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  • 1854-1856
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saeuberlich zu, da man ja mit den Sachwaltern und den Geschworenen zu teilen hatte und je mehr, um desto sicherer stahl. Auch die Diebesehre war bereits entwickelt: der grosse Raeuber sah auf den kleinen, dieser auf den blossen Dieb geringschaetzig herab; wer einmal wunderbarerweise verurteilt worden war, tat gross mit der hohen Ziffer der als erpresst ihm nachgewiesenen Summen. So wirtschafteten in den Aemtern die Nachfolger jener Maenner, die von ihrer Verwaltung nichts nach Hause zu bringen gewohnt gewesen als den Dank der Untertanen und den Beifall der Mitbuerger. Aber womoeglich noch aerger und noch weniger einer Kontrolle unterworfen hausten die italischen Geschaeftsmaenner unter den ungluecklichen Provinzialen. Die eintraeglichsten Stuecke des Grundbesitzes und das gesamte Handels- und Geldwesen in den Aemtern konzentrierten sich in ihren Haenden. Die Gueter in den ueberseeischen Gebieten, welche italischen Vornehmen gehoerten, waren allem Elend der Verwalterwirtschaft ausgesetzt und sahen niemals ihren Herrn, ausgenommen etwa die Jagdparke, welche schon in dieser Zeit im Transalpinischen Gallien mit einem Flaecheninhalt bis fast zu einer deutschen Quadratmeile vorkommen. Die Wucherei florierte wie nie zuvor. Die kleinen Landeigentuemer in Illyricum, Asia, Aegypten wirtschafteten schon zu Varros Zeit groesstenteils tatsaechlich als Schuldknechte ihrer roemischen oder nichtroemischen Glaeubiger, ebenwie einst die Plebejer fuer ihre patrizischen Zinsherren. Es kam vor, dass Kapitalien selbst an Stadtgemeinden zu vier Prozent monatlich verborgt wurden. Es war etwas Gewoehnliches, dass ein energischer und einflussreicher Geschaeftsmann zu besserer Betreibung seiner Geschaefte entweder vom Senat sich den Gesandten- ^28 oder auch vom Statthalter den Offizierstitel geben liess und womoeglich auch Mannschaft dazu; in beglaubigter Weise wird ein Fall erzaehlt, wo einer dieser ehrenwerten kriegerischen Bankiers wegen einer Forderung an die Stadt Salamis auf Kypros den Gemeinderat derselben im Rathaus so lange blockiert hielt, bis fuenf der Ratsmitglieder Hungers gestorben waren. —————————————————– ^28 Dies ist die sogenannte “freie Gesandtschaft” (libera legatio), naemlich eine Gesandtschaft ohne eigentliche oeffentliche Auftraege. —————————————————– Zu dieser gedoppelten Pressung, von denen jede allein unertraeglich war und deren Ineinandergreifen immer besser sich regulierte, kamen dann die allgemeinen Drangsale hinzu, von denen doch auch die roemische Regierung die Schuld, zum grossen Teil wenigstens mittelbar trug. In den vielfachen Kriegen wurden bald von den Barbaren, bald von den roemischen Heeren grosse Kapitalien aus dem Lande weggeschleppt und groessere verdorben. Bei der Nichtigkeit der roemischen Land- und Seepolizei wimmelte es ueberall von Land- und Seeraeubern. In Sardinien und im inneren Kleinasien war die Bandenwirtschaft endemisch; in Afrika und im Jenseitigen Spanien machte sie es noetig, alle ausserhalb der staedtischen Ringmauern angelegten Gebaeude mit Mauern und Tuermen zu befestigen. Das furchtbare Uebel der Piraterie ward bereits in einem anderen Zusammenhang geschildert. Die Panazeen des Prohibitivsystems, mit denen der roemische Statthalter dazwischenzufahren pflegte, wenn, wie das unter solchen Verhaeltnissen nicht fehlen konnte, Geldklemme oder Brotteuerung eintrat, die Verbote der Gold- und Getreideausfuhr aus der Provinz, machten denn auch die Sache nicht besser. Die Kommunalverhaeltnisse waren fast ueberall, ausser durch den allgemeinen Notstand, auch noch durch lokale Wirren und Unterschleife der Gemeindebeamten zerruettet. Wo solche Bedraengnisse nicht etwa voruebergehend, sondern Menschenalter hindurch auf den Gemeinden und den einzelnen mit unabwendbar stetigem, jaehrlich steigendem Drucke lasteten, musste wohl der bestgeordnete oeffentliche oder Privathaushalt ihnen erliegen und das unsaeglichste Elend ueber alle Nationen vom Tajo bis zum Euphrat sich ausbreiten. “Alle Gemeinden”, heisst es in einer schon 684 (70) veroeffentlichten Schrift “sind zugrunde gerichtet”; ebendasselbe wird fuer Spanien und das Narbonensische Gallien, also die verhaeltnismaessig oekonomisch noch am leidlichsten gestellten Provinzen, insbesondere bezeugt. In Kleinasien gar standen Staedte wie Samos und Halikarnassos fast leer; der rechtliche Sklavenstand schien hier, verglichen mit den Peinigungen, denen der freie Provinziale unterlag, ein Hafen der Ruhe, und sogar der geduldige Asiate war, nach den Schilderungen roemischer Staatsmaenner selbst, des Lebens ueberdruessig geworden. Wen zu ergruenden geluestet, wie tief der Mensch sinken kann, sowohl in dem frevelhaften Zufuegen wie in dem nicht minder frevelhaften Ertragen alles denkbaren Unrechts, der mag aus den Kriminalakten dieser Zeit zusammenlesen, was roemische Grosse zu tun, was Griechen, Syrer und Phoeniker zu leiden vermochten. Selbst die eigenen Staatsmaenner raeumten oeffentlich und ohne Umschweife ein, dass der roemische Name durch ganz Griechenland und Asien unaussprechlich verhasst sei; und wenn die Buerger des pontischen Herakleia einmal die roemischen Zoellner saemtlich erschlugen, so war dabei nur zu bedauern, dass dergleichen nicht oefter geschah.
Die Optimaten spotteten ueber den neuen Herrn, der seine “Meierhoefe” einen nach dem andern selbst zu besichtigen kam; in der Tat forderte der Zustand aller Provinzen den ganzen Ernst und die ganze Weisheit eines jener seltenen Maenner, denen der Koenigsname es verdankt, dass er den Voelkern nicht bloss gilt als leuchtendes Exempel menschlicher Unzulaenglichkeit. Die geschlagenen Wunden musste die Zeit heilen; dass sie es konnte und dass nicht ferner neue geschlagen wurden, dafuer sorgte Caesar. Das Verwaltungswesen ward durchgreifend umgestaltet. Die Sullanischen Prokonsuln und Propraetoren waren in ihrem Sprengel wesentlich souveraen und tatsaechlich keiner Kontrolle unterworfen gewesen; die Caesarischen waren die wohl in Zucht gehaltenen Diener eines strengen Herrn, der schon durch die Einheit und die lebenslaengliche Dauer seiner Macht zu den Untertanen ein natuerlicheres und leidlicheres Verhaeltnis hatte als jene vielen, jaehrlich wechselnden kleinen Tyrannen. Die Statthalterschaften wurden zwar auch ferner unter die jaehrlich abtretenden zwei Konsuln und sechzehn Praetoren verteilt, aber dennoch, indem der Imperator acht von den letzteren geradezu ernannte und die Verteilung der Provinzen unter die Konkurrenten lediglich von ihm abhing, der Sache nach von dem Imperator vergeben. Auch die Kompetenz der Statthalter ward tatsaechlich beschraenkt. Es blieb ihnen die Leitung der Rechtspflege und die administrative Kontrolle der Gemeinden, aber ihr Kommando ward paralysiert durch das neue Oberkommando in Rom und dessen, dem Statthalter zur Seite gestellte Adjutanten, das Hebewesen wahrscheinlich schon jetzt, auch in den Provinzen wesentlich an kaiserliche Bediente uebertragen, so dass der Statthalter fortan mit einem Hilfspersonal umringt war, welches entweder durch die Gesetze der militaerischen Hierarchie oder durch die noch strengeren der haeuslichen Zucht unbedingt von dem Imperator abhing. Wenn bisher der Prokonsul und sein Quaestor erschienen waren gleichsam als die zur Einziehung der Brandschatzung abgesandten Mitglieder einer Raeuberbande, so waren Caesars Beamte dazu da, um den Schwachen gegen den Starken zu beschuetzen; und an die Stelle der bisherigen, schlimmer als nichtigen Kontrolle der Ritter- oder senatorischen Gerichte trat fuer sie die Verantwortung vor einem gerechten und unnachsichtigen Monarchen. Das Gesetz ueber Erpressungen, dessen Bestimmungen Caesar schon in seinem ersten Konsulat verschaerft hatte, wurde gegen die Oberkommandanten in den Aemtern von ihm mit unerbittlicher, selbst ueber den Buchstaben desselben hinausgehender Schaerfe zur Anwendung gebracht; und die Steuerbeamten gar, wenn sie ja es wagten, sich eine Unrechtfertigkeit zu erlauben, buessten ihrem Herrn, wie Knechte und Freigelassene nach dem grausamen Hausrecht jener Zeit zu buessen pflegten. Die ausserordentlichen oeffentlichen Lasten wurden auf das richtige Mass und den wirklichen Notfall zurueckgefuehrt, die ordentlichen wesentlich vermindert. Der durchgreifenden Regulierung des Steuerwesens ward bereits frueher gedacht: die Ausdehnung der Steuerfreiheiten, die durchgaengige Herabsetzung der direkten Abgaben, die Beschraenkung des Zehntsystems auf Afrika und Sardinien, die vollstaendige Beseitigung der Mittelsmaenner bei der Einziehung der direkten Abgaben waren fuer die Provinzialen segensreiche Reformen. Dass Caesar nach dem Beispiel eines seiner groessten demokratischen Vorgaenger, des Sertorius, die Untertanen von der Einquartierungslast hat befreien und die Soldaten anhalten wollen, sich selber bleibende stadtartige Standlager zu errichten, ist zwar nicht nachzuweisen; aber er war, wenigstens nachdem er die Praetendenten- mit der Koenigsrolle vertauscht hatte, nicht der Mann, den Untertan dem Soldaten preiszugeben; und es war in seinem Geiste gedacht, als die Erben seiner Politik solche Kriegslager und aus diesen Kriegslagern wieder Staedte erschufen, in denen die italische Zivilisation Brennpunkte inmitten der barbarischen Grenzlandschaften fand.
Bei weitem schwieriger als dem Beamtenunwesen zu steuern war es, die Provinzialen von der erdrueckenden Uebermacht des roemischen Kapitals zu befreien. Geradezu brechen liess dieselbe sich nicht, ohne Mittel anzuwenden, die noch gefaehrlicher waren als das Uebel; die Regierung konnte vorlaeufig nur einzelne Missbraeuche abstellen, wie zum Beispiel Caesar die Benutzung des Staatsgesandtentitels zu wucherlichen Zwecken untersagte, und der offenbaren Vergewaltigung und dem handgreiflichen Wucher durch scharfe Handhabung der allgemeinen Straf- und der auch auf die Provinzen sich erstreckenden Wuchergesetze entgegentreten, eine gruendlichere Heilung des Uebels aber von dem unter der besseren Verwaltung wiederaufbluehenden Wohlstand der Provinzialen erwarten. Transitorische Verfuegungen, um der Ueberschuldung einzelner Provinzen abzuhelfen, waren in den letzten Zeiten mehrfach ergangen. Caesar selbst hatte 694 (60) als Statthalter des Jenseitigen Spaniens den Glaeubigern zwei Drittel der Einnahmen ihrer Schuldner zugewiesen, um daraus sich bezahlt zu machen. Aehnlich hatte schon Lucius Lucullus als Statthalter von Kleinasien einen Teil der masslos angeschwollenen Zinsreste geradezu kassiert, fuer den uebrigen Teil die Glaeubiger angewiesen auf den vierten Teil des Ertrages der Laendereien ihrer Schuldner sowie auf eine angemessene Quote der aus Hausmiete oder Sklavenarbeit denselben zufliessenden Nutzungen. Es ist nicht ueberliefert, dass Caesar nach dem Buergerkrieg aehnliche allgemeine Schuldenliquidationen in den Provinzen veranlasst haette; doch kann es, nach dem eben Bemerkten und nach dem, was fuer Italien geschah, kaum bezweifelt werden, dass Caesar darauf ebenfalls hingearbeitet hat oder dies wenigstens in seinem Plan lag. Wenn also der Imperator, soweit Menschenkraft es vermochte, die Provinzialen der Bedrueckungen durch die Beamten und Kapitalisten Roms entlastete, so durfte man zugleich von der durch ihn neu erstarkenden Regierung mit Sicherheit erwarten, dass sie die wilden Grenzvoelker verscheuchen und die Land- und Seepiraten zerstreuen werde, wie die aufsteigende Sonne die Nebel verjagt. Wie auch noch die alten Wunden schmerzten, mit Caesar erschien den vielgeplagten Untertanen die Morgenroete einer ertraeglicheren Zeit, seit Jahrhunderten wieder die erste intelligente und humane Regierung und eine Friedenspolitik, die nicht auf der Feigheit, sondern auf der Kraft beruhte. Wohl mochten mit den besten Roemern vor allem die Untertanen an der Leiche des grossen Befreiers trauern.
Allein diese Abstellung der bestehenden Missbraeuche war nicht die Hauptsache in Caesars Provinzialreform. In der roemischen Republik waren, nach der Ansicht der Aristokratie wie der Demokratie, die Aemter nichts gewesen als wie sie haeufig genannt werden: Landgueter des roemischen Volkes, und als solche waren sie benutzt und ausgenutzt worden. Damit war es jetzt vorbei. Die Provinzen als solche sollten allmaehlich untergehen, um der verjuengten hellenisch-italischen Nation eine neue und geraeumigere Heimat zu bereiten, von deren einzelnen Bezirken keiner nur um eines andern willen da war, sondern alle fuer einen und einer fuer alle; die Leiden und Schaeden der Nation, fuer die in dem alten Italien keine Hilfe war, sollte das neue Dasein in der verjuengten Heimat, das frischere, breitere, grossartigere Volksleben von selber ueberwinden. Bekanntlich waren diese Gedanken nicht neu. Die seit Jahrhunderten stehend gewordene Emigration aus Italien in die Provinzen hatte laengst, freilich den Emigranten selber unbewusst, eine solche Ausdehnung Italiens vorbereitet. In planmaessiger Weise hatte zuerst Gaius Gracchus, der Schoepfer der roemischen demokratischen Monarchie, der Urheber der transalpinischen Eroberungen, der Gruender der Kolonien Karthago und Narbo, die Italiker ueber Italiens Grenzen hinausgelenkt, sodann der zweite geniale Staatsmann, den die roemische Demokratie hervorgebracht, Quintus Sertorius, damit begonnen, die barbarischen Okzidentalen zur latinischen Zivilisation anzuleiten; er gab der vornehmen spanischen Jugend roemische Tracht und hielt sie an, lateinisch zu sprechen und auf der von ihm gegruendeten Bildungsanstalt in Osca sich die hoehere italische Bildung anzueignen. Bei Caesars Regierungsantritt war bereits eine massenhafte, freilich der Stetigkeit wie der Konzentration grossenteils ermangelnde italische Bevoelkerung in allen Provinzen und Klientelstaaten vorhanden – um von den foermlich italischen Staedten in Spanien und dem suedlichen Gallien zu schweigen, erinnern wir nur an die zahlreichen Buergertruppen, die Sertorius und Pompeius in Spanien, Caesar in Gallien, Juba in Numidien, die Verfassungspartei in Afrika, Makedonien, Griechenland, Kleinasien und Kreta aushoben; an die freilich uebelgestimmte lateinische Leier, auf der die Stadtpoeten von Corduba schon im Sertorianischen Kriege der roemischen Feldherren Lob und Preis sangen; an die eben ihrer sprachlichen Eleganz wegen geschaetzten Uebersetzungen griechischer Poesien, die der aelteste namhafte ausseritalische Poet, der Transalpiner Publius Terentius Varro von der Aude, kurz nach Caesars Tode veroeffentlichte. Andererseits war die Durchdringung des latinischen und des hellenischen Wesens, man moechte sagen, so alt wie Rom. Schon bei der Einigung Italiens hatte die obsiegende latinische Nation alle anderen besiegten Nationalitaeten sich assimiliert, nur die einzige griechische, so wie sie war, sich eingefuegt, ohne sie aeusserlich mit sich zu verschmelzen. Wohin der roemische Legionaer kam, dahin folgte der griechische Schulmeister, in seiner Art nicht minder ein Eroberer, ihm nach; schon frueh finden wir namhafte griechische Sprachlehrer ansaessig am Guadalquivir, und in der Anstalt von Osca ward so gut griechisch gelehrt wie lateinisch. Die hoehere roemische Bildung selbst war ja durchaus nichts anderes als die Verkuendung des grossen Evangeliums hellenischer Art und Kunst im italischen Idiom; gegen die bescheidene Anmassung der zivilisierenden Eroberer, dasselbe zunaechst in ihrer Sprache den Barbaren des Westens zu verkuendigen, konnte der Hellene wenigstens nicht laut protestieren. Schon laengst erblickte der Grieche ueberall, und am entschiedensten eben da, wo das Nationalgefuehl am reinsten und am staerksten war, an den von barbarischer Denationalisierung bedrohten Grenzen, wie zum Beispiel in Massalia, am Nordgestade des Schwarzen Meeres und am Euphrat und Tigris, den Schild und das Schwert des Hellenismus in Rom; und in der Tat nahmen Pompeius’ Staedtegruendungen im fernen Osten nach jahrhundertelanger Unterbrechung Alexanders segensreiches Werk wieder auf. Der Gedanke eines italisch-hellenischen Reiches mit zweien Sprachen und einer einheitlichen Nationalitaet war nicht neu – er waere sonst auch nichts gewesen als ein Fehler; aber dass er aus schwankenden Entwuerfen zu sicherer Fassung, aus zerstreuten Anfaengen zu konzentrierter Grundlegung fortschritt, ist das Werk des dritten und groessten der demokratischen Staatsmaenner Roms. Die erste und wesentlichste Bedingung zu der politischen und nationalen Nivellierung des Reichs war die Erhaltung und Ausdehnung der beiden zu gemeinschaftlichem Herrschen bestimmten Nationen, unter moeglichst rascher Beseitigung der neben ihr stehenden barbarischen oder barbarisch genannten Staemme. In gewissem Sinne koennte man allerdings neben Roemern und Griechen noch eine dritte Nationalitaet nennen, die mit denselben in der damaligen Welt an Ubiquitaet wetteiferte und auch in dem neuen Staate Caesars eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen bestimmt war. Es sind dies die Juden. Das merkwuerdige, nachgiebig zaehe Volk war in der alten wie in der heutigen Welt ueberall und nirgends heimisch und ueberall und nirgends maechtig. Die Diadochen Davids und Salomos bedeuteten fuer die Juden jener Zeit kaum mehr, als heutzutage Jerusalem fuer sie bedeutet; die Nation fand wohl fuer ihre religioese und geistige Einheit einen sichtbaren Anhalt in dem kleinen Koenigreich von Jerusalem, aber sie selbst bestand keineswegs in der Untertanenschaft der Hasmonaeer, sondern in den zahllos durch das ganze Parthische und das ganze Roemische Reich zerstreuten Judenschaften. In Alexandreia namentlich und aehnlich in Kyrene bildeten die Juden innerhalb dieser Staedte eigene, administrativ und selbst lokal abgegrenzte Gemeinwesen, den Judenvierteln unserer Staedte nicht ungleich, aber freier gestellt und von einem “Volksherrn” als oberstem Richter und Verwalter geleitet. Wie zahlreich selbst in Rom die juedische Bevoelkerung bereits vor Caesar war, und zugleich, wie landsmannschaftlich eng die Juden auch damals zusammenhielten, beweist die Bemerkung eines Schriftstellers dieser Zeit, dass es fuer den Statthalter bedenklich sei, den Juden in seiner Provinz zu nahe zu treten, weil er dann sicher darauf zaehlen duerfe, nach seiner Heimkehr von dem hauptstaedtischen Poebel ausgepfiffen zu werden. Auch zu jener Zeit war das vorwiegende Geschaeft der Juden der Handel: mit dem erobernden roemischen Kaufmann zog damals der juedische Haendler ebenso ueberall hin wie spaeter mit dem genuesischen und venezianischen, und neben der roemischen stroemte das Kapital allerorts bei der juedischen Kaufmannschaft zusammen. Auch zu jener Zeit endlich begegnen wir der eigentuemlichen Antipathie der Okzidentalen gegen diese so gruendlich orientalische Rasse und ihre fremdartigen Meinungen und Sitten. Dies Judentum, obwohl nicht der erfreulichste Zug in dem nirgends erfreulichen Bilde der damaligen Voelkermengung, war nichtsdestoweniger ein im natuerlichen Verlauf der Dinge sich entwickelndes geschichtliches Moment, das der Staatsmann weder sich ableugnen noch bekaempfen durfte und dem Caesar vielmehr, ebenwie sein Vorgaenger Alexander, in richtiger Erkenntnis der Verhaeltnisse moeglichst Vorschub tat. Wenn Alexander, der Stifter des alexandrinischen Judentums, damit nicht viel weniger fuer die Nation tat wie ihr eigener David durch den Tempelbau von Jerusalem, so foerderte auch Caesar die Juden in Alexandreia wie in Rom durch besondere Beguenstigungen und Vorrechte und schuetzte namentlich ihren eigentuemlichen Kult gegen die roemischen wie gegen die griechischen Lokalpfaffen. Die beiden grossen Maenner dachten natuerlich nicht daran, der hellenischen oder italisch-hellenischen Nationalitaet die juedische ebenbuertig zur Seite zu stellen. Aber der Jude, der nicht wie der Okzidentale die Pandoragabe politischer Organisation empfangen hat und gegen den Staat sich wesentlich gleichgueltig verhaelt; der ferner ebenso schwer den Kern seiner nationalen Eigentuemlichkeit aufgibt als bereitwillig denselben mit jeder beliebigen Nationalitaet umhuellt und bis zu einem gewissen Grad der fremden Volkstuemlichkeit sich anschmiegt – der Jude war ebendarum wie geschaffen fuer einen Staat, welcher auf den Truemmern von hundert lebendigen Politien erbaut und mit einer gewissermassen abstrakten und von vornherein verschliffenen Nationalitaet ausgestattet werden sollte. Auch in der alten Welt war das Judentum ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition und insofern ein vorzugsweise berechtigtes Mitglied in dem Caesarischen Staate, dessen Politie doch eigentlich nichts als Weltbuergertum, dessen Volkstuemlichkeit im Grunde nichts als Humanitaet war. Indes die positiven Elemente des neuen Buergertums blieben ausschliesslich die latinische und die hellenische Nationalitaet. Mit dem spezifisch italischen Staat der Republik war es also zu Ende; jedoch war es nichts als ein sehr erklaerliches, aber auch sehr albernes Gerede des grollenden Adels, dass Caesar Italien und Rom absichtlich zugrunde richte, um den Schwerpunkt des Reiches in den griechischen Osten zu verlegen und zur Hauptstadt desselben Ilion oder Alexandreia zu machen. Vielmehr behielt in Caesars Organisation die latinische Nationalitaet immer das Uebergewicht; wie sich dies schon darin ausspricht, dass er jede Verfuegung in lateinischer, aber die fuer die griechisch redenden Landschaften bestimmten daneben in griechischer Sprache erliess. Im allgemeinen ordnete er die Verhaeltnisse der beiden grossen Nationen in seiner Monarchie ebenwie sie in dem geeinigten Italien seine republikanischen Vorgaenger geordnet hatten: die hellenische Nationalitaet wurde geschuetzt, wo sie bestand, die italische nach Vermoegen erweitert und ihr die Erbschaft der aufzuloesenden Rassen bestimmt. Es war dies schon deshalb notwendig, weil eine voellige Gleichstellung des griechischen und lateinischen Elements im Staate aller Wahrscheinlichkeit nach in sehr kurzer Zeit diejenige Katastrophe herbeigefuehrt haben wuerde, die manche Jahrhunderte spaeter der Byzantinismus vollzog; denn das Griechentum war nicht bloss geistig nach allen Richtungen hin dem roemischen Wesen ueberlegen, sondern auch an Masse, und hatte in Italien selbst an den Schwaermen der gezwungen oder freiwillig nach Italien wandernden Hellenen und Halbhellenen eine Unzahl unscheinbarer, aber in ihrem Einfluss nicht hoch genug anzuschlagender Apostel. Um nur der eminentesten Erscheinung auf diesem Gebiete zu gedenken, so ist das Regiment der griechischen Lakaien ueber die roemischen Monarchen so alt wie die Monarchie: der erste in der ebenso langen wie widerwaertigen Liste dieser Individuen ist Pompeius’ vertrauter Bedienter Theophanes von Mytilene, welcher durch seine Gewalt ueber den schwachen Herrn wahrscheinlich mehr als irgendein anderer Mann zu dem Ausbruch des Krieges zwischen Pompeius und Caesar beigetragen hat. Nicht ganz mit Unrecht ward er nach seinem Tode von seinen Landsleuten goettlich verehrt: eroeffnete er doch die Kammerdienerregierung der Kaiserzeit, die gewissermassen eben auch eine Herrschaft der Hellenen ueber die Roemer war. Die Regierung hatte demnach allen Grund, die Ausbreitung des Hellenismus wenigstens im Westen nicht noch von oben herab zu foerdern. Wenn Sizilien nicht bloss des Zehntendrucks entlastet, sondern auch seinen Gemeinden das latinische Recht bestimmt ward, dem seiner Zeit vermutlich die volle Gleichstellung mit Italien nachfolgen sollte, so kann Caesars Absicht nur gewesen sein, die herrliche, aber damals veroedete und wirtschaftlich zum groessten Teil in italische Haende gelangte Insel, welche die Natur nicht so sehr zum Nachbarland Italiens bestimmt hat als zu der schoensten seiner Landschaften, voellig in Italien aufgehen zu lassen. Im uebrigen aber ward das Griechentum, wo es bestand, erhalten und geschuetzt. Wie nahe auch die politischen Krisen es dem Imperator legten, die festen Pfeiler des Hellenismus im Okzident und in Aegypten umzustuerzen, Massalia und Alexandreia wurden weder vernichtet noch denationalisiert.
Dagegen das roemische Wesen ward durch Kolonisierung wie durch Latinisierung mit allen Kraeften und an den verschiedensten Punkten des Reiches von der Regierung gehoben. Der zwar aus einer argen Vereinigung formeller Rechts- und brutaler Machtentwicklung hervorgegangene, aber, um freie Hand gegen die zur Vernichtung bestimmten Nationen zu haben, unumgaenglich notwendige Satz, dass an allem, nicht durch besonderen Akt der Regierung an Gemeinden oder Private abgetretenen Grund und Boden in den Provinzen der Staat das Eigentum, der zeitige Inhaber nur einen geduldeten und jederzeit widerruflichen Erbbesitz habe, wurde auch von Caesar festgehalten und durch ihn aus einer demokratischen Parteitheorie zu einem Fundamentalprinzip des monarchischen Rechts erhoben. In erster Linie kam fuer die Ausbreitung der roemischen Nationalitaet natuerlich Gallien in Frage. Gallien diesseits der Alpen erhielt durch die laengst von der Demokratie als vollzogen angenommene und nun (705 49) durch Caesar schliesslich vollzogene Aufnahme der transpadanischen Gemeinden in den roemischen Buergerverband durchgaengig, was ein grosser Teil der Bewohner laengst gehabt: politische Gleichberechtigung mit dem Hauptland. Tatsaechlich hatte sich diese Provinz in den vierzig Jahren, die seit Erteilung des Latinerrechts verflossen waren, bereits vollstaendig latinisiert. Die Exklusiven mochten spotten ueber den breiten und gurgelnden Akzent des Kettenlateins und ein “ich weiss nicht was von hauptstaedtischer Anmut” bei dem Insubrer und Veneter vermissen, der sich als Caesars Legionaer mit dem Schwert einen Platz auf dem roemischen Markt und sogar in der roemischen Kurie erobert hatte. Nichtsdestoweniger war das Cisalpinische Gallien mit seiner dichten, vorwiegend bauernschaftlichen Bevoelkerung schon vor Caesar der Sache nach eine italische Landschaft und blieb Jahrhunderte lang der rechte Zufluchtsort italischer Sitte und italischer Bildung; wie denn die Lehrer der latinischen Literatur nirgends sonst ausserhalb der Hauptstadt so vielen Zuspruch und Anklang fanden. Wenn also das Cisalpinische Gallien wesentlich in Italien aufging, so trat zugleich an die Stelle, die es bisher eingenommen hatte, die transalpinische Provinz, die ja durch Caesars Eroberungen aus einer Grenz- in eine Binnenprovinz umgewandelt worden war und die durch ihre Naehe wie durch ihr Klima vor allen anderen Gebieten sich dazu eignete, mit der Zeit gleichfalls eine italische Landschaft zu werden. Dorthin hauptsaechlich, nach dem alten Zielpunkt der ueberseeischen Ansiedlungen der roemischen Demokratie, ward der Strom der italischen Emigration gelenkt. Es wurden daselbst teils die alte Kolonie Narbo durch neue Ansiedler verstaerkt, teils in Baeterrae (Beziers) unweit Narbo, in Arelate (Arles) und Arausio (Orange) an der Rhone und in der neuen Hafenstadt Forum Iulii (Frejus) vier neue Buergerkolonien angelegt, deren Namen zugleich das Andenken der tapferen Legionen bewahrten, die das noerdliche Gallien zum Reiche gebracht hatten ^29. Die nicht mit Kolonisten belegten Ortschaften scheinen zugleich, wenigstens groesstenteils, in derselben Art wie einst das transpadanische Kettenland, der Romanisierung entgegengefuehrt worden zu sein durch Verleihung latinischen Stadtrechts; namentlich wurde Nemausus (Nimes) als der Hauptort des den Massalioten infolge ihrer Auflehnung gegen Caesar aberkannten Gebiets aus einem massaliotischen Flecken in eine latinische Stadtgemeinde umgewandelt und mit ansehnlichem Gebiet und selbst mit Muenzrecht ausgestattet ^30. Indem also das Cisalpinische Gallien von der vorbereitenden Stufe zur vollen Gleichstellung mit Italien fortschritt, rueckte gleichzeitig die narbonensische Provinz in jenes vorbereitende Stadium nach; ganz wie bisher im Cisalpinischen Gallien hatten die ansehnlichsten Gemeinden daselbst das volle Buerger-, die uebrigen latinisches Recht.
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^29 Narbo heisst Kolonie der Decimaner, Baeterrae der Septimaner, Forum Iulii der Octavaner, Arelate der Sextaner, Arausio der Secundaner. Die neunte Legion fehlt, weil sie ihre Nummer durch die Meuterei von Placentia entehrt hatte. Dass uebrigens die Kolonisten dieser Kolonien den eponymen Legionen angehoerten, wird nicht gesagt und ist nicht glaublich; die Veteranen selbst wurden wenigstens der grossen Mehrzahl nach in Italien angesiedelt. Ciceros Klage, dass Caesar “ganze Provinzen und Landschaften auf einen Schlag konfisziert habe” (off. 2, 7, 27, vgl. Phil. 13,15; 31, 32), geht ohne Zweifel, wie schon die enge Verknuepfung derselben mit dem Tadel des Triumphs ueber die Massalioten beweist, auf die dieser Kolonien wegen in der narbonensischen Provinz vorgenommenen Landeinziehungen und zunaechst auf die Massalia auferlegten Gebietsverluste.
^30 Ausdruecklich ueberliefert ist es nicht, von wem das latinische Recht der nichtkolonisierten Ortschaften dieser Gegend und namentlich von Nemausus herruehrt. Aber da Caesar selbst (civ. 1, 35) so gut wie geradezu sagt, dass Nemausus bis 705 (49) ein massaliotisches Dorf war; da nach dem Livianischen Bericht (Dio 41, 25; Flor. epit. 2, 13; Oros. hist. 6, 15) eben dieser Teil des Gebietes den Massalioten von Caesar entzogen ward da endlich schon auf voraugustischen Muenzen und sodann bei Strabon die Stadt als Gemeinde latinischen Rechts vorkommt, so kann nur Caesar der Urheber dieser Latinitaetsverleihung sein. Von Ruscino (Roussillon bei Perpignan) und anderen, im Narbonensischen Gallien frueh zu latinischer Stadtverfassung gelangten Gemeinden laesst sich nur vermuten, dass sie dieselbe gleichzeitig mit Nemausus empfingen.
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In den anderen nichtgriechischen und nichtlatinischen Landschaften des Reiches, welche der Einwirkung Italiens und dem Assimilationsprozess noch ferner standen, beschraenkte Caesar sich darauf, einzelne Brennpunkte fuer die italische Zivilisation zu gruenden, wie dies bisher in Gallien Narbo gewesen war, um durch sie die kuenftige vollstaendige Ausgleichung vorzubereiten. Solche Anfaenge lassen, mit Ausnahme der aermsten und geringsten von allen, der sardinischen, in saemtlichen Provinzen des Reiches sich nachweisen. Wie Caesar im noerdlichen Gallien verfuhr, ward schon dargelegt; die lateinische Sprache erhielt hier, wenn auch noch nicht fuer alle Zweige des oeffentlichen Verkehrs, durchgaengig offizielle Geltung und es entstand am Lemansee als die noerdlichste Stadt italischer Verfassung die Kolonie Noviodunum (Nyon). In Spanien, vermutlich damals der am dichtesten bevoelkerten Landschaft des Roemischen Reiches, wurden nicht bloss in der wichtigen hellenisch-iberischen Hafenstadt Emporiae neben der alten Bevoelkerung Caesarische Kolonisten angesiedelt, sondern, wie neuerdings aufgefundene Urkunden gezeigt haben, auch eine Anzahl wahrscheinlich ueberwiegend dem hauptstaedtischen Proletariat entnommener Kolonisten in der Stadt Urso (Osuna), unweit Sevilla im Herzen von Andalusien, und vielleicht noch in mehreren anderen Ortschaften dieser Provinz versorgt. Die alte und reiche Kaufstadt Gades, deren Munizipalwesen Caesar schon als Praetor zeitgemaess umgestaltet hatte, erhielt jetzt von dem Imperator das volle Recht der italischen Munizipien (705 49) und wurde, was in Italien Tusculum gewesen war, die erste ausseritalische, nicht von Rom gegruendete Gemeinde, die in den roemischen Buergerverband eintrat. Einige Jahre nachher (709 45) wurde das gleiche Recht auch einigen anderen spanischen Gemeinden und vermutlich noch mehreren das latinische zuteil. In Afrika wurde, was Gaius Gracchus nicht hatte zu Ende fuehren sollen, jetzt ins Werk gesetzt und an derjenigen Staette, wo die Stadt der Erbfeinde Roms gestanden, 3000 italische Kolonisten und eine grosse Anzahl der im karthagischen Gebiet ansaessigen Pacht- und Bittbesitzer angesiedelt; und zum Erstaunen rasch wuchs unter den unvergleichlich guenstigen Lokalverhaeltnissen die neue “Venuskolonie”, das roemische Karthago, wieder empor. Utica, bis dahin die Haupt- und erste Handelsstadt der Provinz, war schon im vorweg, es scheint durch Erteilung des latinischen Rechts, fuer die Wiedererweckung des ueberlegenen Konkurrenten einigermassen entschaedigt worden. In dem neu zum Reiche gefuegten numidischen Gebiet erhielten das wichtige Cirta und die uebrigen, dem roemischen Condottiere Publius Sittius fuer sich und die Seinigen ueberwiesenen Gemeinden das Recht roemischer Militaerkolonien. Die stattlichen Provinzstaedte freilich, die das wahnsinnige Wueten Jubas und der verzweifelten Reste der Verfassungspartei in Schutthaufen verwandelt hatte, erhoben sich nicht so rasch wieder, wie sie eingeaeschert worden waren, und manche Truemmerstaette erinnerte noch lange nachher an diese verhaengnisvolle Zeit; allein die beiden neuen Julischen Kolonien, Karthago und Cirta, wurden und blieben die Mittelpunkte der afrikanisch-roemischen Zivilisation. In dem veroedeten griechischen Land beschaeftigte Caesar ausser mit anderen Plaenen, zum Beispiel der Anlage einer roemischen Kolonie in Buthroton (Korfu gegenueber), vor allem sich mit der Wiederherstellung von Korinth; nicht bloss wurde eine ansehnliche Buergerkolonie dorthin gefuehrt, sondern auch der Plan entworfen, durch den Durchstich des Isthmus die gefaehrliche Umschiffung des Peloponnes abzuschneiden und den ganzen italisch-asiatischen Verkehr durch den Korinthisch-Saronischen Meerbusen zu leiten. Endlich rief selbst in dem entlegenen hellenischen Osten der Monarch italische Ansiedlungen ins Leben: so am Schwarzen Meer in Herakleia und in Sinope, welche Staedte die italischen Kolonisten aehnlich wie Emporiae mit den alten Bewohnern teilten; so an der syrischen Kueste in dem wichtigen Hafen von Berytos, das wie Sinope italische Verfassung erhielt; ja sogar in Aegypten wurde auf der den Hafen von Alexandreia beherrschenden Leuchtturminsel eine roemische Station gegruendet. Durch diese Anordnungen ward die italische Gemeindefreiheit in weit umfassenderer Weise, als es bisher geschehen war, in die Provinzen getragen. Die Vollbuergergemeinden, also saemtliche Staedte der cisalpinischen Provinz und die in dem Transalpinischen Gallien und sonst zerstreuten Buergerkolonien und Buergermunizipien, standen den italischen insofern gleich, als sie sich selber verwalteten und selbst eine, allerdings beschraenkte, Gerichtsbarkeit ausuebten: wogegen freilich die wichtigeren Prozesse vor die hier kompetenten roemischen Behoerden, in der Regel den Statthalter des Sprengels gehoerten ^31. Die formell autonomen latinischen und die sonstigen befreiten Gemeinden, also jetzt die sizilischen und die des Narbonensischen Galliens, soweit sie nicht Buergergemeinden waren, alle und auch in anderen Provinzen eine betraechtliche Zahl, hatten nicht bloss die freie Verwaltung, sondern wahrscheinlich unbeschraenkte Gerichtsbarkeit, so dass der Statthalter hier nur kraft seiner allerdings sehr arbitraeren Verwaltungskontrolle einzugreifen befugt war. Wohl hatte es auch frueher schon Vollbuergergemeinden innerhalb der Statthaltersprengel gegeben, wie zum Beispiel Aquileia und Narbo, und hatten ganze Statthaltersprengel, wie das Diesseitige Gallien, aus Gemeinden mit italischer Verfassung bestanden; aber wenn nicht rechtlich, war es doch politisch eine ungemein wichtige Neuerung, dass es jetzt eine Provinz gab, die so gut wie Italien lediglich von roemischen Buergern bevoelkert war ^32, und dass andere es zu werden versprachen. Es fiel damit der eine grosse tatsaechliche Gegensatz, in dem Italien zu den Provinzen gestanden hatte; und auch der zweite, dass in Italien regelmaessig keine Truppen standen, wohl aber in den Provinzen, war gleichermassen im Verschwinden: die Truppen standen jetzt nur da, wo es eine Grenze zu verteidigen gab, und die Kommandanten der Provinzen, bei denen dies nicht zutraf, wie zum Beispiel bei Narbo und Sizilien, waren nur dem Namen nach noch Offiziere. Der formelle Gegensatz zwischen Italien und den Provinzen, der zu allen Zeiten auf anderen Unterschieden beruht hatte, blieb allerdings auch jetzt bestehen, Italien der Sprengel der buergerlichen Rechtspflege und der Konsuln-Praetoren, die Provinzen kriegsrechtliche Jurisdiktionsbezirke und den Prokonsuln und Propraetoren unterworfen; allein der Prozess nach Buerger- und nach Kriegsrecht fiel laengst praktisch zusammen, und die verschiedene Titulatur der Beamten hatte wenig zu bedeuten, seit ueber allen der eine Imperator stand.
———————————————– ^31 Dass keiner Vollbuergergemeinde mehr als beschraenkte Gerichtsbarkeit zustand, ist ausgemacht. Auffallend ist es aber, was aus der Caesarischen Gemeindeordnung fuer das Cisalpinische Gallien bestimmt hervorgeht, dass die jenseits der munizipalen Kompetenz liegenden Prozesse aus dieser Provinz nicht vor den Statthalter derselben, sondern vor den roemischen Praetor gehen; denn im uebrigen ist der Statthalter ja in seinem Sprengel ebensowohl anstatt des Praetors, der zwischen Buergern, wie anstatt dessen, der zwischen Buergern und Nichtbuergern Recht spricht, und durchaus fuer alle Prozesse kompetent. Ohne Zweifel ist dies ein Ueberrest der vorsullanischen Ordnung, wo in dem ganzen festlaendischen Gebiet bis zu den Alpen lediglich die Stadtbeamten kompetent waren und also hier saemtliche Prozesse, wo sie die munizipale Kompetenz ueberschritten, notwendig vor die Praetoren in Rom kamen. Dagegen in Narbo, Gades, Karthago, Korinth gingen die Prozesse in diesem Fall sicher an den betreffenden Statthalter; wie denn auch schon aus praktischen Ruecksichten nicht wohl an einen Rechtszug nach Rom gedacht werden kann. ^32 Warum die Erteilung des roemischen Buergerrechts an eine Landschaft insgesamt und der Fortbestand der Provinzialverwaltung fuer dieselbe als sich einander ausschliessende Gegensaetze gedacht zu werden pflegen, ist nicht abzusehen. Ueberdies erhielt notorisch das Cisalpinische Gallien durch den Roscischen Volksschluss vom 11. Maerz 705 (49) die Civitaet, waehrend es Provinz blieb, solange Caesar lebte, und erst nach seinem Tode mit Italien vereinigt ward (Dio 48, 12), auch die Statthalter bis 711 (43) nachweisbar sind. Schon dass die Caesarische Gemeindeordnung die Landschaft nie als Italien, sondern als Cisalpinisches Gallien bezeichnet, musste auf das Richtige fuehren. ———————————————– Offenbar ist in all diesen einzelnen munizipalen Gruendungen und Ordnungen, die wenigstens dem Plan, wenn auch vielleicht nicht alle der Ausfuehrung nach, auf Caesar zurueckgehen, ein bestimmtes System. Italien ward aus der Herrin der unterworfenen Voelkerschaften umgewandelt in die Mutter der verjuengten italisch-hellenischen Nation. Die dem Mutterlande vollstaendig gleichgestellte cisalpinische Provinz verhiess und verbuergte es, dass in der Monarchie Caesars, ebenwie in der frischeren Epoche der Republik, jede latinisierte Landschaft erwarten durfte, den aelteren Schwestern und der Mutter selbst ebenbuertig an die Seite zu treten. Auf der Vorstufe zur vollen nationalen und politischen Ausgleichung mit Italien standen dessen Nebenlaender, das griechische Sizilien und das rasch sich latinisierende suedliche Gallien. Auf einer entfernteren Stufe zu dieser Ausgleichung standen die uebrigen Landschaften des Reiches, in denen, wie bisher in Suedgallien Narbo roemische Kolonie gewesen war, jetzt die grossen Seestaedte: Emporiae, Gades, Karthago, Korinth, Herakleia im Pontos, Sinope, Berytos, Alexandreia, italische oder hellenisch-italische Gemeinden wurden, die Stuetzpunkte einer italischen Zivilisation selbst im griechischen Osten, die Grundpfeiler der kuenftigen nationalen und politischen Nivellierung des Reiches. Die Herrschaft der Stadtgemeinde Rom ueber das Litoral des Mittelmeeres war zu Ende; an ihre Stelle trat der neue Mittelmeerstaat und sein erster Akt war die Suehnung der beiden groessten Untaten, die jene Stadtgemeinde an der Zivilisation begangen hatte. Wenn die Zerstoerung der beiden groessten Handelsplaetze im roemischen Gebiet den Wendepunkt bezeichnete, wo die Schutzherrschaft der roemischen Gemeinde in politische Tyrannisierung und finanzielle Ausnutzung der untertaenigen Landschaften ueberging, so bezeichnete jetzt die sofortige und glaenzende Wiederherstellung von Karthago und Korinth die Begruendung des neuen, alle Landschaften am Mittelmeer zu nationaler und politischer Gleichheit, zu wahrhaft staatlicher Einigung heranbildenden grossen Gemeinwesens. Wohl durfte Caesar der Stadt Korinth zu ihrem vielberuehmten alten den neuen Namen der “Julischen Ehre” verleihen. Wenn also das neue einheitliche Reich mit einer Nationalitaet ausgestattet ward, die freilich notwendigerweise der volkstuemlichen Individualitaet entbehrte und mehr ein unlebendiges Kunstprodukt als ein frischer Trieb der Natur war, so bedurfte dasselbe ferner der Einheit in denjenigen Institutionen, in denen das allgemeine Leben der Nationen sich bewegt: in Verfassung und Verwaltung, in Religion und Rechtspflege, in Muenze, Mass und Gewicht; wobei natuerlich lokale Besonderheiten mannigfaltigster Art mit wesentlicher Einigung sich vollkommen vertrugen. Ueberall kann auf diesen Gebieten nur von Anfaengen die Rede sein, da die einheitliche Durchbildung der Monarchie Caesars in der Zukunft lag und er nichts tat, als fuer den Bau von Jahrhunderten den Grund legen. Aber von den Linien, die der grosse Mann auf diesen Gebieten gezogen hat, lassen noch manche sich erkennen; und es ist erfreulicher, hier ihm nachzugehen, als in dem Truemmerbau der Nationalitaeten. Hinsichtlich der Verfassung und Verwaltung wurden bereits in einem anderen Zusammenhang die wichtigsten Momente der neuen Einheit hervorgehoben: der Uebergang der Souveraenitaet von dem roemischen Gemeinderat auf den Alleinherrscher der Mittelmeermonarchie; die Umwandlung jenes Gemeinderats in einen hoechsten, Italien wie die Provinzen repraesentierenden Reichsrat: vor allem die begonnene Uebertragung der roemischen und ueberhaupt der italischen Gemeindeordnung auf die Provinzialgemeinden. Es fuehrte dieser letztere Weg, die Verleihung latinischen und demnach roemischen Rechts an die zum vollstaendigen Eintritt in den Einheitsstaat reifen Gemeinden, gleichmaessige kommunale Ordnungen allmaehlich von selbst herbei. Nur in einer Hinsicht konnte man hierauf nicht warten. Das neue Reich bedurfte sofort einer Institution, die der Regierung die hauptsaechlichen Grundlagen der Verwaltung, die Bevoelkerungs- und Vermoegensverhaeltnisse der einzelnen Gemeinden, uebersichtlich vor Augen legte, das heisst eines verbesserten Zensus. Zunaechst ward der italische reformiert. Nach Caesars Verordnung ^33, die freilich wohl nur die infolge des Bundesgenossenkrieges wenigstens im Prinzip getroffenen Anordnungen zur Ausfuehrung brachte, sollten kuenftig, wenn in der roemischen Gemeinde die Schatzung stattfand, gleichzeitig in jeder italischen der Name eines jeden Gemeindebuergers und der seines Vaters oder Freilassers, sein Bezirk, sein Alter und sein Vermoegen von der hoechsten Behoerde der Gemeinde aufgezeichnet und diese Listen an den roemischen Schatzmeister so frueh abgeliefert werden, dass dieser das allgemeine Verzeichnis der roemischen Buerger und der roemischen Habe rechtzeitig vollenden konnte. Dass es Caesars Absicht war, aehnliche Institutionen auch in den Provinzen einzufuehren, dafuer buergt teils die von Caesar angeordnete Vermessung und Katastrierung des gesamten Reiches, teils die Einrichtung selbst; denn es war ja damit die allgemeine Formel gefunden, um so gut in den italischen wie in den nichtitalischen Gemeinden des Staats die fuer die Zentralverwaltung erforderlichen Aufnahmen zu bewirken. Offenbar war es auch hier Caesars Absicht, auf die Traditionen der aelteren republikanischen Zeit zurueckzugehen und die Reichsschatzung wiedereinzufuehren, welche die aeltere Republik, wesentlich in derselben Weise wie Caesar die italische, durch analoge Ausdehnung des Instituts der staedtischen Zensur mit seinen Fristen und sonstigen wesentlichen Normen auf die saemtlichen Untertanengemeinden Italiens und Siziliens bewirkt hatte. Es war dies eines der ersten Institute gewesen, das die erstarrende Aristokratie verfallen und damit der obersten Verwaltungsbehoerde jede Uebersicht ueber die disponiblen Mannschaften und Steuerkraefte und also jede Moeglichkeit einer wirksamen Kontrolle verloren gehen liess. Die vorhandenen Spuren und der Zusammenhang der Dinge selbst zeigen unwidersprechlich, dass Caesar die Erneuerung der seit Jahrhunderten verschollenen Reichsschatzung vorbereitete. ————————————————— ^33 Das Fortbestehen der munizipalen Schatzungsbehoerden spricht dafuer, dass die oertliche Abhaltung des Zensus bereits infolge des Bundesgenossenkriegs fuer Italien fortgesetzt worden war (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 368); wahrscheinlich aber ist die Durchfuehrung dieses Systems Caesars Werk. ————————————————— Dass in der Religion und in der Rechtspflege an eine durchgreifende Nivellierung nicht gedacht werden konnte, ist kaum noetig zu sagen; doch bedurfte der neue Staat bei aller Toleranz gegen Lokalglauben und Munizipalstatute eines gemeinsamen, der italisch-hellenischen Nationalitaet entsprechenden Kultus und einer allgemeinen, den Munizipalstatuten uebergeordneten Rechtssatzung. Er bedurfte ihrer: denn beides war tatsaechlich schon da. Auf dem religioesen Gebiet war man seit Jahrhunderten taetig gewesen, den italischen und den hellenischen Kult teils durch aeusserliche Aufnahme, teils durch innerliche Ausgleichung der Gottheitsbegriffe ineinanderzuarbeiten und bei der nachgiebigen Formlosigkeit der italischen Goetter hatte es nicht einmal grosse Schwierigkeit gemacht, den Jupiter in dem Zeus, die Venus in der Aphrodite und so jede wesentliche Idee des latinischen Glaubens in ihrem hellenischen Gegenbild aufzuheben. Die italisch-hellenische Religion stand bereits in den Grundzuegen fertig da; wie sehr man eben auf diesem Gebiete sich dessen bewusst war, ueber die spezifisch roemische hinaus und zu einer italisch- hellenischen Quasinationalitaet fortgeschritten zu sein, beweist zum Beispiel die in Varros schon erwaehnter Theologie aufgestellte Unterscheidung der “gemeinen”, d. h. der von den Roemern wie den Griechen anerkannten Goetter, von den besonderen der roemischen Gemeinde.
Im Rechtswesen hatte es auf dem Gebiete des Kriminal- und Polizeirechts, wo die Regierung unmittelbar eingreift und dem rechtlichen Beduerfnis wesentlich durch eine verstaendige Legislation genuegt wird, keine Schwierigkeit, auf dem Wege der gesetzgeberischen Taetigkeit denjenigen Grad materieller Gleichfoermigkeit zu erreichen, der allerdings auch hier fuer die Reichseinheit notwendig war. Im Zivilrecht dagegen, wo die Initiative dem Verkehr, dem Gesetzgeber nur die Formulierung zusteht, war das einheitliche Reichszivilrecht, das der Gesetzgeber zu schaffen freilich nicht vermocht haette, laengst auch bereits auf naturgemaessem Wege durch den Verkehr selber entwickelt worden. Das roemische Stadtrecht zwar beruhte rechtlich immer noch auf der in den Zwoelf Tafeln enthaltenen Formulierung des latinischen Landrechts. Die spaeteren Gesetze hatten wohl im einzelnen mancherlei zeitgemaesse Verbesserungen eingefuehrt, unter denen leicht die wichtigste sein mochte die Abschaffung der alten ungeschickten Prozesseroeffnung durch stehende Spruchformeln der Parteien und ihre Ersetzung durch eine von dem prozessleitenden Beamten schriftlich abgefasste Instruktion fuer den Einzelgeschworenen (formula); allein in der Hauptsache hatte die Volkslegislation nur ueber jene altersgraue Grundlage einen den englischen Statutargesetzen vergleichbaren unuebersehlichen Wust grossenteils laengst veralteter und vergessener Spezialgesetze aufgeschichtet. Die Versuche wissenschaftlicher Formulierung und Systematisierung hatten die verschlungenen Gaenge des alten Zivilrechts allerdings zugaenglich gemacht und erhellt; allein dem Grundmangel, dass ein vor vierhundert Jahren abgefasstes staedtisches Weistum mit seinen ebenso diffusen wie konfusen Nachtraegen jetzt als das Recht eines grossen Staates dienen sollte, konnte kein roemischer Blackstone abhelfen. Gruendlicher half der Verkehr sich selbst. Laengst hatte in Rom der rege Verkehr zwischen Roemern und Nichtroemern ein internationales Privatrecht (ius gentium; 1, 167) entwickelt, das heisst einen Komplex von Satzungen namentlich ueber Verkehrsverhaeltnisse, nach welchen roemische Richter dann sprachen, wenn eine Sache weder nach ihrem eigenen noch nach irgendeinem anderen Landrecht entschieden werden konnte, sondern sie genoetigt waren, von den roemischen, hellenischen, phoenikischen und sonstigen Rechtseigentuemlichkeiten absehend, auf die allem Verkehr zu Grunde liegenden gemeinsamen Rechtsanschauungen zurueckzugehen. Hier knuepfte die neuere Rechtsbildung an. Zunaechst als Richtschnur fuer den rechtlichen Verkehr der roemischen Buerger unter sich setzte sie an die Stelle des alten, praktisch unbrauchbar gewordenen tatsaechlich ein neues Stadtrecht, das materiell beruhte auf einem Kompromiss zwischen dem nationalen Zwoelftafelrecht und dem internationalen oder dem sogenannten Rechte der Voelker. An jenem wurde wesentlich, wenn auch natuerlich mit zeitgemaessen Modifikationen, festgehalten im Ehe-, Familien- und Erbfolgerecht; dagegen ward in allen Bestimmungen, die den Vermoegensverkehr betrafen, also fuer Eigentum und Kontrakte, das Internationalrecht massgebend; ja hier wurde sogar dem lokalen Provinzialrecht manche wichtige Einrichtung entlehnt, zum Beispiel die Wuchergesetzgebung und das Hypothekarinstitut. Ob auf einmal oder allmaehlich, ob durch einen oder mehrere Urheber, durch wen, wann und wie diese tiefgreifende Neuerung ins Leben trat, sind Fragen, auf die wir eine genuegende Antwort schuldig bleiben muessen; wir wissen nur, dass diese Reform, wie natuerlich, zunaechst ausging von dem Stadtgericht, dass sie zuerst sich formulierte in den jaehrlich von dem neu antretenden Stadtrichter zur Nachachtung fuer die Parteien ergehenden Belehrungen ueber die wichtigsten, in dem beginnenden Gerichtsjahr einzuhaltenden Rechtsmaximen (edictum annuum oder perpetuum praetoris urbani de iuris dictione) und dass sie, wenn auch manche vorbereitende Schritte in frueheren Zeiten getan sein moegen, sicher erst in dieser Epoche ihre Vollendung fand. Die neue Rechtssatzung war theoretisch abstrakt, insofern die roemische Rechtsanschauung darin ihrer nationalen Besonderheit insoweit sich entaeussert hatte, als sie derselben sich bewusst worden war; sie war aber zugleich praktisch positiv, indem sie keineswegs in die truebe Daemmerung allgemeiner Billigkeit oder gar in das reine Nichts des sogenannten Naturrechts verschwamm, sondern von bestimmten Behoerden fuer bestimmte konkrete Faelle nach festen Normen angewandt ward und einer gesetzlichen Formulierung nicht bloss faehig, sondern in dem Stadtedikt wesentlich schon teilhaft geworden war. Diese Satzung entsprach ferner materiell den Beduerfnissen der Zeit, insofern sie fuer Prozess, Eigentumserwerb, Kontraktabschluss die durch den gesteigerten Verkehr geforderten bequemeren Formen darbot. Sie war endlich bereits im wesentlichen im ganzen Umfang des roemischen Reiches allgemein subsidiaeres Recht geworden, indem man die mannigfaltigen Lokalstatuten fuer diejenigen Rechtsverhaeltnisse, die nicht zunaechst Verkehrsverhaeltnisse sind, sowie fuer den Lokalverkehr zwischen Gliedern desselben Rechtssprengels beibehielt, dagegen den Vermoegensverkehr zwischen Reichsangehoerigen verschiedener Rechtskreise durchgaengig nach dem Muster des, rechtlich auf diese Faelle freilich nicht anwendbaren, Stadtediktes sowohl in Italien wie in den Provinzen regulierte. Das Recht des Stadtedikts hatte also wesentlich dieselbe Stellung in jener Zeit, die in unserer staatlichen Entwicklung das roemische Recht eingenommen hat: auch dies ist, soweit solche Gegensaetze sich vereinigen lassen, zugleich abstrakt und positiv; auch dies empfahl sich durch seine, verglichen mit dem aelteren Satzungsrecht, geschmeidigen Verkehrsformen und trat neben den Lokalstatuten als allgemeines Hilfsrecht ein. Nur darin hatte die roemische Rechtsentwicklung vor der unsrigen einen wesentlichen Vorzug, dass die denationalisierte Gesetzgebung nicht, wie bei uns, vorzeitig und durch Kunstgeburt, sondern rechtzeitig und naturgemaess sich einfand.
Diesen Rechtszustand fand Caesar vor. Wenn er den Plan entwarf zu einem neuen Gesetzbuch, so ist es nicht schwer zu sagen, was er damit beabsichtigt hat. Es konnte dies Gesetzbuch einzig das Recht der roemischen Buerger zusammenfassen und allgemeines Reichsgesetzbuch nur insofern sein, als ein zeitgemaesses Gesetzbuch der herrschenden Nation von selbst im ganzen Umfange des Reiches allgemeines Subsidiarrecht werden musste. Im Kriminalrecht, wenn ueberhaupt der Plan sich auf dies miterstreckte, bedurfte es nur einer Revision und Redaktion der Sullanischen Ordnungen. Im Zivilrecht war fuer einen Staat, dessen Nationalitaet eigentlich die Humanitaet war, die notwendige und einzig moegliche Formulierung jenes schon aus dem rechtlichen Verkehr freiwillig hervorgewachsene Stadtedikt in gesetzlicher Sicherung und Praezisierung. Den ersten Schritt zu dieser hatte das Cornelische Gesetz von 687 (67) getan, indem es den Richter an die zu Anfang seines Amtes aufgestellten Maximen band und ihm vorschrieb, nicht willkuerlich anderes Recht zu sprechen – eine Bestimmung, die wohl mit dem Zwoelftafelgesetz verglichen werden darf und fuer die Fixierung des neueren Stadtrechts fast ebenso bedeutsam geworden ist wie jenes fuer die Fixierung des aelteren. Aber wenn auch seit dem Cornelischen Volksschluss das Edikt nicht mehr unter dem Richter stand, sondern gesetzlich der Richter unter dem Edikt; wenn auch das neue Gesetzbuch im Gerichtsgebrauch wie im Rechtsunterricht das alte Stadtrecht tatsaechlich verdraengt hatte, so stand es doch noch jedem Stadtrichter frei, bei Antritt seines Amtes das Edikt unbeschraenkt und willkuerlich zu veraendern, und ueberwog das Zwoelftafelrecht mit seinen Zusaetzen formell immer noch das Stadtedikt, so dass in jedem einzelnen Kollisionsfall die veraltete Satzung durch arbitraeres Eingreifen der Beamten, also genau genommen durch Verletzung des formellen Rechts, beseitigt werden musste. Die subsidiaere Anwendung des Stadtedikts in dem Fremdengericht in Rom und in den verschiedenen Provinzialgerichtshoefen war nun gar gaenzlich in die Willkuer der einzelnen Oberbeamten gestellt. Offenbar war es notwendig, das alte Stadtrecht, soweit es nicht in das neuere uebergegangen war, definitiv zu beseitigen und in dem letzteren der willkuerlichen Aenderung durch jeden einzelnen Stadtrichter angemessene Grenzen zu setzen, etwa auch die subsidiaere Anwendung desselben neben den Lokalstatuten zu regulieren. Dies war Caesars Absicht, als er den Plan zu einem Gesetzbuch entwarf; denn dies musste sie sein. Der Plan ward nicht ausgefuehrt und damit jener laestige Uebergangszustand in dem roemischen Rechtswesen verewigt, bis nach sechshundert Jahren, und auch dann nur unvollkommen, diese notwendige Reform von einem der Nachfolger Caesars, dem Kaiser Justinianus, vollzogen ward.
Endlich in Muenze, Mass und Gewicht war die wesentliche Ausgleichung des latinischen und des hellenischen Systems laengst im Zuge. Sie war uralt in den fuer Handel und Verkehr unentbehrlichen Bestimmungen des Gewichts, der Koerper- und Laengenmasse und in dem Muenzwesen wenig juenger als die Einfuehrung der Silberpraegung. Indes reichten diese aelteren Gleichungen nicht aus, da in der hellenischen Welt selbst die verschiedenartigsten metrischen und Muenzsysteme nebeneinander bestanden; es war notwendig und lag auch ohne Zweifel in Caesars Plan, in dem neuen einheitlichen Reich, soweit es nicht bereits frueher schon geschehen war, roemische Muenze, roemisches Mass und roemisches Gewicht jetzt ueberall in der Art einzufuehren, dass im offiziellen Verkehr allein danach gerechnet, und die nichtroemischen Systeme teils auf lokale Geltung beschraenkt, teils zu den roemischen in ein ein fuer allemal reguliertes Verhaeltnis gesetzt wurden ^34. Nachweisen indes laesst Caesars Taetigkeit sich nur auf zweien der wichtigsten dieser Gebiete, in dem Geld- und im Kalenderwesen. ———————————————— ^34 Kuerzlich zum Vorschein gekommene pompeianische Gewichte legen die Annahme nahe, dass im Anfang der Kaiserzeit neben dem roemischen Pfund die attische Mine (vermutlich im Verhaeltnis von 3 : 4) als zweites Reichsgewicht Geltung gehabt hat (Heymes 16, 1880, S. 311). ———————————————— Das roemische Geldwesen beruhte auf den beiden neben und in einem festen Verhaeltnis zueinander umlaufenden edlen Metallen, von denen das Gold nach dem Gewicht ^35, das Silber nach dem Gepraege gegeben und genommen ward, tatsaechlich aber infolge des ausgedehnten ueberseeischen Verkehrs das Gold bei weitem das Silber ueberwog. Ob nicht schon frueher im ganzen Umfange des Reiches die Annahme des roemischen Silbergeldes obligatorisch war, ist ungewiss; auf jeden Fall vertrat die Stelle des Reichsgeldes im ganzen roemischen Gebiet wesentlich das ungemuenzte Gold, um so mehr als die Roemer in allen Provinzen und Klientelstaaten die Goldpraegung untersagt hatten, und hatte der Denar ausser in Italien auch im Cisalpinischen Gallien, in Sizilien, in Spanien und sonst vielfach, namentlich im Westen, gesetzlich oder faktisch sich eingebuergert. Mit Caesar aber beginnt die Reichsmuenze. Ebenwie Alexander bezeichnete auch er die Gruendung der neuen, die zivilisierte Welt umfassenden Monarchie dadurch, dass das einzig weltenvermittelnde Metall auch in der Muenze den ersten Platz erhielt. In wie grossartigem Umfang sogleich das neue Caesarische Goldstueck (zu 7 Taler, 18 Groschen nach heutigem Metallwert) gepraegt ward, beweist die Tatsache, dass in einem einzelnen, sieben Jahre nach Caesars Tode vergrabenen Schatz sich 80000 dieser Stuecke beisammen gefunden haben. Freilich moegen hier nebenbei auch finanzielle Spekulationen von Einfluss gewesen sein ^36. Was das Silbergeld anlangt, so ward durch Caesar die Alleinherrschaft des roemischen Denars im gesamten Westen, zu der der Grund schon frueher gelegt worden war, schliesslich festgestellt, indem er die einzige okzidentalische Muenzstaette, die im Silbercourant noch mit der roemischen konkurrierte, die massaliotische, definitiv schloss. Die Praegung von silberner oder kupferner Scheidemuenze blieb einer Anzahl okzidentalischer Gemeinden erlaubt, wie denn Dreivierteldenare von einigen latinischen Gemeinden des suedlichen Galliens, halbe Denare von mehreren nordgallischen Gauen, kupferne Kleinmuenzen vielfach auch noch nach Caesar von Kommunen des Westens geschlagen worden sind; allein auch diese Scheidemuenze war durchgaengig auf roemischen Fuss gepraegt und ihre Annahme ueberdies wahrscheinlich nur im Lokalverkehr obligatorisch. An eine einheitliche Regulierung des Muenzwesens im Osten, wo grosse Massen groben, grossenteils zu leicht ausgebrachten oder vernutzten Silbergeldes, zum Teil sogar, wie in Aegypten, eine unserem Papiergeld verwandte Kupfermuenze umlief, auch die syrischen Handelsstaedte den Mangel ihrer bisherigen, dem mesopotamischen Courant entsprechenden Landesmuenze sehr schwer empfunden haben wuerden, scheint Caesar so wenig gedacht zu haben wie die fruehere Regierung. Wir finden hier spaeter die Einrichtung, dass der Denar ueberall gesetzlichen Kurs hat und offiziell nur nach ihm gerechnet wird ^37, die Lokalmuenzen aber innerhalb ihres beschraenkten Rayons zwar auch Legalkurs, aber nach einem fuer sie unguenstigen Tarif gegen den Denar haben ^38; dieselbe ist wahrscheinlich nicht auf einmal und zum Teil auch wohl schon von Caesar eingefuehrt worden, auf jeden Fall aber die wesentliche Ergaenzung der Caesarischen Reichsmuenzordnung, deren neues Goldstueck in dem ungefaehr gleich schweren Alexanders sein unmittelbares Muster fand und wohl ganz besonders auf die Zirkulation im Orient berechnet war. —————————————————— ^35 Die Goldstuecke, die Sulla und gleichzeitig Pompeius, beide in geringer Zahl, schlagen liessen, heben diesen Satz nicht auf: denn sie wurden wahrscheinlich lediglich nach dem Gewicht genommen aehnlich wie die goldenen Philippeer, die auch bis nach Caesars Zeit im Umlauf gewesen sind. Merkwuerdig sind sie allerdings, insofern sie das Caesarische Reichsgold aehnlich einleiten wie Sullas Regentschaft die neue Monarchie. ^36 Es scheint naemlich, dass man in aelterer Zeit die auf Silber lautenden Forderungen der Staatsglaeubiger nicht wider deren Willen in Gold, nach dem legalen Kurs desselben zum Silber, bezahlen konnte; wogegen es keinen Zweifel leidet, dass seit Caesar das Goldstueck unweigerlich fuer 100 Silbersesterzen angenommen werden musste. Es war dies ebendamals um so wichtiger, als infolge der durch Caesar in Umlauf gebrachten grossen Quantitaeten Goldes dasselbe eine Zeitlang im Handelskurs 25 Prozent unter dem Legalkurs stand. ^37 Es gibt wohl keine Inschrift der Kaiserzeit, die Geldsummen anders als in roemischer Muenze angaebe.
^38 So gilt die attische Drachme, obwohl merklich schwerer als der Denar, doch diesem gleich; das antiochische Tetradrachmon, durchschnittlich 15 Gramm Silber schwer, gleich 3 roemischen Denaren, die nur gegen 12 Gramm wiegen; so der kleinasiatische Cistophorus nach Silberwert ueber 3, nach dem Legaltarif 2 Denare; so die rhodische halbe Drachme nach Silberwert _, nach dem Legaltarif 5/8 Denare und so weiter.
—————————————————— Verwandter Art war die Kalenderreform. Der republikanische Kalender, unglaublicherweise immer noch der alte, aus der vormetonischen Oktaeteris verunstaltete Dezemviralkalender, war durch die Verbindung elendester Mathematik und elendester Administration dahin gelangt, um volle 67 Tage der wahren Zeit voranzugehen und zum Beispiel das Bluetenfest statt am 28. April am 11. Juli zu feiern. Caesar beseitigte endlich diesen Missstand und fuehrte mit Hilfe des griechischen Mathematikers Sosigenes das nach dem aegyptischen Eudoxischen Kalender geordnete italische Bauernjahr sowie ein verstaendiges Einschaltungssystem in den religioesen und offiziellen Gebrauch ein, indem zugleich das alte Kalenderneujahr des 1. Maerz abgeschafft, dagegen der zunaechst fuer den Amtswechsel der hoechsten Magistrate festgestellte und infolgedessen laengst im buergerlichen Leben ueberwiegende Termin des 1. Januar auch als Kalenderepoche fuer den Jahreswechsel angenommen ward. Beide Aenderungen traten mit dem 1. Januar 709 der Stadt, 45 vor Chr., ins Leben und mit ihnen der Gebrauch des von seinem Urheber benannten Julianischen Kalenders, der lange nach dem Untergang der Monarchie Caesars in der gebildeten Welt massgebend geblieben und in der Hauptsache es noch ist. Zur Erlaeuterung ward in einem ausfuehrlichen Edikt ein den aegyptischen Himmelsbeobachtungen entnommener und, freilich nicht geschickt, auf Italien uebertragener Sternkalender hinzugefuegt, welcher den Auf- und Untergang der namhaften Gestirne nach Kalendertagen bestimmte ^39. Auch auf diesem Gebiet also setzten die roemische und die griechische Welt sich ins gleiche. ———————————————————- ^39 Die Identitaet dieses vielleicht von Marcus Flavius redigierten Edikts (Macr. Sat. I, 14, 2) und der angeblichen Schrift Caesars von den Gestirnen beweist der Scherz Ciceros (Plut. Caes. 59), dass jetzt die Leier nach Verordnung aufgehe.
Uebrigens wusste man schon vor Caesar, dass das Sonnenjahr von 365 Tagen sechs Stunden, das dem aegyptischen Kalender zugrunde lag und das er seinem Kalender zugrunde legte, etwas zu lang angesetzt sei. Die genaueste Berechnung des tropischen Jahres, die die alte Welt kannte, die des Hipparchos, setzte dasselbe auf 365 Tage 5 Stunden 52′ 12″; die wahre Laenge ist 365 Tage 5 Stunden 48′ 48″.
———————————————————- Dies waren die Grundlagen der Mittelmeermonarchie Caesars. Zum zweitenmal war in Rom die soziale Frage zu einer Krise gelangt, wo die Gegensaetze, so wie sie aufgestellt waren, unaufloeslich, so wie sie ausgesprochen waren, unversoehnlich nicht bloss schienen, sondern waren. Damals war Rom dadurch gerettet worden, dass Italien in Rom und Rom in Italien aufging und in der neuen erweiterten und verwandelten Heimat jene alten Gegensaetze nicht ausgeglichen wurden, sondern wegfielen. Wieder ward jetzt Rom dadurch gerettet, dass die Landschaften des Mittelmeeres in ihm aufgingen oder zum Aufgehen vorbereitet wurden; der Krieg der italischen Armen und Reichen, der in dem alten Italien nur mit der Vernichtung der Nation endigen konnte, hatte in dem Italien dreier Weltteile kein Schlachtfeld und keinen Sinn mehr. Die latinischen Kolonien schlossen die Kluft, die im fuenften Jahrhundert die roemische Gemeinde zu verschlingen drohte; den tieferen Riss des siebenten Jahrhunderts fuellten Gaius Gracchus’ und Caesars transalpinische und ueberseeische Kolonisationen. Fuer das einzige Rom hat die Geschichte nicht bloss Wunder getan, sondern auch seine Wunder wiederholt und zweimal die im Staate selbst unheilbare innere Krise dadurch geheilt, dass sie den Staat verjuengte. Wohl ist viel Verwesung in dieser Verjuengung; wie die Einigung Italiens auf den Truemmern der samnitischen und etruskischen Nation sich vollzog, so erbaute auch die Mittelmeermonarchie sich auf den Ruinen unzaehliger, einst lebendiger und tuechtiger Staaten und Staemme; aber es ist eine Verwesung, der frische und zum Teil noch heute gruenende Saaten entkeimten. Was zugrunde ging um des neuen Gebaeudes willen, waren nur die laengst schon von der nivellierenden Zivilisation zum Untergang bezeichneten sekundaeren Nationalitaeten. Caesar hat, wo er zerstoerend auftrat, nur den ausgefaellten Spruch der geschichtlichen Entwicklung vollzogen, die Keime der Kultur aber geschuetzt, wo und wie er sie fand, in seinem eigenen Lande so gut wie bei der verschwisterten Nation der Hellenen. Er hat das Roemertum gerettet und erneuert, aber auch das Griechentum hat er nicht bloss geschont, sondern mit derselben sicheren Genialitaet, womit er die Neugruendung Roms vollbrachte, auch der Regeneration der Hellenen sich unterzogen und das unterbrochene Werk des grossen Alexander wiederaufgenommen, dessen Bild, wohl mag man es glauben, niemals aus Caesars Seele wich. Er hat diese beiden grossen Aufgaben nicht bloss nebeneinander, sondern eine durch die andere geloest. Die beiden grossen Wesenheiten des Menschentums, die allgemeine und die individuelle Entwicklung oder Staat und Kultur, einst im Keime vereinigt in jenen alten, fern von den Kuesten und Inseln des Mittelmeers in urvaeterlicher Einfachheit ihre Herden weidenden Graecoitalikern, hatten sich geschieden, als dieselben sich sonderten in Italiker und Hellenen, und waren seitdem durch Jahrtausende geschieden geblieben. Jetzt erschuf der Enkel des troischen Fuersten und der latinischen Koenigstochter aus einem Staat ohne eigene Kultur und einer kosmopolitischen Zivilisation ein neues Ganzes, in welchem auf dem Gipfel menschlichen Daseins, in der reichen Fuelle des glueckseligen Alters Staat und Kultur wiederum sich zusammenfanden und den einem solchen Inhalt angemessenen Umkreis wuerdig erfuellten.
Die Linien sind dargelegt, welche Caesar fuer dieses Werk gezogen hat, nach denen er selbst arbeitete und nach denen die Spaeteren, viele Jahrhunderte hindurch gebannt in die von diesem Manne vorgezeichneten Bahnen, wo nicht mit dem Geiste und der Energie, doch im ganzen nach den Intentionen des grossen Meisters weiter zu arbeiten versuchten. Vollendet ist wenig, gar manches nur angelegt. Ob der Plan vollstaendig ist, mag entscheiden, wer mit einem solchen Mann in die Wette zu denken wagt; wir bemerken keine wesentlichen Luecken in dem, was vorliegt, jeder einzelne Baustein genug, um einen Mann unsterblich zu machen, und doch wieder alle zusammen ein harmonisches Ganzes. Fuenf und ein halbes Jahr, nicht halb so lange wie Alexander, schaltete Caesar als Koenig von Rom; zwischen sieben grossen Feldzuegen, die ihm nicht mehr als zusammen fuenfzehn Monate ^40 in der Hauptstadt seines Reiches zu verweilen erlaubten, ordnete er die Geschicke der Welt fuer die Gegenwart und die Zukunft; von der Feststellung der Grenzlinie zwischen Zivilisation und Barbarei an bis hinab zu der Beseitigung der Regenpfuetzen auf den Gassen der Hauptstadt, und behielt dabei noch Zeit und Heiterkeit genug, um den Preisstuecken im Theater aufmerksam zu folgen und dem Sieger den Kranz mit improvisierten Versen zu erteilen. Die Schnelligkeit und Sicherheit der Ausfuehrung des Planes beweist, dass er lange durchdacht und in allen Teilen im einzelnen festgestellt war; allein auch so bleibt sie nicht viel weniger wunderbar als der Plan selbst. Die Grundzuege waren gegeben und damit der neue Staat fuer alle Zukunft bestimmt; vollenden konnte den Bau nur die grenzenlose Zukunft. Insofern durfte Caesar sich sagen, dass sein Ziel erreicht sei, und das wohl mochten die Worte bedeuten, die man zuweilen aus seinem Munde vernahm, dass er genug gelebt habe. Aber eben weil der Bau ein unendlicher war, fuegte der Meister, solange er lebte, rastlos Stein auf Stein, mit immer gleicher Geschmeidigkeit und immer gleicher Spannkraft taetig an seinem Werk, ohne je zu ueberstuerzen oder zu verschieben, eben als gebe es fuer ihn nur ein Heute und kein Morgen. So wirkte und schaffte er wie nie ein Sterblicher vor und nach ihm, und als ein Wirkender und Schaffender lebt er noch nach Jahrtausenden im Gedaechtnis der Nationen, der erste und doch auch der einzige Imperator Caesar.
——————————————————- ^40 Caesar verweilte in Rom im April und Dezember 705 (49), beide Male auf wenige Tage; vom September bis Dezember 707 (47); etwa vier Herbstmonate des fuenfzehnmonatlichen Jahres 708 (46) und vom Oktober 709 (45) bis zum Maerz 710 (44).
——————————————————- 12. Kapitel
Religion, Bildung, Literatur und Kunst In der religioes-philosophischen Entwicklung tritt in dieser Epoche kein neues Moment hervor. Die roemisch-hellenische Staatsreligion und die damit untrennbar verbundene stoische Staatsphilosophie waren fuer jede Regierung, Oligarchie, Demokratie oder Monarchie, nicht bloss ein bequemes Instrument, sondern deshalb geradezu unentbehrlich, weil es ebenso unmoeglich war, den Staat ganz ohne religioese Elemente zu konstruieren als irgendeine neue zur Ersetzung der alten geeignete Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revolutionaere Besen gelegentlich sehr unsanft in die Spinnweben der auguralen Vogelweisheit hinein; aber die morsche, in allen Fugen krachende Maschine ueberdauerte dennoch das Erdbeben, das die Republik selber verschlang, und rettete ihre Geistlosigkeit und ihre Hoffart ungeschmaelert hinueber in die neue Monarchie. Es versteht sich, dass sie zunahm an Ungnade bei allen denen, die ein freies Urteil sich bewahrten. Zwar gegen die Staatsreligion verhielt die oeffentliche Meinung sich wesentlich gleichgueltig; sie war allerseits als eine Institution politischer Konvenienz anerkannt und es bekuemmerte sich niemand sonderlich um sie, mit Ausnahme der politischen und antiquarischen Gelehrten. Aber gegen ihre philosophische Schwester entwickelte sich in dem unbefangenen Publikum jene Feindseligkeit, die die leere und doch auch perfide Phrasenheuchelei auf die Laenge nie verfehlt zu erwecken. Dass der Stoa selbst von ihrer eigenen Nichtigkeit eine Ahnung aufzugehen begann, beweist ihr Versuch, auf dem Wege des Synkretismus sich wieder einigen Geist kuenstlich einzufloessen: Antiochos von Askalon (blueht 675 79), der mit dem stoischen System das platonisch-aristotelische zu einer organischen Einheit zusammengeklittert zu haben behauptete, brachte es in der Tat dahin, dass seine missgeschaffene Doktrin die Modephilosophie der Konservativen seiner Zeit und von den vornehmen Dilettanten und Literaten Roms gewissenhaft studiert ward. Wer irgend in geistiger Frische sich regte, opponierte der Stoa oder ignorierte sie. Es war hauptsaechlich der Widerwille gegen die grossmauligen und langweiligen roemischen Pharisaeer, daneben freilich auch der zunehmende Hang, sich aus dem praktischen Leben in schlaffe Apathie oder nichtige Ironie zu fluechten, dem waehrend dieser Epoche das System Epikurs seine Ausbreitung in weiteren Kreisen und die Diogenische Hundephilosophie ihre Einbuergerung in Rom verdankte. Wie matt und gedankenarm auch jenes sein mochte, eine Philosophie, die nicht in der Veraenderung der hergebrachten Bezeichnungen den Weg zur Freiheit suchte, sondern mit den vorhandenen sich begnuegte und durchaus nur die sinnliche Wahrnehmung als wahr gelten liess, war immer noch besser als das terminologische Geklapper und die hohlen Begriffe der stoischen Weisheit; und die Hundephilosophie gar war von allen damaligen philosophischen Systemen insofern bei weitem das vorzueglichste, als ihr System sich darauf beschraenkte, gar kein System zu haben, sondern alle Systeme und alle Systematiker zu verhoehnen. Auf beiden Gebieten wurde gegen die Stoa mit Eifer und Glueck Krieg gefuehrt; fuer ernste Maenner predigte der Epikureer Lucretius mit dem vollen Akzent der innigen Ueberzeugung und des heiligen Eifers gegen den stoischen Goetter- und Vorsehungsglauben und die stoische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele; fuer das grosse lachbereite Publikum traf der Kyniker Varro mit den fluechtigen Pfeilen seiner vielgelesenen Satiren noch schaerfer zum Ziel. Wenn also die tuechtigsten Maenner der aelteren Generation die Stoa befehdeten, so stand dagegen die juengere, wie zum Beispiel Catullus, zu ihr in gar keinem innerlichen Verhaeltnis mehr und kritisierte sie noch bei weitem schaerfer durch vollstaendiges Ignorieren.
Indes wenn hier ein glaubenloser Glaube aus politischer Konvenienz aufrecht erhalten ward, so brachte man dies anderswo reichlich wieder ein. Unglaube und Aberglaube, verschiedene Farbenbrechungen desselben geschichtlichen Phaenomens, gingen auch in der damaligen roemischen Welt Hand in Hand und es fehlte nicht an Individuen, welche sie beide in sich vereinigten, mit Epikuros die Goetter leugneten und doch vor jeder Kapelle beteten und opferten. Natuerlich galten nur noch die aus dem Orient gekommenen Goetter, und wie die Menschen fortfuhren, aus den griechischen Landschaften nach Italien zu stroemen, so wanderten auch die Goetter des Ostens in immer steigender Zahl nach dem Westen hinueber. Was der phrygische Kult damals in Rom bedeutete, beweist sowohl die Polemik bei den aelteren Maennern, wie bei Varro und Lucretius, als auch die poetische Verherrlichung desselben bei dem modernen Catullus, die mit der charakteristischen Bitte schliesst, dass die Goettin geneigen moege, nur andere, nicht den Dichter selbst verrueckt zu machen. Neu trat hinzu der persische Goetterdienst, der zuerst durch Vermittlung der von Osten und von Westen her auf dem Mittelmeere sich begegnenden Piraten zu den Okzidentalen gelangt sein soll und als dessen aelteste Kultstaette im Westen der Berg Olympos in Lykien bezeichnet wird. Dafuer, dass man bei der Aufnahme der orientalischen Kulte im Okzident das, was sie von hoeheren spekulativen und sittlichen Elementen enthielten, durchgaengig fallen liess, ist es ein merkwuerdiger Beleg, dass der hoechste Gott der reinen Lehre Zarathustras, Ahuramazda, im Westen so gut wie unbekannt blieb und hier die Verehrung sich vorzugsweise wieder demjenigen Gott zuwandte, der in der alten persischen Volksreligion den ersten Platz eingenommen hatte und durch Zarathustra an den zweiten gerueckt worden war, dem Sonnengott Mithra. Rascher noch als die lichteren und milderen persischen Himmelsgestalten traf der langweilig geheimnisvolle Schwarm der aegyptischen Goetterkarikaturen in Rom ein, die Naturmutter Isis mit ihrem ganzen Gefolge, dem ewig sterbenden und ewig wiederauflebenden Osiris, dem finsteren Sarapis, dem schweigsam ernsten Harpokrates, dem hundskoepfigen Anubis. In dem Jahre, wo Clodius die Klubs und Konventikel freigab (696 58), und ohne Zweifel eben infolge dieser Emanzipation des Poebels, machte jener Schwarm sogar Anstalt, in die alte Burg des roemischen Jupiter auf dem Kapitol seinen Einzug zu halten, und kaum gelang es, von hier ihn noch abzuwehren und die unvermeidlichen Tempel wenigstens in die Vorstaedte Roms zu bannen. Kein Kult war in den unteren Schichten der hauptstaedtischen Bevoelkerung gleich populaer: als der Senat die innerhalb der Ringmauer angelegten Isistempel einzureissen befahl, wagte kein Arbeiter, die erste Hand daran zu legen, und der Konsul Lucius Paullus musste selber den ersten Axtschlag tun (704 50); man konnte darauf wetten, dass je lockerer ein Dirnchen war, es desto frommer die Isis verehrte. Dass Loswerfen, Traumdeuten und dergleichen freie Kuenste ihren Mann ernaehrten, versteht sich von selbst. Das Horoskopstellen ward schon wissenschaftlich betrieben: Lucius Tarutius aus Firmum, ein angesehener und in seiner Art gelehrter, mit Varro und Cicero befreundeter Mann, stellte ganz ernsthaft den Koenigen Romulus und Numa und der Stadt Rom selbst die Nativitaet und erhaertete zur Erbauung der beiderseitigen Glaeubigen mittels seiner chaldaeischen und aegyptischen Weisheit die Berichte der roemischen Chronik. Aber bei weitem die merkwuerdigste Erscheinung auf diesem Gebiet ist der erste Versuch, das rohe Glauben mit dem spekulativen Denken zu verquicken, das erste Hervortreten derjenigen Tendenzen, die wir als neuplatonische zu bezeichnen gewohnt sind, in der roemischen Welt. Ihr aeltester Apostel daselbst war Publius Nigidius Figulus, ein vornehmer Roemer von der strengsten Fraktion der Aristokratie, der 696 (58) die Praetur bekleidete und im Jahre 709 (45) als politischer Verbannter ausserhalb Italiens starb. Mit staunenswerter Vielgelehrtheit und noch staunenswerterer Glaubensstaerke schuf er aus den disparatesten Elementen einen philosophisch-religioesen Bau, dessen wunderlichen Grundriss er mehr wohl noch in muendlichen Verkuendigungen entwickelte als in seinen theologischen und naturwissenschaftlichen Schriften. In der Philosophie griff er, Erloesung suchend von den Totengerippen der umgehenden Systeme und Abstraktionen, zurueck auf den verschuetteten Born der vorsokratischen Philosophie, deren alten Weisen der Gedanke selber noch mit sinnlicher Lebendigkeit erschienen war. Die naturwissenschaftliche Forschung, die, zweckmaessig behandelt, dem mystischen Schwindel und der frommen Taschenspielerei auch jetzt noch so vortreffliche Handhaben darbietet und im Altertum, bei der mangelhafteren Einsicht in die physikalischen Gesetze, sie noch bequemer darbot, spielte begreiflicherweise auch hier eine ansehnliche Rolle. Seine Theologie beruhte wesentlich auf dem wunderlichen Gebraeu, in dem den geistesverwandten Griechen orphische und andere uralte oder sehr neue einheimische Weisheit mit persischen, chaldaeischen und aegyptischen Geheimlehren zusammengeflossen war und in welches Figulus noch die Quasiresultate der tuskischen Forschung in das Nichts und die einheimische Vogelfluglehre zu weiterer harmonischer Konfusion einarbeitete. Dem ganzen System gab die politisch-religioes-nationale Weihe der Name des Pythagoras, des ultrakonservativen Staatsmannes, dessen oberster Grundsatz war, “die Ordnung zu foerdern und der Unordnung zu wehren”, des Wundermannes und Geisterbeschwoerers, des in Italien heimischen, selbst in Roms Sagengeschichte verflochtenen und auf dem roemischen Markte im Standbilde zu schauenden uralten Weisen. Wie Geburt und Tod miteinander verwandt sind, so, schien es, sollte Pythagoras nicht bloss an der Wiege der Republik stehen als des weisen Numa Freund und der klugen Mutter Egeria Kollege, sondern auch als der letzte Hort der heiligen Vogelweisheit an ihrem Grabe. Das neue System war aber nicht bloss wunderhaft, es wirkte auch Wunder: Nigidius verkuendigte dem Vater des nachmaligen Kaisers Augustus an dem Tage selbst, wo dieser geboren ward, die kuenftige Groesse des Sohnes; ja die Propheten bannten den Glaeubigen Geister und, was mehr sagen will, sie wiesen ihnen die Plaetze nach, wo ihre verlorenen Muenzen lagen. Die neu-alte Weisheit, wie sie nun eben war, machte doch auf die Zeitgenossen einen tiefen Eindruck; die vornehmsten, gelehrtesten, tuechtigsten Maenner der verschiedensten Parteien, der Konsul des Jahres 705 (49), Appius Claudius, der gelehrte Marcus Varro, der tapfere Offizier Publius Vatinius, machten das Geisterzitieren mit, und es scheint sogar, dass gegen das Treiben dieser Gesellschaften polizeilich eingeschritten werden musste. Diese letzten Versuche, die roemische Theologie zu retten, machen, aehnlich wie Catos verwandte Bestrebungen auf dem politischen Gebiet, zugleich einen komischen und einen wehmuetigen Eindruck; man darf ueber das Evangelium wie ueber die Apostel laecheln, aber immer ist es eine ernsthafte Sache, wenn auch die tuechtigen Maenner anfangen, sich dem Absurden zu ergeben. Die Jugendbildung bewegte sich, wie sich von selbst versteht, in dem in der vorigen Epoche vorgezeichneten Kreise zwiesprachiger Humanitaet, und mehr und mehr ging die allgemeine Bildung auch der roemischen Welt ein auf die von den Griechen dafuer festgestellten Formeln. Selbst die koerperlichen Uebungen schritten von dem Ballspiel, dem Laufen und Fechten fort zu den kunstmaessiger entwickelten griechischen Turnkaempfen; wenn es auch fuer diese noch keine oeffentlichen Anstalten gab, pflegte doch in den vornehmen Landhaeusern schon neben den Badezimmern die Palaestra nicht zu fehlen. In welcher Art der Kreis der allgemeinen Bildung sich in der roemischen Welt im Laufe eines Jahrhunderts umgewandelt hatte, zeigt die Vergleichung der Catonischen ‘Encyklopaedie’ mit der gleichartigen Schrift Varros ‘Von den Schulwissenschaften’. Als Bestandteile der nichtfachwissenschaftlichen Bildung erscheinen bei Cato die Redekunst, die Ackerbau-, Rechts-, Kriegs- und Arzneikunde, bei Varro – nach wahrscheinlicher Vermutung – Grammatik, Logik oder Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik, Medizin und Architektur. Es sind also im Verlaufe des siebenten Jahrhunderts Kriegs-, Rechts- und Ackerbaukunde aus allgemeinen zu Fachwissenschaften geworden. Dagegen tritt bei Varro die hellenische Jugendbildung bereits in ihrer ganzen Vollstaendigkeit auf: neben dem grammatisch-rhetorisch-philosophischen Kursus, der schon frueher in Italien eingefuehrt war, findet jetzt auch der laenger spezifisch hellenisch gebliebene geometrisch-arithmetisch-astronomisch-musikalische ^1 sich ein. Dass namentlich die Astronomie, die in der Nomenklatur der Gestirne dem gedankenlosen gelehrten Dilettantismus der Zeit, in ihren Beziehungen zur Astrologie dem herrschenden religioesen Schwindel entgegenkam, in Italien von der Jugend regelmaessig und eifrig studiert ward, laesst sich auch anderweitig belegen: Aratos’ astronomische Lehrgedichte fanden unter allen Werken der alexandrinischen Literatur am fruehesten Eingang in den roemischen Jugendunterricht. Zu diesem hellenischen Kursus trat dann noch die aus dem aelteren roemischen Jugendunterricht stehengebliebene Medizin und endlich die dem damaligen statt des Ackers Haeuser und Villen bauenden vornehmen Roemer unentbehrliche Architektur.
——————————————— ^1 Es sind dies, wie bekannt, die sogenannten sieben freien Kuenste, die mit dieser Unterscheidung der frueher in Italien eingebuergerten drei und der nachtraeglich rezipierten vier Disziplinen sich durch das ganze Mittelalter behauptet haben.
——————————————— Im Vergleich mit der vorigen Epoche nimmt die griechische wie die lateinische Bildung an Umfang und an Schulstrenge ebenso zu wie ab an Reinheit und an Feinheit. Der steigende Drang nach griechischem Wissen gab dem Unterricht von selbst einen gelehrten Charakter. Horneros oder Euripides zu exponieren war am Ende keine Kunst; Lehrer und Schueler fanden besser ihre Rechnung bei den alexandrinischen Poesien, welche ueberdies auch ihrem Geiste nach der damaligen roemischen Welt weit naeher standen als die echte griechische Nationalpoesie und die, wenn sie nicht ganz so ehrwuerdig wie die Ilias waren, doch bereits ein hinreichend achtbares Alter besassen, um Schulmeistern als Klassiker zu gelten. Euphorions Liebesgedichte, Kalkmachos’ ‘Ursachen’ und seine ‘Ibis’, Lykophrons komisch dunkle ‘Alexandra’ enthielten in reicher Fuelle seltene Vokabeln (glossae), die zum Exzerpieren und Interpretieren sich eigneten, muehsam verschlungene und muehsam aufzuloesende Saetze, weitlaeufige Exkurse voll Zusammengeheimnissung verlegener Mythen, ueberhaupt Vorrat zu beschwerlicher Gelehrsamkeit aller Art. Der Unterricht bedurfte immer schwierigerer Uebungsstuecke; jene Produkte, grossenteils Musterarbeiten von Schulmeistern, eigneten sich vortrefflich zu Lehrstuecken fuer Musterschueler. So nahmen die alexandrinischen Poesien in dem italischen Schulunterricht, namentlich als Probeaufgaben, bleibenden Platz und foerderten allerdings das Wissen, aber auf Kosten des Geschmacks und der Gescheitheit. Derselbe ungesunde Bildungshunger draengte ferner die roemische Jugend, den Hellenismus so viel wie moeglich an der Quelle zu schoepfen. Die Kurse bei den griechischen Meistern in Rom genuegten nur noch fuer den ersten Anlauf; wer irgend wollte mitsprechen koennen, hoerte griechische Philosophie in Athen, griechische Rhetorik in Rhodos und machte eine literarische und Kunstreise durch Kleinasien, wo noch am meisten von den alten Kunstschaetzen der Hellenen an Ort und Stelle anzutreffen war und, wenn auch handwerksmaessig, die musische Bildung derselben sich fortgepflanzt hatte; wogegen das fernere und mehr als Sitz der strengen Wissenschaften gefeierte Alexandreia weit seltener das Reiseziel der bildungslustigen jungen Leute war.
Aehnlich wie der griechische steigert sich auch der lateinische Unterricht. Zum Teil geschah dies schon durch die blosse Rueckwirkung des griechischen, dem er ja seine Methode und seine Anregungen wesentlich entlehnte. Ferner trugen die politischen Verhaeltnisse, der durch das demokratische Treiben in immer weitere Kreise getragene Zudrang zu der Rednerbuehne auf dem Markte, zur Verbreitung und Steigerung der Redeuebungen nicht wenig bei; “wo man hinblickt”, sagt Cicero, “ist alles von Rhetoren voll”. Es kam hinzu, dass die Schriften des sechsten Jahrhunderts, je weiter sie in die Vergangenheit zuruecktraten, desto entschiedener als klassische Texte der goldenen Zeit der lateinischen Literatur zu gelten anfingen und damit dem wesentlich auf sie sich konzentrierenden Unterricht ein groesseres Schwergewicht gaben. Endlich gab die von vielen Seiten her einreissende und einwandernde Barbarei und die beginnende Latinisierung ausgedehnter keltischer und spanischer Landschaften der lateinischen Sprachlehre und dem lateinischen Unterricht von selbst eine hoehere Bedeutung, als er sie hatte haben koennen, solange nur Latium lateinisch sprach: der Lehrer der lateinischen Literatur hatte in Comum und Narbo von Haus aus eine andere Stellung als in Praeneste und Ardea. Im ganzen genommen war die Bildung mehr im Sinken als im Steigen. Der Ruin der italischen Landstaedte, das massenhafte Eindringen fremder Elemente, die politische, oekonomische und sittliche Verwilderung der Nation, vor allem die zerruettenden Buergerkriege verdarben auch in der Sprache mehr, als alle Schulmeister der Welt wieder gutmachen konnten. Die engere Beruehrung mit der hellenischen Bildung der Gegenwart, der bestimmtere Einfluss der geschwaetzigeren athenischen Weisheit und der rhodischen und kleinasiatischen Rhetorik fuehrten vorwiegend eben die schaedlichsten Elemente des Hellenismus der roemischen Jugend zu. Die propagandistische Mission, die Latium unter den Kelten, Iberern und Libyern uebernahm, wie stolz die Aufgabe auch war, musste doch fuer die lateinische Sprache aehnliche Folgen haben, wie die Hellenisierung des Ostens sie fuer die hellenische gehabt hatte. Wenn das roemische Publikum dieser Zeit die wohlgefuegte und rhythmisch kadenzierte Periode des Redners beklatschte und dem Schauspieler ein sprachlicher oder metrischer Verstoss teuer zu stehen kam, so zeigt dies wohl, dass die schulmaessig reflektierte Einsicht in die Muttersprache in immer weiteren Kreisen Gemeingut ward: aber daneben klagen urteilsfaehige Zeitgenossen, dass die hellenische Bildung in Italien um 690 (64) weit tiefer gestanden als ein Menschenalter zuvor; dass man das reine gute Latein nur selten mehr, am ersten noch aus dem Munde aelterer gebildeter Frauen zu hoeren bekomme; dass die Ueberlieferung echter Bildung, der alte, gute lateinische Mutterwitz, die Lucilische Feinheit, der gebildete Leserkreis der scipionischen Zeit allmaehlich ausgingen. Dass Wort und Begriff der “Urbanitaet”, das heisst der feinen nationalen Gesittung, in dieser Zeit aufkamen, beweist nicht, dass sie herrschte, sondern dass sie im Verschwinden war und dass man in der Sprache und dem Wesen der latinisierten Barbaren oder barbarisierten Lateiner die Abwesenheit dieser Urbanitaet schneidend empfand. Wo noch der urbane Konversationston begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen, da ist es ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht so wie in Rom verschollenen Weise.
So blieb die bisherige Jugendbildung ihrem Wesen nach unveraendert, nur dass sie, nicht so sehr durch ihren eigenen als durch den allgemeinen Verfall der Nation, weniger Gutes und mehr Uebles stiftete als in der vorhergegangenen Epoche. Eine Revolution auch auf diesem Gebiet leitete Caesar ein. Wenn der roemische Senat die Bildung erst bekaempft und sodann hoechstens geduldet hatte, so musste die Regierung des neuen italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja die Humanitaet war, dieselbe notwendig in hellenischer Weise von oben herab foerdern. Wenn Caesar saemtlichen Lehrern der freien Wissenschaften und saemtlichen Aerzten der Hauptstadt das roemische Buergerrecht verlieh, so darf darin wohl eine gewisse Einleitung gefunden werden zu jenen Anstalten, in denen spaeterhin fuer die hoehere zwiesprachige Bildung der Jugend des Reiches von Staats wegen gesorgt ward und die der praegnanteste Ausdruck des neuen Staates der Humanitaet sind; und wenn Caesar ferner die Gruendung einer oeffentlichen griechischen und lateinischen Bibliothek in der Hauptstadt beschlossen und bereits den gelehrtesten Roemer der Zeit, Marcus Varro, zum Oberbibliothekar ernannt hatte, so liegt darin unverkennbar die Absicht, mit der Weltmonarchie die Weltliteratur zu verknuepfen.
Die sprachliche Entwicklung dieser Zeit knuepfte an den Gegensatz an zwischen dem klassischen Latein der gebildeten Gesellschaft und der Vulgaersprache des gemeinen Lebens. Jenes selbst war ein Erzeugnis der spezifischen italischen Bildung; schon in dem Scipionischen Kreise war das “reine Latein” Stichwort gewesen und wurde die Muttersprache nicht mehr voellig naiv gesprochen, sondern in bewusstem Unterschied von der Sprache des grossen Haufens. Diese Epoche eroeffnet mit einer merkwuerdigen Reaktion gegen den bisher in der hoeheren Umgangssprache und demnach auch in der Literatur alleinherrschenden Klassizismus, einer Reaktion, die innerlich und aeusserlich mit der gleichartigen Sprachreaktion in Griechenland eng zusammenhing. Eben um diese Zeit begannen der Rhetor und Romanschreiber Hegesias von Magnesia und die zahlreichen, an ihn sich anschliessenden kleinasiatischen Rhetoren und Literaten sich aufzulehnen gegen den orthodoxen Attizismus. Sie forderten das Buergerrecht fuer die Sprache des Lebens, ohne Unterschied, ob das Wort und die Wendung in Attika entstanden sei oder in Karien und Phrygien; sie selber sprachen und schrieben nicht fuer den Geschmack der gelehrten Cliquen, sondern fuer den des grossen Publikums. Gegen den Grundsatz liess sich nicht viel einwenden; nur freilich konnte das Resultat nicht besser sein als das damalige kleinasiatische Publikum war, das den Sinn fuer Strenge und Reinheit der Produktion gaenzlich verloren hatte und nur nach dem Zierlichen und Brillanten verlangte. Um von den aus dieser Richtung entsprungenen Afterkunstgattungen, namentlich dem Roman und der romanhaften Geschichte, hier zu schweigen, so war schon der Stil dieser Asiaten begreiflicherweise zerhackt und ohne Kadenz und Periode, verzwickt und weichlich, voll Flitter und Bombast, durchaus gemein und manieriert; “wer Hegesias kennt”, sagt Cicero, “der weiss, was albern ist”. Dennoch fand dieser neue Stil seinen Weg auch in die latinische Welt. Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vorigen Epoche in den latinischen Jugendunterricht sich eingedraengt hatte, zu Anfang der gegenwaertigen den letzten Schritt tat und mit Quintus Hortensius (640-704 114- 50), dem gefeiertsten Sachwalter der sullanischen Zeit, die roemische Rednerbuehne selbst betrat, da schmiegte sie auch in dem lateinischen Idiom dem schlechten griechischen Zeitgeschmack eng sich an; und das roemische Publikum, nicht mehr das rein und streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natuerlich eifrig den Neuerer, der es verstand, dem Vulgarismus den Schein kunstgerechter Leistung zu geben. Es war dies von grosser Bedeutung. Wie in Griechenland der Sprachstreit immer zunaechst in den Rhetorenschulden gefuehrt ward, so war auch in Rom die gerichtliche Rede gewissermassen mehr noch als die Literatur massgebend fuer den Stil, und es war deshalb mit dem Sachwalterprinzipat gleichsam von Rechts wegen die Befugnis verbunden, den Ton der modischen Sprech- und Schreibweise anzugeben. Hortensius’ asiatischer Vulgarismus verdraengte also den Klassizismus von der roemischen Rednerbuehne und zum Teil auch aus der Literatur. Aber bald schlug in Griechenland wie in Rom die Mode wieder um. Dort war es die Rhodische Rhetorenschule, die ohne auf die ganze keusche Strenge des attischen Stils zurueckzugehen, doch versuchte, zwischen ihm und der modernen Weise einen Mittelweg einzuschlagen; wenn die rhodischen Meister es mit der innerlichen Korrektheit des Denkens und Sprechens nicht allzu genau nahmen, so drangen sie doch wenigstens auf sprachliche und stilistische Reinheit, auf sorgfaeltige Auswahl der Woerter und Wendungen und durchgefuehrte Kadenzierung der Saetze. In Italien war es Marcus Tullius Cicero (648-711 106-43), der, nachdem er in seiner ersten Jugend die Hortensische Manier mitgemacht hatte, durch das Hoeren der rhodischen Meister und durch eigenen gereifteren Geschmack auf bessere Wege zurueckgefuehrt ward und fortan sich strenger Reinheit der Sprache und durchgaengiger Periodisierung und Kadenzierung der Rede befliss. Die Sprachmuster, an die er hierbei sich anschloss, fand er vor allen Dingen in denjenigen Kreisen der hoeheren roemischen Gesellschaft, welche von dem Vulgarismus noch wenig oder gar nicht gelitten hatten; und wie schon gesagt ward, es gab deren noch, obwohl sie anfingen zu schwinden. Die aeltere lateinische und die gute griechische Literatur, so bedeutend auch namentlich auf den Numerus der Rede die letztere eingewirkt hat, standen daneben doch nur in zweiter Linie; es war diese Sprachreinigung also keineswegs eine Reaktion der Buch- gegen die Umgangssprache, sondern eine Reaktion der Sprache der wirklich Gebildeten gegen den Jargon der falschen und halben Bildung. Caesar, auch auf dem Gebiet der Sprache der groesste Meister seiner Zeit, sprach den Grundgedanken des roemischen Klassizismus aus, indem er in Rede und Schrift jedes fremdartige Wort so zu vermeiden gebot, wie der Schiffer die Klippe meidet: man verwarf das poetische und das verschollene Wort der aelteren Literatur ebenso, wie die baeurische oder der Sprache des gemeinen Lebens entlehnte Wendung und namentlich die, wie die Briefe dieser Zeit es beweisen, in sehr weitem Umfang in die Umgangssprache eingedrungenen griechischen Woerter und Phrasen. Aber nichtsdestoweniger verhielt dieser schulmaessige und kuenstliche Klassizismus der ciceronischen Zeit sich zu dem scipionischen, wie zu der Unschuld die bekehrte Suende oder wie zu dem mustergueltigen Franzoesisch Molieres und Boileaus das der napoleonischen Klassizisten; wenn jener aus dem vollen Leben geschoepft hatte, so fing dieser gleichsam die letzten Atemzuege eines unwiderbringlich untergehenden Geschlechts noch eben rechtzeitig auf. Wie er nun war, er breitete rasch sich aus. Mit dem Sachwalterprinzipat ging auch die Sprach- und Geschmacksdiktatur von Hortensius auf Cicero ueber, und die mannigfaltige und weitlaeufige Schriftstellerei des letzteren gab diesem Klassizismus, was ihm noch gefehlt hatte, ausgedehnte prosaische Texte. So wurde Cicero der Schoepfer der modernen klassischen lateinischen Prosa und knuepfte der roemische Klassizismus durchaus und ueberall an Cicero als Stilisten an; dem Stilisten Cicero, nicht dem Schriftsteller, geschweige denn dem Staatsmanne, galten die ueberschwenglichen und doch nicht ganz phrasenhaften Lobsprueche, mit denen die begabtesten Vertreter des Klassizismus, namentlich Caesar und Catullus, ihn ueberhaeufen.
Bald ging man weiter. Was Cicero in der Prosa, das fuehrte in der Poesie gegen das Ende der Epoche die neuroemische an die griechische Modepoesie sich anlehnende Dichterschule durch, deren bedeutendstes Talent Catullus war. Auch hier verdraengte die hoehere Umgangssprache die bisher auf diesem Gebiet noch vielfach waltenden archaistischen Reminiszenzen und fuegte wie die lateinische Prosa sich dem attischen Numerus, so die lateinische Poesie sich allmaehlich den strengen oder vielmehr peinlichen metrischen Gesetzen der Alexandriner; so zum Beispiel wird von Catullus an es nicht mehr verstattet, mit einem einsilbigen oder einem nicht besonders schwerwichtigen zweisilbigen Wort zugleich einen Vers zu beginnen und einen im vorigen begonnenen Satz zu schliessen. Endlich trat denn die Wissenschaft hinzu, fixierte das Sprachgesetz und entwickelte die Regel, die nicht mehr aus der Empirie bestimmt ward, sondern den Anspruch machte, die Empirie zu bestimmen. Die Deklinationsendungen, die bisher noch zum Teil geschwankt hatten, sollten jetzt ein fuer allemal fixiert werden, wie zum Beispiel von den bisher nebeneinander gangbaren Genetiv- und Dativformen der sogenannten vierten Deklination (senatuis und senatus, senatui und senatu) Caesar ausschliesslich die zusammengezogenen (us und u) gelten liess. In der Orthographie wurde mancherlei geaendert, um die Schrift mit der Sprache wieder vollstaendiger ins gleiche zu setzen – so ward das inlautende u in Woertern wie maxumus nach Caesars Vorgang durch i ersetzt und von den beiden ueberfluessig gewordenen Buchstaben k und q die Beseitigung des ersten durchgesetzt, die des zweiten wenigstens vorgeschlagen. Die Sprache war, wenn noch nicht erstarrt, doch im Erstarren begriffen, von der Regel zwar noch nicht gedankenlos beherrscht, aber doch bereits ihrer sich bewusst geworden. Dass fuer diese Taetigkeit auf dem Gebiete der lateinischen Grammatik die griechische nicht bloss im allgemeinen den Geist und die Methode hergab, sondern die lateinische Sprache auch wohl geradezu nach jener rektifiziert ward, beweist zum Beispiel die Behandlung des schliessenden s, das bis gegen den Ausgang dieser Epoche nach Gefallen bald als Konsonant, bald nicht als solcher gegolten hatte, von den neumodischen Poeten aber durchgaengig wie im Griechischen als konsonantischer Auslaut behandelt ward. Diese Sprachregulierung ist die eigentliche Domaene des roemischen Klassizismus; in der verschiedensten Weise und ebendarum nur um so bedeutsamer wird bei den Koryphaeen desselben, bei Cicero, Caesar, sogar in den Gedichten Catulls, die Regel eingeschaerft und der Verstoss dagegen abgetrumpft; wogegen die aeltere Generation sich ueber die auf dem sprachlichen Gebiet ebenso ruecksichtslos wie auf dem politischen durchgreifende Revolution mit begreiflicher Empfindlichkeit aeussert ^2. Indem aber der neue Klassizismus, das heisst das regulierte und mit dem mustergueltigen Griechisch soweit moeglich ins gleiche gesetzte mustergueltige Latein, hervorgehend aus der bewussten Reaktion gegen den in die hoehere Gesellschaft und selbst in die Literatur eingedrungenen Vulgarismus, sich literarisch fixierte und schematisch formulierte, raeumte dieser doch keineswegs das Feld. Wir finden ihn nicht bloss naiv in den Werken untergeordneter, nur zufaellig unter die Schriftsteller verschlagener Individuen, wie in dem Bericht ueber Caesars zweiten spanischen Krieg, sondern wir werden ihm auch in der eigentlichen Literatur, im Mimus, im Halbroman, in den aesthetischen Schriften Varros mehr oder weniger ausgepraegt begegnen; und charakteristisch ist es, dass er eben in den am meisten volkstuemlichen Gebieten der Literatur sich behauptet und dass wahrhaft konservative Maenner, wie Varro, ihn in Schutz nehmen. Der Klassizismus ruht auf dem Tode der italischen Sprache wie die Monarchie auf dem Untergang der italischen Nation; es war vollkommen konsequent, dass die Maenner, in denen die Republik noch lebendig war, auch der lebenden Sprache fortfuhren, ihr Recht zu geben und ihrer relativen Lebendigkeit und Volkstuemlichkeit zuliebe ihre aesthetischen Maengel ertrugen. So gehen denn die sprachlichen Meinungen und Richtungen dieser Epoche ueberall hin auseinander: neben der altfraenkischen Poesie des Lucretius erscheint die durchaus moderne des Catullus, neben Ciceros kadenzierter Periode Varros absichtlich jede Gliederung verschmaehender Satz. Auch hierin spiegelt sich die Zerrissenheit der Zeit.
—————————————- ^2 So sagt Varro (rust. 1, 2): ab aeditimo, ut dicere didicimus a patribus nostris; ut corrigimur ab recentibus urbanis, ab aedituo. —————————————- In der Literatur dieser Periode faellt zunaechst, im Vergleich mit der frueheren, die aeussere Steigerung des literarischen Treibens in Rom auf. Die literarische Taetigkeit der Griechen gedieh laengst nicht mehr in der freien Luft der buergerlichen Unabhaengigkeit, sondern nur noch in den wissenschaftlichen Anstalten der groesseren Staedte und besonders der Hoefe. Angewiesen auf Gunst und Schutz der Grossen und durch das Erloeschen der Dynastien von Pergamon (621 133), Kyrene (658 96), Bithynien (679 75) und Syrien (690 64), durch den sinkenden Glanz der Hofhaltung der Lagiden aus den bisherigen Musensitzen verdraengt ^3, ueberdies seit Alexanders des Grossen Tod notwendig kosmopolitisch und unter den Aegyptern und Syrern wenigstens ebenso fremd wie unter den Lateinern, fingen die hellenischen Literaten mehr und mehr an, ihre Blicke nach Rom zu wenden. Neben dem Koch, dem Buhlknaben und dem Spassmacher spielten unter dem Schwarm griechischer Bedienten, mit denen der vornehme Roemer dieser Zeit sich umgab, auch der Philosoph, der Poet und der Memoirenschreiber hervorragende Rollen. Schon begegnen in diesen Stellungen namhafte Literaten; wie zum Beispiel der Epikureer Philodemos als Hauptphilosoph bei Lucius Piso, Konsul 696 (58), angestellt war und nebenbei mit seinen artigen Epigrammen auf den grobdraehtigen Epikureismus seines Patrons die Eingeweihten erbaute. Von allen Seiten zogen immer zahlreicher die angesehensten Vertreter der griechischen Kunst und Wissenschaft sich nach Rom, wo der literarische Verdienst jetzt reichlicher floss als irgendwo sonst; so werden als in Rom ansaessig genannt der Arzt Asklepiades, den Koenig Mithradates vergeblich von dort weg in seinen Dienst zu ziehen versuchte, der Gelehrte fuer alles, Alexandros von Milet, genannt der Polyhistor; der Poet Parthenios aus Nikaea in Bithymen; der als Reisender, Lehrer und Schriftsteller gleich gefeierte Poseidonios von Apameia in Syrien, der hochbejahrt im Jahre 703 (51) von Rhodos nach Rom uebersiedelte, und andere mehr. Ein Haus wie das des Lucius Lucullus war, fast wie das alexandrinische Museion, ein Sitz hellenischer Bildung und ein Sammelplatz hellenischer Literaten; roemische Mittel und hellenische Kennerschaft hatten in diesen Hallen des Reichtums und der Wissenschaft einen unvergleichlichen Schatz von Bildwerken und Gemaelden aelterer und gleichzeitiger Meister sowie eine ebenso sorgfaeltig ausgewaehlte wie prachtvoll ausgestattete Bibliothek vereinigt und jeder Gebildete und namentlich jeder Grieche war hier willkommen – oft sah man den Hausherrn selbst mit einem seiner gelehrten Gaeste in philologischem oder philosophischem Gespraech den schoenen Saeulengang auf- und niederwandeln. Freilich trugen diese Griechen mit ihren reichen Bildungsschaetzen auch zugleich ihre Verkehrtheit und Bedientenhaftigkeit nach Italien; wie sich denn zum Beispiel einer dieser gelehrten Landlaeufer, der Verfasser der ‘Schmeichelredekunst’, Aristodemos von Nysa, um 700 (54) seinen Herren durch den Nachweis empfahl, dass Horneros ein geborener Roemer gewesen sei. In demselben Masse wie das Treiben der griechischen Literaten in Rom stieg auch bei den Roemern selbst die literarische Taetigkeit und das literarische Interesse. Selbst die griechische Schriftstellerei, die der strengere Geschmack des scipionischen Zeitalters gaenzlich beseitigt hatte, tauchte jetzt wieder auf. Die griechische Sprache war nun einmal Weltsprache, und eine griechische Schrift fand ein ganz anderes Publikum als eine lateinische; darum liessen, wie die Koenige von Armenien und Mauretanien, so auch roemische Vornehme, wie zum Beispiel Lucius Lucullus, Marcus Cicero, Titus Atticus, Quintus Scaevola (Volkstribun 700 54), gelegentlich griechische Prosa und sogar griechische Verse ausgehen. Indes dergleichen griechische Schriftstellerei geborener Roemer blieb Nebensache und beinahe Spielerei; die literarischen wie die politischen Parteien Italiens trafen doch alle zusammen in dem Festhalten an der italischen, nur mehr oder minder vom Hellenismus durchdrungenen Nationalitaet. Auch konnte man in dem Gebiet lateinischer Schriftstellerei wenigstens ueber Mangel an Ruehrigkeit sich nicht beklagen. Es regnete in Rom Buecher und Flugschriften aller Art und vor allen Dingen Poesien. Die Dichter wimmelten daselbst wie nur in Tarsos oder Alexandreia; poetische Publikationen waren zur stehenden Jugendsuende regerer Naturen geworden, und auch damals pries man denjenigen gluecklich, dessen Jugendgedichte die mitleidige Vergessenheit der Kritik entzog. Wer das Handwerk einmal verstand, schrieb ohne Muehe auf einen Ansatz seine fuenfhundert Hexameter, an denen kein Schulmeister etwas zu tadeln, freilich auch kein Leser etwas zu loben fand. Auch die Frauenwelt beteiligte sich lebhaft an diesem literarischen Treiben; die Damen beschraenkten sich nicht darauf, Tanz und Musik zu machen, sondern beherrschten durch Geist und Witz die Konversation und sprachen vortrefflich ueber griechische und lateinische Literatur; und wenn die Poesie auf die Maedchenherzen Sturm lief, so kapitulierte die belagerte Festung nicht selten gleichfalls in artigen Versen. Die Rhythmen wurden immer mehr das elegante Spielzeug der grossen Kinder beiderlei Geschlechts; poetische Billets, gemeinschaftliche poetische Uebungen und Wettdichtungen unter guten Freunden waren etwas Gewoehnliches, und gegen das Ende dieser Epoche wurden auch bereits in der Hauptstadt Anstalten eroeffnet, in denen unfluegge lateinische Poeten das Versemachen fuer Geld erlernen konnten. Infolge des starken Buecherkonsums wurde die Technik des fabrikmaessigen Abschreibens wesentlich vervollkommnet und die Publikation verhaeltnismaessig rasch und wohlfeil bewirkt; der Buchhandel ward ein angesehenes und eintraegliches Gewerbe und der Laden des Buchhaendlers ein gewoehnlicher Versammlungsort gebildeter Maenner. Das Lesen war zur Mode, ja zur Manie geworden; bei Tafel ward, wo nicht bereits roherer Zeitvertreib sich eingedraengt hatte, regelmaessig vorgelesen, und wer eine Reise vorhatte, vergass nicht leicht, eine Reisebibliothek einzupacken. Den Oberoffizier sah man im Lagerzelt den schluepfrigen griechischen Roman, den Staatsmann im Senat den philosophischem Traktat in der Hand. Es stand denn auch im roemischen Staate, wie es in jedem Staate gestanden hat und stehen wird, wo die Buerger lesen “von der Tuerschwell an bis zum Privet”. Der parthische Wesir hatte nicht unrecht, wenn er den Buergern von Seleukeia die im Lager des Crassus gefundenen Romane wies und sie fragte, ob sie die Leser solcher Buecher noch fuer furchtbare Gegner hielten.
————————————————- ^3 Merkwuerdig ist fuer diese Verhaeltnisse die Dedikation der auf den Namen des Skymnos gehenden poetischen Erdbeschreibung. Nachdem der Dichter seine Absicht erklaert hat, in dem beliebten menandrischen Mass einen fuer Schueler fasslichen und leicht auswendig zu lernenden Abriss der Geographie zu bearbeiten, widmet er, wie Apollodoros sein aehnliches historisches Kompendium dem Koenig Attalos Philadelphos von Pergamon widmete, dem es ewigen Ruhm
Gebracht, dass seinen Namen dies Geschichtswerk traegt, sein Handbuch dem Koenig Nikomedes III. (663? – 679 91 – 75) von Bithynien: Dass, wie die Leute sagen, koenigliche Huld Von allen jetzigen Koenigen nur du erzeigst, Dies zu erproben an mir selbst, entschloss ich mich, Zu kommen und zu sehen, was ein Koenig sei. Bestaerkt in diesem durch Apolls Orakelwort, Nah’ ich mich billig deinem fast, auf deinen Wink, Zu der Gelehrten insgemein gewordnen Herd. ————————————————- Die literarische Tendenz dieser Zeit war keine einfache und konnte es nicht sein, da die Zeit selbst zwischen der alten und der neuen Weise geteilt war. Dieselben Richtungen, die auf dem politischen Gebiet sich bekaempften, die national-italische der Konservativen, die hellenisch-italische oder, wenn man will, kosmopolitische der neuen Monarchie, haben auch auf dem literarischen ihre Schlachten geschlagen. Jene lehnt sich auf die aeltere lateinische Literatur, die auf dem Theater, in der Schule und in der gelehrten Forschung mehr und mehr den Charakter der Klassizitaet annimmt. Mit minderem Geschmack und staerkerer Parteitendenz, als die scipionische Epoche bewies, werden jetzt Ennius, Pacuvius und namentlich Plautus in den Himmel erhoben. Die Blaetter der Sibylle steigen im Preise, je weniger ihrer werden; die relative Nationalitaet und relative Produktivitaet der Dichter des sechsten Jahrhunderts wurde nie lebhafter empfunden als in dieser Epoche des ausgebildeten Epigonentums, die in der Literatur ebenso entschieden wie in der Politik zu dem Jahrhundert der Hannibalskaempfer hinaufsah als zu der goldenen, leider unwiederbringlich dahingegangenen Zeit. Freilich war in dieser Bewunderung der alten Klassiker ein guter Teil derselben Hohlheit und Heuchelei, die dem konservativen Wesen dieser Zeit ueberhaupt eigen sind, und die Zwischengaenger mangelten auch hier nicht. Cicero zum Beispiel, obwohl in der Prosa einer der Hauptvertreter der modernen Tendenz, verehrte dennoch die aeltere nationale Poesie ungefaehr mit demselben anbruechigen Respekt, welchen er der aristokratischen Verfassung und der Auguraldisziplin zollte; “der Patriotismus erfordert es”, heisst es bei ihm, “lieber eine notorisch elende Uebersetzung des Sophokles zu lesen als das Original”. Wenn also die moderne, der demokratischen Monarchie verwandte literarische Richtung selbst unter den rechtglaeubigen Enniusbewunderern stille Bekenner genug zaehlte, so fehlte es auch schon nicht an dreisteren Urteilern, die mit der einheimischen Literatur ebenso unsaeuberlich umgingen wie mit der senatorischen Politik. Man nahm nicht bloss die strenge Kritik der scipionischen Epoche wieder auf und liess den Terenz nur gelten, um Ennius und mehr noch die Ennianisten zu verdammen, sondern die juengere und verwegenere Welt ging weit darueber hinaus und wagte es schon, wenn auch nur noch in ketzerischer Auflehnung gegen die literarische Orthodoxie, den Plautus einen rohen Spassmacher, den Lucilius einen schlechten Verseschmied zu heissen. Statt auf die einheimische lehnt sich diese moderne Richtung vielmehr auf die neuere griechische Literatur oder den sogenannten Alexandrinismus. Es kann nicht umgangen werden, von diesem merkwuerdigen Wintergarten hellenischer Sprache und Kunst hier wenigstens so viel zu sagen, als fuer das Verstaendnis der roemischen Literatur dieser und der spaeteren Epochen erforderlich ist. Die alexandrinische Literatur ruht auf dem Untergang des reinen hellenischen Idioms, das seit der Zeit Alexanders des Grossen im Leben ersetzt ward durch einen verkommenen, zunaechst aus der Beruehrung des makedonischen Dialekts mit vielfachen griechischen und barbarischen Staemmen hervorgegangenen Jargon; oder genauer gesagt, die alexandrinische Literatur ist hervorgegangen aus dem Ruin der hellenischen Nation ueberhaupt, die, um die alexandrinische Weltmonarchie und das Reich des Hellenismus zu begruenden, in ihrer volkstuemlichen Individualitaet untergehen musste und unterging. Haette Alexanders Weltreich Bestand gehabt, so wuerde an die Stelle der ehemaligen nationalen und volkstuemlichen eine nur dem Namen nach hellenische, wesentlich denationalisierte und gewissermassen von oben herab ins Leben gerufene, aber allerdings die Welt beherrschende, kosmopolitische Literatur getreten sein; indes wie der Staat Alexanders mit seinem Tode aus den Fugen wich, gingen auch die Anfaenge der ihm entsprechenden Literatur rasch zugrunde. Die griechische Nation aber gehoerte darum nicht weniger mit allem, was sie gehabt, mit ihrer Volkstuemlichkeit, ihrer Sprache, ihrer Kunst, der Vergangenheit an. Nur in einem verhaeltnismaessig engen Kreis nicht von Gebildeten, die es als solche nicht mehr gab, sondern von Gelehrten wurde die griechische Literatur noch als tote gepflegt, ihr reicher Nachlass in wehmuetiger Freude oder trockener Gruebelei inventarisiert und auch wohl das lebendige Nachgefuehl oder die tote Gelehrsamkeit bis zu einer Scheinproduktivitaet gesteigert. Diese posthume Produktivitaet ist der sogenannte Alexandrinismus. Er ist wesentlich gleichartig derjenigen Gelehrtenliteratur, welche, abstrahierend von den lebendigen romanischen Nationalitaeten und ihren vulgaeren Idiomen, in einem philologisch gelehrten, kosmopolitischen Kreise als kuenstliche Nachbluete des untergegangenen Altertums waehrend des fuenfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts erwuchs; der Gegensatz zwischen dem klassischen und dem Vulgaergriechisch der Diadochenzeit ist wohl minder schroff, aber nicht eigentlich ein anderer als der zwischen dem Latein des Manutius und dem Italienischen Macchiavellis. Italien hatte bisher sich gegen den Alexandrinismus im wesentlichen ablehnend verhalten. Die relative Bluetezeit desselben ist die Zeit kurz vor und nach dem Ersten Punischen Krieg; dennoch schlossen Naevius, Ennius, Pacuvius und schloss ueberhaupt die gesamte nationalroemische Schriftstellerei bis hinab auf Varro und Lucretius in allen Zweigen poetischer Produktion, selbst das Lehrgedicht nicht ausgenommen, nicht an ihre griechischen Zeitgenossen oder juengsten Vorgaenger sich an, sondern ohne Ausnahme an Homer, Euripides, Menandros und die anderen Meister der lebendigen und volkstuemlichen griechischen Literatur. Die roemische Literatur ist niemals frisch und national gewesen; aber solange es ein roemisches Volk gab, griffen seine Schriftsteller instinktmaessig nach lebendigen und volkstuemlichen Mustern und kopierten, wenn auch nicht immer aufs beste noch die besten, doch wenigstens Originale. Die ersten roemischen Nachahmer – denn die geringen Anfaenge aus der marianischen Zeit koennen kaum mitgezaehlt werden – fand die nach Alexander entstandene griechische Literatur unter den Zeitgenossen Ciceros und Caesars; und nun griff der roemische Alexandrinismus mit reissender Schnelligkeit um sich. Zum Teil ging dies aus aeusserlichen Ursachen hervor. Die gesteigerte Beruehrung mit den Griechen, namentlich die haeufigen Reisen der Roemer in die hellenischen Landschaften und die Ansammlung griechischer Literaten in Rom, verschafften natuerlich der griechischen Tagesliteratur, den zu jener Zeit in Griechenland gangbaren epischen und elegischen Poesien, Epigrammen und milesischen Maerchen, auch unter den Italikern ein Publikum. Indem ferner die alexandrinische Poesie, wie frueher dargestellt ward, in dem italischen Jugendunterricht sich festsetzte, wirkte dies auf die lateinische Literatur um so mehr zurueck, als diese von der hellenischen Schulbildung zu allen Zeiten wesentlich abhaengig war und blieb. Es findet sich hier sogar eine unmittelbare Anknuepfung der neuroemischen an die neugriechische Literatur: der schon genannte Parthenios, einer der bekannteren alexandrinischen Elegiker, eroeffnete, es scheint um 700 (54), eine Literatur- und Poesieschule in Rom, und es sind noch die Exzerpte vorhanden, in denen er Stoffe fuer lateinische erotisch-mythologische Elegien nach dem bekannten alexandrinischen Rezept einem seiner vornehmen Schueler an die Hand gab. Aber es waren keineswegs bloss diese zufaelligen Veranlassungen, die den roemischen Alexandrinismus ins Leben riefen; er war vielmehr ein vielleicht nicht erfreuliches, aber durchaus unvermeidliches Erzeugnis der politischen und nationalen Entwicklung Roms. Einerseits loeste, wie Hellas im Hellenismus, so jetzt Latium im Romanismus sich auf; die nationale Entwicklung Italiens ueberwuchs und zersprengte sich in ganz aehnlicher Weise in Caesars Mittelmeer – wie die hellenische in Alexanders Ostreich. Wenn andererseits das neue Reich darauf beruhte, dass die maechtigen Stroeme der griechischen und lateinischen Nationalitaet, nachdem sie Jahrtausende hindurch in parallelen Betten geflossen, nun endlich zusammenfielen, so musste auch die italische Literatur nicht bloss wie bisher an der griechischen ueberhaupt einen Halt suchen, sondern eben mit der griechischen Literatur der Gegenwart, das heisst mit dem Alexandrinismus sich ins Niveau setzen. Mit dem schulmaessigen Latein, der geschlossenen Klassikerzahl, dem exklusiven Kreise der klassikerlesenden “Urbanen” war die volkstuemliche lateinische Literatur tot und zu Ende; es entstand dafuer eine durchaus epigonenhafte, kuenstlich grossgezogene Reichsliteratur, die nicht auf einer bestimmten Volkstuemlichkeit ruhte, sondern in zweien Sprachen das allgemeine Evangelium der Humanitaet verkuendigte und geistig durchaus und bewusst von der hellenischen, sprachlich teils von dieser, teils von der altroemischen Volksliteratur abhing. Es war dies kein Fortschritt. Die Mittelmeermonarchie Caesars war wohl eine grossartige und, was mehr ist, eine notwendige Schoepfung; aber sie war von oben herab ins Leben gerufen und darum nichts in ihr zu finden von dem frischen Volksleben, von der uebersprudelnden Nationalkraft, wie sie juengeren, beschraenkteren, natuerlicheren Gemeinwesen eigen sind, wie noch der Staat Italien des sechsten Jahrhunderts sie hatte aufzeigen koennen. Der Untergang der italischen Volkstuemlichkeit, abgeschlossen in Caesars Schoepfung, brach der Literatur das Herzblatt aus. Wer ein Gefuehl hat fuer die innige Wahlverwandtschaft der Kunst und der Nationalitaet, der wird stets sich von Cicero und Horaz ab zurueck zu Cato und Lucretius wenden; und nur die, freilich auf diesem Gebiete verjaehrte, schulmeisterliche Auffassung der Geschichte wie der Literatur hat es vermocht, die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche vorzugsweise die goldene zu heissen. Aber wenn der roemisch-hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen Zeit zurueckstehen muss hinter der, wie immer unvollkommenen, aelteren nationalen Literatur, so ist er andererseits dem Alexandrinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden ueberlegen wie Caesars Dauerbau der ephemeren Schoepfung Alexanders. Es wird spaeter darzustellen sein, dass die augustische Literatur, verglichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine Philologen- und weit mehr eine Reichsliteratur gewesen ist als diese und darum auch in den hoeheren Kreisen der Gesellschaft weit dauernder und weit allgemeiner als jemals der griechische Alexandrinismus gewirkt hat. Nirgends sah es truebseliger aus als in der Buehnenliteratur. Trauerspiel wie Lustspiel waren in der roemischen Nationalliteratur bereits vor der gegenwaertigen Epoche innerlich abgestorben. Neue Stuecke wurden nicht mehr gespielt. Dass noch in der sullanischen Zeit das Publikum dergleichen zu sehen erwartete, zeigen die dieser Zeit angehoerigen Wiederauffuehrungen Plautinischer Komoedien mit gewechselten Titeln und Personennamen, wobei die Direktion wohl hinzufuegte, dass es besser sei, ein gutes altes, als ein schlechtes neues Stueck zu sehen. Davon hatte man denn nicht weit zu der voelligen Einraeumung der Buehne an die toten Poeten, die wir in der ciceronischen Zeit finden und der der Alexandrinismus sich gar nicht widersetzte. Seine Produktivitaet auf diesem Gebiete war schlimmer als keine. Eine wirkliche Buehnendichtung hat die alexandrinische Literatur nie gekannt; nur das Afterdrama, das zunaechst zum Lesen, nicht zur Auffuehrung geschrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebuergert werden, und bald fingen denn diese dramatischen Jamben auch an, in Rom ebenso wie in Alexandreia zu grassieren und namentlich das Trauerspielschreiben unter den stehenden Entwicklungskrankheiten zu figurieren. Welcher Art diese Produktionen waren, kann man ungefaehr danach bemessen, dass Quintus Cicero, um die Langeweile des gallischen Winterquartiers homoeopathisch zu vertreiben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Einzig in dem “Lebensbild” oder dem Mimus verwuchs der letzte noch gruenende Trieb der nationalen Literatur, die Atellanenposse, mit den ethologischen Auslaeufern des griechischen Lustspiels, die der Alexandrinismus mit groesserer poetischer Kraft und besserem Erfolg als jeden anderen Zweig der Poesie kultivierte. Der Mimus ging hervor aus den seit langem ueblichen Charaktertaenzen zur Floete, die teils bei anderen Gelegenheiten, namentlich zur Unterhaltung der Gaeste waehrend der Tafel, teils besonders im Parterre des Theaters waehrend der Zwischenakte aufgefuehrt wurden. Es war nicht schwer, aus diesen Taenzen, bei denen die Rede wohl laengst gelegentlich zur Hilfe genommen ward, durch Einfuehrung einer geordneteren Fabel und eines regelrechten Dialogs kleine Komoedien zu machen, die jedoch von dem frueheren Lustspiel und selbst von der Posse sich doch dadurch noch wesentlich unterschieden, dass der Tanz und die von solchem Tanz unzertrennliche Laszivitaet hier fortfuhren, eine Hauptrolle zu spielen, und dass der Mimus, als nicht eigentlich auf den Brettern, sondern im Parterre zu Hause, jede szenische Idealisierung wie die Gesichtsmasken und die Theaterschuhe, beiseite warf und, was besonders wichtig war, die Frauenrollen auch von Frauen darstellen liess. Dieser neue Mimus, der zuerst um 672 (82) auf die hauptstaedtische Buehne gekommen zu sein scheint, verschlang bald die nationale Harlekinade, mit der er ja in den wesentlichsten Beziehungen zusammenfiel, und ward als das gewoehnliche Zwischen- und namentlich Nachspiel neben den sonstigen Schauspielen verwendet ^4. Die Fabel war natuerlich noch gleichgueltiger, lockerer und toller als in der Harlekinade; wenn es nur bunt herging, so fragte das Publikum nicht, warum es lachte, und rechtete nicht mit dem Poeten, der, statt den Knoten zu loesen, ihn zerhieb. Die Sujets waren vorwiegend verliebter Art, meistens von der frechsten Sorte; gegen den Ehemann zum Beispiel nahmen Poet und Publikum ohne Ausnahme Partei und die poetische Gerechtigkeit bestand in der Verhoehnung der guten Sitte. Der kuenstlerische Reiz beruhte ganz wie bei der Atellane auf der Sittenmalerei des gemeinen und gemeinsten Lebens, wobei die laendlichen Bilder vor denen des hauptstaedtischen Lebens und Treibens zuruecktreten und der suesse Poebel von Rom, ganz wie in den gleichartigen griechischen Stuecken der von Alexandreia, aufgefordert wird, sein eigenes Konterfei zu beklatschen. Viele Stoffe sind dem Handwerkerleben entnommen: es erscheinen der auch hier unvermeidliche ‘Walker’, dann ‘Der Seiler’, ‘Der Faerber, ‘Der Salzmann’, ‘Die Weberinnen’, ‘Der Hundejunge’; andere Stuecke geben Charakterfiguren: ‘Der Vergessliche’, ‘Das Grossmaul’, ‘Der Mann von 100000 Sesterzen’ ^5; oder Bilder des Auslandes: ‘Die Etruskerin’, ‘Die Gallier’, ‘Der Kretenser’, ‘Alexandreia’; oder Schilderungen von Volksfesten: ‘Die Compitalien’, ‘Die Saturnalien’, ‘Anna Perenna’, ‘Die warmen Baeder’; oder travestierte Mythologie: ‘Die Fahrt in die Unterwelt’, ‘Der Arverner See’. Treffende Schlagwoerter und kurze, leicht behalt- und anwendbare Gemeinsprueche sind willkommen; aber auch jeder Unsinn hat von selber das Buergerrecht: in dieser verkehrten Welt wird Bacchus um Wasser, die Quellnymphe um Wein angegangen. Sogar von den auf dem roemischen Theater sonst so streng untersagten politischen Anspielungen finden in diesen Mimen sich einzelne Beispiele ^6. Was die metrische Form anlangt, so gaben sich diese Poeten, wie sie selber sagen, “nur maessige Muehe mit dem Versemass”; die Sprache stroemte selbst in den zur Veroeffentlichung redigierten Stuecken ueber von Vulgaerausdruecken und gemeinen Wortbildungen. Es ist, wie man sieht, der Mimus wesentlich nichts als die bisherige Posse; nur dass die Charaktermasken und die stehende Szenerie von Atella sowie das baeuerliche Gepraege wegfaellt und dafuer das hauptstaedtische Leben in seiner grenzenlosen Freiheit und Frechheit auf die Bretter kommt. Die meisten Stuecke dieser Art waren ohne Zweifel fluechtigster Natur und machten nicht Anspruch auf einen Platz in der Literatur; die Mimen aber des Laberius, voll drastischer Charakterzeichnung und sprachlich und metrisch in ihrer Art meisterlich behandelt, haben in derselben sich behauptet und auch der Geschichtschreiber muss es bedauern, dass es uns nicht mehr vergoennt ist, das Drama der republikanischen Agonie in Rom mit seinem grossen attischen Gegenbild zu vergleichen.
—————————————————- ^4 Dass der Mimus zu seiner Zeit an die Stelle der Atellane getreten sei, bezeugt Cicero (ad fam. 9 16); damit stimmt ueberein, dass die Mimen und Miminnen zuerst um die sullanische Zeit hervortreten (Rhet. Her. 1, 14, 24; 2, 13, 19; Atta com. 1 Ribbeck.; Plin. nat. 7, 48, 158; Plut. Sull. z. 36). Uebrigens wird die Bezeichnung mimus zuweilen ungenau von dem Komoeden ueberhaupt gebraucht. So war der bei der Apollonischen Festfeier 542/43 212/211 auftretende mimus (Festus v. salva res est; vgl. Cic. De orat. 2, 59, 242) offenbar nichts als ein Schauspieler der palliata, denn fuer wirkliche Mimen im spaetem Sinn ist in dieser Zeit in der roemischen Theaterentwicklung kein Raum. Zu dem Mimus der klassischen griechischen Zeit, prosaischen Dialogen, in denen Genrebilder, namentlich laendliche, dargestellt wurden, hat der roemische Mimus keine naehere Beziehung.
^5 Mit dem Besitz dieser Summe, wodurch man in die erste Stimmklasse eintritt und die Erbschaft dem Voconischen Gesetz unterworfen wird, ist die Grenze ueberschritten, welche die geringen (tenuiores) von den anstaendigen Leuten scheidet. Darum fleht auch der arme Klient Catulls (23, 26) die Goetter an, ihm zu diesem Vermoegen zu verhelfen. ^6 In Laberius’ ‘Fahrt in die Unterwelt’ tritt allerlei Volk auf, das Wunder und Zeichen gesehen hat; dem einen ist ein Ehemann mit zwei Frauen erschienen, worauf der Nachbar meint, das sei ja noch aerger als das kuerzlich von einem Wahrsager erblickte Traumgesicht von sechs Aedilen. Naemlich Caesar wollte – nach dem Klatsch der Zeit – die Vielweiberei in Rom einfuehren (Suet. Caes. 82) und ernannte in der Tat statt vier Aedilen deren sechs. Man sieht auch hieraus, dass Laberius Narrenrecht zu ueben und Caesar Narrenfreiheit zu gestatten verstand.
—————————————————- Mit der Nichtigkeit der Buehnenliteratur Hand in Hand geht die Steigerung des Buehnenspiels und der Buehnenpracht. Dramatische Vorstellungen erhielten ihren regelmaessigen Platz im oeffentlichen Leben nicht bloss der Hauptstadt, sondern auch der Landstaedte; auch jene bekam nun endlich durch Pompeius ein stehendes Theater (699 55) und die kampanische Sitte, waehrend des in alter Zeit stets unter freiem Himmel stattfindenden Schauspiels zum Schutze der Spieler und der Zuschauer Segeldecken ueber das Theater zu spannen, fand ebenfalls jetzt Eingang in Rom (676 78). Wie derzeit in Griechenland nicht die mehr als blassen Siebengestirne der alexandrinischen Dramatiker, sondern das klassische Schauspiel, vor allem die Euripideische Tragoedie in reichster Entfaltung szenischer Mittel die Buehne behauptete, so wurden auch in Rom zu Ciceros Zeit vorzugsweise die Trauerspiele des Ennius, Pacuvius und Accius, die Lustspiele des Plautus gegeben. Wenn der letztere in der vorigen Periode durch den geschmackvolleren, aber an komischer Kraft freilich geringeren Terenz verdraengt worden war, so wirkten jetzt Roscius und Varro, das heisst das Theater und die Philologie zusammen, um ihm eine aehnliche Wiederaufstehung zu bereiten, wie sie Shakespeare durch Garrick und Johnson widerfuhr; und auch Plautus hatte dabei von der gesunkenen Empfaenglichkeit und der unruhigen Hast des durch die kurzen und lotterigen Possen verwoehnten Publikums zu leiden, so dass die Direktion die Laenge der Plautinischen Komoedien zu entschuldigen, ja vielleicht auch zu streichen und zu aendern sich genoetigt sah. Je beschraenkter das Repertoire war, desto mehr richtete sich sowohl die Taetigkeit des dirigierenden und exekutierenden Personals, als auch das Interesse des Publikums auf die szenische Darstellung der Stuecke. Kaum gab es in Rom ein eintraeglicheres Gewerbe als das des Schauspielers und der Taenzerin ersten Ranges. Das fuerstliche Vermoegen des tragischen Schauspielers Aesopus ward bereits erwaehnt; sein noch hoeher gefeierter Zeitgenosse Roscius schlug seine Jahreseinnahme auf 600000 Sesterzen (46000 Taler) an ^7 und die Taenzerin Dionysia die ihrige auf 200000 Sesterzen (15000 Taler). Daneben wandte man ungeheure Summen auf Dekorationen und Kostueme: gelegentlich schritten Zuege von sechshundert aufgeschirrten Maultieren ueber die Buehne und das troische Theaterheer ward dazu benutzt, um dem Publikum eine Musterkarte der von Pompeius in Asien besiegten Nationen vorzufuehren. Die den Vortrag der eingelegten Gesangstuecke begleitende Musik erlangte gleichfalls groessere und selbstaendigere Bedeutung; wie der Wind die Wellen, sagt Varro, so lenkt der kundige Floetenspieler die Gemueter der Zuhoerer mit jeder Abwandlung der Melodie. Sie gewoehnte sich, das Tempo rascher zu nehmen und noetigte dadurch den Schauspieler zu lebhafterer Aktion. Die musikalische und Buehnenkennerschaft entwickelte sich; der Habitue erkannte jedes Tonstueck an der ersten Note und wusste die Texte auswendig; jeder musikalische oder Rezitationsfehler ward streng von dem Publikum geruegt. Lebhaft erinnert das roemische Buehnenwesen der ciceronischen Zeit an das heutige franzoesische Theater. Wie den losen Tableaus der Tagesstuecke der roemische Mimus entspricht, fuer den wie fuer jene nichts zu gut und nichts zu schlecht war, so findet auch in beiden sich dasselbe traditionell klassische Trauerspiel und Lustspiel, die zu bewundern oder mindestens zu beklatschen der gebildete Mann von Rechts wegen verpflichtet ist. Der Menge wird Genuege getan, indem sie in der Posse sich selber wiederfindet, in dem Schauspiel den dekorativen Pomp anstaunt und den allgemeinen Eindruck einer idealen Welt empfaengt; der hoeher Gebildete kuemmert im Theater sich nicht um das Stueck, sondern einzig um die kuenstlerische Darstellung. Endlich die roemische Schauspielkunst selbst pendelte in ihren verschiedenen Sphaeren, aehnlich wie die franzoesische, zwischen der Chaumiere und dem Salon. Es war nichts Ungewoehnliches, dass die roemischen Taenzerinnen bei dem Finale das Obergewand abwarfen und dem Publikum einen Tanz im Hemde zum besten gaben; andererseits aber galt auch dem roemischen Talma als das hoechste Gesetz seiner Kunst nicht die Naturwahrheit, sondern das Ebenmass. ——————————————————– ^7 Vom Staat erhielt er fuer jeden Spieltag 1000 Denare (300 Taler) und ausserdem die Besoldung fuer seine Truppe. In spaeteren Jahren wies er fuer sich das Honorar zurueck.
——————————————————– In der rezitativen Poesie scheint es an metrischen Chroniken nach dem Muster der Ennianischen nicht gefehlt zu haben; aber sie duerften ausreichend kritisiert sein durch jenes artige Maedchengeluebde, von dem Catullus singt: der heiligen Venus, wenn sie den geliebten Mann von seiner boesen politischen Poesie ihr wieder zurueck in die Arme fuehre, das schlechteste der schlechten Heldengedichte zum Brandopfer darzubringen. In der Tat ist auf dem ganzen Gebiet der rezitativen Dichtung in dieser Epoche die aeltere nationalroemische Tendenz nur durch ein einziges namhaftes Werk vertreten, das aber auch zu den bedeutendsten dichterischen Erzeugnissen der roemischen Literatur ueberhaupt gehoert. Es ist das Lehrgedicht des Titus Lucretius Carus (655-699 99-55) ‘Vom Wesen der Dinge’, dessen Verfasser, den besten Kreisen der roemischen Gesellschaft angehoerig, vom oeffentlichen Leben aber, sei es durch Kraenklichkeit, sei es durch Abneigung ferngehalten, kurz vor dem Ausbruch des Buergerkrieges im besten Mannesalter starb. Als Dichter knuepft er energisch an Ennius an und damit an die klassische griechische Literatur. Unwillig wendet er sich weg von dem “hohlen Hellenismus” seiner Zeit und bekennt sich mit ganzer Seele und vollem Herzen als den Schueler der “strengen Griechen”, wie denn selbst des Thukydides heiliger Ernst in einem der bekanntesten Abschnitte dieser roemischen Dichtung keinen unwuerdigen Widerhall gefunden hat. Wie Ennius bei Epicharmos und Euhemeros seine Weisheit schoepft, so entlehnt Lucretius die Form seiner Darstellung dem Empedokles, “dem herrlichsten Schatz des gabenreichen sizilischen Eilands”, und liest dem Stoffe nach “die goldenen Worte alle zusammen aus den Rollen des Epikuros”, “welcher die anderen Weisen ueberstrahlt, wie die Sonne die Sterne verdunkelt”. Wie Ennius verschmaeht auch Lucretius die der Poesie von dem Alexandrinismus aufgelastete mythologische Gelehrsamkeit und fordert nichts von seinem Leser als die Kenntnis der allgemein gelaeufigen Sagen ^8. Dem modernen Purismus zum Trotz, der die Fremdwoerter aus der Poesie auswies, setzt Lucretius, wie es Ennius getan, statt matten und undeutlichen Lateins lieber das bezeichnende griechische Wort. Die altroemische Alliteration, das Nichtineinandergreifen der Vers- und Satzeinschnitte und ueberhaupt die aeltere Rede- und Dichtweise begegnen noch haeufig in Lucretius’ Rhythmen, und obwohl er den Vers melodischer behandelt als Ennius, so waelzen sich doch seine Hexameter nicht wie die der modernen Dichterschule zierlich huepfend gleich dem rieselnden Bache, sondern mit gewaltiger Langsamkeit gleich dem Strome fluessigen Goldes. Auch philosophisch und praktisch lehnt Lucretius durchaus an Ennius sich an, den einzigen einheimischen Dichter, den sein Gedicht feiert; das Glaubensbekenntnis des Saengers von Rudiae: Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt’ ich sonst und sag’ ich noch, Doch sie kuemmern keinesweges, mein’ ich, sich um der Menschen Los bezeichnet vollstaendig auch Lucretius’ religioesen Standpunkt und nicht mit Unrecht nennt er deshalb selbst sein Lied gleichsam die Fortsetzung dessen, Das uns Ennius sang, der des unverwelklichen Lorbeers Kranz zuerst mitbracht’ aus des Helikon lieblichem Haine, Dass Italiens Voelkern er strahl’ in glaenzender Glorie. ————————————————— ^8 Einzelne scheinbare Ausnahmen, wie das Weihrauchland Panchaea, sind daraus zu erklaeren, dass dies aus dem Reiseroman des Euhemeros vielleicht schon in die Ennianische Poesie, auf jeden Fall in die Gedichte des Lucius Manlius (Plin. nat. 10, 2, 4) uebergegangen und daher dem Publikum, fuer das Lucretius schrieb, wohlbekannt war.
————————————————— Noch einmal, zum letztenmal noch erklingt in Lucretius’ Gedicht der ganze Dichterstolz und der ganze Dichterernst des sechsten Jahrhunderts, in welchem, in den Bildern von dem furchtbaren Poener und dem herrlichen Scipiaden, die Anschauung des Dichters heimischer ist als in seiner eigenen gesunkenen Zeit ^9. Auch ihm klingt der eigene “aus dem reichen Gemuet anmutig quillende” Gesang den gemeinen Liedern gegenueber “wie gegen das Geschrei der Kraniche das kurze Lied des Schwanes”; auch ihm schwillt das Herz, den selbsterfundenen Melodien lauschend, von hoher Ehren Hoffnung – ebenwie Ennius den Menschen, denen er “das Feuerlied kredenzet aus der tiefen Brust”, verbietet, an seinem, des unsterblichen Saengers Grabe zu trauern. ———————————————– ^9 Naiv erscheint dies in den kriegerischen Schilderungen, in denen die heerverderbenden Seestuerme, die die eigenen Leute zertretenden Elefantenscharen, also Bilder aus den Punischen Kriegen, erscheinen, als gehoerten sie der unmittelbaren Gegenwart an. Vgl. 2, 41; 5, 1226, 1303, 1339. ———————————————– Es ist ein seltsames Verhaengnis, dass dieses ungemeine, an urspruenglicher poetischer Begabung den meisten, wo nicht allen seinen Vorgaengern weit ueberlegene Talent in eine Zeit gefallen war, in der es selber sich fremd und verwaist fuehlte und infolgedessen in der wunderlichsten Weise sich im Stoffe vergriffen hat. Epikuros’ System, welches das All in einen grossen Atomenwirbel verwandelt und die Entstehung und das Ende der Welt sowie alle Probleme der Natur und des Lebens in rein mechanischer Weise abzuwickeln unternimmt, war wohl etwas weniger albern als die Mythenhistorisierung, wie Euhemeros und nach ihm Ennius sie versucht hatten; aber ein geistreiches und frisches System war es nicht, und die Aufgabe nun gar, diese mechanische Weltanschauung poetisch zu entwickeln, war von der Art, dass wohl nie ein Dichter an einen undankbareren Stoff Leben und Kunst verschwendet hat. Der philosophische Leser tadelt an dem Lucretischen Lehrgedicht die Weglassung der feineren Pointen des Systems, die Oberflaechlichkeit namentlich in der Darstellung der Kontroversen, die mangelhafte Gliederung, die haeufigen Wiederholungen mit ebensogutem Recht, wie der poetische an der rhythmisierten Mathematik sich aergert, die einen grossen Teil des Gedichtes geradezu unlesbar macht. Trotz dieser unglaublichen Maengel, denen jedes mittelmaessige Talent unvermeidlich haette erliegen muessen, durfte dieser Dichter mit Recht sich ruehmen, aus der poetischen Wildnis einen neuen Kranz davongetragen zu haben, wie die Musen noch keinen verliehen hatten; und es sind auch keineswegs bloss die gelegentlichen Gleichnisse und sonstigen eingelegten Schilderungen maechtiger Naturerscheinungen und maechtigerer Leidenschaften, die dem Dichter diesen Kranz erwarben. Die Genialitaet der Lebensanschauung wie der Poesie des Lucretius ruht auf seinem Unglauben, welcher mit der vollen Siegeskraft der Wahrheit und darum mit der vollen Lebendigkeit der Dichtung dem herrschenden Heuchel- oder Aberglauben gegenuebertrat und treten durfte.
Als danieder er sah das Dasein liegen der Menschheit Jammervoll auf der Erd’, erdrueckt von der lastenden Gottfurcht, Die vom Himmelsgewoelb ihr Antlitz offenbarend, Schauerlich anzusehen, hinab auf die Sterblichen drohte, Wagt’ es ein griechischer Mann zuerst das sterbliche Auge Ihr entgegenzuheben, zuerst ihr entgegenzutreten; Und die mutige Macht des Gedankens siegte; gewaltig Trat hinaus er ueber die flammenden Schranken des Weltalls Und der verstaendige Geist durchschritt das unendliche Ganze. Also eiferte der Dichter, die Goetter zu stuerzen, wie Brutus die Koenige gestuerzt, und “die Natur von ihren strengen Herren zu erloesen”. Aber nicht gegen Jovis altersschwachen Thron wurden diese Flammenworte geschleudert; ebenwie Ennius kaempft Lucretius praktisch vor allen Dingen gegen den wuesten Fremd- und Aberglauben der Menge, den Kult der Grossen Mutter zum Beispiel und die kindische Blitzweisheit der Etrusker. Das Grauen und der Widerwille gegen die entsetzliche Welt ueberhaupt, in der und fuer die der Dichter schrieb, haben dies Gedicht eingegeben. Es wurde verfasst in jener hoffnungslosen Zeit, wo das Regiment der Oligarchie gestuerzt und das Caesars noch nicht aufgerichtet war, in den schwuelen Jahren, waehrend deren der Ausbruch des Buergerkrieges in langer peinlicher Spannung erwartet ward. Wenn man dem ungleichartigen und unruhigen Vortrag es anzufuehlen meint, dass der Dichter taeglich erwartete, den wuesten Laerm der Revolution ueber sich und sein Werk hereinbrechen zu sehen, so wird man auch bei seiner Anschauung der Menschen und der Dinge nicht vergessen duerfen, unter welchen Menschen und in Aussicht auf welche Dinge sie ihm entstand. War es doch in Hellas in der Epoche vor Alexander ein gangbares und von allen Besten tief empfundenes Wort, dass nicht geboren zu sein das Beste von allem, das naechstdem Beste aber sei zu sterben. Unter allen in der verwandten caesarischen Zeit einem zarten und poetisch organisierten Gemuet moeglichen Weltanschauungen war diese die edelste und die veredelndste, dass es eine Wohltat fuer den Menschen ist, erloest zu werden von dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und damit von der boesen die Menschen, gleichwie die Kinder die Angst im dunkeln Gemach, tueckisch beschleichenden Furcht vor dem Tode und vor den Goettern; dass, wie der Schlaf der Nacht erquicklicher ist als die Plage des Tages, so auch der Tod, das ewige Ausruhen von allem Hoffen und Fuerchten, besser ist als das Leben, wie denn auch die Goetter des Dichters selber nichts sind noch haben als die ewige selige Ruhe; dass die Hoellenstrafen nicht nach dem Leben den Menschen peinigen, sondern waehrend desselben in den wilden und rastlosen Leidenschaften des klopfenden Herzens; dass die Aufgabe des Menschen ist, seine Seele zum ruhigen Gleichmass zu stimmen, den Purpur nicht hoeher zu schaetzen als das warme Hauskleid, lieber unter den Gehorchenden zu verharren, als in das Getuemmel der Bewerber um das Herrenamt sich zu draengen, lieber am Bach im Grase zu liegen, als unter dem goldenen Plafond des Reichen dessen zahllose Schuesseln leeren zu helfen. Diese philosophisch-praktische Tendenz ist der eigentliche ideelle Kern des Lucretischen Lehrgedichts und durch alle oede physikalischer Demonstrationen nur verschuettet, nicht erdrueckt. Wesentlich auf ihr beruht dessen relative Weisheit und Wahrheit. Der Mann, der mit einer Ehrfurcht vor seinen grossen Vorgaengern, mit einem gewaltsamen Eifer, wie sie dies Jahrhundert sonst nicht kennt, solche Lehre gepredigt und sie mit musischem Zauber verklaert hat, darf zugleich ein guter Buerger und ein grosser Dichter genannt werden. Das Lehrgedicht vom Wesen der Dinge, wie vieles auch daran den Tadel herausfordert, ist eines der glaenzendsten Gestirne in den sternenarmen Raeumen der roemischen Literatur geblieben, und billig waehlte der groesste deutsche Sprachenmeister die Wiederlesbarmachung des Lucretischen Gedichts zu seiner letzten und meisterlichsten Arbeit. Lucretius, obwohl seine poetische Kraft wie seine Kunst schon von den gebildeten Zeitgenossen bewundert ward, blieb doch, Spaetling wie er war, ein Meister ohne Schueler. In der hellenischen Modedichtung dagegen fehlte es an Schuelern wenigstens nicht, die den alexandrinischen Meistern nachzueifern sich muehten. Mit richtigem Takt hatten die begabteren unter den alexandrinischen Poeten die groesseren Arbeiten und die reinen Dichtgattungen, das Drama, das Epos, die Lyrik, vermieden; ihre erfreulichsten Leistungen waren ihnen, aehnlich wie den neulateinischen Dichtern, in “kurzatmigen” Aufgaben gelungen und vorzugsweise in solchen, die auf den Grenzgebieten der Kunstgattungen, namentlich dem weiten, zwischen Erzaehlung und Lied in der Mitte liegenden sich bewegten. Lehrgedichte wurden vielfach geschrieben. Sehr beliebt waren ferner kleine heroisch-erotische Epen, vornehmlich aber eine diesem Altweibersommer der griechischen Poesie eigentuemliche und fuer ihre philologische Hippokrene charakteristische, gelehrte Liebeselegie, wobei der Dichter die Schilderung der eigenen, vorwiegend sinnlichen Empfindungen mit epischen Fetzen aus dem griechischen Sagenkreis mehr oder minder willkuerlich durchflocht. Festlieder wurden fleissig und kuenstlich gezimmert; ueberhaupt waltete bei dem Mangel an freiwilliger poetischer Erfindung das Gelegenheitsgedicht vor und namentlich das Epigramm, worin die Alexandriner Vortreffliches geleistet haben. Die Duerftigkeit der Stoffe und die sprachliche und rhythmische Unfrische, die jeder nicht volkstuemlichen Literatur unvermeidlich anhaftet, suchte man moeglichst zu verstecken unter verzwickten Themen, geschraubten Wendungen, seltenen Woertern und kuenstlicher Versbehandlung, ueberhaupt dem ganzen Apparat philologisch- antiquarischer Gelehrsamkeit und technischer Gewandtheit. Dies war das Evangelium, das den roemischen Knaben dieser Zeit gepredigt ward, und sie kamen in hellen Haufen, um zu hoeren und auszuueben: schon um 700 (54) waren Euphorions Liebesgedichte und aehnliche alexandrinische Poesien die gewoehnliche Lektuere und die gewoehnlichen Deklamationsstuecke der gebildeten Jugend ^10. Die literarische Revolution war da; aber sie lieferte zunaechst mit seltenen Ausnahmen nur fruehreife oder unreife Fruechte. Die Zahl der “neumodischen Dichter” war Legion, aber die Poesie war rar und Apollo, wie immer, wenn es so gedrang am Parnasse hergeht, genoetigt, sehr kurzen Prozess zu machen. Die langen Gedichte taugten niemals etwas, die kurzen selten. Auch in diesem literarischen Zeitalter war die Tagespoesie zur Landplage geworden; es begegnete wohl, dass einem der Freund zum Hohn als Festtagsgeschenk einen Stoss schofler Verse frisch vom Buchhaendlerlager ins Haus schickte, deren Wert der zierliche Einband und das glatte Papier schon auf drei Schritte verriet. Ein eigentliches Publikum, in dem Sinne wie die volkstuemliche Literatur ein Publikum hat, fehlte den roemischen Alexandrinern so gut wie den hellenischen: es ist durchaus die Poesie der Clique oder vielmehr der Cliquen, deren Glieder eng zusammenhalten, dem Eindringling uebel mitspielen, unter sich die neuen Poesien vorlesen und kritisieren, auch wohl in ganz alexandrinischer Weise die gelungenen Produktionen wieder poetisch feiern und vielfach durch Cliquenlob einen falschen und ephemeren Ruhm erschwindeln. Ein namhafter und selbst in dieser neuen Richtung poetisch taetiger Lehrer der lateinischen Literatur, Valerius Cato, scheint ueber den angesehensten dieser Zirkel eine Art Schulpatronat ausgeuebt und ueber den relativen Wert der Poesien in letzter Instanz entschieden zu haben. Ihren griechischen Mustern gegenueber sind diese roemischen Poeten durchgaengig unfrei, zuweilen schuelerhaft abhaengig; die meisten ihrer Produkte werden nichts gewesen sein als die herben Fruechte einer im Lernen begriffenen und noch keineswegs als reif entlassenen Schuldichtung. Indem man in der Sprache und im Mass weit enger, als je die volkstuemliche lateinische Poesie es getan, an die griechischen Vorbilder sich anschmiegte, ward allerdings eine groessere sprachliche und metrische Korrektheit und Konsequenz erreicht; aber es geschah auf Kosten der Biegsamkeit und Fuelle des nationalen Idioms. Stofflich erhielten unter dem Einfluss teils der weichlichen Muster, teils der sittenlosen Zeit die erotischen Themen ein auffallendes, der Poesie wenig zutraegliches Uebergewicht; doch wurden auch die beliebten metrischen Kompendien der Griechen schon vielfach uebersetzt, so das astronomische des Aratos von Cicero und entweder am Ende dieser oder wahrscheinlicher am Anfang der folgenden Periode das geographische Lehrbuch des Eratosthenes von Publius Varro von der Aude und die physikalisch-medizinischen des Nikandros von Aemilius Macer. Es ist weder zu verwundern noch zu bedauern, dass von dieser zahllosen Dichterschar uns nur wenige Namen aufbehalten worden sind; und auch diese werden meistens nur genannt als Kuriositaeten oder als gewesene Groessen: so der Redner Quintus Hortensius mit seinen “fuenfhunderttausend Zeilen” langweiliger Schluepfrigkeit und der etwas haeufiger erwaehnte Laevius, dessen ‘Liebesscherze’ nur durch ihre verwickelten Masse und manierierten Wendungen ein gewisses Interesse auf sich zogen. Nun gar das Kleinepos ‘Smyrna’ des Gaius Helvius Cinna (+ 710? 44), so sehr es von der Clique angepriesen ward, traegt sowohl in dem Stoff, der geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen Vater, wie in der neunjaehrigen darauf verwandten Muehsal die schlimmsten Kennzeichen der Zeit an sich. Eine originelle und erfreuliche Ausnahme machen allein diejenigen Dichter dieser Schule, die es verstanden, mit der Sauberkeit und der Formgewandtheit derselben den in dem republikanischen und namentlich dem landstaedtischen Leben noch vorhandenen volkstuemlichen Gehalt zu verbinden. Es galt dies, um von Laberius und Varro hier zu schweigen, namentlich von den drei schon oben erwaehnten Poeten der republikanischen Opposition Marcus Furius Bibaculus (652-691 102-63), Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48) und Quintus Valerius Catullus (667 bis ca. 700 87-54).