The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some (ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek words, nor is there any differentiation between the different accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
Theodor Mommsen
Roemische Geschichte
Drittes Buch
Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der griechischen Staaten
arduum res gestas scribere
arg beschwerlich ist es, Geschichte zu schreiben Sallust
1. Kapitel
Karthago
Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker der alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und die Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefuehl der Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. Ihre Heimat ist der schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit diesem Namen hat die Nation sich selber genannt – noch in der christlichen Zeit nannte der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber hiess Kanaan das “Purpurland” oder auch das “Land der roten Maenner”, Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder Punier pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo das ueberreiche oestliche Festland hinantritt an die weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche Mittellaendische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermoegen, haben die Phoeniker aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der Schiffahrt, Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher Zeit finden wir sie in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis oestlich zur malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, die Loewen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische Weihrauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch kaufen mag, und ueberall kommen sie herum, um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das Altertum die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die grossartigen und dauernden Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb des aramaeischen Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den Phoenikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen Nationen vor allen anderen eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten zugekommen sind, so hat doch weder die phoenikische Religion noch die phoenikische Wissenschaft und Kunst, soviel wir sehen, jemals unter den aramaeischen einen selbstaendigen Rang eingenommen. Die religioesen Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und unschoen, und ihr Gottesdienst schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu naehren als zu baendigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung phoenikischer Religion auf andere Voelker wird wenigstens in der geschichtlich klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur der italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterlaender der Kunst vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat der wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist Babylon oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte man zuerst dem Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die Laute der Sprache; hier begann der Mensch ueber Zeit und Raum und ueber die in der Natur wirkenden Kraefte zu denken; hierhin fuehren die aeltesten Spuren der Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der Masse und Gewichte. Die Phoeniker haben wohl von den kunstreichen und hoch entwickelten babylonischen Gewerken fuer ihre Industrie, von der Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass das Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des Menschengeistes ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht erweisen, und was durch sie von religioesen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen zukam, das haben sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat ausgestreut. Die Kraft die bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich beruehrten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im Eroberungsgebiet der Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und die keltischen Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu den indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich selber regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von Sidon und Tyros ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den Aegyptern untertan. Mit der halben Macht haetten hellenische Staedte sich unabhaengig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Maenner, berechnend, dass die Sperrung der Karawanenstrassen nach dem Osten oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher zu stehen komme als der schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. Und wie die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der kaufmaennischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in fernen Laendern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren Konkurrenten vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen und in den grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen will; es ist nie von den Phoenikern ein Versuch gemacht worden, Caere oder Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind die Phoeniker zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der aelteren Zeit offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen sizilischen Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage bei Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem Feldzug gegen die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen des Westens ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mussten schlagen lassen.
Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewaessern und mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese unter den Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch weniger Mangel an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefuehls; vielmehr haben die Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit, welche kein indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich zu sein duenkt, ihre Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefuehl, bei der treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste Wesen der Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es geluestete sie nicht nach der Herrschaft; “ruhig lebten sie”, sagt das Buch der Richter, “nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und im Besitz von Reichtum”. Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an der Suedkueste Spaniens und an der nordafrikanischen gegruendeten, in welche Gegenden weder der Arm des Grosskoenigs noch die gefaehrliche Rivalitaet der griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika die Indianer den Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen Staedten an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die “Neustadt”, Karthada oder, wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten Phoenikerstadt in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja die Heimat selbst durch die unvergleichlich guenstige Lage und die rege Taetigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas durchstroemt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhaeusern besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern bedeckten Anschwellung des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den besten Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und die Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische Ansiedlung daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch in der roemischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht guenstigen Verhaeltnissen und an einer weit weniger gut gewaehlten Stelle dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und gedeiht. Die agrikole, merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher Lage und mit solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt besessen hat. Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet auch in Karthago nicht verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an Beweisen. Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer den Boden, den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wueste die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem Angriff der oestlichen Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des Grosskoenigs wenn auch nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern. Aber bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik draengten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoeniker schon aus dem eigentlichen Griechenland und von Italien verdraengt hatte und eben sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das gleiche zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo standhalten, wenn sie nicht gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten, genuegte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der Griechen; es war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenaeer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich westwaerts der Wueste von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die phoenikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der maechtigen stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweite Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine veraenderte politische Stellung. Karthago war nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft ueber Libyen und ueber einen Teil des Mittelmeers, weil sie es musste. Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts der Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei den Karern weit aelter ist und vielleicht eben durch die Phoeniker emporkam. Durch das auslaendische Werbesystem ward der Krieg zu einer grossartigen Geldspekulation, die eben recht im Sinn des phoenikischen Wesens ist.
Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser auswaertigen Erfolge, welche die Karthager veranlasste, in Afrika von Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur Eroberung ueberzugehen. Erst um 300 Roms (450) scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten muessen. Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im grossen moeglich. Von jeher hatten die Phoeniker es sich angelegen sein lassen, ihre Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im grossen Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den reichen libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land – wir finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen. Man ging weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend – der Ackerbau scheint bei den Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der phoenikischen Ansiedlung, vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu sein – wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen karthagischen Heeres einem regelmaessigen Rekrutierungssystem unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen (nomades) an den Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den Karthagern erobert. Dies sind die “Staedte und Staemme (ethn/e/) der Untertanen”, die in den karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; jenes die unfreien libyschen Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden.
Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in Afrika oder die sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen sein koennen, da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher Kolonisten sesshaft gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste der heutigen Provinz Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen altphoenikischen Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) – die zweite Stadt der afrikanischen Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst), Gross-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie es gekommen ist, dass sich all diese Staedte unter karthagische Botmaessigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den Angriffen der Kyrenaeer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr nachzuweisen; sicher aber ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst in offiziellen Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten niederreissen muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. Indes waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen, sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis zum Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000 Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten ^1. Einzig Utica war, wohl weniger durch seine Macht als durch die Pietaet der Karthager gegen ihre alten Beschuetzer, dem gleichen Schicksal entgangen und hatte seine Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt; wie denn die Phoeniker fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der griechischen Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst im auswaertigen Verkehr sind es stets “Karthago und Utica”, die zusammen festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht ausschliesst, dass die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber Utica die Hegemonie behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines maechtigen nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen Wueste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflaechlicher Besetzung der Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem reicheren oestlichen, den heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das Binnenland beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische Zivilisation herrschte in Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien die griechische nach den Zuegen Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher Gewalt. An den Hoefen der Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen fuer ihre Sprache das phoenikische Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu phoenikisieren lag indes weder im Geiste der Nation noch in der Politik Karthagos. ———————————————- ^1 Die schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz einerseits zu den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen heissen: oi Karch /e/doni/o/n ?parch/e/ osoi tois aytois nomois chr/o/ntai. Sonst heissen sie auch Bundes- symmachides poleis Diod. 20, 10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; Iust. 22, 7, 3). Ihr Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das Commercium folgt aus den “gleichen Gesetzen”. Dass die altphoenikischen Kolonien zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die Bezeichnung Hippos als einer libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heisst es hinsichtlich der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum Beispiel im Periplus des Hanno: “Es beschlossen die Karthager, dass Hanno jenseits der Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der Libyphoeniker gruende”. Im wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker bei den Karthagern nicht eine nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es recht wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie denn in der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den Phoenikern haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. 42). Die Analogie im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den Latinern Roms und den Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar. ^2 Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines der zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint allerdings diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das phoenikische; aber es folgt daraus noch keineswegs, dass die Libyer die Schrift nicht von den Phoenikern, sondern von aelteren Einwanderern erhielten, so wenig als die teilweise aelteren Formen der italischen Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten. Vielmehr wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als die, in der die auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache geschrieben wurden. ————————————————- Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die Veraenderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen Durchfuehrung vermutlich das vierte und fuenfte Jahrhundert Roms ausgefuellt hat.
Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der grossen phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros, dessen Bluete teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die Drangsale von aussen, namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fuenften Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils ueber nach der gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker mit Rom in Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. Aber die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder gewaltig sich entwickelt.
In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker die uralte tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie westlich und oestlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die Kueste davon innehatten. Das Binnenland den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang und hatte Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. Es ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den tributpflichtigen Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phoeniker tatsaechlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern selbst in frueher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten Kaempfe gefuehrt wurden. Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen ausgebeutet ward. Waehrend die Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an dem Saum der Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen Punkten phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet. In Sizilien endlich war zwar die Strasse von Messana und die groessere oestliche Haelfte der Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende gefallen; allein den Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils die kleineren Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils die West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von Lilybaeon aus die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der Griechen gebrochen war, ein verhaeltnismaessig friedlicher Zustand hergestellt, den selbst die von den Persern veranlasste Heerfahrt der Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf die Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf die attische Expedition nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen bequemten sich, einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede auf ihr Gebiet.
Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug; allein noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Suedspaniens, der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an der spanischen Ostkueste als auf Korsika und in der Gegend der Syrten machten die Herren der nordafrikanischen Kueste ihre See zu einer geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die Phoeniker mit andern Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz der etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen Notbuendnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der grossen Entwuerfe des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus an, nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und zugleich ueber das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden auch die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen und ihrem ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios von Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und die Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von den Karthagern von Grund aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das Hellenentum hier zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestuetzt auf die fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Soeldner, die veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten Landschaften desto sicherer zu beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des Gebietes von Akragas bis an den Halykos unterwarf, galt den beiden um den Besitz der Insel ringenden Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; immer von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu verdraengen. Viermal – zur Zeit des aelteren Dionysios 360 (394), in der Timoleons 410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476 (278) – waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus und scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen die Syrakusaner unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die Afrikaner von der Insel zu verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich das Uebergewicht auf die Seite der Karthager, von denen regelmaessig der Angriff ausging und die, wenn sie auch nicht mit roemischer Stetigkeit ihr Ziel verfolgten, doch mit weit groesserer Planmaessigkeit und Energie den Angriff betrieben als die von Parteien zerrissene und abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder Condottiere die Beute ihnen entreissen wuerde; und vorlaeufig war wenigstens zur See der Kampf schon entschieden: Pyrrhos’ Versuch, die syrakusanische Flotte wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte. Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenueber zu monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein Zeitgenosse der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560 275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach Sardinien oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt es voellig ueberein, dass Karthago den roemischen Handelsschiffen die spanischen, sardinischen und libyschen Haefen durch den Vertrag vom Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des eigenen karthagischen saemtlich schloss.
Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschaefte stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jaehrlich von der Buergerschaft ernannten Koenigen und achtundzwanzig Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der Buergerschaft erwaehlt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die Staatsgeschaefte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein grosser stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden zu haben; hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des Feldherrn; Isokrates, Aristoteles’ aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebenen Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht beschraenken mussten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine den Roemern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des Feldherrn nicht, und es ist derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig unzweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich unterscheidet; doch war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den Karthagern ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint. Aber ueber der Gerusia und ueber den Beamten stand die Koerperschaft der Hundertvier-, kuerzer Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat hervorgegangen aus der aristokratischen Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben. Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der hoechsten Behoerde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies fuehrte ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die Bekleidung der Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch der Kandidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergaenzende Fuenfmaennerschaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich von Jahr zu Jahr gewaehlt wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja lebenslaenglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen gewoehnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar erkennt man das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen Buerger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunaechst waren sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die Verwaltungsbehoerden unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht ueber von der kontrollierten auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift sich leicht, teils dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie den Feldherrn in Rat und Tat laehmte.
Die karthagische Buergerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta ausdruecklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt, doch tatsaechlich dabei nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem Regel; bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es fuer gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt; die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen oligarchisch geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen “Stadtbuergern” und “Handarbeitern” wird erwaehnt, der auf eine sehr niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst. Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei einer Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden staedtischen Menge, anderseits aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern und vornehmen Voegten. Das System, die heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu Vermoegen zu bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die abhaengigen Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer verrotteten staedtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles bezeichnet es als die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben noch von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb fuehrerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie allen ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten imstande war und ward abgefunden mit den Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst von dem Herrentisch fuer sie abfielen. Eine demokratische Opposition konnte freilich bei solchem Regiment nicht mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen Krieges war dieselbe voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss der erlittenen Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und in weit rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei: die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung des Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, dass kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein koenne und damit die volle Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der Lage der Dinge allein Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt noch Zeit war. In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden, auf wie fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische Buergerschaft, die von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos, dass sie insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte gefragt werden, was da aus Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in Karthago, die Buben sie machen halfen.
In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des Peloponnesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten finanziell ueberlegen und werden ihre Einkuenfte denen des Grosskoenigs verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu betreiben und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die agronomische Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt, sondern auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet und den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der phoenikischen Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu erwerben, als man intensiv zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des Landes an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner Nomadenwirtschaft es nach Polybios’ Zeugnis vielleicht allen uebrigen Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren, wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss nach Karthago mittelbar die Grundrente “des besten Teils von Europa” und der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen Syrte, ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels aufbluehende Reederei und Fabrikation brachten schon im natuerlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansiedlern jaehrlich goldene Ernten, und es ist frueher schon bezeichnet worden, wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte Monopolisierung nicht bloss aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie spaeterhin in Rom, zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss bestimmt, aber nicht vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phoenikische Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln weggefuehrte Kunstschaetze und betraechtliche Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand hier im Dienste des Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte Werk des Mago und der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in einem der karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde fremder Sprachen ^3, worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem kaiserlichen Rom auf einer Linie gestanden haben mag, zeugt von der durchaus praktischen Richtung, welche der hellenischen Bildung in Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings unmoeglich ist, von der Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den oeffentlichen Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben vollstaendig deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben wurden; ja dass noch nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach dem Frieden der Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen sechsunddreissig Termine sich erbot. Aber es ist nicht bloss die Summe der Einkuenfte, in der sich die Ueberlegenheit der karthagischen Finanzwirtschaft ausspricht; auch die oekonomischen Grundsaetze einer spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von auslaendischen Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat eine Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe geloest als Karthago. ————————————
^3 Der Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17), lesen koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen ‘Poeners’ heisst es von dem Titelhelden:
Die Sprachen alle kann er, aber tut, als koenn’ Er keine – ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr mehr? ————————————-
Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker- und Kaufstaedte und lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus praktische Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe, nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom damals noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, und wenn die karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und Sklavenbesitzer waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse der Buergerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung war in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und dem Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugaenglich. In Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen Handelsstaedten eigene Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens aeusserlich noch altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren zueinander alle Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes Tafelgeschirr reiche aus fuer den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustaende.
Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die strenge Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit einem Griechen nur vermittels des oeffentlichen Dolmetschers zu verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das roemische Regierungssystem; aber gegen die grausame Haerte und die ans Alberne streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und verstaendig. Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich oeffnete und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen beruhte auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die Regierung und vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Misstrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er weder sicher sein, dass das Volk ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der roemischen Politik, die im Unglueck keinen Schritt zurueckwich und die Gunst des Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit und Halbheit; waehrend die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen Aufgaben ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen liessen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung, in Karthago haeufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und gedraengt, sich ihnen verfassungswidrig zu widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche Sache zu machen.
Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein Buergerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich Zugaenge zu demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich ab und liess den abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf dereinstige Gleichstellung. Rom goennte den stammverwandten Gemeinden Anteil an den Fruechten des Sieges, namentlich an den gewonnenen Domaenen, und suchte in den uebrigen untertaenigen Staaten durch materielle Beguenstigung der Vornehmen und Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago behielt nicht bloss fuer sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar den Staedten besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht einmal den unterworfenen Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Voegte ueberall hin und belastete selbst die altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, waehrend die unterworfenen Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und materiell sich verbessert haben wuerde; in dem roemisch-italischen nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen ein Regiment, das die materiellen Interessen sorgfaeltig schonte und die politische Opposition wenigstens nirgend durch aeusserste Massregeln zum Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt haette als zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, die phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das karthagische Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen kaufmaennischen Kalkuel dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung bewies, dass die roemische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstuecken, die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriss, sowie ein feindliches Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen. von Agathokles und von Regulus und ebenso im Soeldnerkrieg; von dem Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, dass die libyschen Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie gestatteten ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit dem Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere Syrakus in ihre Haende gefallen, so haette sich freilich dies bald geaendert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine ernstlich phoenikisch gesinnte Partei – wie denn zum Beispiel noch nach dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die Geschichte des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen ihren phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den Roemern die Samniten und Tarentiner.
Finanziell ueberstiegen die karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um vieles die roemischen; allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben, wenn man sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass die karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die roemische. Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die karthagische Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Koepfe mit Einschluss der Frauen und Kinder ^4 und mochte am Ende des fuenften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte im fuenften Jahrhundert im Notfall ein Buergerheer von 40 000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Buergerheer hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts unter gleichen Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die Zahl der waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr noch als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem Effektivstand des Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es sich angelegen sein liess, die Buerger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem Kriegswerk ueberwinden. Im fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren noch eine “heilige Schar” von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten der beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht mindere Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, indem die zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit Geld abkauften. In dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese nur zum Teil aus Libyphoenikern. Den Kern der karthagischen Armeen bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren Rekruten sich unter tuechtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden liess und deren leichte Reiterei in ihrer Art unuebertroffen war. Dazu kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhaengigen Voelkerschaften Libyens und Spaniens und die beruehmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene Soldateska. Ein solches Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede beliebige Staerke gebracht werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem roemischen sich zu messen; allein nicht bloss verstrich, wenn Soeldner angenommen werden mussten, ehe dieselben bereit standen, eine gefaehrlich lange Zeit, waehrend die roemische Miliz jeden Augenblick auszuruecken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, waehrend die karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vorteil, fanden sich die roemischen durch alles vereinigt, was sie an das gemeinsame Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages galten seine Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie heute im Krieg die Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum Sprichwort gewordene Ruf der “punischen Treue”, der den Karthagern nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Soeldnerheere ueber einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem Masse erfahren und mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefaehrlicher erfunden als seine Feinde. ————————————————— ^4 Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf den Raum die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet. Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich in einer Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu erinnern, dass die Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht staedtisch, ebenso wie die roemischen Zensuszahlen, und dass dabei also alle Karthager gezaehlt sind, mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder im untertaenigen Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich eine grosse Zahl in Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in Gades aus gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies als die der in Gades ansaessigen Buerger war.
———————————————- Die Maengel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt auf gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner ausstatten zu koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe wir die Karthager den Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die Elefanten, seit diese im Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt hatten; in den Kasematten Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300 Elefanten. Die abhaengigen Staedte zu befestigen, konnte man freilich nicht wagen und musste es geschehen lassen, dass jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die Staedte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette roemischer Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die Befestigung der Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete den Staat nichts als die Staerke der karthagischen Mauern, waehrend Rom politisch und militaerisch so gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die Kriegsmarine, auf die man die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der Fuehrung der Schiffe waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in der Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und die Kapitaene gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago entschieden den Roemern ueberlegen, die mit den wenigen Schiffen der verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht imstande waren, sich in der offenen See auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbestritten das westliche Meer beherrschte. Fassen wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen waren. Allein wir koennen nicht unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um kuenstliche Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen, aber dass es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel des fehlenden eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden Symmachie in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien, Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich nicht verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, sondern liessen sich herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab; dass selbst maechtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See schwaecheren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn finden, und waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der Krieg begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten, auch der hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste. 2. Kapitel
Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago Seit mehr als einem Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und den syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten ward der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem Karthago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig gewordenen Griechenstaedten; anderseits mit Soeldnerheeren, mit welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die phoenikischen Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die unterliegende Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) hatte Karthago sich beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia, Minoa und Himera und hatte ausdruecklich die Hegemonie der Syrakusier ueber saemtliche oestliche Staedte anerkannt. Pyrrhos’ Vertreibung aus Sizilien und Italien (479 275) liess die bei weitem groessere Haelfte der Insel und vor allem das wichtige Akragas in Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als Tauromenion und der Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der Ostkueste, in Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich festgesetzt und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von den Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. Das bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste Wesen (I, 368) hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien gemacht, was spaeter Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz fuer die soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von den kampanischen Griechen dort ins Leben gerufene Halbkultur, die barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua und den uebrigen kampanischen Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die roemische Hegemonie sie verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfuegung ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen – alles dies trieb die kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung an Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer Hut anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle, vorausgesetzt nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei, leuchtete diesen Kampanern nicht ein – hatten doch die Samniten in Capua selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise begruendet. Nirgend luden die politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein kampanischer Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode (465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten Teile der Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder vertrieben, die Frauen und Kinder und die Haeuser derselben unter die Soldaten verteilt und die neuen Herren der Stadt, die “Marsmaenner”, wie sie sich nannten, oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren nordoestlichen Teil sie in den wuesten Zeiten nach Agathokles’ Tode sich unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch welche die Syrakusier anstatt einer stammverwandten und in der Regel ihnen verbuendeten oder untertaenigen Stadt einen neuen und maechtigen Gegner in naechster Naehe erhielten; mit karthagischer Hilfe behaupteten die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der unzeitige Abzug des Koenigs gab ihnen ihre ganze Macht zurueck. Es ziemt der Historie weder, den treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den sie der Herrschaft sich bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der die Suende der Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der Geschichte ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag die Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier eine streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing, die schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die allmaehlich sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen entwoehnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit gegen die Auslaender mit eigenen Kraeften aufzunehmen. Zunaechst indes kam es anders. Ein junger syrakusanischer Offizier, der durch seine Abstammung aus dem Geschlechte Gelons und durch seine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig Pyrrhos ebenso sehr wie durch die Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke seiner Mitbuerger wie die der syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die Spitze des mit den Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten Despotenunfugs gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen Griechen. Er entledigte sich, freilich auf treulose Weise, des unbotmaessigen Soeldnerheeres, regenerierte die Buergermiliz und versuchte, anfangs mit dem Titel als Feldherr, spaeter als Koenig, mit den Buergertruppen und frischen und lenksameren Geworbenen die tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern, die im Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos von der Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor kurzem ausgerotteten Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte, die Schmaelerer des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde mit den Roemern, die eben um diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch einen grossen Sieg, nach welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen ward (484 270), gelang es, die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und nachdem die Belagerung einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich aufs aeusserste gebracht und ausserstande, die Stadt gegen Hieron laenger mit eigenen Kraeften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf Bedingungen nicht moeglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen Kampaner in Rom getroffen hatte, ebenso sicher in Syrakus der messanischen wartete, leuchtete ein; die einzige Rettung war die Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder an die Roemer, denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung des wichtigen Platzes, um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu ergeben, war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich endlich die Majoritaet der kampanischen Buergerschaft, den Besitz der meerbeherrschenden Festung den Roemern anzutragen. Es war ein weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen; aber dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und wichtigere Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher vom Senat gefassten Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter der Stadt offenbar sein. Streng rechtliche Maenner freilich mochten fragen, wie es moeglich sei, ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran denken koenne, nicht bloss das Buendnis mit Hieron zu brechen, sondern, nachdem eben erst die rheginischen Kampaner mit gerechter Haerte von den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre nicht weniger schuldigen sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur Freundschaft von Staats wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu entziehen. Man gab damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu Deklamationen liefern, sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren musste. Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, wie man roemische Buerger, die den Fahneneid gebrochen und roemische Bundesgenossen hinterlistig gemordet hatten, gleichstellen koenne mit Fremden, die gegen Fremde gefrevelt haetten, wo jenen zu Richtern, diesen zu Raechern die Roemer niemand bestellt habe. Haette es sich nur darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens; schwerlich gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und zu halten wuenschte – so die Karthager Tarent, die Roemer Syrakus und Messana – und dass sie, als dies unmoeglich geworden war, die Grenzplaetze lieber sich goennten als der anderen Grossmacht. Wie Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion und Tarent von den Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte fuer sich zu gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht erwarten, dass die Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch ward, sondern man warf sie selbst den Phoenikern in die Arme. War es gerechtfertigt, die Gelegenheit entschluepfen zu lassen, die sicher so nicht wiederkehrte, sich des natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien und Sizilien zu bemaechtigen und ihn durch eine tapfere und aus guten Gruenden zuverlaessige Besatzung zu sichern? gerechtfertigt, mit dem Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den letzten freien Pass zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago fuehren musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war, Rom hatte ihn nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit dem Ueberschreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen und rein kontinentalen Politik; man gab das System auf, durch welches die Vaeter Roms Groesse gegruendet hatten, um ein anderes zu erwaehlen, dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand vermochte. Es war einer der Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der Glaube an den eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut gibt, die Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu folgen, es weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den Antrag der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam zu keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche die Sache verwiesen ward, lebte das frische Gefuehl der durch eigene Kraft gegruendeten Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Roemern, wie die Griechenlands den Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen, den Mut, eine neue politische Bahn zu betreten; formell motiviert war die Unterstuetzung der Mamertiner durch die Schutzherrschaft, die Rom ueber saemtliche Italiker ansprach. Die ueberseeischen Italiker wurden in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen ^1 und auf Antrag der Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu senden (489 265). ——————————————— ^1 Die Mamertiner traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die italischen Gemeinden, verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19, 50) und besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht. ——————————————— Es kam darauf an, wie die beiden durch diese Intervention der Roemer in die Angelegenheiten der Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach mit Rom verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen ihre neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen, ebenso zu behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall die Besetzung von Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern mit einer Kriegserklaerung zu antworten; blieb er indes allein, so war ein solcher Krieg eine Torheit und von seiner vorsichtigen und gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er in das Unvermeidliche sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt. Unmoeglich schien dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 265), sieben Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu verlangen; die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden tauchten auf einmal wieder auf – es schien nicht ueberfluessig, unter anderen Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit Kriegsgruenden zu fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich, wie die Roemer es pflegten, die Rolle des angegriffenen Teils zu reservieren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte sagen, dass die beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der Absicht und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur der zufaellige Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen Bruch. Die Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst den erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen Gegenbeschuldigungen, die natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt gehalten und unterliessen es, die beabsichtigte Invasion Siziliens als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es indes; denn wie Rom die italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen Angelegenheiten als innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff gestatten kann, und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die phoenikische Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung war. Als die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen Partei in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und den Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben sei und dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg karthagische Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals Hanno. Die jetzt vom karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische Buergerschaft liess, unter verbindlichem Dank fuer die schleunig gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen Befehlshabern anzeigen, dass man sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. Der gewandte und verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen die roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf; doch sandte der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle, keine Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten Freunden jenseits der Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als haetten die Roemer vor Messana sich ebenso nutzlos kompromittiert wie die Karthager vor Tarent. Aber Claudius liess sich nicht abschrecken, und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. Kaum angelangt, berief er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen Wunsch erschien in derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer waehnend, den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie die schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der Burg waren kleinmuetig genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum Abzug zu geben, diese, dem Befehl des gefangenen Feldherrn nachzukommen und mit ihm die Stadt zu raeumen. So war der Brueckenkopf der Insel in den Haenden der Roemer.
Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber die Torheit und Schwaeche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und erklaerten den Roemern den Krieg. Vor allem galt es, den verlorenen Platz wiederzugewinnen. Eine starke karthagische Flotte, gefuehrt von Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe von Messana. Waehrend sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans Land gesetzte karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der nur auf das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen Messana und uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt. Allein mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex mit dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang die Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck waren mit den Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff des gesamten roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den aus der Stadt ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen und damit die Belagerung aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das roemische Heer das Feld und machte sogar einen Versuch auf Syrakus; allein nachdem dieser gescheitert war und auch die Belagerung von Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago) mit Verlust hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck nach Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer moegen daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul nicht triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in Sizilien nicht verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck zu machen. Im folgenden Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so starkes Heer ungehindert die Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius Maximus, seitdem von diesem Feldzug “der von Messana” (Messalla) genannt, erfocht einen glaenzenden Sieg ueber die verbuendeten Karthager und Syrakusaner; und als nach dieser Schlacht das phoenikische Heer nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten wagte, da fielen nicht bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren griechischen Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die karthagische Partei und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263). Er folgte einer richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass es den Roemern mit dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort ihnen anschloss, als es noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und Opfer zu erkaufen. Die sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, die eine eigene Politik nicht durchfuehren konnten und nur zwischen roemischer und karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten jedenfalls die erstere vorziehen, da die Roemer damals sehr wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer sich zu erobern beabsichtigten, sondern nur sie nicht von Karthago erobern zu lassen, und auf alle Faelle anstatt des karthagischen Tyrannisier- und Monopolisiersystems von Rom eine leidlichere Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu erwarten war. Hieron blieb seitdem der wichtigste, standhafteste und geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der Insel.
Fuer die Roemer war hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das Doppelbuendnis mit Messana und Syrakus und den festen Besitz der ganzen Ostkueste war die Landung auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige Unterhaltung der Heere gesichert und verlor der bisher bedenkliche und unberechenbare Krieg einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte denn auch fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste Jahr (492 262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im Einverstaendnis mit den sizilischen Griechen die Karthager ueberall in die Festungen zurueckzutreiben. Der Oberbefehlshaber der Karthager, Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern seiner Truppen sich in Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs aeusserste zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel am Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei Herakleia und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die Zufuhr ab. Auf beiden Seiten war die Not gross; man entschloss sich endlich zu einer Schlacht, um aus den Bedraengnissen und der Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte sich die numidische Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der phoenikischen Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den Sieg, allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach der Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der belagerten Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu erreichen; dennoch war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in die Haende der Roemer und damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit Ausnahme der Seefestungen, in denen der karthagische Feldherr Hamilkar, Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich bis an die Zaehne verschanzte und weder durch Gewalt noch durch Hunger zu vertreiben war. Der Krieg spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der Karthager aus den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den italischen Kuesten.
In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen Schwierigkeiten des Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie erzaehlt wird, vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Roemer warnten, es nicht bis zum Bruche zu treiben, denn wider ihren Willen koenne kein Roemer auch nur die Haende sich im Meer waschen, so war diese Drohung wohl begruendet. Die karthagische Flotte beherrschte ohne Nebenbuhler die See und hielt nicht bloss die sizilischen Kuestenstaedte im Gehorsam und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte auch Italien mit einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine konsularische Armee hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren Invasion kam es nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen an den italischen Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und, was schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner Bundesgenossen war voellig gelaehmt; es brauchte nicht lange so fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die Karthager ueber die Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren jetzt, was Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso leicht war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte zu schaffen und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert Fuenfdeckern herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen Beschlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende Darstellung, die glauben machen moechte, als haetten damals zuerst die Roemer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase; Italiens Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein, und auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in frueherer Zeit ueblich gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, besonders von Karthago ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich in der Linie verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die Massregel der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein Seestaat von Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen; und eben wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff zum Muster nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren Schiffsbaumeistern eine gestrandete karthagische Pentere als Modell. Ohne Zweifel haetten die Roemer, wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der Syrakusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen koennen; allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um Italien durch eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die Schiffsoffiziere, die man groesstenteils aus der italischen Handelsmarine genommen haben wird, als fuer die Matrosen, deren Name (socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden spaeter Sklaven, die der Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald auch die aermere Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und wenn man teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des Schiffsbaus, teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert ist, eine Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines Jahres loesten und ihre Flotte von hundertundzwanzig Segeln in der Tat im Fruehjahr 494 (260) vom Stapel lief. Freilich kam dieselbe der karthagischen an Zahl und Segeltuechtigkeit keineswegs gleich; und es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die Seetaktik dieser Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass Schwergeruestete und Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen von demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht dieser Zeit; allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand im Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vorderteile mit schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die kaempfenden Schiffe pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss gelang, der gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter der Bemannung eines gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa zehn Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes Deck; die des Fuenfdeckers zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten nach Verhaeltnis. Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was den roemischen Schiffen bei ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und Rudermannschaften an Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste, dadurch zu ersetzen, dass man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle zuteilte. Man brachte auf dem Vorderteil des Schiffes eine fliegende Bruecke an, welche nach vorn wie nach beiden Seiten hin niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. Wenn das feindliche Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder, nachdem der Stoss vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke auf dessen Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein; wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den roemischen Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das feindliche Verdeck hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu erstuermen. Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach Beduerfnis die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in einer grossen Seeschlacht, wo freilich die roemische Flotte zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den einzelnen Schiffen fechten. So schufen sich die Roemer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen war. Diejenigen irren, die aus dem roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen machen, und verfehlen ueberdies ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern. Der Flottenbau der Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit, durch Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer Lage gerissen ward, die uebler war, als sie zunaechst schien. Der Anfang indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der Konsul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine Abteilung der bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Eskadre mit dem Konsul ohne Kampf gefangen. Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht ab, sowie die Vorbereitungen beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter Segel zu gehen. Auf der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein schwaecheres karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck hatte, einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen, und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der zweite Konsul Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen Kollegen uebernahm. An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von Messana, traf die karthagische Flotte, die unter Hannibal von Panormos herankam, auf die roemische, welche hier ihre erste groessere Probe bestand. Die Karthager, in den schlecht segelnden und unbehilflichen roemischen Schiffen eine leichte Beute erblickend, stuerzten sich in aufgeloester Linie auf dieselben; aber die neu erfundenen Enterbruecken bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe fesselten und stuermten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf das feindliche Verdeck. Als die Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig karthagische Schiffe, fast die Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder genommen, unter den letzteren das Admiralsschiff Hannibals, einst das des Koenigs Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch groesser der moralische Eindruck. Rom war ploetzlich eine Seemacht geworden und hatte das Mittel in der Hand, den Krieg, der endlos sich hinauszuspinnen und dem italischen Handel den Ruin zu drohen schien, energisch zu Ende zu fuehren. Es gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung dieser Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht genuegte, der zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder man konnte die Inseln vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht auf Afrika werfen, nicht in Agathokles’ abenteuernder Art die Schiffe hinter sich verbrennend und alles setzend auf den Sieg eines verzweifelten Haufens, sondern durch eine starke Flotte die Verbindungen der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien deckend; in diesem Falle liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde nach den ersten Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte, mit aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen. Man waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht von Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria auf Korsika – wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser Tat gedenkt – und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien. Ein Versuch, sich auf der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen, misslang, da es der Flotte an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre (496 258) ward er zwar mit besserem Erfolg wiederholt und die offenen Flecken an der Kueste gepluendert; aber zu einer bleibenden Festsetzung der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam man in Sizilien vorwaerts. Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg nicht bloss mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich einige von den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder entrissen werden, und in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager sich unangefochten, namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in ihrem neuen Waffenplatz Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung wegen Hamilkar die Bewohner des Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites grosses Seetreffen am Tyndarischen Vorgebirg (497 257), in dem beide Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte nichts an der Lage der Dinge. In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun an dem geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der roemischen Truppen liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe kleinerer Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall nach dem damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer ueberhaupt (I, 426) und ganz besonders fuer die noch im Anfang der wissenschaftlichen Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig stellten. Mittlerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der italischen Kuesten aufgehoert hatte, doch der italische Handel nicht viel weniger als vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges der Operationen und ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der Senat, das System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr 498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen unter der Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius Manlius Volso, beides erprobte Generale. Der karthagische Admiral liess es geschehen, dass die feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf der weiteren Fahrt nach Afrika fanden die Roemer die feindliche Flotte auf der Hoehe von Eknomos in Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat vor der Invasion zu decken. Nicht leicht haben groessere Massen zur See gefochten als in dieser Schlacht gegeneinander standen. Die roemische Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens 100000 Mann an Schiffsbemannung ausser der etwa 40000 Mann starken Landungsarmee; die karthagische von 350 Schiffen trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so dass gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage aufgeboten waren, um zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu entscheiden. Die Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich ins Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze, in schraeger Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport der Reiterei gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in der Linie, die das Dreieck schloss. Also segelten sie dichtgeschlossen auf den Feind. Langsamer folgte ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der keilfoermige Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das zunaechst angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die Schlacht loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen Zentrum nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der linke, an der Kueste aufgestellte Fluegel der Karthager auf das dritte roemische Geschwader ein, welches durch die Schleppschiffe gehindert ward, den beiden vorderen zu folgen, und draengte dasselbe in heftigem und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer; gleichzeitig wurde die roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel auf der hohen See umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei Treffen war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens, offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie fechtenden roemischen Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile hatten die beiden anderen Abteilungen der Roemer einen harten Stand gegen den ueberlegenen Feind; allein im Nahgefecht kamen die gefuerchteten Enterbruecken ihnen zustatten, und mit deren Hilfe gelang es, sich so lange zu halten, bis die beiden Admirale mit ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch erhielt die roemische Reserve Luft, und die karthagischen Schiffe des rechten Fluegels suchten vor der Uebermacht das Weite. Nun, nachdem auch dieser Kampf zum Vorteil der Roemer entschieden, fielen alle noch seefaehigen roemischen Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil verfolgenden karthagischen linken Fluegel in den Ruecken, so dass dieser umzingelt und fast alle Schiffe desselben genommen wurden. Der uebrige Verlust war ungefaehr gleich. Von der roemischen Flotte waren 24 Segel versenkt, von der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die karthagische Flotte gab trotz des betraechtlichen Verlustes es nicht auf, Afrika zu decken und ging zu diesem Ende zurueck an den Golf von Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine zweite Schlacht zu liefern gedachte. Allein die Roemer landeten statt an der westlichen Seite der Halbinsel, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden Schutz bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf einem schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine vortreffliche Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie die Truppen aus und setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war ein verschanztes Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte seine Operationen beginnen. Die roemischen Truppen durchstreiften und brandschatzten das Land; bis 20000 Sklaven konnten nach Rom gefuehrt werden. Durch die ungeheuersten Gluecksfaelle war der kuehne Plan auf den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man schien am Ziele zu stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten, beweist der Beschluss des Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte der Armee nach Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika mit 40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die Zuversicht nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt sich in die Ebene nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den waldigen Defileen, in denen sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei und die Elefanten nicht verwenden konnte. Die Staedte ergaben sich in Masse, die Numidier standen auf und ueberschwemmten weithin das offene Land. Regulus konnte hoffen, den naechsten Feldzug zu beginnen mit der Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht bei derselben, in Tunes sein Winterlager aufschlug. Der Karthager Mut war gebrochen; sie baten um Frieden. Allein die Bedingungen, die der Konsul stellte: nicht bloss Abtretung von Sizilien und Sardinien, sondern Eingehung eines ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die Karthager verpflichtet haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu den roemischen Kriegen Schiffe zu stellen – diese Bedingungen, welche Karthago mit Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische Flotte auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die gewaltige Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch den tief gesunkenen, bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig aufzuflammen pflegt, diese Energie der hoechsten Not trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen Krieg gegen die Roemer so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit der Elite der sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager fuehrten ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise zu und ebenso zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organisierungstalent und strategische Einsicht seinen neuen Dienstherren von grossem Nutzen war ^2. Waehrend also im Lauf des Winters die Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei Tunes. Mochte er nicht ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt zusammenzog, oder mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was seine Lage erheischte – statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch nicht imstande war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern der feindlichen Hauptstadt stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem Schiffslager zu sichern versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch Verhandlungen mit den aufstaendischen Staemmen der Numidier so leicht zu erreichen war, eine gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich und sein Heer also in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem verzweifelten Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499 255), hatten sich die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager es waren, die zuerst ins Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht anboten; natuerlich, denn es lag alles daran, mit dem Heer des Regulus fertig zu werden, ehe von Italien Verstaerkung kommen konnte. Aus demselben Grunde haetten die Roemer zoegern sollen; allein im Vertrauen auf ihre Unueberwindlichkeit im offenen Felde nahmen sie sofort die Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke – denn obwohl die Zahl des Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war, gaben doch den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes Uebergewicht – und trotz des unguenstigen Terrains – die Karthager hatten sich auf einem weiten Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, aufgestellt. Xanthippos, der an diesem Tage die Karthager kommandierte, warf zunaechst seine Reiterei auf die feindliche, die wie gewoehnlich auf den beiden Fluegeln der Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen Schwadronen zerstoben im Nu vor den feindlichen Kavalleriemassen und das roemische Fussvolk sah sich von demselben ueberfluegelt und umschwaermt. Die Legionen, hierdurch nicht erschuettert, gingen zum Angriff vor gegen die feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung vor derselben aufgestellte Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum der Roemer hemmte, fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den Elefanten vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss die roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den Seiten und im Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar ins Viereck und verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden doch die geschlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche linke Fluegel traf auf das noch frische karthagische Zentrum, wo die libysche Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der feindlichen Reiterei ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen gefochten hatte; nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang zersprengten leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die roemischen Legionen sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not Clupea zu erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der spaeter in Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm an zwei edlen karthagischen Gefangenen die empoerendste Rache, bis es selbst die Sklaven erbarmte und auf deren Anzeige die Tribune der Schaendlichkeit steuerten ^3. —————————————— ^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos’ militaerisches Talent Karthago gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu lernen, dass die leichte afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der Ebene verwandt werde als in Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen, dem Echo der griechischen Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios nicht frei. Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht in aegyptische Dienste. ^3 Weiter ist ueber Regulus’ Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), bald 513 (241) gesetzt wird, ist sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der Vorfahren nur nach Stoffen suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp des ungluecklichen wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten und schlichten Geschichte.
————————————————— Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. Eine roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem schoenen Sieg am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe einbuessten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit, um die dort verschanzten Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer Bedraengnis zu befreien. Waere sie gesandt worden, ehe die Katastrophe eintrat, so haette sie die Niederlage in einen Sieg verwandeln moegen, der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein Ende gemacht haben wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den Kopf verloren, dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der Landung in Afrika sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen afrikanischen Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager versaeumten die Gelegenheit nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und den Untertanen die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten Silber (1740000 Taler) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen abgefallenen Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen – es sollen ihrer dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der karthagischen Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der Revolution, welche einige Jahre spaeter in Afrika ausbrach. Endlich, als wollte wie frueher das Glueck, so jetzt das Unglueck den Roemern das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt der Flotte in einem schweren Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit der Mannschaft zugrunde; nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die Kapitaene hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten roemischen Admirale die Fahrt einmal also befohlen.
Nach so ungeheuren Erfolgen konnten die Karthager die lange eingestellte Offensive wiederum ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit einem starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse – es waren ihrer 140 – in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld zu halten; die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den Mangel eines guten Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen zu ersetzen. Auch die Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: die Vernichtung des Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung von Clupea beweist, im roemischen Senat sofort wieder der Partei die Oberhand gegeben, die den afrikanischen Krieg nicht wollte und sich begnuegte, die Inseln allmaehlich zu unterwerfen. Allein auch hierzu bedurfte man einer Flotte; und da diejenige zerstoert war, mit der man bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen Vorgebirge gesiegt hatte, baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen Kriegsschiffen wurde auf einmal der Kiel gelegt – nie hatte man bisher gleichzeitig so viele zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen Zeit von drei Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254) erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe zaehlend, an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen Angriff von der Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen Siziliens, Panormos, erobert, und ebenso fielen hier die kleineren Plaetze Solus, Kephaloedion, Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass am ganzen noerdlichen Gestade der Insel nur noch Thermae den Karthagern verblieb. Panormos ward seitdem eine der Hauptstationen der Roemer auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes; die beiden Armeen standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die roemischen Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten. Im folgenden Jahre (501 253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren Vorteile in Sizilien zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht um zu landen, sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie damit zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen und mit Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen Sizilien und Italien ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; auch diesmal hatten die Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, den Weg laengs der Kueste zu waehlen, auf Befehl der Konsuln von Panormos gerades Weges durch das offene Meer nach Ostia zu steuern muessen.
Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, die Kriegsflotte abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die Kuestenverteidigung und die Geleitung der Transporte zu beschraenken. Zum Glueck nahm eben jetzt der stockende Landkrieg auf Sizilien eine guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 (252) Thermae, der letzte Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, und die wichtige Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht im Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503 251). Die unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben aufgestellten leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils in den Graben hinab, teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder Verwirrung mit den Elefanten zugleich sich zum Strande draengten, um von den phoenikischen Schiffen aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden gefangen, und das karthagische Heer, dessen Staerke auf den Tieren beruhte, musste sich wiederum in die Festungen einschliessen. Es blieb, nachdem auch noch der Eryx den Roemern in die Haende gefallen war (505 249), auf der Insel den Karthagern nichts mehr als Drepana und Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden an; allein der Sieg des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und beschlossen, die Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft anzugreifen und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu lassen. Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte, die Rom unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte kennt, wurde von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer Flotte gelang es, sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe von der Seeseite zu blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren, vermochten die Belagerer nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden und trotz der sorgfaeltigsten Bewachung unterhielten gewandte und der Untiefen und Fahrwaesser genau kundige Schnellsegler eine regelmaessige Verbindung zwischen den Belagerten in der Stadt und der karthagischen Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit glueckte es einem karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen einzufahren, Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt zu werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher war die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die Maschinen wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien sechs Mauertuerme eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein der tuechtige karthagische Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff ab, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der Besatzung ein Einverstaendnis anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt. Ja es gelang den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke gemachter Ausfall abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht die roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser und zu Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf Erfolg sehr fern, solange man nicht imstande war, den feindlichen Schiffen den Zugang gaenzlich zu verlegen; und einen nicht viel leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden und das die Seuchen, die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu dezimieren begannen. Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig genug, um geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit der Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu gering; es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan zu aendern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen Blockadegeschwader, das Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, fuhr er um Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische Admiral Atarbas. Obwohl ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die roemischen Schiffe in den nach Sueden sichelfoermig sich oeffnenden Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich ausserhalb desselben in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als die vordersten Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und sich gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber dieser rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung und musste die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils von der feindlichen um fuenf Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach, die Schiffe wieder aus dem Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils so dicht an die Kueste gedraengt war, dass seine Fahrzeuge weder zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich untereinander zu Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, ehe sie begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass sie fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, indem er zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei Viertel der Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an Bord, fielen den Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse Seesieg, den die Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon war der Tat nach von der Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer der roemischen Flotte in ihre fruehere Stellung zurueckkehrten, so war diese doch jetzt viel zu schwach, um den nie ganz geschlossenen Hafen ernstlich zu versperren, und konnte vor dem Angriff der karthagischen Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des Landheers. Die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft leichtsinnigen Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und aufreibenden Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut noch an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius Pullus, der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon bestimmten Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte laengs der suedlichen Kueste der Insel mit der zweiten roemischen Flotte von 120 Kriegsschiffen zu geleiten, beging, statt seine Schiffe zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten Transport allein abgehen zu lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen. Als der karthagische Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen Schiffen die roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon Nachricht erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die beiden roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab und zwang sie, an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina in zwei Nothaefen sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden freilich von den Roemern tapfer zurueckgewiesen mit Hilfe der hier wie ueberall an der Kueste schon seit laengerer Zeit errichteten Strandbatterien; allein da an Vereinigung und Fortsetzung der Fahrt fuer die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die Vollendung seines Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm vernichtete denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit seinen unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die Mannschaft und die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu retten (505 249). Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun ins sechzehnte Jahr, und von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter ab zu sein als im ersten. Vier grosse Flotten waren in diesem Kriege zugrunde gegangen, drei davon mit roemischen Heeren an Bord; ein viertes ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in Libyen vernichtet, ungerechnet die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur See, die in Sizilien die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die Seuchen gefordert hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist daraus zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) um etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und daneben der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer traf, noch nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse ist es nicht moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der unmittelbare Schaden an Schiffen und Material als der mittelbare durch die Laehmung des Handels muessen ungeheuer gewesen sein. Allein schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel, durch die man den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte eine Landung in Afrika mit frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und war gaenzlich gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden gewaltigen Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als je zuvor. Was sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt gewissermassen Recht. Die Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die Sachen eben gehen, wie sie gehen mochten, wohl wissend, dass ein ziel- und endlos sich hinspinnender Krieg fuer Italien verderblicher war als die Anstrengung des letzten Mannes und des letzten Silberstuecks, aber ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem Glueck, um zu den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen bereit waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung. Der Landkrieg ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht anders konnte; allein man begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu beobachten, und was man besass, notduerftig zu behaupten, was dennoch, seit die Flotte fehlte, ein sehr zahlreiches Heer und aeusserst kostspielige Anstalten erforderte. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner zu demuetigen imstande war. Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte gefuehlt ward, versteht sich; indes wie die Sachen standen, konnten die phoenikischen Finanzen unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den Krieg, der ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung war eben nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein leichter und sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh, der roemischen Flotte los zu sein, liess man toericht auch die eigene verfallen und fing an, nach dem Beispiel der Feinde sich zu Lande und zur See auf den kleinen Krieg in und um Sizilien zu beschraenken.
So folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten, welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos auch fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und handelte anders als seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas, das ist der Blitz, ein junger, vielversprechender Offizier, uebernahm im Jahre 507 (247) den Oberbefehl in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee wie in jeder karthagischen an einer zuverlaessigen und kriegsgeuebten Infanterie; und die Regierung, obwohl sie vielleicht eine solche zu schaffen imstande und auf jeden Fall es zu versuchen verpflichtet gewesen waere, begnuegte sich, den Niederlagen zuzusehen und hoechstens die geschlagenen Feldherren ans Kreuz heften zu lassen. Hamilkar beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl, dass seinen Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von seiner Regierung nicht phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das Vaterland auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt, dass es nichts koste. Allein er kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag seinen Soeldnern freilich nichts; aber der echte Feldherr vermag es, den Soldaten an die Stelle des Vaterlandes seine eigene Persoenlichkeit zu setzen, und ein solcher war der junge General. Nachdem er die Seinigen im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon gewoehnt hatte, dem Legionaer ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land beherrscht, sich mit seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren Frauen und Kindern sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend phoenikische Kaper die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So ernaehrte er seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu begehren, und bedrohte, mit Drepana die Verbindung zur See unterhaltend, das wichtige Panormos in naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht bloss vermochten die Roemer nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben, sondern nachdem an der Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf sich Hamilkar eine zweite aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der auf der halben Hoehe die gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel der Aphrodite trug, hatten bis dahin die Roemer in Haenden gehabt und von da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar nahm die Stadt weg und belagerte das Heiligtum, waehrend die Roemer von der Ebene her ihn ihrerseits blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen Posten des Tempels gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen Heer, ein schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich nicht wieder aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und der Besatzung von Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der sizilische Krieg schien eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer zu nehmen. Der roemische Staat kam in demselben um sein Geld und seine Soldaten und die roemischen Feldherren um ihr Ansehen: es war schon klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General gewachsen war, und die Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische Soeldner sich dreist wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener zeigten sich die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste – schon hatte gegen eine dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausruecken muessen. Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus mit der Flotte, was spaeter auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm. Indes der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich eine Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein Ende zu machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den Mut der Nation gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in Geschwader zusammengetan, Hippo an der afrikanischen Kueste niedergebrannt, den Karthagern vor Panormos ein glueckliches Seegefecht geliefert. Durch Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer den Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften abgaben und die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als dies bisher bei dem Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass eine Anzahl Buerger im dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000 Matrosen freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in den Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius Lutatius Catulus, dem die Ehre zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See zu fuehren, fand dort kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen Hamilkar seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht, und fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon und Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch begonnen ward. Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die beiden Festungen, schwach verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. Man ruestete daheim an einer Flotte, aber so eilig man tat, ging das Jahr zu Ende, ohne dass in Sizilien karthagische Segel sich gezeigt haetten; und als endlich im Fruehjahr 513 (241) die zusammengerafften Schiffe auf der Hoehe von Drepana erschienen, war es doch mehr eine Transport- als eine schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die Phoeniker hatten gehofft, ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die fuer ein Seegefecht erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; allein die roemischen Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, da sie von der heiligen Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollten, bei der kleinen Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10. Maerz 513 241). Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische Flotte, gut gebaut und bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul Catulus noch an das Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius Valerius Falto vortrefflich gefuehrt, warf im ersten Augenblick die schwer beladenen, schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde; fuenfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten fuhren die Sieger ein in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der roemischen Patrioten hatte Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit ihm den Frieden. Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, was die Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen Feldherrn unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar, der, seine siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet sah, fuegte hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder seine Soldatenehre noch sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben. Sizilien freilich war nicht zu halten, seit die Roemer die See beherrschten, und dass die karthagische Regierung, die ihre leere Kasse vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten zu fuellen versucht hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die roemische Flotte zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die Insel auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass Rom sich verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit der roemischen Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen untertaenigen und abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten oder Krieg zu beginnen oder in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was die Nebenbedingungen anlangt, so verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der roemischen Gefangenen und die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst; dagegen die Forderung des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen Ueberlaeufer ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den Phoenikern freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von 18 Denaren (4 Taler) fuer den Mann.
—————————————————– ^4 Dass die Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das Gebiet der roemischen Symmachie – also auch nicht nach Syrakus, vielleicht selbst nicht nach Massalia – zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich genug; allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3, 27). —————————————————– Wenn den Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert erschien, so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es kann sein, dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch den Frieden zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen Gang des Krieges, die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung, wie er zuletzt den Sieg entschieden hatte, sich nicht gebieten noch wiederholen laesst, vielleicht selbst Hamilkars Persoenlichkeit mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher Nachgiebigkeit zu bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem Friedensentwurf unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter dem Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt hatten, anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies geschah, wissen wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob die Opponenten den Frieden nur verwarfen, um dem Feinde noch einige Konzessionen mehr abzudringen, oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus von Karthago den Verzicht auf die politische Unabhaengigkeit gefordert hatte, und entschlossen waren, den Krieg fortzufuehren, bis man an diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden handelte, sondern um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne, so war sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an Nebenzwecke zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende Partei in der vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das einzige fuer die roemische Gemeinde genuegende Ende des Kampfes erblickte, so zeigte sie politischen Takt und Ahnung der kommenden Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um den Zug des Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war, um nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn zu beantworten jetzt niemand wagen kann.
Schliesslich uebertrug man die Erledigung der wichtigen Frage einer Kommission, die in Sizilien an Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestaetigte im wesentlichen den Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von Karthago zu zahlende Summe erhoeht auf 3200 Talente (5´ Mill. Taler), davon ein Drittel gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der Abtretung von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und Sizilien in den definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin nur eine redaktionelle Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, wenn es Sizilien hingab, sich die laengst von der roemischen Flotte besetzte Insel Lipara nicht konnte vorbehalten wollen, versteht sich von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf Sardinien und Korsika absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag gesetzt habe, ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht. So war man endlich einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen Nation stieg herab von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen Herren der Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern alle Stuerme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte Frieden (513 241).
Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, welcher die roemische Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die Halbinsel einfasst. Es ist einer der laengsten und schwersten, welchen die Roemer gefuehrt haben; die Soldaten, welche die entscheidende Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum guten Teil noch nicht geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente, die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Roemer militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher gefuehrt haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines Wechsels der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der roemische Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich organisiert fuer die rein italische Politik. Die Kriege, welche diese hervorrief, waren reine Kontinentalkriege und ruhten stets auf der in der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen Festungskette. Die Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Maersche und Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die Schlachten; der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen der blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass eine Ratsversammlung diese Operationen zu dirigieren und wer eben Buergermeister war, die Truppen zu befehligen imstande war. Auf einen Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus in unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdteils hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle war dem Feinde eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, an der die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem Landheer und mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen und, was schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die wahren Angriffs- und Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu vereinigen und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu berechnen und ineinanderzupassen; geschah dies nicht, so konnte auch der taktisch weit schwaechere Feind leicht den staerkeren Gegner besiegen. Ist es ein Wunder, dass die Zuegel eines solchen Regiments der Ratversammlung und den kommandierenden Buergermeistern entschluepften? Offenbar wusste man beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im Laufe des Kampfes draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine nach der anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die vollstaendige Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab durch Energie und durch Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch diese gewaltige Schoepfung war ein grossartiger Notbehelf und ist es zu allen Zeiten geblieben. Man bildete eine roemische Flotte, aber man nationalisierte sie nur dem Namen nach und behandelte sie stets stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering geschaetzt neben dem hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere waren grossenteils italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar Sklaven und Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den drei Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal zu Schiff gefahren sei, wo er zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies zum Teil wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren und der Ruderdienst kaum geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen wenigstens haette man bilden und auf die Errichtung eines roemischen Seeoffizierstandes hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation benutzend, allmaehlich darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch die Zahl, sondern durch Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht herzustellen, wozu in dem waehrend des langen Krieges entwickelten Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon gemacht war; allein es geschah nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das roemische Flottenwesen in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die genialste Schoepfung dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom den Ausschlag gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen Maengel, die sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass der Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem System der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler beging, wie die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, die afrikanische Kueste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl jaehrlich von Rechts wegen wechselte – das alles liess sich nicht abstellen, ohne Verfassungsfragen anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau einer Flotte, aber freilich ebensowenig zu vereinigen mit den Forderungen eines solchen Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand noch in die neue Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die Feldherren. Regulus’ Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in dem Gedanken befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide. Es gibt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge in den Schoss geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo fuenfzig Jahre spaeter Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine erprobte feindliche Armee gegenueberstand. Allein der Senat zog die halbe Armee zurueck, sowie man sich von der taktischen Ueberlegenheit der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf diese blieb der Feldherr stehen, wo er eben stand, um strategisch, und nahm er die Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich ueberwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner Art ein tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauernmanier, durch die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz richtige Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur Feldherren von militaerischer Schule und militaerischem Blicke brauchen, und das freilich war nicht jeder Buergermeister. Noch viel aerger aber war es, dass man das Oberkommando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls der Landarmee behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte, nicht bloss General, sondern auch Admiral spielen zu koennen. An den schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind nicht die Stuerme schuld und noch weniger die Karthager, sondern der anmassliche Unverstand seiner Buergeradmirale. Rom hat endlich gesiegt; aber das Bescheiden mit einem weit geringeren Gewinn, als er zu Anfang gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische Opposition, auf welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die Halbheit und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter und der Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel der roemischen Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner Feinde. 3. Kapitel
Die Ausdehnung Italiens bis an seine natuerlichen Grenzen Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des fuenften Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien vereinigte unter roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden vom Apennin bis an das Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte Jahrhundert zu Ende ging, waren diese Grenzen bereits nach beiden Seiten hin ueberschritten, waren jenseits des Apennin wie jenseits des Meeres italische, der Eidgenossenschaft angehoerige Gemeinden entstanden. Im Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu raechen, bereits im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im Sueden in dem grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der sizilischen Insel verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena namentlich die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in Messana zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten und Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die augenblicklich draengenden Ereignisse als eine umfassende politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben; aber begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den grossen, gegen Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der roemischen Regierung eine neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche die natuerliche Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. Politisch und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige Scheidewand Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der Herrschaft ueber Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der Phoeniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten sich mancherlei Umstaende, um der roemischen Regierung die Vollendung des Werkes zu erleichtern.
In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr in Betracht kam als das Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, die grosse fruchtbare und hafenreiche Insel Sizilien, durch den karthagischen Frieden zum groesseren Teil in den Besitz der Roemer uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den letzten zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen Buendnis festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch gehabt; allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss begonnen hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so ging bei Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den Eigenbesitz Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein Gebiet – das heisst ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die Feldmarken von Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion – und seine Selbstaendigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung jeder Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im bisherigen Umfang gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte nicht mit dem voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und also fuer die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des Bestehens blieb. In dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, in Panormos, Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich haeuslich ein. Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes doch nicht ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer zu verwandeln, solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete sich bald nach dem Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch diese zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In Afrika hatten unmittelbar nach dem Abschluss des Friedens mit Rom die Soeldner und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich empoert. Die Schuld der gefaehrlichen Insurrektion trug wesentlich die karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher aus eigenen Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise abloehnen oder mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen Geschaeftsgang und dem Unverstand der Buerokratie. Man wartete, bis das gesamte Heer wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann, den Leuten an dem versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand eine Meuterei unter den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der Behoerden zeigte den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen Distrikten; sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche Steuerdruck dort ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer wartete, wenn sie mit dem meuterisch erpressten Solde sich nach Hause zerstreuten. Seit langem hatte man in Karthago sich die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten, als sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen ihren Schmuck herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere des sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende karthagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers gaenzlich geschlagen. Wie man also in Rom den gehassten und immer noch gefuerchteten Feindin groesserer Gefahr schweben sah, als je die roemischen Kriege ueber ihn gebracht hatten, fing man an, mehr und mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu bereuen, der, wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig erschien, und zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat gewesen war, wie maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham verbot zwar, mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja man gestattete den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien Werbungen zu veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, mit den Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der Regierung von Rom mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr ernst war. Denn als nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen Insurgenten mit den roemischen Schiffern fortging und Hamilkar, den die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze der karthagischen Armee zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener italischer Kapitaene aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. Auch die Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen Bundesgenossen zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich der uebrigen karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert hatten, boten, als sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten, den Besitz derselben den Roemern an (um 515 239); und aehnliche Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars aufs aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die roemische Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, was von Sardinien in den Haenden der Karthager gewesen