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  • 1816
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Nebenstraßen

Das entsetzliche Gedränge, das wir unsern Lesern soviel als möglich zu vergegenwärtigen gesucht haben, zwingt natürlicherweise eine Menge Masken aus dem Korso hinaus in die benachbarten Straßen. Da gehen verliebte Paare ruhiger und vertrauter zusammen, da finden lustige Gesellen Platz, allerlei tolle Schauspiele vorzustellen.

Eine Gesellschaft Männer in der Sonntagstracht des gemeinen Volkes, in kurzen Wämsern mit goldbesetzten Westen darunter, die Haare in ein lang herunterhängendes Netz gebunden, gehen mit jungen Leuten, die sich als Weiber verkleidet haben, hin und wider spazieren. Eine von den Frauen scheint hochschwanger zu sein, sie gehen friedlich auf und nieder. Auf einmal entzweien sich die Männer, es entstehet ein lebhafter Wortwechsel, die Frauen mischen sich hinein, der Handel wird immer ärger, endlich ziehen die Streitenden große Messer von versilberter Pappe und fallen einander an. Die Weiber halten sie mit gräßlichem Geschrei auseinander, man zieht den einen da-, den andern dorthin, die Umstehenden nehmen teil, als wenn es Ernst wäre, man sucht jede Partei zu besänftigen.

Indessen befindet sich die hochschwangere Frau durch den Schrecken übel; es wird ein Stuhl herbeigebracht, die übrigen Weiber stehen ihr bei, sie gebärdet sich jämmerlich, und ehe man sich’s versieht, bringt sie zu großer Erlustigung der Umstehenden irgendeine unförmliche Gestalt zur Welt. Das Stück ist aus, und die Truppe zieht weiter, um dasselbe oder ein ähnliches Stück an einem andern Platze vorzustellen.

So spielt der Römer, dem die Mordgeschichten immer vor der Seele schweben, gern bei jedem Anlaß mit den Ideen von Ammazzieren. Sogar die Kinder haben ein Spiel, das sie “Chiesa” nennen, welches mit unserm “Frischauf in allen Ecken” übereinkommt, eigentlich aber einen Mörder vorstellt, der sich auf die Stufe einer Kirche geflüchtet hat; die übrigen stellen die Sbirren vor und suchen ihn auf allerlei Weise zu fangen, ohne jedoch den Schutzort betreten zu dürfen.

So geht es denn in den Seitenstraßen, besonders der Strada Babuino und auf dem Spanischen Platze, ganz lustig zu.

Auch kommen die Quacqueri zu Scharen, um ihre Galanterien freier anzubringen.

Sie haben ein Manöver, welches jeden zu lachen macht. Sie kommen zu zwölf Mann hoch ganz strack auf den Zehen mit kleinen und schnellen Schritten anmarschiert, formieren eine sehr gerade Fronte; auf einmal, wenn sie auf einen Platz kommen, bilden sie mit Rechts–oder Linksum eine Kolonne und trippeln nun hintereinander weg. Auf einmal wird mit Rechtsum die Fronte wiederhergestellt, und so geht’s eine Straße hinein; dann, ehe man sich’s versieht, wieder linksum: die Kolonne ist wie an einem Spieß zu einer Haustüre hineingeschoben, und die Toren sind verschwunden. Abend

Nun geht es nach dem Abend zu, und alles drängt sich immer mehr in den Korso hinein. Die Bewegung der Kutschen stockt schon lange, ja, es kann geschehen, daß zwei Stunden vor Nacht schon kein Wagen mehr von der Stelle kann.

Die Garde des Papstes und die Wachen zu Fuß sind nun beschäftigt, alle Wagen, soweit es möglich, von der Mitte ab und in eine ganz gerade Reihe zu bringen, und es gibt bei der Menge hier mancherlei Unordnung und Verdruß. Da wird gehuft, geschoben, gehoben, und indem einer huft, müssen alle hinter ihm auch zurückweichen, bis einer zuletzt so in die Klemme kommt, daß er mit seinen Pferden in die Mitte hineinlenken muß. Alsdann geht das Schelten der Garde, das Fluchen und Drohen der Wache an.

Vergebens, daß der unglückliche Kutscher die augenscheinliche Unmöglichkeit dartut; es wird auf ihn hineingescholten und gedroht, und entweder es muß sich wieder fügen, oder wenn ein Nebengäßchen in der Nähe ist, muß er ohne Verschulden aus der Reihe hinaus. Gewöhnlich sind die Nebengäßchen auch mit haltenden Kutschen besetzt, die zu spät kamen und, weil der Umgang der Wagen schon ins Stocken geraten war, nicht mehr einrücken konnten. Vorbereitung zum Wettrennen

Der Augenblick des Wettrennens der Pferde nähert sich nun immer mehr, und auf diesen Augenblick ist das Interesse so vieler tausend Menschen gespannt.

Die Verleiher der Stühle, die Unternehmer der Gerüste vermehren nun ihr anbietendes Geschrei: “Luoghi! Luoghi avanti! Luoghi nobili! Luoghi, Padroni!” Es ist darum zu tun, daß ihnen wenigstens in diesen letzten Augenblicken, auch gegen ein geringeres Geld, alle Plätze besetzt werden.

Und glücklich, daß hier und da noch Platz zu finden ist; denn der General reitet nunmehr mit einem Teil der Garde den Korso zwischen den beiden Reihen Kutschen herunter und verdrängt die Fußgänger von dem einzigen Raum, der ihnen noch übrigblieb. Jeder sucht alsdann noch einen Stuhl, einen Platz auf einem Gerüste, auf einer Kutsche, zwischen den Wagen oder bei Bekannten an einem Fenster zu finden, die denn nun alle von Zuschauern über und über strotzen.

Indessen ist der Platz vor dem Obelisk ganz vom Volke gereiniget worden und gewährt vielleicht einen der schönsten Anblicke, welche in der gegenwärtigen Welt gesehen werden können.

Die drei mit Teppichen behängten Fassaden der oben beschriebenen Gerüste schließen den Platz ein. Viele tausend Köpfe schauen übereinander hervor und geben das Bild eines alten Amphitheaters oder Zirkus. Über dem mittelsten Gerüste steigt die ganze Länge des Obelisken in die Luft; denn das Gerüste bedeckt nur sein Piedestal, und man bemerkt nun erst seine ungeheure Höhe, da er der Maßstab einer so großen Menschenmasse wird.

Der freie Platz läßt dem Auge eine schöne Ruhe, und man sieht die leeren Schranken mit dem vorgespannten Seile voller Erwartung.

Nun kommt der General den Korso herab, zum Zeichen, daß er gereiniget ist, und hinter ihm erlaubt die Wache niemanden, aus der Reihe der Kutschen hervorzutreten. Er nimmt auf einer der Logen Platz. Abrennen

Nun werden die Pferde nach geloseter Ordnung von geputzten Stallknechten in die Schranken hinter das Seil geführt. Sie haben kein Zeug noch sonst eine Bedeckung auf dem Leibe. Man heftet ihnen hier und da Stachelkugeln mit Schnüren an den Leib und bedeckt die Stelle, wo sie spornen sollen, bis zum Augenblicke mit Leder, auch klebt man ihnen große Blätter Rauschgold an.

Sie sind meist schon wild und ungeduldig, wenn sie in die Schranken gebracht werden, und die Reitknechte brauchen alle Gewalt und Geschicklichkeit, um sie zurückzuhalten.

Die Begierde, den Lauf anzufangen, macht sie unbändig, die Gegenwart so vieler Menschen macht sie scheu. Sie hauen oft in die benachbarte Schranke hinüber, oft über das Seil, und diese Bewegung und Unordnung vermehrt jeden Augenblick das Interesse der Erwartung.

Die Stallknechte sind im höchsten Grade gespannt und aufmerksam, weil in dem Augenblicke des Abrennens die Geschicklichkeit des Loslassenden sowie zufällige Umstände zum Vorteile des einen oder des andern Pferdes entscheiden können.

Endlich fällt das Seil, und die Pferde rennen los.

Auf dem freien Platze suchen sie noch einander den Vorsprung abzugewinnen, aber wenn sie einmal in den engen Raum zwischen die beiden Reihen Kutschen hineinkommen, wird meist aller Wetteifer vergebens.

Ein paar sind gewöhnlich voraus, die alle Kräfte anstrengen. Ungeachtet der gestreuten Puzzolane gibt das Pflaster Feuer, die Mähnen fliegen, das Rauschgold rauscht, und kaum daß man sie erblickt, sind sie vorbei. Die übrige Herde hindert sich untereinander, indem sie sich drängt und treibt; spät kommt manchmal noch eins nachgesprengt, und die zerrissenen Stücke Rauschgold flattern einzeln auf der verlassenen Spur. Bald sind die Pferde allem Nachschauen verschwunden, das Volk drängt zu und füllt die Laufbahn wieder aus.

Schon warten andere Stallknechte am venezianischen Palaste auf die Ankunft der Pferde. Man weiß sie in einem eingeschlossenen Bezirk auf gute Art zu fangen und festzuhalten. Dem Sieger wird der Preis zuerkannt.

So endigt sich diese Feierlichkeit mit einem gewaltsamen, blitzschnellen, augenblicklichen Eindruck, auf den so viele tausend Menschen eine ganze Weile gespannt waren, und wenige können sich Rechenschaft geben, warum sie den Moment erwarteten, und warum sie sich daran ergötzten.

Nach der Folge unserer Beschreibung sieht man leicht ein, daß dieses Spiel den Tieren und Menschen gefährlich werden könne. Wir wollen nur einige Fälle anführen: Bei dem engen Raume zwischen den Wagen darf nur ein Hinterrad ein wenig herauswärts stehen und zufälligerweise hinter diesem Wagen ein etwas breiterer Raum sein. Ein Pferd, das mit den andern gedrängt herbeieilt, sucht den erweiterten Raum zu nutzen, springt vor und trifft gerade auf das herausstehende Rad.

Wir haben selbst einen Fall gesehen, wo ein Pferd von einem solchen Choc niederstürzte, drei der folgenden über das erste hinausfielen, sich überschlugen und die letzten glücklich über die gefallenen wegsprangen und ihre Reise fortsetzten.

Oft bleibt ein solches Pferd auf der Stelle tot, und mehrmals haben Zuschauer unter solchen Umständen ihr Leben eingebüßt. Ebenso kann ein großes Unheil entstehen, wenn die Pferde umkehren.

Es ist vorgekommen, daß boshafte, neidische Menschen einem Pferde, das einen großen Vorsprung hatte, mit dem Mantel in die Augen schlugen und es dadurch umzukehren und an die Seite zu rennen zwangen. Noch schlimmer ist es, wenn die Pferde auf dem venezianischen Platze nicht glücklich aufgefangen werden; sie kehren alsdann unaufhaltsam zurück, und weil die Laufbahn vom Volke schon wieder ausgefüllt ist, richten sie manches Unheil an, das man entweder nicht erfährt oder nicht achtet. Aufgehobne Ordnung

Gewöhnlich laufen die Pferde mit einbrechender Nacht erst ab. Sobald sie oben bei dem venezianischen Palast angelangt sind, werden kleine Mörser gelöst; dieses Zeichen wird in der Mitte des Korso wiederholt und in der Gegend des Obelisken das letzte Mal gegeben.

In diesem Augenblicke verläßt die Wache ihren Posten, die Ordnung der Kutschenreihen wird nicht länger gehalten, und gewiß ist diese selbst für den Zuschauer, der ruhig an seinem Fenster steht, ein ängstlicher und verdrießlicher Zeitpunkt, und es ist wert, daß man einige Bemerkungen darüber mache.

Wir haben schon oben gesehen, daß die Epoche der einbrechenden Nacht, welche so vieles in Italien entscheidet, auch die gewöhnlichen sonn–und festtägigen Spazierfahrten auflöset. Dort sind keine Wachen und keine Garden, es ist ein altes Herkommen, eine allgemeine Konvention, daß man in gebührender Ordnung auf–und abfahre; aber sobald Ave Maria geläutet wird, läßt sich niemand sein Recht nehmen, umzukehren, wann und wie er will. Da nun die Umfahrt im Karneval in derselben Straße und nach ähnlichen Gesetzen geschieht, obgleich hier die Menge und andere Umstände einen großen Unterschied machen, so will sich doch niemand sein Recht nehmen lassen, mit einbrechender Nacht aus der Ordnung zu lenken.

Wenn wir nun auf das ungeheure Gedränge in dem Korso zurückblicken und die für einen Augenblick nur gereinigte Rennbahn gleich wieder mit Volk überschwemmt sehen, so scheinet uns Vernunft und Billigkeit das Gesetz einzugeben, daß eine jede Equipage nur suchen solle, in ihrer Ordnung das nächste ihr bequeme Gäßchen zu erreichen und so nach Hause zu eilen.

Allein es lenken gleich nach abgeschossenen Signalen einige Wagen in die Mitte hinein, hemmen und verwirren das Fußvolk, und weil in dem engen Mittelraume es einem einfällt, hinunter-, dem andern, hinaufzufahren, so können beide nicht von der Stelle und hindern oft die Vernünftigern, die in der Reihe geblieben sind, auch vom Platze zu kommen.

Wenn nun gar ein zurückkehrendes Pferd auf einen solchen Knoten trifft, so vermehrt sich Gefahr, Unheil und Verdruß von allen Seiten.

Nacht

Und doch entwickelt sich diese Verwirrung, zwar später, aber meistens glücklich. Die Nacht ist eingetreten, und ein jedes wünscht sich zu einiger Ruhe Glück. Theater

Alle Gesichtsmasken sind von dem Augenblick an abgelegt, und ein großer Teil des Publikums eilt nach dem Theater. Nur in den Logen sieht man allenfalls noch Tabarros und Damen in Maskenkleidern; das ganze Parterre zeigt sich wieder in bürgerlicher Tracht.

Die Theater Aliberti und Argentina geben ernsthafte Opern mit eingeschobenen Balletten; Valle und Capranica Komödien und Tragödien mit komischen Opern als Intermezzo; Pace ahmt ihnen, wiewohl unvollkommen, nach, und so gibt es bis zum Puppenspiel und zur Seiltänzerbude herunter noch manche subordinierte Schauspiele.

Das große Theater Tordenone, das einmal abbrannte, und, da man es wieder aufgebauet hatte, gleich zusammenstürzte, unterhält nun leider das Volk nicht mehr mit seinen Haupt–und Staatsaktionen und andern wunderbaren Vorstellungen.

Die Leidenschaft der Römer für das Theater ist groß und war ehemals in der Karnevalszeit noch heftiger, weil sie in dieser einzigen Epoche befriedigt werden konnte. Gegenwärtig ist wenigstens ein Schauspielhaus auch im Sommer und Herbst offen, und das Publikum kann seine Lust den größten Teil des Jahres durch einigermaßen befriedigen.

Es würde uns hier zu sehr von unserm Zwecke abführen, wenn wir uns in eine umständliche Beschreibung der Theater, und was die römischen allenfalls Besonderes haben möchten, hier einlassen wollten. Unsre Leser erinnern sich, daß an andern Orten von diesem Gegenstande gehandelt worden. Festine

Gleichfalls werden wir von den sogenannten Festinen wenig zu erzählen haben; es sind dieses große maskierte Bälle, welche in dem schön erleuchteten Theater Aliberti einigemal gegeben werden.

Auch hier werden Tabarros sowohl von den Herren als Damen für die anständigste Maske gehalten, und der ganze Saal ist mit schwarzen Figuren angefüllt; wenige bunte Charaktermasken mischen sich drunter.

Desto größer ist die Neugierde, wenn sich einige edle Gestalten zeigen, die, wiewohl seltener, aus den verschiedenen Kunstepochen ihre Masken erwählen und verschiedene Statuen, welche sich in Rom befinden, meisterlich nachahmen.

So zeigen sich hier ägyptische Gottheiten, Priesterinnen, Bacchus und Ariadne, die tragische Muse, die Muse der Geschichte, eine Stadt, Vestalinnen, ein Konsul, mehr oder weniger gut und nach dem Kostüme ausgeführt. Tanz

Die Tänze bei diesen Festen werden gewöhnlich in langen Reihen nach Art der englischen getanzt; nur unterscheiden sie sich dadurch, daß sie in ihren wenigen Touren meistenteils etwas Charakteristisches pantomimisch ausdrücken; zum Beispiel, es entzweien und versöhnen sich zwei Liebende, sie scheiden und finden sich wieder.

Die Römer sind durch die pantomimischen Ballette an stark gezeichnete Gestikulation gewöhnt; sie lieben auch in ihren gesellschaftlichen Tänzen einen Ausdruck, der uns übertrieben und affektiert scheinen würde. Niemand wagt leicht zu tanzen, als wer es kunstmäßig gelernt hat; besonders wird der Menuett ganz eigentlich als ein Kunstwerk betrachtet und nur von wenigen Paaren gleichsam aufgeführt. Ein solches Paar wird dann von der übrigen Gesellschaft in einen Kreis eingeschlossen, bewundert und am Ende applaudiert. Morgen

Wenn die galante Welt sich auf diese Weise bis an den Morgen erlustiget, so ist man bei anbrechendem Tage schon wieder in dem Korso beschäftigst, denselben zu reinigen und in Ordnung zu bringen. Besonders sorgt man, daß die Puzzolane in der Mitte der Straße gleich und reinlich ausgebreitet werde.

Nicht lange, so bringen die Stallknechte das Rennpferd, das sich gestern am schlechtesten gehalten, vor den Obelisk. Man setzt einen kleinen Knaben darauf, und ein anderer Reiter mit einer Peitsche treibt es vor sich her, so daß es alle seine Kräfte anstrengt, um seine Bahn so geschwind als möglich zurückzulegen.

Ungefähr zwei Uhr Nachmittag nach dem gegebenen Glockenzeichen beginnt jeden Tag der schon beschriebene Zirkel des Festes. Die Spaziergänger finden sich ein, die Wache zieht auf, Balkone, Fenster, Gerüste werden mit Teppichen behängt, die Masken vermehren sich und treiben ihre Torheiten, die Kutschen fahren auf und nieder, und die Straße ist mehr oder weniger gedrängt, je nachdem die Witterung oder andere Umstände günstig oder ungünstig ihren Einfluß zeigen. Gegen das Ende des Karnevals vermehren sich, wie natürlich, die Zuschauer, die Masken, die Wagen, der Putz und der Lärm. Nichts aber reicht an das Gedränge, an die Ausschweifungen des letzten Tages und Abends. Letzter Tag

Meist halten die Kutschenreihen schon zwei Stunden vor Nacht stille, kein Wagen kann mehr von der Stelle, keiner aus den Seitengassen mehr hereinrücken. Die Gerüste und Stühle sind früher besetzt, obgleich die Plätze teuer gehalten werden; jeder sucht aufs baldigste unterzukommen, und man erwartet das Ablaufen der Pferde mit mehrerer Sehnsucht als jemals.

Endlich rauscht auch dieser Augenblick vorbei, die Zeichen werden gegeben, daß das Fest geendigt sei; allein weder Wagen, noch Masken, noch Zuschauer weichen aus der Stelle.

Alles ist ruhig, alles still, indem die Dämmerung sachte zunimmt. Moccoli

Kaum wird es in der engen und hohen Straße düster, so siehet man hie und da Lichter erscheinen, an den Fenstern, auf den Gerüsten sich bewegen und in kurzer Zeit die Zirkulation des Feuers dergestalt sich verbreiten, daß die ganze Straße von brennenden Wachskerzen erleuchtet ist.

Die Balkone sind mit durchscheinenden Papierlaternen verziert, jeder hält seine Kerze zum Fenster heraus, alle Gerüste sind erhellt, und es sieht sich gar artig in die Kutschen hinein, an deren Decken oft kleine kristallne Armleuchter die Gesellschaft erhellen; indessen in einem andern Wagen die Damen mit bunten Kerzen in den Händen zur Betrachtung ihrer Schönheit gleichsam einzuladen scheinen.

Die Bedienten bekleben den Rand des Kutschendeckels mit Kerzchen, offne Wagen mit bunten Papierlaternen zeigen sich, unter den Fußgängern erscheinen manche mit hohen Lichterpyramiden auf den Köpfen, andere haben ihr Licht auf zusammengebundene Rohre gesteckt und erreichen mit einer solchen Rute oft die Höhe von zwei, drei Stockwerken.

Nun wird es für einen jeden Pflicht, ein angezündetes Kerzchen in der Hand zu tragen, und die Favoritverwünschung der Römer “Sia ammazzato” hört man von allen Ecken und Enden wiederholen.

“Sia ammazzato chi non porta moccolo!” “Ermordet werde, der kein Lichtstümpfchen trägt!” ruft einer dem andern zu, indem er ihm das Licht auszublasen sucht. Anzünden und ausblasen und ein unbändiges Geschrei: “Sia ammazzato”, bringt nun bald Leben und Bewegung und wechselseitiges Interesse unter die ungeheure Menge.

Ohne Unterschied, ob man Bekannte oder Unbekannte vor sich habe, sucht man nur immer das nächste Licht auszublasen oder das seinige wieder anzuzünden und bei dieser Gelegenheit das Licht des Anzündenden auszulöschen. Und je stärker das Gebrüll “Sia ammazzato” von allen Enden widerhallt, desto mehr verliert das Wort von seinem fürchterlichen Sinn, desto mehr vergißt man, daß man in Rom sei, wo diese Verwünschung um einer Kleinigkeit willen in kurzem an einem und dem andern erfüllt werden kann.

Die Bedeutung des Ausdrucks verliert sich nach und nach gänzlich. Und wie wir in andern Sprachen oft Flüche und unanständige Worte zum Zeichen der Bewunderung und Freude gebrauchen hören, so wird “Sia ammazzato” diesen Abend zum Losungswort, zum Freudengeschrei, zum Refrain aller Scherze, Neckereien und Komplimente.

So hören wir spotten: “Sia ammazzato il Signore Abbate che fa l’amore.” Oder einen vorbeigehenden guten Freund anrufen: “Sia ammazzato il Signore Filippo.” Oder Schmeichelei und Kompliment damit verbinden: “Sia ammazzata la bella Principessa! Sia ammazzata la Signora Angelica, la prima pittrice del secolo.”

Alle diese Phrasen werden heftig und schnell mit einem langen haltenden Ton auf der vorletzten oder drittletzten Silbe ausgerufen. Unter diesem unaufhörlichen Geschrei geht das Ausblasen und Anzünden der Kerzen immer fort. Man begegne jemanden im Haus, auf der Treppe, es sei eine Gesellschaft im Zimmer beisammen, aus einem Fenster ans benachbarte, überall sucht man über den andern zu gewinnen und ihm das Licht auszulöschen.

Alle Stände und Alter toben gegeneinander, man steigt auf die Tritte der Kutschen, kein Hängeleuchter, kaum die Laternen sind sicher, der Knabe löscht dem Vater das Licht aus und hört nicht auf zu schreien: “Sia ammazzato il Signore Padre!” Vergebens, daß ihm der Alte diese Unanständigkeit verweist; der Knabe behauptet die Freiheit dieses Abends und verwünscht nur seinen Vater desto ärger. Wie nun an beiden Enden des Korso sich bald das Getümmel verliert, desto unbändiger häuft sich’s nach der Mitte zu, und dort entsteht ein Gedränge, das alle Begriffe übersteigt, ja, das selbst die lebhafteste Erinnerungskraft sich nicht wieder vergegenwärtigen kann.

Niemand vermag sich mehr von dem Platze, wo er steht oder sitzt, zu rühren; die Wärme so vieler Menschen, so vieler Lichter, der Dampf so vieler immer wieder ausgeblasenen Kerzen, das Geschrei so vieler Menschen, die nur um desto heftiger brüllen, je weniger sie ein Glied rühren können, machen zuletzt selbst den gesundesten Sinn schwindeln; es scheint unmöglich, daß nicht manches Unglück geschehen, daß die Kutschpferde nicht wild, nicht manche gequetscht, gedrückt oder sonst beschädigt werden sollten.

Und doch weil sich endlich jeder weniger oder mehr hinweg sehnt, jeder ein Gäßchen, an das er gelangen kann, einschlägt oder auf dem nächsten Platze freie Luft und Erholung sucht, löst sich diese Masse auch auf, schmilzt von den Enden nach der Mitte zu, und dieses Fest allgemeiner Freiheit und Losgebundenheit, dieses moderne Saturnal endigt sich mit einer allgemeinen Betäubung.

Das Volk eilt nun, sich bei einem wohlbereiteten Schmause an dem bald verbotenen Fleische bis Mitternacht zu ergötzen, die feinere Welt nach den Schauspielhäusern, um dort von den sehr abgekürzten Theaterstücken Abschied zu nehmen, und auch diesen Freuden macht die herannahende Mitternachtsstunde ein Ende. Aschermittwoch

So ist denn ein ausschweifendes Fest wie ein Traum, wie ein Märchen vorüber, und es bleibt dem Teilnehmer vielleicht weniger davon in der Seele zurück als unsern Lesern, vor deren Einbildungskraft und Verstand wir das Ganze in seinem Zusammenhange gebracht haben.

Wenn uns während des Laufs dieser Torheiten der rohe Pulcinell ungebührlich an die Freuden der Liebe erinnert, denen wir unser Dasein zu danken haben, wenn eine Baubo auf öffentlichem Platze die Geheimnisse der Gebärerin entweiht, wenn so viele nächtlich angezündete Kerzen uns an die letzte Feierlichkeit erinnern, so werden wir mitten unter dem Unsinne auf die wichtigsten Szenen unsers Lebens aufmerksam gemacht.

Noch mehr erinnert uns die schmale, lange, gedrängt volle Straße an die Wege des Weltlebens, wo jeder Zuschauer und Teilnehmer mit freiem Gesicht oder unter der Maske vom Balkon oder vom Gerüste nur einen geringen Raum vor und neben sich übersieht, in der Kutsche oder zu Fuße nur Schritt vor Schritt vorwärts kommt, mehr geschoben wird als geht, mehr aufgehalten wird als willig stille steht, nur eifriger dahin zu gelangen sucht, wo es besser und froher zugeht, und dann auch da wieder in die Enge kommt und zuletzt verdrängt wird.

Dürfen wir fortfahren, ernsthafter zu sprechen, als es der Gegenstand zu erlauben scheint, so bemerken wir, daß die lebhaftesten und höchsten Vergnügen, wie die vorbeifliegenden Pferde, nur einen Augenblick uns erscheinen, uns rühren und kaum eine Spur in der Seele zurücklassen, daß Freiheit und Gleichheit nur in dem Taumel des Wahnsinns genossen werden können, und daß die größte Lust nur dann am höchsten reizt, wenn sie sich ganz nahe an die Gefahr drängt und lüstern ängstlich-süße Empfindungen in ihrer Nähe genießet.

Und so hätten wir, ohne selbst daran zu denken, auch unser Karneval mit einer Aschermittwochsbetrachtung geschlossen, wodurch wir keinen unsrer Leser traurig zu machen fürchten. Vielmehr wünschen wir, daß jeder mit uns, da das Leben im ganzen wie das Römische Karneval unübersehlich, ungenießbar, ja bedenklich bleibt, durch diese unbekümmerte Maskengesellschaft an die Wichtigkeit jedes augenblicklichen, oft gering scheinenden Lebensgenusses erinnert werden möge.

Februar

Korrespondenz

Rom, den 1. Februar.

Wie froh will ich sein, wenn die Narren künftigen Dienstag abend zur Ruhe gebracht werden. Es ist eine entsetzliche Sekkatur, andere toll zu sehen, wenn man nicht selbst angesteckt ist.

Soviel als möglich war, habe ich meine Studien fortgesetzt, auch ist “Claudine” gerückt, und wenn nicht alle Genii ihre Hülfe versagen, so geht heute über acht Tage der dritte Akt an Herdern ab, und so wäre ich den fünften Band los. Dann geht eine neue Not an, worin mir niemand raten noch helfen kann. “Tasso” muß umgearbeitet werden, was da steht, ist zu nichts zu brauchen, ich kann weder so endigen noch alles wegwerfen. Solche Mühe hat Gott den Menschen gegeben!

Der sechste Band enthält wahrscheinlich “Tasso”, “Lila”, “Jery und Bätely”, alles um–und ausgearbeitet, daß man es nicht mehr kennen soll.

Zugleich habe ich meine kleinen Gedichte durchgesehen und an den achten Band gedacht, den ich vielleicht vor dem siebenten herausgebe. Es ist ein wunderlich Ding, so ein Summa Summarum seines Lebens zu ziehen. Wie wenig Spur bleibt doch von einer Existenz zurück!

Hier sekkieren sie mich mit den übersetzungen meines “Werthers” und zeigen mir sie und fragen, welches die beste sei und ob auch alles wahr sei! Das ist nun ein Unheil, was mich bis nach Indien verfolgen würde.

Rom, den 6. Februar.

Hier ist der dritte Akt” Claudinens”; ich wünsche, daß er dir nur die Hälfte so wohl gefallen möge, als ich vergnügt bin, ihn geendigt zu haben. Da ich nun die Bedürfnisse des lyrischen Theaters genauer kenne, habe ich gesucht, durch manche Aufopferungen dem Komponisten und Akteur entgegenzuarbeiten. Das Zeug, worauf gestickt werden soll, muß weite Fäden haben, und zu einer komischen Oper muß es absolut wie Marli gewoben sein. Doch hab’ ich bei dieser wie bei “Erwin” auch fürs Lesen gesorgt. Genug, ich habe getan, was ich konnte.

Ich bin recht still und rein und, wie ich euch schon versichert habe, jedem Ruf bereit und ergeben. Zur bildenden Kunst bin ich zu alt, ob ich also ein bißchen mehr oder weniger pfusche, ist eins. Mein Durst ist gestillt, auf dem rechten Wege bin ich der Betrachtung und des Studiums, mein Genuß ist friedlich und genügsam. Zu dem allen gebt mir euern Segen. Ich habe nichts Näheres nun, als meine drei letzten Teile zu endigen. Dann soll’s an “Wilhelm” u. s. w.

Rom, den 9. Februar.

Die Narren haben noch Montag und Dienstag was Rechts gelärmt. Besonders Dienstag abends, wo die Raserei mit den Moccoli in völligem Flor war. Mittwochs dankte man Gott und der Kirche für die Fasten. Auf kein Festin (so nennen sie die Redouten) bin ich gekommen, ich bin fleißig, was nur mein Kopf halten will. Da der fünfte Band absolviert ist, will ich nur einige Kunststudien durcharbeiten, dann gleich an den sechsten gehn. Ich habe diese Tage das Buch Leonards da Vinci über die Malerei gelesen und begreife jetzt, warum ich nie etwas darin habe begreifen können.

O wie finde ich die Zuschauer so glücklich! die dünken sich so klug, sie finden sich was Rechts. So auch die Liebhaber, die Kenner. Du glaubst nicht, was das ein behägliches Volk, indes der gute Künstler immer kleinlaut bleibt. Ich habe aber auch neuerdings einen Ekel, jemanden urteilen zu hören, der nicht selbst arbeitet, daß ich es nicht ausdrücken kann. Wie der Tabaksdampf macht mich eine solche Rede auf der Stelle unbehaglich.

Angelika hat sich das Vergnügen gemacht und zwei Gemälde gekauft. Eins von Tizian, das andere von Paris Bourdon. Beide um einen hohen Preis. Da sie so reich ist, daß sie ihre Renten nicht verzehrt und jährlich mehr dazu verdient, so ist es lobenswürdig, daß sie etwas anschafft, das ihr Freude macht, und solche Sachen, die ihren Kunsteifer erhöhen. Gleich sobald sie die Bilder im Hause hatte, fing sie an, in einer neuen Manier zu malen, um zu versuchen, wie man gewisse Vorteile jener Meister sich eigen machen könne. Sie ist unermüdet, nicht allein zu arbeiten, sondern auch zu studieren. Mit ihr ist’s eine große Freude, Kunstsachen zu sehen.

Kayser geht auch als ein wackrer Künstler zu Werke. Seine Musik zu “Egmont” avanciert stark. Noch habe ich nicht alles gehört. Mir scheint jedes dem Endzweck sehr angemessen.

Er wird auch: “Cupido kleiner loser” etc. komponieren. Ich schicke dir’s gleich, damit es oft zu meinem Andenken gesungen werde. Es ist auch mein Leibliedchen.

Der Kopf ist mir wüste vom vielen Schreiben, Treiben und Denken. Ich werde nicht klüger, fordere zuviel von mir und lege mir zuviel auf.

Rom, den 16. Februar.

Mit dem preußischen Kurier erhielt ich vor einiger Zeit einen Brief von unserm Herzog, der so freundlich, lieb, gut und erfreulich war, als ich nicht leicht einen erhalten. Da er ohne Rückhalt schreiben konnte, so beschrieb er mir die ganze politische Lage, die seinige und so weiter. Über mich selbst erklärte er sich auf das liebreichste.

Rom, den 22. Februar.

Wir haben diese Woche einen Fall gehabt, der das ganze Chor der Künstler in Betrübnis setzt. Ein Franzose namens Drouais, ein junger Mensch von etwa 25 Jahren, einziger Sohn einer zärtlichen Mutter, reich und schön gebildet, der unter allen studierenden Künstlern für den hoffnungsvollsten gehalten ward, ist an den Blattern gestorben. Es ist eine allgemeine Trauer und Bestürzung. Ich habe in seinem verlassenen Studio die lebensgroße Figur eines Philoktets gesehen, welcher mit einem Flügel eines erlegten Raubvogels den Schmerz seiner Wunde wehend kühlt. Ein schön gedachtes Bild, das in der Ausführung viel Verdienste hat, aber nicht fertig geworden.

Ich bin fleißig und vergnügt und erwarte so die Zukunft. Täglich wird mir’s deutlicher, daß ich eigentlich zur Dichtkunst geboren bin, und daß ich die nächsten zehen Jahre, die ich höchstens noch arbeiten darf, dieses Talent exkolieren und noch etwas Gutes machen sollte, da mir das Feuer der Jugend manches ohne großes Studium gelingen ließ. Von meinem längern Aufenthalt in Rom werde ich den Vorteil haben, daß ich auf das Ausüben der bildenden Kunst Verzicht tue.

Angelika macht mir das Kompliment, daß sie wenige in Rom kenne, die besser in der Kunst sähen als ich. Ich weiß recht gut, wo und was ich noch nicht sehe, und fühle wohl, daß ich immer zunehme, und was zu tun wäre, um immer weiter zu sehn. Genug, ich habe schon jetzt meinen Wunsch erreicht: in einer Sache, zu der ich mich leidenschaftlich getragen fühle, nicht mehr blind zu tappen.

Ein Gedicht, “Amor als Landschaftsmaler”, schick’ ich dir ehstens und wünsche ihm gut Glück. Meine kleinen Gedichte hab’ ich gesucht in eine gewisse Ordnung zu bringen, sie nehmen sich wunderlich aus. Die Gedichte auf Hans Sachs und auf Miedings Tod schließen den achten Band und so meine Schriften für diesmal. Wenn sie mich indessen bei der Pyramide zur Ruhe bringen, so können diese beiden Gedichte statt Personalien und Parentation gelten.

Morgen frühe ist päpstliche Kapelle, und die famosen alten Musiken fangen an, die nachher in der Karwoche auf den höchsten Grad des Interesse steigen. Ich will nun jeden Sonntag frühe hin, um mit dem Stil bekannt zu werden. Kayser, der diese Sachen eigentlich studiert, wird mir den Sinn wohl darüber aufschließen. Wir erwarten mit jeder Post ein gedrucktes Exemplar der Gründonnerstagsmusik von Zürich, wo sie Kayser zurückließ. Sie wird alsdann erst am Klavier gespielt und dann in der Kapelle gehört.

Bericht

Februar

Wenn man einmal zum Künstler geboren ist und gar mancher Gegenstand der Kunstanschauung zusagt, so kam diese mir auch mitten unter dem Gewühl der Fastnachtstorheiten und Absurditäten zu Gunsten. Es war das zweite Mal, daß ich das Karneval sah, und es mußte mir bald auffallen, daß dieses Volksfest wie ein anderes wiederkehrendes Leben und Weben seinen entschiedenen Verlauf hatte.

Dadurch ward ich nun mit dem Getümmel versöhnt, ich sah es an als ein anderes bedeutendes Naturerzeugnis und Nationalereignis; ich interessierte mich dafür in diesem Sinne, bemerkte genau den Gang der Torheiten und wie das alles doch in einer gewissen Form und Schicklichkeit ablief. Hierauf notierte ich mir die einzelnen Vorkommnisse der Reihe nach, welche Vorarbeit ich später zu dem soeben eingeschalteten Aufsatz benutzte, bat auch zugleich unsern Hausgenossen, Georg Schütz, die einzelnen Masken flüchtig zu zeichnen und zu kolorieren, welches er mit seiner gewohnten Gefälligkeit durchführte.

Diese Zeichnungen wurden nachher durch Melchior Krause von Frankfurt am Main, Direktor des freien Zeicheninstituts zu Weimar, in Quarto radiert und nach den Originalen illuminiert zur ersten Ausgabe bei Unger, welche sich selten macht.

Zu vorgemeldeten Zwecken mußte man sich denn mehr, als sonst geschehen wären unter die verkappte Menge hinunter drängen, welche denn trotz aller künstlerischen Ansicht oft einen widerwärtigen unheimlichen Eindruck machte. Der Geist, an die würdigen Gegenstände gewöhnt, mit denen man das ganze Jahr in Rom sich beschäftigte, schien immer einmal gewahr zu werden, daß er nicht recht an seinem Platze sei.

Aber für den innern bessern Sinn sollte doch das Erquicklichste bereitet sein. Auf dem venezianischen Platz, wo manche Kutschen, eh’ sie sich den bewegten Reihen wieder anschließen, die Vorbeiwallenden sich zu beschauen pflegen, sah ich den Wagen der Mad. Angelika und trat an den Schlag, sie zu begrüßen. Sie hatte sich kaum freundlich zu mir herausgeneigt, als sie sich zurückbog, um die neben ihr sitzende, wieder genesene Mailänderin mir sehen zulassen. Ich fand sie nicht verändert; denn wie sollte sich eine gesunde Jugend nicht schnell wiederherstellen; ja, ihre Augen schienen frischer und glänzender mich anzusehen, mit einer Freudigkeit, die mich bis ins Innerste durchdrang. So blieben wir eine Zeitlang ohne Sprache, als Mad. Angelika das Wort nahm und, indessen jene sich vorbog, zu mir sagte: “Ich muß nur den Dolmetscher machen, denn ich sehe, meine junge Freundin kommt nicht dazu, auszusprechen, was sie so lange gewünscht, sich vorgesetzt und mir öfters wiederholt hat, wie sehr sie Ihnen verpflichtet ist für den Anteil, den Sie an ihrer Krankheit, ihrem Schicksal genommen. Das erste, was ihr beim Wiedereintritt in das Leben tröstlich geworden, heilsam und wiederherstellend auf sie gewirkt, sei die Teilnahme ihrer Freunde und besonders die Ihrige gewesen, sie habe sich auf einmal wieder aus der tiefsten Einsamkeit unter so vielen guten Menschen in dem schönsten Kreise gefunden.”

“Das ist alles wahr”, sagte jene, indem sie über die Freundin her mir die Hand reichte, die ich wohl mit der meinigen, aber nicht mit meinen Lippen berühren konnte.

Mit stiller Zufriedenheit entfernt’ ich mich wieder in das Gedräng der Toren, mit dem zartesten Gefühl von Dankbarkeit gegen Angelika, die sich des guten Mädchens gleich nach dem Unfalle tröstend anzunehmen gewußt und, was in Rom selten ist, ein bisher fremdes Frauenzimmer in ihren edlen Kreis aufgenommen hatte, welches mich um so mehr rührte, als ich mir schmeicheln durfte, mein Anteil an dem guten Kinde habe hierauf nicht wenig eingewirkt.

Der Senator von Rom, Graf Rezzonico, war schon früher, aus Deutschland zurückkehrend, mich zu besuchen gekommen. Er hatte eine innige Freundschaft mit Herrn und Frau von Diede errichtet und brachte mir angelegentliche Grüße von diesen werten Gönnern und Freunden; aber ich lehnte, wie herkömmlich, ein näheres Verhältnis ab, sollte aber doch endlich unausweichlich in diesen Kreis gezogen werden.

Jene genannten Freunde, Herr und Frau von Diede, machten ihrem werten Lebensgenossen einen Gegenbesuch, und ich konnte mich um so weniger entbrechen, mancherlei Art von Einladungen anzunehmen, als die Dame, wegen des Flügelspiels berühmt, in einem Konzerte auf der kapitolinischen Wohnung des Senators sich hören zu lassen willig war und man unsern Genossen Kayser, dessen Geschicklichkeit ruchbar geworden, zu einer Teilnahme an jenen Exhibitionen schmeichelhaft eingeladen hatte. Die unvergleichliche Aussicht bei Sonnenuntergang aus den Zimmern des Senators nach dem Coliseo zu mit allem dem, was sich von den andern Seiten anschließt, verlieh freilich unserm Künstlerblick das herrlichste Schauspiel, dem man sich aber nicht hingeben durfte, um es gegen die Gesellschaft an Achtung und Artigkeit nicht fehlen zu lassen. Frau von Diede spielte sodann, sehr große Vorzüge entwickelnd, ein bedeutendes Konzert, und man bot bald darauf unserm Freunde den Platz an, dessen er sich denn auch ganz würdig zu machen schien, wenn man dem Lobe trauen darf, das er einerntete. Abwechselnd ging es eine Weile fort, auch wurde von einer Dame eine Lieblingsarie vorgetragen, endlich aber, als die Reihe wieder an Kaysern kam, legte er ein anmutiges Thema zum Grunde und variierte solches auf die mannigfaltigste Weise.

Alles war gut vonstatten gegangen, als der Senator mir im Gespräch manches Freundliche sagte, doch aber nicht bergen konnte und mit jener weichen venezianischen Art halb bedauernd versicherte, er sei eigentlich von solchen Variationen kein Freund, werde hingegen von den ausdrucksvollen Adagios seiner Dame jederzeit ganz entzückt.

Nun will ich gerade nicht behaupten, daß mir jene sehnsüchtigen Töne, die man im Adagio und Largo hinzuziehen pflegt, jemals seien zuwider gewesen, doch aber liebt’ ich in der Musik immer mehr das Aufregende, da unsere eigenen Gefühle, unser Nachdenken über Verlust und Mißlingen uns nur allzuoft herabzuziehen und zu überwältigen drohen.

Unserm Senator dagegen konnt’ ich keineswegs verargen, ja ich mußte ihm aufs freundlichste gönnen, daß er solchen Tönen gern sein Ohr lieh, die ihn vergewisserten, er bewirte in dem herrlichsten Aufenthalte der Welt eine so sehr geliebte und hochverehrte Freundin.

Für uns andere, besonders deutsche Zuhörer blieb es ein unschätzbarer Genuß, in dem Augenblicke, wo wir eine treffliche, längst gekannte verehrte Dame, in den zartesten Tönen sich auf dem Flügel ergehend, vernehmen, zugleich hinab vom Fenster in die einzigste Gegend von der Welt zu schauen und in dem Abendglanz der Sonne mit weniger Wendung des Hauptes das große Bild zu überblicken, das sich linker Hand vom Bogen des Septimius Severus das Campo Vaccino entlang bis zum Minerven–und Friedenstempel erstreckte, um dahinter das Koliseum hervorschauen zu lassen, in dessen Gefolge man dann das Auge rechts wendend, an den Bogen des Titus vorbeigleitend in dem Labyrinthe der palatinischen Trümmer und ihrer durch Gartenkultur und wilde Vegetation geschmückten Einöde sich zu verwirren und zu verweilen hatte.

(Eine im Jahre 1824 von Fries und Thürmer gezeichnete und gestochene nordwestliche übersicht von Rom, genommen von dem Turme des Kapitols, bitten wir hiernächst zu überschauen; sie ist einige Stockwerke höher und nach den neueren Ausgrabungen gefaßt, aber im Abendlichte und Beschattung, wie wir sie damals gesehen, wobei denn freilich die glühende Farbe mit ihren schattig-blauen Gegensätzen und allem dem Zauber, der daraus entspringt, hinzuzudenken wäre.)

Sodann hatten wir in diesen Stunden als Glück zu schätzen, das herrlichste Bild, welches Mengs vielleicht je gemalt hat, das Porträt Clemens’ XIII. Rezzonico, der unsern Gönner, den Senator, als Nepoten an diesen Posten gesetzt, mit Ruhe zu beschauen, von dessen Wert ich zum Schluß eine Stelle aus dem Tagebuch unseres Freundes anführe:

“Unter den von Mengs gemalten Bildnissen, da, wo seine Kunst sich am tüchtigsten bewährte, ist das Bildnis des Papstes Rezzonico. Der Künstler hat in diesem Werk die Venezianer im Kolorit und in der Behandlung nachgeahmt und sich eines glücklichen Erfolgs zu erfreuen; der Ton des Kolorits ist wahr und warm und der Ausdruck des Gesichtes belebt und geistreich; der Vorhang von Goldstoff, auf dem sich der Kopf und das übrige der Figur schön abheben, gilt für ein gewagtes Kunststück in der Malerei, gelang aber vortrefflich, indem das Bild dadurch ein reiches harmonisches, unser Auge angenehm rührendes Ansehn erhält.”

März

Korrespondenz

Rom, den 1. März.

Sonntags gingen wir in die Sixtinische Kapelle, wo der Papst mit den Kardinälen der Messe beiwohnte. Da die letzteren wegen der Fastenzeit nicht rot, sondern violett gekleidet waren, gab es ein neues Schauspiel. Einige Tage vorher hatte ich Gemälde von Albert Dürer gesehen und freute mich nun, so etwas im Leben anzutreffen. Das Ganze zusammen war einzig groß und doch simpel, und ich wundere mich nicht, wenn Fremde, die eben in der Karwoche, wo alles zusammentrifft, hereinkommen, sich kaum fassen können. Die Kapelle selbst kenne ich recht gut, ich habe vorigen Sommer drin zu Mittag gegessen und auf des Papstes Thron Mittagsruhe gehalten und kann die Gemälde fast auswendig, und doch, wenn alles beisammen ist, was zur Funktion gehört, so ist es wieder was anders, und man findet sich kaum wieder.

Es ward ein altes Motett, von einem Spanier Morales komponiert, gesungen, und wir hatten den Vorschmack von dem, was nun kommen wird. Kayser ist auch der Meinung, daß man diese Musik nur hier hören kann und sollte, teils weil nirgends Sänger ohne Orgel und Instrument auf einen solchen Gesang geübt sein könnten, teils weil er zum antiken Inventario der päpstlichen Kapelle und zu dem Ensemble der Michelangelos, des jüngsten Gerichts, der Propheten und biblischen Geschichte einzig passe. Kayser wird dereinst über alles dieses bestimmte Rechnung ablegen. Er ist ein großer Verehrer der alten Musik und studiert sehr fleißig alles, was dazu gehört.

So haben wir eine merkwürdige Sammlung Psalmen im Hause; sie sind in italienische Verse gebracht und von einem venezianischen Nobile, Benedetto Marcello, zu Anfang dieses Jahrhunderts in Musik gesetzt. Er hat bei vielen die Intonation der Juden, teils der spanischen, teils der deutschen, als Motiv angenommen, zu andern hat er alte griechische Melodien zugrunde gelegt und sie mit großem Verstand, Kunstkenntnis und Mäßigkeit ausgeführt. Sie sind teils als Solo, Duett, Chor gesetzt und unglaublich original, ob man gleich sich erst einen Sinn dazu machen muß. Kayser schätzt sie sehr und wird einige daraus abschreiben. Vielleicht kann man einmal das ganze Werk haben, das Venedig 1724 gedruckt ist und die ersten fünfzig Psalmen enthält. Herder soll doch aufstellen, er sieht vielleicht in einem Katalogus dies interessante Werk.

Ich habe den Mut gehabt, meine drei letzten Bände auf einmal zu überdenken, und ich weiß nun genau, was ich machen will; gebe nun der Himmel Stimmung und Glück, es zu machen.

Es war eine reichhaltige Woche, die mir in der Erinnerung wie ein Monat vorkommt.

Zuerst ward der Plan zu “Faust” gemacht, und ich hoffe, diese Operation soll mir geglückt sein. Natürlich ist es ein ander Ding, das Stück jetzt oder vor funfzehn Jahren ausschreiben, ich denke, es soll nichts dabei verlieren, besonders da ich jetzt glaube, den Faden wieder gefunden zu haben. Auch was den Ton des Ganzen betrifft, bin ich getröstet; ich habe schon eine neue Szene ausgeführt, und wenn ich das Papier räuchre, so, dächt’ ich, sollte sie mir niemand aus den alten herausfinden. Da ich durch die lange Ruhe und Abgeschiedenheit ganz auf das Niveau meiner eignen Existenz zurückgebracht bin, so ist es merkwürdig, wie sehr ich mir gleiche und wie wenig mein Innres durch Jahre und Begebenheiten gelitten hat. Das alte Manuskript macht mir manchmal zu denken, wenn ich es vor mir sehe. Es ist noch das erste, ja in den Hauptszenen gleich so ohne Konzept hingeschrieben, nun ist es so gelb von der Zeit, so vergriffen (die Lagen waren nie geheftet), so mürbe und an den Rändern zerstoßen, daß es wirklich wie das Fragment eines alten Kodex aussieht, so daß ich, wie ich damals in eine frühere Welt mich mit Sinnen und Ahnden versetzte, ich mich jetzt in eine selbst gelebte Vorzeit wieder versetzen muß.

Auch ist der Plan von “Tasso” in Ordnung und die vermischten Gedichte zum letzten Bande meist ins Reine geschrieben. “Des Künstlers Erdewallen” soll neu ausgeführt und dessen “Apotheose” hinzugetan werden. Zu diesen Jugendeinfällen habe ich nun erst die Studien gemacht, und alles Detail ist mir nun recht lebendig. Ich freue mich auch darauf und habe die beste Hoffnung zu den drei letzten Bänden, ich sehe sie im ganzen schon vor mir stehen und wünsche mir nur Muße und Gemütsruhe, um nun Schritt vor Schritt das Gedachte auszuführen.

Zur Stellung der verschiedenen kleinen Gedichte habe ich mir deine Sammlungen der “Zerstreuten Blätter” zum Muster dienen lassen und hoffe zur Verbindung so disparater Dinge gute Mittel gefunden zu haben, wie auch eine Art, die allzu individuellen und momentanen Stücke einigermaßen genießbar zu machen.

Nach diesen Betrachtungen ist die neue Ausgabe von Mengsens Schriften ins Haus gekommen, ein Buch, das mir jetzt unendlich interessant ist, weil ich die sinnlichen Begriffe besitze, die notwendig vorausgehen müssen, um nur eine Zeile des Werks recht zu verstehen. Es ist in allem Sinne ein trefflich Buch, man liest keine Seite ohne entschiedenen Nutzen. Auch seinen “Fragmenten über die Schönheit”, welche manchem so dunkel scheinen, habe ich glückliche Erleuchtungen zu danken.

Ferner habe ich allerlei Spekulationen über Farben gemacht, welche mir sehr anliegen, weil das der Teil ist, von dem ich bisher am wenigsten begriff. Ich sehe, daß ich mit einiger übung und anhaltendem Nachdenken auch diesen schönen Genuß der Weltoberfläche mir werde zueignen können.

Ich war einen Morgen in der Galerie Borghese, welche ich in einem Jahr nicht gesehen hatte, und fand zu meiner Freude, daß ich sie mit viel verständigern Augen sah. Es sind unsägliche Kunstschätze in dem Besitz des Fürsten.

Rom, den 7. März.

Eine gute, reiche und stille Woche ist wieder vorbei. Sonntags versäumten wir die päpstliche Kapelle, dagegen sah’ ich mit Angelika ein sehr schönes Gemälde, das billig für Correggio gehalten wird.

Ich sah die Sammlung der Akademie St. Luca, wo Raffaels Schädel ist. Diese Reliquie scheint mir ungezweifelt. Ein trefflicher Knochenbau, in welchem eine schöne Seele bequem spazieren konnte. Der Herzog verlangt einen Abguß davon, den ich wahrscheinlich werde verschaffen können. Das Bild, das von ihm gemalt ist und in gleichem Saale hängt, ist seiner wert.

Aufgang zum Kapitol. Zeichnung von Verschaffelt

Auch habe ich das Kapitol wieder gesehen und einige andere Sachen, die mir zurückblieben, vorzüglich Cavaceppis Haus, das ich immer versäumt hatte zu sehen. Unter vielen köstlichen Sachen haben mich vorzüglich ergötzt zwei Abgüsse der Köpfe von den Kolossalstatuen auf dem Monte Cavallo. Man kann sie bei Cavaceppi in der Nähe in ihrer ganzen Größe und Schönheit sehn. Leider daß der beste durch Zeit und Witterung fast einen Strohhalm dick der glatten Oberfläche des Gesichts verloren hat und in der Nähe wie von Pocken übel zugerichtet aussieht.

Heute waren die Exequien des Kardinal Visconti in der Kirche St. Carlo. Da die päpstliche Kapelle zum Hochamt sang, gingen wir hin, die Ohren auf morgen recht auszuwaschen. Es ward ein Requiem gesungen zu zwei Sopranen, das Seltsamste, was man hören kann. NB. Auch dabei war weder Orgel noch andere Musik.

Welch ein leidig Instrument die Orgel sei, ist mir gestern abend in dem Chor von St. Peter recht aufgefallen, man begleitete damit den Gesang bei der Vesper; es verbindet sich so gar nicht mit der Menschenstimme und ist so gewaltig. Wie reizend dagegen in der Sixtinischen Kapelle, wo die Stimmen allein sind.

Das Wetter ist seit einigen Tagen trübe und gelind. Der Mandelbaum hat größtenteils verblüht und grünt jetzt, nur wenige Blüten sind auf den Gipfeln noch zu sehen. Nun folgt der Pfirsichbaum, der mit seiner schönen Farbe die Gärten ziert. Viburnum Tinus blüht auf allen Ruinen, die Attichbüsche in den Hecken sind alle ausgeschlagen und andere, die ich nicht kenne. Die Mauern und Dächer werden nun grüner, auf einigen zeigen sich Blumen. In meinem neuen Kabinett, wohin ich zog, weil wir Tischbein von Neapel erwarten, habe ich eine mannigfaltige Aussicht in unzählige Gärtchen und auf die hinteren Galerien vieler Häuser. Es ist gar zu lustig.

Ich habe angefangen, ein wenig zu modellieren. Was den Erkenntnispunkt betrifft, gehe ich sehr rein und sicher fort, in Anwendung der tätigen Kraft bin ich ein wenig konfus. So geht es mir wie allen meinen Brüdern.

Rom, den 14. März.

Die nächste Woche ist hier nichts zu denken noch zu tun, man muß dem Schwall der Feierlichkeiten folgen. Nach Ostern werde ich noch einiges sehen, was mir zurückblieb, meinen Faden ablösen, meine Rechnung machen, meinen Bündel packen und mit Kaysern davonziehn. Wenn alles geht, wie ich wünsche und vorhabe, bin ich Ende Aprils in Florenz. Inzwischen hört ihr noch von mir.

Sonderbar war es, daß ich auf äußere Veranlassung verschiedene Maßregeln nehmen mußte, welche mich in neue Verhältnisse setzten, wodurch mein Aufenthalt in Rom immer schöner, nützlicher und glücklicher ward. Ja, ich kann sagen, daß ich die höchste Zufriedenheit meines Lebens in diesen letzten acht Wochen genossen habe und nun wenigstens einen äußersten Punkt kenne, nach welchem ich das Thermometer meiner Existenz künftig abmessen kann.

Diese Woche hat sich ungeachtet des üblen Wetters gut gehalten. Sonntags hörten wir in der Sixtinischen Kapelle ein Motett von Palestrina. Dienstag wollte uns das Glück, daß man zu Ehren einer Fremden verschiedene Teile der Karwochsmusik in einem Saale sang. Wir hörten sie also mit größter Bequemlichkeit und konnten uns, da wir sie so oft am Klavier durchsangen, einen vorläufigen Begriff davon machen. Es ist ein unglaublich großes simples Kunstwerk, dessen immer erneuerte Darstellung sich wohl nirgends als an diesem Orte und unter diesen Umständen erhalten konnte. Bei näherer Betrachtung fallen freilich mancherlei Handwerksburschentraditionen, welche die Sache wunderbar und unerhört machen, weg, mit allem dem bleibt es etwas Außerordentliches und ist ein ganz neuer Begriff. Kayser wird dereinst Rechenschaft davon ablegen können. Er wird die Vergünstigung erhalten, eine Probe in der Kapelle anzuhören, wozu sonst niemand gelassen wird.

Ferner habe ich diese Woche einen Fuß modelliert nach vorgängigem Studio der Knochen und Muskeln und werde von meinem Meister gelobt. Wer den ganzen Körper so durchgearbeitet hätte, wäre um ein gutes Teil klüger; versteht sich in Rom, mit allen Hülfsmitteln und dem mannigfaltigen Rat der Verständigen. Ich habe einen Skelettfuß, eine schöne auf die Natur gegossene Anatomie, ein halb Dutzend der schönsten antiken Füße, einige schlechte, jene zur Nachahmung, diese zur Warnung, und die Natur kann ich auch zu Rate ziehen, in jeder Villa, in die ich trete, finde ich Gelegenheit, nach diesen Teilen zu sehen, Gemälde zeigen mir, was Maler gedacht und gemacht haben. Drei, vier Künstler kommen täglich auf mein Zimmer, deren Rat und Anmerkung ich nutze, unter welchen jedoch, genau besehen, Heinrich Meyers Rat und Nachhülfe mich am meisten fördert. Wenn mit diesem Winde auf diesem Elemente ein Schiff nicht von der Stelle käme, so müßte es keine Segel oder einen wahnsinnigen Steuermann haben. Bei der allgemeinen übersicht der Kunst, die ich mir gemacht habe, war es mir sehr notwendig, nun mit Aufmerksamkeit und Fleiß an einzelne Teile zu gehn. Es ist angenehm, auch im Unendlichen vorwärts zu kommen.

Ich fahre fort, überall herumzugehen und vernachlässigte Gegenstände zu betrachten. So war ich gestern zum erstenmal in Raffaels Villa, wo er an der Seite seiner Geliebten den Genuß des Lebens aller Kunst und allem Ruhm vorzog. Es ist ein heilig Monument. Der Fürst Doria hat sie akquiriert und scheint sie behandeln zu wollen, wie sie es verdient. Raffael hat seine Geliebte achtundzwanzigmal auf die Wand porträtiert in allerlei Arten von Kleidern und Kostüme; selbst in den historischen Kompositionen gleichen ihr die Weiber. Die Lage des Hauses ist sehr schön. Es wird sich artiger davon erzählen lassen, als sich’s schreibt. Man muß das ganze Detail bemerken.

Dann ging ich in die Villa Albani und sah mich nur im allgemeinen darin um. Es war ein herrlicher Tag. Heute nacht hat es sehr geregnet, jetzt scheint die Sonne wieder, und vor meinem Fenster ist ein Paradies. Der Mandelbaum ist ganz grün, die Pfirsichblüten fangen schon an abzufallen, und die Zitronenblüten brechen auf dem Gipfel des Baumes auf.

Mein Abschied von hier betrübt drei Personen innigst. Sie werden nie wieder finden, was sie an mir gehabt haben, ich verlasse sie mit Schmerzen. In Rom hab’ ich mich selbst zuerst gefunden, ich bin zuerst übereinstimmend mit mir selbst glücklich und vernünftig geworden, und als einen solchen haben mich diese dreie in verschiedenem Sinne und Grade gekannt, besessen und genossen.

Rom, den 22. März.

Heute geh’ ich nicht nach St. Peter und will ein Blättchen schreiben. Nun ist auch die heilige Woche mit ihren Wundern und Beschwerden vorüber, morgen nehmen wir noch eine Benediktion auf uns, und dann wendet sich das Gemüt ganz zu einem andern Leben.

Ich habe durch Gunst und Mühe guter Freunde alles gesehen und gehört, besonders ist die Fußwaschung und die Speisung der Pilger nur durch großes Drängen und Drücken zu erkaufen.

Die Kapellmusik ist undenkbar schön. Besonders das “Miserere” von Allegri und die sogenannten “Improperien”, die Vorwürfe, welche der gekreuzigte Gott seinem Volke macht. Sie werden Karfreitags frühe gesungen. Der Augenblick, wenn der aller seiner Pracht entkleidete Papst vom Thron steigt, um das Kreuz anzubeten, und alles übrige an seiner Stelle bleibt, jedermann still ist, und das Chor anfängt: “Populus meus, quid feci tibi?”, ist eine der schönsten unter allen merkwürdigen Funktionen. Das soll nun alles mündlich ausgeführt werden, und was von Musik transportabel ist, bringt Kayser mit. Ich habe nach meinem Wunsch alles, was an den Funktionen genießbar war, genossen und über das übrige meine stillen Betrachtungen angestellt. Effekt, wie man zu sagen pflegt, hat nichts auf mich gemacht, nichts hat mir eigentlich imponiert, aber bewundert hab’ ich alles, denn das muß man ihnen nachsagen, daß sie die christlichen überlieferungen vollkommen durchgearbeitet haben. Bei den päpstlichen Funktionen, besonders in der Sixtinischen Kapelle, geschieht alles, was am katholischen Gottesdienste sonst unerfreulich erscheint, mit großem Geschmack und vollkommner Würde. Es kann aber auch nur da geschehen, wo seit Jahrhunderten alle Künste zu Gebote standen.

Das Einzelne davon würde jetzt nicht zu erzählen sein. Hätte ich nicht in der Zwischenzeit auf jene Veranlassung wieder stille gehalten und an ein längeres Bleiben geglaubt, so könnt’ ich nächste Woche fort. Doch auch das gereicht mir zum besten. Ich habe diese Zeit wieder viel studiert, und die Epoche, auf die ich hoffte, hat sich geschlossen und geründet. Es ist zwar immer eine sonderbare Empfindung, eine Bahn, auf der man mit starken Schritten fortgeht, auf einmal zu verlassen, doch muß man sich darein finden und nicht viel Wesens machen. In jeder großen Trennung liegt ein Keim von Wahnsinn, man muß sich hüten, ihn nachdenklich auszubrüten und zu pflegen.

Schöne Zeichnungen hab’ ich von Neapel erhalten, von Kniep, dem Maler, der mich nach Sizilien begleitet hat. Es sind schöne liebliche Früchte meiner Reise und für euch die angenehmsten; denn was man einem vor die Augen bringen kann, gibt man ihm am sichersten. Einige drunter sind, dem Ton der Farbe nach, ganz köstlich geraten, und ihr werdet kaum glauben, daß jene Welt so schön ist.

Soviel kann ich sagen, daß ich in Rom immer glücklicher geworden bin, daß noch mit jedem Tage mein Vergnügen wächst; und wenn es traurig scheinen möchte, daß ich eben scheiden soll, da ich am meisten verdiente, zu bleiben, so ist es doch wieder eine große Beruhigung, daß ich so lang habe bleiben können, um auf den Punkt zu gelangen.

Soeben steht der Herr Christus mit entsetzlichem Lärm auf. Das Kastell feuert ab, alle Glocken läuten, und an allen Ecken und Enden hört man Petarden, Schwärmer und Lauffeuer. Um eilf Uhr morgens.

Bericht März

Es ist uns erinnerlich, wie Philippus Neri den Besuch der sieben Hauptkirchen Roms sich öfters zur Pflicht gemacht und dadurch von der Inbrunst seiner Andacht einen deutlichen Beweis gegeben. Hier nun aber ist zu bemerken, daß eine Wallfahrt zu gedachten Kirchen von jedem Pilger, der zum Jubiläum herankommt, notwendig gefordert wird und wirklich wegen der weitentfernten Lage dieser Stationen, insofern der Weg an einem Tage zurückgelegt werden soll, einer abermaligen anstrengenden Reise wohl gleichzuachten ist.

Jene sieben Kirchen aber sind: St. Peter, Santa Maria Maggiore, San Lorenzo außer den Mauern, San Sebastian, San Johann im Lateran, Santa Croce in Jerusalem, San Paul vor den Mauern.

Einen solchen Umgang nun vollführen auch einheimische fromme Seelen in der Karwoche, besonders am Karfreitag. Da man aber zu dem geistlichen Vorteil, welchen die Seelen durch den damit verknüpften Ablaß erwerben und genießen, noch einen leiblichen Genuß hinzugetan, so wird in solcher Hinsicht Ziel und Zweck noch reizender.

Wer nämlich nach vollbrachter Wallfahrt mit gehörigen Zeugnissen zum Tore von San Paul endlich wieder hereintritt, erhält daselbst ein Billet, um an einem frommen Volksfeste in der Villa Mattei an bestimmten Tagen teilnehmen zu können. Dort erhalten die Eingelassenen eine Kollation von Brot, Wein, etwas Käse oder Eiern; die Genießenden sind dabei im Garten umher gelagert, vornehmlich in dem kleinen daselbst befindlichen Amphitheater. Gegenüber in dem Kasino der Villa findet sich die höhere Gesellschaft zusammen; Kardinäle, Prälaten, Fürsten und Herren, um sich an dem Anblick zu ergötzen und somit auch ihren Teil an der Spende, von der Familie Mattei gestiftet, hinzunehmen.

Wir sahen eine Prozession von etwa zehn–bis zwölfjährigen Knaben herankommen, nicht im geistlichen Gewand, sondern wie es etwa Handwerkslehrlingen am Festtage zu erscheinen geziemen möchte, in Kleidern gleicher Farbe, gleichen Schnitts, paarweise, es konnten ihrer vierzig sein. Sie sangen und sprachen ihre Litaneien fromm vor sich hin und wandelten still und züchtig.

Ein alter Mann von kräftigem handwerksmäßigen Ansehn ging an ihnen her und schien das Ganze zu ordnen und zu leiten. Auffallend war es, die vorüberziehende wohlgekleidete Reihe durch ein halb Dutzend bettelhafte, barfuß und zerlumpt einhergehende Kinder geschlossen zu sehen welche jedoch in gleicher Zucht und Sitte dahinwandelten. Erkundigung deshalb gab uns zu vernehmen: Dieser Mann, ein Schuster von Profession und kinderlos, habe sich früher bewogen gefühlt, einen armen Knaben auf–und in die Lehre zu nehmen, mit Beistand von Wohlwollenden ihn zu kleiden und weiterzubringen. Durch ein solches gegebenes Beispiel sei es ihm gelungen, andere Meister zu gleicher Aufnahme von Kindern zu bewegen, die er ebenfalls zu befördern alsdann besorgt gewesen. Auf diese Weise habe sich ein kleines Häuflein gesammelt, welches er zu gottesfürchtigen Handlungen, um den schädlichen Müßiggang an Sonn–und Feiertagen zu verhüten, ununterbrochen angehalten, ja sogar den Besuch der weit auseinander liegenden Hauptkirchen an einem Tage von ihnen gefordert. Auf diese Weise nun sei diese fromme Anstalt immer gewachsen; er verrichte seine verdienstlichen Wanderungen nach wie vor, und weil sich zu einer so augenfällig nutzbaren Anstalt immer mehr hinzudrängen, als aufgenommen werden könnten, so bediene er sich des Mittels, um die allgemeine Wohltätigkeit zu erregen, daß er die noch zu versorgenden, zu bekleidenden Kinder seinem Zuge anschließe, da es ihm denn jedesmal gelinge, zur Versorgung eines und des andern hinreichende Spende zu erhalten.

Während wir uns hievon unterrichteten, war einer der älteren und bekleideten Knaben auch in unsere Nähe gekommen, bot uns einen Teller und verlangte mit gutgesetzten Worten für die nackten und sohlenlosen bescheiden eine Gabe. Er empfing sie nicht nur von uns gerührten Fremden reichlich, sondern auch von den anstehenden sonst pfennigkargen Römern und Römerinnen, die einer mäßigen Spende mit viel Worten segnender Anerkennung jenes Verdienstes noch ein frommes Gewicht beizufügen nicht unterließen.

Man wollte wissen, daß der fromme Kindervater jedesmal seine Pupillen an jener Spende teilnehmen lasse, nachdem sie sich durch vorhergegangene Wanderung erbaut, wobei es denn niemals an leidlicher Einnahme zu seinem edlen Zwecke fehlen kann.

Italienische Reise / 2. Röm. Aufenthalt / Nachahmung des Schönen

über die bildende Nachahmung des Schönen

von Karl Philipp Moritz. Braunschweig 1788.

Unter diesem Titel ward ein Heft von kaum vier Bogen gedruckt, wozu Moritz das Manuskript nach Deutschland geschickt hatte, um seinen Verleger über den Vorschuß einer Reisebeschreibung nach Italien einigermaßen zu beschwichtigen. Freilich war eine solche nicht so leicht als die einer abenteuerlichen Fußwanderung durch England niederzuschreiben.

Gedachtes Heft aber darf ich nicht unerwähnt lassen; es war aus unsern Unterhaltungen hervorgegangen, welche Moritz nach seiner Art benutzt und ausgebildet. Wie es nun damit auch sei, so kann es geschichtlich einiges Interesse haben, um daraus zu ersehen, was für Gedanken sich in jener Zeit vor uns auftaten, welche, späterhin entwickelt, geprüft, angewendet und verbreitet, mit der Denkweise des Jahrhunderts glücklich zusammentrafen.

Einige Blätter aus der Mitte des Vortrags mögen hier eingeschaltet stehen, vielleicht nimmt man hievon Veranlassung, das Ganze wieder abzudrucken.

“Der Horizont der tätigen Kraft aber muß bei dem bildenden Genie so weit wie die Natur selber sein: das heißt, die Organisation muß so fein gewebt sein und so unendlich viele Berührungspunkte der allumströmenden Natur darbieten, daß gleichsam die äußersten Enden von allen Verhältnissen der Natur im großen, hier im kleinen sich nebeneinander stellend, Raum genug haben, um sich einander nicht verdrängen zu dürfen.

Wenn nun eine Organisation von diesem feinern Gewebe bei ihrer völligen Entwicklung auf einmal in der dunklen Ahndung ihrer tätigen Kraft ein Ganzes faßt, das weder in ihr Auge noch in ihr Ohr, weder in ihre Einbildungskraft noch in ihre Gedanken kam, so muß notwendig eine Unruhe, ein Mißverhältnis zwischen den sich wägenden Kräften so lange entstehen, bis sie wieder in ihr Gleichgewicht kommen.

Bei einer Seele, deren bloß tätige Kraft schon das edle große Ganze der Natur in dunkler Ahndung faßt, kann die deutlich erkennende Denkkraft, die noch lebhafter darstellende Einbildungskraft und der am hellsten spiegelnde äußre Sinn mit der Betrachtung des einzelnen im Zusammenhange der Natur sich nicht mehr begnügen.

Alle die in der tätigen Kraft bloß dunkel geahndeten Verhältnisse jenes großen Ganzen müssen notwendig auf irgendeine Weise entweder sichtbar, hörbar oder doch der Einbildungskraft faßbar werden; und um dies zu werden, muß die Tatkraft, worin sie schlummern, sie nach sich selber, aus sich selber bilden.–Sie muß alle jene Verhältnisse des großen Ganzen und in ihnen das höchste Schöne wie an den Spitzen seiner Strahlen in einen Brennpunkt fassen.–Aus diesem Brennpunkte muß sich nach des Auges gemessener Weite ein zartes und doch getreues Bild des höchsten Schönen ründen, das die vollkommensten Verhältnisse des großen Ganzen der Natur ebenso wahr und richtig wie sie selbst in seinem kleinen Umfang faßt.

Weil nun aber dieser Abdruck des höchsten Schönen notwendig an etwas haften muß, so wählt die bildende Kraft, durch ihre Individualität bestimmt, irgendeinen sichtbaren, hörbaren oder doch der Einbildungskraft faßbaren Gegenstand, auf den sie den Abglanz des höchsten Schönen im verjüngenden Maßstabe überträgt.–Und weil dieser Gegenstand wiederum, wenn er wirklich, was er darstellt, wäre, mit dem Zusammenhange der Natur, die außer sich selber kein wirklich eigenmächtiges Ganze duldet, nicht ferner bestehen könnte, so führet uns dies auf den Punkt, wo wir schon einmal waren: daß jedesmal das innre Wesen erst in die Erscheinung sich verwandeln müsse, ehe es durch die Kunst zu einem für sich bestehenden Ganzen gebildet werden und ungehindert die Verhältnisse des großen Ganzen der Natur in ihrem völligen Umfange spiegeln kann.

Da nun aber jene großen Verhältnisse, in deren völligem Umfange eben das Schöne liegt, nicht mehr unter das Gebiet der Denkkraft fallen, so kann auch der lebendige Begriff von der bildenden Nachahmung des Schönen nur im Gefühl der tätigen Kraft, die es hervorbringt, im ersten Augenblick der Entstehung stattfinden, wo das Werk, als schon vollendet, durch alle Grade seines allmählichen Werdens in dunkler Ahndung auf einmal vor die Seele tritt und in diesem Moment der ersten Erzeugung gleichsam vor seinem wirklichen Dasein da ist; wodurch alsdann auch jener unnennbare Reiz entsteht, welcher das schaffende Genie zur immerwährenden Bildung treibt.

Durch unser Nachdenken über die bildende Nachahmung des Schönen, mit dem reinen Genuß der schönen Kunstwerke selbst vereint, kann zwar etwas jenem lebendigen Begriff Näherkommendes in uns entstehen, das den Genuß der schönen Kunstwerke uns erhöht.–Allein da unser höchster Genuß des Schönen dennoch sein Werden auf unsrer eignen Kraft unmöglich mit in sich fassen kann, so bleibt der einzige höchste Genuß desselben immer dem schaffenden Genie, das es hervorbringt, selber, und das Schöne hat daher seinen höchsten Zweck in seiner Entstehung, in seinem Werden schon erreicht; unser Nachgenuß desselben ist nur eine Folge seines Daseins–und das bildende Genie ist daher im großen Plane der Natur zuerst um sein selbst, und dann erst um unsertwillen da; weil es nun einmal außer ihm noch Wesen gibt, die selbst nicht schaffen und bilden, aber doch das Gebildete, wenn es einmal hervorgebracht ist, mit ihrer Einbildungskraft umfassen können.

Die Natur des Schönen besteht ja eben darin, daß sein innres Wesen außer den Grenzen der Denkkraft, in seiner Entstehung, in seinem eignen Werden liegt. Eben darum, weil die Denkkraft beim Schönen nicht mehr fragen kann, warum es schön sei, ist es schön.–Denn es mangelt ja der Denkkraft völlig an einem Vergleichungspunkte, wornach sie das Schöne beurteilen und betrachten könnte. Was gibt es noch für einen Vergleichungspunkt für das echte Schöne, als mit dem Inbegriff aller harmonischen Verhältnisse des großen Ganzen der Natur, die keine Denkkraft umfassen kann? Alles einzelne, hin und her in der Natur zerstreute Schöne ist ja nur insofern schön, als sich dieser Inbegriff aller Verhältnisse jenes großen Ganzen mehr oder weniger darin offenbart. Es kann also nie zum Vergleichungspunkte für das Schöne der bildenden Künste, ebensowenig als der wahren Nachahmung des Schönen zum Vorbilde dienen; weil das höchste Schöne im Einzelnen der Natur immer noch nicht schön genug für die stolze Nachahmung der großen und majestätischen Verhältnisse des allumfassenden Ganzen der Natur ist. Das Schöne kann daher nicht erkannt, es muß hervorgebracht–oder empfunden werden.

Denn weil in gänzlicher Ermangelung eines Vergleichungspunktes einmal das Schöne kein Gegenstand der Denkkraft ist, so würden wir, insofern wir es nicht selbst hervorbringen können, auch seines Genusses ganz entbehren müssen, indem wir uns nie an etwas halten könnten, dem das Schöne näher käme als das Minderschöne–wenn nicht etwas die Stelle der hervorbringenden Kraft in uns ersetzte, das ihr so nahe wie möglich kömmt, ohne doch sie selbst zu sein:–dies ist nun, was wir Geschmack oder Empfindungsfähigkeit für das Schöne nennen, die, wenn sie in ihren Grenzen bleibt, den Mangel des höhern Genusses bei der Hervorbringung des Schönen durch die ungestörte Ruhe der stillen Betrachtung ersetzen kann.

Wenn nämlich das Organ nicht fein genug gewebt ist, um dem einströmenden Ganzen der Natur so viele Berührungspunkte darzubieten, als nötig sind, um alle ihre großen Verhältnisse vollständig im kleinen abzuspiegeln, und uns noch ein Punkt zum völligen Schluß des Zirkels fehlt, so können wir statt der Bildungskraft nur Empfindungsfähigkeit für das Schöne haben: jeder Versuch, es außer uns wieder darzustellen, würde uns mißlingen und uns desto unzufriedner mit uns selber machen, je näher unser Empfindungsvermögen für das Schöne an das uns mangelnde Bildungsvermögen grenzt.

Weil nämlich das Wesen des Schönen eben in seiner Vollendung in sich selbst besteht, so schadet ihm der letzte fehlende Punkt so viel als tausend, denn er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in welche sie gehören.–Und ist dieser Vollendungspunkt einmal verfehlt, so verlohnt ein Werk der Kunst nicht der Mühe des Anfangs und der Zeit seines Werdens; es fällt unter das Schlechte bis zum Unnützen herab, und sein Dasein muß notwendig durch die Vergessenheit, worin es sinkt, sich wieder aufheben.

Ebenso schadet auch dem in das feinere Gewebe der Organisation gepflanzten Bildungsvermögen der letzte zu seiner Vollständigkeit fehlende Punkt so viel als tausend. Der höchste Wert, den es als Empfindungsvermögen haben könnte, kömmt bei ihm als Bildungskraft ebensowenig wie der geringste in Betrachtung. Auf dem Punkte, wo das Empfindungsvermögen seine Grenzen überschreitet, muß es notwendig unter sich selber sinken, sich aufheben und vernichten.

Je vollkommener das Empfindungsvermögen für eine gewisse Gattung des Schönen ist, um desto mehr ist es in Gefahr, sich zu täuschen, sich selbst für Bildungskraft zu nehmen und auf die Weise durch tausend mißlungene Versuche seinen Frieden mit sich selbst zu stören.

Es blickt z. B. beim Genuß des Schönen in irgendeinem Werke der Kunst zugleich durch das Werden desselben in die bildende Kraft, die es schuf, hindurch; und ahndet dunkel den höhern Grad des Genusses eben dieses Schönen im Gefühl dieser Kraft, die mächtig genug war, es aus sich selbst hervorzubringen.

Um sich nun diesen höhern Grad des Genusses, welchen sie an einem Werke, das einmal schon da ist, unmöglich haben kann, auch zu verschaffen, strebt die einmal zu lebhaft gerührte Empfindung vergebens, etwas ähnliches aus sich selbst hervorzubringen, haßt ihr eignes Werk, verwirft es und verleidet sich zugleich den Genuß alle des Schönen, das außer ihr schon da ist, und woran sie nun eben deswegen, weil es ohne ihr Zutun da ist, keine Freude findet.

Ihr einziger Wunsch und Streben ist, des ihr versagten höhern Genusses, den sie nur dunkel ahndet, teilhaftig zu werden: in einem schönen Werke, das ihr sein Dasein dankt, mit dem Bewußtsein von eigner Bildungskraft sich selbst zu spiegeln.-Allein sie wird ihres Wunsches ewig nicht gewährt, weil Eigennutz ihn erzeugte und das Schöne sich nur um sein selbst willen von der Hand des Künstlers greifen und willig und folgsam von ihm sich bilden läßt.

Wo sich nun in den schaffenwollenden Bildungstrieb sogleich die Vorstellung vom Genuß des Schönen mischt, den es, wenn es vollendet ist, gewähren soll; und wo diese Vorstellung der erste und stärkste Antrieb unsrer Tatkraft wird, die sich zu dem, was sie beginnt, nicht in und durch sich selbst gedrungen fühlt, da ist der Bildungstrieb gewiß nicht rein: der Brennpunkt oder Vollendungspunkt des Schönen fällt in die Wirkung über das Werk hinaus; die Strahlen gehen auseinander; das Werk kann sich nicht in sich selber ründen.

Dem höchsten Genuß des aus sich selbst hervorgebrachten Schönen sich so nah zu dünken und doch darauf Verzicht zu tun, scheint freilich ein harter Kampf–der dennoch äußerst leicht wird, wenn wir aus diesem Bildungstriebe, den wir uns einmal zu besitzen schmeicheln, um doch sein Wesen zu veredeln, jede Spur des Eigennutzes, die wir noch finden, tilgen und jede Vorstellung des Genusses, den uns das Schöne, das wir hervorbringen wollen, wenn es nun da sein wird, durch das Gefühl unsrer eignen Kraft gewähren soll, soviel wie möglich zu verbannen suchen, so daß, wenn wir auch mit dem letzten Atemzuge es erst vollenden könnten, es dennoch zu vollenden strebten.-Behält alsdann das Schöne, das wir ahnden, bloß an und für sich selbst, in seiner Hervorbringung, noch Reiz genug, unsre Tatkraft zu bewegen, so dürfen wir getrost unserm Bildungstriebe folgen, weil er echt und rein ist. -Verliert sich aber mit der gänzlichen Hinwegdenkung des Genusses und der Wirkung auch der Reiz, so bedarf es ja keines Kampfes weiter, der Frieden in uns ist hergestellt, und das nun wieder in seine Rechte getretene Empfindungsvermögen eröffnet sich zum Lohne für sein bescheidnes Zurücktreten in seine Grenzen dem reinsten Genuß des Schönen, der mit der Natur seines Wesens bestehen kann.

Freilich kann nun der Punkt, wo Bildungs–und Empfindungskraft sich scheidet, so äußerst leicht verfehlt und überschritten werden, daß es gar nicht zu verwundern ist, wenn immer tausend falsche, angemaßte Abdrücke des höchsten Schönen gegen einen echten durch den falschen Bildungstrieb in den Werken der Kunst entstehen.

Denn da die echte Bildungskraft sogleich bei der ersten Entstehung ihres Werks auch schon den ersten, höchsten Genuß desselben als ihren sichern Lohn in sich selber trägt und sich nur dadurch von dem falschen Bildungstriebe unterscheidet, daß sie den allerersten Moment ihres Anstoßes durch sich selber und nicht durch die Ahndung des Genusses von ihrem Werke erhält; und weil in diesem Moment der Leidenschaft die Denkkraft selbst kein richtiges Urteil fällen kann, so ist es fast unmöglich, ohne eine Anzahl mißlungner Versuche dieser Selbsttäuschung zu entkommen.

Und selbst auch diese mißlungnen Versuche sind noch nicht immer ein Beweis von Mangel an Bildungskraft, weil diese selbst da, wo sie echt ist, oft eine ganz falsche Richtung nimmt, indem sie vor ihre Einbildungskraft stellen will, was vor ihr Auge, oder vor ihr Auge, was vor ihr Ohr gehört.

Eben weil die Natur die inwohnende Bildungskraft nicht immer zur völligen Reife und Entwicklung kommen oder sie einen falschen Weg einschlagen läßt, auf dem sie sich nie entwickeln kann, so bleibt das echte Schöne selten.

Und weil sie auch aus dem angemaßten Bildungstriebe das Gemeine und Schlechte ungehindert entstehen läßt, so unterscheidet sich eben dadurch das echte Schöne und Edle durch seinen seltenen Wert vom Schlechten und Gemeinen.

In dem Empfindungsvermögen bleibt also stets die Lücke, welche nur durch das Resultat der Bildungskraft sich ausfüllt.–Bildungskraft und Empfindungsfähigkeit verhalten sich zueinander wie Mann und Weib. Denn auch die Bildungskraft ist bei der ersten Entstehung ihres Werks im Moment des höchsten Genusses zugleich Empfindungsfähigkeit und erzeugt wie die Natur den Abdruck ihres Wesens aus sich selber.

Empfindungsvermögen sowohl als Bildungskraft sind also in dem feinern Gewebe der Organisation gegründet, insofern dieselbe in allen ihren Berührungspunkten von den Verhältnissen des großen Ganzen der Natur ein vollständiger oder doch fast vollständiger Abdruck ist.

Empfindungskraft sowohl als Bildungskraft umfassen mehr als Denkkraft, und die tätige Kraft, worin sich beide gründen, faßt zugleich auch alles, was die Denkkraft faßt, weil sie von allen Begriffen, die wir je haben können, die ersten Anlässe, stets sie aus sich herausspinnend, in sich trägt.

Insofern nun diese tätige Kraft alles, was nicht unter das Gebiet der Denkkraft fällt, hervorbringend in sich faßt, heißet sie Bildungskraft: und insofern sie das, was außer den Grenzen der Denkkraft liegt, der Hervorbringung sich entgegenneigend, in sich begreift, heißt sie Empfindungskraft.

Bildungskraft kann nicht ohne Empfindung und tätige Kraft, die bloß tätige Kraft hingegen kann ohne eigentliche Empfindungs–und Bildungskraft, wovon sie nur die Grundlage ist, für sich allein stattfinden.

Insofern nun diese bloß tätige Kraft ebenfalls in dem feinern Gewebe der Organisation sich gründet, darf das Organ nur überhaupt in allen seinen Berührungspunkten ein Abdruck der Verhältnisse des großen Ganzen sein, ohne daß eben der Grad der Vollständigkeit erfordert würde, welche die Empfindungs–und Bildungskraft voraussetzt.

Von den Verhältnissen des großen Ganzen, das uns umgibt, treffen nämlich immer so viele in allen Berührungspunkten unsres Organs zusammen, daß wir dies große Ganze dunkel in uns fühlen, ohne es doch selbst zu sein. Die in unser Wesen hineingesponnenen Verhältnisse jenes Ganzen streben, sich nach allen Seiten wieder auszudehnen; das Organ wünscht sich nach allen Seiten bis ins Unendliche fortzusetzen. Es will das umgebende Ganze nicht nur in sich spiegeln, sondern, soweit es kann, selbst dies umgebende Ganze sein.

Daher ergreift jede höhere Organisation ihrer Natur nach die ihr untergeordnete und trägt sie in ihr Wesen über. Die Pflanze den unorganisierten Stoff durch bloßes Werden und Wachsen; das Tier die Pflanzen durch Werden, Wachsen und Genuß; der Mensch verwandelt nicht nur Tier und Pflanze durch Werden, Wachsen und Genuß in sein innres Wesen, sondern faßt zugleich alles, was seiner Organisation sich unterordnet, durch die unter allen am hellsten geschliffne, spiegelnde Oberfläche seines Wesens, in den Umfang seines Daseins auf und stellt es, wenn sein Organ sich bildend in sich selbst vollendet, verschönert außer sich wieder dar.

Wo nicht, so muß er das, was um ihn her ist, durch Zerstörung in den Umfang seines wirklichen Daseins ziehn und verheerend um sich greifen, so weit er kann, da einmal die reine unschuldige Beschauung seinen Durst nach ausgedehntem wirklichem Dasein nicht ersetzen kann.”

April

Korrespondenz

Rom, den 10. April.

Noch bin ich in Rom mit dem Leibe, nicht mit der Seele. Sobald der Entschluß fest war, abzugehen, hatte ich auch kein Interesse mehr, und ich wäre lieber schon vierzehn Tage fort. Eigentlich bleibe ich noch um Kaysers willen und um Burys willen. Ersterer muß noch einige Studien absolvieren, die er nur hier in Rom machen kann, noch einige Musikalien sammeln; der andere muß noch die Zeichnung zu einem Gemälde nach meiner Erfindung ins reine bringen, dabei er meines Rats bedarf.

Doch hab’ ich den 21. oder 22. April zur Abreise festgesetzt.

Rom den 11. April.

Die Tage vergehn, und ich kann nichts mehr tun. Kaum mag ich noch etwas sehen; mein ehrlicher Meyer steht mir noch bei, und ich genieße noch zuletzt seines unterrichtenden Umgangs. Hätte ich Kaysern nicht bei mir, so hätte ich jenen mitgebracht. Wenn wir ihn nur ein Jahr gehabt hätten, so wären wir weit genug gekommen. Besonders hätte er bald über alle Skrupel im Köpfezeichnen hinausgeholfen.

Ich war mit meinem guten Meyer diesen Morgen in der französischen Akademie, wo die Abgüsse der besten Statuen des Altertums beisammenstehn. Wie könnt’ ich ausdrücken, was ich hier wie zum Abschied empfand? In solcher Gegenwart wird man mehr, als man ist; man fühlt, das Würdigste, womit man sich beschäftigen sollte, sei die menschliche Gestalt, die man hier in aller mannigfaltigen Herrlichkeit gewahr wird. Doch wer fühlt bei einem solchen Anblick nicht alsobald, wie unzulänglich er sei; selbst vorbereitet steht man wie vernichtet. Hatte ich doch Proportion, Anatomie, Regelmäßigkeit der Bewegung mir einigermaßen zu verdeutlichen gesucht, hier aber fiel mir nur zu sehr auf, daß die Form zuletzt alles einschließe, der Glieder Zweckmäßigkeit, Verhältnis, Charakter und Schönheit.

Rom, den 14. April.

Die Verwirrung kann wohl nicht größer werden! Indem ich nicht abließ, an jenem Fuß fortzumodellieren, ging mir auf, daß ich nunmehr “Tasso” unmittelbar angreifen müßte, zu dem sich denn auch meine Gedanken hinwendeten, ein willkommener Gefährte zur bevorstehenden Reise. Dazwischen wird eingepackt, und man sieht in solchem Augenblicke erst, was man alles um sich versammelt und zusammengeschleppt hat.

Bericht

April

Meine Korrespondenz der letzten Wochen bietet wenig Bedeutendes; meine Lage war zu verwickelt zwischen Kunst und Freundschaft, zwischen Besitz und Bestreben, zwischen einer gewohnten Gegenwart und einer wieder neu anzugewöhnenden Zukunft. In diesen Zuständen konnten meine Briefe wenig enthalten; die Freude, meine alten geprüften Freunde wiederzusehen, war nur mäßig ausgesprochen, der Schmerz des Loslösens dagegen kaum verheimlicht. Ich fasse daher in gegenwärtigen nachträglichen Bericht manches zusammen und nehme nur das auf, was aus jener Zeit mir teils durch andere Papiere und Denkmale bewahrt, teils in der Erinnerung wieder hervorzurufen ist.

Tischbein verweilte noch immer in Neapel, ob er schon seine Zurückkunft im Frühling wiederholt angekündigt hatte. Es war sonst mit ihm gut leben, nur ein gewisser Tik ward auf die Länge beschwerlich. Er ließ nämlich alles, was er zu tun vorhatte, in einer Art Unbestimmtheit, wodurch er oft ohne eigentlich bösen Willen andere zu Schaden und Unlust brachte. So erging es mir nun auch in diesem Falle; ich mußte, wenn er zurückkehrte, um uns alle bequem logiert zu sehen, das Quartier verändern, und da die obere Etage unsers Hauses eben leer ward, säumte ich nicht, sie zu mieten und sie zu beziehen, damit er bei seiner Ankunft in der untern alles bereit fände.

Die oberen Räume waren den unteren gleich, die hintere Seite jedoch hatte den Vorteil einer allerliebsten Aussicht über den Hausgarten und die Gärten der Nachbarschaft, welche, da unser Haus ein Eckhaus war, sich nach allen Seiten ausdehnte.

Hier sah man nun die verschiedensten Gärten, regelmäßig durch Mauern getrennt, in unendlicher Mannigfaltigkeit gehalten und bepflanzt; dieses grünende und blühende Paradies zu verherrlichen, trat überall die einfach edle Baukunst hervor: Gartensäle, Balkone, Terrassen, auch auf den höhern Hinterhäuschen eine offne Loge, dazwischen alle Baum–und Pflanzenarten der Gegend.

In unserm Hausgarten versorgte ein alter Weltgeistlicher eine Anzahl wohlgehaltener Zitronenbäume von mäßiger Höhe in verzierten Vasen von gebrannter Erde, welche im Sommer der freien Luft genossen, im Winter jedoch im Gartensaale verwahrt standen. Nach vollkommen geprüfter Reife wurden die Früchte sorgfältig abgenommen, jede einzeln in weiches Papier gewickelt, so zusammengepackt und versendet. Sie sind wegen besonderer Vorzüge im Handel beliebt. Eine solche Orangerie wird als ein kleines Kapital in bürgerlichen Familien betrachtet, wovon man alle Jahre die gewissen Interessen zieht.

Dieselbigen Fenster, aus welchen man so viel Anmut beim klarsten Himmel ungestört betrachtete, gaben auch ein vortreffliches Licht zu Beschauung malerischer Kunstwerke. Soeben hatte Kniep verschiedene Aquarellzeichnungen, ausgeführt nach Umrissen, die er auf unsrer Reise durch Sizilien sorgfältig zog, verabredetermaßen eingesendet, die nunmehr bei dem günstigsten Licht allen Teilnehmenden zu Freude und Bewunderung gereichten. Klarheit und luftige Haltung ist vielleicht in dieser Art keinem besser gelungen als ihm, der sich mit Neigung gerade hierauf geworfen hatte. Die Ansicht dieser Blätter bezauberte wirklich, denn man glaubte, die Feuchte des Meers, die blauen Schatten der Felsen, die gelbrötlichen Töne der Gebirge, das Verschweben der Ferne in dem glanzreichsten Himmel wieder zu sehen, wieder zu empfinden. Aber nicht allein diese Blätter erschienen in solchem Grade günstig, jedes Gemälde, auf dieselbe Staffelei, an denselben Ort gestellt, erschien wirksamer und auffallender; ich erinnere mich, daß einigemal, als ich ins Zimmer trat, mir ein solches Bild wie zauberisch entgegenwirkte.

Das Geheimnis einer günstigen oder ungünstigen, direkten oder indirekten atmosphärischen Beleuchtung war damals noch nicht entdeckt, sie selbst aber durchaus gefühlt, angestaunt und als nur zufällig und unerklärbar betrachtet.

Diese neue Wohnung gab nun Gelegenheit, eine Anzahl von Gipsabgüssen, die sich nach und nach um uns gesammelt hatten, in freundlicher Ordnung und gutem Lichte aufzustellen, und man genoß jetzt erst eines höchst würdigen Besitzes. Wenn man, wie in Rom der Fall ist, sich immerfort in Gegenwart plastischer Kunstwerke der Alten befindet, so fühlt man sich wie in Gegenwart der Natur vor einem Unendlichen, Unerforschlichen. Der Eindruck des Erhabenen, des Schönen, so wohltätig er auch sein mag, beunruhigt uns, wir wünschen unsre Gefühle, unsre Anschauung in Worte zu fassen: dazu müßten wir aber erst erkennen, einsehen, begreifen; wir fangen an zu sondern, zu unterscheiden, zu ordnen, und auch dieses finden wir, wo nicht unmöglich, doch höchst schwierig, und so kehren wir endlich zu einer schauenden und genießenden Bewunderung zurück.

überhaupt aber ist dies die entschiedenste Wirkung aller Kunstwerke, daß sie uns in den Zustand der Zeit und der Individuen versetzen, die sie hervorbrachten. Umgeben von antiken Statuen, empfindet man sich in einem bewegten Naturleben, man wird die Mannigfaltigkeit der Menschengestaltung gewahr und durchaus auf den Menschen in seinem reinsten Zustande zurückgeführt, wodurch denn der Beschauer selbst lebendig und rein menschlich wird. Selbst die Bekleidung, der Natur angemessen, die Gestalt gewissermaßen noch hervorhebend, tut im allgemeinen Sinne wohl. Kann man dergleichen Umgebung in Rom tagtäglich genießen, so wird man zugleich habsüchtig darnach; man verlangt, solche Gebilde neben sich aufzustellen, und gute Gipsabgüsse als die eigentlichsten Faksimiles geben hiezu die beste Gelegenheit. Wenn man des Morgens die Augen aufschlägt, fühlt man sich von dem Vortrefflichsten gerührt; alles unser Denken und Sinnen ist von solchen Gestalten begleitet, und es wird dadurch unmöglich, in Barbarei zurückzufallen.

Den ersten Platz bei uns behauptete Juno Ludovisi, um desto höher geschätzt und verehrt, als man das Original nur selten, nur zufällig zu sehen bekam und man es für ein Glück achten mußte, sie immerwährend vor Augen zu haben; denn keiner unsrer Zeitgenossen, der zum erstenmal vor sie hintritt, darf behaupten, diesem Anblick gewachsen zu sein.

Noch einige kleinere Junonen standen zur Vergleichung neben ihr, vorzüglich Büsten Jupiters und, um anderes zu übergehen, ein guter alter Abguß der Medusa Rondanini; ein wundersames Werk, das, den Zwiespalt zwischen Tod und Leben, zwischen Schmerz und Wollust ausdrückend, einen unnennbaren Reiz wie irgendein anderes Problem über uns ausübt.

Doch erwähn’ ich noch eines Herkules Anax, so kräftig und groß, als verständig und mild; sodann eines allerliebsten Merkur, deren beider Originale sich jetzt in England befinden.

Halberhobene Arbeiten, Abgüsse von manchen schönen Werken gebrannter Erde, auch die ägyptischen, von dem Gipfel des großen Obelisk genommen, und was nicht sonst an Fragmenten, worunter einige marmorne waren, standen wohl eingereiht umher.

Ich spreche von diesen Schätzen, welche nur wenige Wochen in die neue Wohnung gereiht standen, wie einer, der sein Testament überdenkt, den ihn umgebenden Besitz mit Fassung, aber doch gerührt ansehen wird. Die Umständlichkeit, die Bemühung und Kosten und eine gewisse Unbehülflichkeit in solchen Dingen hielten mich ab, das Vorzüglichste sogleich nach Deutschland zu bestimmen. Juno Ludovisi war der edlen Angelika zugedacht, weniges andere den nächsten Künstlern, manches gehörte noch zu den Tischbeinischen Besitzungen, anderes sollte unangetastet bleiben und von Bury, der das Quartier nach mir bezog, nach seiner Weise benutzt werden.

Indem ich dieses niederschreibe, werden meine Gedanken in die frühsten Zeiten hingeführt und die Gelegenheiten hervorgerufen, die mich anfänglich mit solchen Gegenständen bekannt machten, meinen Anteil erregten, bei einem völlig ungenügenden Denken einen überschwenglichen Enthusiasmus hervorriefen und die grenzenlose Sehnsucht nach Italien zur Folge hatten.

In meiner frühsten Jugend ward ich nichts Plastisches in meiner Vaterstadt gewahr; in Leipzig machte zuerst der gleichsam tanzend auftretende, die Zimbeln schlagende Faun einen tiefen Eindruck, so daß ich mir den Abguß noch jetzt in seiner Individualität und Umgebung denken kann. Nach einer langen Pause ward ich auf einmal in das volle Meer gestürzt, als ich mich von der Mannheimer Sammlung in dem von oben wohlbeleuchteten Saale plötzlich umgeben sah.

Nachher fanden sich Gipsgießer in Frankfurt ein, sie hatten sich mit manchen Originalabgüssen über die Alpen begeben, welche sie sodann abformten und die Originale für einen leidlichen Preis abließen. So erhielt ich einen ziemlich guten Laokoons-Kopf, Niobes Töchter, ein Köpfchen, später für eine Sappho angesprochen, und noch sonst einiges. Diese edlen Gestalten waren eine Art von heimlichem Gegengift, wenn das Schwache, Falsche, Manierierte über mich zu gewinnen drohte. Eigentlich aber empfand ich immer innerliche Schmerzen eines unbefriedigten, sich aufs Unbekannte beziehenden, oft gedämpften und immer wieder auflebenden Verlangens. Groß war der Schmerz daher, als ich, aus Rom scheidend, von dem Besitz des endlich Erlangten, sehnlichst Gehofften mich lostrennen sollte.

Die Gesetzlichkeit der Pflanzenorganisation, die ich in Sizilien gewahr worden, beschäftigte mich zwischen allem durch, wie es Neigungen zu tun pflegen, die sich unsres Innern bemächtigen und sich zugleich unsern Fähigkeiten angemessen erzeigen. Ich besuchte den botanischen Garten, welcher, wenn man will, in seinem veralteten Zustande geringen Reiz ausübte, auf mich aber doch, dem vieles, was er dort vorfand, neu und unerwartet schien, einen günstigen Einfluß hatte. Ich nahm daher Gelegenheit, manche seltenere Pflanzen um mich zu versammeln und meine Betrachtungen darüber fortzusetzen, sowie die von mir aus Samen und Kernen erzogenen fernerhin pflegend zu beobachten.

In diese letzten besonders wollten bei meiner Abreise mehrere Freunde sich teilen. Ich pflanzte den schon einigermaßen erwachsenen Piniensprößling, Vorbildchen eines künftigen Baumes, bei Angelika in den Hausgarten, wo er durch manche Jahre zu einer ansehnlichen Höhe gedieh, wovon mir teilnehmende Reisende zu wechselseitigem Vergnügen, wie auch von meinem Andenken an jenem Platze, gar manches zu erzählen wußten. Leider fand der nach dem Ableben jener unschätzbaren Freundin eintretende neue Besitzer es unpassend, auf seinen Blumenbeeten ganz unörtlich Pinien hervorwachsen zu sehen. Späterhin fanden wohlwollende, darnach forschende Reisende die Stelle leer und hier wenigstens die Spur eines anmutigen Daseins ausgelöscht.

Glücklicher waren einige Dattelpflanzen, die ich aus Kernen gezogen hatte. Wie ich denn überhaupt die merkwürdige Entwicklung derselben durch Aufopferung mehrerer Exemplare von Zeit zu Zeit beobachtete; die überbliebenen, frisch aufgeschossenen übergab ich einem römischen Freunde, der sie in einen Garten der Sixtinischen Straße pflanzte, wo sie noch am Leben sind, und zwar bis zur Manneshöhe herangewachsen, wie ein erhabener Reisende mir zu versichern die Gnade hatte. Mögen sie den Besitzern nicht unbequem werden und fernerhin zu meinem Andenken grünen, wachsen und gedeihen!

Auf dem Verzeichnisse, was vor der Abreise von Rom allenfalls nachzuholen sein möchte, fanden sich zuletzt sehr disparate Gegenstände, die Cloaca Massima und die Katakomben bei St. Sebastian. Die erste erhöhte wohl noch den kolossalen Begriff, wozu uns Piranesi vorbereitet hatte; der Besuch des zweiten Lokals geriet jedoch nicht zum besten, denn die ersten Schritte in diese dumpfigen Räume erregten mir alsobald ein solches Mißbehagen, daß ich sogleich wieder ans Tageslicht hervorstieg und dort im Freien in einer ohnehin unbekannten, fernen Gegend der Stadt die Rückkunft der übrigen Gesellschaft abwartete, welche, gefaßter als ich, die dortigen Zustände getrost beschauen mochte.

In dem großen Werke “Roma sotterranea, di Antonio Bosio Romano” belehrt’ ich mich lange Zeit nachher umständlich von allem dem, was ich dort gesehen oder auch wohl nicht gesehen hätte, und glaubte mich dadurch hinlänglich entschädigt.

Eine andere Wallfahrt wurde dagegen mit mehr Nutzen und Folge unternommen: es war zu der Akademie S. Luca, dem Schädel Raffaels unsre Verehrung zu bezeigen, welcher dort als ein Heiligtum aufbewahrt wird, seitdem er aus dem Grabe dieses außerordentlichen Mannes, das man bei einer baulichen Angelegenheit eröffnet hatte, daselbst entfernt und hierher gebracht worden.

Ein wahrhaft wundersamer Anblick! Eine so schön als nur denkbar zusammengefaßte und abgerundete Schale, ohne eine Spur von jenen Erhöhungen, Beulen und Buckeln, welche, später an andern Schädeln bemerkt, in der Gallischen Lehre zu so mannigfaltiger Bedeutung geworden sind. Ich konnte mich von dem Anblick nicht losreißen und bemerkte beim Weggehen, wie bedeutend es für Natur–und Kunstfreunde sein müßte, einen Abguß davon zu haben, wenn es irgend möglich wäre. Hofrat Reiffenstein, dieser einflußreiche Freund, gab mir Hoffnung und erfüllte sie nach einiger Zeit, indem er mir wirklich einen solchen Abguß nach Deutschland sendete, dessen Anblick mich noch oft zu den mannigfaltigsten Betrachtungen aufruft.

Das liebenswürdige Bild von des Künstlers Hand, St. Lucas, dem die Mutter Gottes erscheint, damit er sie in ihrer vollen göttlichen Hoheit und Anmut wahr und natürlich darstellen möge, gewährte den heitersten Anblick. Raffael selbst, noch jung, steht in einiger Entfernung und sieht dem Evangelisten bei der Arbeit zu. Anmutiger kann man wohl nicht einen Beruf, zu dem man sich entschieden hingezogen fühlt, ausdrücken und bekennen.

Peter von Cortona war ehmals der Besitzer dieses Werks und hat solches der Akademie vermacht. Es ist freilich an manchen Stellen beschädigt und restauriert, aber doch immer ein Gemälde von bedeutendem Wert.

In diesen Tagen jedoch ward ich durch eine ganz eigene Versuchung geprüft, die meine Reise zu verhindern und mich in Rom aufs neue zu fesseln drohte. Es kam nämlich von Neapel Herr Antonio Rega, Künstler und ebenfalls Kunsthändler, zu Freund Meyer, ihm vertraulich ankündigend, er sei mit einem Schiffe hier angekommen, welches draußen an Ripa grande liege, wohin er ihn mitzugehen hiedurch einlade, denn er habe auf demselben eine bedeutende antike Statue, jene Tänzerin oder Muse, welche in Neapel im Hofe des Palasts Caraffa Colombrano nebst andern in einer Nische seit undenklichen Jahren gestanden und durchaus für ein gutes Werk gehalten worden sei. Er wünsche diese zu verkaufen, aber in der Stille, und frage deshalb an, ob nicht etwa Herr Meyer selbst oder einer seiner vertrauten Freunde sich zu diesem Handel entschließen könnte. Er biete das edle Kunstwerk zu einem auf alle Fälle höchst mäßigen Preise von dreihundert Zechinen, welche Forderung sich ohne Frage erhöhen möchte, wenn man nicht in Betracht der Verkäufer und des Käufers mit Vorsicht zu verfahren Ursache hätte.

Mir ward die Sache sogleich mitgeteilt, und wir eilten selbdritte zu dem von unsrer Wohnung ziemlich entfernten Landungsplatz. Rega hub sogleich ein Brett von der Kiste, die auf dem Verdeck stand, und wir sahen ein allerliebstes Köpfchen, das noch nie vom Rumpfe getrennt gewesen, unter freien Haarlocken hervorblickend, und nach und nach aufgedeckt eine lieblich bewegte Gestalt, im anständigsten Gewande, übrigens wenig versehrt und die eine Hand vollkommen gut erhalten.

Sogleich erinnerten wir uns recht gut, sie an Ort und Stelle gesehen zu haben, ohne zu ahnen, daß sie uns je so nah kommen könnte.

Hier nun fiel uns ein, und wem hätte es nicht einfallen sollen: “Gewiß”, sagten wir, “wenn man ein ganzes Jahr mit bedeutenden Kosten gegraben hätte und zuletzt auf einen solchen Schatz gestoßen wäre, man hätte sich höchst glücklich gefunden.” Wir konnten uns kaum von der Betrachtung losreißen, denn ein so reines, wohlerhaltenes Altertum in einem leicht zu restaurierenden Zustande kam uns wohl niemals zu Gesicht. Doch schieden wir zuletzt mit Vorsatz und Zusage, baldigste Antwort vernehmen zu lassen.

Wir waren beiderseits in einem wahrhaften Kampf begriffen, es schien uns in mancher Betrachtung unrätlich, diesen Ankauf zu machen; wir entschlossen uns daher, den Fall der guten Frau Angelika zu melden, als wohl vermögend zum Ankauf und durch ihre Verbindung zu Restauration und sonstigen Vorkommenheiten hinlänglich geeignet. Meyer übernahm die Meldung, wie früher die wegen des Bildes von Daniel von Volterra, und wir hofften deshalb das beste Gelingen. Allein die umsichtige Frau, mehr aber noch der ökonomische Gemahl lehnten das Geschäft ab, indem sie wohl auf Malereien bedeutende Summen verwendeten, sich aber auf Statuen einzulassen keineswegs den Entschluß fassen könnten.

Nach dieser ablehnenden Antwort wurden wir nun wieder zu neuer überlegung aufgeregt; die Gunst des Glückes schien ganz eigen; Meyer betrachtete den Schatz noch einmal und überzeugte sich, daß das Bildwerk nach seinen Gesamtzeichen wohl als griechische Arbeit anzuerkennen sei, und zwar geraume Zeit vor Augustus hinauf, vielleicht bis an Hiero II. geordnet werden könnte.

Den Kredit hatte ich wohl, dieses bedeutende Kunstwerk anzuschaffen, Rega schien sogar auf Stückzahlung eingehen zu wollen, und es war ein Augenblick, wo wir uns schon im Besitz des Bildnisses und solches in unserm großen Saal wohlbeleuchtet aufgestellt zu sehen glaubten.

Wie aber denn doch zwischen einer leidenschaftlichen Liebesneigung und einem abzuschließenden Heiratskontrakt noch manche Gedanken sich einzudringen pflegen, so war es auch hier, und wir durften ohne Rat und Zustimmung unsrer edlen Kunstverwandten, des Herrn Zucchi und seiner wohlmeinenden Gattin, eine solche Verbindung nicht unternehmen, denn eine Verbindung war es im ideell-pygmalionischen Sinne, und ich leugne nicht, daß der Gedanke, dieses Wesen zu besitzen, bei mir tiefe Wurzel gefaßt hatte. Ja, als ein Beweis, wie sehr ich mir hierin schmeichelte, mag das Bekenntnis gelten, daß ich dieses Ereignis als einen Wink höherer Dämonen ansah, die mich in Rom festzuhalten und alle Gründe, die mich zum Entschluß der Abreise vermocht, auf das tätigste niederzuschlagen gedächten.

Glücklicherweise waren wir schon in den Jahren, wo die Vernunft dem Verstand in solchen Fällen zu Hülfe zu kommen pflegt, und so mußte denn Kunstneigung, Besitzeslust und was ihnen sonst beistand, Dialektik und Aberglaube, vor den guten Gesinnungen weichen, welche die edle Freundin Angelika mit Sinn und Wohlwollen an uns zu wenden die Geneigtheit hatte. Bei ihren Vorstellungen traten daher aufs klarste die sämtlichen Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten an den Tag, die sich einem solchen Unternehmen entgegenstellten. Ruhige, bisher den Kunst–und Altertumstudien sich widmende Männer griffen auf einmal in den Kunsthandel ein und erregten die Eifersucht der zu solchem Geschäft herkömmlich Berechtigten. Die Schwierigkeiten der Restauration seien mannigfaltig, und es frage sich, inwiefern man dabei werde billig und redlich bedient werden. Wenn ferner bei der Absendung auch alles in möglichster Ordnung gehe, so könnten doch wegen der Erlaubnis der Ausfuhr eines solchen Kunstwerkes am Schluß noch Hindernisse entstehen, und was alsdann noch wegen der überfahrt und des Anlandens und Ankommens zu Hause alles noch für Widerwärtigkeiten zu befürchten seien. Über solche Betrachtungen, hieß es, gehe der Handelsmann hinaus, sowohl Mühe als Gefahr setze sich in einem großen Ganzen ins Gleichgewicht, dagegen sei ein einzelnes Unternehmen dieser Art auf jede Weise bedenklich.

Durch solche Vorstellungen wurde denn nach und nach Begierde, Wunsch und Vorsatz gemildert, geschwächt, doch niemals ganz ausgelöscht, besonders da sie endlich zu großen Ehren gelangte; denn sie steht gegenwärtig im Museo Pio-Clementino in einem kleinen angebauten, aber mit dem Museum in Verbindung stehenden Kabinett, wo im Fußboden die wunderschönen Mosaiken von Masken und Laubgewinden eingesetzt sind. Die übrige Gesellschaft von Statuen in jenem Kabinett besteht 1) aus der auf der Ferse sitzenden Venus, an deren Base der Name des Bupalus eingegraben steht; 2) ein sehr schöner kleiner Ganymedes; 3) die schöne Statue eines Jünglings, dem, ich weiß nicht ob mit Recht, der Name Adonis beigelegt wird; 4) ein Faun aus Rosso Antico; 5) der ruhig stehende Discobolus.

Visconti hat im dritten, gedachtem Museum gewidmeten Bande dieses Denkmal beschrieben, nach seiner Weise erklärt und auf der dreißigsten Tafel abbilden lassen; da denn jeder Kunstfreund mit uns bedauern kann, daß es uns nicht gelungen, sie nach Deutschland zu schaffen und sie irgendeiner vaterländischen großen Sammlung hinzuzugesellen.

Man wird es natürlich finden, daß ich bei meinen Abschiedsbesuchen jene anmutige Mailänderin nicht vergaß. Ich hatte die Zeit her von ihr manches Vergnügliche gehört: wie sie mit Angelika immer vertrauter geworden und sich in der höhern Gesellschaft, wohin sie dadurch gelangt, gar gut zu benehmen wisse. Auch konnte ich die Vermutung nähren und den Wunsch, daß ein wohlhabender junger Mann, welcher mit Zucchis im besten Vernehmen stand, gegen ihre Anmut nicht unempfindlich und ernstere Absichten durchzuführen nicht abgeneigt sei.

Nun fand ich sie im reinlichen Morgenkleide, wie ich sie zuerst in Castel Gandolfo gesehen; sie empfing mich mit offner Anmut und drückte mit natürlicher Zierlichkeit den wiederholten Dank für meine Teilnahme gar liebenswürdig aus. “Ich werd’ es nie vergessen”, sagte sie, “daß ich, aus Verwirrung mich wieder erholend, unter den anfragenden geliebten und verehrten Namen auch den Eurigen nennen hörte; ich forschte mehrmals, ob es denn auch wahr sei. Ihr setztet Eure Erkundigungen durch mehrere Wochen fort, bis endlich mein Bruder Euch besuchend für uns beide danken konnte. Ich weiß nicht, ob er’s ausgerichtet hat, wie ich’s ihm auftrug, ich wäre gern mitgegangen, wenn sich’s geziemte.” Sie fragte nach dem Weg, den ich nehmen wollte, und als ich ihr meinen Reiseplan vorerzählte, versetzte sie: “Ihr seid glücklich, so reich zu sein, daß Ihr Euch dies nicht zu versagen braucht; wir andern müssen uns in die Stelle finden, welche Gott und seine Heiligen uns angewiesen. Schon lange seh’ ich vor meinem Fenster Schiffe kommen und abgehen, ausladen und einladen; das ist unterhaltend, und ich denke manchmal, woher und wohin das alles?” Die Fenster gingen gerade auf die Treppen von Ripetta, die Bewegung war eben sehr lebhaft.

Sie sprach von ihrem Bruder mit Zärtlichkeit, freute sich, seine Haushaltung ordentlich zu führen, ihm möglich zu machen, daß er bei mäßiger Besoldung noch immer etwas zurück in einem vorteilhaften Handel anlegen könne; genug, sie ließ mich zunächst mit ihren Zuständen durchaus vertraut werden. Ich freute mich ihrer Gesprächigkeit; denn eigentlich macht’ ich eine gar wunderliche Figur, indem ich schnell alle Momente unsres zarten Verhältnisses vom ersten Augenblick an bis zum letzten mir wieder vorzurollen gedrängt war. Nun trat der Bruder herein, und der Abschied schloß sich in freundlicher, mäßiger Prosa.

Als ich vor die Türe kam, fand ich meinen Wagen ohne den Kutscher, den ein geschäftiger Knabe zu holen lief. Sie sah heraus zum Fenster des Entresols, den sie in einem stattlichen Gebäude bewohnten; es war nicht gar hoch, man hätte geglaubt, sich die Hand reichen zu können.

“Man will mich nicht von Euch wegführen, seht Ihr”, rief ich aus, “man weiß, so scheint es, daß ich ungern von Euch scheide.”

Was sie darauf erwiderte, was ich versetzte, den Gang des anmutigsten Gespräches, das, von allen Fesseln frei, das Innere zweier sich nur halbbewußt Liebenden offenbarte, will ich nicht entweihen durch Wiederholung und Erzählung; es war ein wunderbares, zufällig eingeleitetes, durch innern Drang abgenötigtes lakonisches Schlußbekenntnis der unschuldigsten und zartesten wechselseitigen Gewogenheit, das mir auch deshalb nie aus Sinn und Seele gekommen ist.

Auf eine besonders feierliche Weise sollte jedoch mein Abschied aus Rom vorbereitet werden; drei Nächte vorher stand der volle Mond am klarsten Himmel, und ein Zauber, der sich dadurch über die ungeheure Stadt verbreitet, so oft empfunden, ward nun aufs eindringlichste fühlbar. Die großen Lichtmassen, klar, wie von einem milden Tage beleuchtet, mit ihren Gegensätzen von tiefen Schatten, durch Reflexe manchmal erhellt, zur Ahnung des Einzelnen, setzen uns in einen Zustand wie von einer andern, einfachern, größern Welt.

Nach zerstreuenden, mitunter peinlich zugebrachten Tagen macht’ ich den Umgang mit wenigen Freunden einmal ganz allein. Nachdem ich den langen Korso, wohl zum letztenmal, durchwandert hatte, bestieg ich das Kapitol, das wie ein Feenpalast in der Wüste dastand. Die Statue Mark Aurels rief den Kommandeur in “Don Juan” zur Erinnerung und gab dem Wanderer zu verstehen, daß er etwas Ungewöhnliches unternehme. Dessenungeachtet ging ich die hintere Treppe hinab. Ganz finster, finstern Schatten werfend, stand mir der Triumphbogen des Septimius Severus entgegen; in der Einsamkeit der Via Sacra erschienen die sonst so bekannten Gegenstände fremdartig und geisterhaft. Als ich aber den erhabenen Resten des Koliseums mich näherte und in dessen verschlossenes Innere durchs Gitter hineinsah, darf ich nicht leugnen, daß mich ein Schauer überfiel und meine Rückkehr beschleunigte.

Alles Massenhafte macht einen eignen Eindruck zugleich als erhaben und faßlich, und in solchen Umgängen zog ich gleichsam ein unübersehbares Summa Summarum meines ganzen Aufenthaltes. Dieses, in aufgeregter