâ°nden und duftete ihnen Fried und Freud ins Herz.
Da kam einstens der Landesherr, Prinz Wetschwuth, in diese Gegend mit einigen Gelehrten, um neue Porzellanerde zu entdecken; denn es wurden in seiner Hauptstadt Porzellania so viele Hâ°user davon gebaut, daï¬ diese Erde in der Nâ°he der Stadt selten geworden war. Da er in die Wohnung des TËpfers eintrat, ihn um seinen Rat zu fragen, ward er bei dem Anblick des Myrtenbâ°umchens so durch dessen SchËnheit hingerissen, daï¬ er alles andere vergaï¬ und in lauter Verwunderung ausrief: “O wie lieblich, wie reizend ist diese Myrte! Ihr Anblick hat f¸r mein Herz etwas ungemein Erquickendes, ich mËchte immer in der Nâ°he dieses Baumes leben–nein, ich kann ihn nicht entbehren, ich muï¬ ihn besitzen, und m¸ï¬te ich ihn mit einem Auge erkaufen.” Nach diesem Ausruf fragte er sogleich den TËpfer und seine Frau, was sie f¸r die Myrte verlangten. Diese guten Leute erklâ°rten auf die bescheidenste Weise, daï¬ sie den Baum nicht verkaufen wollten, und daï¬ er das Liebste sei, was sie auf Erden hâ°tten. “Ach,” sagte die TËpferin, “ich kËnnte nicht leben, wenn ich meine Myrte nicht vor mir sâ°he; ja sie ist mir so lieb und wert, als wâ°re sie mein Kind, und kein KËnigreich nâ°hme ich f¸r diese meine Myrte.” Da der Prinz Wetschwuth dies hËrte, ward er sehr traurig und begab sich nach seinem Schlosse zur¸ck. Seine Sehnsucht nach der Myrte ward so groï¬, daï¬ er in eine Krankheit fiel und das ganze Land um ihn bek¸mmert wurde. Da kamen Abgesandte zu dem TËpfer und seiner Frau, und forderten sie auf, die Myrte dem Prinzen zu ¸berlassen, damit er nicht vor Sehnsucht sterben mËchte. Nach langen Unterhandlungen sagte die Frau: “Wenn er die Myrte nicht hat, so muï¬ er sterben, und wenn wir die Myrte nicht haben, so kËnnen wir nicht leben; will der Prinz nun die Myrte haben, so muï¬ er uns auch mitnehmen, wir wollen sie ihm ¸berbringen und ihn anflehen, daï¬ er uns als treue Diener in sein Schloï¬ aufnehme, damit wir die geliebte Myrte dann und wann sehen und uns an ihr erfreuen kËnnen.” Das waren die Abgesandten zufrieden, sie schickten gleich einen Reiter in die Stadt mit der frohen Nachricht, die Myrte werde ankommen, der Prinz sollte Mut fassen. Nun stellte der TËpfer das Gefâ°ï¬ mit der Myrte auf eine Tragbahre, ¸ber welche die Frau ihre schËnsten seidenen T¸cher gebreitet hatte, und sie trugen beide, nachdem sie ihre H¸tte verschlossen hatten, den geliebten Baum nach der Stadt, wohin sie von den Abgesandten begleitet wurden. Von der Stadt kam ihnen der Prinz selbst in einem Wagen entgegen und hatte ein goldenes Gieï¬kâ°nnchen in der Hand, womit er die geliebte Myrte begoï¬, bei deren Anblick er sich sichtbar erholte. Vier weiï¬gekleidete, mit Rosen geschm¸ckte Jungfrauen kamen mit einem rotseidenen Traghimmel, unter welchem die Myrte nach dem Schloï¬ getragen wurde. Kinder streuten Blumen, und alles Volk war froh und warf die M¸tzen in die HËhe. Nur neun Frâ°ulein in der Stadt waren nicht bei der allgemeinen Freude zugegen, denn sie w¸nschten, daï¬ die Myrte verdorren mËchte, weil der Prinz, ehe er die Myrte gesehen hatte, sie oft besuchte und jede von ihnen gehofft hatte, einst Beherrscherin der Stadt Porzellania zu werden. Seit aber von der Myrte die Rede war, hatte er sich nicht mehr um sie bek¸mmert; drum waren sie auf den unschuldigen Baum so erbittert, daï¬ sich an diesem Freudentage keine von ihnen erblicken lieï¬. Der Prinz lieï¬ die Myrte an das Fenster seiner Stube stellen und gab dem TËpfer und seiner Frau eine Wohnung im Schloï¬garten, aus deren Fenster sie die Myrte immer erblicken konnten, womit die guten Leute dann auch wohl zufrieden waren.
Der Prinz war bald wieder ganz gesund; er pflegte den Baum mit einer unbeschreiblichen Liebe und Sorgfalt; auch wuchs dieser und breitete sich aus zu aller Freude. Einstens setzte sich der Prinz abends neben dem Baume auf sein Ruhebett. Alles war ruhig im Schloï¬, und er entschlummerte in tiefen Gedanken. Da nun die Nacht alles bedeckt hatte, hËrte er ein wunderbares Sâ°useln in seinem Baum und erwachte und lauschte; da vernahm er eine leise Bewegung in seiner Stube herum, und ein s¸ï¬er Duft breitete sich umher. Er war stille, stille und lauschte immerfort; endlich, da es ihm wieder so wunderbar in der Myrte sâ°uselte, begann er zu singen:
Sag, warum dies s¸ï¬e Rauschen,
Meine wunderschËne Myrte!
O mein Baum, f¸r den ich so gl¸he?
Da sang eine liebliche leise Stime wider:
Dank will ich f¸r Freundschaft tauschen Meinem wunderguten Wirte,
Meinem Herrn, f¸r den ich bl¸he!
Da war der Prinz ¸ber die Stimme so entz¸ckt, daï¬ es nicht auszusprechen ist; aber bald ward seine Freude noch viel grËï¬er, denn er bemerkte, daï¬ sich jemand auf den Schemel zu seinen F¸ï¬en setzte, und da er die Hand darnach ausstreckte, ergriff eine zarte Hand die seinige und f¸hrte sie an die Lippen eines Mundes, welcher sprach: “Mein teurer Herr und Prinz! frage nicht, wer ich bin; erlaube mir nur dann und wann in der Stille der Nacht zu deinen F¸ï¬en zu sitzen und dir zu danken f¸r die treue Pflege, welche du mir in der Myrte bewiesen, denn ich bin die Bewohnerin dieser Myrte; aber mein Dank f¸r deine Zuneigung ist so gewachsen, daï¬ er keinen Raum mehr in diesem Baume hatte, und so hat es mir der Himmel vergËnnt, in menschlichen Gestalt dir manchmal nahezusein.” Der Prinz war entz¸ckt ¸ber diese Worte und pries sich unendlich gl¸cklich durch dies Geschenk der GËtter. Sie unterhielten sich einige Stunden, und sie sprach so weise und klug, daï¬ er vor Begierde brannte, sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Das Myrtenfrâ°ulein aber sagte zu ihm: “Laï¬ mich erst ein kleines Lied singen, dann kannst du mich sehen”, und sie sang:
Sâ°usle, liebe Myrte!
Wie still ists in der Welt,
Der Mond, der Sternenhirte
Auf klarem Himmelsfeld,
Treibt schon die Wolkenschafe
Zum Born des Lichtes hin,
Schlaf, mein Freund, o schlafe,
Bis ich wieder bei dir bin.
Dazu sâ°uselte die Myrte, und die Wolken trieben so langsam am Himmel hin, und die Springbrunnen plâ°tscherten so leise im Garten, und der Gesang war so sanft, daï¬ der Prinz einschlief, und als er kaum nickte, erhob sich das Myrtenfrâ°ulein leise, leise vom Schemel und begab sich wieder in die Myrte.
Als der Prinz am Morgen erwachte, erblickte er den Schemel leer zu seinen F¸ï¬en, und er wuï¬te nicht, ob das Myrtenfrâ°ulein wirklich bei ihm gewesen war, oder ob er nur getrâ°umt habe; aber da er das Bâ°umchen ganz mit Bl¸ten ¸bersâ°t sah, die in der Nacht aufgegangen waren, ward er der Erscheinung immer gewisser. Nie ward die Nacht so sehns¸chtig erwartet als von ihm; er setzte sich schon gegen Abend auf sein Ruhebett und harrte. Endlich war die Sonne hinunter, es dâ°mmerte, es ward Nacht. Die Myrte sâ°uselte, und das Myrtenfrâ°ulein saï¬ zu seinen F¸ï¬en und erzâ°hlte ihm so schËne Sachen, daï¬ er nicht genug zuhËren konnte, und als er sie wieder bat, Licht anz¸nden zu d¸rfen, sang sie ihm wieder ein Liedchen:
Sâ°usle, liebe Myrte!
Und trâ°um im Sternenschein,
Die Turteltaube girrte
Auch ihre Brust schon ein.
Still ziehn die Wolkenschafe
Zum Born des Lichtes hin,
Schlaf, mein Freund, o schlafe,
Bis ich wieder bei dir bin.
Da schlummerte der Prinz wieder ein und erwachte am Morgen wieder mit der gleichen â¹berraschung und erwartete die Nacht wieder mit gleicher Sehnsucht. Aber es ging ihm auch diesmal wie in der ersten und zweiten Nacht, sie sang ihn immer in den Schlaf, wenn er sie zu sehen verlangte. Sieben Nâ°chte ging dies so fort, wâ°hrend welchen sie ihm so vortreffliche Lehren ¸ber die Kunst zu regieren gab, daï¬ seine Begierde, sie zu sehen, nur noch grËï¬er ward. Er lies daher am andern Tage an die Decke seiner Stube ein seidenes Netz befestigen, welches er ganz leise niederlassen konnte, und so erwartete er die Nacht. Als das Myrtenfrâ°ulein wieder zu seinen F¸ï¬en saï¬ und ihm die tiefsinnigsten Lehren ¸ber die Pflichten eines guten F¸rsten gegeben hatte, wollte sie ihm wieder das Schlaflied singen, aber er sprach zu ihr: “Heute will ich einmal singen”, und sie gab es nach vielen Bitten zu; da sang er folgendes Liedchen:
HËrst du, wie die Brunnen rauschen?
HËrst du, wie die Grille zirpt?
Stille, stille, laï¬ uns lauschen, Selig, wer in Trâ°umen stirbt;
Selig, wen die Wolken wiegen,
Wem der Mond ein Schlaflied singt!
O! wie selig kann der fliegen,
Dem der Traum den Fl¸gel schwingt, Daï¬ an blauer Himmelsdecke
Sterne er wie Blumen pfl¸ckt:
Schlafe, trâ°ume, flieg, ich wecke Bald dich auf und bin begl¸ckt.
Und dies Lied wirkte so durch die sanfte Weise, in welcher er es sang, daï¬ das Myrtenfrâ°ulein zu den F¸ï¬en des Prinzen entschlummerte; da lieï¬ er das Netz nieder ¸ber sie und z¸ndete seine Lampe an, und o Himmel! was sah er? Die wunderschËnste Jungfrau, welche jemals gelebt, im Antlitz wie der klare Mond so mild und rein, Locken wie Gold um die Stirne spielend und auf dem Haupt ein MyrtenkrËnchen; sie hatte ein gr¸nes Gewand an, mit Silber gestickt, und ihre Hâ°nde gefaltet wie ein Engelchen. Lange betrachtete er seine Freundin und Lehrerin mit stummen Erstaunen, dann konnte er seine Freude nicht mehr fassen, er brach in lautem Jubel aus und rief: “O Tugend! o Weisheit! wie schËn ist deine Gestalt; wer kann leben ohne dich, wenn er dich einmal erblickte.” Dann ergriff er ihre Hand und steckte ihr seinen Siegelring an den Finger und sprach: “Erwache, o meine holdselige Freundin! nimm meinen Thron und meine Hand und verlasse mich nie wieder.” Da erwachte das Myrtenfrâ°ulein, und als es das Licht erblickte, errËtete es ¸ber und ¸ber, und blies die Lampe aus. Dann klagte sie, daï¬ er sie gefangen habe, und sagte, daraus wird gewiï¬ Ungl¸ck kommen; aber der Prinz bat sie so sehr um Vergebung, bis sie ihm verzieh und versprach, die F¸rstin seines Landes zu werden, wenn ihre Eltern es erlaubten, er sollte nur alle Anstalten zur Hochzeit machen und dann ihre Eltern fragen; bis dahin sollte er sie aber nicht wiedersehen. Der Prinz willigte in alles ein und fragte sie, wie er sie rufen solle, wenn er alle Anstalten getroffen habe, und sie sagte: “Befestige eine kleine Silberglocke an die Spitze meines Bâ°umchens, und sobald du klingelst, werde ich erscheinen.” Nun zerriï¬ sie das Netz, der Baum rauschte, und fort war das Myrtenfrâ°ulein.
Der Tag war kaum angebrochen, als der Prinz auch schon alle seine Minister und Râ°te zusammenberief und ihnen bekannt machte, daï¬ er sich nâ°chstens zu vermâ°hlen gedenke und daï¬ sie alle Anstalten zu dem prâ°chtigsten Hochzeitsfeste treffen sollten, das jemals im Land gewesen. Die Râ°te waren sehr erfreut dar¸ber und fragten ihn untertâ°nigst um den Namen der Braut, damit sie ihren Namenszug bei der Illumination anbringen kËnnten. Da sagte der Prinz: “Der erste Buchstabe ihres Namens ist M und es sollen beim Feste ¸berall Myrtenzweige hingemalt werden, wo es sich schickt.” Da wollten die Herren ihn schon verlassen, als plËtzlich eine Botschaft kam, daï¬ ein wildes Schwein in dem f¸rstlichen Tiergarten toll geworden wâ°re und in dem darin befindlichen glâ°sernen Lusthause alles chinesische Porzellan zertr¸mmert habe; es sei â°uï¬erst nËtig, es sogleich zu erlegen, damit es nicht andere Schweine beiï¬e und auch toll mache, welche dann leicht die ganze Stadt Porzellania ¸ber den Haufen werfen kËnnten. Da durfte der Prinz nicht lâ°nger zaudern; er befahl seinen Râ°ten, einstweilen die Hochzeit zuzubereiten, und zog mit seinen Jâ°gern hinaus auf die Jagd.
Als der Prinz aus dem Schloï¬ ritt, lagen die neun bËsen Frâ°ulein, welche sich nicht mit gefreut hatten, als Myrte so feierlich in die Stadt gebracht wurde, sehr schËn geputzt am Fenster, in der Hoffnung, der Prinz werde sie bemerken und gr¸ï¬en; aber vergebens, wenn sie sich gleich so weit herauslegten, daï¬ sie leicht hâ°tten auf die Straï¬e fallen kËnnen: der Prinz tat nicht, als wenn er sie bemerkte. Hier¸ber aufgebracht, kamen sie zusammen und faï¬ten den Entschluï¬, sich zu râ°chen. Die Geschichte mit dem tollgewordenen wilden Schwein war auch nur von ihnen ausgesprengt, damit der Prinz, der sich gar nicht mehr sehen lieï¬, ¸ber die Straï¬e reiten sollte: sie hatten das chinesische Porzellan in dem Lusthaus durch ihre Diener zerschlagen lassen. Als sie eben versammelt waren, trat der Vater der Æltesten, der einer der Minister war, herein, und machte den Damen bekannt, sie mËchten sich zum Hochzeitsfest des Prinzen vorbereiten; der Prinz werde eine Prinzessin M. heiraten, auch sei von vielen Myrtenverzierungen bei der Illumination die Rede. Kaum waren sie wieder allein, als sie ihrem ganzen Zorn den Lauf lieï¬en; denn sie hatten sich alle neun eingebildet, den porzellanenen Thron zu besteigen. Sie lieï¬en sich einen Maurer kommen, der muï¬te ihnen einen unterirdischen Gang bis in die Stube des Prinzen machen; denn sie wollten sehen, wen er dort versperrt habe. Als der Gang fertig war, beredeten sie noch ein zehntes junges Frâ°ulein, der sie jedoch ihr Vorhaben verschwiegen, mitzugehen, welche es auch tat, doch nur aus Neugier und nicht aus bËsem Willen; sie nahmen sie aber nur mit, um sie dort zur¸ckzulassen, als habe sie alles getan. Hierauf begaben sie sich in einer Nacht mit Laternen versehen durch den Gang in die Stube des Prinzen und suchten alles durch, sehr verwundert, nichts Besonderes darin zu finden auï¬er der Myrte. An dieser lieï¬en sie nun allen ihren Grimm aus, rissen ihr Zweige und Blâ°tter ab, und als sie auch den Wipfel herunterrissen, klingelte das GlËckchen, und das Myrtenfrâ°ulein, welches glaubte, es sei dies das Zeichen zu ihrer Hochzeit, trat plËtzlich in dem schËnsten Brautkleide aus der Myrte. Anfangs verwunderten sich die bËsen GeschËpfe, aber bald waren sie einig, dieses m¸ï¬te die k¸nftige F¸rstin sein, und somit fielen sie ¸ber sie her und ermordeten sie auf die unbarmherzigste Weise, indem sie das arme Myrtenfrâ°ulein mit ihren Messern in viele kleine St¸cke zerhackten; jede nahm sich einen Finger von dem armen Myrtenfrâ°ulein mit; nur das zehnte Frâ°ulein hatte nicht mitgeholfen und nur immer gejammert und geweint, wof¸r sie sie dann einsperrten und nun auf demselben Wege entwichen.
Als der Kammerdiener des Prinzen, welchem dieser bei Lebensstrafe befohlen hatte, die Myrte tâ°glich zu begieï¬en und tâ°glich die Stube aufzurâ°umen, als wenn der Prinz da wâ°re, zu seiner Verrichtung hereintrat, war sein Entsetzen unbeschreiblich, da er das zerfleischte Myrtenfrâ°ulein in dem Blute an der Erde herumliegen und den Myrtenbaum zerknickt und entblâ°ttert sah. Er wuï¬te nicht, was dies sein konnte, denn er wuï¬te von dem Myrtenfrâ°ulein nichts; da erzâ°hlte ihm das junge Frâ°ulein, welches weinend in einer Ecke saï¬, alles. Sie nahmen unter bittern Trâ°nen alle Glieder und Knochen der Ungl¸cklichen zusammen und begruben sie unter dem zerstËrten Myrtenbaum in das Gefâ°ï¬, so daï¬ alles einen kleinen Grabh¸gel bildete; sodann wuschen sie den Boden so rein sie konnten, und begossen den Baum mit dem blutverschmierten Wasser, râ°umten die Stube auf, schlossen sie zu, und flohen in groï¬er Angst miteinander; doch nahm das Frâ°ulein eine Locke der ungl¸cklichen Gemordeten zum Andenken mit.
Unterdessen waren die Vorbereitungen zu der Hochzeit beinahe fertig, und der Prinz, der das wilde Schwein vergebens aufgesucht hatte, kehrte nach der Stadt zur¸ck. Sein erster Gang war zu dem guten TËpfer und seiner Frau, welchen er seine Geschichte mit dem Myrtenfrâ°ulein erzâ°hlte und sie um die Hand ihrer Tochter bat. Die guten Leute waren vor Entz¸cken fast auï¬er sich, als sie vernahmen, daï¬ in ihrem Myrtenbaum ihnen eine Tochter erwachsen sei, und wuï¬ten nun, warum sie denselben so ungemein liebgehabt hatten. Freudig willigten sie in die Bitte des Prinzen ein und begleiteten ihn in das Schloï¬, um ihre wunderbare Tochter zu sehen. Als sie nun zusammen in das Zimmer traten, wo die Myrte stand, sahen ihre Augen ein trauriges Schauspiel:–am Boden noch viele blutige Spuren, und der geliebte Baum entblâ°ttert und verletzt, neben ihm aber ein Grabh¸gel. Der Prinz rief, der TËpfer rief, die TËpferin rief: “O meine geliebte Braut! o mein teures Kind! mein einziges liebes TËchterchen! o wo bist du, laï¬ dich sehen vor deinen ungl¸cklichen Eltern!” Aber nichts r¸hrte sich, und ihre Verzweiflung war unbegrenzt. Die drei armen Ungl¸cklichen saï¬en nun ganze Tage und begossen den Myrtenbaum mit ihren Trâ°nen, und das ganze Land war best¸rzt und traurig.
Unter solchen Schmerzen pflegten und warteten der Prinz und der TËpfer nebst seiner Frau den kranken Myrtenbaum aufs zâ°rtlichste, und er begann wieder Zweige zu treiben, wor¸ber sie sehr erfreut wurden, und er war schon wieder ganz hergestellt, nur fehlten ihm an dem Wipfel einige Blâ°tter und an einem seiner beiden Hauptâ°ste die â°uï¬ersten f¸nf Sprossen und an dem andern vier, neben welchen der f¸nfte zu keimen anfing. Diesen f¸nften Sproï¬ beobachtete der Prinz alle Tage, und wie entz¸ckt war er nicht, als er eines Morgens diesen Sproï¬ ganz erwachsen und den Ring, den er dem Myrtenfrâ°ulein gegeben, an demselben wie an einem Finger befestigt sah. Sein Entz¸cken war unbeschreiblich; denn er glaubte nun, das Myrtenfrâ°ulein m¸sse noch leben. In der nâ°chsten Nacht saï¬ er mit dem TËpfer und der TËpferin bei dem Baum, und sie flehten die Myrte so zâ°rtlich um ein Lebenszeichen an, daï¬ der Baum endlich zu sâ°useln begann und folgende Worte sang:
Habt Erbarmen,
An zwei Armen
Fehlen mir neun Fingerlein.
Lieber Prinz! in deinem Reiche
Wachsen jetzt neun Myrtenzweige,
Und sie sind mein Fleisch und Bein. Habt Erbarmen,
Schafft mir Armen
Wieder die neun Fingerlein.
Der Prinz und die Eltern waren durch dies traurige Lied sehr ger¸hrt, und der Prinz lieï¬ den andern Tag im ganzen Lande bekanntmachen, wer ihm die schËnsten Myrtenzweige bringe, den wolle er mit seiner kËniglichen Hand belohnen. Dieses kaum auch zu den Ohren der Mordfrâ°ulein, welche die arme Myrte so schrecklich gemartert hatten, und sie waren sehr froh dar¸ber: denn sie hatten die neun Finger des Myrtenfrâ°uleins, jede den ihren, in einen Topf mit Erde vergraben, und es waren kleine Myrtensprosse daraus erwachsen. Sie putzten sich gleich schËn an und kamen eine nach der andern mit ihren Myrtenzweigen ins Schloï¬; denn sie glaubten, die Worte des Prinzen wollten soviel sagen, als wolle er die â¹berbringerin der schËnsten Myrte heiraten. Der Prinz lieï¬ ihnen die Myrtenzweige abnehmen und versprach ihnen seiner Zeit Antwort sagen zu lassen; sie mËchten sich nur zum Feste vorbereiten. Als er nun alle die neun Zweige neben den groï¬en Baum gestellt hatte, sprach die Stimme aus dem Baum:
Willkomm, willkomm, neun Zweigelein!
Willkomm, willkomm, neun Fingerlein! Willkomm, willkomm, mein Fleisch und Bein! Willkomm, willkomm, zum Topf herein!
Da begrub der Prinz die neun Zweige und die neun Finger unter die Myrte, welche noch denselben Tag die neun fehlenden Sprossen trieb. Nun aber kam noch das j¸ngste Frâ°ulein, welche nur die Haarlocke genommen und ihr den Ringfinger gelassen hatte, und warf sich dem Prinzen zu F¸ï¬en und sagte: “Herr! ich habe keine Myrte und habe auch keine haben wollen; aber diese Locke gebe ich in deine Hand und bitte dich um eine Gnade.” Der Prinz versprach sie ihr, und sie erzâ°hlte ihm, wie die ganze Mordtat geschehen sei, und bat ihn, er mËge seinem entflohenen Kammerherrn verzeihen und sie mit demselben vermâ°hlen. Da gab ihr der Prinz einen Gnadenbrief f¸r denselben, und sie lief zu ihm in den Wald, wo er sich in einem hohlen Baum versteckt hatte, in den sie ihm tâ°glich zu essen gebracht. Der Kammerherr erfreute sich sehr ¸ber sein Gl¸ck und kam mit ihr wieder in die Stadt. Als aber der Prinz die Haarlocke auch vergraben hatte, sprach die Myrte:
Nun bin ich ganz
Im alten Glanz,
Bring mir den Kranz
Und f¸hre mich zum Hochzeitstanz
Da lieï¬ der Prinz ein groï¬es Fest vor allem Volke im Schloï¬garten ansagen; da alles versammelt war, ward die Myrte unter einen Thronhimmel gestellt, und der schËnste Blumenkranz, mit Gold durchwunden, ward ihr von dem TËpfer und der TËpferin aufgesetzt, und als dies kaum geschehen war, trat das Myrtenfrâ°ulein, wie die schËnste Braut geschm¸ckt, aus dem Baum hervor und ward von ihren Eltern, welche sie noch nie gesehen hatten, unter Freudentrâ°nen und dann von dem gl¸cklichen Prinzen als seine Braut herzlich umarmt. Da standen die neun Mordfrâ°ulein wie auf heiï¬en Kohlen; der Prinz aber sprach: “Was verdient der, welche diesem Myrtenfrâ°ulein etwas zu Leide tut?” Und einer sagte da nach dem andern irgendeine harte Strafe her, und als die Frage an die neun Frâ°ulein kam, sagten sie alle zusammen: “Daï¬ ihn die Erde verschlinge und seine Hand aus der Erde wachse”; und kaum hatten sie es gesagt, als die Erde sie auch verschlang und ¸ber ihnen F¸nffingerkraut hervorwuchs. Nun wurde die Hochzeit gehalten, und der Kammerherr hielt mit dem j¸ngsten Frâ°ulein auch Hochzeit. Es schenkte dem Prinzen der Himmel auch bald ein kleines Myrtenprinzchen, das ward in der schËnen Wiege des alten TËpfers gewiegt, und das ganze Land war froh und gl¸cklich.
Der Myrtenbaum aber ward bald so stark und groï¬, daï¬ man ihn ins Freie setzen muï¬te. Da begehrte die Prinzessin Myrte, daï¬ er neben die ehemalige H¸tte ihrer Eltern gesetzt werde; das geschah auch, und die H¸tte ward zu einem schËnen Landhaus verâ°ndert, und endlich ward aus dem Myrtenbaum ein Myrtenwald, und die Enkel des TËpfers und seiner Frau spielten darin, und die beiden guten Leute wurden dort, wie sie gew¸nscht hatten, unter dem Myrtenbaum begraben. Der Prinz und das Myrtenfrâ°ulein ruhen wohl auch schon dort, wenn sie nicht mehr leben sollten, woran ich fast zweifle; denn es ist schon sehr lange her.
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