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  • 1816
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Ich habe mir eine Sammlung von zweihundert der besten Antikengemmen-Abdrücke angeschafft. Es ist das Schönste, was man von alter Arbeit hat, und zum Teil sind sie auch wegen der artigen Gedanken gewählt. Man kann von Rom nichts Kostbareres mitnehmen, besonders da die Abdrücke so außerordentlich schön und scharf sind.

Wie manches Gute werd’ ich mitbringen, wenn ich mit meinem Schiffchen zurückkehre, doch vor allem ein fröhliches Herz, fähiger, das Glück, was mir Liebe und Freundschaft zudenkt, zu genießen. Nur muß ich nichts wieder unternehmen, was außer dem Kreise meiner Fähigkeit liegt, wo ich mich nur abarbeite und nichts fruchte.

Den 22. September.

Noch ein Blatt, meine Lieben, muß ich euch mit dieser Post eilig schicken. Heute war mir ein sehr merkwürdiger Tag. Briefe von vielen Freunden, von der Herzogin-Mutter, Nachricht von meinem gefeierten Geburtsfeste und endlich meine Schriften.

Es ist mir wirklich sonderbar zumute, daß diese vier zarten Bändchen, die Resultate eines halben Lebens, mich in Rom aufsuchen. Ich kann wohl sagen: es ist kein Buchstabe drin, der nicht gelebt, empfunden, genossen, gelitten, gedacht wäre, und sie sprechen mich nun alle desto lebhafter an. Meine Sorge und Hoffnung ist, daß die vier folgenden nicht hinter diesen bleiben. Ich danke euch für alles, was ihr an diesen Blättern getan habt, und wünsche euch auch Freude bringen zu können. Sorgt auch für die folgenden mit treuen Herzen!

Ihr vexiert mich über die Provinzen, und ich gestehe, der Ausdruck ist sehr uneigentlich. Da kann man aber sehen, wie man sich in Rom angewöhnt, alles grandios zu denken. Wirklich schein’ ich mich zu nationalisieren, denn man gibt den Römern schuld, daß sie nur von cose grosse wissen und reden mögen.

Ich bin immer fleißig und halte mich nun an die menschliche Figur. O wie weit und lang ist die Kunst, und wie unendlich wird die Welt, wenn man sich nur einmal recht ans Endliche halten mag.

Dienstag, den 25., geh’ ich nach Frascati und werde auch dort mühen und arbeiten. Es fängt nun an zu gehen. Wenn es nur einmal recht ginge.

Mir ist aufgefallen, daß in einer großen Stadt, in einem weiten Kreis auch der ärmste, der Geringste sich empfindet, und an einem kleinen Orte der Beste, der Reichste sich nicht fühlen, nicht Atem schöpfen kann.

Frascati, den 28. September 1787.

Ich bin hier sehr glücklich, es wird den ganzen Tag bis in die Nacht gezeichnet, gemalt, getuscht, geklebt, Handwerk und Kunst recht ex professo getrieben. Rat Reiffenstein, mein Wirt, leistet Gesellschaft, und wir sind munter und lustig. Abends werden die Villen im Mondschein besucht, und sogar im Dunkeln die frappantesten Motive nachgezeichnet. Einige haben wir aufgejagt, die ich nur einmal auszuführen wünsche. Nun hoff’ ich, daß auch die Zeit des Vollendens kommen wird. Die Vollendung liegt nur zu weit, wenn man weit sieht.

Gestern fuhren wir nach Albano und wieder zurück; auch auf diesem Wege sind viele Vögel im Fluge geschossen worden. Hier, wo man recht in der Fülle sitzt, kann man sich was zugute tun, auch brenne ich recht vor Leidenschaft, mir alles zuzueignen, und ich fühle, daß sich mein Geschmack reinigt, nach dem Maße, wie meine Seele mehr Gegenstände faßt. Wenn ich nur statt all des Redens einmal etwas Gutes schicken könnte! Einige Kleinigkeiten gehen mit einem Landsmann an euch ab.

Wahrscheinlich hab’ ich die Freude, Kaysern in Rom zu sehen. So wird sich denn auch noch die Musik zu mir gesellen, um den Reihen zu schließen, den die Künste um mich ziehen, gleichsam als wollten sie mich verhindern, nach meinen Freunden zu sehen. Und doch darf ich kaum das Kapitel berühren, wie sehr allein ich mich oft fühle, und welche Sehnsucht mich ergreift, bei euch zu sein. Ich lebe doch nur im Grunde im Taumel weg, will und kann nicht weiter denken.

Mit Moritz hab’ ich recht gute Stunden, und habe angefangen, ihm mein Pflanzensystem zu erklären, und jedesmal in seiner Gegenwart aufzuschreiben, wie weit wir gekommen sind. Auf diese Art konnt’ ich allein etwas von meinen Gedanken zu Papier bringen. Wie faßlich aber das Abstrakteste von dieser Vorstellungsart wird, wenn es mit der rechten Methode vorgetragen wird und eine vorbereitete Seele findet, seh’ ich an meinem neuen Schüler. Er hat eine große Freude daran und ruckt immer selbst mit Schlüssen vorwärts. Doch auf alle Fälle ist’s schwer zu schreiben und unmöglich aus dem bloßen Lesen zu begreifen, wenn auch alles noch so eigentlich und scharf geschrieben wäre.

So lebe ich denn glücklich, weil ich in dem bin, was meines Vaters ist. Grüßt alle, die mir’s gönnen und mir direkt oder indirekt helfen, mich fördern und erhalten!

Bericht

September

Der dritte September war mir heute doppelt und dreifach merkwürdig, um ihn zu feiern. Es war der Geburtstag meines Fürsten, welcher eine treue Neigung mit so mannigfaltigem Guten zu erwidern wußte; es war der Jahrestag meiner Hegire von Karlsbad, und noch durfte ich nicht zurückschauen, was ein so bedeutend durchlebter, völlig fremder Zustand auf mich gewirkt, mir gebracht und verliehen; wie mir auch nicht Raum zu vielem Nachdenken übrigblieb.

Rom hat den eignen großen Vorzug, daß es als Mittelpunkt künstlerischer Tätigkeit anzusehen ist. Gebildete Reisende sprechen ein, sie sind ihrem kürzeren oder längeren Aufenthalte hier gar vieles schuldig; sie ziehen weiter, wirken und sammeln, und wenn sie bereichert nach Hause kommen, so rechnen sie sich’s zur Ehre und Freude, das Erworbene auszulegen und ein Opfer der Dankbarkeit ihren entfernten und gegenwärtigen Lehrern darzubringen.

Ein französischer Architekt mit Namen Cassas kam von seiner Reise in den Orient zurück; er hatte die wichtigsten alten Monumente, besonders die noch nicht herausgegebenen, gemessen, auch die Gegenden, wie sie anzuschauen sind, gezeichnet, nicht weniger alte zerfallene und zerstörte Zustände bildlich wiederhergestellt und einen Teil seiner Zeichnungen, von großer Präzision und Geschmack, mit der Feder umrissen und mit Aquarellfarben belebt dem Auge dargestellt.

1. Das Serail von Konstantinopel von der Seeseite mit einem Teil der Stadt und der Sophienmoschee. Auf der reizendsten Spitze von Europa ist der Wohnort des Großherrn so lustig angebaut, als man es nur denken kann. Hohe und immer respektierte Bäume stehen in großen, meist verbundenen Gruppen hintereinander, darunter sieht man nicht etwa große Mauern und Paläste, sondern Häuschen, Gitterwerke, Gänge, Kiosken, ausgespannte Teppiche, so häuslich, klein und freundlich durcheinander gemischt, daß es eine Lust ist. Da die Zeichnung mit Farben ausgeführt ist, macht es einen gar freundlichen Effekt. Eine schöne Strecke Meer bespült die so bebaute Küste. Gegenüber liegt Asien, und man sieht in die Meerenge, die nach den Dardanellen führt. Die Zeichnung ist bei sieben Fuß lang und drei bis vier hoch.

2. Generalaussicht der Ruinen von Palmyra, in derselben Größe.

Er zeigte uns vorher einen Grundriß der Stadt, wie er ihn aus den Trümmern herausgesucht.

Eine Kolonnade, auf eine italienische Meile lang, ging vorn Tore durch die Stadt bis zum Sonnentempel, nicht in ganz gerader Linie, sie macht in der Mitte ein sanftes Knie. Die Kolonnade war von vier Säulenreihen, die Säule zehn Diameter hoch. Man sieht nicht, daß sie oben bedeckt gewesen; er glaubt, es sei durch Teppiche geschehen. Auf der großen Zeichnung erscheint ein Teil der Kolonnade noch aufrecht stehend im Vordergrunde. Eine Karawane, die eben quer durchzieht, ist mit vielem Glück angebracht. Im Hintergrunde steht der Sonnentempel, und auf der rechten Seite zieht sich eine große Fläche hin, auf welcher einige Janitscharen in Karriere forteilen. Das sonderbarste Phänomen ist: eine blaue Linie wie eine Meereslinie schließt das Bild. Er erklärte es uns, daß der Horizont der Wüste, der in der Ferne blau werden muß, so völlig wie das Meer den Gesichtskreis schließt, daß es ebenso in der Natur das Auge trügt, wie es uns im Bilde anfangs getrogen, da wir doch wußten, daß Palmyra vom Meer entfernt genug sei.

3. Gräber von Palmyra.

4. Restauration des Sonnentempels zu Balbeck, auch eine Landschaft mit den Ruinen, wie sie stehen.

5. Die große Moschee zu Jerusalem, auf den Grund des Salomonischen Tempels gebaut.

6. Ruinen eines kleinen Tempels in Phönizien.

7. Gegend am Fuße des Bergs Libanon, anmutig, wie man sich denken mag. Ein Pinienwäldchen, ein Wasser, daran Hängeweiden und Gräber drunter, der Berg in der Entfernung.

8. Türkische Gräber. Jeder Grabstein trägt den Hauptschmuck des Verstorbenen, und da sich die Türken durch den Kopfschmuck unterscheiden, so sieht man gleich die Würde des Begrabenen. Auf den Gräbern der Jungfrauen werden Blumen mit großer Sorgfalt erzogen.

9. Ägyptische Pyramide mit dem großen Sphinxkopfe. Er sei, sagt Cassas, in einen Kalkfelsen gehauen, und weil derselbe Sprünge gehabt und Ungleichheiten, habe man den Koloß mit Stuck überzogen und gemalt, wie man noch in den Falten des Kopfschmuckes bemerke. Eine Gesichtspartie ist etwa zehn Schuh hoch. Auf der Unterlippe hat er bequem spazieren können.

10. Eine Pyramide, nach einigen Urkunden, Anlässen und Mutmaßungen restauriert. Sie hat von vier Seiten vorspringende Hallen mit danebenstehenden Obelisken; nach den Hallen gehen Gänge hin, mit Sphinxen besetzt, wie sich solche noch in Oberägypten befinden. Es ist diese Zeichnung die ungeheuerste Architekturidee, die ich zeitlebens gesehen, und ich glaube nicht, daß man weiter kann.

Abends, nachdem wir alle diese schönen Sachen mit behaglicher Muße betrachtet, gingen wir in die Gärten auf dem Palatin, wodurch die Räume zwischen den Ruinen der Kaiserpaläste urbar und anmutig gemacht worden. Dort auf einem freien Gesellschaftsplatze, wo man unter herrlichen Bäumen die Fragmente verzierter Kapitäler, glatter und kannelierter Säulen, zerstückte Basreliefe und was noch der Art im weiten Kreise umhergelegt hatte, wie man sonsten Tische, Stühle und Bänke zu heiterer Versammlung im Freien anzubringen pflegt–dort genossen wir der reizenden Zeit nach Herzenslust, und als wir die mannigfaltigste Aussicht mit frisch gewaschenen und gebildeten Augen bei Sonnenuntergang überschauten, mußten wir gestehen, daß dieses Bild auf alle die andern, die man uns heute gezeigt, noch recht gut anzusehen sei. In demselbigen Geschmack von Cassas gezeichnet und gefärbt, würde es überall Entzücken erregen. Und so wird uns durch künstlerische Arbeiten nach und nach das Auge so gestimmt, daß wir für die Gegenwart der Natur immer empfänglicher und für die Schönheiten, die sie darbietet, immer offener werden.

Der Palatin. Zeichnung von Goethe

Nun aber mußte des nächsten Tages uns zu scherzhaften Unterhaltungen dienen, daß gerade das, was wir bei dem Künstler Großes und Grenzenloses gesehen, uns in eine niedrige, unwürdige Enge zu begeben veranlassen sollte. Die herrlichen ägyptischen Denkmale erinnerten uns an den mächtigen Obelisk, der auf dem Marsfelde, durch August errichtet, als Sonnenweiser diente, nunmehr aber in Stücken, umzäunt von einem Bretterverschlag, in einem schmutzigen Winkel auf den kühnen Architekten wartete, der ihn aufzuerstehen berufen möchte. (NB. Jetzt ist er auf dem Platz Monte Citorio wieder aufgerichtet und dient wie zur Römerzeit abermals als Sonnenweiser.) Er ist aus dem echtesten ägyptischen Granit gehauen, überall mit zierlichen naiven Figuren, obgleich in dem bekannten Stil, übersäet. Merkwürdig war es, als wir neben der sonst in die Luft gerichteten Spitze standen, auf den Zuschärfungen derselben Sphinx nach Sphinxen auf das zierlichste abgebildet zu sehen, früher keinem menschlichen Auge, sondern nur den Strahlen der Sonne erreichbar. Hier tritt der Fall ein, daß das Gottesdienstliche der Kunst nicht auf einen Effekt berechnet ist, den es auf den menschlichen Anblick machen soll. Wir machten Anstalt, diese heiligen Bilder abgießen zu lassen, um das bequem nah vor Augen zu sehen, was sonst gegen die Wolkenregion hinaufgerichtet war.

In dem widerwärtigen Raume, worin wir uns mit dem würdigsten Werke befanden, konnten wir uns nicht entbrechen, Rom als ein Quodlibet anzusehen, aber als ein einziges in seiner Art: denn auch in diesem Sinne hat diese ungeheure Lokalität die größten Vorzüge. Hier brachte der Zufall nichts hervor, er zerstörte nur; alles auf den Füßen Stehende ist herrlich, alles Zertrümmerte ist ehrwürdig, die Unform der Ruinen deutet auf uralte Regelmäßigkeit, welche sich in neuen großen Formen der Kirchen und Paläste wieder hervortat.

Jene bald gefertigten Abgüsse brachten in Erinnerung, daß in der großen Dehnischen Pastensammlung, wovon die Abdrücke im ganzen und teilweise verkäuflich waren, auch einiges ägyptische zu sehen sei; und wie sich denn eins aus dem andern ergibt, so wählte ich aus gedachter Sammlung die vorzüglichsten und bestellte solche bei den Inhabern. Solche Abdrücke sind der größte Schatz und ein Fundament, das der in seinen Mitteln beschränkte Liebhaber zu künftigem großen mannigfaltigen Vorteil bei sich niederlegen kann.

Die vier ersten Bände meiner Schriften bei Göschen waren angekommen und das Prachtexemplar sogleich in die Hände Angelikas gegeben, die daran ihre Muttersprache aufs neue zu beloben Ursach’ zu finden glaubte.

Ich aber durfte den Betrachtungen nicht nachhängen, die sich mir bei dem Rückblick auf meine früheren Tätigkeiten lebhaft aufdrängen. Ich wußte nicht, wie weit der eingeschlagene Weg mich führen würde, ich konnte nicht einsehen, inwiefern jenes frühere Bestreben gelingen und wiefern der Erfolg dieses Sehnens und Wandelns die aufgewendete Mühe belohnen würde.

Aber es blieb mir auch weder Zeit noch Raum, rückwärts zu schauen und zu denken. Die über organische Natur, deren Bilden und Umbilden mir gleichsam eingeimpften Ideen erlaubten keinen Stillstand, und indem mir Nachdenkendem eine Folge nach der andern sich entwickelte, so bedurfte ich zu eigner Ausbildung täglich und stündlich irgendeiner Art von Mitteilung. Ich versuchte es mit Moritz und trug ihm, soviel ich vermochte, die Metamorphose der Pflanzen vor; und er, ein seltsames Gefäß, das, immer leer und inhaltsbedürftig, nach Gegenständen lechzte, die er sich aneignen könnte, griff redlich mit ein, dergestalt wenigstens, daß ich meine Vorträge fortzusetzen Mut behielt.

Hier aber kam uns ein merkwürdiges Buch, ich will nicht fragen, ob zustatten, aber doch zu bedeutender Anregung: Herders Werk, das, unter einem lakonischen Titel, über Gott und göttliche Dinge die verschiedenen Ansichten in Gesprächsform vorzutragen bemüht war. Mich versetzte diese Mitteilung in jene Zeiten, wo ich an der Seite des trefflichen Freundes über diese Angelegenheiten mich mündlich zu unterhalten oft veranlaßt war. Wundersam jedoch kontrastierte dieser in den höchsten frommen Betrachtungen versierende Band mit der Verehrung, zu der uns das Fest eines besondern Heiligen aufrief.

Am 21. September ward das Andenken des heiligen Franziskus gefeiert und sein Blut in langgedehnter Prozession von Mönchen und Gläubigen in der Stadt umhergetragen. Aufmerksam ward ich bei dem Vorbeiziehen so vieler Mönche, deren einfache Kleidung das Auge nur auf die Betrachtung des Kopfes hinzog. Es war mir auffallend, daß eigentlich Haar und Bart dazu gehören, um sich von dem männlichen Individuum einen Begriff zu machen. Erst mit Aufmerksamkeit, dann mit Erstaunen musterte ich die vor mir vorüberziehende Reihe und war wirklich entzückt, zu sehen, daß ein Gesicht, von Haar und Bart in einen Rahmen eingefaßt, sich ganz anders ausnahm, als das bartlose Volk umher. Und ich konnte nun wohl finden, daß dergleichen Gesichter, in Gemälden dargestellt, einen ganz unnennbaren Reiz auf den Beschauer ausüben mußten.

Hofrat Reiffenstein, welcher sein Amt, Fremde zu führen und zu unterhalten, gehörig ausstudiert hatte, konnte freilich im Laufe seines Geschäfts nur allzubald gewahr werden, daß Personen, welche wenig mehr nach Rom bringen als Lust zu sehen und sich zu zerstreuen, mitunter an der grimmigsten Langweile zu leiden haben, indem ihnen die gewohnte Ausfüllung müßiger Stunden in einem fremden Lande durchaus zu fehlen pflegt. Auch war dem praktischen Menschenkenner gar wohl bekannt, wie sehr ein bloßes Beschauen ermüde, und wie nötig es sei, seine Freunde durch irgendeine Selbsttätigkeit zu unterhalten und zu beruhigen. Zwei Gegenstände hatte er sich deshalb ausersehn, worauf er ihre Geschäftigkeit zu richten pflegte: die Wachsmalerei und die Pastenfabrikation. Jene Kunst, eine Wachsseife zum Bindemittel der Farben anzuwenden, war erst vor kurzem wieder in den Gang gekommen, und da es in der Kunstwelt hauptsächlich darum zu tun ist, die Künstler auf irgendeine Weise zu beschäftigen, so gibt eine neue Art, das Gewohnte zu tun, immer wieder frische Aufmerksamkeit und lebhaften Anlaß, etwas, was man auf die alte Weise zu unternehmen nicht Lust hätte, in einer neuen zu versuchen.

Das kühne Unternehmen, für die Kaiserin Katharine die Raffaelschen Logen in einer Kopie zu verwirklichen und die Wiederholung sämtlicher Architektur mit der Fülle ihrer Zieraten in Petersburg möglich zu machen, ward durch diese neue Technik begünstigt, ja, wäre vielleicht ohne dieselbe nicht auszuführen gewesen. Man ließ dieselben Felder, Wandteile, Sockel, Pilaster, Kapitäler, Gesimse aus den stärksten Bohlen und Klötzen eines dauerhaften Kastanienholzes verfertigen, überzog sie mit Leinwand, welche grundiert sodann der Enkaustik zur sichern Unterlage diente. Dieses Werk, womit sich besonders Unterberger nach Anleitung Reiffensteins mehrere Jahre beschäftigt hatte, mit großer Gewissenhaftigkeit ausgeführt, war schon abgegangen, als ich ankam, und es konnte mir nur, was von jenem großen Unternehmen übrigblieb, bekannt und anschaulich werden.

Nun aber war durch eine solche Ausführung die Enkaustik zu hohen Ehren gelangt; Fremde von einigem Talent sollten praktisch damit bekannt werden; zugerichtete Farbengarnituren waren um leichten Preis zu haben; man kochte die Seife selbst, genug, man hatte immer etwas zu tun und zu kramen, wo sich nur ein müßiger loser Augenblick zeigte. Auch mittlere Künstler wurden als Lehrende und Nachhelfende beschäftigt, und ich habe wohl einigemal Fremde gesehen, welche ihre römischen enkaustischen Arbeiten höchst behaglich als selbstverfertigt einpackten und mit zurück ins Vaterland nahmen.

Die andere Beschäftigung, Pasten zu fabrizieren, war mehr für Männer geeignet. Ein großes altes Küchengewölbe im Reiffensteinischen Quartier gab dazu die beste Gelegenheit. Hier hatte man mehr als nötigen Raum zu einem solchen Geschäft. Die refraktäre, in Feuer unschmelzbare Masse wurde aufs zarteste pulverisiert und durchgesiebt, der daraus geknetete Teig in Pasten eingedruckt, sorgfältig getrocknet und sodann, mit einem eisernen Ring umgeben, in die Glut gebracht, ferner die geschmolzene Glasmasse darauf gedruckt, wodurch doch immer ein kleines Kunstwerk zum Vorschein kam, das einen jeden freuen mußte, der es seinen eignen Fingern zu verdanken hatte.

Hofrat Reiffenstein, welcher mich zwar willig und geschäftig in diese Tätigkeiten eingeführt hatte, merkte gar bald, daß mir eine fortgesetzte Beschäftigung der Art nicht zusagte, daß mein eigentlicher Trieb war, durch Nachbildung von Natur–und Kunstgegenständen Hand und Augen möglichst zu steigern. Auch war die große Hitze kaum vorübergegangen, als er mich schon in Gesellschaft von einigen Künstlern nach Frascati führte, wo man in einem wohleingerichteten Privathause Unterkommen und das nächste Bedürfnis fand und nun, den ganzen Tag im Freien, sich abends gern um einen großen Ahorntisch versammelte. Georg Schütz, ein Frankfurter, geschickt, ohne eminentes Talent, eher einem gewissen anständigen Behagen als anhaltender künstlerischer Tätigkeit ergeben, weswegen ihn die Römer auch il Barone nannten, begleitete mich auf meinen Wanderungen und ward mir vielfach nützlich. Wenn man bedenkt, daß Jahrhunderte hier im höchsten Sinne architektonisch gewartet, daß auf übriggebliebenen mächtigen Substruktionen die künstlerischen Gedanken vorzüglicher Geister sich hervorgehoben und den Augen dargestellt, so wird man begreifen, wie sich Geist und Aug’ entzücken müssen, wenn man unter jeder Beleuchtung diese vielfachen horizontalen und tausend vertikalen Linien unterbrochen und geschmückt wie eine stumme Musik mit den Augen auffaßt, und wie alles, was klein und beschränkt in uns ist, nicht ohne Schmerz erregt und ausgetrieben wird. Besonders ist die Fülle der Mondscheinbilder über alle Begriffe, wo das einzeln Unterhaltende, vielleicht störend zu Nennende durchaus zurücktritt und nur die großen Massen von Licht und Schatten ungeheuer anmutige, symmetrisch harmonische Riesenkörper dem Auge entgegentragen. Dagegen fehlte es denn auch abends nicht an unterrichtender, oft aber auch neckischer Unterhaltung.

So darf man nicht verschweigen, daß junge Künstler, die Eigenheiten des wackern Reiffensteins, die man Schwachheiten zu nennen pflegt, kennend und bemerkend, darüber sich oft im stillen scherzhaft und spottend unterhielten. Nun war eines Abends der Apoll von Belvedere als eine unversiegbare Quelle künstlerischer Unterhaltung wieder zum Gespräch gelangt, und bei der Bemerkung, daß die Ohren an diesem trefflichen Kopfe doch nicht sonderlich gearbeitet seien, kam die Rede ganz natürlich auf die Würde und Schönheit dieses Organs, die Schwierigkeit, ein schönes in der Natur zu finden und es künstlerisch ebenmäßig nachzubilden. Da nun Schütz wegen seiner hübschen Ohren bekannt war, ersuchte ich ihn, mir bei der Lampe zu sitzen, bis ich das vorzüglich gut gebildete, es war ohne Frage das rechte, sorgfältig abgezeichnet hätte. Nun kam er mit seiner starren Modellstellung gerade dem Rat Reiffenstein gegenüber zu sitzen, von welchem er die Augen nicht abwenden konnte noch durfte. Jener fing nun an, seine wiederholt angepriesenen Lehren vorzutragen: man müßte sich nämlich nicht gleich unmittelbar an das Beste wenden, sondern erst bei den Carraccis anfangen, und zwar in der Farnesischen Galerie, dann zum Raffael übergehen und zuletzt den Apoll von Belvedere so oft zeichnen, bis man ihn auswendig kenne, da denn nicht viel Weiteres zu wünschen und zu hoffen sein würde.

Der gute Schütz ward von einem solchen innerlichen Anfall von Lachen ergriffen, den er äußerlich kaum zu bergen wußte, welche Pein sich immer vermehrte, je länger ich ihn in ruhiger Stellung zu halten trachtete. So kann sich der Lehrer, der Wohltäter immer wegen seines individuellen, unbillig aufgenommenen Zustandes einer spöttischen Undankbarkeit erwarten.

Eine herrliche, obgleich nicht unerwartete Aussicht ward uns aus den Fenstern der Villa des Fürsten Aldobrandini, der, gerade auf dem Lande gegenwärtig, uns freundlich einlud und uns in Gesellschaft seiner geistlichen und weltlichen Hausgenossen an einer gut besetzten Tafel festlich bewirtete. Es läßt sich denken, daß man das Schloß dergestalt angelegt hat, die Herrlichkeit der Hügel und des flachen Landes mit einem Blick übersehen zu können. Man spricht viel von Lusthäusern; aber man müßte von hier aus umherblicken, um sich zu überzeugen, daß nicht leicht ein Haus lustiger gelegen sein könne.

Hier aber finde ich mich gedrängt, eine Betrachtung einzufügen, deren ernste Bedeutung ich wohl empfehlen darf. Sie gibt Licht über das Vorgetragene und verbreitet’s über das Folgende; auch wird mancher gute, sich heranbildende Geist Anlaß daher zur Selbstprüfung gewinnen.

Lebhaft vordringende Geister begnügen sich nicht mit dem Genusse, sie verlangen Kenntnis. Diese treibt sie zur Selbsttätigkeit, und wie es ihr nun auch gelingen möge, so fühlt man zuletzt, daß man nichts richtig beurteilt, als was man selbst hervorbringen kann. Doch hierüber kommt der Mensch nicht leicht ins klare, und daraus entstehen gewisse falsche Bestrebungen, welche um desto ängstlicher werden, je redlicher und reiner die Absicht ist. Indes fingen mir in dieser Zeit an Zweifel und Vermutungen aufzusteigen, die mich mitten in diesen angenehmen Zuständen beunruhigten; denn ich mußte bald empfinden, daß der eigentliche Wunsch und die Absicht meines Hierseins schwerlich erfüllt werden dürfte.

Nunmehr aber, nach Verlauf einiger vergnügter Tage, kehrten wir nach Rom zurück, wo wir durch eine neue, höchst anmutige Oper im hellen, vollgedrängten Saal für die vermißte Himmelsfreiheit entschädigt werden sollten. Die deutsche Künstlerbank, eine der vordersten im Parterre, war wie sonst dicht besetzt, und auch diesmal fehlte es nicht an Beifallklatschen und Rufen, um sowohl wegen der gegenwärtigen als vergangenen Genüsse unsre Schuldigkeit abzutragen. Ja, wir hatten es erreicht, daß wir durch ein künstliches, erst leiseres, dann stärkeres, zuletzt gebietendes Zitti-Rufen jederzeit mit dem Ritornell einer eintretenden beliebten Arie oder sonst gefälligen Partie das ganze laut schwätzende Publikum zum Schweigen brachten, weshalb uns denn unsere Freunde von oben die Artigkeit erwiesen, die interessantesten Exhibitionen nach unsrer Seite zu richten.

Oktober

Korrespondenz

Frascati, den 2. Oktober.

Ich muß beizeiten ein Blättchen anfangen, wenn ihr es zur rechten Zeit erhalten sollt. Eigentlich hab’ ich viel und nicht viel zu sagen. Es wird immerfort gezeichnet, und ich denke dabei im stillen an meine Freunde. Diese Tage empfand ich wieder viel Sehnsucht nach Hause, vielleicht eben, weil es mir hier so wohl geht und ich doch fühle, daß mir mein Liebstes fehlt.

Ich bin in einer recht wunderlichen Lage und will mich eben zusammennehmen, jeden Tag nutzen, tun, was zu tun ist, und so diesen Winter durch arbeiten.

Ihr glaubt nicht, wie nützlich, aber auch wie schwer es mir war, dieses ganze Jahr absolut unter fremden Menschen zu leben, besonders da Tischbein–dies sei unter uns gesagt–nicht so einschlug, wie ich hoffte. Es ist ein wirklich guter Mensch, aber er ist nicht so rein, so natürlich, so offen wie seine Briefe. Seinen Charakter kann ich nur mündlich schildern, um ihm nicht unrecht zu tun, und was will eine Schilderung heißen, die man so macht! Das Leben eines Menschen ist sein Charakter. Nun hab’ ich Hoffnung, Kaysern zu besitzen, dieser wird mir zu großer Freude sein. Gebe der Himmel, daß sich nichts dazwischen stelle!

Meine erste Angelegenheit ist und bleibt, daß ich es im Zeichnen zu einem gewissen Grade bringe, wo man mit Leichtigkeit etwas macht und nicht wieder zurücklernt, noch so lange still steht, wie ich wohl leider die schönste Zeit des Lebens versäumt habe. Doch muß man sich selbst entschuldigen. Zeichnen, um zu zeichnen, wäre wie reden, um zu reden. Wenn ich nichts auszudrücken habe, wenn mich nichts anreizt, wenn ich würdige Gegenstände erst mühsam aufsuchen muß, ja, mit allem Suchen sie kaum finde, wo soll da der Nachahmungstrieb herkommen? In diesen Gegenden muß man zum Künstler werden, so dringt sich alles auf, man wird voller und voller und gezwungen, etwas zu machen. Nach meiner Anlage und meiner Kenntnis des Weges bin ich überzeugt, daß ich hier in einigen Jahren sehr weit kommen müßte.

Ihr verlangt, meine Lieben, daß ich von mir selbst schreibe, und seht, wie ich’s tue; wenn wir wieder zusammenkommen, sollt ihr gar manches hören. Ich habe Gelegenheit gehabt, über mich selbst und andre, über Welt und Geschichte viel nachzudenken, wovon ich manches Gute, wenngleich nicht Neue, auf meine Art mitteilen werde. Zuletzt wird alles im “Wilhelm” gefaßt und geschlossen.

Moritz ist bisher mein liebster Gesellschafter geblieben, ob ich gleich bei ihm fürchtete und fast noch fürchte, er möchte aus meinem Umgange nur klüger und weder richtiger, besser noch glücklicher werden, eine Sorge, die mich immer zurückhält, ganz offen zu sein.

Auch im allgemeinen mit mehreren Menschen zu leben, geht mir ganz gut. Ich sehe eines jeden Gemütsart und Handelsweise. Der eine spielt sein Spiel, der andre nicht, dieser wird vorwärts kommen, jener schwerlich. Einer sammelt, einer zerstreut. Einem genügt alles, dem andern nichts. Der hat Talent und übt’s nicht, jener hat keins und ist fleißig etc. etc. Das alles sehe ich und mich mitten drin; es vergnügt mich und gibt mir, da ich keinen Teil an den Menschen, nichts an ihnen zu verantworten habe, keinen bösen Humor. Nur alsdann, meine Lieben, wenn jeder nach seiner Weise handelt und zuletzt noch prätendiert, daß ein Ganzes werden, sein und bleiben solle, es zunächst von mir prätendiert, dann bleibt einem nichts übrig, als zu scheiden oder toll zu werden.

Albano, den 5. Oktober 1787.

Ich will sehen, daß ich diesen Brief noch zur morgenden Post nach Rom schaffe, daß ich auf diesem Blatt nur den tausendsten Teil sage von dem, was ich zu sagen habe.

Eure Blätter hab’ ich zu gleicher Zeit mit den “Zerstreuten”, besser “gesammelten Blättern”, den “Ideen” und den vier Saffianbänden erhalten, gestern, als ich im Begriff war, von Frascati abzufahren. Es ist mir nun ein Schatz auf die ganze Villeggiatur.

“Persepolis” habe ich gestern nacht gelesen. Es freut mich unendlich, und ich kann nichts dazusetzen, indem jene Art und Kunst nicht herübergekommen ist. Ich will nun die angeführten Bücher auf irgendeiner Bibliothek sehen und euch aufs neue danken. Fahret fort, ich bitte euch, oder fahret fort, weil ihr müßt, beleuchtet alles mit eurem Lichte!

Die “Ideen”, die Gedichte sind noch nicht berührt. Meine Schriften mögen nun gehen, ich will treulich fortfahren. Die vier Kupfer zu den letzten Bänden sollen hier werden.

Mit den Genannten war unser Verhältnis nur ein gutmütiger Waffenstillstand von beiden Seiten, ich habe das wohl gewußt, nur was werden kann, kann werden. Es wird immer weitere Entfernung und endlich, wenn’s recht gut geht, leise, lose Trennung werden. Der eine ist ein Narr, der voller Einfaltsprätensionen steckt. “Meine Mutter hat Gänse” singt sich mit bequemerer Naivetät als ein: “Allein Gott in der Höh’ sei Ehr.” Er ist einmal auch ein–: “Sie lassen sich das Heu und Stroh, das Heu und Stroh nicht irren” etc. etc. Bleibt von diesem Volke! der erste Undank ist besser als der letzte. Der andere denkt, er komme aus einem fremden Lande zu den Seinigen, und er kommt zu Menschen, die sich selbst suchen, ohne es gestehn zu wollen. Er wird sich fremd finden und vielleicht nicht wissen warum. Ich müßte mich sehr irren, oder die Großmut des Alcibiades ist ein Taschenspielerstreich des Züricher Propheten, der klug genug und gewandt genug ist, große und kleine Kugeln mit unglaublicher Behendigkeit einander zu substituieren, durcheinander zu mischen, um das Wahre und Falsche nach seinem theologischen Dichtergemüt gelten und verschwinden zu machen. Hole oder erhalte ihn der Teufel, der ein Freund der Lügen, Dämonologie, Ahnungen, Sehnsuchten etc. Ist von Anfang!

Und ich muß ein neues Blatt nehmen und bitten, daß ihr lest, wie ich schreibe, mit dem Geiste mehr als den Augen, wie ich mit der Seele mehr als den Händen.

Fahre du fort, lieber Bruder, zu finden, zu vereinigen, zu dichten, zu schreiben, ohne dich um andre zu bekümmern. Man muß schreiben, wie man lebt, erst um sein selbst willen, und dann existiert man auch für verwandte Wesen.

Plato wollte keinen agewmetrhton in seiner Schule leiden; wäre ich imstande, eine zu machen, ich litte keinen, der sich nicht irgendein Naturstudium ernst und eigentlich gewählt. Neulich fand ich in einer leidig apostolisch-kapuzinermäßigen Deklamation des Zürcher Propheten die unsinnigen Worte: “Alles, was Leben hat, lebt durch etwas außer sich.” Oder so ungefähr klang’s. Das kann nun so ein Heidenbekehrer hinschreiben, und bei der Revision zupft ihn der Genius nicht beim ärmel. Nicht die ersten, simpelsten Naturwahrheiten haben sie gefaßt und möchten doch gar zu gern auf den Stühlen um den Thron sitzen, wo andre Leute hingehören oder keiner hingehört. Laßt das alles gut sein, wie ich auch tue, der ich es freilich jetzt leichter habe!

Ich möchte von meinem Leben keine Beschreibung machen, es sieht gar zu lustig aus. Vor allem beschäftigt mich das Landschaftszeichnen, wozu dieser Himmel und diese Erde vorzüglich einlädt. Sogar hab’ ich einige Idyllen gefunden. Was werd’ ich nicht noch alles machen! Das seh’ ich wohl, unsereiner muß nur immer neue Gegenstände um sich haben, dann ist er geborgen.

Lebt wohl und vergnügt, und wenn es euch weh werden will, so fühlt nur recht, daß ihr beisammen seid und was ihr einander seid, indes ich, durch eignen Willen exiliert, mit Vorsatz irrend, zweckmäßig unklug, überall fremd und überall zu Hause, mein Leben mehr laufen lasse als führe und auf alle Fälle nicht weiß, wo es hinaus will.

Lebt wohl, empfehlt mich der Frau Herzogin. Ich habe mit Rat Reiffenstein in Frascati ihren ganzen Aufenthalt projektiert. Wenn alles gelingt, so ist’s ein Meisterstück. Wir sind jetzt in Negotiation wegen einer Villa begriffen, welche gewissermaßen sequestriert ist und also vermietet wird, anstatt daß die andern entweder besetzt sind oder von den großen Familien nur aus Gefälligkeit abgetreten würden, dagegen man in Obligationen und Relationen gerät. Ich schreibe, sobald nur etwas Gewisseres zu sagen ist. In Rom ist auch ein schönes freiliegendes Quartier mit einem Garten für sie bereit. Und so wünscht’ ich, daß sie sich überall zu Hause fände, denn sonst genießt sie nichts; die Zeit verstreicht, das Geld ist ausgegeben, und man sieht sich um wie nach einem Vogel, der einem aus der Hand entwischt ist. Wenn ich ihr alles einrichten kann, daß ihr Fuß an keinen Stein stoße, so will ich es tun.

Nun kann ich nicht weiter, wenngleich noch Raum da ist. Lebt wohl und verzeiht die Eilfertigkeit dieser Zeilen.

Castel Gandolfo, den 8. Oktober, eigentlich den 12ten,

denn diese Woche ist hingegangen, ohne daß ich zum Schreiben kommen konnte. Also geht dieses Blättchen nur eilig nach Rom, daß es noch zu euch gelange.

Wir leben hier, wie man in Bädern lebt, nur mache ich mich des Morgens beiseite, um zu zeichnen, dann muß man den ganzen Tag der Gesellschaft sein, welches mir denn auch ganz recht ist für diese kurze Zeit; ich sehe doch auch einmal Menschen ohne großen Zeitverlust und viele auf einmal.

Castel Gandolfo. Radierung von Mechau

Angelika ist auch hier und wohnt in der Nähe, dann sind einige muntere Mädchen, einige Frauen, Herr von Maron, Schwager von Mengs, mit der seinigen, teils im Hause, teils in der Nachbarschaft; die Gesellschaft ist lustig, und es gibt immer was zu lachen. Abends geht man in die Komödie, wo Pulcinell die Hauptperson ist, und trägt sich dann einen Tag mit den bonmots des vergangnen Abends. Tout comme chez nous–nur unter einem heitern, köstlichen Himmel. Heute hat sich ein Wind erhoben, der mich zu Hause hält. Wenn man mich außer mir selbst herausbringen könnte, müßten es diese Tage tun, aber ich falle immer wieder in mich zurück, und meine ganze Neigung ist auf die Kunst gerichtet. Jeden Tag geht mir ein neues Licht auf, und es scheint, als wenn ich wenigstens würde sehen lernen.

“Erwin und Elmire” ist so gut als fertig; es kommt auf ein paar schreibselige Morgen an; gedacht ist alles.

Herder hat mich aufgefordert, Forstern auf seine Reise um die Welt auch Fragen und Mutmaßungen mitzugeben. Ich weiß nicht, wo ich Zeit und Sammlung hernehmen soll, wenn ich es auch von Herzen gerne täte. Wir wollen sehen.

Ihr habt wohl schon kalte, trübe Tage, wir hoffen noch einen ganzen Monat zum Spazierengehn. Wie sehr mich Herders “Ideen” freuen, kann ich nicht sagen. Da ich keinen Messias zu erwarten habe, so ist mir dies das liebste Evangelium. Grüßt alles, ich bin in Gedanken immer mit euch, und liebt mich.

Den letzten Posttag, meine Lieben, habt ihr keinen Brief erhalten, die Bewegung in Castello war zuletzt gar zu arg, und ich wollte doch auch zeichnen. Es war wie bei uns im Bade, und da ich in einem Hause wohnte, das immer Zuspruch hat, so mußte ich mich drein geben. Bei dieser Gelegenheit habe ich mehr Italiener gesehen als bisher in einem Jahre, und bin auch mit dieser Erfahrung zufrieden.

Eine Mailänderin interessierte mich die acht Tage ihres Bleibens, sie zeichnete sich durch ihre Natürlichkeit, ihren Gemeinsinn, ihre gute Art sehr vorteilhaft vor den Römerinnen aus. Angelika war, wie sie immer ist, verständig, gut, gefällig, zuvorkommend. Man muß ihr Freund sein, man kann viel von ihr lernen, besonders arbeiten, denn es ist unglaublich, was sie alles endigt.

Diese letzten Tage war das Wetter kühl, und ich bin recht vergnügt, wieder in Rom zu sein.

Gestern abend, als ich zu Bette ging, fühlt’ ich recht das Vergnügen, hier zu sein. Es war mir, als wenn ich mich auf einen recht breiten, sichern Grund niederlegte.

über seinen “Gott” möcht’ ich gern mit Herdern sprechen. Zu bemerken ist mir ein Hauptpunkt: man nimmt dieses Büchlein, wie andre, für Speise, da es eigentlich die Schüssel ist. Wer nichts hineinzulegen hat, findet sie leer. Laßt mich ein wenig weiter allegorisieren, und Herder wird meine Allegorie am besten erklären. Mit Hebel und Walzen kann man schon ziemliche Lasten fortbringen; die Stücke des Obelisks zu bewegen, brauchen sie Erdwinden, Flaschenzüge und so weiter. Je größer die Last oder je feiner der Zweck (wie z. E. bei einer Uhr), desto zusammengesetzter, desto künstlicher wird der Mechanismus sein und doch im Innern die größte Einheit haben. So sind alle Hypothesen oder vielmehr alle Prinzipien.–Wer nicht viel zu bewegen hat, greift zum Hebel und verschmäht meinen Flaschenzug, was will der Steinhauer mit einer Schraube ohne Ende? Wenn L. seine ganze Kraft anwendet, um ein Märchen wahr zu machen, wenn J. sich abarbeitet, eine hohle Kindergehirnempfindung zu vergöttern, wenn C. aus einem Fußboten ein Evangelist werden möchte, so ist offenbar, daß sie alles, was die Tiefen der Natur näher aufschließt, verabscheuen müssen. Würde der eine ungestraft sagen: Alles, was lebt, lebt durch etwas außer sich? Würde der andere sich der Verwirrung der Begriffe, der Verwechslung der Worte von Wissen und Glauben, von überlieferung und Erfahrung nicht schämen? Würde der dritte nicht um ein paar Bänke tiefer hinunter müssen, wenn sie nicht mit aller Gewalt die Stühle um den Thron des Lamms aufzustellen bemüht wären; wenn sie nicht sich sorgfältig hüteten, den festen Boden der Natur zu betreten, wo jeder nur ist, was er ist, wo wir alle gleiche Ansprüche haben?

Halte man dagegen ein Buch wie den dritten Teil der “Ideen”, sehe erst, was es ist, und frage sodann, ob der Autor es hätte schreiben können, ohne jenen Begriff von Gott zu haben? Nimmermehr; denn eben das Echte, Große, Innerliche, was es hat, hat es in, aus und durch jenen Begriff von Gott und der Welt.

Wenn es also irgendwo fehlt, so mangelt’s nicht an der Ware, sondern an Käufern, nicht an der Maschine, sondern an denen, die sie zu brauchen wissen. Ich habe immer mit stillem Lächeln zugesehen, wenn sie mich in metaphysischen Gesprächen nicht für voll ansahen; da ich aber ein Künstler bin, so kann mir’s gleich sein. Mir könnte vielmehr dran gelegen sein, daß das Prinzipium verborgen bliebe, aus dem und durch das ich arbeite. Ich lasse einem jeden seinen Hebel und bediene mich der Schraube ohne Ende schon lange, und nun mit noch mehr Freude und Bequemlichkeit.

Castel Gandolfo, den 12. Oktober 1787.

An Herder

Nur ein flüchtig Wort, und zuerst den lebhaftesten Dank für die “Ideen”! Sie sind mir als das liebenswerteste Evangelium gekommen, und die interessantesten Studien meines Lebens laufen alle da zusammen. Woran man sich so lange geplackt hat, wird einem nun so vollständig vorgeführt. Wie viel Lust zu allem Guten hast du mir durch dieses Buch gegeben und erneut! Noch bin ich erst in der Hälfte. Ich bitte dich, laß mir so bald als möglich die Stelle aus Camper, die du pag. 159 anführst, ganz ausschreiben, damit ich sehe welche Regeln des griechischen Künstlerideals er ausgefunden hat. Ich erinnere mich nur an den Gang seiner Demonstration des Profils aus dem Kupfer. Schreibe mir dazu und exzerpiere mir sonst, was du mir nützlich dünkst, daß ich das Ultimum wisse, wie weit man in dieser Spekulation gekommen ist; denn ich bin immer das neugeborne Kind. Hat Lavaters “Physiognomik” etwas Kluges darüber? Deinem Aufruf wegen Forsters will ich gerne gehorchen, wenn ich gleich noch nicht recht sehe, wie es möglich ist; denn ich kann keine einzelnen Fragen tun, ich muß meine Hypothesen völlig auseinandersetzen und vortragen. Du weißt, wie sauer mir das schriftlich wird. Schreibe mir nur den letzten Termin, wann es fertig sein, und wohin es geschickt werden soll. Ich sitze jetzt im Rohre und kann vor Pfeifenschneiden nicht zum Pfeifen kommen. Wenn ich es unternehme, muß ich zum Diktieren mich wenden; denn eigentlich seh’ ich es als einen Wink an. Es scheint, ich soll von allen Seiten mein Haus bestellen und meine Bücher schließen.

Was mir am schwersten sein wird, ist: daß ich absolut alles aus dem Kopfe nehmen muß, ich habe doch kein Blättchen meiner Kollektaneen, keine Zeichnung, nichts hab’ ich bei mir, und alle neusten Bücher fehlen hier ganz und gar.

Noch vierzehn Tage bleib’ ich wohl in Castello und treibe ein Badeleben. Morgens zeichne ich, dann gibt’s Menschen auf Menschen. Es ist mir lieb, daß ich sie beisammen sehe, einzeln wäre es eine große Sekkatur. Angelika ist hier und hilft alles übertragen.

Der Papst soll Nachricht haben, Amsterdam sei von den Preußen eingenommen. Die nächsten Zeitungen werden uns Gewißheit bringen. Das wäre die erste Expedition, wo sich unser Jahrhundert in seiner ganzen Größe zeigt. Das heiß’ ich eine sodezza! Ohne Schwertstreich, mit ein paar Bomben, und niemand, der sich der Sache weiter annimmt! Lebt wohl. Ich bin ein Kind des Friedens und will Friede halten für und für, mit der ganzen Welt, da ich ihn einmal mit mir selbst geschlossen habe.

Rom, den 27. Oktober 1787.

Ich bin in diesem Zauberkreise wieder angelangt und befinde mich gleich wieder wie bezaubert, zufrieden, stille hinarbeitend, vergessend alles, was außer mir ist, und die Gestalten meiner Freunde besuchen mich friedlich und freundlich. Diese ersten Tage hab’ ich mit Briefschreiben zugebracht, habe die Zeichnungen, die ich auf dem Lande gemacht, ein wenig gemustert, die nächste Woche soll es an neue Arbeit gehn. Es ist zu schmeichelhaft, als daß ich es sagen dürfte, was mir Angelika für Hoffnungen über mein Landschaftszeichnen unter gewissen Bedingungen gibt. Ich will wenigstens fortfahren, um mich dem zu nähern, was ich wohl nie erreiche.

Ich erwarte mit Verlangen Nachricht, daß “Egmont” angelangt und wie ihr ihn aufgenommen. Ich habe doch schon geschrieben, daß Kayser herkommt? Ich erwarte ihn in einigen Tagen, mit der nun vollendeten Partitur unsrer Scapinereien. Du kannst denken, was das für ein Fest sein wird! Sogleich wird Hand an eine neue Oper gelegt, und “Claudine” mit “Erwin” in seiner Gegenwart, mit seinem Beirat verbessert.

Herders “Ideen” hab’ ich nun durchgelesen und habe mich des Buches außerordentlich gefreut. Der Schluß ist herrlich, wahr und erquicklich, und er wird, wie das Buch selbst, erst mit der Zeit und vielleicht unter fremdem Namen den Menschen wohltun. Je mehr diese Vorstellungsart gewinnt, je glücklicher wird der nachdenkliche Mensch werden. Auch habe ich dieses Jahr unter fremden Menschen achtgegeben und gefunden, daß alle wirklich kluge Menschen mehr oder weniger, zärter oder gröber, darauf kommen und bestehen: daß der Moment alles ist, und daß nur der Vorzug eines vernünftigen Menschen darin bestehe: sich so zu betragen, daß sein Leben, insofern es von ihm abhängt, die möglichste Masse von vernünftigen, glücklichen Momenten enthalte.

Ich müßte wieder ein Buch schreiben, wenn ich sagen sollte, was ich bei dem und jenem Buch gedacht habe. Ich lese jetzt wieder Stellen, so wie ich sie aufschlage, um mich an jeder Seite zu ergötzen, denn es ist durchaus köstlich gedacht und geschrieben.

Besonders schön find’ ich das griechische Zeitalter; daß ich am römischen, wenn ich mich so ausdrücken darf, etwas Körperlichkeit vermisse, kann man vielleicht denken, ohne daß ich es sage. Es ist auch natürlich. Gegenwärtig ruht in meinem Gemüt die Masse des, was der Staat war, an und für sich; mir ist er wie Vaterland etwas Ausschließendes. Und ihr müßtet im Verhältnis mit dem ungeheuern Weltganzen den Wert dieser einzelnen Existenz bestimmen, wo denn freilich vieles zusammenschrumpfte und in Rauch aufgehn mag.

So bleibt mir das Coliseo immer imposant, wenn ich gleich denke, zu welcher Zeit es gebaut worden, und daß das Volk, welches diesen ungeheuren Kreis ausfüllte, nicht mehr das altrömische Volk war.

Ein Buch über Malerei und Bildhauerkunst in Rom ist auch zu uns gekommen. Es ist ein deutsches Produkt und, was schlimmer ist, eines deutschen Kavaliers. Es scheint ein junger Mann zu sein, der Energie hat, aber voller Prätension steckt, der sich Mühe gegeben hat, herumzulaufen, zu notieren, zu hören, zu horchen, zu lesen. Er hat gewußt, dem Werke einen Anschein von Ganzheit zu geben, es ist darin viel Wahres und Gutes, gleich darneben Falsches und Albernes, Gedachtes und Nachgeschwätztes, Longueurs und Echappaden. Wer es auch in der Entfernung durchsieht, wird bald merken, welch monstroses Mittelding zwischen Kompilation und eigen gedachtem Werk dieses voluminose Opus geworden sei.

Die Ankunft “Egmonts” erfreut und beruhigt mich, und ich verlange auf ein Wort darüber, das nun wohl unterwegs ist. Das Saffianexemplar ist angelangt, ich hab’ es der Angelika gegeben. Mit Kaysers Oper wollen wir es klüger machen, als man uns geraten hat; euer Vorschlag ist sehr gut, wenn Kayser kommt, sollt ihr mehr hören.

Die Rezension ist recht im Stil des Alten, zuviel und zu wenig. Mir ist jetzt nur dran gelegen, zu machen, seitdem ich sehe, wie sich am Gemachten, wenn es auch nicht das Vollkommenste ist, Jahrtausende rezensieren, das heißt, etwas von seinem Dasein hererzählen läßt.

Jedermann verwundert sich, wie ich ohne Tribut durchgekommen bin; man weiß aber auch nicht, wie ich mich betragen habe. Unser Oktober war nicht der schönste, ob wir gleich himmlische Tage gehabt haben.

Es geht mit mir jetzt eine neue Epoche an. Mein Gemüt ist nun durch das viele Sehen und Erkennen so ausgeweitet, daß ich mich auf irgendeine Arbeit beschränken muß. Die Individualität eines Menschen ist ein wunderlich Ding, die meine hab’ ich jetzt recht kennen lernen, da ich einerseits dieses Jahr bloß von mir selbst abgehangen habe und von der andern Seite mit völlig fremden Menschen umzugehen hatte.

Bericht

Oktober

Zu Anfang dieses Monats bei mildem, durchaus heiterem, herrlichem Wetter genossen wir eine förmliche Villeggiatur in Castel Gandolfo, wodurch wir uns denn in die Mitte dieser unvergleichlichen Gegend eingeweiht und eingebürgert sahen. Herr Jenkins, der wohlhabende englische Kunsthändler, bewohnte daselbst ein sehr stattliches Gebäude, den ehemaligen Wohnsitz des Jesuitergenerals, wo es einer Anzahl von Freunden weder an Zimmern zu bequemer Wohnung, noch an Sälen zu heiterem Beisammensein, noch an Bogengängen zu munterem Lustwandel fehlte.

Man kann sich von einem solchen Herbstaufenthalte den besten Begriff machen, wenn man sich ihn wie den Aufenthalt an einem Badorte gedenkt. Personen ohne den mindesten Bezug aufeinander werden durch Zufall augenblicklich in die unmittelbarste Nähe versetzt. Frühstück und Mittagessen, Spaziergänge, Lustpartien, ernst–und scherzhafte Unterhaltung bewirken schnell Bekanntschaft und Vertraulichkeit; da es denn ein Wunder wäre, wenn, besonders hier, wo nicht einmal Krankheit und Kur eine Art von Diversion macht, hier im vollkommensten Müßiggange, sich nicht die entschiedensten Wahlverwandtschaften zunächst hervortun sollten. Hofrat Reiffenstein hatte für gut befunden, und zwar mit Recht, daß wir zeitig hinausgehen sollten, um zu unseren Spaziergängen und sonstigen artistischen Wanderungen ins Gebirg die nötige Zeit zu finden, ehe noch der Schwall der Gesellschaft sich herandrängte und uns zur Teilnahme an gemeinschaftlicher Unterhaltung aufforderte. Wir waren die ersten und versäumten nicht, uns in der Gegend, nach Anleitung des erfahrenen Führers, zweckmäßig umzusehen, und ernteten davon die schönsten Genüsse und Belehrungen.

Nach einiger Zeit sah ich eine gar hübsche römische Nachbarin, nicht weit von uns im Korso wohnend, mit ihrer Mutter heraufkommen. Sie hatten beide seit meiner Mylordschaft meine Begrüßungen freundlicher als sonst erwidert, doch hatte ich sie nicht angesprochen, ob ich gleich an ihnen, wenn sie abends vor der Tür saßen, öfters nah genug vorbeiging; denn ich war dem Gelübde, mich durch dergleichen Verhältnisse von meinem Hauptzwecke nicht abhalten zu lassen, vollkommen treu geblieben. Nun aber fanden wir uns auf einmal wie völlig alte Bekannte; jenes Konzert gab Stoff genug zur ersten Unterhaltung, und es ist wohl nichts angenehmer als eine Römerin der Art, die sich in natürlichem Gespräch heiter gehen läßt und ein lebhaftes, auf die reine Wirklichkeit gerichtetes Aufmerken, eine Teilnahme mit anmutigem Bezug auf sich selbst in der wohlklingenden römischen Sprache schnell, doch deutlich vorträgt; und zwar in einer edlen Mundart, die auch die mittlere Klasse über sich selbst erhebt und dem Allernatürlichsten, ja dem Gemeinen einen gewissen Adel verleiht. Diese Eigenschaften und Eigenheiten waren mir zwar bekannt, aber ich hatte sie noch nie in einer so einschmeichelnden Folge vernommen.

Zu gleicher Zeit stellten sie mich einer jungen Mailänderin vor, die sie mitgebracht hatten, der Schwester eines Kommis von Herrn Jenkins, eines jungen Mannes, der wegen Fertigkeit und Redlichkeit bei seinem Prinzipal in großer Gunst stand. Sie schienen genau miteinander verbunden und Freundinnen zu sein.

Diese beiden Schönen, denn schön durfte man sie wirklich nennen, standen in einem nicht schroffen, aber doch entschiedenen Gegensatz; dunkelbraune Haare die Römerin, hellbraune die Mailänderin; jene braun von Gesichtsfarbe, diese klar, von zarter Haut; diese zugleich mit fast blauen Augen, jene mit braunen; die Römerin einigermaßen ernst, zurückhaltend, die Mailänderin von einem offnen, nicht sowohl ansprechenden, als gleichsam anfragenden Wesen. Ich saß bei einer Art Lottospiel zwischen beiden Frauenzimmern und hatte mit der Römerin Kasse zusammen gemacht; im Laufe des Spiels fügte es sich nun, daß ich auch mit der Mailänderin mein Glück versuchte durch Wetten oder sonst. Genug, es entstand auch auf dieser Seite eine Art von Partnerschaft, wobei ich in meiner Unschuld nicht gleich bemerkte, daß ein solches geteiltes Interesse nicht gefiel, bis endlich nach aufgehobener Partie die Mutter, mich abseits findend, zwar höflich, aber mit wahrhaftem Matronenernst dem werten Fremden versicherte, daß, da er einmal mit ihrer Tochter in solche Teilnahme gekommen sei, es sich nicht wohl zieme, mit einer andern gleiche Verbindlichkeiten einzugehen; man halte es in einer Villeggiatur für Sitte, daß Personen, die sich einmal auf einen gewissen Grad verbunden, dabei in der Gesellschaft verharrten und eine unschuldig anmutige Wechselgefälligkeit durchführten. Ich entschuldigte mich aufs beste, jedoch mit der Wendung, daß es einem Fremden nicht wohl möglich sei, dergleichen Verpflichtungen anzuerkennen, indem es in unsern Landen herkömmlich sei, daß man den sämtlichen Damen der Gesellschaft, einer wie der andern, mit und nach der andern, sich dienstlich und höflich erweise, und daß dieses hier um desto mehr gelten werde, da von zwei so eng verbundenen Freundinnen die Rede sei.

Aber leider! indessen ich mich so auszureden suchte, empfand ich auf die wundersamste Weise, daß meine Neigung für die Mailänderin sich schon entschieden hatte, blitzschnell und eindringlich genug, wie es einem müßigen Herzen zu gehen pflegt, das in selbstgefälligem ruhigem Zutrauen nichts befürchtet, nichts wünscht, und das nun auf einmal dem Wünschenswertesten unmittelbar nahe kommt. Übersieht man doch in solchem Augenblicke die Gefahr nicht, die uns unter diesen schmeichelhaften Zügen bedroht.

Den nächsten Morgen fanden wir uns drei allein, und da vermehrte sich denn das übergewicht auf die Seite der Mailänderin. Sie hatte den großen Vorzug vor ihrer Freundin, daß in ihren äußerungen etwas Strebsames zu bemerken war. Sie beklagte sich nicht über vernachlässigte, aber allzu ängstliche Erziehung: “Man lehrt uns nicht schreiben”, sagte sie, “weil man fürchtet, wir würden die Feder zu Liebesbriefen benutzen; man würde uns nicht lesen lassen, wenn wir uns nicht mit dem Gebetbuch beschäftigen müßten; uns in fremden Sprachen zu unterrichten, daran wird niemand denken; ich gäbe alles darum, Englisch zu können. Herrn Jenkins mit meinem Bruder, Mad. Angelika, Herrn Zucchi, die Herren Volpato und Camuccini hör’ ich oft sich untereinander englisch unterhalten mit einem Gefühl, das dem Neid ähnlich ist: und die ellenlangen Zeitungen da liegen vor mir auf dem Tische, es stehen Nachrichten darin aus der ganzen Welt, wie ich sehe, und ich weiß nicht, was sie bringen.”

“Es ist desto mehr schade”, versetzte ich, “da das Englische sich so leicht lernen läßt; Sie müßten es in kurzer Zeit fassen und begreifen. Machen wir gleich einen Versuch”, fuhr ich fort, indem ich eins der grenzenlosen englischen Blätter aufhob, die häufig umherlagen.

Ich blickte schnell hinein und fand einen Artikel, daß ein Frauenzimmer ins Wasser gefallen, glücklich aber gerettet und den Ihrigen wiedergegeben worden. Es fanden sich Umstände bei dem Falle, die ihn verwickelt und interessant machten, es blieb zweifelhaft, ob sie sich ins Wasser gestürzt, um den Tod zu suchen, sowie auch, welcher von ihren Verehrern, der Begünstigte oder Verschmähte, sich zu ihrer Rettung gewagt. Ich wies ihr die Stelle hin und bat sie, aufmerksam darauf zu schauen. Darauf übersetzt’ ich ihr erst alle Substantiva und examinierte sie, ob sie auch ihre Bedeutung wohl behalten. Gar bald überschaute sie die Stellung dieser Haupt–und Grundworte und machte sich mit dem Platz bekannt, den sie im Perioden eingenommen hatten. Ich ging darauf zu den einwirkenden, bewegenden, bestimmenden Worten über und machte nunmehr, wie diese das Ganze belebten, auf das heiterste bemerklich und katechisierte sie so lange, bis sie mir endlich unaufgefordert die ganze Stelle, als stünde sie italienisch auf dem Papiere, vorlas, welches sie nicht ohne Bewegung ihres zierlichen Wesens leisten konnte. Ich habe nicht leicht eine so herzlichgeistige Freude gesehen, als sie ausdrückte, indem sie mir für den Einblick in dieses neue Feld einen allerliebsten Dank aussprach. Sie konnte sich kaum fassen, indem sie die Möglichkeit gewahrte, die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches so nahe und schon versuchsweise erreicht zu sehen.

Die Gesellschaft hatte sich vermehrt, auch Angelika war angekommen; an einer großen gedeckten Tafel hatte man ihr mich rechter Hand gesetzt, meine Schülerin stand an der entgegengesetzten Seite des Tisches und besann sich keinen Augenblick, als die übrigen sich um die Tafelplätze komplimentierten, um den Tisch herumzugehen und sich neben mir niederzulassen. Meine ernste Nachbarin schien dies mit einiger Verwunderung zu bemerken, und es bedurfte nicht des Blicks einer klugen Frau, um zu gewahren, daß hier was vorgegangen sein müsse und daß ein zeither bis zur trockenen Unhöflichkeit von den Frauen sich entfernender Freund wohl selbst sich endlich zahm und gefangen überrascht gesehen habe.

Ich hielt zwar äußerlich noch ziemlich gut stand, eine innere Bewegung aber gab sich wohl eher kund durch eine gewisse Verlegenheit, in der ich mein Gespräch zwischen den Nachbarinnen teilte, indem ich die ältere zarte, diesmal schweigsame Freundin belebend zu unterhalten und jene, die sich immer noch in der fremden Sprache zu ergehen schien und sich in dem Zustande befand desjenigen, der mit einem Mal, von dem erwünscht aufgehenden Lichte geblendet, sich nicht gleich in der Umgebung zu finden weiß, durch eine freundlich ruhige, eher ablehnende Teilnahme zu beschwichtigen suchte.

Dieser aufgeregte Zustand jedoch hatte sogleich die Epoche einer merkwürdigen Umwälzung zu erleben. Gegen Abend die jungen Frauenzimmer aufsuchend, fand ich die älteren Frauen in einem Pavillon, wo die herrlichste der Aussichten sich darbot; ich schweifte mit meinem Blick in die Runde, aber es ging vor meinen Augen etwas anders vor als das Landschaftlich-Malerische; es hatte sich ein Ton über die Gegend gezogen, der weder dem Untergang der Sonne noch den Lüften des Abends allein zuzuschreiben war. Die glühende Beleuchtung der hohen Stellen, die kühlende blaue Beschattung der Tiefe schien herrlicher als jemals in öl oder Aquarell; ich konnte nicht genug hinsehen, doch fühlte ich, daß ich den Platz zu verlassen Lust hatte, um in teilnehmender kleiner Gesellschaft dem letzten Blick der Sonne zu huldigen.

Doch hatte ich leider der Einladung der Mutter und Nachbarinnen nicht absagen können, mich bei ihnen niederzulassen, besonders da sie mir an dem Fenster der schönsten Aussicht Raum gemacht hatten. Als ich auf ihre Reden merkte, konnt’ ich vernehmen, daß von Ausstattung die Rede sei, einem immer wiederkehrenden und nie zu erschöpfenden Gegenstande. Die Erfordernisse aller Art wurden gemustert, Zahl und Beschaffenheit der verschiedenen Gaben, Grundgeschenke der Familie, vielfache Beiträge von Freunden und Freundinnen, teilweise noch ein Geheimnis, und was nicht alles in genauer Hererzählung die schöne Zeit hinnahm, mußte von mir geduldig angehört werden, weil die Damen mich zu einem späteren Spaziergang festgenommen hatten.

Endlich gelangte denn das Gespräch zu den Verdiensten des Bräutigams, man schilderte ihn günstig genug, wollte sich aber seine Mängel nicht verbergen, in getroster Hoffnung, daß diese zu mildern und zu bessern die Anmut, der Verstand, die Liebenswürdigkeit seiner Braut im künftigen Ehstande hinreichen werde.

Ungeduldig zuletzt, als eben die Sonne sich in das entfernte Meer niedersenkte und einen unschätzbaren Blick durch die langen Schatten und die zwar gedämpften, doch mächtigen Streiflichter gewährte, fragt’ ich auf das bescheidenste, wer denn aber die Braut sei. Mit Verwunderung erwiderte man mir, ob ich denn das allgemein Bekannte nicht wisse; und nun erst fiel es ihnen ein, daß ich kein Hausgenosse, sondern ein Fremder sei.

Hier ist es freilich nun nicht nötig auszusprechen, welch Entsetzen mich ergriff, als ich vernahm, es sei eben die kurz erst so liebgewonnene Schülerin. Die Sonne ging unter, und ich wußte mich unter irgendeinem Vorwand von der Gesellschaft loszumachen, die, ohne es zu wissen, mich auf eine so grausame Weise belehrt hatte.

Daß Neigungen, denen man eine Zeitlang unvorsichtig nachgegeben, endlich aus dem Traume geweckt, in die schmerzlichsten Zustände sich umwandeln, ist herkömmlich und bekannt, aber vielleicht interessiert dieser Fall durch das Seltsame, daß ein lebhaftes wechselseitiges Wohlwollen in dem Augenblicke des Keimens zerstört wird und damit die Vorahnung alles des Glücks, das ein solches Gefühl sich in künftiger Entwickelung unbegrenzt vorspiegelt. Ich kam spät nach Hause, und des andern Morgens früh machte ich, meine Mappe unter dem Arm, einen weiteren Weg mit der Entschuldigung, nicht zur Tafel zu kommen.

Ich hatte Jahre und Erfahrungen hinreichend, um mich, obwohl schmerzhaft, doch auf der Stelle zusammenzunehmen. “Es wäre wunderbar genug”, rief ich aus, “wenn ein wertherähnliches Schicksal dich in Rom aufgesucht hätte, um dir so bedeutende, bisher wohlbewahrte Zustände zu verderben.”

Ich wendete mich abermals rasch zu der inzwischen vernachlässigten landschaftlichen Natur und suchte sie so treu als möglich nachzubilden, mehr aber gelang mir, sie besser zu sehen. Das wenige Technische, was ich besaß, reichte kaum zu dem unscheinbarsten Umriß hin, aber die Fülle der Körperlichkeit, die uns jene Gegend in Felsen und Bäumen, Aufund Abstiegen, stillen Seen, belebten Bächen entgegenbringt, war meinem Auge beinahe fühlbarer als sonst, und ich konnte dem Schmerz nicht feind werden, der mir den innern und äußern Sinn in dem Grade zu schärfen geeignet war.

Von nun an aber hab’ ich mich kurz zu fassen; die Menge von Besuchenden füllte das Haus und die Häuser der Nachbarschaft, man konnte sich ohne Affektation vermeiden, und eine wohlempfundene Höflichkeit, zu der uns eine solche Neigung stimmt, ist in der Gesellschaft überall gut aufgenommen. Mein Betragen gefiel, und ich hatte keine Unannehmlichkeiten, keinen Zwist außer ein einziges Mal mit dem Wirt, Herrn Jenkins. Ich hatte nämlich von einer weiten Berg–und Waldtour die appetitlichsten Pilze mitgebracht und sie dem Koch übergeben, der, über eine zwar seltene, aber in jenen Gegenden sehr berühmte Speise höchst vergnügt, sie aufs schmackhafteste zubereitet auf die Tafel gab. Sie schmeckten jedermann ganz herrlich, nur als zu meinen Ehren verraten wurde, daß ich sie aus der Wildnis mitgebracht, ergrimmte unser englischer Wirt, obgleich nur im verborgenen, darüber, daß ein Fremder eine Speise zum Gastmahl beigetragen habe, von welcher der Hausherr nichts wisse, die er nicht befohlen und angeordnet; es zieme sich nicht wohl, jemanden an seiner eignen Tafel zu überraschen, Speisen aufzusetzen, von denen er nicht Rechenschaft geben könne. Dies alles mußte mir Rat Reiffenstein nach Tafel diplomatisch eröffnen, wogegen ich, der ich an ganz anderm Weh, als das sich von Schwämmen herleiten kann, innerlichst zu dulden hatte, bescheidentlich erwiderte, ich hätte vorausgesetzt, der Koch würde das dem Herrn melden, und versicherte, wenn mir wieder dergleichen Edulien unterwegs in die Hände kämen, solche unserm trefflichen Wirte selbst zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen. Denn wenn man billig sein will, muß man gestehen, sein Verdruß entsprang daher, daß diese überhaupt zweideutige Speise ohne gehörige Untersuchung auf die Tafel gekommen war. Der Koch freilich hatte mir versichert und brachte auch dem Herrn ins Gedächtnis, daß dergleichen zwar nicht oft, aber doch immer, als besondere Rarität, mit großem Beifall in dieser Jahrszeit vorgesetzt worden.

Dieses kulinarische Abenteuer gab mir Anlaß, in stillem Humor zu bedenken, daß ich selbst, von einem ganz eignen Gifte angesteckt, in Verdacht gekommen sei, durch gleiche Unvorsichtigkeit eine ganze Gesellschaft zu vergiften.

Es war leicht, meinen gefaßten Vorsatz fortzuführen. Ich suchte sogleich den englischen Studien auszuweichen, indem ich mich morgens entfernte und meiner heimlich geliebten Schülerin niemals anders als im Zusammentritt von mehrern Personen zu nähern wußte.

Gar bald legte sich auch dieses Verhältnis in meinem so viel beschäftigten Gemüte wieder zurechte, und zwar auf eine sehr anmutige Weise; denn indem ich sie als Braut, als künftige Gattin ansah, erhob sie sich vor meinen Augen aus dem trivialen Mädchenzustande, und indem ich ihr nun eben dieselbe Neigung, aber in einem höhern uneigennützigen Begriff zuwendete, so war ich als einer, der ohnehin nicht mehr einem leichtsinnigen Jüngling glich, gar bald gegen sie in dem freundlichsten Behagen. Mein Dienst, wenn man eine freie Aufmerksamkeit so nennen darf, bezeichnete sich durchaus ohne Zudringlichkeit und beim Begegnen eher mit einer Art von Ehrfurcht. Sie aber, welche nun auch wohl wußte, daß ihr Verhältnis mir bekannt geworden, konnte mit meinem Benehmen vollkommen zufrieden sein. Die übrige Welt aber, weil ich mich mit jedermann unterhielt, merkte nichts oder hatte kein Arges daran, und so gingen Tage und Stunden einen ruhigen behaglichen Gang.

Von der mannigfaltigsten Unterhaltung wäre viel zu sagen. Genug, es war auch ein Theater daselbst, wo der von uns so oft im Karneval beklatschte Pulcinell, welcher die übrige Zeit sein Schusterhandwerk trieb und auch übrigens hier als ein anständiger kleiner Bürger erschien, uns mit seinen pantomimisch-mimisch-lakonischen Absurditäten aufs beste zu vergnügen und uns in die so höchst behagliche Nullität des Daseins zu versetzen wußte.

Briefe von Haus hatten mich indessen bemerken lassen, daß meine nach Italien so lang projektierte, immer verschobene und endlich so rasch unternommene Reise bei den Zurückgelassenen einige Unruhe und Ungeduld erregt, ja sogar den Wunsch, mir nachzufolgen und das gleiche Glück zu genießen, von dem meine heitern, auch wohl unterrichtenden Briefe den günstigsten Begriff gaben. Freilich in dem geistreichen und kunstliebenden Kreise unserer Herzogin Amalie war es herkömmlich, daß Italien jederzeit als das neue Jerusalem wahrer Gebildeten betrachtet wurde und ein lebhaftes Streben dahin, wie es nur Mignon ausdrücken konnte, sich immer in Herz und Sinn erhielt. Der Damm war endlich gebrochen, und es ergab sich nach und nach ganz deutlich, daß Herzogin Amalie mit ihrer Umgebung von einer, Herder und der jüngere Dalberg von der andern Seite über die Alpen zu gehen ernstliche Anstalt machten. Mein Rat war, sie möchten den Winter vorübergehen lassen, in der mittleren Jahreszeit bis Rom gelangen und sodann weiter nach und nach alles des Guten genießen, was die Umgegend der alten Weltstadt u. s. w., der untere Teil von Italien darbieten könnte.

Dieser mein Rat, redlich und sachgemäß, wie er war, bezog sich denn doch auch auf meinen eigenen Vorteil. Merkwürdige Tage meines Lebens hatte ich bisher in dem fremdesten Zustande mit ganz fremden Menschen gelebt und mich eigentlich wieder frisch des humanen Zustands erfreut, dessen ich in zwar zufälligen, aber doch natürlichen Bezügen seit langer Zeit erst wieder gewahr wurde, da ein geschlossener heimatlicher Kreis, ein Leben unter völlig bekannten und verwandten Personen uns am Ende in die wunderlichste Lage versetzt. Hier ist es, wo durch ein wechselseitiges Dulden und Tragen, Teilnehmen und Entbehren ein gewisses Mittelgefühl von Resignation entsteht, daß Schmerz und Freude, Verdruß und Behagen sich in herkömmlicher Gewohnheit wechselseitig vernichten. Es erzeugt sich gleichsam eine Mittelzahl, die den Charakter der einzelnen Ergebnisse durchaus aufhebt, so daß man zuletzt im Streben nach Bequemlichkeit weder dem Schmerz noch der Freude sich mit freier Seele hingeben kann.

Ergriffen von diesen Gefühlen und Ahnungen, fühlte ich mich ganz entschieden, die Ankunft der Freunde in Italien nicht abzuwarten. Denn daß meine Art, die Dinge zu sehen, nicht sogleich die ihrige sein würde, konnte ich um so deutlicher wissen, als ich mich selbst seit einem Jahre jenen kimmerischen Vorstellungen und Denkweisen des Nordens zu entziehen gesucht und unter einem himmelblauen Gewölbe mich freier umzuschauen und zu atmen gewöhnt hatte. In der mittlern Zeit waren mir aus Deutschland kommende Reisende immerfort höchst beschwerlich; sie suchten das auf, was sie vergessen sollten, und konnten das, was sie schon lange gewünscht hatten, nicht erkennen, wenn es ihnen vor Augen lag. Ich selbst fand es noch immer mühsam genug, durch Denken und Tun mich auf dem Wege zu erhalten, den ich als den rechten anzuerkennen mich entschieden hatte.

Fremde Deutsche konnt’ ich vermeiden, so nah verbundene, verehrte, geliebte Personen aber hätten mich durch eignes Irren und Halbgewahrwerden, ja, selbst durch Eingehen in meine Denkweise gestört und gehindert. Der nordische Reisende glaubt, er komme nach Rom, um ein Supplement seines Daseins zu finden, auszufüllen, was ihm fehlt; allein er wird erst nach und nach mit großer Unbehaglichkeit gewahr, daß er ganz den Sinn ändern und von vorn anfangen müsse.

So deutlich nun auch ein solches Verhältnis mir erschien, so erhielt ich mich doch über Tag und Stunde weislich im ungewissen und fuhr unablässig fort in der sorgfältigsten Benutzung der Zeit. Unabhängiges Nachdenken, Anhören von andern, Beschauen künstlerischen Bestrebens, eigene praktische Versuche wechselten unaufhörlich oder griffen vielmehr wechselseitig ineinander ein.

Hiebei förderte mich besonders die Teilnahme Heinrich Meyers von Zürich, dessen Unterhaltung mir, obgleich seltener, günstig zustatten kam, indem er als ein fleißiger und gegen sich selbst strenger Künstler die Zeit besser anzuwenden wußte als der Kreis von jüngeren, die einen ernsten Fortschritt in Begriffen und Technik mit einem raschen lustigen Leben leichtmütig zu verbinden glaubten.

November

Korrespondenz

Rom, den 3. November 1787.

Kayser ist angekommen, und ich habe drüber die ganze Woche nicht geschrieben. Er ist erst am Klavierstimmen, und nach und nach wird die Oper vorgetragen werden. Es macht seine Gegenwart wieder eine sonderbare anschließende Epoche, und ich sehe, man soll seinen Weg nur ruhig fortgehn, die Tage bringen das Beste wie das Schlimmste.

Die Aufnahme meines “Egmont” macht mich glücklich; und ich hoffe, er soll beim Wiederlesen nicht verlieren, denn ich weiß, was ich hineingearbeitet habe, und daß sich das nicht auf einmal herauslesen läßt. Das, was ihr daran lobt, habe ich machen wollen; wenn ihr sagt, daß es gemacht ist, so habe ich meinen Endzweck erreicht. Es war eine unsäglich schwere Aufgabe, die ich ohne eine ungemessene Freiheit des Lebens und des Gemüts nie zustande gebracht hätte. Man denke, was das sagen will: ein Werk vornehmen, was zwölf Jahre früher geschrieben ist, es vollenden, ohne es umzuschreiben. Die besondern Umstände der Zeit haben mir die Arbeit erschwert und erleichtert. Nun liegen noch so zwei Steine vor mir: “Faust” und “Tasso”. Da die barmherzigen Götter mir die Strafe des Sisyphus auf die Zukunft erlassen zu haben scheinen, hoffe ich, auch diese Klumpen den Berg hinauf zu bringen. Bin ich einmal damit oben, dann soll es aufs neue angehn, und ich will mein möglichstes tun, euren Beifall zu verdienen, da ihr mir eure Liebe ohne mein Verdienst schenkt und erhaltet.

Was du von Klärchen sagst, verstehe ich nicht ganz und erwarte deinen nächsten Brief. Ich sehe wohl, daß dir eine Nuance zwischen der Dirne und der Göttin zu fehlen scheint. Da ich aber ihr Verhältnis zu Egmont so ausschließlich gehalten habe; da ich ihre Liebe mehr in den Begriff der Vollkommenheit des Geliebten, ihr Entzücken mehr in den Genuß des Unbegreiflichen, daß dieser Mann ihr gehört, als in die Sinnlichkeit setze; da ich sie als Heldin auftreten lasse; da sie im innigsten Gefühl der Ewigkeit der Liebe ihrem Geliebten nachgeht und endlich vor seiner Seele durch einen verklärenden Traum verherrlicht wird: so weiß ich nicht, wo ich die Zwischennuance hinsetzen soll, ob ich gleich gestehe, daß aus Notdurft des dramatischen Pappen–und Lattenwerks die Schattierungen, die ich oben hererzähle, vielleicht zu abgesetzt und unverbunden, oder vielmehr durch zu leise Andeutungen verbunden sind; vielleicht hilft ein zweites Lesen, vielleicht sagt mir dein folgender Brief etwas Näheres.

Angelika hat ein Titelkupfer zum “Egmont” gezeichnet, Lips gestochen, das wenigstens in Deutschland nicht gezeichnet, nicht gestochen worden wäre.

Rom, den 3. November.

Leider muß ich jetzt die bildende Kunst ganz zurücksetzen, denn sonst werde ich mit meinen dramatischen Sachen nicht fertig, die auch eine eigne Sammlung und ruhige Bearbeitung fordern, wenn etwas daraus werden soll. “Claudine” ist nun in der Arbeit, wird sozusagen ganz neu ausgeführt und die alte Spreu meiner Existenz herausgeschwungen.

Rom, den 10. November.

Kayser ist nun da, und es ist ein dreifach Leben, da die Musik sich anschließt. Es ist ein trefflich guter Mann und paßt zu uns, die wir wirklich ein Naturleben führen, wie es nur irgend auf dem Erdboden möglich ist. Tischbein kommt von Neapel zurück, und da muß leider Quartier und alles verändert werden, doch bei unsern guten Naturen wird alles in acht Tagen wieder im Gleis sein.

Ich habe der Herzogin-Mutter den Vorschlag getan, sie soll mir erlauben, die Summe von zweihundert Zechinen nach und nach für sie in verschiedenen kleinen Kunstwerken auszugeben. Unterstütze diesen Vorschlag, wie du ihn in meinem Briefe findest, ich brauche das Geld nicht gleich, nicht auf einmal. Es ist dieses ein wichtiger Punkt, dessen ganzen Umfang du ohne große Entwicklung empfinden wirst, und du würdest die Notwendigkeit und Nützlichkeit meines Rats und Erbietens noch mehr erkennen, wenn du die Verhältnisse hier wüßtest, die vor mir liegen wie meine Hand. Ich bereite ihr durch Kleinigkeiten großes Vergnügen, und wenn sie die Sachen, die ich nach und nach machen lasse, hier findet, so stille ich die Begierde zu besitzen, die bei jedem Ankömmling, er sei, wer er wolle, entsteht, und welche sie nur mit einer schmerzlichen Resignation unterdrücken oder mit Kosten und Schaden befriedigen könnte. Es ließen sich davon noch Blätter vollschreiben.

Rom, den 10. November.

Daß mein “Egmont” Beifall erhält, freut mich herzlich. Kein Stück hab’ ich mit mehr Freiheit des Gemüts und mit mehr Gewissenhaftigkeit vollbracht als dieses; doch fällt es schwer, wenn man schon anderes gemacht hat, dem Leser genugzutun; er verlangt immer etwas, wie das vorige war.

Rom, den 24. November.

Du fragst in deinem letzten Brief wegen der Farbe der Landschaft dieser Gegenden. Darauf kann ich dir sagen, daß sie bei heitern Tagen, besonders des Herbstes, so farbig ist, daß sie in jeder Nachbildung bunt scheinen muß. Ich hoffe, dir in einiger Zeit einige Zeichnungen zu schicken, die ein Deutscher macht, der jetzt in Neapel ist; die Wasserfarben bleiben so weit unter dem Glanz der Natur, und doch werdet ihr glauben, es sei unmöglich. Das Schönste dabei ist, daß die lebhaften Farben in geringer Entfernung schon durch den Luftton gemildert werden, und daß die Gegensätze von kalten und warmen Tönen (wie man sie nennt) so sichtbar dastehn. Die blauen klaren Schatten stechen so reizend von allem erleuchteten Grünen, Gelblichen, Rötlichen, Bräunlichen ab und verbinden sich mit der bläulich duftigen Ferne. Es ist ein Glanz und zugleich eine Harmonie, eine Abstufung im ganzen, wovon man nordwärts gar keinen Begriff hat. Bei euch ist alles entweder hart oder trüb, bunt oder eintönig. Wenigstens erinnere ich mich selten, einzelne Effekte gesehen zu haben, die mir einen Vorschmack von dem gaben, was jetzt täglich und stündlich vor mir steht. Vielleicht fände ich jetzt, da mein Auge geübter ist, auch nordwärts mehr Schönheiten.

Übrigens kann ich wohl sagen, daß ich nun fast die rechten geraden Wege zu allen bildenden Künsten vor mir sehe und erkenne, aber auch nun ihre Weiten und Fernen desto klarer ermesse. Ich bin schon zu alt, um von jetzt an mehr zu tun als zu pfuschen; wie es andre treiben, seh’ ich auch, finde manchen auf dem guten Pfade, keinen mit großen Schritten. Es ist also auch damit wie mit Glück und Weisheit, davon uns die Urbilder nur vorschweben, deren Kleidsaum wir höchstens berühren.

Kaysers Ankunft, und bis wir uns ein wenig mit ihm in häusliche Ordnung setzten, hatte mich einigermaßen zurückgebracht, meine Arbeiten stockten. Jetzt geht es wieder, und meine Opern sind nahe, fertig zu sein. Er ist sehr brav, verständig, ordentlich, gesetzt, in seiner Kunst so fest und sicher, als man sein kann, einer von denen Menschen, durch deren Nähe man gesunder wird. Dabei hat er eine Herzensgüte, einen richtigen Lebens–und Gesellschaftsblick, wodurch sein übrigens strenger Charakter biegsamer wird und sein Umgang eine eigene Grazie gewinnt.

Bericht November

Nun aber bei dem stillen Gedanken an ein allmähliches Loslösen ward ein neues Anknüpfen durch die Ankunft eines wackeren früheren Freundes vorbereitet, des Christoph Kayser, eines gebornen Frankfurters, der zu gleicher Zeit mit Klingern und uns andern herangekommen war. Dieser, von Natur mit eigentümlichem musikalischem Talente begabt, hatte schon vor Jahren, indem er “Scherz, List und Rache” zu komponieren unternahm, auch eine zu “Egmont” passende Musik zu liefern begonnen. Ich hatte ihm von Rom aus gemeldet, das Stück sei abgegangen und eine Kopie in meinen Händen geblieben. Statt weitläufiger Korrespondenz darüber ward tätlich gefunden, er solle selbst unverzüglich herankommen; da er denn auch nicht säumend mit dem Kurier durch Italien hindurchflog, sehr bald bei uns eintraf und in den Künstlerkreis, der sein Hauptquartier im Korso, Rondanini gegenüber, aufgeschlagen hatte, sich freundlich aufgenommen sah.

Hier aber zeigte sich gar bald statt des so nötigen Sammelns und Einens neue Zerstreuung und Zersplitterung.

Vorerst gingen mehrere Tage hin, bis ein Klavier beigeschafft, probiert, gestimmt und nach des eigensinnigen Künstlers Willen und Wollen zurechtgerückt war, wobei denn immer noch etwas zu wünschen und zu fordern übrigblieb. Indessen belohnte sich baldigst der Aufwand von Mühe und Versäumnis durch die Leistungen eines sehr gewandten, seiner Zeit völlig gemäßen, die damaligen schwierigsten Werke leicht vortragenden Talentes. Und damit der musikalische Geschichtskenner sogleich wisse, wovon die Rede sei, bemerke ich, daß zu jener Zeit Schubart für unerreichbar gehalten, sodann auch, daß als Probe eines geübten Klavierspielers die Ausführungen von Variationen geachtet wurde, wo ein einfaches Thema, auf die künstlichste Weise durchgeführt, endlich durch sein natürliches Wiedererscheinen den Hörer zu Atem kommen ließ.

Die Symphonie zu “Egmont” brachte er mit, und so belebte sich von dieser Seite mein ferneres Bestreben, welches gegenwärtig mehr als jemals aus Notwendigkeit und Liebhaberei gegen das musikalische Theater gerichtet war.

“Erwin und Elmire” sowie “Claudine von Villa Bella” sollten nun auch nach Deutschland abgesendet werden; ich hatte mich aber durch die Bearbeitung “Egmonts” in meinen Forderungen gegen mich selbst dergestalt gesteigert, daß ich nicht über mich gewinnen konnte, sie in ihrer ersten Form dahinzugeben. Gar manches Lyrische, das sie enthalten, war mir lieb und wert; es zeugte von vielen zwar töricht, aber doch glücklich verlebten Stunden, wie von Schmerz und Kummer, welchen die Jugend in ihrer unberatenen Lebhaftigkeit ausgesetzt bleibt. Der prosaische Dialog dagegen erinnerte zu sehr an jene französischen Operetten, denen wir zwar ein freundliches Andenken zu gönnen haben, indem sie zuerst ein heiteres singbares Wesen auf unser Theater herüberbrachten, die mir aber jetzt nicht mehr genügen wollten als einem eingebürgerten Italiener, der den melodischen Gesang durch einen rezitierenden und deklamatorischen wenigstens wollte verknüpft sehen.

In diesem Sinne wird man nunmehr beide Opern bearbeitet finden; ihre Kompositionen haben hie und da Freude gemacht, und so sind sie auf dem dramatischen Strom auch zu ihrer Zeit mit vorübergeschwommen.

Gewöhnlich schilt man auf die italienischen Texte, und das zwar in solchen Phrasen, wie einer dem andern nachsagen kann, ohne was dabei zu denken; sie sind freilich leicht und heiter, aber sie machen nicht mehr Forderungen an den Komponisten und an den Sänger, als inwieweit beide sich hinzugeben Lust haben. Ohne hierüber weitläufig zu sein, erinnere ich an den Text der “Heimlichen Heirat”; man kennt den Verfasser nicht, aber es war einer der geschicktesten, die in diesem Fache gearbeitet haben, wer er auch mag gewesen sein. In diesem Sinne zu handeln, in gleicher Freiheit nach bestimmten Zwecken zu wirken, war meine Absicht, und ich wußte selbst nicht zu sagen, inwiefern ich mich meinem Ziel genähert habe.

Leider aber war ich mit Freund Kayser seit geraumer Zeit schon in einem Unternehmen befangen, das nach und nach immer bedenklicher und weniger ausführbar schien. Man vergegenwärtige sich jene sehr unschuldige Zeit des deutschen Opernwesens, wo noch ein einfaches Intermezzo, wie die “Serva Padrona” von Pergolese, Eingang und Beifall fand. Damals nun produzierte sich ein deutscher Buffo namens Berger, mit einer hübschen, stattlichen, gewandten Frau, welche in deutschen Städten und Ortschaften mit geringer Verkleidung und schwacher Musik im Zimmer mancherlei heitere aufregende Vorstellungen gaben, die denn freilich immer auf Betrug und Beschämung eines alten verliebten Gecken auslaufen mochten.

Ich hatte mir zu ihnen eine dritte mittlere, leicht zu besetzende Stimme gedacht, und so war denn schon vor Jahren das Singspiel “Scherz, List und Rache” entstanden, das ich an Kaysern nach Zürich schickte, welcher aber als ein ernster, gewissenhafter Mann das Werk zu redlich angriff und zu ausführlich behandelte. Ich selbst war ja schon über das Maß des Intermezzo hinausgegangen, und das kleinlich scheinende Sujet hatte sich in so viel Singstücke entfaltet, daß selbst bei einer vorübergehenden sparsamen Musik drei Personen kaum mit der Darstellung wären zu Ende gekommen. Nun hatte Kayser die Arien ausführlich nach altem Schnitt behandelt, und man darf sagen, stellenweise glücklich genug, wie nicht ohne Anmut des Ganzen.

Allein wie und wo sollte das zur Erscheinung kommen? Unglücklicherweise litt es nach frühern Mäßigkeitsprinzipien an einer Stimmenmagerkeit; es stieg nicht weiter als bis zum Terzett, und man hätte zuletzt die Theriaksbüchsen des Doktors gern beleben mögen, um ein Chor zu gewinnen. Alles unser Bemühen daher, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat. Die “Entführung aus dem Serail” schlug alles nieder, und es ist auf dem Theater von unserm so sorgsam gearbeiteten Stück niemals die Rede gewesen.

Die Gegenwart unseres Kaysers erhöhete und erweiterte nun die Liebe zur Musik, die sich bisher nur auf theatralische Exhibitionen eingeschränkt hatte. Er war sorgfältig, die Kirchenfeste zu bemerken, und wir fanden uns dadurch veranlaßt, auch die an solchen Tagen aufgeführten solennen Musiken mit anzuhören. Wir fanden sie freilich schon sehr weltlich mit vollständigstem Orchester, obgleich der Gesang noch immer vorwaltete. Ich erinnere mich, an einem Cäcilientage zum ersten Male eine Bravourarie mit eingreifendem Chor gehört zu haben; sie tat auf mich eine außerordentliche Wirkung, wie sie solche auch noch immer, wenn dergleichen in den Opern vorkommt, auf das Publikum ausübt.

Nächst diesem hatte Kayser noch eine Tugend, daß er nämlich, weil ihm sehr um alte Musik zu tun war, ihm auch die Geschichte der Tonkunst ernstlich zu erforschen oblag, sich in Bibliotheken umsah; wie denn sein treuer Fleiß besonders in der Minerva gute Aufnahme und Fördernis gefunden hatte. Dabei aber hatte sein Bücherforschen den Erfolg, daß er uns auf die ältern Kupferwerke des sechzehnten Jahrhunderts aufmerksam machte und z. B. das “Speculum romanae magnificentiae”, die “Architekturen” von Lomazzo, nicht weniger die späteren “Admiranda Romae” und was sonst noch dergleichen sein mochte, in Erinnerung zu bringen nicht unterließ. Diese Bücher–und Blättersammlungen, zu denen wir andere denn auch wallfahrteten, haben besonders einen großen Wert, wenn man sie in guten Abdrücken vor sich sieht: sie vergegenwärtigen jene frühere Zeit, wo das Altertum mit Ernst und Scheu betrachtet und die überbleibsel in tüchtigem Charakter ausgedrückt wurden. So näherte man sich z. B. den Kolossen, wie sie noch auf dem alten Fleck im Garten Colonna standen; die Halbruine des Septizoniums Severi gab noch den ungefähren Begriff von diesem verschwundenen Gebäude; die Peterskirche ohne Fassade, das große Mittel ohne Kuppel, der alte Vatikan, in dessen Hof noch Turniere gehalten werden konnten, alles zog in die alte Zeit zurück und ließ zugleich aufs deutlichste bemerken, was die zwei folgenden Jahrhunderte für Veränderungen hervorgerufen und ungeachtet bedeutender Hindernisse das Zerstörte herzustellen, das Versäumte nachzuholen getrachtet.

Heinrich Meyer von Zürich, dessen ich schon oft zu gedenken Ursach hatte, so zurückgezogen er lebte, so fleißig er war, fehlte doch nicht leicht, wo etwas Bedeutendes zu schauen, zu erfahren, zu lernen war; denn auch die übrigen suchten und wünschten ihn, indem er sich in Gesellschaft so bescheiden als lehrreich erwies. Er ging den sichern, von Winckelmann und Mengs eröffneten Pfad ruhig fort, und weil er in der Seidelmannischen Manier antike Büsten mit Sepia gar löblich darzustellen wußte, so fand niemand mehr Gelegenheit als er, die zarten Abstufungen der frühern und spätern Kunst zu prüfen und kennen zu lernen.

Als wir nun einen von allen Fremden, Künstlern, Kennern und Laien gleich gewünschten Besuch bei Fackelschein dem Museum sowohl des Vatikans als auch des Kapitols abzustatten Anstalt machten, so gesellte er sich uns zu; und ich finde unter meinen Papieren einen seiner Aufsätze, wodurch ein solcher genußreicher Umgang durch die herrlichsten Reste der Kunst, welcher meistenteils wie ein entzückender, nach und nach verlöschender Traum vor der Seele schwebt, auch in seinen vorteilhaften Einwirkungen auf Kenntnis und Einsicht eine bleibende Bedeutung erhält.

“Der Gebrauch, die großen römischen Museen, z. B. das Museo Pio-Clementino im Vatikan, das Kapitolinische etc., beim Licht von Wachsfackeln zu besehen, scheinet in den Achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch ziemlich neu gewesen zu sein, indessen ist mir nicht bekannt, wann er eigentlich seinen Anfang genommen.

Vorteile der Fackelbeleuchtung: jedes Stück wird nur einzeln, abgeschlossen von allen übrigen betrachtet, und die Aufmerksamkeit des Beschauers bleibt lediglich auf dasselbe gerichtet; dann erscheinen in dem gewaltigen wirksamen Fackellicht alle zarten Nuancen der Arbeit weit deutlicher, alle störenden Widerscheine (zumal bei glänzend polierten Statuen beschwerlich) hören auf, die Schatten werden entschiedener, die beleuchteten Teile treten heller hervor. Ein Hauptvorteil aber ist unstreitig der, daß ungünstig aufgestellte Stücke hierdurch das ihnen gebührende Recht erhalten. So konnte man z. B. den Laokoon in der Nische, wo er stand, nur bei Fackellicht recht sehen, weil kein unmittelbares Licht auf ihn fiel, sondern bloß ein Widerschein aus dem kleinen runden, mit einer Säulenhalle umgebenen Hof des Belvedere; dasselbe war der Fall mit dem Apollo und dem sogenannten Antinous (Merkur). Noch nötiger war Fackelbeleuchtung, um den Nil wie auch den Meleager zu sehen und ihre Verdienste schätzen zu können. Keiner andern Antike ist Fackelbeleuchtung so vorteilhaft als bei dem sogenannten Phocion, weil man nur dann, nicht aber bei gewöhnlichem Licht, indem er ungünstig aufgestellt ist, die wundersam zart durch das einfache Gewand durchscheinenden Teile des Körpers wahrnehmen kann. Schön nimmt sich auch der vortreffliche Sturz eines sitzenden Bacchus aus, ebenso das obere Teil einer Bacchusstatue mit schönem Kopf und die Halbfigur eines Triton, vor allen aber das Wunder der Kunst, der nie genug zu preisende berühmte Torso.

Eingang zum Museo Pio-Clementino im Vatican. Kupferstich

Die Denkmale im Kapitolinischen Museum sind zwar überhaupt weniger wichtig als die im Museo Pio-Clementino, doch gibt es einige von großer Bedeutung, und man tut wohl, um sich von ihren Verdiensten gehörig zu unterrichten, solche bei Fackelbeleuchtung zu sehen. Der sogenannte Pyrrhus, vortrefflich gearbeitet, steht auf der Treppe und erhält gar kein Tageslicht; auf der Galerie vor den Säulen steht eine schöne halbe Figur, die für eine bekleidete Venus gehalten wird, welche von drei Seiten schwaches Licht erhält. Die nackte Venus, die schönste Statue dieser Art in Rom, erscheint bei Tageslicht nicht zu ihrem Vorteil, da sie in einem Eckzimmer aufgestellt ist, und die sogenannte schön bekleidete Juno steht an der Wand zwischen Fenstern, wo sie bloß ein wenig Streiflicht erhält; auch der so berühmte Ariadnekopf im Miszellaneenzimmer wird außer bei Fackellicht nicht in seiner ganzen Herrlichkeit gesehen. Und so sind noch mehrere Stücke dieses Museums ungünstig aufgestellt, so daß Fackelbeleuchtung durchaus notwendig wird, wenn man solche recht sehen und nach Verdiensten schätzen soll.

Wie übrigens so vieles, was geschieht, um die Mode mitzumachen, zum Mißbrauch wird, so ist es auch mit der Fackelbeleuchtung. Sie kann nur in dem Falle Gewinn bringen, wenn verstanden wird, wozu sie nütze ist. Monumente zu sehen, die, wie vorhin von einigen berichtet worden, bloß verkümmertes Tageslicht erhalten, ist sie notwendig, indem alsdann Höhen und Tiefen und übergang der Teile ineinander richtiger erkannt werden. Vornehmlich aber wird sie Werken aus der allerbesten Zeit der Kunst günstig sein (wenn nämlich der, welcher die Fackel führt, und der Beschauer wissen, worauf es ankömmt); sie wird die Massen derselben besser zeigen und die zartesten Nuancen der Arbeit hervorheben. Werke des alten Kunststils hingegen, die vom mächtigen, und selbst die vom hohen, haben nicht viel zu gewinnen, wenn sie anders sonst in hellem Lichte stehen. Denn da die Künstler damals noch des Lichts und Schattens nicht kundig waren, wie sollten sie für ihre Arbeiten auf Licht und Schatten gerechnet haben? So ist es auch mit spät gearbeiteten Werken, als die Künstler anfingen, nachlässiger zu werden, der Geschmack schon so weit gesunken war, daß auf Licht und Schatten in plastischen Werken nicht weiter geachtet, die Lehre von den Massen vergessen war. Wozu sollte Fackelbeleuchtung an Monumenten dieser Art dienen?”

Bei einer so feierlichen Gelegenheit ist es der Erinnerung gemäß, auch Herrn Hirts zu gedenken, der unserem Verein auf mehr als eine Weise nützlich und förderlich gewesen. Im Fürstenbergischen 1759 geboren, fand er nach zurückgelegten Studien der alten Schriftsteller einen unwiderstehlichen Trieb, sich nach Rom zu verfügen. Er war einige Jahre früher daselbst angekommen als ich und hatte sich auf die ernstlichste Weise mit alten und neuern Bau–und Bildwerken jeder Art bekannt gemacht und sich zu einem unterrichtenden Führer von wißbegierigen Fremden geeignet. Auch mir erwies er diese Gefälligkeit mit aufopfernder Teilnahme.

Sein Hauptstudium war die Baukunst, ohne daß er den klassischen Lokalitäten und so viel andern Merkwürdigkeiten seine Beachtung entzogen hätte. Seine theoretischen Ansichten über Kunst gaben in dem streit–und parteisüchtigen Rom vielfältige Gelegenheit zu lebhaften Diskussionen. Aus der Verschiedenheit der Ansichten kommen besonders dort, wo immer und überall von Kunst die Rede ist, gar mannigfaltig Hin–und Widerreden, wodurch der Geist in der Nähe so bedeutender Gegenstände lebhaftest angeregt und gefördert wird. Unsres Hirts Maxime ruhte auf Ableitungen griechischer und römischer Architektur von der ältesten notwendigsten Holzkonstruktion, worauf er denn Lob und Tadel der neuern Ausführung gründete und sich dabei der Geschichte und Beispiele geschickt zu bedienen wußte. Andere behaupteten dagegen, daß in der Baukunst wie in jeder andern geschmackvolle Fiktionen stattfänden, auf welche der Baukünstler niemals Verzicht tun dürfe, indem er sich in den mannigfaltigsten Fällen, die ihm vorkommen, bald auf diese, bald auf jene Weise zu helfen habe und von der strengen Regel abzuweichen genötigt sei.

In Absicht auf Schönheit geriet er auch oft mit andern Künstlern in Diskrepanz, indem er den Grund derselben ins Charakteristische legte, da ihm denn insofern diejenigen beipflichteten, welche sich überzeugt hielten, daß freilich der Charakter jedem Kunstwerk zum Grunde liegen müsse, die Behandlung aber dem Schönheitssinne und dem Geschmack anempfohlen sei, welche einen jeden Charakter in seiner Angemessenheit sowohl als in seiner Anmut darzustellen haben.

Weil aber die Kunst im Tun und nicht im Reden besteht, man aber dennoch immerfort mehr reden als tun wird, so begreift man leicht, daß dergleichen Unterhaltungen damals grenzenlos waren, wie sie es bis in die neusten Zeiten geblieben sind.

Wenn die differierenden Meinungen der Künstler zu gar mancherlei Unannehmlichkeiten, ja Entfernungen untereinander Gelegenheit gaben, so traf es sich auch wohl, obgleich selten, daß heitere Vorfälle sich bei solcher Gelegenheit ereigneten. Nachstehendes mag davon ein Beispiel sein.

Eine Anzahl Künstler hatten den Nachmittag im Vatikan zugebracht und gingen spät, um nicht den langen Weg durch die Stadt zu ihrem Quartier zu nehmen, zu dem Tor an der Kolonnade hinaus, an den Weinbergen her bis an die Tiber. Sie hatten sich unterwegs gestritten, kamen streitend ans Ufer und setzten auf der überfahrt die Unterhaltung lebhaft fort. Nun wären sie, bei Ripetta aussteigend, in den Fall gekommen, sich zu trennen und die von beiden Seiten noch überflüssig vorhandenen Argumente in der Geburt erstickt zu sehen. Sie wurden also einig, beisammen zu bleiben und wieder hinüber und herüber zu fahren und auf der schwankenden Fähre ihrer Dialektik den ferneren Lauf zu lassen. Einmal aber fand sich diese Bewegung nicht hinreichend; sie waren einmal im Zuge und verlangten von dem Fährmann mehrmalige Wiederholung. Dieser auch ließ es sich wohl gefallen, indem ein jedesmaliges Herüber und Hinüber ihm von der Person einen Bajocco eintrug, einen ansehnlichen Gewinn, den er so spät nicht mehr zu erwarten hatte. Deshalb erfüllte er ganz stillschweigend ihr Verlangen; und da ihn sein Söhnchen mit Verwunderung fragte: “Was wollen sie denn damit?”, antwortet’ er ganz ruhig: “Ich weiß nicht, aber sie sind toll.”

Ungefähr in dieser Zeit erhielt ich in einem Paket von Hause nachstehenden Brief:

“Monsieur, je ne suis pas étonné que vous ayez de mauvais lecteurs; tant de gens aiment mieux parler que sentir, mais il faut les plaindre et se fé1iciter de ne pas leur ressembler.–Oui, Monsieur, je vous dois la meilleure action de ma vie, par conséquent la racine de plusieurs autres, et pour moi votre livre est bon. Si j’avois le bonheur d’habiter le même pays que vous, j’irois vous embrasser et vous dire mon secret, mais malheureusement j’en habite un où personne ne croiroit au motif qui vient de me déterminer à cette démarche. Soyez satisfait, Monsieur, d’avoir pu, à 300 lieues de votre demeure, ramener le coeur d’un jeune homme à l’honnêteté et à la vertu, toute une famille va être tranquille, et mon coeur jouit d’une bonne action. Si j’avais des talens, des lumières ou un rang qui me fit influer sur le sort des hommes, je vous dirois mon nom, mais je ne suis rien et je sais ce que je ne voudrois être. Je souhaite, Monsieur, que vous soyez jeune, que vous ayez le goût d’écrire, que vous soyez l’époux d’une Charlotte qui n’avait point vu de Werther, et vous serez le plus heureux des hommes, car je crois que vous aimez la vertu.”

Dezember

Korrespondenz

Rom, den 1. Dezember.

So viel versichre ich dir: ich bin über die wichtigsten Punkte mehr als gewiß, und obgleich die Erkenntnis sich ins Unendliche erweitern könnte, so hab’ ich doch vom Endlich-Unendlichen einen sichern, ja klaren und mitteilbaren Begriff.

Ich habe noch die wunderlichsten Sachen vor und halte mein Erkenntnisvermögen zurück, daß nur meine tätige Kraft einigermaßen fortkomme. Denn da sind herrliche Sachen und so begreiflich wie die Flachhand, wenn man sie nur gefaßt hat.

Rom, den 7. Dezember 1787.

Diese Woche ist mit Zeichnen zugebracht worden, da es mit der Dichtung nicht fort wollte; man muß sehen und suchen, alle Epochen zu nutzen. Unsere Hausakademie geht immer fort, und wir sind bemüht, den alten Aganthyr aus dem Schlafe zu wecken; die Perspektiv beschäftigt uns des Abends, und ich suche immer dabei einige Teile des menschlichen Körpers besser und sichrer zeichnen zu lernen. Es ist nur alles Gründliche gar zu schwer und verlangt große Applikation in der Ausübung.

Angelika ist gar lieb und gut, sie macht mich auf alle Weise zu ihrem Schuldner. Den Sonntag bringen wir zusammen zu, und in der Woche sehe ich sie abends einmal. Sie arbeitet so viel und so gut, daß man gar keinen Begriff hat, wie’s möglich ist, und glaubt doch immer, sie mache nichts.

Rom, den 8. Dezember.

Wie sehr es mich ergötzt, daß dir mein Liedchen gefallen hat, glaubst du nicht, wie sehr es mich freut, einen Laut hervorzubringen, der in deine Stimmung trifft. Eben das wünscht’ ich “Egmonten”, von dem du so wenig sagst und eher, daß dir daran etwas weh als wohl tut. O, wir wissen genug, daß wir eine so große Komposition schwer ganz rein stimmen können, es hat doch im Grunde niemand einen rechten Begriff von der Schwierigkeit der Kunst als der Künstler selbst.

Es ist weit mehr Positives, das heißt Lehrbares und überlieferbares in der Kunst, als man gewöhnlich glaubt; und der mechanischen Vorteile, wodurch man die geistigsten Effekte (versteht sich immer mit Geist) hervorbringen kann, sind sehr viele. Wenn man diese kleinen Kunstgriffe weiß, ist vieles ein Spiel, was nach wunder was aussieht, und nirgends glaub’ ich, daß man mehr lernen kann in Hohem und Niedrem als in Rom.

Rom, den 15. Dezember.

Ich schreibe dir späte, um nur etwas zu schreiben. Diese Woche hab’ ich sehr vergnügt zugebracht. Es wollte die vorige Woche nicht gehen, weder mit einer noch andrer Arbeit, und da es am Montage so schön Wetter war und meine Kenntnis des Himmels mich gute Tage hoffen ließ, machte ich mich mit Kaysern und meinem zweiten Fritz auf die Beine und durchging von Dienstag bis heute abend die Plätze, die ich schon kannte, und verschiedene Seiten, die ich noch nicht kannte.

Dienstag abend erreichten wir Frascati, Mittwoch besuchten wir die schönsten Villen und besonders den köstlichen Antinous auf Monte Dragone. Donnerstag gingen wir von Frascati auf Monte Cavo über Rocca di Papa, wovon du einmal Zeichnungen haben sollst, denn Worte und Beschreibungen sind nichts; dann nach Albano herunter. Freitag schied Kayser von uns, dem es nicht ganz wohl war, und ich ging mit Fritz dem zweiten auf Aricia, Genzano, am See von Nemi her wieder auf Albano zurück. Heute sind wir auf Castel Gandolfo und Marino gegangen und von da nach Rom zurück. Das Wetter hat uns unglaublich begünstigt, es war fast das schönste Wetter des ganzen Jahrs. Außer den immergrünen Bäumen haben noch einige Eichen ihr Laub, auch junge Kastanien noch das Laub, wenngleich gelb. Es sind Töne in der Landschaft von der größten Schönheit, und die herrlichen großen Formen im nächtlichen Dunkel! Ich habe große Freude gehabt, die ich dir in der Ferne mitteile. Ich war sehr vergnügt und wohl.

Rom, den 21. Dezember.

Daß ich zeichne und die Kunst studiere, hilft dem Dichtungsvermögen auf, statt es zu hindern; denn schreiben muß man nur wenig, zeichnen viel. Dir wünsche ich nur den Begriff der bildenden Kunst mitteilen zu können, den ich jetzt habe; so subordiniert er auch noch ist, so erfreulich, weil er wahr ist und immer weiter deutet. Der Verstand und die Konsequenz der großen Meister ist unglaublich. Wenn ich bei meiner Ankunft in Italien wie neu geboren war, so fange ich jetzt an, wie neu erzogen zu sein.

Was ich bisher geschickt habe, sind nur leichtsinnige Versuche. Mit Thurneisen schicke ich eine Rolle, worauf das Beste fremde Sachen sind, die dich erfreuen werden.

Rom, den 25. Dezember.

Diesmal ist Christus unter Donner und Blitzen geboren worden, wir hatten gerade um Mitternacht ein starkes Wetter.

Der Glanz der größten Kunstwerke blendet mich nicht mehr, ich wandle nun im Anschauen, in der wahren unterscheidenden Erkenntnis. Wieviel ich hierin einem stillen, einsam fleißigen Schweizer, namens Meyer, schuldig bin, kann ich nicht sagen. Er hat mir zuerst die Augen über das Detail, über die Eigenschaften der einzelnen Formen aufgeschlossen, hat mich in das eigentliche Machen initiiert. Er ist in wenigem genügsam und bescheiden. Er genießt die Kunstwerke eigentlich mehr als die großen Besitzer, die sie nicht verstehen, mehr als andere Künstler, die zu ängstlich von der Nachahmungsbegierde des Unerreichbaren getrieben werden. Er hat eine himmlische Klarheit der Begriffe und eine englische Güte des Herzens. Er spricht niemals mit mir, ohne daß ich alles aufschreiben möchte, was er sagt, so bestimmt, richtig, die einzige wahre Linie beschreibend sind seine Worte. Sein Unterricht gibt mir, was mir kein Mensch geben konnte, und seine Entfernung wird mir unersetzlich bleiben. In seiner Nähe, in einer Reihe von Zeit hoffe ich noch auf einen Grad im Zeichnen zu kommen, den ich mir jetzt selbst kaum denken darf. Alles, was ich in Deutschland lernte, vornahm, dachte, verhält sich zu seiner Leitung wie Baumrinde zum Kern der Frucht. Ich habe keine Worte, die stille, wache Seligkeit auszudrücken, mit der ich nun die Kunstwerke zu betrachten anfange; mein Geist ist erweitert genug, um sie zu fassen, und bildet sich immer mehr aus, um sie eigentlich schätzen zu können.

Es sind wieder Fremde hier, mit denen ich manchmal eine Galerie sehe; sie kommen mir wie Wespen in meinem Zimmer vor, die gegen die Fenster fahren und die helle Scheibe für Luft halten, dann wieder abprallen und an den Wänden summen.

In den schweigenden zurücktretenden Zustand mag ich einen Feind nicht wünschen. Und wie sonst für krank und borniert gehalten zu werden, geziemt mir weniger als jemals. Denke also, mein Lieber, tue, wirke das Beste für mich und erhalte mir mein Leben, das sonst, ohne jemanden zu nutzen, zugrunde geht. Ja, ich muß sagen, ich bin dieses Jahr moralisch sehr verwöhnt worden. Ganz abgeschnitten von aller Welt, hab’ ich eine Zeitlang allein gestanden. Nun hat sich wieder ein enger Kreis um mich gezogen, die alle gut sind, alle auf dem rechten Wege, und das ist nur das Kennzeichen, daß sie es bei mir aushalten können, mich mögen, Freude in meiner Gegenwart finden, je mehr sie denkend und handelnd auf dem rechten Wege sind. Denn ich bin unbarmherzig, unduldsam gegen alle, die auf ihrem Wege schlendern oder irren und doch für Boten und Reisende gehalten werden wollen. Mit Scherz und Spott treib’ ich’s so lang, bis sie ihr Leben ändern oder sich von mir scheiden. Hier, versteht sich, ist nur von guten, graden Menschen die Rede, Halb–und Schiefköpfe werden gleich ohne Umstände mit der Wanne gesondert. Zwei Menschen danken mir schon ihre Sinnes–und Lebensänderung, ja dreie, und werden sie mir zeitlebens danken. Da, auf dem Punkte der Wirkung meines Wesens, fühl’ ich die Gesundheit meiner Natur und ihre Ausbreitung; meine Füße werden nur krank in engen Schuhen, und ich sehe nichts, wenn man mich vor eine Mauer stellt.

Bericht

Dezember

Der Monat Dezember war mit heiterem, ziemlich gleichem Wetter eingetreten, wodurch ein Gedanke rege ward, der einer guten frohen Gesellschaft viel angenehme Tage verschaffen sollte. Man sagte nämlich: Stellen wir uns vor, wir kämen soeben in Rom an und müßten als eilige Fremde geschwind von den vorzüglichsten Gegenständen uns unterrichten. Beginnen wir einen Umgang in diesem Sinne, damit das schon Bekannte möchte in Geist und Sinn wieder neu werden.

Die Ausführung des Gedankens ward alsobald begonnen und mit einiger Stetigkeit so ziemlich durchgesetzt; leider daß von manchem Guten, welches bei dieser Gelegenheit bemerkt und gedacht worden, nur wenig übriggeblieben. Briefe, Notizen, Zeichnungen und Entwürfe mangeln von dieser Epoche fast gänzlich, einiges werde jedoch hievon kürzlich mitgeteilt.

Unterhalb Roms, eine Strecke nicht weit von der Tiber, liegt eine mäßig große Kirche, “Zu den drei Brünnlein” genannt; diese sind, so erzählt man, bei Enthauptung des heiligen Paulus durch sein Blut hervorgerufen worden und quellen noch bis auf den heutigen Tag.

Ohnehin ist die Kirche niedrig gelegen, und da vermehren denn freilich die in ihrem Innern hervordringenden Röhrbrunnen eine dunstige Feuchtigkeit. Das Innere steht wenig geschmückt und beinahe verlassen, nur für einen seltenen Gottesdienst, reinlich, wenngleich moderhaft, gehegt und besorgt. Was ihr aber zur größten Zierde dient, sind Christus und seine Apostel, die Reihe her an den Pfeilern des Schiffs, nach Zeichnungen Raffaels farbig in Lebensgröße gemalt. Dieser außerordentliche Geist hat jene frommen Männer, die er sonst am rechten Orte in versammelter Schar als übereinstimmend gekleidet vorgeführt, hier, da jeder Einzelne abgesondert auftritt, jeden auch mit besonderer Auszeichnung abgebildet, nicht als wenn er im Gefolge des Herrn sich befände, sondern als wenn er nach der Heimfahrt desselben, auf seine eignen Füße gestellt, nunmehr seinem Charakter gemäß das Leben durchzuwirken und auszudulden habe.

Um uns aber von den Vorzügen dieser Bilder auch in der Ferne zu belehren, sind uns Nachbildungen der Originalzeichnungen von der treuen Hand Mark Antons übriggeblieben, welche uns öfters Gelegenheit und Anlaß gaben, unser Gedächtnis aufzufrischen und unsere Bemerkungen niederzuschreiben. Wir fügen den Auszug eines Aufsatzes bei, der in dem Jahre 1791 in den “Deutschen Merkur” aufgenommen worden.

“Die Aufgabe, einen verklärten Lehrer mit seinen zwölf ersten und vornehmsten Schülern, welche ganz an seinen Worten und an seinem Dasein hingen und größtenteils ihren einfachen Wandel mit einem Märtyrertode krönten, gebührend vorzustellen, hat er mit einer solchen Einfalt, Mannigfaltigkeit, Herzlichkeit und mit so einem reichen Kunstverständnis gelöst, daß wir diese Blätter für eins der schönsten Monumente seines glücklichen Daseins halten können.

Was uns von ihrem Charakter, Stande, Beschäftigung, Wandel und Tode in Schriften oder durch Traditionen übriggeblieben, hat er auf das zarteste benutzt und dadurch eine Reihe von Gestalten hervorgebracht, welche, ohne einander zu gleichen, eine innere Beziehung aufeinander haben. Wir wollen sie einzeln durchgehen, um unsre Leser auf die interessante Sammlung aufmerksam zu machen.

Petrus. Er hat ihn gerad von vorne gestellt und ihm eine feste gedrungene Gestalt gegeben. Die Extremitäten sind bei dieser wie bei einigen andern Figuren ein wenig groß gehalten, wodurch die Figur etwas kürzer scheint. Der Hals ist kurz, und die kurzen Haare sind unter allen dreizehn Figuren am stärksten gekraust. Die Hauptfalten des Gewandes laufen in der Mitte des Körpers zusammen, das Gesicht sieht man wie die übrige Gestalt ganz von vorn. Die Figur ist in sich fest zusammengenommen und steht da wie ein Pfeiler, der eine Last zu tragen imstande ist.

Paulus ist auch stehend abgebildet, aber abgewendet, wie einer, der gehen will und nochmals zurücksieht; der Mantel ist aufgezogen und über den Arm, in welchem er das Buch hält, geschlagen; die Füße sind frei, es hindert sie nichts am Fortschreiten; Haare und Bart bewegen sich wie Flammen, und ein schwärmerischer Geist glüht auf dem Gesichte.

Johannes. Ein edler Jüngling mit langen, angenehmen, nur am Ende krausen Haaren. Er scheint zufrieden, ruhig, die Zeugnisse der Religion, das Buch und den Kelch, zu besitzen und vorzuzeigen. Es ist ein sehr glücklicher Kunstgriff, daß der Adler, indem er die Flügel hebt, das Gewand sogleich mit in die Höhe nimmt, und durch dieses Mittel die schön angelegten Falten in die vollkommenste Lage gesetzt werden.

Matthäus. Ein wohlhabender, behaglicher, auf seinem Dasein beruhender Mann. Die allzugroße Ruhe und Bequemlichkeit ist durch einen ernsthaften, beinahe scheuen Blick ins Gleichgewicht gebracht; die Falten, die über den Leib geschlagen sind, und der Geldbeutel geben einen unbeschreiblichen Begriff von behaglicher Harmonie.

Thomas ist eine der schönsten, in der größten Einfalt ausdruckvollsten Figuren. Er steht in seinen Mantel zusammengenommen, der auf beiden Seiten fast symmetrische Falten wirft, die aber durch ganz leise Veränderungen einander völlig unähnlich gemacht worden sind. Stiller, ruhiger, bescheidner kann wohl kaum eine Gestalt gebildet werden. Die Wendung des Kopfes, der Ernst, der beinahe traurige Blick, die Feinheit des Mundes harmonieren auf das schönste mit dem ruhigen Ganzen. Die Haare allein sind in Bewegung, ein unter einer sanften Außenseite bewegtes Gemüt anzuzeigen.