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  • 1854-1856
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Niedersetzung einer zu sofortiger Aufteilung kuenftiger neuer Gebietserwerbungen befugten Behoerde waren durch die Verhaeltnisse so deutlich geboten, dass es gewiss nicht Mangel an Einsicht war, wenn diese durchgreifenden Massregeln unterblieben. Man kann nicht umhin, sich daran zu erinnern, dass die plebejische Aristokratie, also eben ein Teil der hinsichtlich der Domanialnutzungen tatsaechlich privilegierten Klasse es war, welche die neue Ordnung vorgeschlagen hatte, und dass einer ihrer Urheber selbst, Gaius Licinius Stolo, unter den ersten wegen Ueberschreitung des Ackermaximum Verurteilten sich befand; und nicht umhin, sich die Frage vorzulegen, ob die Gesetzgeber ganz ehrlich verfahren und nicht vielmehr der wahrhaft gemeinnuetzigen Loesung der leidigen Domanialfrage absichtlich aus dem Wege gegangen sind. Damit soll indes nicht in Abrede gestellt werden, dass die Bestimmungen der Licinischen Gesetze, wie sie nun waren, dem kleinen Bauern und dem Tageloehner wesentlich nuetzen konnten und genuetzt haben. Es muss ferner anerkannt werden, dass in der naechsten Zeit nach Erlassung des Gesetzes die Behoerden ueber die Maximalsaetze desselben wenigstens vergleichungsweise mit Strenge gewacht und die grossen Herdenbesitzer und die Domanialokkupanten oftmals zu schweren Bussen verurteilt haben. Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit groesserer Energie als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet, soweit gesetzliche Massregeln reichten, die Schaeden der Volkswirtschaft zu heilen. Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von fuenf vom Hundert des Wertes der freizulassenden Sklaven war, abgesehen davon, dass sie der nicht wuenschenswerten Vermehrung der Freigelassenen einen Hemmschuh anlegte, die erste in der Tat auf die Reichen gelegte roemische Steuer. Ebenso suchte man dem Kreditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die Zwoelf Tafeln aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmaehlich geschaerft, sodass das Zinsmaximum sukzessiv von zehn (eingeschaerft im Jahre 397 357) auf fuenf vom Hundert (407 347) fuer das zwoelfmonatliche Jahr ermaessigt und endlich (412 342) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere toerichte Gesetz blieb formell in Kraft; vollzogen aber ward es natuerlich nicht, sondern der spaeter uebliche Zinsfuss von eins vom Hundert fuer den Monat oder zwoelf vom Hundert fuer das buergerliche Gemeinjahr, der nach den Geldverhaeltnissen des Altertums ungefaehr damals sein mochte, was nach den heutigen der Zinsfuss von fuenf oder sechs vom Hundert ist, wird wohl schon in dieser Zeit sich als das Maximum der angemessenen Zinsen festgestellt haben. Fuer hoehere Betraege wird die Einklagung versagt und vielleicht auch die gerichtliche Rueckforderung gestattet worden sein; ueberdies wurden notorische Wucherer nicht selten vor das Volksgericht gezogen und von den Quartieren bereitwillig zu schweren Bussen verurteilt. Wichtiger noch war die Aenderung des Schuldprozesses durch das Poetelische Gesetz (428 oder 441 326 oder 313); es ward dadurch teils jedem Schuldner, der seine Zahlungsfaehigkeit eidlich erhaertete, gestattet, durch Abtretung seines Vermoegens seine persoenliche Freiheit sich zu retten, teils das bisherige kurze Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft und festgestellt, dass kein roemischer Buerger anders als auf den Spruch von Geschworenen hin in die Knechtschaft abgefuehrt werden koenne. Dass alle diese Mittel die bestehenden oekonomischen Missverhaeltnisse wohl hie und da lindern, aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein; den fortdauernden Notstand zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission zur Regulierung der Kreditverhaeltnisse und zur Leistung von Vorschuessen aus der Staatskasse im Jahre 402 (352), die Anordnung gesetzlicher Terminzahlungen im Jahre 407 (347) und vor allen Dingen der gefaehrliche Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo das Volk, nachdem es neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte erreichen koennen, hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein rechtzeitiger Angriff der aeusseren Feinde und die in dem Hortensischen Gesetz enthaltenen Zugestaendnisse der Gemeinde den Frieden wiedergaben. Indes ist es sehr ungerecht, wenn man jenen ernstlichen Versuchen, der Verarmung des Mittelstandes zu steuern, ihre Unzulaenglichkeit entgegenhaelt; die Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen radikale Leiden fuer nutzlos zu erklaeren, weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der Evangelien, das der Einfalt von der Niedertraechtigkeit nie ohne Erfolg gepredigt wird, aber darum nicht minder unverstaendig. Eher liesse sich umgekehrt fragen, ob nicht die schlechte Demagogie sich damals schon dieser Angelegenheit bemaechtigt gehabt und ob es wirklich so gewaltsamer und gefaehrlicher Mittel bedurft habe, wie zum Beispiel die Kuerzung der gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten reichen nicht aus, um hier ueber Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar genug erkennen wir, dass der ansaessige Mittelstand immer noch in einer bedrohten und bedenklichen oekonomischen Lage sich befand, dass man von oben herab vielfach, aber natuerlich vergeblich sich bemuehte, ihm durch Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, dass aber das aristokratische Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu schwach und zu sehr in egoistischen Standesinteressen befangen war, um durch das einzige wirksame Mittel, das der Regierung zu Gebote stand, durch die voellige und rueckhaltlose Beseitigung des Okkupationssystems der Staatslaendereien, dem Mittelstande aufzuhelfen und vor allen Dingen die Regierung von dem Vorwurf zu befreien, dass sie die gedrueckte Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute. Eine wirksamere Abhilfe, als die Regierung sie gewaehren wollte oder konnte, brachten den Mittelklassen die politischen Erfolge der roemischen Gemeinde und die allmaehlich sich befestigende Herrschaft der Roemer ueber Italien. Die vielen und grossen Kolonien, die zu deren Sicherung gegruendet werden mussten und von denen die Hauptmasse im fuenften Jahrhundert ausgefuehrt wurde, verschafften dem ackerbauenden Proletariat teils eigene Bauernstellen, teils durch den Abfluss auch den Zurueckgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme der indirekten und ausserordentlichen Einnahmen, ueberhaupt die glaenzende Lage der roemischen Finanzen fuehrte nur selten noch die Notwendigkeit herbei, von der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu erheben. War auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar verloren, so musste der steigende Durchschnittssatz des roemischen Wohlstandes die bisherigen groesseren Grundbesitzer in Bauern verwandeln und auch insofern dem Mittelstand neue Glieder zufuehren. Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend auf die grossen neugewonnenen Landstriche; die Reichtuemer, die durch den Krieg und den Verkehr massenhaft nach Rom stroemten, muessen den Zinsfuss herabgedrueckt haben; die steigende Bevoelkerung der Hauptstadt kam dem Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem vereinigte eine Anzahl angrenzender, frueher untertaeniger Gemeinden mit der roemischen und verstaerkte dadurch namentlich den Mittelstand; endlich brachten die herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die Faktionen zum Schweigen, und wenn der Notstand der Bauernschaft auch keineswegs beseitigt, noch weniger seine Quellen verstopft wurden, so leidet es doch keinen Zweifel, dass am Schlusse dieser Periode der roemische Mittelstand im ganzen in einer weit minder gedrueckten Lage sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach Vertreibung der Koenige.
Endlich, die buergerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre 387 (367) und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne allerdings erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als die Patrizier noch in der Tat die Buergerschaft ausmachten, sie untereinander an Rechten und Pflichten unbedingt gleichgestanden hatten, so gab es jetzt wieder in der erweiterten Buergerschaft dem Gesetze gegenueber keinen willkuerlichen Unterschied. Diejenigen Abstufungen freilich, welche die Verschiedenheiten in Alter, Einsicht, Bildung und Vermoegen in der buergerlichen Gesellschaft mit Notwendigkeit hervorrufen, beherrschten natuerlicherweise auch das Gemeindeleben; allein der Geist der Buergerschaft und die Politik der Regierung wirkten gleichmaessig dahin, diese Scheidung moeglichst wenig hervortreten zu lassen. Das ganze roemische Wesen lief darauf hinaus, die Buerger durchschnittlich zu tuechtigen Maennern heranzubilden, geniale Naturen aber nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der Roemer hielt mit der Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht Schritt und ward instinktmaessig von oben herab mehr zurueckgehalten als gefoerdert. Dass es Reiche und Arme gab, liess sich nicht verhindern; aber wie in einer rechten Bauerngemeinde fuehrte der Bauer wie der Tageloehner selber den Pflug und galt auch fuer den Reichen die gut wirtschaftliche Regel, gleichmaessig sparsam zu leben und vor allem kein totes Kapital bei sich hinzulegen – ausser dem Salzfass und dem Opferschaelchen sah man Silbergeraet in dieser Zeit in keinem roemischen Hause. Es war das nichts Kleines. Man spuert es an den gewaltigen Erfolgen, welche die roemische Gemeinde in dem Jahrhundert vom letzten Veientischen bis auf den Pyrrhischen Krieg nach aussen hin errang, dass hier das Junkertum der Bauernschaft Platz gemacht hatte, dass der Fall des hochadligen Fabiers nicht mehr und nicht weniger von der ganzen Gemeinde betrauert worden waere als der Fall des plebejischen Deciers von Plebejern und Patriziern betrauert ward, dass auch dem reichsten Junker das Konsulat nicht von selber zufiel und ein armer Bauersmann aus der Sabina, Manius Curius, den Koenig Pyrrhos in der Feldschlacht ueberwinden und aus Italien verjagen konnte, ohne darum aufzuhoeren, einfacher sabinischer Stellbesitzer zu sein und sein Brotkorn selber zu bauen. Indes darf es ueber dieser imponierenden republikanischen Gleichheit nicht uebersehen werden, dass dieselbe zum guten Teil nur formaler Art war und aus derselben eine sehr entschieden ausgepraegte Aristokratie nicht so sehr hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten war. Schon laengst hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen Familien von der Menge sich ausgeschieden und im Mitgenuss der senatorischen Rechte, in der Verfolgung einer, von der der Menge unterschiedenen und sehr oft ihr entgegenwirkenden Politik sich mit dem Patriziat verbuendet. Die Licinischen Gesetze hoben die gesetzlichen Unterschiede innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die den gemeinen Mann vom Regiment ausschliessende Schranke aus einem unabaenderlichen Rechts- in ein nicht unuebersteigliches, aber doch schwer zu uebersteigendes tatsaechliches Hindernis. Auf dem einen wie dem anderen Wege kam frisches Blut in den roemischen Herrenstand; aber an sich blieb nach wie vor das Regiment aristokratisch und auch in dieser Hinsicht die roemische eine rechte Bauerngemeinde, in welcher der reiche Vollhufener zwar aeusserlich von dem armen Insten sich wenig unterscheidet und auf gleich und gleich mit ihm verkehrt, aber nichtsdestoweniger die Aristokratie so allmaechtig regiert, dass der Unbemittelte weit eher in der Stadt Buergermeister als in seinem Dorfe Schulze wird. Es war wichtig und segensreich, dass nach der neuen Gesetzgebung auch der aermste Buerger das hoechste Gemeindeamt bekleiden durfte; aber darum war es nichtsdestoweniger nicht bloss eine seltene Ausnahme, dass ein Mann aus den unteren Schichten der Bevoelkerung dazu gelangte ^4, sondern es war wenigstens gegen den Schluss dieser Periode wahrscheinlich schon nur moeglich mittels einer Oppositionswahl. Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber eine entsprechende Oppositionspartei gegenueber; und da auch die formelle Gleichstellung der Staende die Aristokratie nur modifizierte und der neue Herrenstand das alte Patriziat nicht bloss beerbte, sondern sich auf denselben pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so blieb auch die Opposition bestehen und tat in allen und jeden Stuecken das gleiche. Da die Zuruecksetzung jetzt nicht mehr die Buergerlichen, sondern den gemeinen Mann traf, so trat die neue Opposition von vornherein auf als Vertreterin der geringen Leute und namentlich der kleinen Bauern; und wie die neue Aristokratie sich an das Patriziat anschloss, so schlangen sich die ersten Regungen dieser neuen Opposition mit den letzten Kaempfen gegen die Patrizierprivilegien zusammen. Die ersten Namen in der Reihe dieser neuen roemischen Volksfuehrer sind Manius Curius (Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274; Zensor 481 273) und Gaius Fabricius (Konsul 472, 476, 481, 282, 278, 273; Zensor 479 275), beide ahnenlose und nichtwohlhabende Maenner, beide – gegen das aristokratische Prinzip, die Wiederwahl zu dem hoechsten Gemeindeamt zu beschraenken – jeder dreimal durch die Stimmen der Buergerschaft an die Spitze der Gemeinde gerufen, beide als Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen Privilegien und Vertreter des kleinen Bauernstandes gegen die aufkeimende Hoffart der vornehmen Haeuser. Die kuenftigen Parteien zeichnen schon sich vor; aber noch schweigt auf beiden Seiten vor dem Interesse des Gemeinwohls das der Partei. Der adlige Appius Claudius und der Bauer Manius Curius, dazu noch heftige persoenliche Gegner, haben durch klugen Rat und kraeftige Tat den Koenig Pyrrhos gemeinsam ueberwunden; und wenn Gaius Fabricius den aristokratisch gesinnten und aristokratisch lebenden Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen bestrafte, so hielt ihn dies nicht ab, demselben seiner anerkannten Feldherrntuechtigkeit wegen zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riss war wohl schon da; aber noch reichten die Gegner sich ueber ihm die Haende. ——————————————- ^4 Die Armut der Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen Anekdotenbuechern der spaeteren Zeit eine grosse Rolle spielt, beruht grossenteils auf Missverstaendnis teils des alten sparsamen Wirtschaftens, welches sich recht gut mit ansehnlichem Wohlstand vertraegt, teils der alten schoenen Sitte, verdiente Maenner aus dem Ertrag von Pfennigkollekten zu bestatten, was durchaus keine Armenbeerdigung ist. Auch die autoschediastische Beinamenerklaerung, die so viel Plattheiten in die roemische Geschichte gebracht hat, hat hierzu ihren Beitrag geliefert (Serranus). —————————————— Die Beendigung der Kaempfe zwischen Alt- und Neubuergern, die verschiedenartigen und verhaeltnismaessig erfolgreichen Versuche, dem Mittelstande aufzuhelfen, die inmitten der neugewonnenen buergerlichen Gleichheit bereits hervortretenden Anfaenge der Bildung einer neuen aristokratischen und einer neuen demokratischen Partei sind also dargestellt worden. Es bleibt noch uebrig zu schildern, wie unter diesen Veraenderungen das neue Regiment sich konstituierte, und wie nach der politischen Beseitigung der Adelschaft die drei Elemente des republikanischen Gemeinwesens, Buergerschaft, Magistratur und Senat, gegeneinander sich stellten. Die Buergerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb nach wie vor die hoechste Autoritaet im Gemeinwesen und der legale Souveraen; nur wurde gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den ein fuer allemal den Zenturien ueberwiesenen Entscheidungen, namentlich den Wahlen der Konsuln und Zensoren, die Abstimmung nach Distrikten ebenso gueltig sein solle wie die nach Zenturien, was fuer die patrizisch-plebejische Versammlung das Valerisch-Horatische Gesetz von 305 (449) einfuehrte und das Publilische von 415 (339) erweiterte, fuer die plebejische Sonderversammlung aber das Hortensische um 467 (287) verordnete. Dass im ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden, aber auch, dass, abgesehen von dem Ausschluss der Patrizier von der plebejischen Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung alle Stimmberechtigten durchgaengig sich gleichstanden, in den Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem Vermoegen des Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die erstere eine nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit groesserer Bedeutung war es, dass gegen das Ende dieser Periode die uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansaessigkeit, zum erstenmal in Frage gestellt zu werden anfing. Appius Claudius, der kuehnste Neuerer, den die roemische Geschichte kennt, legte in seiner Zensur 442 (312), ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die Buergerliste so an, dass der nicht grundsaessige Mann in die ihm beliebige Tribus und alsdann nach seinem Vermoegen in die entsprechende Zenturie aufgenommen ward. Allein diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor, um vollstaendig Bestand zu haben. Einer der naechsten Nachfolger des Appius, der beruehmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus, uebernahm es in seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber doch in solche Grenzen einzuschliessen, dass den Grundsaessigen und Vermoegenden effektiv die Herrschaft in den Buergerversammlungen blieb. Es wies die nicht grundsaessigen Leute saemtlich in die vier staedtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im Range die letzten wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl zwischen den Jahren 367 (241) und 513 (387) allmaehlich von siebzehn bis auf einunddreissig stieg, also die von Haus aus bei weitem ueberwiegende und immer mehr das Uebergewicht erhaltende Majoritaet der Stimmabteilungen, wurden den saemtlichen ansaessigen Buergern gesetzlich vorbehalten. In den Zenturien blieb es bei der Gleichstellung der ansaessigen und nichtansaessigen Buerger, wie Appius sie eingefuehrt hatte. Auf diese Weise ward dafuer gesorgt, dass in den Tributkomitien die Ansaessigen ueberwogen, waehrend fuer die Zenturiatkomitien an sich schon die Vermoegenden den Ausschlag gaben. Durch diese weise und gemaessigte Festsetzung eines Mannes, der seiner Kriegstaten wegen wie mehr noch wegen dieser seiner Friedenstat mit Recht den Beinamen des Grossen (Maximus) erhielt, ward einerseits die Wehrpflicht wie billig auch auf die nicht ansaessigen Buerger erstreckt, anderseits dafuer Sorge getragen, dass in der Distriktversammlung ihrem Einfluss, insbesondere dem der meistenteils des Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven, derjenige Riegel vorgeschoben ward, welcher in einem Staat, der Sklaverei zulaesst, ein leider unerlaessliches Beduerfnis ist. Ein eigentuemliches Sittengericht, das allmaehlich an die Schatzung und die Aufnahme der Buergerliste sich anknuepfte, schloss ueberdies aus der Buergerschaft alle notorisch unwuerdigen Individuen aus und wahrte dem Buergertum die sittliche und politische Reinheit. Die Kompetenz der Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber sehr allmaehlich zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu waehlenden Magistrate gehoert gewissermassen hierher; bezeichnend ist es besonders, dass seit 392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit 443 (311) je vier in jeder der vier ersten Legionen, nicht mehr vom Feldherrn, sondern von der Buergerschaft ernannt wurden. In die Administration griff waehrend dieser Periode die Buergerschaft im ganzen nicht ein; nur das Recht der Kriegserklaerung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten und namentlich auch fuer den Fall festgestellt, wo ein an Friedens Statt abgeschlossener laengerer Waffenstillstand ablief und zwar nicht rechtlich, aber tatsaechlich ein neuer Krieg begann (327 427). Sonst ward eine Verwaltungsfrage fast nur dann dem Volke vorgelegt, wenn die regierenden Behoerden unter sich in Kollision gerieten und eine derselben die Sache an das Volk brachte – so, als den Fuehrern der gemaessigten Partei unter dem Adel, Lucius Valerius und Marcus Horatius, im Jahre 305 (449) und dem ersten plebejischen Diktator Gaius Marcus Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat die verdienten Triumphe nicht zugestanden wurden; als die Konsuln des Jahres 459 (295) ueber ihre gegenseitige Kompetenz nicht untereinander sich einigen konnten; und als der Senat im Jahre 364 (390) die Auslieferung eines pflichtvergessenen Gesandten an die Gallier beschloss und ein Konsulartribun deswegen an die Gemeinde sich wandte – es war dies der erste Fall, wo ein Senatsbeschluss vom Volke kassiert ward, und schwer hat ihn die Gemeinde gebuesst. Zuweilen gab auch die Regierung in schwierigen Fragen dem Volk die Entscheidung anheim: so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den Krieg erklaert hatte, ehe dieser wirklich begann, um Frieden bat (401 353); und spaeter, als der Senat den demuetig von den Samniten erbetenen Frieden ohne weiteres abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen das Ende dieser Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen der Distriktversammlung auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich Befragung derselben bei Friedensschluessen und Buendnissen; es ist wahrscheinlich, dass diese zurueckgeht auf das Hortensische Gesetz von 467 (287). Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der Buergerversammlungen begann der praktische Einfluss derselben auf die Staatsangelegenheiten vielmehr, namentlich gegen das Ende dieser Epoche, zu schwinden. Vor allem die Ausdehnung der roemischen Grenzen entzog der Urversammlung ihren richtigen Boden. Als Versammlung der Gemeindesaessigen konnte sie frueher recht wohl in genuegender Vollzaehligkeit sich zusammenfinden und recht wohl missen, was sie wollte, auch ohne zu diskutieren; aber die roemische Buergerschaft war jetzt schon weniger Gemeinde als Staat. Dass die zusammen Wohnenden auch miteinander stimmten, brachte allerdings in die roemischen Komitien, wenigstens, wenn nach Quartieren gestimmt ward, einen gewissen inneren Zusammenhang und in die Abstimmung hier und da Energie und Selbstaendigkeit; in der Regel aber waren doch die Komitien in ihrer Zusammensetzung wie in ihrer Entscheidung teils von der Persoenlichkeit des Vorsitzenden und vom Zufall abhaengig, teils den in der Hauptstadt domizilierten Buergern in die Haende gegeben. Es ist daher vollkommen erklaerlich, dass die. Buergerversammlungen, die in den beiden ersten Jahrhunderten. der Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit haben, allmaehlich beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden Beamten zu werden; freilich ein sehr gefaehrliches, da der zum Vorsitz berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluss der Gemeinde galt als der legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. An der Erweiterung aber der verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft war insofern nicht viel gelegen, als diese weniger als frueher eines eigenen Wollens und Handelns faehig war, und als es eine eigentliche Demagogie in Rom noch nicht gab – haette eine solche damals bestanden, so wuerde sie versucht haben, nicht die Kompetenz der Buergerschaft zu erweitern, sondern die politische Debatte vor der Buergerschaft zu entfesseln, waehrend es doch bei den alten Satzungen, dass nur der Magistrat die Buerger zur Versammlung zu berufen und dass er jede Debatte und jede Amendementsstellung auszuschliessen befugt sei, unveraendert sein Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende Zerruettung der Verfassung hauptsaechlich nur insofern geltend, als die Urversammlungen sich wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das Regiment weder foerdernd noch stoerend eingriffen.
Was die Beamtengewalt anlangt, so war deren Schmaelerung nicht gerade das Ziel der zwischen Alt- und Neubuergern gefuehrten Kaempfe, wohl aber eine ihrer wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der staendischen Kaempfe, das heisst des Streites um den Besitz der konsularischen Gewalt, war das Konsulat noch die einige und unteilbare wesentliche koenigliche Amtsgewalt gewesen und hatte der Konsul wie ehemals der Koenig noch alle Unterbeamten nach eigener freier Wahl bestellt; an Ende desselben waren die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit, Strassenpolizei, Senatoren- und Ritterwahl, Schatzung und Kassenverwaltung von dem Konsulat getrennt und an Beamte uebergegangen, die gleich dem Konsul von der Gemeinde ernannt wurden und weit mehr neben als unter ihm standen. Das Konsulat, sonst das einzige ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr einmal unbedingt das erste: in der neu sich feststellenden Rang- und gewoehnlichen Reihenfolge der Gemeindeaemter stand das Konsulat zwar ueber Praetur, Aedilitaet und Quaestur, aber unter dem Einschaetzungsamt, an das ausser den wichtigsten finanziellen Geschaeften die Feststellung der Buerger-, Ritter- und Senatorenliste und damit eine durchaus willkuerliche sittliche Kontrolle ueber die gesamte Gemeinde und jeden einzelnen, geringsten wie vornehmsten Buerger gekommen war. Der dem urspruenglichen roemischen Staatsrecht mit dem Begriff des Oberamts unvereinbar erscheinende Begriff der begrenzten Beamtengewalt oder der Kompetenz brach allmaehlich sich Bahn und zerfetzte und zerstoerte den aelteren des einen und unteilbaren Imperium. Einen Anfang dazu machte schon die Einsetzung der staendigen Nebenaemter, namentlich der Quaestur; vollstaendig durchgefuehrt ward sie durch die Licinischen Gesetze (387 367), welche von den drei hoechsten Beamten der Gemeinde die ersten beiden fuer Verwaltung und Kriegfuehrung, den dritten fuer die Gerichtsleitung bestimmten. Aber man blieb hierbei nicht stehen. Die Konsuln, obwohl sie rechtlich durchaus und ueberall konkurrierten, teilten doch natuerlich seit aeltester Zeit tatsaechlich die verschiedenen Geschaeftskreise (provinciae) unter sich. Urspruenglich war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in deren Ermangelung durch Losung geschehen; allmaehlich aber griffen die anderen konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen Kompetenzbestimmungen ein. Es ward ueblich, dass der Senat Jahr fuer Jahr die Geschaeftskreise abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter die konkurrierenden Beamten verteilte, aber doch durch Ratschlag und Bitte auch auf die Personenfragen entscheidend einwirkte. Aeussersten Falls erlangte der Senat auch wohl einen Gemeindebeschluss, der die Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die Regierung diesen bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden die wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschluesse, den Konsuln entzogen und dieselben genoetigt, hierbei an den Senat zu rekurrieren und nach dessen Instruktion zu verfahren. Fuer den aeussersten Fall endlich konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom Amt suspendieren, indem nach einer nie rechtlich festgestellten und nie tatsaechlich verletzten Uebung der Eintritt der Diktatur lediglich von dem Beschluss des Senats abhing und die Bestimmung der zu ernennenden Person, obwohl verfassungsmaessig bei dem ernennenden Konsul, doch der Sache nach in der Regel bei dem Senat stand.
Laenger als in dem Konsulat blieb in der Diktatur die alte Einheit und Rechtsfuelle des Imperium enthalten; obwohl sie natuerlich als ausserordentliche Magistratur der Sache nach von Haus aus eine Spezialkompetenz hatte, gab es doch rechtlich eine solche fuer den Diktator noch weit weniger als fuer den Konsul. Indes auch sie ergriff allmaehlich der neu in das roemische Rechtsleben eintretende Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet ein aus theologischem Skrupel ausdruecklich bloss zur Vollziehung einer religioesen Zeremonie ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch, ohne Zweifel formell verfassungsmaessig, die ihm gesetzte Kompetenz als nichtig behandelte und ihr zum Trotz den Heerbefehl uebernahm, so wiederholte bei den spaeteren, gleichartig beschraenkten Ernennungen, die zuerst 403 (351) und seitdem sehr haeufig begegnen, diese Opposition der Magistratur sich nicht, sondern auch die Diktatoren erachteten fortan durch ihre Spezialkompetenzen sich gebunden. Endlich lagen in dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung ordentlicher kurulischer Aemter und in der gleichzeitigen Vorschrift, dass derselbe Mann dasselbe Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer zehnjaehrigen Zwischenzeit solle verwalten koennen, sowie in der spaeteren Bestimmung, dass das tatsaechlich hoechste Amt, die Zensur, ueberhaupt nicht zum zweitenmal bekleidet werden duerfe (489 265), weitere sehr empfindliche Beschraenkungen der Magistratur. Doch war die Regierung noch stark genug, um ihre Werkzeuge nicht zu fuerchten und darum eben die brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu lassen; tapfere Offiziere wurden sehr haeufig von jenen Vorschriften entbunden ^5, und es kamen noch Faelle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in achtundzwanzig Jahren fuenfmal Konsul war, und des Marcus Valerius Corvus (384- 483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das erste im dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre, verwaltet und drei Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und der Schrecken der Feinde gewesen war, hundertjaehrig zur Grube fuhr. ————————————————- ^5 Wer die Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht, wird an der Existenz des oben erwaehnten Gesetzes ueber die Wiederwahl zum Konsulat nicht zweifeln; denn so gewoehnlich vor diesem Jahr die Wiederbekleidung des Amtes besonders nach drei bis vier Jahren ist, so haeufig sind nachher die Zwischenraeume von zehn Jahren und darueber. Doch finden sich, namentlich waehrend der schweren Kriegsjahre 434-443 (320-311), Ausnahmen in sehr grosser Zahl. Streng hielt man dagegen an der Unzulaessigkeit der Aemterkumulierung. Es findet sich kein sicheres Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen kurulischen (Liv. 39, 39, 4) Aemter (Konsulat, Praetur, kurulische Aedilitaet), wohl aber von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Aedilitaet und des Reiterfuehreramts (Liv. 23 24, 30); der Praetur und der Zensur (Fast. Capitol. a 501); der Praetur und der Diktatur (Liv. 8, 12); des Konsulats und der Diktatur (Liv. 8, 12).
————————————————- Waehrend also der roemische Beamte immer vollstaendiger und immer bestimmter aus dem unbeschraenkten Herrn in den gebundenen Auftragnehmer und Geschaeftsfuehrer der Gemeinde sich umwandelte, unterlag die alte Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig einer gleichartigen mehr innerlichen als aeusserlichen Umgestaltung. Dasselbe diente im Gemeinwesen zu einem doppelten Zweck. Es war von Haus aus bestimmt gewesen, den Geringen und Schwachen. durch eine gewissermassen revolutionaere Hilfsleistung (auxilium) gegen den gewalttaetigen Uebermut der Beamten zu schuetzen; es war spaeterhin gebraucht worden, um die rechtliche Zuruecksetzung der Buergerlichen und die Privilegien des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war erreicht. Der urspruengliche Zweck war nicht bloss an sich mehr ein demokratisches Ideal als eine politische Moeglichkeit, sondern auch der plebejischen Aristokratie, in deren Haenden das Tribunat sich befinden musste und befand, vollkommen ebenso verhasst und mit der neuen, aus der Ausgleichung der Staende hervorgegangenen, womoeglich noch entschiedener als die bisherige aristokratisch gefaerbten, Gemeindeordnung vollkommen ebenso unvertraeglich, wie es dem Geschlechtsadel verhasst und mit der patrizischen Konsularverfassung unvertraeglich gewesen war. Aber anstatt das Tribunat abzuschaffen, zog man vor, es aus einem Ruestzeug der Opposition in ein Regierungsorgan umzuschaffen und zog die Volkstribune, die von Haus aus von aller Teilnahme an der Verwaltung ausgeschlossen und weder Beamte noch Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein in den Kreis der regierenden Behoerden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von Anfang an den Konsuln gleichstanden und schon in den ersten Stadien der staendischen Kaempfe gleich diesen die legislatorische Initiative erwarben, so empfingen sie jetzt auch, wir wissen nicht genau wann, aber vermutlich bei oder bald nach der schliesslichen Ausgleichung der Staende, gleiche Stellung mit den Konsuln gegenueber der tatsaechlich regierenden Behoerde, dem Senate. Bisher hatten sie, auf einer Bank an der Tuer sitzend, der Senatsverhandlung beigewohnt, jetzt erhielten sie gleich und neben den uebrigen Beamten ihren Platz im Senate selbst und das Recht, bei der Verhandlung das Wort zu ergreifen; wenn ihnen das Stimmrecht versagt blieb, so war dies nur eine Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des roemischen Staatsrechts, dass den Rat nur gab, wer zur Tat nicht berufen war und also saemtlichen funktionierenden Beamten waehrend ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam. Aber es blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende Vorrecht der hoechsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen Beamten nur den Konsuln und Praetoren zustand: das Recht, den Senat zu versammeln, zu befragen und einen Beschluss desselben zu bewirken ^6. Es war das nur in der Ordnung: die Haeupter der plebejischen Aristokratie mussten denen der patrizischen im Senate gleichgestellt werden, seit das Regiment von dem Gesellschaftsadel uebergegangen war auf die vereinigte Aristokratie. Indem dieses urspruenglich von aller Teilnahme an der Staatsverwaltung ausgeschlossene Oppositionskollegium jetzt, namentlich fuer die eigentlich staedtischen Angelegenheiten, eine zweite hoechste Exekutivstelle ward und eines der gewoehnlichsten und brauchbarsten Organe der Regierung, dass heisst des Senats, um die Buergerschaft zu lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu hemmen, wurde es allerdings seinem urspruenglichen Wesen nach absorbiert und politisch vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch die Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Maengel der roemischen Aristokratie zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen der aristokratischen Uebermacht mit der tatsaechlichen Beseitigung des Tribunats zusammenhaengt, so kann doch nicht verkannt werden, dass auf die Laenge sich nicht mit einer Behoerde regieren liess, welche nicht bloss zwecklos war und fast auf die Hinhaltung des leidenden Proletariats durch truegerische Hilfsvorspiegelung berechnet, sondern zugleich entschieden revolutionaer und im Besitz einer eigentlich anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle Ohnmacht der Demokratie begruendet ist, hatte in den Gemuetern der Roemer aufs engste an das Gemeindetribunat sich geheftet, und man braucht nicht erst an Cola Rienzi zu erinnern, um einzusehen, dass dasselbe, wie wesenlos immer der daraus fuer die Menge entspringende Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwaelzung nicht beseitigt werden konnte. Darum begnuegte man sich mit echt buergerlicher Staatsklugheit, in den moeglichst wenig in die Augen fallenden Formen die Sache zu vernichten. Der blosse Name dieser ihrem innersten Kern nach revolutionaeren Magistratur blieb immer noch innerhalb des aristokratisch regierten Gemeinwesens gegenwaertig ein Widerspruch und fuer die Zukunft, in den Haenden einer dereinstigen Umsturzpartei, eine schneidende und gefaehrliche Waffe; indes fuer jetzt und noch auf lange hinaus war die Aristokratie so unbedingt maechtig und so vollstaendig im Besitz des Tribunats, dass von einer kollegialischen Opposition der Tribune gegen den Senat schlechterdings keine Spur sich findet und die Regierung der etwa vorkommenden verlorenen oppositionellen Regungen einzelner solcher Beamten immer ohne Muehe und in der Regel durch das Tribunat selbst Herr ward.
————————————————- ^6 Daher werden die fuer den Senat bestimmten Depeschen adressiert an Konsuln, Praetoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und sonst). ————————————————- In der Tat war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne Widerstand seit der Ausgleichung der Staende. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten, wie es nach Beseitigung der alten Geschlechtervertretung in dieser Hinsicht stattgefunden hatte, hatte schon mit der Abschaffung der lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche Beschraenkungen erfahren. Ein weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt erfolgte durch den Uebergang der Feststellung dieser Listen von den hoechsten Gemeindebeamten auf eine Unterbehoerde, von den Konsuln auf die Zensoren. Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher, auch das Recht des mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten, einzelne Senatoren wegen eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben wegzulassen und somit aus dem Senat auszuschliessen, wo nicht eingefuehrt, doch wenigstens schaerfer formuliert ^7 und somit jenes eigentuemliche Sittengericht begruendet, auf dem das hohe Ansehen der Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Ruegen konnten, da zumal beide Zensoren darueber einig sein mussten, wohl dazu dienen, einzelne der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr herrschenden Geist feindliche Persoenlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie selbst in Abhaengigkeit von der Magistratur versetzen. ————————————————- ^7 Diese Befugnis sowie die aehnlichen hinsichtlich der Ritter- und der Buergerliste waren wohl nicht foermlich und gesetzlich den Zensoren beigelegt, lagen aber tatsaechlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das Buergerrecht vergibt die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in dem Verzeichnis der Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere Stelle anweist, der verliert das Buergerrecht nicht, kann aber die buergerlichen Befugnisse nicht oder nur an dem geringeren Platz ausueben bis zur Anfertigung einer neuen Liste. Ebenso verhaelt es sich mit dem Senat: wen der Zensor in seiner Liste auslaesst, der scheidet aus demselben, solange die betreffende Liste gueltig bleibt – es kommt vor, dass der vorsitzende Beamte sie verwirft und die aeltere Liste wieder in Kraft setzt. Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so sehr darauf an, was den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei denjenigen Beamten, welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre Autoritaet vermochte. Daher begreift man, wie diese Befugnis allmaehlich stieg und wie mit der steigenden Konsolidierung der Nobilitaet dergleichen Streichungen gleichsam die Form richterlicher Entscheidungen annahmen und gleichsam als solche respektiert wurden. Hinsichtlich der Feststellung der Senatsliste hat freilich auch ohne Zweifel die Bestimmung des Ovinischen Plebiszits wesentlich mitgewirkt, dass die Zensoren “aus allen Rangklassen die Besten” in den Senat nehmen sollten. ———————————————- Entscheidend aber beschraenkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um die Mitte dieser Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen Gesetzen durchgegangen ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem Ermessen zu konstituieren, indem es demjenigen, der kurulischer Aedil, Praetor oder Konsul gewesen war, sofort vorlaeufig Sitz und Stimme im Senat verlieh und die naechst eintretenden Zensoren verpflichtete, diese Expektanten entweder foermlich in die Senatorenliste einzuzeichnen oder doch nur aus denjenigen Gruenden, welche auch zur Ausstossung des wirklichen Senators genuegten, von der Liste auszuschliessen. Freilich reichte die Zahl dieser gewesenen Magistrate bei weitem nicht aus, um den Senat auf der normalen Zahl von dreihundert zu halten; und unter dieselbe durfte man, besonders da die Senatoren- zugleich Geschworenenliste war, ihn nicht herabgehen lassen. So blieb dem zensorischen Wahlrecht immer noch ein bedeutender Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch die Bekleidung eines Amtes, sondern durch die zensorische Wahl erkiesten Senatoren – haeufig diejenigen Buerger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt verwaltet oder durch persoenliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen Feind im Gefecht getoetet oder einem Buerger das Leben gerettet hatten – zwar an der Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des Senats und derjenige Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung sich konzentriert, ruhte also nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen nicht mehr auf der Willkuer eines Beamten, sondern mittelbar auf der Wahl durch das Volk; und die roemische Gemeinde war auf diesem Wege zwar nicht zu der grossen Institution der Neuzeit, dem repraesentativen Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe gekommen, waehrend die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewaehrte, was bei regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine kompakte Masse urteilsfaehiger und urteilsberechtiger, aber schweigender Mitglieder. Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum veraendert. Der Senat huetete sich wohl, durch unpopulaere Verfassungsaenderungen oder offenbare Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition Handhaben darzubieten; er liess es sogar geschehen, wenn er es auch nicht foerderte, dass die Buergerschaftskompetenz im demokratischen Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die Buergerschaft den Schein, so erwarb der Senat das Wesen der Macht: einen bestimmenden Einfluss auf die Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das gesamte Gemeinderegiment.
Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunaechst im Senat vorberaten, und kaum wagte es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen Antrag an die Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der Senat durch die Beamteninterzession und die priesterliche Kassation eine lange Reihe von Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im Keime zu ersticken oder nachtraeglich zu beseitigen; und im aeussersten Fall hatte er als oberste Verwaltungsbehoerde mit der Ausfuehrung auch die Nichtausfuehrung der Gemeindebeschluesse in der Hand. Es nahm der Senat ferner unter stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht in Anspruch, in dringenden Faellen unter Vorbehalt der Ratifikation durch Buergerschaftsbeschluss, von den Gesetzen zu entbinden – ein Vorbehalt, der von Haus aus nicht viel bedeutete und allmaehlich so vollstaendig zur Formalitaet ward, dass man in spaeterer Zeit sich nicht einmal mehr die Muehe gab, den ratifizierenden Gemeindebeschluss zu beantragen. Was die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden und von politischer Wichtigkeit waren, tatsaechlich ueber auf den Senat; auf diesem Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das Recht, den Diktator zu bestellen. Groessere Ruecksicht masste allerdings auf die Gemeinde genommen werden: es konnte ihr das Recht nicht entzogen werden, die Gemeindeaemter zu vergeben; doch ward, wie gleichfalls schon bemerkt wurde, sorgfaeltig darueber gewacht, dass diese Beamtenwahl nicht etwa in die Vergebung bestimmter Kompetenzen, namentlich nicht der Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden Kriegen, uebergehe. Ueberdies brachte teils der neu eingefuehrte Kompetenzbegriff, teils das dem Senat tatsaechlich zugestandene Recht, von den Gesetzen zu entbinden, einen wichtigen Teil der Aemterbesetzung in die Haende des Senats. Von dem Einfluss, den der Senat auf die Feststellung der Geschaeftskreise namentlich der Konsuln ausuebte, ist schon die Rede gewesen. Von dem Dispensationsrecht war eine der wichtigsten Anwendungen die Entbindung des Beamten von der gesetzlichen Befristung seines Amtes, welche zwar, als den Grundgesetzen der Gemeinde zuwider, nach roemischen Staatsrecht in dem eigentlichen Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber ausserhalb desselben wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Praetor, dem die Frist verlaengert war, nach Ablauf derselben fortfuhr, “an Konsul” oder “Praetor Statt” (pro consule, pro praetore) zu fungieren. Natuerlich stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward anfaenglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447 (307) und seitdem regelmaessig den Oberfeldherren das Kommando durch blossen Senatsbeschluss verlaengert. Dazu kam endlich der uebermaechtige und klug vereinigte Einfluss der Aristokratie auf die Wahlen, welcher dieselben nicht immer, aber in der Regel auf die der Regierung genehmen Kandidaten lenkte.
Was schliesslich die Verwaltung anlangt, so hing Krieg, Frieden und Buendnis, Kolonialgruendung, Ackerassignation, Bauwesen, ueberhaupt jede Angelegenheit von dauernder und durchgreifender Wichtigkeit, und namentlich das gesamte Finanzwesen lediglich ab von dem Senat. Er war es, der Jahr fuer Jahr den Beamten in der Feststellung ihrer Geschaeftskreise und in der Limitierung der einem jeden zur Verfuegung zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine Instruktion gab, und an ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen Faellen rekurriert: keinem Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem Privaten durften die Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten als nach vorgaengigem Senatsbeschluss. Nur in die Besorgung der laufenden Angelegenheiten und in die richterliche und militaerische Spezialverwaltung mischte das hoechste Regierungskollegium sich nicht ein; es war zu viel politischer Sinn und Takt in der roemischen Aristokratie, um die Leitung des Gemeinwesens in eine Bevormundung des einzelnen Beamten und das Werkzeug in eine Maschine verwandeln zu wollen.
Dass dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der bestehenden Formen eine vollstaendige Umwaelzung des alten Gemeinwesens in sich schloss, leuchtet ein; dass die freie Taetigkeit der Buergerschaft stockte und erstarrte und die Beamten zu Sitzungspraesidenten und ausfuehrenden Kommissarien herabsanken, dass ein durchaus nur beratendes Kollegium die Erbschaft beider verfassungsmaessiger Gewalten tat und, wenn auch in den bescheidensten Formen, die Zentralregierung der Gemeinde ward, war revolutionaer und usurpatorisch. Indes wenn jede Revolution und jede Usurpation durch die ausschliessliche Faehigkeit zum Regimente vor dem Richterstuhl der Geschichte gerechtfertigt erscheint, so muss auch ihr strenges Urteil es anerkennen, dass diese Koerperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig begriffen und wuerdig erfuellt hat. Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern wesentlich durch die freie Wahl der Nation; bestaetigt von vier zu vier Jahren durch das strenge Sittengericht der wuerdigsten Maenner; auf Lebenszeit im Amte und nicht abhaengig von dem Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Staende; alles in sich schliessend, was das Volk besass von politischer Intelligenz und praktischer Staatskunde; unumschraenkt verfuegend in allen finanziellen Fragen und in der Leitung der auswaertigen Politik; die Exekutive vollkommen beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der Beseitigung des staendischen Haders dienstbar gewordene tribunizische Interzession, war der roemische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in Machtfuelle und sicherem Mut die erste politische Koerperschaft aller Zeiten – auch jetzt noch “eine Versammlung von Koenigen”, die es verstand, mit republikanischer Hingebung despotische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach aussen fester und wuerdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es allerdings nicht zu verkennen, dass die im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie in den ihre Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten parteiisch verfuhr und dass die Klugheit und die Energie der Koerperschaft hier haeufig von ihr nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der grosse, in schweren Kaempfen festgestellte Grundsatz, dass jeder roemische Buerger gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich ergebende Eroeffnung der politischen Laufbahn, das heisst des Eintritts in den Senat fuer jedermann, erhielten neben dem Glanz der militaerischen und politischen Erfolge die staatliche und nationale Eintracht und nahmen dem Unterschied der Staende jene Erbitterung und Gehaessigkeit, die den Kampf der Patrizier und Plebejer bezeichnen; und da die glueckliche Wendung der aeusseren Politik es mit sich brachte, dass laenger als ein Jahrhundert die Reichen Spielraum fuer sich fanden, ohne den Mittelstand unterdruecken zu muessen, so hat das roemische Volk in seinem Senat laengere Zeit, als es einem Volke verstattet zu sein pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke durchzufuehren vermocht, eine weise und glueckliche Selbstregierung.
4. Kapitel
Sturz der etruskischen Macht
Die Kelten
Nachdem die Entwicklung der roemischen Verfassung waehrend der zwei ersten Jahrhunderte der Republik dargestellt ist, ruft uns die aeussere Geschichte Roms und Italiens wieder zurueck in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit, als die Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf der Tyrrhenischen See besassen unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbuendeten Karthager. Wenn auch Massalia unter steten und schweren Kaempfen sich behauptete, so waren dagegen die Haefen Kampaniens und der volskischen Landschaft und seit der Schlacht von Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In Sardinien gruendeten durch die vollstaendige Eroberung der Insel (um 260 500) die Soehne des karthagischen Feldherrn Mago die Groesse zugleich ihres Hauses und ihrer Stadt, und in Sizilien behaupteten die Phoeniker waehrend der inneren Fehden der hellenischen Kolonien ohne wesentliche Anfechtung den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder beherrschten die Schiffe der Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den oestlichen Gewaessern waren ihre Kaper gefuerchtet.
Auch zu Lande schien ihre Macht im Steigen. Den Besitz der latinischen Landschaft zu gewinnen, war fuer Etrurien, das von den volskischen in seiner Klientel stehenden Staedten und von seinen kampanischen Besitzungen allein durch die Latiner geschieden war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher hatte das feste Bollwerk der roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und die Tibergrenze mit Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats nach der Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig Lars Porsena von Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte, fand er nicht ferner den gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat im Frieden (angeblich 247 507) nicht bloss alle Besitzungen am rechten Tiberufer an die naechstliegenden tuskischen Gemeinden ab und gab also die ausschliessliche Herrschaft ueber den Strom auf, sondern lieferte auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und gelobte, fortan des Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als sei die Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern. Allein die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und karthagischen Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward gluecklich abgewendet durch das Zusammenhalten der durch Stammverwandtschaft wie durch die gemeinsame Gefahr aufeinander angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das etruskische Heer, das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den Mauern von Aricia die Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige Hilfe der den Aricinern zur Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir wissen nicht, wie der Krieg endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon damals den verderblichen und schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist nur, dass die Tusker auch diesmal auf dem linken Tiberufer sich dauernd zu behaupten nicht vermochten. Bald ward die hellenische Nation zu einem noch umfassenderen und noch entscheidenderen Kampf gegen die Barbaren des Westens wie des Ostens genoetigt. Es war um die Zeit der Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Grosskoenig fuehrte auch Karthago in die Bahnen der persischen Politik – wie denn selbst ein Buendnis zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwuerdig ueberliefert ist – und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der grossartigsten politischen Kombinationen, die gleichzeitig die asiatischen Scharen auf Griechenland, die phoenikischen auf Sizilien warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die Zivilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen. Die Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und raechte das eigentliche Hellas; und an demselben Tag – so wird erzaehlt – besiegten die Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das ungeheure Heer des karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei Himera so vollstaendig, dass der Krieg damit zu Ende war und die Phoeniker, die damals noch keineswegs den Plan verfolgten, ganz Sizilien fuer eigene Rechnung sich zu unterwerfen, zurueckkehrten zu ihrer bisherigen defensiven Politik. Noch sind von den grossen Silberstuecken erhalten, welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons, Damareta, und anderer edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug geschlagen wurden, und die spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Koenigs von Syrakus und des herrlichen, von Simonides gefeierten Sieges. Die naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der Seeherrschaft ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion und Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge durch eine stehende Flotte gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden Sieg erfochten bald darauf die Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme (280 474) ueber die tyrrhenische Flotte, der die Karthager vergeblich Hilfe zu bringen versuchten. Das ist der Sieg, welchen Pindaros in der ersten pythischen Ode feiert, und noch ist der Etruskerhelm vorhanden, den Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: “Hiaron des Deinomenes Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von Kyma” ^1.
———————————————– ^1 Fiaron o Diomeneos kai toi Syrakosioi toi Di’ T?ran’ apo K?mas. ———————————————– Waehrend diese ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus an die Spitze der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den italischen Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige aus Rom (243 511) das achaeische Sybaris untergegangen war, das dorische Tarent sich unbestritten zu der ersten Stelle; die furchtbare Niederlage der Tarentiner durch die Iapyger (280 474), die schwerste, die bis dahin ein Griechenheer erlitten hatte, entfesselte nur, aehnlich wie der Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des Volksgeistes in energisch demokratischer Entwicklung. Von jetzt an spielen nicht mehr die Karthager und die Etrusker die erste Rolle in den italischen Gewaessern, sondern im Adriatischen und Ionischen Meer die Tarentiner, im Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner, und namentlich die letzteren beschraenkten mehr und mehr das etruskische Korsarenwesen. Schon Hieron hatte nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia) besetzt und damit die Verbindung zwischen den kampanischen und den noerdlichen Etruskern unterbrochen. Um das Jahr 302 (452) wurde von Syrakus, um der tuskischen Piraterie gruendlich zu steuern, eine eigene Expedition ausgesandt, die die Insel Korsika und die etruskische Kueste verheerte und die Insel Aethalia (Elba) besetzte. Ward man auch nicht voellig Herr ueber die etruskisch-karthagischen Piraten – wie denn das Kaperwesen zum Beispiel in Antium bis in den Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt fortgedauert zu haben scheint -, so war doch das maechtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen die verbuendeten Tusker und Phoeniker. Einen Augenblick freilich schien es, als muesse die syrakusische Macht gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug gegen Syrakus im Lauf des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413) die Etrusker, die alten Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern unterstuetzten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie im Osten den Dorern. Nach dem schmaehlichen Scheitern der attischen Expedition ward Syrakus so unbestritten die erste griechische Seemacht, dass die Maenner, die dort an der Spitze des Staates standen, die Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und ueber beide Meere Italiens ins Auge fassten; wogegen anderseits die Karthager, die ihre Herrschaft in Sizilien jetzt ernstlich bedroht sahen, auch auf ihrer Seite die Ueberwaeltigung der Syrakusaner und die Unterwerfung der ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mussten und nahmen. Der Verfall der sizilischen Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen Macht auf der Insel, die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen, koennen hier nicht erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte gegen dies der neue Herr von Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367), die empfindlichsten Schlaege. Der weitstrebende Koenig gruendete seine neue Kolonialmacht vor allem in dem italischen Ostmeer, dessen noerdlichere Gewaesser jetzt zum erstenmal einer griechischen Seemacht untertan wurden. Um das Jahr 367 (387) besetzte und kolonisierte Dionysios an der illyrischen Kueste den Hafen Lissos und die Insel Issa, an der italischen die Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das Andenken an die syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend bewahrten nicht bloss die “Graeben des Philistos”, ein ohne Zweifel von dem bekannten Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die Jahre seiner Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter Kanal an der Pomuendung; auch die veraenderte Benennung des italischen Ostmeers selbst, wofuer seitdem anstatt der aelteren Benennung des Ionischen Busens die heute noch gangbare des “Meeres von Hadria” vorkommt, geht wahrscheinlich auf diese Ereignisse zurueck ^2. Aber nicht zufrieden mit diesen Angriffen auf die Besitzungen und Handelsverbindungen der Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios durch die Erstuermung und Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri (369 385 die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn auch sich nicht wieder erholt. Als nach Dionysios’ Tode die inneren Unruhen in Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte wieder im Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444 (310) Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn tuskische Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer Korsika fuerchten, das sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die alte tuskisch-phoenikische Symmachie, die noch zu Aristoteles’ Zeit (370-432 384-322) bestand, ward damit gesprengt, aber die Schwaeche der Etrusker zur See nicht wieder aufgehoben. ——————————————————- ^2 Hekataeos (+ nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345 484- 409) kennen den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe bespuelende Meer (K. O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S. 140; GGM 1, p. 23). In weiterer Bedeutung findet sich die Benennung des Hadriatischen Meeres zuerst bei dem sogenannten Skylax um 418 der Stadt (336). ——————————————————– Dieser rasche Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde unerklaerlich sein, wenn nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sizilischen Griechen sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen Seiten her die schwersten Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der Schlachten von Salamis, Himera und Kyme ward, dem Berichte der roemischen Annalen zufolge, zwischen Rom und Veii ein vieljaehriger und heftiger Krieg gefuehrt (271-280 483-474). Die Roemer erlitten in demselben schwere Niederlagen; im Andenken geblieben ist die Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge der inneren Krisen sich freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die Verteidigung der Grenze gegen Etrurien uebernommen hatten, hier aber am Bache Cremera bis auf den letzten waffenfaehigen Mann niedergehauen wurden. Allein der Waffenstillstand auf 400 Monate, der anstatt Friedens den Krieg beendigte, fiel fuer die Roemer insofern guenstig aus, als er wenigstens den Status quo der Koenigszeit wiederherstellte; die Etrusker verzichteten auf Fidenae und den am rechten Tiberufer gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber moegen die Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von Himera gewesen sein oder nicht, die Interessen wie die Folgen trafen jedenfalls zusammen.
Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die Etrusker; und kaum war deren kampanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch schon nicht mehr imstande war, den Angriffen der sabellischen Bergvoelker zu widerstehen. Die Hauptstadt Capua fiel 330 (424) und die tuskische Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung von den Samniten ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die kampanischen Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion schwer zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert. Dennoch behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hilfe der Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in Kampanien aus der Geschichte verschwindet; kaum dass einzelne etruskische Gemeinden eine kuemmerliche und verlorene Existenz sich dort fristeten.
Aber noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im noerdlichen Italien ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker. Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die italische, die germanische und die hellenische Schwester. Es fehlt ihr bei manchen tuechtigen und noch mehr glaenzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staatliche Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der menschlichen Entwicklung sich gruendet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich fuer den freien Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu bestellen. Dem Ackerbau zogen sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen vorzugsweise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Herden sich naehrend und in den Eichenwaeldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhaenglichkeit an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt bei den Kelten; wogegen sie es lieben, in den Staedten und Flecken zusammen zu siedeln und diese bei ihnen frueher, wie es scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben. Ihre buergerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht bloss wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten, was ja in gleicher Weise von allen Nationen anfaenglich gilt, sondern es mangelt auch in den einzelnen Gemeinden an Eintracht und festem Regiment, an ernstem Buergersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich schicken, ist die militaerische, in der die Bande der Disziplin dem einzelnen die schwere Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen. “Die hervorstehenden Eigenschaften der keltischen Rasse”, sagt ihr Geschichtschreiber Thierry, “sind die persoenliche Tapferkeit, in der sie es allen Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung, Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit.” Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: “auf zwei Dinge geben die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit” ^3. Solche Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren die geschichtliche Tatsache, dass die Kelten alle Staaten erschuettert und keinen gegruendet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern, das heisst zu marschieren; dem Grundstueck die bewegliche Habe vorziehend, allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk betreibend als geordnetes Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und allerdings mit solchem Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber Sallustius im Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern zugesteht. Es sind die rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen sie uns darstellen: grosse, nicht sehnige Koerper, mit zottigem Haupthaar und langem Schnauzbart – recht im Gegensatz zu Griechen und Roemern, die das Haupt und die Oberlippe schoren -, in bunten gestickten Gewaendern, die beim Kampf nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit ungeheurem Schild nebst dem langen schlechtgestaehlten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten verstanden. Zum Renommieren dient alles, selbst die Wunde, die oft nachtraeglich erweitert wird, um mit der breiteren Schmarre zu prunken. Gewoehnlich fechten sie zu Fuss, einzelne Schwaerme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden sich frueh wie bei den Libyern und den Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des Mittelalters; am meisten die den Roemern und Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten sie den einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden verhoehnt hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie gegeneinander in glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die Zechgelage hernach nicht fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter eigener oder fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kaempfen und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie der Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser Staat, nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.
——————————————————- ^3 Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).
——————————————————- So schildern uns die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst sich nur mutmassen. Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen und germanischen Voelkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen Mutterland in Europa eingerueckt, wo sie in fruehester Zeit das Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begruendeten ^4, gegen Norden hin uebersiedelnd auf die britannischen Inseln, gegen Sueden die Pyrenaeen ueberschreitend und mit den iberischen Voelkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen indes stroemte ihre erste grosse Wanderung vorbei und erst von den westlichen Laendern aus begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung jene Zuege, die sie ueber die Alpen und den Haemus, ja ueber den Bosporus fuehrten und durch die sie der Schrecken der saemtlichen zivilisierten Nationen des Altertums geworden und durch manche Jahrhunderte geblieben sind, bis Caesars Siege und die von Augustus geordnete Grenzverteidigung ihre Macht fuer immer brachen.
——————————————————– ^4 Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass die Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst die der letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des grossen Baumes, von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften indogermanischen Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen und Italokelten und betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder in Italiker und Kelten gespalten haetten. Geographisch ist diese Aufstellung sehr annehmbar, und auch die geschichtlich vorliegenden Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls in Einklang bringen da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen worden ist, fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann – wissen wir doch ueber die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass ihre Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden duerften. ——————————————————- Die einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten hat, berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen folgendermassen ^5. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze damals wie noch zu Caesars Zeit der Gau der Biturigen (um Bourges) stand, habe unter dem Koenig Ambiatus zwei grosse Heeresschwaerme entsendet, gefuehrt von den beiden Neffen des Koenigs, und es sei der eine derselben, Sigovesus, ueber den Rhein in der Richtung auf den Schwarzwald zu vorgedrungen, der zweite, Bellovesus, ueber die Graischen Alpen (den Kleinen St. Bernhard) in das Potal hinabgestiegen. Von jenem stamme die gallische Niederlassung an der mittleren Donau, von diesem die aelteste keltische Ansiedlung in der heutigen Lombardei, der Gau der Insubrer mit dem Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei ein zweiter Schwarm gefolgt, der den Gau der Cenomaner mit den Staedten Brixia (Brescia) und Verona begruendet habe. Unaufhoerlich stroemte es fortan ueber die Alpen in das schoene ebene Land; die keltischen Staemme samt den von ihnen aufgetriebenen und fortgerissenen ligurischen entrissen den Etruskern einen Platz nach dem andern, bis das ganze linke Poufer in ihren Haenden war. Nach dem Fall der reichen etruskischen Stadt Melpum (vermutlich in der Gegend von Mailand), zu deren Bezwingung sich die schon im Potal ansaessigen Kelten mit neugekommenen Staemmen vereinigt hatten (358? 396), gingen diese letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses und begannen die Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu bedraengen. Es waren dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen Strasse, ueber den Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien eingedrungenen Boier; sie siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo die alte Etruskerstadt Felsina, von den neuen Herren Bononia umgenannt, ihre Hauptstadt wurde. Endlich kamen die Senonen, der letzte groessere Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist; er nahm seine Sitze an der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis Ancona. Aber einzelne Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach Umbrien hinein, ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen sein; denn noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in keltischer Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten hin die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten Jahrhunderts sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf dasjenige Gebiet beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und heute noch traegt.
——————————————- ^5 Die Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch Caesar (Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der Wanderung des Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene chronologisch auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt wird, gehoert unzweifelhaft nicht der einheimischen, natuerlich zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren chronologisierenden Forschung und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle und Einwanderungen moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsichgreifen der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden.
Ebenso ist, nach der einsichtigen Ausfuehrung von Wickham und Cramer, nicht daran zu zweifeln, dass der Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht ueber die Kottischen Alpen (Mont Genevre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern ueber die Graischen (den Kleinen St. Bernhard) und durch das der Salasser ging; den Namen des Berges gibt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern nach seiner Vermutung an. Ob die italischen Boier aufgrund einer echten Sagenreminiszenz oder nur aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit den noerdlich von der Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass der Poeninischen Alpen gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben. ————————————————- Unter diesen, wie auf Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der verschiedensten Voelker, der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor allem der Kelten brach die eben noch so gewaltig und so ploetzlich in Latium und Kampanien und auf beiden italischen Meeren um sich greifende etruskische Nation noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der Verlust der Seeherrschaft, die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker gehoert derselben Epoche an, wo die Insubrer und Cenomaner am Po sich niederliessen; und eben um diese Zeit ging auch die durch Porsena wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und fast geknechtete roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor. Im Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie er zu der Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als er im Jahre 309 (445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber es waren Grenzgefechte und Beutezuege, die fuer beide Teile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu maechtig da, als dass Rom einen ernstlichen Angriff haette unternehmen koennen. Erst der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung vertrieben, die Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars Tolumnius, unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher gluecklich fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae ward genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis mehr und mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den bisher noch verschonten Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der Waffenstillstand Ende 346 (408) abgelaufen war, entschlossen sich die Roemer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii gefuehrt ward.
Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre gewaehrt haben soll, ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich dieser Ereignisse bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier mit bis dahin unerhoerter Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten Kampfpreis. Es war das erstemal, dass ein roemisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das erstemal, dass die Gemeinde aus Staatsmitteln dem Aufgebot Sold zahlte. Aber es war auch das erstemal, dass die Roemer es versuchten, sich eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre Waffen ueber die alte Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen. Der Kampf war gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden Unterstuetzung bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des gefuerchteten Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung gewaehrte als den Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation verlassen dastand und nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch Tarquinii, ihm Zuzug leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten wuerden diese Nichtteilnahme der noerdlichen Gemeinden allein schon genuegend erklaeren; es wird indes erzaehlt und es ist kein Grund es zu bezweifeln, dass zunaechst innere Parteiungen in dem etruskischen Staedtebund, namentlich die Opposition der aristokratischen Regierungen der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern beibehaltene oder wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der uebrigen Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an dem Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische Gemeinde kaum imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst unentwickelten Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung einer grossen und festen Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und verlassen wie sie war, unterlag die Stadt (358 396) nach tapferer Gegenwehr dem ausharrenden Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst seinem Volke die glaenzende Bahn der auslaendischen Eroberungen auftat. Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang die in den Festspielen Roms bis in spaete Zeit fortgepflanzte Sitte des “Veienterverkaufs”, wobei unter den zur Versteigerung gebrachten parodischen Beutestuecken der aergste alte Krueppel, den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluss machte als “Koenig der Veienter”. Die Stadt ward zerstoert, der Boden verwuenscht zu ewiger Oede. Falerii und Capena eilten, Frieden zu machen; das maechtige Volsinii, das in bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen Jahren (363 391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige Sage sein, dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii, an demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen; aber es liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Der doppelte Angriff von Norden und Sueden und der Fall der beiden Grenzfesten war der Anfang des Endes der grossen etruskischen Nation. Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden Voelkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr untereinander sich aufreiben und auch Roms neu aufbluehende Macht von den fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der Dinge, die dem natuerlichen Lauf der Politik widersprach, beschworen ueber die Roemer der eigene Uebermut und die eigene Kurzsichtigkeit herauf. Die keltischen Scharen, die nach Melpums Fall ueber den Fluss gesetzt waren, ueberfluteten mit reissender Geschwindigkeit das noerdliche Italien, nicht bloss das offene Gebiet am rechten Ufer des Padus und laengs des Adriatischen Meeres, sondern auch das eigentliche Etrurien diesseits des Apennin. Wenige Jahre nachher (363 391) ward schon das im Herzen Etruriens gelegene Clusium (Chiusi an der Grenze von Toskana und dem Kirchenstaat) von den keltischen Senonen belagert; und so gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte tuskische Stadt die Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere vielleicht weise gewesen, dieselbe zu gewaehren und zugleich die Gallier durch die Waffen und die Etrusker durch den gewaehrten Schutz in Abhaengigkeit von Rom zu bringen; allein eine solche weitblickende Intervention, die die Roemer genoetigt haben wuerde, einen ernsten Kampf an der tuskischen Nordgrenze zu beginnen, lag jenseits des Horizonts ihrer damaligen Politik. So blieb nichts uebrig, als sich jeder Einmischung zu enthalten. Allein toerichterweise schlug man die Hilfstruppen ab und schickte Gesandte; und noch toerichter meinten diese, den Kelten durch grosse Worte imponieren und, als dies fehlschlug, gegen Barbaren ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu koennen: sie nahmen in den Reihen der Clusiner teil an einem Gefecht und der eine von ihnen stach darin einen gallischen Befehlshaber vom Pferde. Die Barbaren verfuhren in diesem Fall mit Maessigung und Einsicht. Sie sandten zunaechst an die roemische Gemeinde, um die Auslieferung der Frevler am Voelkerrecht zu fordern, und der Senat war bereit, dem billigen Begehren sich zu fuegen. Allein in der Masse ueberwog das Mitleid gegen die Landsleute die Gerechtigkeit gegen die Fremden; die Genugtuung ward von der Buergerschaft verweigert, ja nach einigen Berichten ernannte man die tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar zur Konsulartribunen fuer das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen Annalen so verhaengnisvoll werden sollte. Da brach der Brennus, das heisst der Heerkoenig der Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der ganze Keltenschwarm – die Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben – wandte sich gegen Rom. Solche Zuege in unbekannte und ferne Gegenden waren den Galliern gelaeufig, die unbekuemmert um Deckung und Rueckzug als bewaffnete Auswandererscharen marschierten; in Rom aber ahnte man offenbar nicht, welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so gewaltigen Ueberfall lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom waren, ueberschritt eine roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat ihnen den Weg. Keine drei deutsche Meilen von den Toren, gegenueber der Muendung des Baches Allia in den Tiberfluss, trafen die Heere aufeinander und kam es am 18. Juli 364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern wie gegen Raeuber, uebermuetig und tolldreist in den Kampf unter unerprobten Feldherren – Camillus hatte infolge des Staendehaders von den Geschaeften sich zurueckgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rueckzugs? Aber die Wilden waren Maenner von todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern so neu wie schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die Kelten im rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten sie im ersten Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig; von den Roemern, die den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein grosser Teil bei dem Versuch, denselben zu ueberschreiten, seinen Untergang; was sich rettete, warf sich seitwaerts nach dem nahen Veii. Die siegreichen Kelten standen zwischen dem Rest des geschlagenen Heeres und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem Feinde preisgegeben; die geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin gefluechtete Mannschaft reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen, und drei Tage nach der Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore in Rom ein. Haetten sie es am ersten getan, wie sie es konnten, so war nicht bloss die Stadt, sondern auch der Staat verloren; die kurze Zwischenzeit machte es moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu vergraben und, was wichtiger war, die Burg zu besetzen und notduerftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte, liess man nicht auf die Burg – man hatte kein Brot fuer alle. Die Menge der Wehrlosen verlief sich in die Nachbarstaedte; aber manche, vor allem eine Anzahl angesehener Greise, mochten den Untergang der Stadt nicht ueberleben und erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und pluenderten, was an Menschen und Gut sich vorfand und zuendeten schliesslich vor den Augen der roemischen Besatzung auf dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungskunst verstanden sie nicht und die Blockade des steilen Burgfelsens war langwierig und schwierig, da die Lebensmittel fuer den grossen Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich herbeischaffen liessen und diesen die benachbarten latinischen Buergerschaften, namentlich die Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck sich entgegenwarfen. Dennoch harrten die Kelten mit einer unter ihren Verhaeltnissen beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer dunkeln Nacht nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im kapitolinischen Tempel und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus Manlius entgangen war, die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den Kelten ein Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus gemeldet ward und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene Loesegeld anzunehmen. Das hoehnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es aufgewogen werde vom roemischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit verloren. —————————————————— ^6 Dies ist nach der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber fiel die Einnahme Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die zerruettete roemische Jahrzaehlung verschoben.
—————————————————— Die fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18. Juli und der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben gewesen und wo die Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden – all die Einzelheiten dieses unerhoerten Ereignisses gingen ueber von der Erinnerung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt, und noch wir begreifen es kaum, dass wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen sind, seit jene welthistorischen Gaense sich wachsamer bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch – mochte in Rom verordnet werden, dass in Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der gesetzlichen Privilegien vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort rechnen nach den Jahren von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit widerhallen in der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg finden bis in die griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Resultaten ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begebenheiten beizuzaehlen. Sie aendert eben nichts in den politischen Verhaeltnissen. Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine spaet und schlecht erfundene Erzaehlung den Helden Camillus wieder nach Rom zurueckbringen laesst; wie die Fluechtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahnsinnige Gedanke einiger mattherziger Klugheitspolitiker, die Buergerschaft nach Veii ueberzusiedeln, durch Camillus’ hochsinnige Gegenrede beseitigt ist, die Haeuser eilig und unordentlich – die engen und krummen Strassen Roms schrieben von dieser Zeit sich her – sich aus den Truemmern erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Ereignis wesentlich, wenn auch nicht im ersten Augenblick, dazu beigetragen hat, dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe zu nehmen und vor allem zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit fester zu knuepfen. Der Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss zweier politischer Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstoert wird, sofort wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier sind noch oft wiedergekehrt nach Latium; so im Jahre 387 (367), wo Camillus sie bei Alba schlug – der letzte Sieg des greisen Helden, der sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal Diktator gewesen und viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im Jahre 393 (361), wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine volle Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog; im Jahre 394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem Collinischen Tor mit den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt; im Jahre 396 (358), wo ihnen der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine nachdrueckliche Niederlage beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie sogar den Winter ueber auf dem Albaner Berg kampierten und sich mit den griechischen Piraten an der Kueste um den Raub schlugen, bis Lucius Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im folgenden Jahr sie vertrieb – ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles (370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege, wie schreckhaft und beschwerlich sie sein mochten, waren mehr Ungluecksfaelle als politische Ereignisse und das wesentlichste Resultat derselben, dass die Roemer sich selbst und dem Auslande in immer weiteren Kreisen als das Bollwerk der zivilisierten Nationen Italiens gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren erschienen – eine Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint gefoerdert hat. Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um Veii zu berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden Kraeften erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als der schwere Arm Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach wiederholten Niederlagen der Etrusker blieb das ganze suedliche Etrurien bis zu den Ciminischen Huegeln in den Haenden der Roemer, welche in den Gebieten von Veii, Capena und Falerii vier neue Buergerbezirke einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten durch die Anlage der Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373). Mit raschen Schritten ging dieser fruchtbare und mit roemischen Kolonisten bedeckte Landstrich der vollstaendigen Romanisierung entgegen. Um 396 (358) versuchten zwar die naechstliegenden etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii sich gegen die roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die Erbitterung war, die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die Niedermetzlung der saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen Gefangenen, dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von Tarquinii; allein es war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403 351) musste Caere, das, als den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten buesste, die halbe Landmark an Rom abtreten und mit dem geschmaelerten Gebiet, das ihm blieb, aus dem etruskischen Bunde aus- und in das Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen zunaechst fuer einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes nicht ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche den untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der caeritischen Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne aktives und passives Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung der Selbstverwaltung, so dass an die Stelle der eigenen Beamten bei der Rechtspflege und Schatzung die roemischen traten und am Orte selbst ein Vertreter (praefectus) des roemischen Praetors die Verwaltung leitete – eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche Form der Untertaenigkeit, wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine rechtlich fortbestehende, aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde umgewandelt ward. Nicht lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das seine urspruengliche latinische Nationalitaet auch unter der Tuskerherrschaft sich bewahrt hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit war ganz Suedetrurien in der einen oder anderen Form der roemischen Suprematie unterworfen. Tarquinii und wohl das noerdliche Etrurien ueberhaupt begnuegte man sich, durch einen Friedensvertrag auf 400 Monate fuer lange Zeit zu fesseln (403 351).
Auch im noerdlichen Italien ordneten sich allmaehlich die durch und gegen einander stuermenden Voelker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen. Die Zuege ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl infolge der verzweifelten Verteidigung der Etrusker in ihrer beschraenkteren Heimat und der ernstlichen Gegenwehr der maechtigen Roemer, zum Teil wohl auch infolge uns unbekannter Veraenderungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen und Apenninen bis hinab an die Abruzzen waren jetzt die Kelten im allgemeinen die herrschende Nation und namentlich die Herren des ebenen Landes und der reichen Weiden; aber bei ihrer schlaffen und oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte ihre Herrschaft nicht tief in der neu gewonnenen Landschaft und gestaltete sich keineswegs zum ausschliesslichen Besitz. Wie es in den Alpen stand und wie hier keltische Ansiedler mit aelteren etruskischen oder andersartigen Staemmen sich vermischten, gestattet unsere ungenuegende Kunde ueber die Nationalitaet der spaeteren Alpenvoelker nicht auszumachen; nur die Raeter in dem heutigen Graubuenden und Tirol duerfen als ein wahrscheinlich etruskischer Stamm bezeichnet werden. Die Taeler des Apennin behielten die Umbrer, den nordoestlichen Teil des Potals die anderssprachigen Veneter im Besitz; in den westlichen Bergen behaupteten sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo hinab wohnten und das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem mittleren Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die Insubrer und Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste von Ariminum bis Ankon, in der sogenannten “Gallierlandschaft” (ager Gallicus) die Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier muessen die etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens fortbestanden haben, etwa wie Ephesos und Milet griechisch blieben unter persischer Oberherrlichkeit. Mantua wenigstens, das durch seine Insellage geschuetzt war, war noch in der Kaiserzeit eine tuskische Stadt und auch in Atria am Po, wo zahlreiche Vasenfunde gemacht sind, scheint das etruskische Wesen fortbestanden zu haben; noch die unter dem Namen des Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste Kuestenbeschreibung nennt die Gegend von Atria und Spina tuskisches Land. Nur so erklaert sich auch, wie etruskische Korsaren bis weit ins fuenfte Jahrhundert hinein das Adriatische Meer unsicher machen konnten, und weshalb nicht bloss Dionysios von Syrakus die Kuesten desselben mit Kolonien bedeckte, sondern selbst Athen noch um 429 (325), wie eine kuerzlich entdeckte merkwuerdige Urkunde lehrt, zum Schutz der Kauffahrer gegen die tyrrhenischen Kaper die Anlage einer Kolonie im Adriatischen Meere beschloss.
Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen sich behaupten, es waren das einzelne Truemmer und Splitter der frueheren Machtentwicklung; der etruskischen Nation kam nicht mehr zugute, was hier im friedlichen Verkehr oder im Seekrieg von einzelnen noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen wahrscheinlich von diesen halbfreien Etruskern die Anfaenge derjenigen Zivilisation aus, die wir spaeterhin bei den Kelten und ueberhaupt den Alpenvoelkern finden. Schon dass die Keltenschwaerme in den lombardischen Ebenen, mit dem sogenannten Skylax zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich bleibend ansaessig machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge der Handwerke und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten, ja den Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die Etrusker zugekommen. Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in Kampanien und der ganzen Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich vom Ciminischen Walde den Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die Zeiten der Macht und des Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber. In engster Wechselwirkung mit diesem aeusseren Sinken steht der innere Verfall der Nation, zu dem die Keime freilich wohl schon weit frueher gelegt worden waren. Die griechischen Schriftsteller dieser Zeit sind voll von Schilderungen der masslosen Ueppigkeit des etruskischen Lebens: unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der Stadt preisen den tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber Timaeos und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und der etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und franzoesischen Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt das einzelne in diesen Berichten auch ist, so scheint doch mindestens die Angabe begruendet zu sein, dass die abscheuliche Lustbarkeit der Fechterspiele, der Krebsschaden des spaeteren Rom und ueberhaupt der letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den Etruskern aufgekommen ist; und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel an der tiefen Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben sind davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden wir aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des Koenigtums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen Staaten Etruriens durchgefuehrt gewesen zu sein scheint, rief in den einzelnen Staedten ein Patrizierregiment hervor, das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschraenkt sah. Selten nur gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle etruskischen Staedte zu vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt nicht den entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die ausschliessliche Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen und allen Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette verderben muessen, wenn nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht haetten, die Ansprueche der gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder Voelker einigermassen zu befriedigen und dem Ehrgeiz andere Bahnen zu oeffnen – dieser Kampf gegen das politische und was in Etrurien besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich zugrunde gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an Grundbesitz, konzentrierten sich in den Haenden von wenigen Adligen, waehrend die Massen verarmten; die sozialen Umwaelzungen, die hieraus entstanden, erhoehten die Not, der sie abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den bedraengten Aristokraten, zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488 (266) nichts uebrig, als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung, aber zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten. Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der roemischen Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den Etruskern von aussen, von einen andern italischen Stamm, den Samniten. 5. Kapitel
Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom Das grosse Werk der Koenigszeit war Roms Herrschaft ueber Latium in der Form der Hegemonie. Dass die Umwandlung der roemischen Verfassung sowohl auf das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu Latium wie auf die innere Ordnung der latinischen Gemeinden selbst nicht ohne maechtige Rueckwirkung bleiben konnte, leuchtet an sich ein und geht auch aus der Ueberlieferung hervor; von den Schwankungen, in welche durch die Revolution in Rom die roemisch-latinische Eidgenossenschaft geriet, zeugt die in ungewoehnlich lebhaften Farben schillernde Sage von dem Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul Aulus Postumius (255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren ueber die Latiner gewonnen haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes zwischen Rom und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten Konsulat (261 493). Indes geben diese Erzaehlungen eben ueber die Hauptsache, das Rechtsverhaeltnis der neuen roemischen Republik zu der latinischen Eidgenossenschaft, am wenigsten Aufschluss; und was wir sonst ueber dasselbe wissen, ist zeitlos ueberliefert und kann nur nach ungefaehrer Wahrscheinlichkeit hier eingereiht werden. Es liegt im Wesen der Hegemonie, dass sie durch das blosse innere Schwergewicht der Verhaeltnisse allmaehlich in die Herrschaft uebergeht; auch die roemische ueber Latium hat davon keine Ausnahme gemacht. Sie war begruendet auf die wesentliche Rechtsgleichheit des roemischen Staates und der latinischen Eidgenossenschaft; aber wenigstens im Kriegswesen und in der Behandlung der gemachten Eroberungen trug dies Verhaeltnis des Einheitsstaates einer- und des Staatenbundes anderseits die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der urspruenglichen Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg und Vertrag mit auswaertigen Staaten, also die volle staatliche Selbstbestimmung sowohl Rom wie den einzelnen Staedten des latinischen Bundes gewahrt, und es stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher Kriegfuehrung Rom wie Latium das gleiche Kontingent, in der Regel jedes ein “Heer” von 8400 Mann ^1; aber den Oberbefehl fuehrte der roemische Feldherr, welcher dann die Stabsoffiziere, also die Teilfuehrer (tribuni militum), nach eigener Wahl ernannte. Im Falle des Sieges wurden die bewegliche Beute wie das eroberte Land zwischen Rom und der Eidgenossenschaft geteilt, und wenn man in dem eroberten Gebiet Festungen anzulegen beschloss, so wurde nicht bloss deren Besatzung und Bevoelkerung teils aus roemischen, teils aus eidgenoessischen Aussendlingen gebildet, sondern auch die neugegruendete Gemeinde als souveraener Bundesstaat in die latinische Eidgenossenschaft aufgenommen und mit Sitz und Stimme auf der latinischen Tagsatzung ausgestattet.
——————————————————- ^1 Die urspruengliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv. 1, 52; 8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb. 6, 26 hervor. ——————————————————- Diese Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Koenigszeit, sicher in der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten der Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt haben. Am fruehesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und Vertragsrecht der Eidgenossenschaft gegenueber dem Ausland ^2; Krieg und Vertrag kam ein fuer allemal an Rom. Die Stabsoffiziere fuer die latinischen Truppen muessen in aelterer Zeit wohl ebenfalls Latiner gewesen sein; spaeter wurden dazu wo nicht ausschliesslich, doch vorwiegend roemische Buerger genommen ^3. Dagegen wurde nach wie vor der latinischen Eidgenossenschaft insgesamt kein staerkeres Kontingent zugemutet als das von der roemischen Gemeinde gestellte war; und ebenso war der roemische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente nicht zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug als besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten Anfuehrer ^4 zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen Eidgenossenschaft auf einen Anteil an der beweglichen Beute wie an dem eroberten Lande blieb formell bestehen; aber der Sache nach ist der wesentliche Kriegsertrag ohne Zweifel schon in frueher Zeit an den fuehrenden Staat gekommen. Selbst bei der Anlegung der Bundesfestungen oder der sogenannten latinischen Kolonien waren in der Regel vermutlich die meisten und nicht selten alle Ansiedler Roemer; und wenn auch dieselben durch die Uebersiedelung aus roemischen Buergern Buerger einer eidgenoessischen Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der neugepflanzten Ortschaft haeufig eine ueberwiegende und fuer die Eidgenossenschaft gefaehrliche Anhaenglichkeit an die wirkliche Mutterstadt. ———————————————– ^2 Dass in den spaeteren Bundesvertraegen zwischen Rom und Latium es den latinischen Gemeinden untersagt war ihre Kontingente von sich aus zu mobilisieren und allein ins Feld zu senden, sagt ausdruecklich Dionysios (8, 15).
^3 Diese latinischen Stabsoffiziere sind die zwoelf praefecti sociorum, welche spaeterhin, als die alte Phalanx sich in die spaeteren Legionen und alae aufgeloest hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae der Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwoelf Kriegstribunen des roemischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Dass der Konsul jene wie urspruenglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5. Da nun nach dem alten Rechtssatz, dass jeder Heerespflichtige Offizier werden kann, es gesetzlich dem Heerfuehrer gestattet war, einen Latiner zum Fuehrer einer roemischen wie umgekehrt einen Roemer zum Fuehrer einer latinischen Legion zu bestellen, so fuehrte dies praktisch dazu, dass die tribuni militum durchaus und die praefecti sociorum wenigstens in der Regel Roemer waren. ^4 Dies sind die decuriones turmarum und praefecti cohortium (Polyb. 6, 21, 5; Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und sonst). Natuerlich wurden, wie die roemischen Konsuln von Rechts wegen, in der Regel auch tatsaechlich Oberfeldherren waren, vielleicht durchaus, mindestens sehr haeufig auch in den abhaengigen Staedten die Gemeindevorsteher an die Spitze der Gemeindekontingente gestellt (Liv. 23, 19; Orelli 7022); wie denn selbst der gewoehnliche Name der latinischen Obrigkeiten (praetores) sie als Offiziere bezeichnet. ———————————————- Die Rechte dagegen, welche die Bundesvertraege dem einzelnen Buerger einer der verbuendeten Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten, wurden nicht beschraenkt. Es gehoerten dahin namentlich die volle Rechtsgleichheit in Erwerb von Grundbesitz und beweglicher Habe, in Handel und Wandel, Ehe und Testament, und die unbeschraenkte Freizuegigkeit, sodass der in einer Bundesstadt verbuergerte Mann nicht bloss in jeder andern sich niederzulassen rechtlich befugt war, sondern auch daselbst als Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der passiven Wahlfaehigkeit an allen privaten und politischen Rechten und Pflichten teilnahm, sogar wenigstens in der nach Distrikten berufenen Gemeindeversammlung in einer freilich beschraenkten Weise zu stimmen befugt war ^5. ——————————————— ^5 Es wurde ein solcher Insasse nicht wie der wirkliche Mitbuerger einem ein fuer allemal bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor jeder einzelnen Abstimmung nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen diesmal zu stimmen hatten, durch das Los festgestellt. Der Sache nach kam dies wohl darauf hinaus, dass in der roemischen Tribusversammlung den Latinern eine Stimme eingeraeumt ward. Da der Platz in irgendeiner Tribus die Vorbedingung des ordentlichen Zenturiatstimmrechts war, so muss, wenn die Insassen auch in der Zenturienversammlung mitgestimmt haben, was wir nicht wissen, fuer diese eine aehnliche Losung festgesetzt gewesen sein. An den Kurien werden sie gleich den Plebejern teilgenommen haben.
——————————————- So etwa mag in der ersten republikanischen Zeit das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu der latinischen Eidgenossenschaft beschaffen gewesen sein, ohne dass sich ausmachen liesse, was darin auf aeltere Satzungen und was auf die Buendnisrevision von 261 (493) zurueckgeht. Mit etwas groesserer Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der einzelnen zu der latinischen Eidgenossenschaft gehoerigen Gemeinden nach dem Muster der roemischen Konsularverfassung als Neuerung bezeichnet und in diesen Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich die verschiedenen Gemeinden zu der Abschaffung des Koenigtums an sich recht wohl voneinander unabhaengig gelangt sein koennen, so verraet doch die gleichartige Benennung der neuen Jahreskoenige in der roemischen und den uebrigen Gemeindeverfassungen von Latium sowie die weitgreifende Anwendung des so eigentuemlichen Kollegialitaetsprinzips ^6 augenscheinlich einen aeusseren Zusammenhang; irgend einmal nach der Vertreibung der Tarquinier aus Rom muessen durchaus die latinischen Gemeindeordnungen nach dem Schema der Konsularverfassung revidiert worden sein. Es kann nun freilich diese Ausgleichung der latinischen Verfassungen mit derjenigen der fuehrenden Stadt moeglicherweise erst einer spaeteren Epoche angehoeren; indes spricht die innere Wahrscheinlichkeit vielmehr dafuer, dass der roemische Adel, nachdem er bei sich die Abschaffung des lebenslaenglichen Koenigtums bewirkt hatte, dieselbe Verfassungsaenderung auch den Gemeinden der latinischen Eidgenossenschaft angesonnen und, trotz des ernsten und den Bestand des roemisch-latinischen Bundes selbst in Frage stellenden Widerstandes, welchen teils die vertriebenen Tarquinier, teils die koeniglichen Geschlechter und koeniglich gesinnten Parteien der uebrigen Gemeinden Latiums geleistet zu haben scheinen, schliesslich in ganz Latium die Adelsherrschaft eingefuehrt hat. Die eben in diese Zeit fallende gewaltige Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe der Veienter, der Heereszug des Porsena moegen wesentlich dazu beigetragen haben, die latinische Nation bei der einmal festgestellten Form der Einigung, das heisst bei der fortwaehrenden Anerkennung der Oberherrlichkeit Roms festzuhalten und dem zuliebe eine ohne Zweifel auch im Schosse der latinischen Gemeinden vielfach vorbereitete Verfassungsaenderung, ja vielleicht selbst eine Steigerung der hegemonischen Rechte sich gefallen zu lassen. —————————————— ^6 Regelmaessig stehen bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei Praetoren. Daneben kommen in einer Reihe von Gemeinden auch Einzelbeamte vor, welche dann den Diktatortitel fuehren – so in Alba (Orelli-Henzen 2293), Tusculum, Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45; Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli 2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli 3324), Nomentum (Orelli 208, 6138, 7032; vgl. W. Henzen in Bullettino dell’ Istituto 1858, S. 169) und Aricia (Orelli 1455). Dazu kommt der aehnliche Diktator in der civitas sine suffragio Caere (Orelli 3787, 5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd. 1, S. 31, obwohl irrig nach Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen Beamten von Fidenae (Orelli 112). Alle diese Aemter oder aus Aemtern hervorgegangenen Priestertuemer (der Diktator von Caere ist zu erklaeren nach Liv. 9, 43: Anagninis – magistratibus praeter quam sacrorum curatione interdictum) sind jaehrig (Orelli 208). Auch der Bericht Macers und der aus ihm schoepfenden Annalisten, dass Alba schon zur Zeit seines Falls nicht mehr unter Koenigen, sondern unter Jahresdiktatoren gestanden habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist vermutlich bloss eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution der ohne Zweifel gleich der nomentanischen jaehrigen sacerdotalen albanischen Diktatur, bei welcher Darstellung ueberdies die demokratische Parteistellung ihres Urhebers mit im Spiel gewesen sein wird. Es steht dahin, ob der Schluss gueltig ist und nicht, auch wenn Alba zur Zeit seiner Aufloesung unter lebenslaenglichen Herrschern stand, die Abschaffung des Koenigtums in Rom nachtraeglich die Verwandlung der albanischen Diktatur in ein Jahramt herbeifuehren konnte. All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache wie besonders auch in den Namen wesentlich mit der in Rom durch die Revolution festgestellten Ordnung in einer Weise ueberein, die durch die blosse Gleichartigkeit der politischen Grundverhaeltnisse nicht genuegend erklaert wird. —————————————– Die dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach allen Seiten hin nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu erweitern. Dass die Etrusker nur kurze Zeit im Besitze der Suprematie ueber Latium blieben und die Verhaeltnisse hier bald wieder in die Lage zurueckkamen, welche sie in der Koenigszeit gehabt hatten, wurde schon dargestellt; zu einer eigentlichen Erweiterung der roemischen Grenzen kam es aber nach dieser Seite hin erst mehr als ein Jahrhundert nach der Vertreibung der Koenige aus Rom. Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der Umbrer bis hinab zu der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und die in der Epoche, in welche die Anfaenge Roms fallen, bis nach Latium selbst kaempfend und erobernd vordrangen, haben spaeterhin die Roemer trotz der unmittelbaren Nachbarschaft sich verhaeltnismaessig wenig beruehrt. Die schwache Teilnahme derselben an dem verzweifelten Widerstand der oestlichen und suedlichen Nachbarvoelker geht selbst aus den Berichten der Jahrbuecher noch hervor und, was wichtiger ist, es begegnen hier keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen Gebiet so zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht haengt dies damit zusammen, dass die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit sich ueber Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am Tifernus und Volturnus scheinen sie wenig in die Kaempfe eingegriffen zu haben, deren Schauplatz das Gebiet suedlich vom Tiber war.
Bei weitem heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die, oestlich von Rom bis in die Taeler des Turano und Salto und am Nordrande des Fuciner Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern grenzten ^7, und der Volsker, welche suedlich von den um Ardea sesshaften Rutulern und den suedwaerts bis Cora sich erstreckenden Latinern die Kueste bis nahe an die Muendung des Lirisflusses nebst den vorliegenden Inseln und im Innern das ganze Stromgebiet des Liris besassen. Die mit diesen beiden Voelkern sich jaehrlich erneuernden Fehden, die in der roemischen Chronik so berichtet werden, dass der unbedeutendste Streifzug von dem folgenreichen Kriege kaum unterschieden und der historische Zusammenhang gaenzlich beiseite gelassen wird, sollen hier nicht erzaehlt werden; es genuegt hinzuweisen auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen wir, dass es den Roemern und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von den Volskern zu trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der Gegend zwischen dem Suedabhang des Albaner Gebirges, den volskischen Bergen und den Pomptinischen Suempfen scheinen ueberdies die Latiner und die Volsker zunaechst sich beruehrt und selbst gemischt durcheinander gesessen zu haben ^8. In dieser Gegend haben die Latiner die ersten Schritte getan ueber ihre Landesgrenze hinaus und sind Bundesfestungen im Fremdland, sogenannte latinische Kolonien zuerst angelegt worden, in der Ebene Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem Albaner Gebirge selbst und Suessa in der pomptinischen Niederung, in den Bergen Norba (angeblich 262 492) und Signia (angeblich verstaerkt 259 495), welche beide auf den Verbindungspunkten zwischen der aequischen und volskischen Landschaft liegen. Vollstaendiger noch ward der Zweck erreicht durch den Beitritt der Herniker zu dem Bunde der Latiner und Roemer (268 486), welcher die Volsker vollstaendig isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewaehrte gegen die suedlich und oestlich wohnenden sabellischen Staemme; man begreift es, weshalb dem kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden anderen in Rat und Beuteanteil zugestanden ward. Die schwaecheren Aequer waren seitdem wenig gefaehrlich; es genuegte, von Zeit zu Zeit einen Pluenderzug gegen sie zu unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der Kuestenebene suedlich mit Latium grenzten, unterlagen frueh; ihre Stadt Ardea wurde schon im Jahre 312 (442) in eine latinische Kolonie umgewandelt ^9. Ernstlicher widerstanden die Volsker. Der erste namhafte Erfolg, den nach den oben erwaehnten die Roemer ihnen abgewannen, ist, merkwuerdig genug, die Gruendung von Circeii im Jahre 361 (393), das, solange Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit Latium in Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen, ward oft versucht und gelang auch voruebergehend 287 (467); aber 295 (459) machte die Stadt sich wieder frei, und erst nach dem gallischen Brande erhielten infolge eines heftigen dreizehnjaehrigen Krieges (365-377 389-377) die Roemer die entschiedene Oberhand im antiatischen und pomptinischen Gebiet. Satricum, unweit Antium, wurde im Jahre 369 (385) mit einer latinischen Kolonie belegt, nicht lange nachher wahrscheinlich Antium selbst sowie Tarracina ^10, das pomptinische Gebiet ward durch die Anlage der Festung Setia (372 382, verstaerkt 375 379) gesichert und in den Jahren 371 f. (383) in Ackerlose und Buergerbezirke verteilt. Seitdem haben die Volsker wohl noch sich empoert, aber keine Kriege mehr gegen Rom gefuehrt.
—————————————— ^7 Die Landschaft der Aequer umfasst nicht bloss das Tal des Anio oberhalb von Tibur und das Gebiet der spaeteren latinischen Kolonien Carsioli (am oberen Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den Bezirk des spaeteren Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als derjenige Rest der Aequer, welchem nach der Unterwerfung durch die Roemer und nach der Assignierung des groessten Teils des Gebiets an roemische oder latinische Kolonisten die munizipale Selbstaendigkeit verblieb.
^8 Allem Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen, urspruenglich volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf dem Volskergebirge urspruenglich latinisch.
^9 Nicht lange nachher muss die Gruendung des Dianahains im Walde von Aricia erfolgt sein, welche nach Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein tusculanischer Diktator vollzog fuer die Stadtgemeinden des alten Latiums Tusculum, Aricia, Lanuvium, Laurentum, Cora und Tibur und die beiden latinischen Kolonien (welche deshalb an der letzten Stelle stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus Ardeatis Rutulus). Das Fehlen Praenestes und der kleineren Gemeinden des alten Latium zeigt, wie es auch in der Sache liegt, dass nicht saemtliche Gemeinden des damaligen Latinischen Bundes sich an der Weihung beteiligten. Dass sie vor 372 (382) faellt, beweist das Auftreten von Pometia und das Verzeichnis stimmt voellig zu dem, was anderweitig ueber den Bestand des Bundes kurz nach dem Zutritt von Ardea sich ermitteln laesst. Den ueberlieferten Jahreszahlen der Gruendungen darf mehr als den meisten der aeltesten Ueberlieferungen Glauben beigemessen werden, da die den italischen Staedten gemeinsame Jahreszaehlung ab urbe condita allem Anschein nach das Gruendungsjahr der Kolonien durch unmittelbare Ueberlieferung bewahrt hat. ^10 Als latinische Gemeinden erscheinen beide in dem sogenannten Cassischen Verzeichnis um 372 (382) nicht, wohl aber in dem karthagischen Vertrag vom Jahre 406 (348); in der Zwischenzeit also sind die Staedte latinische Kolonien geworden.
———————————————- Aber je entschiedenere Erfolge der Bund der Roemer, Latiner und Herniker gegen die Etrusker, Aequer, Volsker und Rutuler davontrug, desto mehr entwich aus ihm die Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl in der frueher dargestellten, aus den bestehenden Verhaeltnissen mit innerer Notwendigkeit sich entwickelnden, aber darum nicht weniger schwer auf Latium lastenden Steigerung der hegemonischen Gewalt Roms, zum Teil in einzelnen gehaessigen Ungerechtigkeiten der fuehrenden Gemeinde. Dahin gehoeren vornehmlich der schmaehliche Schiedsspruch zwischen den Aricinern und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo die Roemer, angerufen zu kompromissarischer Entscheidung ueber ein zwischen den beiden Gemeinden streitiges Grenzgebiet, dasselbe fuer sich nahmen, und als ueber diesen Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden, das Volk zu den Volskern sich schlagen wollte, waehrend der Adel an Rom festhielt, die noch schaendlichere Ausnutzung dieses Haders zu der schon erwaehnten Aussendung roemischer Kolonisten in die reiche Stadt, unter die die Laendereien der Anhaenger der antiroemischen Partei ausgeteilt wurden (312 442). Hauptsaechlich indes war die Ursache, weshalb der Bund sich innerlich aufloeste, eben die Niederwerfung der gemeinschaftlichen Feinde; die Schonung von der einen, die Hingebung von der anderen Seite hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des anderen nicht mehr meinte zu beduerfen. Zum offenen Bruche zwischen den Latinern und Hernikern einer- und den Roemern anderseits gab die naechste Veranlassung teils die Einnahme Roms durch die Kelten und dessen dadurch herbeigefuehrte augenblickliche Schwaeche, teils die definitive Besetzung und Aufteilung des pomptinischen Gebiets; bald standen die bisherigen Verbuendeten gegeneinander im Felde. Schon hatten latinische Freiwillige in grosser Anzahl an dem letzten Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen; jetzt mussten die namhaftesten latinischen Staedte: Lanuvium (371 383), Praeneste (372-374, 400 382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur (394, 400 360, 354) und selbst einzelne der im Volskerland von dem roemisch-latinischen Bunde angelegten Festungen wie Velitrae und Circeii mit den Waffen bezwungen werden, ja die Tiburtiner scheuten sich sogar nicht, mit den eben einmal wieder einrueckenden gallischen Scharen gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum gemeinschaftlichen Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Muehe bemeisterte Rom die einzelnen Staedte; Tusculum ward sogar (373 381) genoetigt, seine politische Selbstaendigkeit aufzugeben und in den roemischen Buergerverband als untertaenige Gemeinde (civitas sine suffragio) einzutreten, so dass die Stadt ihre Mauern und eine wenn auch beschraenkte Selbstverwaltung, darum auch eigene Beamten und eine eigene Buergerversammlung behielt, dagegen aber ihre Buerger als roemische das aktive und passive Wahlrecht entbehrten – der erste Fall, dass eine ganze Buergerschaft dem roemischen Gemeinwesen als abhaengige Gemeinde einverleibt wurde.
Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396 362-358), in dem der erste der Plebs angehoerige konsularische Oberfeldherr Lucius Genucius fiel; allein auch hier siegten die Roemer. Die Krise endigte damit, dass die Vertraege zwischen Rom und der latinischen wie der hernikischen Eidgenossenschaft im Jahre 396 (358) erneuert wurden. Der genauere Inhalt derselben ist nicht bekannt, aber offenbar fuegten beide Eidgenossenschaften abermals und wahrscheinlich unter haerteren Bedingungen sich der roemischen Hegemonie. Die in demselben Jahr erfolgte Einrichtung zweier neuer Buergerbezirke im pomptinischen Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende roemische Macht. In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhaeltnis zwischen Rom und Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte Schliessung der latinischen Eidgenossenschaft ^11, obwohl es nicht sicher zu bestimmen ist, ob sie Folge oder, wie wahrscheinlicher, Ursache der eben geschilderten Auflehnung Latiums gegen Rom war. Nach dem bisherigen Recht war jede von Rom und Latium gegruendete souveraene Stadt unter die am Bundesfest und Bundestag teilberechtigten Kommunen eingetreten, wogegen umgekehrt jede einer anderen Stadt inkorporierte und also staatlich vernichtete Gemeinde aus der Reihe der Bundesglieder gestrichen ward. Dabei ward indes nach latinischer Art die einmal feststehende Zahl von dreissig foederierten Gemeinden in der Art festgehalten, dass von den teilnehmenden Staedten nie mehr und nie weniger als dreissig stimmberechtigt waren und eine Anzahl spaeter eingetretener oder auch ihrer Geringfuegigkeit oder begangener Vergehen wegen zurueckgesetzter Gemeinden des Stimmrechts entbehrten. Hiernach war der Bestand der Eidgenossenschaft um das Jahr 370 (384) folgender Art. Von altlatinischen Ortschaften waren, ausser einigen jetzt verschollenen oder doch der Lage nach unbekannten, noch autonom und stimmberechtigt zwischen Tiber und Anio Nomentum, zwischen dem Anio und dem Albaner Gebirg Tibur, Gabii, Scaptia, Labici ^12, Pedum und Praeneste, am Albaner Gebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia, Corioli und Lanuvium, in den volskischen Bergen Cora, endlich in der Kuestenebene Laurentum. Dazu kamen die von Rom und dem latinischen Bunde angelegten Kolonien: Ardea im ehemaligen Rutulergebiet und in dem der Volsker Satricum, Velitrae, Norba, Signia, Setia und Circeii. Ausserdem hatten siebzehn andere Ortschaften, deren Namen nicht sicher bekannt sind, das Recht der Teilnahme am Latinerfest ohne Stimmrecht. Auf diesem Bestande von siebenundvierzig teil- und dreissig stimmberechtigten Orten blieb die latinische Eidgenossenschaft seitdem unabaenderlich stehen; weder sind die spaeter gegruendeten latinischen Gemeinden, wie Sutrium, Nepete, Antium, Tarracina, Cales, unter dieselben eingereiht, noch die spaeter der Autonomie entkleideten latinischen Gemeinden, wie Tusculum und Lanuvium, aus dem Verzeichnis gestrichen.
—————————————– ^11 In dem von Dionysios (5, 61) mitgeteilten Verzeichnis der dreissig latinischen Bundesstaedte, dem einzigen, das wir besitzen, werden genannt die Ardeaten, Ariciner, Bovillaner, Bubentaner (unbekannter Lage), Corner (vielmehr Coraner), Carventaner (unbekannter Lage), Circeienser, Coriolaner, Corbinter, Cabaner (vielleicht die Cabenser am Albaner Berg, Bullettino dell’ Istituto 1861, S. 205), Fortineer (unbekannt), Gabiner, Laurenter, Lanuviner, Lavinaten, Labicaner, Nomentaner, Norbaner, Praenestiner, Pedaner, Querquetulaner (unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner, Senner, Tiburtiner, Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner (unbekannter Lage) und Veliterner. Die gelegentlichen Erwaehnungen teilnahmeberechtigter Gemeinden, wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum (Liv. 37, 3), Lanuvium (Liv. 41, 16), Bovillae, Gabii, Labici (Cic. Planc. 9, 23) stimmen mit diesem Verzeichnis. Dionysios teilt es bei Gelegenheit der Kriegserklaerung Latiums gegen Rom im Jahre 256 (498) mit, und es lag darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies Verzeichnis als der bekannten Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu betrachten. Allein da in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten Verzeichnis der Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der Zwoelf Tafeln sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fuenften Jahrhundert bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig 1850, S. 33), so muss dasselbe einer viel juengeren Quelle entnommen sein; und es ist bei weitem die einfachste Annahme, darin das Verzeichnis derjenigen Orte zu erkennen die spaeterhin als die ordentlichen Glieder der latinischen Eidgenossenschaft betrachtet wurden und die Dionysios, seiner pragmatisierenden Gewohnheit gemaess, als deren urspruenglichen Bestand auffuehrt. Es erscheint in dem Verzeichnis, wie es zu erwarten war, keine einzige nichtlatinische Gemeinde; dasselbe zaehlt lediglich urspruenglich latinische oder mit latinischen Kolonien belegte Orte auf – Corbio und Corioli wird niemand als Ausnahme geltend machen. Vergleicht man nun mit diesem Register das der latinischen Kolonien so sind bis zum Jahre 372 (382) gegruendet worden Suessa Pometia, Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361 393), Satricum (369 385), Sutrium (371 383), Nepete (371), Setia (372 382). Von den letzten drei ungefaehr gleichzeitigen koennen sehr wohl die beiden etruskischen etwas spaeter datieren als Setia, da ja die Gruendung jeder Stadt eine gewisse Zeitdauer in Anspruch nahm und unsere Liste von kleineren Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt man dies an, so enthaelt das Verzeichnis saemtliche bis zum Jahre 372 (382) ausgefuehrte Kolonien einschliesslich der beiden bald nachher aus dem Verzeichnis gestrichenen Satricum, zerstoert 377 (377), und Velitrae, des latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa Pometia, ohne Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstoert, und Signia, wahrscheinlich weil im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen nennt, hinter S/E/TIN/O/N ausgefallen ist SIGNIN/O/N. Im vollkommenen Einklang hiermit mangeln in diesem Verzeichnis ebenso alle nach dem Jahre 372 (382) gegruendeten latinischen Kolonien wie alle Orte, die wie Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384) der roemischen Gemeinde inkorporiert wurden, wogegen die spaeter einverleibten, wie Tusculum, Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind. Was das von Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreissig zu Plinius’ Zeit untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten Ortschaften betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei Dionysios stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die Dionysischen Carventaner zu sein) noch fuenfundzwanzig, meistenteils ganz unbekannte Ortschaften ohne Zweifel teils jene siebzehn nicht stimmenden Gemeinden, groesstenteils wohl eben die aeltesten, spaeter zurueckgestellten Glieder der albanischen Festgenossenschaft, teils eine Anzahl anderer untergegangener oder ausgestossener Bundesglieder, zu welchen letzteren vor allem der alte, auch von Plinius genannte Vorort Alba gehoert.
^12 Allerdings berichtet Livius (4, 47), dass Labici im Jahre 336 (418) Kolonie geworden sei. Allein abgesehen davon, dass Diodor (13, 6) hierueber schweigt, kann Labici weder eine Buergerkolonie geworden sein, da die Stadt teils nicht an der Kueste lag, teils auch spaeter noch im Besitz der Autonomie erscheint, noch eine latinische, da es kein einziges zweites Beispiel einer im urspruenglichen Latium angelegten latinischen Kolonie gibt noch nach dem Wesen dieser Gruendungen geben kann. Hoechst wahrscheinlich ist hier wie anderswo, da zumal als verteiltes Ackermass zwei Iugera genannt werden, die gemeine Buerger- mit der kolonialen Assignation verwechselt worden. ——————————————- Mit dieser Schliessung der Eidgenossenschaft haengt auch die geographische Fixierung des Umfanges von Latium zusammen. Solange die latinische Eidgenossenschaft noch offen war, hatte auch die Grenze von Latium mit der Anlage neuer Bundesstaedte sich vorgeschoben; aber wie die juengeren latinischen Kolonien keinen Anteil am Albaner Fest erhielten, galten sie auch geographisch nicht als Teil von Latium – darum werden wohl Ardea und Circeii, nicht aber Sutrium und Tarracina zur Landschaft Latium gerechnet. Aber nicht bloss wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht ausgestatteten Orte von der eidgenoessischen Gemeinschaft ferngehalten, sondern es wurden dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander isoliert, als die Verkehrs- und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft (commercium et conubium) einer jeden von diesen Gemeinden zwar mit der roemischen, nicht aber mit den uebrigen latinischen gestattet ward, so dass also zum Beispiel der Buerger von Sutrium wohl in Rom, aber nicht in Praeneste einen Acker zu vollem Eigentum besitzen und wohl von einer Roemerin, nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder gewinnen konnte ^13.
—————————————————— ^13 Diese Beschraenkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft begegnet zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8, 14); da indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher Teil ist, zuerst fuer die nach 370 (384) ausgefuehrten latinischen Kolonien begann und 416 (338) nur generalisiert ward, so war diese Neuerung hier zu erwaehnen. ——————————————- Wenn ferner bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie Bewegung gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen Gemeinden Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die zwei neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein Heiligtum gemeinschaftlich hatten stiften duerfen, so findet von aehnlichen der roemischen Hegemonie Gefahr drohenden Sonderkonfoederationen, ohne Zweifel nicht zufaellig, in spaeterer Zeit sich kein weiteres Beispiel. Ebenso wird man die weitere Umgestaltung der latinischen Gemeindeverfassungen und ihre voellige Ausgleichung mit der Verfassung Roms dieser Epoche zuschreiben duerfen; denn wenn als notwendiger Bestandteil der latinischen Magistratur neben den beiden Praetoren spaeterhin die beiden mit der Markt- und Strassenpolizei und der dazu gehoerigen Rechtspflege betrauten Aedilen erscheinen, so hat diese offenbar gleichzeitig und auf Anregung der fuehrenden Macht in allen Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung staedtischer Polizeibehoerden sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden Einrichtung der kurulischen Aedilitaet in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um diese Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied einer Kette von bevormundenden und die bundesgenoessischen Gemeindeordnungen im polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden Massregeln. Offenbar fuehlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des pomptinischen Gebietes sich maechtig genug, um die Zuegel der Hegemonie straffer anzuziehen und die saemtlichen latinischen Staedte in eine so abhaengige Stellung zu bringen, dass sie faktisch vollstaendig untertaenig wurden. In dieser Zeit (406 348) verpflichteten sich die Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen Handelsvertrag, den Latinern, die Rom botmaessig seien, namentlich den Seestaedten Ardea, Antium, Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufuegen; wuerde aber eine der latinischen Staedte vom roemischen Buendnis abgefallen sein, so sollten die Phoeniker dieselbe angreifen duerfen, indes, wenn sie sie etwa erobern wuerden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie den Roemern zu ueberliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die roemische Gemeinde ihre Schutzstaedte an sich band und was eine Stadt, die der einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbuesste und wagte. Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch wenigstens der latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf den dritten Teil von Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Ueberrest der ehemaligen Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging, war wichtig genug, um die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in dieser Zeit unter den Latinern gegen Rom herrschte. Nicht bloss fochten ueberall, wo Heere gegen Rom im Felde standen, latinische Reislaeufer zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre fuehrende Gemeinde; sondern im Jahre 405 (349) beschloss sogar die latinische Bundesversammlung, den Roemern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen nach stand eine abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen Bundesgenossenschaft in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte ein Zusammenstoss mit einer anderen italischen Nation, die wohl imstande war, der vereinigten Macht des latinischen Stammes ebenbuertig zu begegnen. Nach der Niederwerfung der noerdlichen Volsker stand den Roemern im Sueden zunaechst kein bedeutender Gegner gegenueber; unaufhaltsam naeherten ihre Legionen sich dem Liris. Im Jahre 397 (357) ward gluecklich gekaempft mit den Privernaten, 409 (345) Sora am oberen Liris besetzt. Schon standen also die roemischen Heere an der Grenze der Samniten, und das Freundschaftsbuendnis, das im Jahre 400 (354) die beiden tapfersten und maechtigsten italischen Nationen miteinander schlossen, war das sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der Krise innerhalb der latinischen Nation in drohender Weise sich verschlingenden Kampfes um die Oberherrschaft Italiens.
Die samnitische Nation, die, als man in Rom die Tarquinier austrieb, ohne Zweifel schon seit laengerer Zeit im Besitz des zwischen der apulischen und der kampanischen Ebene aufsteigenden und beide beherrschenden Huegellandes gewesen war, war bisher auf der einen Seite durch die Daunier – Arpis Macht und Bluete faellt in diese Zeit -, auf der andern durch die Griechen und Etrusker an weiterem Vordringen gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen Macht um das Ende des dritten (450), das Sinken der griechischen Kolonien im Laufe des vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen Westen und Sueden ihnen Luft und ein samnitischer Schwarm nach dem andern zog jetzt bis an, ja ueber die sueditalischen Meere. Zuerst erschienen sie in der Ebene am Golf, wo der Name der Kampaner seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts vernommen wird; die Etrusker wurden hier erdrueckt, die Griechen beschraenkt, jenen Capua (330 424), diesen Kyme (334 420) entrissen. Um dieselbe Zeit, vielleicht schon frueher, zeigen sich in Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des vierten Jahrhunderts mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume Zeit vor 364 (390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese Zeit betrug ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das Ende des vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten Eidgenossenschaft der Brettier ^14, die, ungleich den andern sabellischen Staemmen, nicht als Kolonie, sondern im Kampf von den Lucanern sich losgemacht und mit vielen fremdartigen Elementen sich gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen Griechen sich des Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achaeische Staedtebund ward 361 (393) rekonstituiert und festgesetzt, dass, wenn eine der verbuendeten Staedte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die Fuehrer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber selbst die Einigung Grossgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von Syrakus, der aeltere Dionysios, mit den Italikern gegen seine Landsleute gemeinschaftliche Sache machte. Waehrend Dionysios den grossgriechischen Flotten die Herrschaft ueber die italischen Meere entriss, ward von den Italikern eine Griechenstadt nach der andern besetzt oder vernichtet; in unglaublich kurzer Zeit war der bluehende Staedtering zerstoert oder veroedet. Nur wenigen griechischen Orten, wie zum Beispiel Neapel, gelang es muehsam und mehr durch Vertraege als durch Waffengewalt, wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalitaet zu bewahren; durchaus unabhaengig und maechtig blieb allein Tarent, das durch seine entferntere Lage und durch seine in steten Kaempfen mit den Messapiern unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt, wenngleich auch diese Stadt bestaendig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und genoetigt war, in oder griechischen Heimat Buendnisse und Soeldner zu suchen. ———————————————- ^14 Der Name selbst ist uralt, ja der aelteste einheimische Name der Bewohner des heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Mueller). Die bekannte Ableitung ist ohne Zweifel erfunden.
———————————————– Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene roemisch wurden, hatten die samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme weniger und unter sich nicht zusammenhaengender griechischer Pflanzstaedte und der apulisch- messapischen Kueste. Die um 418 (336) abgefasste griechische Kuestenbeschreibung setzt die eigentlichen Samniten mit ihren “fuenf Zungen” von einem Meer zum andern an und am Tyrrhenischen neben sie in noerdlicher Richtung die Kampaner, in suedlicher die Lucaner, unter denen hier wie oefter die Brettier mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Kueste von Paestum am Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird. In der Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden grossen Nationen Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor sie sich beruehrten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren bei weitem ausgedehnter und glaenzender als die der Roemer. Aber der Charakter der Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem festen staedtischen Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besass, dehnt die Herrschaft dieses Stammes langsam nach allen Seiten sich aus, zwar in verhaeltnismaessig engen Grenzen, aber festen Fuss fassend, wo sie hintritt, teils durch Gruendung von befestigten Staedten roemischer Art mit abhaengigem Bundesrecht, teils durch Romanisierung des eroberten Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine einzelne fuehrende Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Waehrend die Eroberung des veientischen und pomptinischen Gebietes fuer Rom eine wirkliche Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der kampanischen Staedte, der lucanischen, der brettischen Eidgenossenschaft eher geschwaecht als gestaerkt; denn jeder Schwarm, der neue Sitze gesucht und gefunden hatte, ging fortan fuer sich seine Wege. Die samnitischen Scharen erfuellen einen unverhaeltnismaessig weiten Raum, den sie ganz sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind; die groesseren Griechenstaedte, Tarent, Thurii, Kroton, Metapont, Herakleia, Rhegion, Neapel, wenngleich geschwaecht und oefters abhaengig, bestehen fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den kleineren Staedten werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel, Poseidonia, Laos, Hipponion blieben, wie die erwaehnte Kuestenbeschreibung und die Muenzen lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Griechenstaedte. So entstanden gemischte Bevoelkerungen, wie denn namentlich die zwiesprachigen Brettier ausser samnitischen auch hellenische Elemente und selbst wohl Ueberreste der alten Autochthonen in sich aufnahmen; aber auch in Lucanien und Kampanien muessen in minderem Grade aehnliche Mischungen stattgefunden haben. Dem gefaehrlichen Zauber der hellenischen Kultur konnte auch die samnitische Nation sich nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo Neapel frueh mit den Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte und wo der Himmel selbst die Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria, Teanum, obwohl rein samnitischer Bevoelkerung, nahmen griechische Weise und griechische Stadtverfassung an, wie denn auch die heimische Gauverfassung unter den veraenderten Verhaeltnissen unmoeglich fortbestehen konnte. Die kampanischen Samnitenstaedte begannen Muenzen zu schlagen, zum Teil mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch Handel und Ackerbau der Groesse nach die zweite Stadt Italiens, die erste an Ueppigkeit und Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den Berichten der Alten zufolge diese Stadt es allen uebrigen italischen zuvorgetan hat, spiegelt sich namentlich in dem Werbewesen und in den Fechterspielen, die beide vor allem in Capua zur Bluete gelangt sind. Nirgends fanden die Werber so zahlreichen Zulauf wie in dieser Metropole der entsittlichten Zivilisation; waehrend Capua selbst sich vor den Angriffen der nachdraengenden Samniten nicht zu bergen wusste, stroemte die streitbare kampanische Jugend unter selbstgewaehlten Condottieren massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief diese Landknechtfahrten in die Geschicke Italiens eingriffen, wird spaeter noch darzustellen sein; fuer die kampanische Weise sind sie ebenso bezeichnend wie die Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht ihre Entstehung, aber ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar waehrend des Gastmahls Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem Rang der geladenen Gaeste abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten samnitischen Stadt, die wohl ohne Zweifel auch mit dem hier noch nachwirkenden etruskischen Wesen eng zusammenhaengt, musste fuer die ganze Nation verhaengnisvoll werden; wenn auch der kampanische Adel es verstand, mit dem tiefsten Sittenverfall ritterliche Tapferkeit und hohe Geistesbildung zu verbinden, so konnte er doch fuer seine Nation nimmermehr werden, was die roemische Nobilitaet fuer die latinische war. Aehnlich wie auf die Kampaner, wenn auch in minderer Staerke, wirkte der hellenische Einfluss auf die Lucaner und Brettier. Die Graeberfunde in all diesen Gegenden beweisen, wie die griechische Kunst daselbst mit barbarischem Luxus gepflegt ward; der reiche Gold- und Bernsteinschmuck, das prachtvolle gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt den Haeusern der Toten entheben, lassen ahnen, wie weit man hier schon sich entfernt hatte von der alten Sitte der Vaeter. Andere Spuren bewahrt die Schrift; die altnationale aus dem Norden mitgebrachte ward von den Lucanern und Brettiern aufgegeben und mit der griechischen vertauscht, waehrend in Kampanien das nationale Alphabet und wohl auch die Sprache unter dem bildenden Einfluss der griechischen sich selbstaendig entwickelte zu groesserer Klarheit und Feinheit. Es begegnen sogar einzelne Spuren des Einflusses griechischer Philosophie.
Nur das eigentliche Samnitenland blieb unberuehrt von diesen Neuerungen, die, so schoen und natuerlich sie teilweise sein mochten, doch maechtig dazu beitrugen, das von Haus aus schon lose Band der nationalen Einheit immer mehr zu lockern. Durch den Einfluss des hellenischen Wesens kam ein tiefer Riss in den samnitischen Stamm. Die gesitteten “Philhellenen” Kampaniens gewoehnten sich, gleich den Hellenen selbst, vor den rauheren Staemmen der Berge zu zittern, die ihrerseits nicht aufhoerten, in Kampanien einzudringen und die entarteten aelteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener Staat, der ueber die Kraft von ganz Latium verfuegte; die Untertanen mochten murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren und zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Vaeter ungeschmaelert bewahrt, war aber auch darueber mit den uebrigen samnitischen Voelker- und Buergerschaften voellig zerfallen. In der Tat war es dieser Zwist zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten der Gebirge, der die Roemer ueber den Liris fuehrte. Die Sidiciner in Teanum, die Kampaner in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen Schwaermen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzen drohten, Hilfe bei den Roemern (411 343). Als das begehrte Buendnis verweigert ward, bot die kampanische Gesandtschaft die Unterwerfung der Stadt unter die Oberherrlichkeit Roms an, und solcher Lockung vermochten die Roemer nicht zu widerstehen. Roemische Gesandte gingen zu den Samniten, ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen und sie aufzufordern, das Gebiet der befreundeten Macht zu respektieren. Wie die Ereignisse weiter verliefen, ist im einzelnen nicht mehr zu ermitteln ^15; wir sehen nur, dass zwischen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei es ohne vorhergehenden Krieg, ein Abkommen zustande kam, wodurch die Roemer freie Hand erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die Volsker am oberen Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden, erklaert sich aus den gewaltigen Anstrengungen, die eben um diese Zeit die Tarentiner machten, sich der sabellischen Nachbarn zu entledigen; aber auch die Roemer hatten guten Grund, sich mit den Samniten so schnell wie moeglich abzufinden, denn der bevorstehende Uebergang der suedlich an Latium angrenzenden Landschaft in roemischen Besitz verwandelte die laengst unter den Latinern bestehende Gaerung in offene Empoerung. Alle urspruenglich latinischen Staedte, selbst die in den roemischen Buergerverband aufgenommenen Tusculaner ergriffen die Waffen gegen Rom, mit einziger Ausnahme der Laurenter, waehrend dagegen von den ausserhalb der Grenzen Latiums gegruendeten Kolonien nur die alten Volskerstaedte Velitrae, Antium und Tarracina sich an der Auflehnung beteiligten. Dass die Capuaner, ungeachtet der eben erst freiwillig den Roemern angetragenen Unterwerfung, dennoch die erste Gelegenheit, der roemischen Herrschaft wieder ledig zu werden, bereitwillig ergriffen und, trotz des Widerstandes der an dem Vertrag mit Rom festhaltenden Optimatenpartei, die Gemeinde gemeinschaftliche Sache mit der latinischen Eidgenossenschaft machte, ist erklaerlich; wogegen die noch selbstaendigen Volskerstaedte, wie Fundi und Formiae, und die Herniker sich gleich der kampanischen Aristokratie an diesem Aufstande nicht beteiligten. Die Lage der Roemer war bedenklich; die Legionen, die ueber den Liris gegangen waren und Kampanien besetzt hatten, waren durch den Aufstand der Latiner von der Heimat abgeschnitten und nur ein Sieg konnte sie retten. Bei Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und Sinuessa) ward die entscheidende Schlacht geliefert (414 340): der Konsul Titus Manlius Imperiosus Torquatus erfocht ueber die vereinigten Latiner und Kampaner einen vollstaendigen Sieg. In den beiden folgenden Jahren wurden die einzelnen Staedte, soweit sie noch Widerstand leisteten, durch Kapitulation oder Sturm bezwungen und die ganze Landschaft zur Unterwerfung gebracht. ————————————————— ^15 Vielleicht kein Abschnitt der roemischen Annalen ist aerger entstellt als die Erzaehlung des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius, Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgendermassen. Nachdem 411 (343) beide Konsuln in Kampanien eingerueckt waren, erfocht zuerst der Konsul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus ueber die Samniten einen schweren und blutigen Sieg; alsdann auch der Kollege Aulus Cornelius Cossus, nachdem er der Vernichtung in einem Engpass durch Hingebung einer von dem Kriegstribun Publius Decius gefuehrten Abteilung entgangen war. Die dritte und entscheidende Schlacht ward am Eingang der Caudinischen Paesse bei Suessula von den beiden Konsuln geschlagen; die Samniten wurden vollstaendig ueberwunden – man las vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfelde auf – und zum Frieden genoetigt, in welchem die Roemer Capua, das sich ihnen zu eigen gegeben, behielten, Teanum dagegen den Samniten ueberliessen (413 341). Glueckwuensche kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug verweigert hatten und gegen Rom zu ruesten schienen, wandten ihre Waffen statt gegen Rom vielmehr gegen die Paeligner, waehrend die Roemer zunaechst durch eine Militaerverschwoerung der in Kampanien zurueckgelassenen Besatzung (412 342), dann durch die Einnahme von Privernum (413 341) und den Krieg gegen die Antiaten beschaeftigt waren. Nun aber wechseln ploetzlich und seltsam die Parteiverhaeltnisse. Die Latiner, die umsonst das roemische Buergerrecht und Anteil am Konsulat gefordert hatten, erhoben sich gegen Rom in Gemeinschaft mit den Sidicinern, die vergeblich den Roemern die Unterwerfung angetragen hatten und vor den Samniten sich nicht zu retten wussten, und mit den Kampanern, die der roemischen Herrschaft bereits muede waren. Nur die Laurenter in Latium und die kampanischen Ritter hielten zu den Roemern, welche ihrerseits Unterstuetzung fanden bei den Paelignern und den Samniten. Das latinische Heer ueberfiel Samnium; das roemisch-samnitische schlug, nachdem es an den Fuciner See und von da an Latium vorueber in Kampanien einmarschiert war, die Entscheidungsschlacht gegen die vereinigten Latiner und Kampaner am Vesuv, welche der Konsul Titus Manlius Imperiosus, nachdem er selbst durch die Hinrichtung seines eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden Sohnes die schwankende Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege Publius Decius Mus die Goetter versoehnt