Windstille auf dem Meer, der gewisse Vorbote des Sturms und Untergangs sein w¸rde. Er zeigte, daï¬ die Tugend, dieses geheiligte Palladium der Freistaaten, an dessen Erhaltung ihre Gesetzgeber das ganze Gl¸ck derselben gebunden hâ°tten, eine Art von unsichtbaren und durch verjâ°hrten Aberglauben geheiligten GËtzen sei, an denen nichts als der Name verehrt werde; daï¬ man in diesen Staaten einen stillschweigenden Vertrag mit einander gemacht zu haben scheinen sich durch den Namen und ein gewisses Phantom von Gerechtigkeit, Mâ°ï¬igung, Uneigenn¸tzigkeit, Liebe des Vaterlandes und des gemeinen Besten von einander betr¸gen zu lassen; und daï¬ unter der Maske dieser politischen Heuchelei, unter dem ehrw¸rdigen Namen aller dieser Tugenden, das Gegenteil derselben nirgends unverschâ°mter ausge¸bt werde. Es w¸rden, meinte er, eine Menge besonderer Umstâ°nde, welche sich in etlichen tausend Jahren kaum einmal in irgend einem Winkel des Erdbodens zusammenfinden kËnnten, dazu erfordert, um eine Republik in dieser Mittelmâ°ï¬igkeit zu erhalten, ohne welche sie von keinem Bestand sein kËnne: Und daher daï¬ dieser Fall so selten sei, und von so vielen zufâ°lligen Ursachen abhange, komme es, daï¬ die meisten Republiken entweder zu schwach wâ°ren, ihren B¸rgern die mindeste Sicherheit zu gewâ°hren; oder daï¬ sie nach einer GrËï¬e strebten, welche nach einer Folge von Miï¬helligkeiten, Kabalen, VerschwËrungen und B¸rgerkriegen endlich den Untergang des Staats nach sich ziehe, und demjenigen, welcher Meister vom Kampf-Platze bliebe, nichts als EinËden zu bevËlkern und Ruinen wieder aufzubauen ¸berlasse. So gar die Freiheit, auf welche diese Staaten mit Ausschluï¬ aller andern Anspruch machten, finde kaum in den despotischen Reichen Asiens weniger Platz; weil entweder das Volk sich dem¸tiglich gefallen lassen m¸sse, was die Edeln und Reichen, ihrem besondern Interesse gemâ°ï¬, schlËssen und handelten; oder wenn das Volk selbst den Gesetzgeber und Richter mache, kein ehrlicher Mann sicher sei, daï¬ er nicht morgen das Opfer derjenigen sein werde, denen seine Verdienste im Wege stehen, oder die durch sein Ansehen und VermËgen reicher und grËï¬er zu werden hoffeten. In keinem andern Staat sei es weniger erlaubt von seinen Fâ°higkeiten Gebrauch zu machen, selbst zu denken, und ¸ber wichtige Gegenstâ°nde dasjenige was man f¸r gemeinn¸tzlich halte, ohne Gefahr, bekannt werden zu lassen; alle Vorschlâ°ge zu Verbesserungen w¸rden unter dem verhaï¬ten Namen der Neuerungen verworfen, und zËgen ihren Urhebern geheime oder Ëffentliche Verfolgungen zu. Selbst die Grundpfeiler der menschlichen Gl¸ckseligkeit, und dasjenige, was den gesitteten Menschen eigentlich von dem Wilden und Barbaren unterscheide, Wahrheit, Tugend, Wissenschaften, und die liebensw¸rdigen K¸nste der Musen, seien in diesen Staaten verdâ°chtig oder gar verhaï¬t; w¸rden durch tausend im Finstern schleichende Mittel entkrâ°ftet, an ihrem Fortgang verhindert, oder doch gewiï¬ weder aufgemuntert noch belohnt; und allein zu Unterst¸tzung der herrschenden Vorurteile und Miï¬brâ°uche verurteilt–Doch genug!–wir haben zu viel Ursache g¸nstiger von freien Staaten zu denken–wenn es auch nur darum wâ°re, weil wir die Ehre haben unter einer Nation zu leben, deren Verfassung selbst republikanisch ist, und in der Tat die wunderbarste Art von Republik vorstellt, welche jemals auf dem Erdboden gesehen worden ist–als daï¬ wir diesen Auszug einer f¸r den Ruhm der Freistaaten so nachteiligen Rede ohne Widerwillen sollten fortsetzen kËnnen. Es geschah aus diesem nâ°mlichen Grunde, daï¬ wir, anstatt den Diskurs des Agathon seinem ganzen Umfange nach aus unsrer Urkunde abzuschreiben, uns begn¸gt haben, einige Z¸ge davon, als eine wiewohl sehr unvollkommene Probe des Ganzen anzuf¸hren. Ferne soll es allezeit von uns sein, irgend einem Erdenbewohner die Stellung worin er sich befindet, unangenehmer zu machen, als sie ihm bereits sein mag; oder Anlaï¬ zu geben, daï¬ die Gebrechen einiger lâ°ngst zerstËrten Griechischen Republiken, aus denen Agathon seine Gemâ°lde hernahm, zur Verunglimpfung derjenigen miï¬braucht werden kËnnten, welche in neuern Zeiten als ehrw¸rdige Freistâ°dte und Zufluchts-Plâ°tze der Tugend, der gesunden Denkungs-Art, der Ëffentlichen Gl¸ckseligkeit und einer politischen Gleichheit, welche sich der nat¸rlichen mËglichst nâ°hert, angesehen werden kËnnen. Unsrer ¸brigens ganz unmaï¬geblichen Meinung nach, gehËrt die Frage, ¸ber welche hier disputiert wurde, unter die wichtigen Fragen–ob Scaramuz, ob Scapin besser tanze–und so viele andre von diesem Schlage, (wenn sie gleich ein ernsthafteres Ansehen haben) wor¸ber bis auf unsre Tage so viel Zeit und M¸he–von Gâ°nsespulen, Papier und Dinte nichts zu sagen–verloren worden, ohne daï¬ sich absehen lieï¬e, wie, worin oder um wieviel die Welt jemals durch ihre AuflËsung sollte gebessert werden kËnnen. Wir kËnnten diese unsre Meinung rechtfertigen; aber es ist unnËtig; ein jeder hat die Freiheit anders zu meinen wenn er will, ohne daï¬ wir ihn zur Rechenschaft ziehen werden; hanc veniam petimus, damusque vicissim; denn in der Tat, ein Buch w¸rde niemalen zu Ende kommen, wenn der Autor schuldig wâ°re, alles zu beweisen, und sich ¸ber alles zu rechtfertigen. Wir ¸bergehen also auch, aus einem andern Grunde, den wir den Liebhabern der Râ°tsel und Logogryphen zu erraten geben, die Lobrede, welche Agathon der monarchischen Staats-Verfassung hielt. Die Beherrscher der Welt scheinen (mit Recht, w¸rde Philistus sagen, denn ich machte es an ihrem Platz auch so) ordentlicher Weise sehr gleichg¸ltig ¸ber die Meinung zu sein, welche man von ihrer Regierungs-Art hat–Es gibt Fâ°lle, wir gestehen es, wo dieses eine Ausnahme leidet–aber diese Fâ°lle begegnen selten, wenn man die Vorsichtigkeit gebraucht, hundert und f¸nfzigtausend wohlbewaffnete Leute bereit zu halten, mit deren Beistand man sehr wahrscheinlich hoffen kann, sich ¸ber die Meinung aller friedsamen Leute in der ganzen Welt hinwegsetzen zu kËnnen. Sind nicht eben diese hundert und f¸nfzigtausend–oder wenn ihrer auch mehr sind; desto besser!–ein lebendiger, augenscheinlicher, ja der beste Beweis, der alle andre unnËtig macht, daï¬ eine Nation gl¸cklich gemacht wird?–Genug also (und dieser Umstand allein gehËrt wesentlich zu unsrer Geschichte) daï¬ diese Rede, worin Agathon alle Gebrechen verdorbener Freistaaten und alle Vorz¸ge wohlregierter Monarchien, in zwei kontrastierende Gemâ°lde zusammendrâ°ngte, das Gl¸ck hatte, alle Stimmen davon zu tragen, alle ZuhËrer zu ¸berreden, und dem Redner eine Bewunderung zu zuziehen, welche den Stolz des eitelsten Sophisten hâ°tte sâ°ttigen kËnnen. Jedermann war von einem Manne bezaubert, welcher so seltne Gaben mit einer so groï¬en Denkungs-Art und mit so menschenfreundlichen Gesinnungen vereinigte. Denn Agathon hatte nicht die Tyrannie, sondern die Regierung eines Vaters angepriesen, der seine Kinder wohl erzieht und gl¸cklich zu machen sucht. Man sagte sich selbst, was f¸r goldene Tage Sicilien sehen w¸rde, wenn ein solcher Mann das Ruder f¸hrte. Er hatte nicht vergessen, im Eingang seines Diskurses dem Verdacht vorzukommen, als ob er die Republiken aus Rachsucht schelte, und die Monarchie aus Schmeichelei und geheimen Absichten erhebe: Er hatte bei dieser Gelegenheit zu erkennen gegeben, daï¬ er entschlossen sei, nach Tarent ¸berzugehen, um in der ruhigen Dunkelheit des Privatstandes, welchen er seiner Neigung nach allen andern vorziehe, dem Nachforschen der Wahrheit und der Verbesserung seines Gem¸ts obzuliegen–(Redensarten, die in unsern Tagen seltsam und lâ°cherlich klingen w¸rden, aber damals ihre Bedeutung und W¸rde noch nicht gâ°nzlich verloren hatten.) Jedermann tadelte oder bedaurte diese Entschlieï¬ung, und w¸nschte, daï¬ Dionys alles anwenden mËchte, ihn davon zur¸ckzubringen. Niemalen hatte sich die Neigung des Prinzen mit den W¸nschen seines Volkes so gleichstimmig befunden wie dieses mal. Die starke Zuneigung, die er f¸r die Person unsers Helden, und die hohe Meinung, die er von seinen Fâ°higkeiten gefasset hatte, war durch diesen Diskurs auf den hËchsten Grad gestiegen. So wenig bestâ°ndiges auch in Dionysens Charakter war, so hatte er doch seine Augenblicke, wo er w¸nschte, daï¬ es weniger Verleugnung kosten mËchte, ein guter F¸rst zu sein. Die Beredsamkeit Agathons hatte ihn wie die ¸brige ZuhËrer mit sich fortgerissen; er f¸hlte die SchËnheit seiner Gemâ°lde, und vergaï¬ dar¸ber, daï¬ eben diese Gemâ°lde eine Art von Satyre ¸ber ihn selbst enthielten. Er setzte sich vor, dasjenige zu erf¸llen, was Agathon auf eine stillschweigende Art von seiner Regierung versprochen hatte; und um sich die Pflichten, die ihm dieser Vorsatz auferlegte, zu erleichtern, wollte er sie durch eben denjenigen aus¸ben lassen, der so gut davon reden konnte. Wo konnte er ein tauglicheres Instrument finden, den Syracusanern seine Regierung beliebt zu machen? Wo konnte er einen andern Mann finden, der so viele angenehme Eigenschaften mit so vielen n¸tzlichen vereinigte?–Dionys hatte sich, wie wir schon bemerkt haben, angewËhnt, zwischen seine Entschlieï¬ungen und ihre Ausf¸hrung so wenig Zeit zu setzen als mËglich war. Alles was er einmal wollte, das wollte er hastig und ungeduldig; denn, in so fern er sich selbst ¸berlassen blieb, sah er eine Sache nur von einer Seite an; und dieses mal entdeckte er sich niemand als dem Aristipp, der nichts vergaï¬, was ihn in seinem Vorhaben bestâ°rken konnte. Dieser Philosoph erhielt also den Auftrag, dem Agathon Vorschlâ°ge zu tun. Agathon entschuldigte sich mit seiner Abneigung vor dem geschâ°ftigen Leben, und bestimmte den Tag seiner Abreise. Dionys wurde dringender. Agathon bestand auf seiner Weigerung, aber mit einer so bescheidenen Art, daï¬ man hoffen konnte, er werde sich bewegen lassen. In der Tat war seine Absicht nur, die Zuneigung eines so wenig zuverlâ°ssigen Prinzen zuvor auf die Probe zu stellen, eh er sich in Verbindungen einlassen wollte, welche f¸r das Gl¸ck anderer und f¸r seine eigene Ruhe so gute oder so schlimme Folgen haben konnten.
Endlich, da er Ursache hatte zu glauben, daï¬ die Hochachtung die er ihm eingeflËï¬t hatte, etwas mehr als ein launischer Geschmack sei, gab er seinem Anhalten nach; aber nicht anders als unter gewissen Bedingungen, welche ihm Dionys zugestehen muï¬te. Er erklâ°rte sich, daï¬ er allein in der Qualitâ°t seines Freundes an seinem Hofe bleiben wollte, so lange als ihn Dionys daf¸r erkennen, und seiner Dienste nËtig zu haben glauben w¸rde; er wollte sich aber auch nicht fesseln lassen, und die Freiheit behalten sich zur¸ckzuziehen, so bald er sâ°he, daï¬ sein Dasein zu nichts n¸tze sei. Die einzige Belohnung, welche er sich bef¸gt halte f¸r seine Dienste zu verlangen, sei diese, daï¬ Dionys seinen Râ°ten folgen mËchte, so lange er werde zeigen kËnnen, daï¬ dadurch jedesmal das Beste der Nation, und die Sicherheit, der Ruhm und die Privat-Gl¸ckseligkeit des Prinzen zugleich befËrdert werde. Endlich bat er sich noch aus, daï¬ Dionys niemals einige heimliche Eingebungen oder Anklagen gegen ihn annehmen mËchte, ohne ihm solche offenherzig zu entdecken, und seine Verantwortung anzuhËren.
Dionys bedachte sich um so weniger, alle diese Bedingungen zu unterschreiben, da er entschlossen war ihn zu haben, wenn es auch die Hâ°lfte seines Reichs kosten sollte. Agathon bezog also die Wohnung, welche man im Palast aufs prâ°chtigste f¸r ihn ausger¸stet hatte; Dionys erklâ°rte Ëffentlich, daï¬ man sich in allen Sachen an seinen Freund Agathon, wie an ihn selbst, wenden kËnne; die HËflinge stritten in die Wette, wer dem neuen G¸nstling seine Unterw¸rfigkeit auf die sklavenmâ°ï¬igste Art beweisen kËnne; und Syracus sah mit froher Erwartung der Wiederkunft der Saturnischen Zeiten entgegen.
Wir machen hier eine kleine Pause, um dem Leser Zeit zu lassen, dasjenige zu ¸berlegen, was er sich selbst in diesem Augenblick f¸r oder wider unsern Helden zu sagen haben mag. Vermutlich mag einigen der Eifer miï¬fâ°llig gewesen sein, womit er, aus Haï¬ gegen sein undankbares Vaterland, wider die Republiken ¸berhaupt gesprochen; indessen daï¬ vielleicht andere sein ganzes Betragen, seit dem wir ihn an dem Hofe des KËnigs Dionys sehen, einer gek¸nstelten Klugheit, welche nicht in seinem Charakter sei, und ihm eine schielende Farbe gebe, beschuldigen werden. Wir haben uns schon mehrmalen erklâ°rt, daï¬ wir in diesem Werke die Pflichten eines Geschichtschreibers und nicht eines Apologisten ¸bernommen haben; indessen bleibt uns doch erlaubt, von den Handlungen eines Mannes, dessen Leben wir zwar nicht f¸r ein Muster, aber doch f¸r ein lehrreiches Beispiel geben, eben so frei nach unserm Gesichtspunkt zu urteilen, als es unsre Leser aus dem ihrigen tun mËgen. Was also den ersten Punkt betrifft, so haben wir bereits erinnert, daï¬ es unbillig sein w¸rde, dasjenige was Agathon wider die Republiken seiner Zeit gesprochen, f¸r eine, von ihm gewiï¬ nicht abgezielte, Beleidigung solcher Freistaaten anzusehen, welche (wie er als mËglich erkannt hat) unter dem Einfluï¬ g¸nstiger Umstâ°nde, durch ihre Lage selbst vor auswâ°rtigem Neid, und vor ausschweifenden VergrËï¬erungs-Gedanken gesichert, durch weise Gesetze, und was noch mehr ist, durch die Macht der Gewohnheit, in einer gl¸ckseligen Mittelmâ°ï¬igkeit fortdauern, und die Gebrechen kaum dem Namen nach kennen, welche Agathon an den Republiken seiner Zeit f¸r unheilbar angesehen. Ob er aber diesen letztern zuviel getan habe, mËgen diejenigen entscheiden, welche mit den besondern Umstâ°nden ihrer Geschichte bekannt sind. Hat die Empfindung des Unrechts, welches ihm selbst zu Athen zugef¸gt worden, etwas Galle in seine Kritik gemischt; so ersuchen wir unsre Leser (nicht dem Agathon zu lieb; denn was kann diesem durch ihre Meinung von ihm zu–oder abgehen?) sich an seinen Platz zu stellen, und sich alsdann zu fragen, wie wert ihnen ein Vaterland sein w¸rde, welches ihnen so mitgespielt hâ°tte? Sie mËgen sich erinnern, daï¬ es insgemein nur auf eine kleine Beleidigung ihrer Eigenliebe ankommt, um ihre Hochachtung gegen eine Person in Verachtung, ihre Liebe in Abscheu, ihre Lobspr¸che in Schmâ°hreden, ihre guten Dienste in Verfolgungen zu verwandeln. “Wie oft, meine Herren, hat sich schon um einer nichts bedeutenden Ursache willen, ihre ganze Denkungs-Art von Personen und Sachen geâ°ndert?–Antworten Sie Sich selbst so leise als Sie wollen; denn wir verlangen nichts davon zu hËren; und wenn Sie, nach diesem kleinen Blick in sich selbst, unserm Helden nicht vergeben kËnnen, daï¬ er ein Vaterland nicht liebte, welches alles mËgliche getan hatte, sich ihm verhaï¬t zu machen: So m¸ssen wir zwar die Strenge ihrer Sittenlehre bewundern; aber–doch gestehen, daï¬ wir Sie noch mehr bewundern w¸rden, wenn Sie so lange, bis Sie gelernt hâ°tten etwas weniger Parteilichkeit f¸r sich selbst zu hegen, etwas mehr Nachsicht gegen andre sich empfohlen sein lassen wollten.”
¸berhaupt hat man Ursache zu glauben, daï¬ Agathon gesprochen habe wie er dachte, und das ist zu Rechtfertigung seiner Redlichkeit genug. Und warum sollten wir an dieser zu zweifeln anfangen? Sein ganzes Betragen, wâ°hrend daï¬ er das Herz des Tyrannen in seinen Hâ°nden hatte, bewies, daï¬ er keine Absichten hegete, welche ihn genËtiget hâ°tten, ihm gegen seine ¸berzeugung zu schmeicheln. Es ist wahr, er hatte Absichten, bei allem was er von dem Augenblick, da er den Fuï¬ in Dionysens Palast setzte, tat; sollte er vielleicht keine gehabt haben? Was kËnnen wir, nach der â°uï¬ersten Schâ°rfe, mehr fodern, als daï¬ seine Absichten edel und tugendhaft sein sollen; und so waren sie, wie wir bereits gesehen haben. Es scheint also nicht, daï¬ man Grund habe, ihm aus der Vorsichtigkeit einen Vorwurf zu machen, womit er, in der neuen und schl¸pfrigen Situation, worin er war, alle seine Handlungen einrichten muï¬te, wenn sie Mittel zu seinen Absichten werden sollten. Wir geben zu, daï¬ eine Art von Zur¸ckhaltung und Feinheit daraus hervorblickt, welche nicht ganz in seinem vorigen Charakter zu sein scheint. Aber das verdient an sich selbst keinen Tadel. Es ist noch nicht ausgemacht, ob diese Unverâ°nderlichkeit der Denkungs-Art und Verhaltungs-Regeln, worauf manche ehrliche Leute sich so viel zu gute tun, eine so groï¬e Tugend ist, als sie sich vielleicht einbilden. Die Eigenliebe schmeichelt uns zwar sehr gerne, daï¬ wir so wie wir sind, am besten sind; aber sie hat Unrecht uns so zu schmeicheln. Es ist unmËglich, daï¬ indem alles um uns her sich verâ°ndert, wir allein unverâ°nderlich sein sollten; und wenn es auch nicht unmËglich wâ°re, so wâ°r’ es unschicklich. Andre Zeiten erfordern andre Sitten; andre Umstâ°nde, andre Bestimmungen und Wendungen unsers Verhaltens. In moralischen Romanen finden wir freilich Helden, welche sich immer in allem gleich bleiben–und darum zu loben sind–denn wie sollte es anders sein, da sie in ihrem zwanzigsten Jahre Weisheit und Tugend bereits in eben dem Grade der Vollkommenheit besitzen, den die Socraten und Epaminondas nach vielfachen Verbesserungen ihrer selbst kaum im sechzigsten erreicht haben? Aber im Leben finden wir es anders. Desto schlimmer f¸r die, welche sich da immer selbst gleich bleiben–Wir reden nicht von Toren und Lasterhaften–die Besten haben an ihren Ideen, Urteilen, Empfindungen, selbst an dem worin sie vortrefflich sind, an ihrem Herzen, an ihrer Tugend, unendlich viel zu verâ°ndern. Und die Erfahrung lehrt, daï¬ wir selten zu einer neuen Entwicklung unsrer Selbst, oder zu einer merklichen Verbesserung unsers vorigen innerlichen Zustandes gelangen, ohne durch eine Art von Medium zu gehen, welches eine falsche Farbe auf uns reflektiert, und unsre wahre Gestalt eine Zeitlang verdunkelt. Wir haben unsern Helden bereits in verschiedenen Situationen gesehen; und in jeder, durch den Einfluï¬ der Umstâ°nde, ein wenig anders als er w¸rklich ist. Er schien zu Delphi ein bloï¬er spekulativer Enthusiast; und man hat in der Folge gesehen, daï¬ er sehr gut zu handeln wuï¬te. Wir glaubten, nachdem er die schËne Cyane gedem¸tiget hatte, daï¬ ihm die Verf¸hrungen der Wollust nichts anhaben kËnnten, und Danae bewies, daï¬ wir uns betrogen hatten; es wird nicht mehr lange anstehen, so wird eine neue vermeinte Danae, welche seine schwache Seite ausfindig gemacht zu haben glauben mag, sich eben so betrogen finden. Er schien nach und nach ein andâ°chtiger Schwâ°rmer, ein Platonist, ein Republikaner, ein Held, ein Stoiker, ein Woll¸stling; und war keines von allen, ob er gleich in verschiedenen Zeiten durch alle diese Klassen ging, und in jeder eine N¸ance von derselben bekam. So wird es vielleicht noch eine Zeitlang gehen–Aber von seinem Charakter, von dem was er w¸rklich war, worin er sich unter allen diesen Gestalten gleich blieb, und was zuletzt, nachdem alles Fremde und Heterogene durch die ganze Folge seiner Umstâ°nde davon abgeschieden sein wird, ¸brig bleiben mag–davon kann dermalen die Rede noch nicht sein. Ohne also eben so voreilig ¸ber ihn zu urteilen, wie man gewohnt ist, es im tâ°glichen Leben alle Augenblicke zu tun–wollen wir fortfahren, ihn zu beobachten, die wahren Triebrâ°der seiner Handlungen so genau als uns mËglich sein wird auszuspâ°hen, keine geheime Bewegung seines Herzens, welche uns einigen Aufschluï¬ hier¸ber geben kann, entwischen lassen, und unser Urteil ¸ber das Ganze seines moralischen Wesens so lange zur¸ckhalten, bis–wir es kennen werden.
ZEHENTES BUCH
ERSTES KAPITEL
Von Haupt–und Staats-Aktionen. Betragen Agathons am Hofe des KËnigs Dionys
Man tadelt an Shakespear–demjenigen unter allen Dichtern seit Homer, der die Menschen, vom KËnige bis zum Bettler, und von Julius Câ°sar bis zu Jack Fallstaff am besten gekannt, und mit einer Art von unbegreiflicher Intuition durch und durch gesehen hat–daï¬ seine St¸cke keinen, oder doch nur einen sehr fehlerhaften unregelmâ°ï¬igen und schlecht ausgesonnenen Plan haben; daï¬ komisches und tragisches darin auf die seltsamste Art durch einander geworfen ist, und oft eben dieselbe Person, die uns durch die r¸hrende Sprache der Natur, Trâ°nen in die Augen gelockt hat, in wenigen Augenblicken darauf uns durch irgend einen seltsamen Einfall oder barokischen Ausdruck ihrer Empfindungen wo nicht zu lachen macht, doch dergestalt abk¸hlt, daï¬ es ihm hernach sehr schwer wird, uns wieder in die Fassung zu setzen, worin er uns haben mËchte.–Man tadelt das–und denkt nicht daran, daï¬ seine St¸cke eben darin nat¸rliche Abbildungen des menschlichen Lebens sind.
Das Leben der meisten Menschen, und (wenn wir es sagen d¸rften) der Lebenslauf der groï¬en Staats-KËrper selbst, in so fern wir sie als eben so viel moralische Wesen betrachten, gleicht den Haupt–und Staats-Aktionen im alten gothischen Geschmack in so vielen Punkten, daï¬ man beinahe auf die Gedanken kommen mËchte, die Erfinder dieser letztern seien kl¸ger gewesen als man gemeiniglich denkt, und hâ°tten, wofern sie nicht gar die heimliche Absicht gehabt, das menschliche Leben lâ°cherlich zu machen, wenigstens die Natur eben so getreu nachahmen wollen, als die Griechen sich angelegen sein lieï¬en sie zu verschËnern. Um itzo nichts von der zufâ°lligen â°hnlichkeit zu sagen, daï¬ in diesen St¸cken, so wie im Leben, die wichtigsten Rollen sehr oft gerade durch die schlechtesten Acteurs gespielt werden–was kann â°hnlicher sein, als es beide Arten der Haupt–und Staats-Aktionen einander in der Anlage, in der Abteilung und Disposition der Szenen, im Knoten und in der Entwicklung zu sein pflegen. Wie selten fragen die Urheber der einen und der andern sich selbst, warum sie dieses oder jenes gerade so und nicht anders gemacht haben? Wie oft ¸berraschen sie uns durch Begebenheiten, zu denen wir nicht im mindesten vorbereitet waren? Wie oft sehen wir Personen kommen und wieder abtreten, ohne daï¬ sich begreifen lâ°ï¬t, warum sie kamen, oder warum sie wieder verschwinden? Wie viel wird in beiden dem Zufall ¸berlassen? Wie oft sehen wir die grËï¬esten W¸rkungen durch die armseligsten Ursachen hervorgebracht? Wie oft das Ernsthafte und Wichtige mit einer leichtsinnigen Art, und das Nichtsbedeutende mit lâ°cherlicher Gravitâ°t behandelt? Und wenn in beiden endlich alles so klâ°glich verworren und durch einander geschlungen ist, daï¬ man an der MËglichkeit der Entwicklung zu verzweifeln anfâ°ngt; wie gl¸cklich sehen wir durch irgend einen unter Blitz und Donner aus papiernen Wolken herabspringenden Gott, oder durch einen frischen Degen-Hieb den Knoten auf einmal zwar nicht aufgelËst, aber doch aufgeschnitten, welches in so fern auf eines hinaus lauft, daï¬ auf die eine oder andere Art das St¸ck ein Ende hat, und die Zuschauer klatschen oder zischen kËnnen, wie sie wollen oder–d¸rfen. ¸brigens weiï¬ man, was f¸r eine wichtige Person in den komischen TragËdien, wovon wir reden, der edle Hans Wurst vorstellt, der sich, vermutlich zum ewigen Denkmal des Geschmacks unsrer Voreltern, auf dem Theater der Hauptstadt des deutschen Reichs erhalten zu wollen scheint. Wollte Gott, daï¬ er seine Person allein auf dem Theater vorstellte! Aber wie viele groï¬e Aufz¸ge auf dern Schauplatze der Welt hat man nicht in allen Zeiten mit Hans Wurst–oder, welches noch ein wenig â°rger ist, durch Hans Wurst–auff¸hren gesehen? Wie oft haben die grËï¬esten Mâ°nner, dazu geboren, die sch¸tzenden Genii eines Throns, die Wohltâ°ter ganzer VËlker und Zeitalter zu sein, alle ihre Weisheit und Tapferkeit durch einen kleinen schnakischen Streich von Hans Wurst, oder solchen Leuten vereitelt sehen m¸ssen, welche ohne eben sein Wams und seine gelben Hosen zu tragen, doch gewiï¬ seinen ganzen Charakter an sich trugen? Wie oft entsteht in beiden Arten der Tragi-KomËdien die Verwicklung selbst lediglich daher, daï¬ Hans Wurst durch irgend ein dummes oder schelmisches St¸ckchen von seiner Arbeit den gescheiten Leuten, eh sie sich’s versehen kËnnen, ihr Spiel verderbt?–Manum de tabula!–Aber wenn diese Vergleichung, wie wir besorgen, ihren Grund hat; so mËgen wir wohl den Weisen und Rechtschaffenen Mann bedauren, den sein Schicksal dazu verurteilt hat, unter einem schlimmen, oder–welches ist â°rger?–unter einem schwachen F¸rsten, in die Verwaltung der Ëffentlichen Angelegenheiten verwickelt zu sein? Was wird es ihm helfen, Einsichten und Mut zu haben, nach den besten Grundsâ°tzen und nach dem richtigsten Plan zu handeln; wenn das verâ°chtlichste Ungeziefer, wenn ein Sklave, ein Kuppler, eine Bacchidion, oder etwas noch schlimmers, irgend ein Parasite, dessen ganzes Verdienst in Geschmeidigkeit, Verstellung und Schalkheit besteht, es in ihrer Gewalt haben, seine Maï¬regeln zu verr¸cken, aufzuhalten, oder gar zu hintertreiben? Indessen bleibt ihm, wenn er sich einmal an ein so gefahrvolles Abenteuer gewagt hat, wie zum Exempel dasjenige, welches Agathon w¸rklich zu bestehen hat, kein andres Mittel ¸brig, sich selbst zu beruhigen, und auf alle Fâ°lle sein Betragen vor dem unparteiischen Gericht der Weisen und der Nachwelt rechtfertigen zu kËnnen–als daï¬ er sich, eh er die Hand ans Werk legt, einen regelmâ°ï¬igen Plan seines ganzen Verhaltens entwerfe. Wenn gleich alle Weisheit eines solchen Entwurfs ihm f¸r den Ausgang nicht Gewâ°hr leisten kann; so bleibt ihm doch der trËstende Gedanke, alles getan zu haben, was ihn, ohne Zufâ°lle die er entweder nicht vorhersehen, oder nicht hintertreiben konnte, des gl¸cklichen Erfolgs hâ°tte versichern kËnnen.
Dieses war also die erste Sorge unsers Helden, nachdem er sich anheischig gemacht hatte, die Person eines Ratgebers und Vertrauten bei dem KËnige Dionys zu spielen. Er sah alle, oder doch einen groï¬en Teil der Schwierigkeiten, einen solchen Plan zu machen, der ihm durch den Labyrinth des Hofes und des Ëffentlichen Lebens zum Leitfaden dienen kËnnte. Aber er glaubte, daï¬ der mangelhafteste Plan besser sei, als gar keiner; und in der Tat war ihm die Gewohnheit, seine Ideen wor¸ber es auch sein mËchte, in ein System zu bringen, so nat¸rlich geworden, daï¬ sie sich, so zu sagen, von sich selbst in einen Plan ordneten, welcher vielleicht keinen andern Fehler hatte, als daï¬ Agathon noch nicht vËllig so ¸bel von den Menschen denken konnte, als es diejenigen verdienten, mit denen er zu tun hatte. Indessen dachte er doch lange nicht mehr so erhaben von der menschlichen Natur, als ehmals; oder richtiger zu reden, er kannte den unendlichen Unterschied zwischen dem metaphysischen Menschen, welchen man sich in einer spekulativen Einsamkeit ertrâ°umt; dem nat¸rlichen Menschen, in der rohen Einfalt und Unschuld, wie er aus den Hâ°nden der allgemeinen Mutter der Wesen hervorgeht; und dem gek¸nstelten Menschen, wie ihn die Gesellschaft, ihre Gesetze, ihre Gebrâ°uche und Sitten, seine Bed¸rfnisse, seine Abhâ°nglichkeit, der immer wâ°hrende Kontrast seiner Begierden mit seinem UnvermËgen, seines Privat-Vorteils mit den Privat-Vorteilen der ¸brigen, die daher entspringende Notwendigkeit der Verstellung, und immerwâ°hrenden Verlarvung seiner wahren Absichten, und tausend dergleichen physikalische und moralische Ursachen in unzâ°hliche betr¸gliche Gestalten ausbilden–er kannte, sage ich, nach allen Erfahrungen, die er schon gemacht hatte, diesen Unterschied der Menschen von dem was sie sein kËnnten, und vielleicht sein sollten, bereits zu gut, um seinen Plan auf platonische Ideen zu gr¸nden. Er war nicht mehr der jugendliche Enthusiast, der sich einbildet, daï¬ es ihm eben so leicht sein werde, ein groï¬es Vorhaben auszuf¸hren, als es zu fassen. Die Athenienser hatten ihn auf immer von dem Vorurteil geheilt, daï¬ die Tugend nur ihre eigene Stâ°rke gebrauche, um ¸ber ihre Hâ°sser obzusiegen. Er hatte gelernt, wie wenig man von andern erwarten kann; wie wenig man auf sie Rechnung machen, und (was das wichtigste f¸r ihn war) wie wenig man sich auf sich selbst verlassen darf, Er hatte gelernt, wieviel man den Umstâ°nden nachgeben muï¬; daï¬ der vollkommenste Entwurf an sich selbst oft der schlechteste unter den gegebenen Umstâ°nden ist; daï¬ sich das BËse nicht auf einmal gut machen lâ°ï¬t; daï¬ sich in der moralischen Welt, wie in der materialischen, nichts in gerader Linie fortbewegt, und daï¬ man selten anders als durch viele Kr¸mmen und Wendungen zu einem guten Zweck gelangen kann–Kurz, daï¬ das Leben, zumal eines echten Staats-Mannes, einer Schiffahrt gleicht, wo der Pilot sich gefallen lassen muï¬, seinen Lauf nach Wind und Wetter einzurichten; wo er keinen Augenblick sicher ist durch widrige StrËme aufgehalten oder seitwâ°rts getrieben zu werden; und wo alles darauf ankommt, mitten unter tausend unfreiwilligen Abweichungen von der Linie, die er sich in seiner Karte gezogen hat, endlich dennoch, und so bald und wohlbehalten als mËglich, an dem vorgesetzten Ort anzulangen.
Diesen allgemeinen Grundsâ°tzen zufolge bestimmte er die Absichten bei allem was er unternahm, den Grad des Guten, welches er sich zu erreichen vorsetzte, und sein Verhalten gegen diejenige, welche ihm dabei am meisten hinderlich oder befËrderlich sein kËnnten–jenes, nach dem Zusammenhang aller Umstâ°nde, worin er die Sachen antraf–dieses nach Beschaffenheit der Personen mit denen er’s zu tun hatte, oder richtiger zu reden, nach der zum teil wenig sichern Vorstellung, die er sich von ihrem Charakter machte.
Er konnte, seit dem er den Dionys nâ°her kannte, nicht daran denken, ein Muster eines guten F¸rsten aus ihm zu machen; aber er hoffte doch nicht ohne Grund, seinen Lastern ihr schâ°dlichstes Gift benehmen, und seiner guten Neigungen, oder vielmehr seiner guten Launen, seiner Leidenschaften und Schwachheiten selbst, sich zum Vorteil des gemeinen Besten bedienen zu kËnnen. Diese Meinung von seinem Prinzen war in der Tat so bescheiden, daï¬ er sie nicht tiefer herabstimmen konnte, ohne alle Hoffnung zu Erreichung seiner Entw¸rfe aufzugeben; und doch zeigte sich in der Folge, daï¬ er noch zu gut von ihm gedacht hatte. Dionys hatte in der Tat Eigenschaften, welche viel gutes versprachen; aber ungl¸cklicher Weise hatte er f¸r jede derselben eine andere, welche alles wieder vernichtete, was jene zusagte; und wenn man ihn lange genug in der Nâ°he betrachtet hatte, so befand sich’s, daï¬ seine vermeinten Tugenden w¸rklich nichts anders als seine Laster waren, welche von einer gewissen Seite betrachtet, eine Farbe der Tugend annahmen. Indessen lieï¬ sich doch Agathon durch diese guten Anscheinungen so verblenden, daï¬ er die Unverbesserlichkeit eines Charakters von dieser Art, und also den Ungrund aller seiner Hoffnungen nicht eher einsah, als bis ihm diese Entdeckung zu nichts mehr nutzen konnte.
Die grËï¬este Schwachheit des Prinzen, seiner Meinung nach, war sein ¸bermâ°ï¬iger Hang zur Gemâ°chlichkeit und Wollust. Er hoffte dem ersten dadurch zu begegnen, daï¬ er ihm die Geschâ°fte so leicht und so angenehm zu machen suchte als mËglich war; und dem andern, wenn er ihn wenigstens von den wilden Ausschweifungen abgewËhnte, zu denen er sich bisher hatte hinreiï¬en lassen. Unsre Vergn¸gungen werden desto feiner, edler und sittlicher, je mehr die Musen Anteil daran haben. Aus diesem richtigen Grundsatz bem¸hte er sich, dem Dionys mehr Geschmack an den schËnen K¸nsten beizubringen, als er bisher davon gehabt hatte. In kurzem wurden seine Palâ°ste, Landhâ°user und Gâ°rten, mit den Meisterst¸cken der besten Maler und Bildhauer Griechenlandes angef¸llt. Agathon zog die ber¸hmtesten Virtuosen in allen Gattungen von Athen nach Syracus; er f¸hrte ein prâ°chtiges Odeon nach dem Muster dessen, worauf Perikles den Ëffentlichen Schatz der Griechen verwendet hatte, auf; und Dionys fand so viel Vergn¸gen an den verschiedenen Arten von Schauspielen, womit er, unter der Aufsicht seines G¸nstlings, fast tâ°glich auf diesem Theater belustiget wurde, daï¬ er, seiner Gewohnheit nach, eine Zeitlang allen Geschmack an andern ErgËtzlichkeiten verloren zu haben schien. Indessen war doch eine andre Leidenschaft ¸brig, deren Herrschaft ¸ber ihn allein hinlâ°nglich war, alle guten Absichten seines neuen Freundes zu hintertreiben. Gegenwâ°rtig befand sich die Tâ°nzerin Bacchidion im Besitz derselben; aber es fiel bereits in die Augen, daï¬ die unmâ°ï¬ige Liebe, welche sie ihm beigebracht, sehr viel von ihrer ersten Heftigkeit verloren hatte. Es w¸rde vielleicht nicht schwer gehalten haben, die W¸rkung seiner nat¸rlichen Unbestâ°ndigkeit um etliche Wochen zu beschleunigen. Aber Agathon hatte Bedenklichkeiten, die ihm wichtig genug schienen, ihn davon abzuhalten. Die Gemahlin des Prinzen war in keinerlei Betrachtung dazu gemacht, einen Versuch, ihn in die Grenzen der ehlichen Liebe einzuschrâ°nken, zu unterst¸tzen. Dionys konnte nicht ohne Liebeshâ°ndel leben; und die Gewalt, welche seine Maitressen ¸ber sein Herz hatten, machte seine Unbestâ°ndigkeit gefâ°hrlich. Bacchidion war eines von diesen gutartigen frËhlichen GeschËpfen, in deren Phantasie alles rosenfarb ist, und welche keine andre Sorge in der Welt haben, als ihr Dasein von einem Augenblick zum andern wegzuscherzen, ohne sich jemals einen Gedanken von Ehrgeiz und Habsucht, oder einigen Kummer ¸ber die Zukunft anfechten zu lassen. Sie liebte das Vergn¸gen ¸ber alles; immer aufgelegt es zu geben und zu nehmen, schien es unter ihren Tritten aufzusprossen; es lachte aus ihren Augen, und atmete aus ihren Lippen. Ohne daran zu denken, sich durch die Leidenschaft des Prinzen f¸r sie wichtig zu machen, hatte sie aus einer Art von mechanischer Neigung, vergn¸gte Gesichter zu sehen, ihre Gewalt ¸ber sein Herz schon mehrmalen dazu verwandt, Leuten die es verdienten, oder auch nicht verdienten (denn dar¸ber lieï¬ sie sich in keine Untersuchung ein) gutes zu tun. Agathon besorgte, daï¬ ihre Stelle leicht durch eine andere besetzt werden kËnnte, welche sich versuchen lassen mËchte, einen schlimmern Gebrauch von ihren Reizungen zu machen. Er hielt es also seiner nicht unw¸rdig, mit guter Art, und ohne daï¬ es schien, als ob er einige besondere Aufmerksamkeit auf sie habe, die Neigung des Prinzen zu ihr mehr zu unterhalten als zu bekâ°mpfen. Er verschaffte ihr Gelegenheit, ihre belustigende Talente in einer Mannichfaltigkeit zu entfalten, welche ihr immer die Reizungen der Neuheit gab. Er wuï¬te es zu veranstalten, daï¬ Dionys durch Ëftere kleine Entfernungen verhindert wurde, sich zu bald an dem Vergn¸gen zu ersâ°ttigen, welches er in den Armen dieser angenehmen Kreatur zu finden schien. Er ging endlich gar so weit, daï¬ er bei Gelegenheit eines Gesprâ°chs, wo die Rede von den anzustrengen Grundsâ°tzen des Plato ¸ber diesen Artikel war, sich kein Bedenken machte, zu sagen: Daï¬ es unbillig sei, einen Prinzen, welcher sich die Erf¸llung seiner groï¬en und wesentlichen Pflichten mit gehËrigem Ernst angelegen sein lasse, in seinen Privat-ErgËtzungen ¸ber die Grenzen einer anstâ°ndigen Mâ°ï¬igung einschrâ°nken zu wollen. Alles, was ihm hier¸ber wiewohl in allgemeinen Ausdr¸cken, entfiel, schien die Bedeutung einer stillschweigenden Einwilligung in die Schwachheit des Prinzen f¸r die schËne Bacchidion zu haben, und in der Tat war dieses sein Gedanke. Wir lassen dahin gestellt sein, ob die gute Absicht die er dabei hatte, hinlâ°nglich sein mag, eine so gefâ°hrliche â°uï¬erung zu rechtfertigen; aber es ist gewiï¬, daï¬ Dionys, der bisher aus einer gewissen Scham vor der Tugend unsers Helden sich bem¸ht hatte, seine schwache Seite vor ihm zu verbergen, von dieser Stunde an weniger zur¸ckhaltend wurde, und aus dem vielleicht unrichtigen aber sehr gemeinen Vorurteil, daï¬ die Tugend eine erklâ°rte Feindin der Gottheiten von Cythere sein m¸sse, einen Argwohn gegen unsern Helden faï¬te, wodurch er um einige Stufen herab, und mit ihm selbst und den ¸brigen Erdenbewohnern, in Absicht gewisser Schwachheiten, in die nâ°mliche Linie gestellt wurde–ein Verdacht, der zwar durch die sich selbst immer gleiche Auff¸hrung Agathons bald wieder zum Schweigen gebracht, aber doch nicht so gâ°nzlich unterdr¸ckt wurde, daï¬ sein geheimer Einfluï¬ in der Folge den Beschuldigungen der Feinde Agathons, den Zugang in das Gem¸t eines Prinzen nicht erleichtert hâ°tte, welcher ohnehin so geneigt war, die Tugend entweder f¸r Schwâ°rmerei oder f¸r Verstellung zu halten. Indessen gewann Agathon durch seine Nachsicht gegen die Lieblings-Fehler dieses Prinzen, daï¬ er sich desto williger bewegen lieï¬, an den Geschâ°ften der Regierung mehr Anteil zu nehmen, als er gewohnt war; und wir an unserm teil kËnnen es ihm verzeihen, daï¬ er das viele Gute, welches er dadurch erhielt, f¸r eine hinlâ°ngliche Vergutung des Tadels ansah, den er sich durch diese Gefâ°lligkeit bei gewissen Leuten von strengen Grundsâ°tzen zuzog, welche in der weiten Entfernung von der Welt, worin sie leben, gute Weile haben, an andern zu verdammen, was sie an derselben Platz, vielleicht noch schlimmer gemacht haben w¸rden.
Auï¬er der schËnen Bacchidion, welche, wie wir gesehen haben, allen ihren Ehrgeiz darein setzte, das Vergn¸gen eines Prinzen, den sie liebte, auszumachen–war Philistus, durch die Gnade, worin er bei Dionysen stund, die betrâ°chtlichste Person unter allen denjenigen, mit denen Agathon in seiner neuen Stelle mehr oder weniger in Verhâ°ltnis war. Dieser Mann spielt in diesem St¸ck unsrer Geschichte eine Rolle, welche begierig machen kann, ihn nâ°her kennen zu lernen. Und ¸ber dem ist es eine von den geheiligten Pflichten der Geschichte, den verfâ°lschenden Glanz zu zerstreuen, welchen das Gl¸ck und die Gunst der Groï¬en sehr oft ¸ber nichtsw¸rdige Kreaturen ausbreitet, um der Nachwelt, zum Exempel, zu zeigen, daï¬ dieser Pallas, welchen so viele Dekrete des RËmischen Senats, so viele Statuen und Ëffentliche Ehren-Mâ°ler eben dieser Nachwelt als einen Wohltâ°ter des menschlichen Geschlechts, als einen Halb-Gott ank¸ndigen, nichts bessers noch grËï¬ers als ein schamloser lasterhafter Sklave war. Wenn Philistus in Vergleichung mit einem Pallas oder Tigellin nur ein Zwerg gegen einen Riesen scheint, so kommt es in der Tat allein von dem unermeï¬lichen Unterschied zwischen der RËmischen Monarchie im Zeitpunkt ihrer â°uï¬ersten HËhe, und dem kleinen Staat, worin Dionys zu gebieten hatte, her. Eben dieser Teufel, der seinem schlimmen Humor Luft zu machen, eine Herde Schweine ersâ°ufte, w¸rde mit ungleich grËï¬erm Vergn¸gen den ganzen Erdboden unter Wasser gesetzt haben, wenn er Gewalt dazu gehabt hâ°tte: Und Philistus w¸rde Pallas gewesen sein, wenn er das Gl¸ck gehabt hâ°tte, in den Vorzimmern eines Claudius aufzuwachsen. Die Proben, welche er in seiner kleinen Sphâ°re von dem was er in einer grËï¬ern fâ°hig gewesen wâ°re, ablegte, lassen uns nicht daran zweifeln. Ein geborner Sklave, und in der Folge einer von den Freigelassenen des alten Dionys, hatte er sich schon damals unter seinen Kameraden durch den schlauesten Kopf und die geschmeidigste Gem¸ts-Art hervorgetan, ohne daï¬ es ihm jedoch einigen besondern Vorzug bei seinem Herrn verschaffet hâ°tte. Philistus gramte sich billig ¸ber diese wiewohl nicht ungewËhnliche Laune des Gl¸cks; aber er wuï¬te sich selbst zu helfen. Gl¸cklichere Vorgâ°nger hatten ihm den Weg gezeigt, sich ohne M¸he und ohne Verdienste zu dieser hohen Stufe emporzuschwingen, nach welcher ihm eine Art von Ambition, die sich in gewissen Seelen mit der verâ°chtlichsten Niedertrâ°chtigkeit vollkommen wohl vertrâ°gt, ein ungezâ°hmtes Verlangen gab. Wir haben schon bemerkt, daï¬ der j¸ngere Dionys von seinem Vater ungewËhnlich hart gehalten wurde. Philistus war der einzige, der den Verstand hatte zu sehen, wieviel Vorteil sich aus diesem Umstande ziehen lasse. Er fand Mittel, die Nâ°chte des jungen Prinzen angenehmer zu machen als seine Tage waren. Brauchte es mehr, um als ein Wohltâ°ter von ihm angesehen zu werden, dessen gute Dienste er niemals genug werde belohnen kËnnen? Philistus lieï¬ es nicht dabei bewenden; er fiel auf den Einfall, zu gleicher Zeit, und durch einen einzigen kleinen Handgriff, sich dieser Belohnung w¸rdiger und bâ°lder teilhaft zu machen. Eine bËsartige Kolik, wozu er das Rezept hatte, beschleunigte das Ende des alten Tyrannen; Philistus war der erste, der seinem jungen Gebieter die freudige Nachricht brachte, und nun sah er sich auf einmal in dem geheimesten Vertrauen eines KËnigs, und in kurzem am Ruder des Staats. Diese wenigen Anekdoten sind zureichend, uns einen so sichern Begriff von dem moralischen Charakter dieses w¸rdigen Ministers zu geben, daï¬ er nunmehr das â°rgste dessen ein Mensch fâ°hig ist, begehen kËnnte, ohne daï¬ wir uns dar¸ber verwundern w¸rden. Aber was f¸r ein Physiognomist m¸ï¬te der gewesen sein, der diese Anekdoten in seinen Augen hâ°tte lesen kËnnen? Es ist wahr, Agathon dachte anfangs nicht allzuvorteilhaft von ihm; aber wie hâ°tte er, ohne besondere Nachrichten zu haben, oder selbst ein Philistus zu sein, sich vorstellen sollen, daï¬ Philistus das sein kËnnte, was er war? Wenige kannten die inwendige Seite dieses Mannes; und diese wenige waren zu gute Hofmâ°nner, um ihren bisherigen GËnner eher zu verraten, als sein Sturz gewiï¬ war, und sie wissen konnten, was sie dadurch gewinnen w¸rden; und Aristipp, f¸r den sein wahrer Charakter gleichfalls kein Geheimnis war, hatte sich vorgesetzt, einen bloï¬en Zuschauer abzugeben. Agathon konnte also desto leichter hintergangen werden, da Philistus alle seine Verstellungs-Kunst anstrengte, sich bei ihm in Achtung zu setzen. Zu seinem groï¬en Miï¬vergn¸gen konnte er mit aller Kenntnis, die er (nach einem gewËhnlichen, wiewohl sehr betr¸glichen Vorurteil der Hofleute) von den Menschen zu haben glaubte, die schwache Seite unsers Helden nicht ausfindig machen. Es blieb ihm also kein andrer Weg ¸brig, als durch eine groï¬e Arbeitsamkeit und P¸nktlichkeit in den Geschâ°ften sich bei dem neuen G¸nstling in das Ansehen eines brauchbaren Mannes, und durch Tugenden, die er eben so leicht als man eine Maskerade-Kleidung anzieht, affektieren konnte, so bald er ihrer vonnËten hatte, sich endlich so gar in das Ansehen eines ehrlichen Mannes zu setzen. Da zu diesen Eigenschaften, welche Agathon in ihm zu finden glaubte, noch die Achtung, welche Dionys f¸r ihn trug, und die Betrachtung hinzukam, daï¬ es f¸r den Staat weniger sicher sei, einen ehrgeizigen Minister abzudanken, als ihn mit scheinbarer Beibehaltung seines Ansehens in engere Schranken zu setzen: So geschah es, daï¬ sich diejenige in ihrer Meinung betrogen fanden, welche den Fall des Philistus f¸r eine unfehlbare Folge der Erhebung Agathons gehalten hatten. Das Ansehen desselben schien sich eher zu vermehren, indem er zum Vorsteher aller der verschiednen Tribunalien ernennt wurde, unter welche Agathon, mit der erforderlichen Einschrâ°nkung und Subordination, diejenige Gewalt verteilte, welche vormals von den Vertrauten des Prinzen willk¸rlich ausge¸bt worden war: In der Tat aber wurde er dadurch beinahe in die UnmËglichkeit gesetzt, bËses zu tun, wofern ihn etwan eine Versuchung dazu ankommen sollte; da er bei allen seinen Handlungen von so vielen Augen beobachtet, und verbunden war, von allem Rechenschaft zu geben, und nichts ohne die Einstimmung des Prinzen, oder, welches eine Zeitlang einerlei war, seines Reprâ°sentanten, zu unternehmen.
Wir kËnnten ohne Zweifel viel schËnes von der Staats-Verwaltung Agathons sagen, wenn wir uns in eine ausf¸hrliche Erzâ°hlung aller der n¸tzlichen Ordnungen und Einrichtungen ausbreiten wollten, welche er in Absicht der Staats-Ëkonomie, der Einziehung und Verwaltung der Ëffentlichen Eink¸nfte, der Polizei, der Landwirtschaft, des Handlungs-Wesens, und (welches in seinen Augen eines der wesentlichsten St¸cke war) der Ëffentlichen Sitten und der Bildung der Jugend, teils w¸rklich zu machen anfing, teils gemacht haben w¸rde, wenn ihm die Zeit dazu gelassen worden wâ°re. Allein alles dieses gehËrt nicht zu dem Plan des gegenwâ°rtigen Werkes; und es wâ°re in der Tat nicht abzusehen, wozu ein solcher DÃtail in unsern Tagen nutzen sollte, worin die Kunst zu regieren einen Schwung genommen zu haben scheint, der die Maï¬regeln und das Beispiel unsers Helden eben so unn¸tz macht, als die Projekte des guten Abts von Saint Pierre, patriotischen Gedâ°chtnisses. Die Art, wie sich Agathon ehmals seines Ansehens und VermËgens zu Athen bedient hat, kann unsern Lesern einen hinlâ°nglichen Begriff davon geben, wie er sich einer beinahe unumschrâ°nkten Macht und eines kËniglichen VermËgens bedient haben werde.
Nur einen Umstand kËnnen wir nicht vorbeigehen, weil er einen merklichen Einfluï¬ in die folgende Begebenheiten unsers Helden hatte. Dionys befand sich, als Agathon an seinen Hof kam, in einen Krieg mit den Carthaginensern verwickelt, welche durch verschiedene kleine Republiken des s¸dlichen und westlichen Teils von Sicilien unterst¸tzt, unter dem Schein sie gegen die ¸bermacht von Syracus zu sch¸tzen, sich der innerlichen Zwietracht der Sicilianer, als einer guten Gelegenheit bedienen wollten, diese f¸r ihre Handlungs-Absichten unendlich vorteilhaft gelegene Insel in ihre Gewalt zu bringen. Einige von diesen kleinen Republiken wurden von so genannten Tyrannen beherrscht; und diese hatten sich bereits in die Arme der Carthaginenser geworfen; die andren hatten sich bisher noch in einer Art von Freiheit erhalten, und schwankten, zwischen der Furcht von Dionysen ¸berwâ°ltiget zu werden, und dem Miï¬trauen in die Absichten ihrer anmaï¬lichen Besch¸tzer, in einem Gleichgewicht, welches alle Augenblicke auf die Seite der letztern ¸berzuziehen drohte. Timocrates dem Dionys die oberste Befehlhabers-Stelle in diesem Kriege anvertraute, hatte sich bereits durch einige Vorteile ¸ber die Feinde den oft wohlfeilen Ruhm eines guten Generals erworben; aber mehr darauf bedacht, bei dieser Gelegenheit Lorbeern und Reicht¸mer zu sammeln, als das wahre Interesse seines Prinzen zu besorgen, hatte er das Feuer der innerlichen Unruhen Siciliens mehr ausgebreitet als gedâ°mpft, und durch seine Auff¸hrung sich bei denenjenigen, welche noch keine Partei genommen hatten, so verhaï¬t gemacht, daï¬ sie im Begriff waren sich f¸r Carthago zu erklâ°ren. Agathon glaubte, daï¬ seine Beredsamkeit dem Dionys in diesen Umstâ°nden grËï¬ere Dienste tun kËnne, als die ganze, wiewohl nicht verâ°chtliche Land–und Seemacht, welche Timocrates unter seinen Befehlen hatte. Er hielt es f¸r besser Sicilien zu beruhigen, als zu erobern; besser es zu einer Art von freiwilliger ¸bergabe an Syracus zu bewegen, als es den Gefahren und verderblichen Folgen eines Kriegs ausgesetzt zu lassen, der, wenn er auch am gl¸cklichsten f¸r den Dionys ausfiele, ihm doch nichts mehr als den zweideutigen Vorteil verschaffen w¸rde, seine Untertanen um eine Anzahl gezwungner und miï¬vergn¸gter Leute vermehrt zu haben, auf deren guten Willen er keinen Augenblick hâ°tte zâ°hlen kËnnen. Dionys konnte den Gr¸nden, womit Agathon sein Vorhaben, und die Hoffnung des gew¸nschten Ausgangs unterst¸tzte, seinen Beifall nicht versagen. ¸berhaupt galt es ihm gleich, durch was f¸r Mittel er zu ruhigem Besitz der hËchsten Gewalt in Sicilien gelangen kËnnte, wenn er nur dazu gelangte; und ob er gleich klein genug war, sich auf die zwar wenig entscheidende aber desto prahlerischer vergrËï¬erte Siege seines Feldherrn eben so viel einzubilden, als ob er sie selbst erhalten hâ°tte; so war er doch auch feigherzig genug, sich zu dem unr¸hmlichsten Frieden geneigt zu f¸hlen, so bald er mit einiger Aufmerksamkeit an die Unbestâ°ndigkeit des Kriegs-Gl¸ckes dachte. Die edlern Beweggr¸nde unsers Helden fanden also leicht Eingang bei ihm, oder richtiger zu reden, Agathon schrieb die gefâ°llige Disposition, die er bei ihm fand, dem Eindruck seiner eignen Vorstellungen zu, ohne wahrzunehmen, daï¬ sie ihren eigentlichen Grund in der niedertrâ°chtigen Gem¸tsart des Prinzen hatte. Er begab sich also ingeheim (denn es war ihm daran gelegen, daï¬ Timocrates von seinem Vorhaben keinen Wink bekâ°me) in diejenige Stâ°dte, welche im Begriff stunden, die Partei von Carthago zu verstâ°rken. Es gelang ihm, die widrigen Vorurteile zu zernichten, womit er alle Gem¸ter gegen die gef¸rchtete Tyrannie Dionysens eingenommen fand; er ¸berzeugte sie so vollkommen davon, daï¬ das Beste eines jeden besondern Teils von dem Besten des ganzen Sicilien unzertrennlich sei; machte ihnen ein so schËnes Gemâ°lde von dem gl¸cklichen Zustande dieser Insel, wenn alle Teile derselben durch die Bande des Vertrauens und der Freundschaft, sich in Syracus als in dem gemeinschaftlichen Mittelpunkt vereinigen w¸rden–daï¬ er mehr erhielt als er gehofft hatte, und so gar mehr als er verlangte. Er wollte nur Bundsgenossen, und es fehlte wenig, so w¸rden sie in einem Anstoï¬ von ¸berflieï¬ender Zuneigung zu ihm, sich ohne Bedingung zu Untertanen eines Prinzen ergeben haben, von dessen Minister sie so sehr bezaubert waren.
Die Verâ°nderung, welche hiedurch in den Ëffentlichen Angelegenheiten gemacht wurde, brachte den Krieg so schnell zu Ende, daï¬ Timocrates keine Gelegenheit bekam, durch ein entscheidendes Treffen (es mËchte allenfalls gewonnen oder verloren sein) Ehre einzulegen. Man kann sich vorstellen, ob Agathon sich dadurch die Freundschaft dieses Mannes, den sein groï¬es VermËgen und die Verschwâ°gerung mit dem Prinzen zu einer wichtigen Person machte, erworben; und mit welchen Augen Timocrates den allgemeinen Beifall, die frohlockenden Segnungen der Nation, welche unsern Helden nach Syracus zur¸ckbegleiteten, die Merkmale der Hochachtung, womit er von dem Prinzen empfangen wurde, und das auï¬erordentliche Ansehen, worin er sich durch diese friedsam Eroberung befestigte, angeschielt haben werde. GenËtigt, seinen Unwillen und Haï¬ gegen einen so siegreichen Nebenbuhler in sich selbst zu verschlieï¬en, laurte er nur desto ungeduldiger auf Gelegenheiten, in geheim an seinem Untergang zu arbeiten; und wie hâ°tte es ihm an einem Hofe, und an dem Hofe eines solchen F¸rsten, an Gelegenheiten fehlen kËnnen?
ZWEITES KAPITEL
Beispiele, daï¬ nicht alles, was gleiï¬t, Gold ist
Wenn Agathon wâ°hrend einer Staats-Verwaltung, welche nicht ganz zwei Jahre daurte, das vollkommenste Vertrauen seines Prinzen und die allgemeine Liebe der Nation, welche er regierte, gewann, und sich dadurch auf diese hohe Stufe des Ansehens und der scheinbaren Gl¸ckseligkeit emporschwang, welche unverdienter Weise, der Gegenstand der Bewunderung aller kleinen, und des Neides aller zugleich boshaften Seelen zu sein pflegt: So m¸ssen wir gestehen, daï¬ diese launische unerklâ°rbare Macht, welche man Gl¸ck oder Zufall nennt, den wenigsten Anteil daran hatte. Die Verdienste, die er sich in so kurzer Zeit um den Prinzen sowohl als die Nation machte, die Beruhigung Siciliens, das befestigte Ansehen von Syracus, die VerschËnerung dieser Hauptstadt, die Verbesserung ihrer Polizei, die Belebung der K¸nste und Gewerbe, und die allgemeine Zuneigung, welche er einer vormals verabscheueten Regierung zuwandte–alles dieses legte ein unverwerfliches Zeugnis f¸r die Weisheit seiner Staats-Verwaltung ab; und da alle diese Verdienste durch die Uneigenn¸tzigkeit und Regelmâ°ï¬igkeit seines Betragens in ein Licht gestellt wurden, welches keine Miï¬deutung zu zulassen schien; so blieb seinen heimlichen Feinden, ohne die ungewisse H¸lfe irgend eines Zufalls, von dem sie selbst noch keine Vorstellung hatten, wenig Hoffnung ¸brig, ihn so bald wieder zu st¸rzen, als sie es f¸r ihre Privat-Absichten w¸nschen mochten.
Die heimlichen Feinde Agathons–“wie konnte ein Mann, der sich so untadelich betrug, und um jedermann Gutes verdiente, Feinde haben?”–werden diejenige vielleicht denken, welche bei Gelegenheit, zu vergessen scheinen, daï¬ der weise Mann notwendig alle Narren, und der Rechtschaffene, unvermeidlicher Weise, alle die es nicht sind, zu Ëffentlichen, oder doch gewiï¬ zu immerwâ°hrenden heimlichen Feinden haben muï¬. Eine Wahrheit, welche in der Natur der Sachen so gegr¸ndet, und durch eine nie unterbrochene Erfahrung so bestâ°tiget ist, daï¬ wir weit bessere Ursache zu fragen haben: “Wie sollte ein Mann, der sich so wohl betrug, keine Feinde gehabt haben?” Es konnte nicht anders sein als daï¬ derjenige, dessen bestâ°ndige Bem¸hung dahin ging, seinen Prinzen tugendhaft, oder doch wenigstens seine Schwachheiten unschâ°dlich zu machen, sich den herzlichen Haï¬ dieser HËflinge zuziehen muï¬te, welche (wie Montesquieu von allen Hofleuten behauptet) nichts so sehr f¸rchten, als die Tugend des F¸rsten, und keinen zuverlâ°ssigern Grund ihrer Hoffnungen kennen, als seine Schwachheiten. Sie konnten nicht anders als den Agathon f¸r denjenigen ansehen, der allen ihren Absichten und Entw¸rfen im Wege stund. Er verlangte zum Exempel, daï¬ man vorher Verdienste haben m¸sse, eh man an Belohnungen Anspr¸che mache; sie wuï¬ten einen k¸rzern und bequemem Weg; einen Weg auf welchem zu allen Zeiten (die Regierungen der Antonine und Juliane ausgenommen) die nichtsw¸rdigsten Leute an HËfen ihr Gl¸ck gemacht haben–kriechende Schmeichelei, blinde Gefâ°lligkeit gegen die Leidenschaften unsrer Obern, Gef¸hllosigkeit gegen alle Regungen des Gewissens und der Menschlichkeit, Taubheit gegen die Stimme aller Pflichten, unerschrockne Unverschâ°mtheit sich selbst Talente und Verdienste beizulegen, die man nie gehabt hat; fertige Bereitwilligkeit jedes Bubenst¸ck zu begehen, welches eine Stufe zu unsrer Erhebung werden kann–und diesen Weg hatte ihnen Agathon auf einmal versperrt. Sie sahen, so lange dieser seltsame Mann den Platz eines G¸nstlings bei Dionysen behaupten w¸rde, keine MËglichkeit, wie Leute von ihrer Art sollten gedeihen kËnnen. Sie hasseten ihn also; und wir kËnnen versichert sein, daï¬ in den Herzen aller dieser HËflinge eine Art von Zusammen-VerschwËrung gegen ihn br¸tete, ohne daï¬ es dazu einiger geheimen Verabredung bedurfte. Allein von allem diesem wurde noch nichts sichtbar. Die Maske, welche sie vorzunehmen f¸r gut fanden, sah einem Gesicht so gleich, daï¬ Agathon selbst dadurch betrogen wurde; und sich gegen die Philiste und Timocrate, und ihre Kreaturen eben so bezeugte, als ob die Hochachtung, welche sie ihm bewiesen, und der Beifall, den sie allen seinen Maï¬nehmungen gaben, aufrichtig gewesen wâ°re. Diese wackern Mâ°nner hatten einen gedoppelten Vorteil ¸ber ihn–daï¬ er, weil er sich nichts BËses zu ihnen versah, nicht daran dachte, sie scharf zu beobachten–und daï¬ sie, weil sie sich ihrer eigenen Bosheit bewuï¬t waren, desto vorsichtiger waren, ihre wahren Gesinnungen in eine undurchdringliche Verstellung einzuh¸llen. Versichert wie sie waren, daï¬ ein Mensch notwendig eine schwache Seite haben m¸sse, gaben sie sich alle mËgliche M¸he die seinige zu finden, und stellten ihn, ohne daï¬ er einen Verdacht deswegen auf sie werfen konnte, auf alle mËgliche Proben. Da sie ihn aber gegen Versuchungen, denen sie selbst zu unterliegen pflegten, gleichg¸ltig oder gewaffnet fanden; so blieb ihnen, bis auf irgend eine g¸nstige Gelegenheit nichts ¸brig, als ihn durch den magischen Dunst einer subtilen Schmeichelei einzuschlâ°fern, welche er desto leichter f¸r Freundschaft halten konnte, da sie alle Anscheinungen derselben hatte; und je mehr er berechtiget war, in einem Lande, worin er sich um alle verdient machte, einen jeden f¸r seinen Freund zu halten. Diese Absicht gelang ihnen, und man muï¬ gestehen, daï¬ sie dadurch schon ein groï¬es ¸ber ihn gewonnen hatten.
¸brigens kËnnen wir nicht umhin, es mag nun unserm Helden nachteilig sein oder nicht, zu gestehen, daï¬ zu einer Zeit, da sein Ansehen den hËchsten Gipfel erreicht hatte; da Dionys ihn mit Beweisen einer unbegrenzten Gunst ¸berhâ°ufte; da er von dem ganzen Sicilien f¸r seinen Schutzgott angesehen wurde, und das seltne, wo nicht ganz unerhËrte Gl¸ck zu genieï¬en schien, in einem so blendenden Gl¸cksstande lauter Bewundrer und Freunde, und keinen Feind zu haben–die Damen zu Syracus die einzigen waren, welche ihre wenige Zufriedenheit mit seinem Betragen ziemlich deutlich merken lieï¬en. Mit einer Figur wie die seinige, mit allem dem was den Augen und Herzen nachstellt in so auï¬erordentlichem Grade begabt, war es sehr nat¸rlich, daï¬ er die Aufmerksamkeit der SchËnen auf sich ziehen muï¬te. Die Damen zu Syracus hatten so gut Augen wie die zu Smyrna–und Herzen dazu–oder wenn sie keine hatten, so hatten sie doch etwas, dessen Bewegungen sehr gewËhnlich mit den Bewegungen des Herzens verwechselt werden; oder wenn sie auch das nicht hatten, so hatten sie doch Eitelkeit, und konnten also nicht gleichg¸ltig gegen die eigensinnige Unempfindlichkeit eines Mannes sein, welcher eben dadurch ein Feind wurde, dessen ¸berwindung seine Siegerin zur Liebensw¸rdigsten ihres Geschlechts zu erklâ°ren schien. In den Augen der meisten SchËnen ist der G¸nstling eines Monarchen allezeit ein Adonis; wie nat¸rlich war also der Wunsch, einen Adonis empfindlich zu machen, der noch dazu der Liebling eines KËnigs, und in der Tat, den Namen, und eine gewisse Binde um den Kopf ausgenommen, der KËnig selbst war? Man kann sich auf die Geschicklichkeit der schËnen Sicilianerinnen verlassen, daï¬ sie nichts vergessen haben werden, seiner Kaltsinnigkeit auch nicht den Schatten einer anstâ°ndigen Entschuldigung ¸brig zu lassen. Und womit hâ°tte sie wohl entschuldiget werden kËnnen? Es ist wahr, ein Mann, der mit der Sorge f¸r einen ganzen Staat beladen ist, hat nicht so viel Muï¬e als ein junger Herr, der sonst nichts zu tun hat, als sein Gesicht alle Tage ein paarmal im Vorzimmer zu zeigen, und die ¸brige Zeit von einer SchËnen, und von einer Gesellschaft zur andern fortzuflattern. Aber man mag so beschâ°ftiget sein als man will, so behâ°lt man doch allezeit Stunden f¸r sich selbst, und f¸r sein Vergn¸gen ¸brig; und obgleich Agathon sich seinen Beruf etwas schwerer machte, als er in unsern Zeiten zu sein pflegt, nachdem man das Geheimnis erfunden hat, die schweresten Dinge mit einer gewissen unsern plumpern Vorfahren unbekannten Leichtigkeit–vielleicht nicht so gut, aber doch artiger–zu tun; so war es doch Augenscheinlich, daï¬ er solche Stunden hatte. Der Einfluï¬, den er in die Staats-Verwaltung hatte, schien ihm so wenig zu schaffen zu machen; er brachte so viel Freiheit des Geistes, so viel Munterkeit und guten Humor zur Gesellschaft, und zu den ErgËtzlichkeiten, wo ihn Dionys fast immer um sich haben wollte, daï¬ man die Schuld seiner seltsamen Auff¸hrung unmËglich seinen Geschâ°ften beimessen konnte. Man muï¬te also sie begreiflich zu machen auf andere Hypothesen verfallen. Anfangs hielt eine jede die andere im Verdacht, die geheime Ursache davon zu sein; und so lange dieses daurte, hâ°tte man sehen sollen, mit was f¸r Augen die guten Damen einander beobachteten, und wie oft man in einem Augenblicke eine Entdeckung gemacht zu haben glaubte, welche der folgende Augenblick wieder vernichtigte. Endlich befand sich’s, daï¬ man einander Unrecht getan hatte; Agathon war gegen alle gleich verbindlich, und liebte keine. Auf eine Abwesende konnte man keinen Argwohn werfen; denn was hâ°tte ihn bewegen sollen, den Gegenstand seiner Liebe von sich entfernt zu halten? Es blieben also keine andre als solche Vermutungen ¸brig, welche unserm Helden auf die eine oder andre Art nicht sonderliche Ehre machten; ohne daï¬ sie den gerechten Verdruï¬ vermindern konnten, den man ¸ber ein so wenig nat¸rliches und in jeder Betrachtung so verhaï¬tes Phâ°nomen empfinden muï¬te.
Unsre Leser, welche nicht vergessen haben kËnnen, was Agathon zu Smyrna war, werden so gleich auf einen Gedanken kommen, welcher freilich den Damen zu Syracus unmËglich einfallen konnte–nâ°mlich, daï¬ es ihnen vielleicht an Reizungen gefehlt habe, um einen hinlâ°nglichen Eindruck auf ein Herz zu machen, welches nach einer Danae (welch ein Gemâ°lde macht dieses einzige Wort!) nicht leicht etwas w¸rdig finden konnte, seine Neugier rege zu machen. Allein wenn die Nachrichten, denen wir in dieser Geschichte folgen, Glauben verdienen, so hat eine den mehr bemeldten Damen so wenig schmeichelnde Vermutung nicht den geringsten Grund: Syracus hatte SchËnen, welche so gut als Danae, den Polycleten zu Modellen hâ°tten dienen kËnnen; und diese SchËnen hatten alle noch etwas dazu, das die SchËnheit gelten macht; einige Witz, andre Zâ°rtlichkeit; andre wenigstens ein gutes Teil von dieser edeln Unverschâ°mtheit, welche eine gewisse Klasse von modernen Damen zu charakterisieren scheint, und zuweilen schneller zum Zweck f¸hrt als die vollkommensten Reizungen, welche unter dem Schleier der Bescheidenheit versteckt, ein nachteiliges Miï¬trauen in sich selbst zu verraten scheinen. Es konnte also nicht das sein–Gut! So wird er sich etwan des Socratischen Geheimnisses bedient, und in den verschwiegenen Liebkosungen irgend einer gefâ°lligen Cypassis das leichteste Mittel gefunden haben, sich vor der Welt die Miene eines Xenocrates zu geben?–Das auch nicht! wenigstens sagen unsre Nachrichten nichts davon. Ohne also den Leser mit vergeblichen Mutmaï¬ungen aufzuhalten, wollen wir gestehen, daï¬ die Ursache dieser Kaltsinnigkeit unsers Helden, etwas so nat¸rliches und einfâ°ltiges war, daï¬, so bald wir es entdeckt haben werden, Schah Baham selbst sich einbilden w¸rde, er habe wo nicht eben das, doch ungefâ°hr so etwas erwartet.
Der Kaufmann, mit welchem Agathon nach Syracus gekommen war, war einer von denjenigen, welchen er ehmals zu Athen das Bildnis seiner Psyche zu dem Ende gegeben hatte, damit sie mit desto besserm Erfolg aller Orten mËchte aufgesucht werden kËnnen. Gleichwohl erinnerte er sich dieses Umstands nicht eher, bis er einsmals bei einem Besuch, den er ihm machte, dieses Bildnis von ungefâ°hr in dem Cabinet seines Freundes ansichtig wurde. Dasjenige was Agathon in diesem Augenblick empfand, war wenig von dem unterschieden, was er empfunden hâ°tte, wenn es Psyche selbst gewesen wâ°re. Die Ideen seiner ersten Liebe wurden dadurch wieder so lebhaft, daï¬ er, so schwach auch seine Hoffnung war, das Urbild jemals wieder zu sehen, sich aufs Neue in dem Entschluï¬ bestâ°tigte, ihrem Andenken getreu zu bleiben. Die Damen von Syracus hatten also w¸rklich eine Nebenbuhlerin, ob sie gleich nicht erraten konnten, daï¬ diese zâ°rtlichen Seufzer, welche jede unter ihnen seinem Herzen abzugewinnen w¸nschte, in mitternâ°chtlichen Stunden vor einer gemalten Gebieterin ausgehaucht wurden.
Unter allen denjenigen, welche sich durch die Unempfindlichkeit unsers Helden beleidiget fanden, konnte keine der schËnen Cleonissa in Absicht aller Vollkommenheiten, welche Natur und Kunst in einem Frauenzimmer vereinigen kËnnen, den Vorzug streitig machen. Eine vollkommen regelmâ°ï¬ige SchËnheit ist (mit Erlaubnis aller derjenigen, welche dabei interessiert sein mËgen, die Grazien ihrer KËnigin vorzuziehen) unter allen Eigenschaften, die eine Dame haben kann, diejenige welche den allgemeinsten, geschwindesten und stâ°rksten Eindruck macht; und f¸r tugendhafte Personen hat sie noch diesen Vorteil, daï¬ sie das Verlangen von der Besitzerin eines so seltnen Vorzugs geliebt zu sein, in dem nâ°mlichen Augenblick durch eine Art von mechanischer Ehrfurcht zur¸ckscheucht, deren sich der verwegenste Satyr kaum erwehren kann. Cleonissa besaï¬ diese Vollkommenheit in einem Grade, der den kaltsinnigsten Kennern des SchËnen nichts daran zu tadeln ¸brig lieï¬; es war unmËglich sie ohne Bewunderung anzusehen. Aber die ungemeine Zur¸ckhaltung, welche sie affektierte, das Majestâ°tische, das sie ihrer Miene, ihren Blicken und allen ihren Bewegungen zu geben wuï¬te, mit dem Ruf einer strengen Tugend, worein sie sich dadurch gesetzt hatte, verstâ°rkte die bemeldte nat¸rliche W¸rkung ihrer SchËnheit so sehr, daï¬ niemand k¸hn genug war, sich in die Gefahr zu wagen, den Ixion dieser Juno abzugeben. Die Mittelmâ°ï¬igkeit ihrer Herkunft, und sowohl der Stand als die Vorsicht eines eifers¸chtigen Ehmannes, hatten sie wâ°hrend ihrer ersten Jugend in einer so groï¬en Entfernung von der Welt gehalten, daï¬ sie eine ganz neue Erscheinung war, als Philistus (der sie, wir wissen nicht wie, aufgespart, und Mittel gefunden hatte, sie mit guter Art zur Witwe zu machen) sie in Qualitâ°t seiner Gemahlin an den Hof der Prinzessinnen brachte; unter welchen Namen die Mutter, die Gemahlin, und die Schwestern des Dionys begriffen wurden. Nicht viel geneigter als sein Vorgâ°nger, eine Frau von so besondern Vorz¸gen mit einem andern, und wenn es Jupiter selbst gewesen wâ°re, zu teilen, hatte er anfangs alle Behutsamkeit gebraucht, welche der geizige Besitzer eines kostbaren Schatzes nur immer anwenden kann, um ihn vor der schlauesten Nachstellung zu verwahren. Aber die Tugend der Dame, und die herrschende Neigung, welche Dionys in den ersten Jahren seiner Regierung f¸r diejenige Klasse von SchËnen zeigte, welche nicht so viel Schwierigkeiten machen; vielleicht auch eine gewisse Laulichkeit, welche die Eigent¸mer dieser wundertâ°tigen SchËnheiten gemeiniglich nach Verfluï¬ zweier oder dreier Jahre, oft auch viel fr¸her, unvermerkt zu ¸berschleichen pflegt; hatten seine Eifersucht so zahm gemacht, daï¬ er in der Folge kein Bedenken trug, sie den Prinzessinnen so oft sie wollten zur Gesellschaft zu ¸berlassen. Wir wollen nicht untersuchen, ob Cleonissa damals w¸rklich so tugendhaft war, als die SprËdigkeit ihres Betragens gegen die Manns-Personen und die strengen Maximen, wornach sie andre von ihrem Geschlecht beurteilte, zu beweisen schienen. Genug daï¬ die Prinzessinnen, und was noch mehr ist, ihr Gemahl, vollkommen davon ¸berzeugt waren, und daï¬ sich noch keiner von den HËflingen unterstanden hatte, eine so ehrw¸rdige Tugend auf die Probe zu setzen. Wâ°hrend der Zeit, da Plato in so groï¬em Ansehen bei Dionysen stund, war Cleonissa eine von den eifrigsten Verehrerinnen dieses Weisen, und diejenige, welche den erhabenen Jargon seiner Philosophie am gelâ°ufigsten reden lernte. Es mag nun aus Begierde sich durch ihren Geist eben so sehr als durch ihre Figur ¸ber die ¸brigen ihres Geschlechts zu erheben, (eine ziemlich gewËhnliche Schwachheit der eigentlich so genannten SchËnen,) oder aus irgend einem reinern Beweggrunde geschehen sein; so ist gewiï¬, daï¬ sie alle Gelegenheiten den gËttlichen Plato zu hËren mit solcher Begierlichkeit suchte, eine so ausnehmende Hochachtung f¸r seine Person, einen so unbedingten Glauben an seine Begriffe von SchËnheit und Liebe, und alle ¸brige Teile seines Systems zeigte, und mit einem Wort, in kurzer Zeit, an Leib und Seele einer Platonischen Idee so â°hnlich sah: Daï¬ dieser weise Mann, stolz auf eine solche Sch¸lerin, durch den besondern Vorzug, den er ihr gab, die allgemeine Meinung von ihrer Weisheit unendlich erhËhte. Es ist wahr, es wâ°re nur auf ihn angekommen, bei gewissen Gelegenheiten gewisse Beobachtungen in ihren schËnen Augen zu machen, welche ihn ohne eine lange Reihe von Schl¸ssen auf die Vermutung hâ°tten bringen kËnnen, daï¬ es nicht unmËglich sein w¸rde, diese GËttin zu humanisieren. Aber der gute Plato hatte damals schon ¸ber sechzig Jahre, und machte keine solche Beobachtungen mehr. Cleonissa blieb also in dem Ansehen eines lebendigen Beweises des Platonischen Lehrsatzes, daï¬ die â°uï¬erliche SchËnheit ein Widerschein der intellektualischen SchËnheit des Geistes sei; das Vorurteil f¸r ihre Tugend hielt dem Eindruck, welchen ihre Reizungen hâ°tten machen kËnnen, das Gleichgewicht; und sie hatte das Vergn¸gen, die vollkommne Gleichg¸ltigkeit, welche Dionys f¸r sie behielt, der Weisheit ihres Betragens zu zuschreiben, und sich dadurch ein neues Verdienst bei den Prinzessinnen zu machen.
Aber–o! wie wohl lâ°ï¬t sich jener Solonische Ausspruch, daï¬ man niemand vor seinem Ende gl¸cklich preisen solle, auch auf die Tugend der Heldinnen anwenden! Cleonissa sah den Agathon, und–hËrte in diesem Augenblick auf Cleonissa zu sein–Nein, das eben nicht; ob es gleich nach dem Platonischen Sprachgebrauch richtig gesprochen wâ°re; aber sie bewies, daï¬ die Prinzessinnen, und sie selbst, und ihr Gemahl, und der Hof, und die ganze Welt, den gËttlichen Plato mit eingeschlossen, sich sehr geirret hatten, sie f¸r etwas anders zu halten als sie war, und als sie einem jeden mit Vorurteilen unbefangenen Beobachter, einem Aristipp zum Exempel, in der ersten Stunde zu sein scheinen muï¬te.
Sich ¸ber einen so nat¸rlichen Zufall zu verwundern, w¸rde unseren Bed¸nken nach, eine groï¬e S¸nde gegen das nie genug anzupreisende Nil admirari sein, in welchem (nach der Meinung erfahrner Kenner der menschlichen Dinge) das eigentliche groï¬e Geheimnis der Weisheit, dasjenige was einen wahren Adepten macht, verborgen liegt. Die schËne Cleonissa war ein Frauenzimmer, und hatte also ihren Anteil an den Schwachheiten, welche die Natur ihrem Geschlecht eigen gemacht hat, und ohne welche diese Hâ°lfte der menschlichen Gattung weder zu ihrer Bestimmung in dieser sublunarischen Welt so geschickt, noch in der Tat, so liebensw¸rdig sein w¸rde als sie ist. Ja wie wenig Verdienst w¸rde selbst ihrer Tugend ¸brig bleiben, wenn sie nicht durch eben diese Schwachheiten auf die Probe gesetzt w¸rde?
Dem sei nun wie ihm wolle, die Dame f¸hlte, so bald sie unsern Helden erblickte, etwas, das die Tugend einer gewËhnlichen Sterblichen hâ°tte beunruhigen kËnnen. Aber es gibt Tugenden von einer so starken Komplexion, daï¬ sie durch nichts beunruhiget werden; und die ihrige war von dieser Art. Sie ¸berlieï¬ sich den Eindr¸cken, welche ohne Zutun ihres Willens auf sie gemacht wurden, mit aller Unerschrockenheit, welche ihr das Bewuï¬tsein ihrer Stâ°rke geben konnte. Die Vollkommenheit des Gegenstandes rechtfertigte die auï¬erordentliche Hochachtung, welche sie f¸r ihn bezeugte. Groï¬e Seelen sind am geschicktesten, einander Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; und ihre Eigenliebe ist so sehr dabei interessiert, daï¬ sie die Parteilichkeit f¸r einander sehr weit treiben kËnnen, ohne sich dadurch besonderer Absichten verdâ°chtig zu machen. Ein so unedler Verdacht konnte ohnehin nicht auf die erhabene Cleonissa fallen; indessen war doch nichts nat¸rlicher, als die Erwartung, daï¬ sie in unserm Helden eben diesen, wo nicht einen noch hËhern Grad der Bewunderung erwecken werde, als sie f¸r ihn empfand. Diese Erwartung verwandelte sich eben so nat¸rlich in ein mit Unmut vermischtes Erstaunen, da sie sich darin betrogen sah; und was konnte aus diesem Erstaunen anders werden, als eine heftige Begierde, ihrer durch seine Gleichg¸ltigkeit â°uï¬erst beleidigten Eigenliebe eine vollstâ°ndige Genugtuung zu verschaffen? Auch wenn sie selbst gleichg¸ltig gewesen wâ°re, hâ°tte sie mit Recht erwarten kËnnen, daï¬ ein so feiner Kenner ihren Wert zu empfinden, und eine Cleonissa von den kleinern Sternen, welchen nur in ihrer Abwesenheit zu glâ°nzen erlaubt war, zu unterscheiden wissen werde. Wie sehr muï¬te sie sich also beleidiget halten, da sie mit diesem edeln Enthusiasmus, womit die privilegierte Seelen sich ¸ber die kleinen Bedenklichkeiten gewËhnlicher Leute hinwegsetzen, ihm entgegengeflogen war, und die Beweise ihrer sympathetischen Hochachtung nicht so lange zur¸ckzuhalten gew¸rdiget hatte, bis sie von der seinigen ¸berzeugt worden wâ°re? Da es nur von ihrer Eigenliebe abhing, die GrËï¬e des Unrechts nach der Empfindung ihres eignen Werts zu bestimmen; so war die Rache, welche sie sich an unserm Helden zu nehmen versetzte, die grausamste, welche nur immer in das Herz einer beleidigten SchËnen kommen kann. Sie wollte die ganze vereinigte Macht aller ihrer intellektualischen und kËrperlichen Reizungen, verstâ°rkt durch alle Kunstgriffe der schlauesten Koketterie (wovon ein so allgemeines Genie als das ihrige wenigstens die Theorie besitzen muï¬te) dazu anwenden, ihren Undankbaren zu ihren F¸ï¬en zu legen; und wenn sie ihn durch die gehËrige Abwechslungen von Furcht und Hoffnung endlich in den klâ°glichen Zustand eines von Liebe und Sehnsucht verzehrten Seladons gebracht, und sich an dem Schauspiel seiner Seufzer, Trâ°nen, Klagen, Ausrufungen und aller andern Ausbr¸che der verliebten Torheit lange genug ergËtzt haben w¸rde–ihn endlich auf einmal die ganze Schwere der kaltsinnigsten Verachtung f¸hlen lassen. So wohlausgesonnen diese Rache war; so eifrig und mit so vieler Geschicklichkeit wurden die Anstalten dazu ins Werk gesetzt; und wir m¸ssen gestehen, daï¬ wenn der Erfolg eines Projekts allein von der guten Ausf¸hrung abhinge, die schËne Cleonissa den vollstâ°ndigsten Triumph hâ°tte erhalten m¸ssen, der jemals ¸ber den Trotz eines widerspenstigen Herzens erhalten worden wâ°re. Ob diese Dame, wenn Agathon sich in ihrem Netze gefangen hâ°tte, fâ°hig gewesen wâ°re, die Rache so weit zu treiben als sie sich selbst versprochen hatte?–ist eine problematische Frage, deren Entscheidung vielleicht sie selbst, wenn der Fall sich ereignet hâ°tte, in keine kleine Verlegenheit gesetzt haben w¸rde. Aber Agathon lieï¬ es nicht so weit kommen. Er legte eine neue Probe ab, daï¬ es nur einer Danae gegeben war, die schwache Seite von seinem Herzen ausf¸ndig zu machen. Cleonissa hatte bereits die Hâ°lfte ihrer K¸nste erschËpft, ehe er nur gewahr wurde, daï¬ ein Anschlag gegen ihn im Werke sei; und von dem Augenblick, da er es gewahr wurde, stieg sein Kaltsinn, nach dem Verhâ°ltnis wie ihre Bem¸hungen sich verdoppelten, auf einen solchen Grad; oder deutlicher zu reden, der Absatz, den ihre zuletzt bis zur Unanstâ°ndigkeit getriebene Nachstellungen mit der affektierten Erhabenheit ihrer Denkungs-Art, und mit der Majestâ°t ihrer Tugend machten, tat eine so schlimme W¸rkung bei ihm, daï¬ die schËne Cleonissa sich genËtiget sah, die Hoffnung des Triumphs, womit sich ihre Eitelkeit geschmeichelt hatte, gâ°nzlich aufzugeben. Die Wut, in welche sie dadurch gesetzt wurde, verwandelte sich nach und nach in den vollstâ°ndigsten Haï¬, der jemals (mit Shakespear zu reden) die Milch einer weiblichen Brust in Galle verwandelt hat. Alles was sie ihrer Tugend in diesen Umstâ°nden zu tun gab, war, die Bewegungen dieser Leidenschaft so geschickt zu verbergen, daï¬ weder der Hof noch Agathon selbst gewahr wurde, mit welcher Ungeduld sie sich nach einer Gelegenheit sehnte, ihn die W¸rkungen davon empfinden zu lassen.
In dieser Situation befanden sich die Sachen, als Dionys, des ruhigen Besitzes der immer gefâ°lligen Bacchidion, und ihrer Tâ°nze ¸berdr¸ssig, sich zum ersten mal einfallen lieï¬, die Beobachtung zu machen, daï¬ Cleonissa schËn sei. Er hatte sie noch nicht lange mit einiger Aufmerksamkeit beobachtet, so deuchte ihn, daï¬ er noch nie keine so schËne Kreatur gesehen habe; und nun fing er an sich zu verwundern, daï¬ er diese Beobachtung nicht eher gemacht habe. Endlich erinnerte er sich, daï¬ die Dame sich jederzeit durch eine sehr sprËde Tugend und einen erklâ°rten Hang f¸r die Metaphysik unterschieden hatte; und nun zweifelte er nicht mehr, daï¬ es dieser Umstand gewesen sein m¸sse, was ihn verhindert habe, ihrer SchËnheit eher Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Eine Art von maschinalischer Ehrfurcht vor der Tugend, die von seiner Indolenz und der furchtbaren Vorstellung herkam, welche er sich von den Schwierigkeiten sie zu besiegen in den Kopf gesetzt hatte, w¸rde ihn vielleicht auch diesesmal in den Grenzen einer untâ°tigen Bewunderung gehalten haben, wenn nicht einer von diesen kleinen Zufâ°llen, welche so oft die Ursachen der grËï¬esten Begebenheiten werden, seine nat¸rliche Trâ°gheit auf einmal in die ungeduldigste Leidenschaft verwandelt hâ°tte. Da dieser Zufall jederzeit eine Anekdote geblieben ist, so kËnnen wir nicht gewiï¬ sagen, ob es (wie einige Sicilianische Geschichtschreiber vorgeben) der nâ°mliche gewesen, wodurch in neuern Zeiten die Schwester des ber¸hmten Herzogs von Marlborough den ersten Grund zu dem auï¬erordentlichen Gl¸ck ihrer Familie gelegt haben soll; oder ob er sie vielleicht von ungefâ°hr in dem Zustand ¸berrascht haben mochte, worin der Actâ°on der Poeten das Ungl¸ck hatte, die schËne Diana zu erblicken. Das ist indessen ausgemacht, daï¬ von dieser geheimen Begebenheit an, die Leidenschaft und die Absichten des Dionys einen Schwung nahmen, wodurch sich die Tugend der allzuschËnen Cleonissa in keine geringe Verlegenheit gesetzt befand, wie sie in einer so schl¸pfrigen Situation dasjenige, was sie sich selbst schuldig war, mit den Pflichten gegen ihren Prinzen vereinigen wollte. Dionys war so dringend, so unvorsichtig–und sie hatte so viele Personen in Acht zu nehmen–sie, die in jedem andern Frauenzimmer eine Nebenbuhlerin hatte, und bei jedem Schritt von hundert eifers¸chtigen Augen belauret wurde, welche nicht ermangelt haben w¸rden, den kleinsten Fehltritt, den sie gemacht hâ°tte, durch eben so viele Zungen der ganzen Welt in die Ohren fl¸stern zu lassen. Auf der einen Seite, ein von Liebe brennender KËnig zu ihren F¸ï¬en, bereit eine unbegrenzte Gewalt ¸ber ihn selbst und ¸ber alles was er hatte, um die kleinste ihrer Gunstbezeugungen hinzugeben–auf der andern, der glâ°nzende Ruhm einer Tugend, welche noch kein Sterblicher f¸r fehlbar zu halten sich unterstanden hatte, das Vertrauen der Prinzessinnen, die Hochachtung ihres Gemahls–Man muï¬ gestehen, tausend andre w¸rden sich zwischen zweien auf so verschiedene Seiten ziehenden Krâ°ften nicht zu helfen gewuï¬t haben. Aber Cleonissa wuï¬te es, ob sie sich gleich zum ersten mal in dieser Schwierigkeit befand, so gut, daï¬ der ganze Plan ihres Betragens sie schwerlich eine einzige schlaflose Nacht kostete. Sie sah beim ersten Blick, wie wichtig die Vorteile waren, welche sie in diesen Umstâ°nden von ihrer Tugend ziehen konnte. Das nâ°mliche Mittel, wodurch sie ihren Ruhm sicher stellen, und die Freundschaft der Prinzessinnen erhalten konnte, war unstreitig auch dasjenige, was den unbestâ°ndigen Dionys, bei dem vorsichtigen Gebrauch der erforderlichen Aufmunterungen, auf immer in ihren Fesseln behalten w¸rde. Sie setzte also seinen Erklâ°rungen, Verheiï¬ungen, Bitten, Drohungen, (zu den feinern Nachstellungen war er weder zâ°rtlich noch schlau genug) eine Tugend entgegen, welche ihn durch ihre Hartnâ°ckigkeit notwendig hâ°tte erm¸den m¸ssen, wenn das Mitleiden mit dem Zustand, worein sie ihn zu setzen gezwungen war, sie nicht zu gleicher Zeit vermocht hâ°tte, seine Pein durch alle die kleinen Palliative zu lindern, welche im Grunde f¸r eine Art von Gunstbezeugungen angesehen werden kËnnen, ohne daï¬ gleichwohl die Tugend, bei einem Liebhaber wie Dionys war, dadurch zuviel von ihrer W¸rde zu vergeben scheint. Die zâ°rtliche Empfindlichkeit ihres Herzens–die Gewalt welche sie sich antun muï¬te, einem so liebensw¸rdigen Prinzen zu widerstehen–die stillschweigenden Gestâ°ndnisse ihrer Schwachheit, welche zu eben der Zeit, da sie ihm den entschlossensten Widerstand tat, ihrem schËnen Busen wider ihren Willen entflohen–o! tugendhafte Cleonissa! Was f¸r eine gute Aktrice warest du!–Was hâ°tte Dionys sein m¸ssen, wenn er bei solchen Anscheinungen die Hoffnung aufgegeben hâ°tte, endlich noch gl¸cklich zu werden?
Inzwischen war, ungeachtet aller Behutsamkeit, welche Cleonissa, und Dionys selbst gebrauchte, die Leidenschaft dieses Prinzen, und die un¸berwindliche Tugend seiner GËttin, ein Geheimnis, welches der ganze Hof wuï¬te, wenn man schon nicht dergleichen tat, als ob man Augen oder Ohren hâ°tte. Cleonissa hatte die Vorsicht gebraucht, die Schwestern des Prinzen, von dem Augenblicke, da sie an seiner Leidenschaft nicht mehr zweifeln konnte, zu ihren Vertrauten zu machen; diese hatten wieder im Vertrauen alles seiner Gemahlin entdeckt, und die Gemahlin seiner Mutter. Die Prinzessinnen, welche seine bisherigen Ausschweifungen immer vergebens beseufzet, und besonders gegen die arme Bacchidion einen Widerwillen gefaï¬t hatten, wovon sich kein andrer Grund, als die launische Denkungs-Art dieser Damen angeben lâ°ï¬t, waren erfreut, daï¬ seine Neigung endlich einmal auf einen tugendhaften Gegenstand gefallen war. Die ausnehmende Klugheit der schËnen Cleonissa machte ihnen Hoffnung, daï¬ es ihr gelingen w¸rde, ihn unvermerkt auf den rechten Weg zu bringen. Cleonissa erstattete ihnen jedes mal getreuen Bericht von allem was zwischen ihr und ihrem Liebhaber vorgegangen war–oder doch von allem, was die Prinzessinnen davon zu wissen nËtig hatten; alle Maï¬regeln, wie sie sich gegen ihn betragen sollte, wurden in dem Cabinet der KËnigin abgeredet; und diese gute Dame, welche das Ungl¸ck hatte, die Kaltsinnigkeit ihres Gemahls gegen sie lebhafter zu empfinden, als es f¸r ihre Ruhe gut war, gab sich alle mËgliche Bewegungen, die Bem¸hungen zu befËrdern, welche von der tugendhaften Cleonissa angewandt wurden, den Prinzen in die Schranken der Geb¸hr zur¸ckzubringen. Alles dieses machte eine Art von Intrigue aus, bei welcher, ungeachtet der anscheinenden Ruhe, der ganze Hof in innerlicher Bewegung war. Der einzige Philistus, derjenige der am meisten Ursache hatte, aufmerksam zu sein, wuï¬te nichts von allem was jedermann wuï¬te; oder bewies doch wenigstens in seinem ganzen Betragen eine so seltsame Sicherheit, daï¬ wir, wenn uns das auï¬erordentliche Vertrauen nicht bekannt wâ°re, welches er in die Tugend seiner Gemahlin zu setzen Ursache hatte, fast notwendig auf den Argwohn geraten m¸ï¬ten, als ob er gewisse Absichten bei dieser Auff¸hrung gehabt haben kËnnte, welche seinem Charakter keine sonderliche Ehre machen w¸rden.
Alles ging wie es gehen sollte; Dionys setzte die Belagerung mit der â°uï¬ersten Hartnâ°ckigkeit und mit Hoffnungen fort, welche der tapfre Widerstand der weisen Cleonissa ziemlich zweideutig machte–die Liebe schien noch wenig ¸ber ihre Tugend erhalten zu haben, obgleich diese allmâ°hlich anfing, von ihrer Majestâ°t nachzulassen, und zu erkennen zu geben, daï¬ sie nicht ganz ungeneigt wâ°re, unter hinlâ°nglicher Sicherheit sich in ein geheimes Verstâ°ndnis, in so fern es eine bloï¬e Liebe der Seele zur Absicht hâ°tte, einzulassen–Die Prinzessinnen sahen mit dem vollkommensten Vertrauen auf die keuschen Reizungen ihrer Freundin, der Entwicklung des St¸cks entgegen–und Philistus war von einer Gefâ°lligkeit, von einer Indolenz, wie man niemals gesehen hat: Als Agathon, zum Ungl¸ck f¸r ihn und f¸r Sicilien, durch einen Eifer, der an einem Staats-Mann von so vieler Einsicht kaum zu entschuldigen war, sich verleiten lieï¬, den gl¸cklichen Fortgang der verschiedenen Absichten, welchen Dionys–Cleonissa–die Prinzessinnen–und vielleicht auch Philistus–schon so nahe zu sein glaubten, durch seine unzeitige Dazwischenkunft zu unterbrechen.
DRITTES KAPITEL
Groï¬e Fehler wider die Staats-Kunst, welche Agathon beging–Folgen davon
Die Vertraulichkeit, worin Dionys mit seinen G¸nstlingen zu leben pflegte, und das nat¸rliche Bed¸rfnis eines Verliebten, jemand zu haben, dem er sein Leiden oder seine Gl¸ckseligkeit entdecken kann–hatten ihm nicht erlaubt, dem Agathon aus seiner neuen Liebe ein Geheimnis zu machen; und dieser trieb die Gefâ°lligkeit anfâ°nglich so weit, sich von dem schwatzhaftesten Liebhaber, der jemals gewesen war, mit den Angelegenheiten seines Herzens ganze Stunden durch Langeweile machen zu lassen, in denen es dem guten Prinzen kein einziges mal einfiel, daï¬ diese Angelegenheiten einem dritten unmËglich so wichtig vorkommen kËnnten, als sie ihm selbst waren. Ohne seine Wahl geradezu zu miï¬billigen (wovon er eine schlechte W¸rkung hâ°tte hoffen kËnnen) begn¸gte er sich anfangs, ihm die Schwierigkeiten, welche er bei einer Dame von so strenger und systematischer Tugend finden w¸rde, so f¸rchterlich abzumalen, daï¬ er ihn von einer Unternehmung, welche sich dem Ansehen nach, wenigstens in eine entsetzliche Lâ°nge hinausziehen w¸rde, abzuschrecken hoffte. Wie er aber sah, daï¬ Dionys anstatt durch den Widerstand, ¸ber den er sich beklagte, erm¸det zu werden, von Tag zu Tag mehr Hoffnung schËpfte, diese beschwerliche Tugend durch hartnâ°ckig wiederholte Anfâ°lle endlich selbst abzumatten: So glaubte er der schËnen Cleonissa nicht zu viel zu tun, wenn er sie im Verdacht eines gek¸nstelten Betragens hâ°tte, welches die Leidenschaft des Prinzen zu eben der Zeit aufmunterte, da sie ihm alle Hoffnung zu verbieten schien. Je schâ°rfer er sie beobachtete, je mehr Umstâ°nde entdeckte er, welche ihn in diesem Argwohn bestâ°rkten; und da seine nat¸rliche Antipathie gegen die majestâ°tischen Tugenden das ihrige mit beitrug, so hielt er sich nun vollkommen ¸berzeugt, daï¬ die weise und tugendhafte Cleonissa weder mehr noch weniger als eine Betr¸gerin sei, welche durch einen erdichteten Widerstand zu gleicher Zeit sich in dem Ruf der Un¸berwindlichkeit zu erhalten, und den leichtglâ°ubigen Dionys desto fester in ihrem Garn zu verstricken im Sinne habe. Nunmehr fing er an die Sache f¸r ernsthaft anzusehen, und sich so wohl durch die Pflichten der Freundschaft f¸r einen Prinzen, f¸r den er bei allen seinen Schwachheiten eine Art von Zuneigung f¸hlte, als aus Sorge f¸r den Staat, verbunden zu halten, einem Verstâ°ndnis, welches f¸r beide sehr schlimme Folgen haben kËnnte, sich mit Nachdruck zu widersetzen. Bacchidion, welche, ohne eine so regelmâ°ï¬ige SchËnheit zu sein, in seinen Augen unendlichmal liebensw¸rdiger war als Cleonissa, schien ihm ihres Herzens–oder richtiger zu reden, ihrer gl¸cklichen Organisation wegen–ungeachtet des gemeinen und gerechten Vorurteils gegen ihren Stand, in Vergleichung mit dieser tugendhaften Dame eine sehr schâ°tzbare Person zu sein: Und da sie in der Unruhe, worein sie die immer zunehmende Kaltsinnigkeit des Prinzen zu setzen anfing, ihre Zuflucht zu ihm nahm, so machte er sich desto weniger Bedenken, sich ihrer mit etwas mehr Eifer als die W¸rde seines Charakters vielleicht gestatten mochte, anzunehmen. Dionys liebte sie nicht mehr; aber er maï¬te sich noch immer Rechte ¸ber sie an, welche nur die Liebe geben sollte. Die schËne Bacchidion wurde nur zu deutlich gewahr, daï¬ sie nur die Stelle ihrer Nebenbuhlerin in seinen Armen vertreten sollte; und ob sie gleich nur eine Tâ°nzerin war, so deuchte sie sich doch zu gut, Flammen zu lauschen, welche eine andere angez¸ndet hatte. Dionys schien bei der anhaltenden Strenge seiner neuen Gebieterin, einer solchen Gefâ°lligkeit mehr als jemals benËtiget zu sein; und eben darum gab ihr Agathon den Rat, an ihrem Teil auch die Grausame zu machen, und zu versuchen, ob sie durch ein sprËdes und launisches Betragen, mit einer gehËrigen Dosi von Koketterie vermischt, nicht mehr als durch zâ°rtliche Klagen und verdoppelte Gefâ°lligkeit gewinnen w¸rde. Dieser Rat hatte einen so guten Erfolg, daï¬ Agathon, der sich des Sieges zu fr¸h versichert hielt, itzo den gelegenen Augenblick gefunden zu haben glaubte, dem Dionys offenherzig zu gestehen, wie wenig Achtung er f¸r die angebliche Tugend der Dame Cleonissa trage. Die Folgen der geheimen Unterredung, welche sie mit einander ¸ber diese Materie hatten, entsprachen der Erwartung unsers Helden nicht. Alles Nachteilige, was Agathon dem Prinzen von seiner neuen GËttin sagen konnte, bewies hËchstens, daï¬ sie nicht so viel Hochachtung verdiene als er geglaubt hatte; aber es verminderte seine Begierden nicht; desto besser f¸r seine Absichten, wenn sie nicht so tugendhaft war. Diesen edlen Gedanken lieï¬ er zwar den Agathon nicht sehen; aber Cleonissa wurde ihn desto deutlicher gewahr. Dionys hatte nicht so bald erfahren, daï¬ die Tugend der Dame nur ein Popanz sei, so eilte er was er konnte, Gebrauch von dieser Entdeckung zu machen, und setzte sie durch ein Betragen in Erstaunen, welches mit seinem vorigen, und noch mehr mit der Majestâ°t ihres Charakters, einen hËchst beleidigenden Kontrast machte. Er war zwar Diskret genug, ihr nicht geradezu zu sagen, was f¸r Begriffe man ihm von ihr beigebracht habe; aber sein Bezeugen sagte es so deutlich, daï¬ sie nicht zweifeln konnte, es m¸ï¬te ihr jemand schlimme Dienste bei ihm geleistet haben. Dieser Umstand setzte sie in der Tat in keine geringe Verlegenheit, wie sie dasjenige was sie ihrer beleidigten W¸rde schuldig war, mit der Besorgnis, einen Liebhaber von solcher Wichtigkeit durch allzuweit getriebene Strenge gâ°nzlich abzuschrecken, zusammenstimmen wollte. Allein ein Geist wie der ihrige weiï¬ sich aus den schwierigsten Situationen herauszuwickeln; und Dionys ging ¸berzeugter als jemals von ihr, daï¬ sie die Tugend selbst, und allein durch die Stâ°rke der Sympathie, wodurch ihre zum ersten mal ger¸hrte Seele gegen die seinige gezogen werde, fâ°hig werden kËnnte, die Hoffnungen dereinst zu erf¸llen, welche sie ihm weder erlaubte noch gâ°nzlich verwehrte. Von dieser Zeit an nahm seine Leidenschaft und das Ansehen dieser Dame von Tag zu Tag zu; die schËne Bacchidion wurde fËrmlich abgedankt; und Agathon w¸rde in den Augen seines Herren gelesen haben, wenn er es nicht aus seinem eignen Munde vernommen hâ°tte, daï¬ er gute Hoffnung habe, in wenigen Tagen den letzten Seufzer der sterbenden Tugend von den Lippen der zâ°rtlichen, und nur noch schwach widerstehenden Cleonissa aufzufassen. Itzo glaubte er, daï¬ es die hËchste Zeit sei einen Schritt zu tun, der nur durch die â°uï¬erste Notwendigkeit gerechtfertiget werden konnte, aber seiner Meinung nach, das unfehlbarste Mittel war, dieser gefâ°hrlichen Intrigue noch in Zeiten ein Ende zu machen. Er lieï¬ also den Philistus zu sich rufen, und entdeckte ihm mit der ganzen Vertraulichkeit eines ehrlichen Mannes, der mit einem ehrlichen Manne zu reden glaubt, die nahe Gefahr, worin seine Ehre und die Tugend seiner Gemahlin schwebe. Freilich entdeckte er dem edeln Philistus nichts, als was dieser in der Tat schon lange wuï¬te; aber Philistus machte nichts desto weniger den Erstaunten; indessen dankte er ihm mit der lebhaftesten Empfindung f¸r ein so unzweifelhaftes Merkmal seiner Freundschaft, und versicherte, daï¬ er auf ein schickliches Mittel bedacht sein wollte, seine Gemahlin, von welcher er ¸brigens die beste Meinung von der Welt habe, gegen alle Nachstellungen der LiebesgËtter sicher zu stellen.
Man hat wohl sehr recht, uns die Lehre bei allen Gelegenheiten einzuschâ°rfen, daï¬ man sich die Leute nach ihrer Weise verbindlich machen m¸sse, und nicht nach der unsrigen. Agathon glaubte sich kein geringes Verdienst um den Philistus gemacht zu haben, und w¸rde nicht wenig ¸ber die Apostrophen erstaunt gewesen sein, welche dieser w¸rdige Minister an ihn machte, so bald er sich wieder allein sah. In der Tat muï¬te es diesen notwendig ungehalten machen, sich durch eine so unzeitige Vorsorge f¸r seine Ehre auf einmal aller Vorteile seiner bisherigen diskreten Unachtsamkeit verlustiget zu sehen. Indessen konnte er nun, ohne sich in Agathons Augen zum Verrâ°ter seiner eigenen Ehre zu machen, nicht anders; er muï¬te den Eifers¸chtigen spielen. Die KomËdie bekam dadurch auf etliche Tage einen sehr tragischen Schwung–Wie viel M¸he hâ°tten sich die Haupt-Personen dieser Farce ersparen kËnnen, wenn sie die Maske hâ°tten abnehmen, und sich einander in puris naturalibus zeigen wollen? Aber diese Leute aus der groï¬en Welt sind so p¸nktliche Beobachter des Wohlstands!–und sind darum zu beloben; denn es beweiset doch immer, daï¬ sie sich ihrer wahren Gestalt schâ°men, und die Verbindlichkeit etwas bessers zu sein als sie sind, stillschweigend anerkennen–Cleonissa rechtfertigte sich also gegen ihren Gemahl, indem sie sich auf die Prinzessinnen, als unverwerfliche Zeugen der untadelhaften Unschuld ihres Betragens berief. Niemals ist ein erhabneres und pathetischeres St¸ck von Beredsamkeit gehËrt worden, als die Rede war, wodurch sie ihm die Unbilligkeit seines Verdachts vorhielt; und der gute Mann wuï¬te sich endlich nicht anders zu helfen, als daï¬ er den Freund nannte, von dem er, wiewohl aus guter Absicht, in diesen kleinen Anstoï¬ einer, wie er nun vollkommen erkannte, hËchst unnËtigen und strâ°flichen Eifersucht gesetzt worden sei. Die Wut einer st¸rmischen See–einer zur Rache gereizten Hornisse–oder einer LËwin, der ihre Jungen geraubt worden, sind nur schwache Bilder in Vergleichung mit der Wut, in welche Cleonissens tugendhafter Busen bei Nennung des Namens Agathon aufloderte. W¸rklich war nichts mit ihr zu vergleichen, als die Wollust, womit der Gedanke sie berauschte, daï¬ sie es nun endlich in ihrer Gewalt habe, die lange gew¸nschte Rache an diesem undankbaren Verâ°chter ihrer Reizungen zu nehmen. Sie miï¬handelte den Dionys, (den sie f¸r die unertrâ°gliche Beleidigung, welche sie von ihrem Gemahl erduldet hatte, zur Rechenschaft zog) so lange und so grausam, bis er ihr, wiewohl ungern, (denn er wollte seinen G¸nstling nicht aufopfern) entdeckte, wie wenig sie dem Agathon f¸r seine Meinung von ihr verbunden sei. Nunmehr klâ°rte sich, wie sie sagte, das ganze Geheimnis auf; und in der Tat muï¬te sie sich nur ¸ber ihre eigene Einfalt verwundern, da sie sich eines bessern zu einem Manne versehen hatte, von dessen Rache sie nat¸rlicher Weise das Schlimmste hâ°tte erwarten sollen–Wenn Dionys bei diesen Worten stutzte, so kann man sich einbilden, was er f¸r eine Miene machte, da sie ihm, vermittelst einer Konfidenz, wozu sie durch ihre eigene Rechtfertigung gezwungen war, umstâ°ndlich entdeckte, daï¬ der Haï¬ Agathons gegen sie allein daher entsprungen sei, weil sie nicht f¸r gut befunden habe, seine Liebe genehm zu halten. Dieses war nun freilich nicht nach der Schâ°rfe wahr. Aber da sie nun einmal dahin gebracht war, sich selbst verteidigen zu m¸ssen; so war nat¸rlich, daï¬ sie es lieber auf Unkosten einer Person, die ihr verhaï¬t war, als auf ihre eigene tat. So viel ist gewiï¬, daï¬ sie ihre Absicht dadurch mehr als zu gut erreichte. Dionys geriet in einen so heftigen Anfall von Eifersucht ¸ber seinen unw¸rdigen Liebling–dieser Mann, der der Liebe eines Dionys unw¸rdig war, war Agathon!–daï¬ Cleonissa, (welche besorgte, daï¬ ein plËtzlicher Ausbruch zu miï¬beliebigen Erlâ°uterungen Anlaï¬ geben kËnnte) alle ihre Gewalt ¸ber ihn anwenden muï¬te, ihn zur¸ckzuhalten. Sie bewies ihm die Notwendigkeit, einen Mann, der zu allem Ungl¸ck der Abgott der Nation wâ°re, vorsichtig zu behandeln. Dionys f¸hlte die Stâ°rke dieses Beweises, und hassete den Agathon nur um so viel herzlicher. Die Prinzessinnen mischten sich auch in die Sache, und legten unserm Helden sehr ¸bel aus, daï¬ er, anstatt den Prinzen von Ausschweifungen abzuhalten, eine Kreatur wie Bacchidion mit so vielem Eifer in seinen Schutz genommen hatte. Man scheuete sich nicht, diesem Eifer so gar einen geheimen Beweggrund zu leihen; und Philistus brachte unter der Hand verschiedene Zeugen auf, welche in dem Cabinet des Prinzen verschiedene Umstâ°nde aussagten, die ein zweideutiges Licht auf die Enthaltsamkeit unsers Helden und die Treue der schËnen Bacchidion zu werfen schienen. Dieser Minister fand vermutlich die Absichten seines Herrn auf seine tugendhafte Gemahlin so rein und unschuldig, daï¬ es anstËï¬ig, und lâ°cherlich gewesen wâ°re, ¸ber die Freundschaft, womit er sie beehrte, eifers¸chtig zu sein. Ein tâ°glicher Zuwachs der kËniglichen Gunst rechtfertigte und belohnte eine so edelm¸tige Gefâ°lligkeit. Timocrat fand bei diesen Umstâ°nden Gelegenheit, sich gleichfalls wieder in das alte Vertrauen zu setzen; und beide vereinigten sich nunmehr mit der triumphierenden Cleonissa, den Fall unsers Helden desto eifriger zu beschleunigen, je mehr sie ihn mit Versicherungen ihrer Freundschaft ¸berhâ°uften.
Wir haben in diesem und dem vorigen Kapitel ein so merkw¸rdiges Beispiel gesehen, (und wollte Gott! diese Beispiele kâ°men uns nicht so oft im Leben selbst vor) wie leicht es ist, einem lasterhaften Charakter, einer schwarzen, hassensw¸rdigen Seele, den Anstrich der Tugend zu geben. Agathon erfuhr nunmehr, daï¬ es eben so leicht ist, die reineste Tugend mit verhaï¬ten Farben zu ¸bersudeln. Er hatte dieses zu Athen schon erfahren; aber bei der Vergleichung die er zwischen jenem Fall und seinem itzigen anstellte, schienen ihm seine Atheniensische Feinde, im Gegensatz mit den verâ°chtlichen Kreaturen, denen er sich nun auf ein mal aufgeopfert sah, so weiï¬ zu werden, als sie ihm ehmals, da er noch keine schlimmere Leute kannte, schwarz vorgekommen waren. Vermutlich verfâ°lschte die Lebhaftigkeit des gegenwâ°rtigen Gef¸hls sein Urteil ¸ber diesen Punkt ein wenig; denn in der Tat scheint der ganze Unterschied zwischen der republikanischen und hËfischen Falschheit darin zu bestehen, daï¬ man in Republiken genËtiget ist, die ganze â°uï¬erliche Form tugendhafter Sitten anzunehmen; da man hingegen an HËfen genug getan hat, wenn man den Lastern, welche des F¸rsten Beispiel adelt, oder wodurch seine Absichten befËrdert werden, tugendhafte Namen gibt. Allein im Grunde ist es nicht ekelhafter, einen h¸pfenden, schmeichelnden, untertâ°nigen, vergoldeten Schurken zu eben der Zeit, da er sich vollkommen wohl bewuï¬t ist, nie keine Ehre gehabt zu haben, oder in diesem Augenblick im Begriff ist, wofern er eine hâ°tte, sie zu verlieren–von den Pflichten gegen seine Ehre reden zu hËren; als einen gesetzten, schwerfâ°lligen, gravitâ°tischen Schurken zu sehen, der unter dem Schutz seiner N¸chternheit, Eingezogenheit und p¸nktlichen Beobachtung aller â°uï¬erlichen Formalitâ°ten der Religion und der Gesetze, ein unversËhnlicher Feind aller derjenigen ist, welche anders denken als er, oder nicht zu allen seinen Absichten helfen wollen; und sich nicht das mindeste Bedenken macht, so bald es seine Konvenienz erfordert, eine gute Sache zu unterdr¸cken, oder eine bËse mit seinem ganzen Ansehen zu unterst¸tzen. Unparteiisch betrachtet, ist dieser noch der schlimmere Mann; denn er ist ein eigentlicher Heuchler: Da jener nur ein KomËdiant ist, der nicht verlangt, daï¬ man ihn w¸rklich f¸r das halten solle, wof¸r er sich ausgibt; vollkommen zufrieden, wenn die Mitspielenden und Zuschauer nur dergleichen tun, ohne daï¬ es ihm einfâ°llt sich zu bek¸mmern, ob es ihr Ernst sei, oder nicht.
Agathon hatte nunmehr gute Muï¬e, dergleichen Betrachtungen anzustellen; denn sein Ansehen und Einfluï¬ nahm zusehends ab. â°uï¬erlich zwar schien alles noch zu sein, wie es gewesen war. Dionys und der ganze Hof liebkoseten ihm so sehr als jemals, und die Dame Cleonissa selbst schien es ihrer unw¸rdig zu halten, ihm einige Empfindlichkeit zu erkennen zu geben. Aber desto mehr Miï¬vergn¸gen wurde ihm durch geheime, schleichende, und indirekte Wege gemacht. Er muï¬te zusehen, wie nach und nach, unter tausend falschen und nichtsw¸rdigen Vorwâ°nden, seine besten Anordnungen als schlecht ausgesonnen, ¸berfl¸ssig, oder schâ°dlich, wieder aufgehoben, oder durch andere unn¸tze gemacht–wie die wenigen von seinen Kreaturen, welche in der Tat Verdienste hatten, entfernt–wie alle seine Absichten miï¬deutet, alle seine Handlungen aus einem willk¸rlich falschen Gesichts-Punkt beurteilt, und alle seine Vorz¸ge oder Verdienste lâ°cherlich gemacht wurden. Zu eben der Zeit, da man seine Talente und Tugenden erhob, behandelte man ihn eben so, als ob er nicht das geringste von den einen noch von den andern hâ°tte. Man behielt zwar noch, aus politischen Absichten (wie man es zu nennen pflegt) den Schein bei, als ob man nach den nâ°mlichen Grundsâ°tzen handle, denen er in seiner Staats-Verwaltung gefolget war: In der Tat aber geschah in jedem vorkommenden Falle gerade das Widerspiel von dem, was er getan haben w¸rde; und kurz, das Laster herrschte wieder mit so despotischer Gewalt als jemals.
Hier wâ°re es Zeit gewesen, die Clausul gelten zu machen, welche er seinem Vertrag mit dem Dionys angehâ°ngt hatte, und sich zur¸ckzuziehen, da er nicht mehr zweifeln konnte, daï¬ er am Hofe dieses Prinzen zu nichts mehr n¸tze war. Und dieses war auch der Rat, den ihm der einzige von seinen Hoffreunden, der ihm getreu blieb, der Philosoph Aristippus gab. “Du hâ°ttest”, sagte er ihm in einer vertraulichen Unterredung ¸ber den gegenwâ°rtigen Lauf der Sachen, “du hâ°ttest dich entweder niemals mit einem Dionysius einlassen, oder an dem Platz, den du einmal angenommen hattest, deine moralische Begriffe–oder doch wenigstens deine Handlungen nach den Umstâ°nden bestimmen sollen. Auf diesem Theater der Verstellung, der Betr¸gerei, der Intriguen, der Schmeichelei und Verrâ°terei, wo Tugenden und Pflichten bloï¬e Rechen-Pfenninge, und alle Gesichter Masken sind; kurz, an einem Hofe, gilt keine andre Regel als die Konvenienz, keine andre Politik, als einen jeden Umstand mit unsern eignen Absichten so gut vereinigen als man kann. Im ¸brigen ist es vielleicht eine Frage, ob du so wohl getan hast, dich um einer an sich wenig bedeutenden Ursache willen mit Dionysen abzuwerfen. Ich gestehe es, in den Augen eines Philosophen ist die Tâ°nzerin Bacchidion viel schâ°tzbarer, als diese majestâ°tische Cleonissa, welche mit aller ihrer Metaphysik und Tugend weder mehr noch weniger als eine falsche, herrschs¸chtige und boshafte Kreatur ist. Bacchidion hat dem Staat keinen Schaden getan, und Cleonissa wird unendlich viel BËses tun -” “Aus dieser Betrachtung” (unterbrach ihn Agathon) “habe ich mich f¸r jene und gegen diese erklâ°rt -” “Und doch war es leicht vorherzusehen, daï¬ Cleonissa siegen w¸rde”, sagte Aristipp–“Aber ein rechtschaffener Mann, Aristipp, erklâ°rt sich nicht f¸r die Partei, welche siegen wird, sondern f¸r die, welche Recht, oder doch am wenigsten Unrecht hat -” “Mein lieber Agathon, ein rechtschaffener Mann muï¬, so bald er an einem Hofe leben will, sich eines guten Teils von seiner Rechtschaffenheit abtun, um ihn seiner Klugheit zu zulegen. Ist es nicht Schade, daï¬ so viel Gutes, das du schon getan hast, so viel Gutes, das du noch getan haben w¸rdest, bloï¬ darum verloren sein soll, weil du eine schËne Dame nicht verstehen wolltest, da sie dir’s so deutlich, daï¬ es der ganze Hof (einen einzigen ausgenommen) verstehen konnte, zu erkennen gab, daï¬ sie schlechterdings–geliebt sein wollte. Doch dieser Fehler hâ°tte sich vielleicht wieder gut machen lassen, wenn du nur gefâ°llig genug gewesen wâ°rest, ihre Absichten auf Dionysen zu befËrdern. Wolltest du auch dieses nicht, war es denn nËtig ihr entgegen zu sein? Was f¸r Schaden w¸rde daraus erfolgt sein, wenn du neutral geblieben wâ°rest? Die kleine Bacchidion w¸rde nicht mehr getanzt haben, und Cleonissa hâ°tte die Ehre gehabt, ihren Platz einzunehmen, bis er ihrer eben so wohl ¸berdr¸ssig geworden wâ°re als so vieler andrer. Das wâ°re alles gewesen. Und gesetzt, du hâ°ttest auch die Gewalt ¸ber ihn mit ihr teilen m¸ssen; so w¸rdest du ihr wenigstens das Gleichgewicht gehalten, und noch immer Ansehen genug behalten haben, viel Gutes zu tun. Dem Schein nach in gutem Vernehmen mit ihr, w¸rde dir dein Platz, und die Vertraulichkeit mit dem Prinzen tausend Gelegenheiten gegeben haben, sie, so bald ihre Gunstbezeugungen aufgehËrt hâ°tten, etwas neues f¸r ihn zu sein, unvermerkt und mit der besten Art von der Welt wieder auf die Seite zu schaffen–Aber ich kenne dich zu gut, Agathon; du bist nicht dazu gemacht dich zu Verstellung, Râ°nken und Hofk¸nsten herabzulassen; dein Herz ist zu edel, und wenn ich es sagen darf, deine Einbildungs-Kraft zu warm, um dich jemals zu der Art von Klugheit zu gewËhnen, ohne welche es unmËglich ist, sich lange in der Gunst der Groï¬en zu erhalten. Auch kenne ich den Hof nicht, welcher wert wâ°re, einen Agathon an seiner Spitze zu haben. Das alles hâ°tte ich dir ungefâ°hr vorher sagen kËnnen, als ich dich ¸berreden half, dich mit Dionysen einzulassen; aber es war besser durch deine eigne Erfahrung davon ¸berzeugt zu werden. Ziehe dich itzt zur¸ck, ehe das Ungewitter, das ich aufsteigen sehe, ¸ber dich ausbrechen kann. Dionys verdient keinen Freund wie du bist. Wie sehr hâ°ttest du dich betrogen, wenn du jemals geglaubt hâ°ttest, daï¬ er dich hochachte! Woher sollte denen von seiner Art die Fâ°higkeit dazu kommen? Selbst damals, da er am stâ°rksten f¸r dich eingenommen war, liebte er dich aus keinem andern Grunde, als warum er seinen Affen und seine Papageien liebt–weil du ihm Kurzweil machtest. Seine Gunst hâ°tte eben so leicht auf einen andern Neuangekommenen fallen kËnnen, der die Cither noch besser gespielt hâ°tte als du. Nein, Agathon, du bist nicht gemacht, mit solchen Leuten zu leben–ziehe dich zur¸ck; du hast genug f¸r deine Ehre getan. Die Torheit der neuen Staats-Verwaltung wird die Weisheit der deinigen am besten rechtfertigen. Deine Handlungen, deine Tugenden, und ein ganzes Volk, welches deine Zeiten zur¸ckw¸nschen, und dein Andenken segnen wird, werden dich am besten gegen die Verleumdungen und den albernen Tadel eines kleinen Hofes voll Toren und schelmischer Sklaven verteidigen, deren Haï¬ dir mehr Ehre macht als ihr Beifall. Du befindest dich in Umstâ°nden, in einem unabhâ°ngigen Privatstande mit W¸rde leben zu kËnnen. Deine Freunde zu Tarent werden dich mit offnen Armen empfangen. Ich wiederhole es, Agathon, verlaï¬ einen F¸rsten, der seiner Sklaven, und Sklaven die eines solchen F¸rsten wert sind; und denke nun daran, wie du selbst des Lebens genieï¬en wollest, nachdem du den Versuch gemacht, wie schwer, wie gefâ°hrlich, und insgemein wie vergeblich es ist, f¸r andrer Gl¸ck zu arbeiten.”
So sprach Aristipp; und Agathon w¸rde wohl getan haben, einem so guten Rate zu folgen. Aber wie sollte es mËglich sein, daï¬ derjenige, welcher selbst eine Haupt-Rolle in einem St¸cke spielt, so gelassen davon urteilen sollte, als ein bloï¬er Zuschauer? Agathon sah die Sachen aus einem ganz andern Gesichts-Punkt. Er betrachtete sich als einen Mann, der die Verbindlichkeit auf sich genommen habe, die Wohlfahrt Siciliens zu befËrdern. “Warum kam ich nach Syracus?”–sagte er zu sich selbst–“und mit welchen Absichten ¸bernahm ich das Amt eines Freundes und Ratgebers bei diesem Tyrannen? Tat ich es, um ein Sklave seiner Leidenschaften, oder ein Werkzeug der Tyrannie zu sein? Oder hatte ich einen groï¬en und rechtschaffenen Zweck? W¸rde ich mich jemals mit ihm eingelassen haben, wenn er mir nicht Hoffnung gemacht hâ°tte, daï¬ die Tugend endlich die Oberhand ¸ber seine Laster erhalten w¸rde? Er hat mich betrogen, und die Erfahrungen, die ich von seiner Gem¸ts-Art habe, ¸berzeugen mich, daï¬ er unverbesserlich ist. Aber w¸rde es edel von mir gehandelt sein, ein Volk, dessen Wohlfahrt der Endzweck meiner Bem¸hungen war, ein Volk, welches mich als seinen Wohltâ°ter ansieht, den Launen dieses weibischen Menschen, und der Raubsucht seiner Schmeichler und Sklaven Preis zu geben? Was f¸r Pflichten hab’ ich gegen ihn, welche sein undankbares, niedertrâ°chtiges Verfahren gegen mich nicht aufgehoben, und vernichtet hâ°tte? Oder wenn ich noch Pflichten gegen ihn habe; sind nicht diejenigen unendlichmal heiliger, welche mich an ein Land binden, das durch meine Wahl, und die Dienste, die ich ihm geleistet habe, mein zweites Vaterland worden ist?–Wer ist denn dieser Dionys? Was f¸r ein Recht hat er an die hËchste Gewalt, der er sich anmaï¬t? Wem anders als dem Agathon hat er das einzige Recht zu danken, worauf er sich mit einigem Schein berufen kann? Seit wenn ist er aus einem von aller Welt verabscheueten Tyrannen ein KËnig geworden, als seit dem ich ihm durch eine gerechte und wohltâ°tige Regierung die Liebe des Volks zugewandt habe? Er lieï¬ mich arbeiten; er verbarg seine Laster hinter meine Tugenden; eignete sich meine Verdienste zu, und genoï¬ die Fr¸chte davon, der Undankbare!–und nun, da er sich stark genug glaubt, mich entbehren zu kËnnen, ¸berlâ°ï¬t er sich wieder seinem eigenen Charakter, und fâ°ngt damit an, alles Gute das ich in seinem Namen getan habe, wieder zu vernichten; gleich als ob er sich schâ°me, eine Zeitlang aus seinem Charakter getreten zu sein, und als ob er nicht genug eilen kËnne, die ganze Welt zu belehren, daï¬ es Agathon, nicht Dionys gewesen sei, der den Sicilianern eine MorgenrËte beï¬rer Zeiten gezeigt, und Hoffnung gemacht, sich von den Miï¬handlungen einer Reihe schlimmer Regenten wieder zu erholen. Was w¸rd’ ich also sein, wenn ich sie in solchen Umstâ°nden verlassen wollte, wo sie meiner mehr als jemals benËtiget sind? Nein–Dionys hat Beweise genug gegeben, daï¬ er unverbesserlich ist, und durch die Nachsicht gegen seine Laster nur in der lâ°cherlichen Einbildung bestâ°rkt wird, daï¬ man ihnen Ehrfurcht schuldig sei. Es ist Zeit der KomËdie ein Ende zu machen, und diesem kleinen Theater-KËnige den Platz anzuweisen, wozu ihn seine persËnliche Eigenschaften bestimmen.”
Unsere Leser sehen aus dieser Probe der geheimen Gesprâ°che, welche Agathon mit sich selbst hielt, daï¬ er noch weit davon entfernt ist, sich von diesem enthusiastischen Schwung der Seele Meister gemacht zu haben, der bisher die Quelle seiner Fehler sowohl als seiner schËnsten Taten gewesen ist. Wir haben keinen Grund in die Aufrichtigkeit dieses Monologen einigen Zweifel zu setzen; seine Seele war gewohnt, aufrichtig gegen sich selbst zu sein. Wir kËnnen also als gewiï¬ annehmen, daï¬ er zu dem Entschluï¬, eine EmpËrung gegen den Dionys zu erregen, durch eben so tugendhafte Gesinnungen getrieben zu werden glaubte, als diejenigen waren, welche f¸nfzehn Jahre spâ°ter einen der edelsten Sterblichen, die jemals gelebt haben, den Timoleon von Corinth, aufmunterten, die Befreiung Siciliens zu unternehmen. Allein es ist darum nicht weniger gewiï¬, daï¬ die lebhafte Empfindung des persËnlichen Unrechts, welches ihm zugef¸get wurde, der Unwille ¸ber die Undankbarkeit des Dionys, und der Verdruï¬ sich einer verachtensw¸rdigen Buhler-Intrigue aufgeopfert zu sehen, einen groï¬en Einfluï¬ in seine gegenwâ°rtige Denkens-Art gehabt, und zur Entz¸ndung dieses heroischen Feuers, welches in seiner Seele brannte, nicht wenig beigetragen habe. Im Grunde hatte er keine andre Pflichten gegen die Sicilianer, als welche aus seinem Vertrag mit dem Dionys entsprangen, und vermËge eben dieses Vertrags aufhËrten, so bald diesem seine Dienste nicht mehr angenehm sein w¸rden. Syracus war nicht sein Vaterland. Dionys hatte durch die stillschweigende Anerkenntnis der Erbfolge, kraft deren er nach seines Vaters Tode den Thron bestieg, eine Art von Recht erlangt. Agathon selbst w¸rde sich nicht in seine Dienste begeben haben, wenn er ihn nicht f¸r einen rechtmâ°ï¬igen F¸rsten gehalten hâ°tte. Die nâ°mlichen Gr¸nde, welche ihn damals bewogen hatten, die Monarchie der Republik vorzuziehen, und aus diesem Grunde sich bisher den Absichten des Dion zu widersetzen, bestunden noch in ihrer ganzen Stâ°rke. Es war sehr ungewiï¬, ob eine EmpËrung gegen den Dionys die Sicilianer w¸rklich in einen gl¸cklichern Stand setzen, oder ihnen nur einen andern, und vielleicht noch schlimmern Herrn geben w¸rde, da sie schon so viele Proben gegeben hatten, daï¬ sie die Freiheit nicht ertragen kËnnten. Dionys hatte Macht genug, seine Absetzung schwer zu machen; und die verderblichen Folgen eines B¸rgerkriegs waren die einzigen gewissen Folgen, welche man von einer so zweifelhaften Unternehmung voraussehen konnte–Alle diese Betrachtungen w¸rden kein geringes Gewicht auf der Waagschale einer kalten unparteiischen ¸berlegung gemacht, und vermutlich den entgegenstehenden Gr¸nden das Gleichgewicht gehalten haben. Aber Agathon war weder kalt noch unparteiisch; er war ein Mensch. Seine Eigenliebe war an ihrem empfindlichsten Teil verletzt worden. Der Affekt, in welchen er dadurch gesetzt werden muï¬te, gab allen Gegenstâ°nden, die er vor sich hatte, eine andre Farbe. Dionys, dessen Laster er ehmals mit freundschaftlichen Augen als Schwachheiten betrachtet hatte, stellte sich ihm itzt in der hâ°ï¬lichen Gestalt eines Tyrannen dar. Je besser er vorhin von Philistus gedacht hatte, desto abscheulicher fand er itzt seinen Charakter, nachdem er ihn einmal falsch und niedertrâ°chtig gefunden hatte; es war nichts so schlimm und schâ°ndlich, das er einem solchen Manne nicht zutraute. Die reizenden Bilder, welche er sich von der Gl¸ckseligkeit Siciliens unter seiner Verwaltung gemacht hatte, erhielten durch den Unmut, sie vor seinen Augen vernichten zu sehen, eine desto grËï¬ere Gewalt ¸ber seine Einbildungs-Kraft. Es war ihm unertrâ°glich, Leute, welche nur darum seine Feinde waren, weil sie Feinde alles Guten, Feinde der Tugend und der Ëffentlichen Wohlfahrt waren, einen solchen Sieg davontragen zu lassen. Er hielt es f¸r eine allgemeine Pflicht, sich den Unternehmungen der BËsen zu widersetzen, und die Stelle, welche er beinahe zwei Jahre lang in Sicilien behauptet hatte, machte (wie er glaubte) seinen Beruf zur besondern Aus¸bung dieser Pflicht in gegenwâ°rtigem Falle unzweifelhaft. Diese Betrachtungen hatten, auï¬er ihrer eigent¸mlichen Stâ°rke, noch sein Herz und seine Einbildungs-Kraft auf ihrer Seite; und muï¬ten also notwendig alles ¸berwâ°gen, was die Klugheit dagegen einwenden konnte.
Sobald Agathon seinen Entschluï¬ genommen hatte, so arbeitete er an der Ausf¸hrung desselben. Dion, welcher sich damals zu Athen befand, hatte einen betrâ°chtlichen Anhang in Sicilien, durch welchen er bisher alle mËgliche Bewegungen gemacht hatte, seine Zur¸ckberufung von dem Prinzen zu erhalten. Er hatte sich deshalben vorz¸glich an den Agathon gewandt, so bald ihm berichtet worden war, in welchem Ansehen er bei Dionysen stehe. Aber Agathon dachte damals nicht so gut von dem Charakter Dions als die Akademie zu Athen; eine Tugend, welche mit Stolz, Unbiegsamkeit und Austeritâ°t vermischt war, schien ihm, wo nicht verdâ°chtig, doch wenig liebensw¸rdig; er besorgte mit einiger Wahrscheinlichkeit, daï¬ die Gem¸ts-Art dieses Prinzen ihn niemals ruhig lassen, und daï¬ er, ungeachtet seiner republikanischen Grundsâ°tze, eben so ungelehrig sein w¸rde, das hËchste Ansehen im Staat mit jemand zu teilen, als ohne Ansehen zu leben. Er hatte also, anstatt seine Zur¸ckberufung bei dem Dionys zu befËrdern, diesen der â°uï¬ersten Abneigung, die er davor zeigte, ¸berlassen, und sich durch diese Auff¸hrung einiges Miï¬vergn¸gen von Seiten der Freunde Dions zugezogen, welche es ihm eben so ¸bel nahmen, daï¬ er nichts f¸r diesen Prinzen tat, als ob er gegen ihn agiert hâ°tte. Allein seitdem seine eigene Erfahrung das schlimmste, was Dionysens Feinde von ihm denken konnten, rechtfertigte, hatte sich auch seine Gesinnung gegen den Dion gâ°nzlich umgewandt. Dieser Prinz, welcher unstreitig groï¬e Eigenschaften besaï¬, stellte sich ihm itzt unter dem Bilde eines rechtschaffenen Mannes dar, in welchem der langwierige Anblick des gemeinen Elendes unter einer heillosen Regierung, und die immer vergebliche Bem¸hung, dem reiï¬enden Strom der Verderbnis entgegen zu arbeiten, einen anhaltenden gerechten Unmut erregt hat, der ungeachtet des Scheins einer galls¸chtigen Melancholie, im Grunde die Frucht der edelsten Menschenliebe ist. Er beschloï¬ also, mit ihm gemeine Sache zu machen. Er entdeckte sich den Freunden Dions, welche, erfreut ¸ber den Beitritt eines Mannes, der durch seine Talente und seine Gunst beim Volke ihrer Partei das ¸bergewicht zu geben vermËgend war, ihm hinwieder die ganze Beschaffenheit der Angelegenheiten Dions, die Anzahl seiner Freunde, und die geheimen Anstalten entdeckten, welche in Erwartung irgend eines g¸nstigen Zufalls, bereits zu seiner Zur¸ckkunft nach Sicilien gemacht worden waren: Und so wurde Agathon in kurzer Zeit aus einem Freund und ersten Minister des Dionys, das Haupt einer Konspiration gegen ihn, an welcher alle diejenigen Anteil nahmen, die aus edlern oder eigenn¸tzigern Bewegursachen, mit der gegenwâ°rtigen Verfassung unzufrieden waren. Agathon entwarf einen Plan, wie die ganze Sache gef¸hrt werden sollte; und dieses setzte ihn in einen geheimen Briefwechsel mit Dion, wodurch die bessere Meinung, welche einer von dem andern zu fassen angefangen hatte, immer mehr befestiget wurde. Der Hof, in Lustbarkeiten und ein woll¸stiges Vergessen aller Gefahren versunken, beg¸nstigte den Fortgang der Konspiration durch eine Sorglosigkeit, welche so wenig nat¸rlich schien, daï¬ die Zusammenverschwornen dadurch beunruhiget wurden. Sie verdoppelten ihre Wachsamkeit, und (was bei Unternehmungen von dieser Art am meisten zu bewundern, und dennoch sehr gewËhnlich ist) ungeachtet der groï¬en Anzahl derjenigen, die um das Geheimnis wuï¬ten, blieb alles so verschwiegen, daï¬ dem Ansehen nach niemand auf einigen Argwohn verfallen wâ°re, wenn nicht auf der einen Seite die Unwahrscheinlichkeit, daï¬ Agathon seinen Fall w¸rklich so gleichg¸ltig ansehen kËnne, als er es zu tun schien; und auf der andern die Nachrichten, welche von den nicht sehr geheimen Zur¸stungen des Dion eingingen, den von Natur miï¬trauischen Philistus endlich aufmerksam gemacht hâ°tten. Von diesem Augenblick an wurde Agathon und alle diejenige, welche als Freunde Dions bekannt waren, von tausend unsichtbaren Augen aufs schâ°rfste beobachtet; und es gl¸ckte endlich dem Philist, sich eines Sklaven zu bemâ°chtigen, der mit Briefen an Agathon von Athen gekommen war. Aus diesen Briefen, welche die Ursachen enthielten, warum Dion die vorhabende Landung in Sicilien nicht sobald, als es unter ihnen verabredet gewesen, ausf¸hren kËnne, erhellete zwar deutlich, daï¬ Agathon und die ¸brigen Freunde Dions an der eigenmâ°chtigen Wiederkunft desselben Anteil hâ°tten; aber von einem Anschlag gegen die gegenwâ°rtige Regierung und die Person des Dionys, war auï¬er einigen unbestimmten Ausdr¸cken, welche ein Geheimnis zu verbergen scheinen konnten, nichts darin enthalten. Man kann sich die Bewegung vorstellen, welche diese Entdeckung in dem Cabinet des Dionys verursachte. Man war sich Ursachen genug bewuï¬t, das â°rgste zu besorgen; aber eben darum hielt Philistus f¸r ratsamer, die Sache als ein Staats-Geheimnis zu behandeln. Agathon wurde, unter dem Vorwande verschiedener Staats-Verbrechen in Verhaft genommen, ohne daï¬ dem Publico etwas bestimmtes, am allerwenigsten aber die wahre Ursache, bekannt wurde. Man fand f¸r besser, die Partei des Dion, (welche man sich aus Panischem Schrecken grËï¬er vorstellte als sie w¸rklich war) in Verlegenheit zu setzen, als zur Verzweiflung zu treiben; und gewann indessen, daï¬ man sich begn¸gte sie aufs genaueste zu beobachten, Zeit, sich gegen einen feindlichen ¸berfall in gehËrige Verfassung zu setzen.
Wir sind es schon gewohnt, unsern Helden niemals grËï¬er zu sehen als im widrigen Gl¸cke. Auf das â°rgste gefaï¬t, was er von seinen Feinden erwarten konnte, setzte er sich vor, ihnen den Triumph nicht zu gewâ°hren, den Agathon zu etwas das seiner unw¸rdig wâ°re, erniedriget zu haben. Er weigerte sich schlechterdings, dem Philistus und Timocrates, welche zu Untersuchung seiner angeblichen Verbrechen ernannt waren, Antwort zu geben. Er verlangte von dem Prinzen selbst gehËrt zu werden, und berief sich deshalb auf den Vertrag, der zwischen ihnen errichtet worden war. Aber Dionys hatte den Mut nicht, eine geheime Unterredung mit seinem ehmaligen G¸nstling auszuhalten. Man versuchte es, seine Standhaftigkeit durch eine harte Begegnung und Drohungen zu ersch¸ttern; und die schËne Cleonissa w¸rde ihre Stimme zu dem strengesten Urteil gegeben haben, wenn die Furchtsamkeit des Tyrannen, und die Klugheit seines Ministers gestattet hâ°tten, ihren Eingebungen zu folgen. Sie muï¬te sich also durch die Hoffnung zufrieden stellen lassen, die man ihr machte, ihn, sobald man sich den Dion, auf eine oder die andere Art, vom Halse geschafft haben w¸rde, zu einem Ëffentlichen Opfer ihrer Rache-d¸rstenden Tugend zu machen.
Inzwischen stunden die Freunde Agathons seinetwegen in desto grËï¬ern Sorgen, da sie seinen Feinden Bosheit genug zutrauten, dem Tyrannen das â°rgste gegen ihn einzugeben; und diesem Schwachheit genug, sich von ihnen verf¸hren zu lassen. Denn das UnvermËgen ihren Lieblingen zu widerstehen, macht Ëfters woll¸stige F¸rsten, wider ihre nat¸rliche Neigung, grausam. Sie wendeten also unter der Hand alles an, was ohne einen Aufstand zu wagen, dessen Erfolg allzu unsicher gewesen wâ°re, die Rettung Agathons befËrdern konnte. Dion gab bei dieser Gelegenheit eine Probe seiner Groï¬mut, indem er durch ein freundschaftliches Schreiben an Dionysen sich verbindlich machte, seine Kriegs-VËlker wieder abzudanken, und seine Zur¸ckberufung als eine bloï¬e Gnade von dem guten Willen seines Prinzen zu erwarten, in so fern Agathon freigesprochen w¸rde, dessen einziges Verbrechen darin bestehe, daï¬ er sich f¸r seine Zur¸ckkunft in sein Vaterland interessiert habe. So edel dieser Schritt war, und so wohlfeil dern Dionys dadurch die AussËhnung mit dem Dion angetragen wurde; so w¸rde er doch dem Agathon wenig geholfen haben, wenn seine italienischen Freunde nicht geeilet hâ°tten, dem Tyrannen einen noch dringendern Beweggrund vorzulegen. Aber zu eben dieser Zeit langten Gesandte von Tarent an, um im Namen des Archytas, welcher alles in dieser Republik vermochte, die Freilassung seines Freundes zu bew¸rken, und im Notfall zu erklâ°ren, daï¬ diese Republik sich genËtiget sehen w¸rde, die Partei Dions mit ihrer ganzen Macht zu unterst¸tzen, wofern Dionys sich lâ°nger weigern wollte, diesem Prinzen sowohl als dem Agathon vollkommne Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dionys kannte den Charakter des Archytas zu gut, um an dem Ernst dieser Drohung zweifeln zu kËnnen. Er hoffte sich also am besten aus der Sache zu ziehen, wenn er unter der Versicherung, daï¬ er von einer AussËhnung mit seinem Schwager nicht abgeneigt sei, in die Entlassung Agathons einwilligte. Aber dieser erklâ°rte sich, daï¬ er seine Entlassung weder als eine Gnade von dem Dionys annehmen, noch der F¸rbitte seiner Freunde zu danken haben wolle. Er verlangte, daï¬ die Verbrechen, um derentwillen er in Verhaft genommen worden, Ëffentlich angezeigt, und in Gegenwart des Dionys, der Gesandten von Tarent und der Vornehmsten zu Syracus, untersucht, seine Rechtfertigung gehËrt, und sein Urteil nach den Gesetzen ausgesprochen werden sollte. Da er sich bewuï¬t war, daï¬ auï¬er seinen neuerlichen Verbindungen mit dem Dion, welche leicht zu rechtfertigen waren, seine boshaftesten Hâ°sser nichts mit einigem Schein der Wahrheit gegen ihn aufbringen kËnnten; so hatte er gut auf eine so feierliche Untersuchung zu dringen. Aber dazu konnten es die Cleonissen und die Philiste, und der Tyrann selbst, der bei allem diesem sehr verlegen war, nicht kommen lassen; und da die Tarentiner ihnen keine Zeit lassen wollten, die Sache in die Lâ°nge zu ziehen; so sahe Dionys sich endlich genËtiget, Ëffentlich zu erklâ°ren: Daï¬ eine starke Vermutung, als ob Agathon sich in eine Konspiration gegen ihn habe verwickeln lassen, die einzige Ursache seines Verhafts gewesen sei; und daï¬ er keinen Augenblick anstehen wolle, ihm seine Freiheit wiederzugeben, sobald er sich, unter Verb¸rgung der Tarentiner, durch ein feirliches Versprechen, auf keinerlei Weise k¸nftighin gegen Dionysen etwas zu unternehmen, sich von diesem Verdacht am besten gereiniget haben werde. Die Bereitwilligkeit, womit die Gesandten von Tarent sich diesen Antrag gefallen lieï¬en, bewies, daï¬ es dem Archytas allein um die Befreiung Agathons zu tun war; und wir werden vielleicht in der Folge den Grund entdecken, warum dieses Haupt einer in diese Sache nicht unmittelbar verwickelten Republik, sich dieses Punkts mit so auï¬erordentlichem Eifer annahm. Aber Agathon, der seine Freiheit keinem unedeln Schritt zu danken haben wollte, konnte lange nicht ¸berredet werden, eine Erklâ°rung von sich zu geben, welche als eine Art von Gestâ°ndnis angesehen werden konnte, daï¬ er die Partei, die er genommen hatte, verleugne. Doch diese in Ansehung seiner Umstâ°nde, in der Tat allzuspitzf¸ndige Delikatesse muï¬te endlich der gr¸ndlichern Betrachtung weichen, daï¬ er durch Ausschlagung eines so billig scheinenden Verglichs sich selbst in Gefahr setzen w¸rde, ohne daï¬ seiner Partei einiger Vorteil dadurch zuginge; indem Dionys viel eher einwilligen w¸rde, ihn in der Stille aus dem Wege râ°umen zu lassen, als zu zugeben, daï¬ er mit soviel neuen Reizungen zur Rache die Freiheit bekommen sollte, der Faktion des Dions wieder neues Leben einzuhauchen, und sich mit diesem Prinzen zu seinem Untergang zu vereinigen. Die reizenden Schilderungen, so ihm die Tarentiner von dem gl¸cklichen Leben machten, welches in dem ruhigen Schoï¬e ihres Vaterlandes, und in der Gesellschaft seiner Freunde auf ihn warte, vollendeten die W¸rkung, welche nat¸rlicher Weise der gewaltsame Zustand von Unruhe, Sorgen und heftigen Leidenschaften, worin er einige Zeit her gelebt hatte, auf ein Gem¸te wie das seinige machen muï¬te; und gaben ihm zu gleicher Zeit den ganzen Abscheu vor dem geschâ°ftigen Leben, welchen er nach seiner Verbannung von Athen dagegen gefaï¬t, und den ganzen Hang, welchen er zu Delphi f¸r das Kontemplative gehabt hatte, wieder. Er bequemte sich also endlich, einen Schritt zu tun, der ihm von den Freunden Dions f¸r eine feigherzige Verlassung der guten Sache ausgelegt wurde; in der Tat aber das einzige war, was ihm in den Umstâ°nden, worin er sich befand, vern¸nftiger Weise zu tun ¸brig blieb. Wie viel dunkle Stunden w¸rde er sich selbst, und wie viele Sorgen und M¸he seinen Freunden erspart haben, wenn er dem Rate des weisen Aristippus ein paar Monate fr¸her gefolget hâ°tte!
Einer von den zuverlâ°ssigsten und seltensten Beweisen der Tugend eines ersten Ministers ist, wenn er armer oder doch wenigstens nicht reicher in seine einsame H¸tte zur¸ckkehrt, als er gewesen war, da er auf den Schauplatz des Ëffentlichen Lebens versetzt wurde. Die Epaminondas, die Walsinghams, die More, und Tessins sind freilich zu allen Zeiten selten; aber wenn etwas, welches den verstocktesten Tugend-Leugner, einen Hippias selbst, zwingen muï¬, die W¸rklichkeit der Tugend zu gestehen, und auch wider seinen Willen ihre GËttlichkeit zu erkennen: So sind es die Beispiele solcher Mâ°nner. Der Himmel verh¸te, daï¬ ich die Hippiasse jemals einer andern Widerlegung w¸rdigen sollte! Sie mËgen nach AekerË reisen! Und wenn sie den einzigen Anblick unter dem Himmel, auf welchen (nach dem Ausdruck eines weisen Alten) die Gottheit selbst mit Vergn¸gen herabsieht, wenn sie den ehrw¸rdigen Greis gesehen haben, der daselbst, zufrieden mit der edeln beneidensw¸rdigen Armut des Fabricius und Cincinnatus, doch zu tugendhaft um stolz darauf zu sein, die einzige Belohnung eines langen, ruhmw¸rdigen, Gott, seinem KËnige und seinem Vaterland aufgeopferten Lebens in dem stillen Bewuï¬tsein seiner Selbst, und (so oft er seinen Telemach erblickt) in der Hoffnung, nicht ganz umsonst gearbeitet zu haben, findet–und, vergessen, vielleicht so gar verfolgt von einer undankbaren Zeit, sich ruhig in seine Tugend und den Glauben einer bessern Unsterblichkeit einh¸llt–wenn sie ihn gesehen haben, diesen wahrhaftig groï¬en Mann, und dieser Anblick nicht zu wege bringt, was alle Diskurse der Platonen und Seneca nicht vermocht haben–Nun, so mËgen sie glauben was sie wollen, und tun, was sie ungestraft tun kËnnen; sie verdienen eben so wenig Widerlegung, als ihre Besserung mËglich ist–“Und du, ruhmvoller und liebensw¸rdiger alter Mann, empfange dieses wiewohl allzuvergâ°ngliche Denkmal von einem, dessen Feder niemals durch feiles, oder gewinns¸chtiges Lob der Groï¬en dieser Welt entweiht worden ist–Ich habe keine Belohnung, keinen Vorteil von dir zu hoffen–du wirst dieses niemals lesen–Meine Absicht ist rein, wie deine Tugend–empfange dieses schwache Merkmal einer aufrichtigen Hochachtung von einem, der wenig Hochachtungsw¸rdiges unter der Sonne sieht–diese, und die Dankbarkeit f¸r die stillen Trâ°nen der Entz¸ckung, die ihm (in einem Alter, wo seine Augen zu dieser reinsten Wollust der Menschlichkeit noch nicht versieget waren) das Lesen deiner Tugend-atmenden Briefe aus den Augen lockte–diese Empfindungen allein haben ihn bei dieser Gelegenheit dahingerissen–er hat sich nicht entschlieï¬en kËnnen, seinem Herzen Gewalt anzutun–und bittet niemand, der dieses Buch lesen wird, wegen dieser Abschweifung um Verzeihung.”
Agathon hatte ¸ber den Sorgen f¸r die Wohlfahrt Siciliens, und ¸ber der Bem¸hung andre gl¸cklich zu machen, sich selbst so vollkommen vergessen, daï¬ er nicht reicher aus Syracus gegangen wâ°re, als er gewesen war, da er Delphi verlieï¬, oder da er aus Athen verbannt wurde; wenn ihm nicht zu gutem Gl¸cke, bald nach seiner Erhebung zu einer W¸rde, welche ihm in allen Griechischen Staaten kein geringes Ansehen gab, ein Teil seines vâ°terlichen VermËgens wieder zugefallen wâ°re. Die Athenienser waren damals eben zu gewissen Handlungs-Absichten der Freundschaft des KËnigs Dionys benËtiget; und fanden daher f¸r gut, ehe sie sich um die Vermittlung Agathons bewarben, ihm durch ihre Abgesandte ein Dekret ¸berreichen zu lassen, kraft dessen nicht nur sein Verbannungs-Urteil aufgehoben, sondern auch der ganze Prozeï¬, wodurch er ehmals seines vâ°terlichen Erbguts beraubt worden war, kassiert, und der unrechtmâ°ï¬ige Inhaber desselben verurteilt wurde, ihm alles unverz¸glich wieder abzutreten. Agathon hatte zwar groï¬m¸tiger Weise nur die Hâ°lfte davon angenommen; und diese war nicht so betrâ°chtlich, daï¬ sie f¸r die Bed¸rfnisse eines Alcibiades oder Hippias zureichend gewesen wâ°re: Aber es war noch immer mehr, als ein Weiser selbst von der Sekte des Aristippus, nËtig hâ°tte, um frei, gemâ°chlich und angenehm zu leben; und soviel war f¸r einen Agathon genug.
Unser Held verweilte sich, nach dem er wieder in Freiheit war, nicht lâ°ngere Zeit zu Syracus, als er gebrauchte, sich von seinen Freunden zu beurlauben. Dionys, welcher (wie wir wissen) den Ehrgeiz hatte, alles mit guter Art tun zu wollen, verlangte, daï¬ er in Gegenwart seines ganzen Hofes Abschied von ihm nehmen sollte. Er ¸berhâ°ufte ihn, bei dieser Gelegenheit, mit Lobspr¸chen und Liebkosungen, und glaubte, einen sehr feinen Staatsmann zu machen, indem er sich stellte, als ob er ungern in seine Entlassung einwillige, und als ob sie als die besten Freunde von einander schieden. Agathon hatte die Gefâ°lligkeit, diesen letzten Auftritt der KomËdie mitspielen zu helfen; und so entfernte er sich, in Gesellschaft der Gesandten von Tarent, von jedermann beurteilt, von vielen getadelt, und von den wenigsten, selbst unter denen, welche g¸nstig von ihm dachten, gekannt, aber von allen Rechtschaffenen vermiï¬t und oft zur¸ckgeseufzt, aus einer Stadt und aus einem Lande, worin er das Vergn¸gen hatte, viele Denkmâ°ler seiner ruhmw¸rdigen Administration zu hinterlassen; und aus welchem er nichts mit sich hinausnahm, als eine Reihe von Erfahrungen, welche ihn in dem Entschluï¬ bestâ°rkten–keine andre von dieser Art mehr zu machen.
VIERTES KAPITEL
Nachricht an den Leser
“Dank sei” (so ruft hier der Autor des griechischen Manuskripts, als einer, dem es auf einmal ums Herz leichter wird, aus) “Dank sei den GËttern, daï¬ wir unsern Helden aus dem gefâ°hrlichsten aller schlimmen Orte, wohin ein ehrlicher Mann verirren kann, unversehrt, und was beinahe unglaublich ist, mit seiner ganzen Tugend davon gebracht haben! Er hat allerdings von Gl¸ck zu sagen”, fâ°hrt das Manuskript fort; “aber–beim Hund (dem groï¬en Schwur des weisen Socrates) was hatte er auch an einem Hofe zu tun? Er, der sich weder zu einem Sklaven, noch zu einem Schmeichler, noch zu einem Narren geboren f¸hlte, was wollte er am Hofe eines Dionysius machen?–Was f¸r ein Einfall–und wenn ist jemals ein solcher Einfall in das Gehirn eines klugen Menschen gekommen?–einen lasterhaften Prinzen tugendhaft zu machen!–Oder welcher rechtschaffene Mann, der einen Fond von gesunder Vernunft und gutem Willen in sich gef¸hlt, ist jemals damit an einen Hof gegangen, wenn er im Sinne hatte, von dem einen oder dem andern Gebrauch zu machen?–Man muï¬ gestehen, es ist eine ganz h¸bsche Sache um den Enthusiasmus–eines Lycurgus, der aus einem Monarchen ein B¸rger wird, um sein Vaterland gl¸cklicher zu machen–oder eines Leonidas, der mit dreihundert eben so entschlossenen Mâ°nnern als er selbst, sich dem Tode weiht, um eben so vielen Myriaden von Barbaren den Mut, mit Griechen zu fechten, zu benehmen. Doch so groï¬, so schËn diese Taten sind; so sind sie durch die Krâ°fte der Natur mËglich, und diejenige, welche sie unternahmen, konnten sich versprechen, daï¬ sie ihre Absichten erreichen w¸rden. Aber wenn hat man jemals gehËrt, daï¬ ein Mensch, oder ein Held, der Sohn einer GËttin, oder eines Gottes, oder ein Gott selbst, dasjenige zu Stande gebracht hâ°tte, was Agathon unternahm, da er mit der Cither in der Hand sich ¸berreden lieï¬, der Mentor eines Dionys zu werden.”
Auf diesen humoristischen Eingang, womit unser Autor dieses Kapitel beginnt, folget eine lange, und wie es scheint, ein wenig milzs¸chtige Deklamation gegen diejenige Klasse der Sterblichen, welche man groï¬e Herren nennt; mit verschiedenen Digressionen ¸ber die Maitressen–¸ber die Jagdhunde–und ¸ber die Ursachen, warum es f¸r einen ersten Minister gefâ°hrlich sei, zuviel Genie, zuviel Uneigenn¸tzigkeit, und zuviel Freundschaft f¸r seinen Herrn zu haben–So viel man sehen kann, ist dieses Kapitel eines von den merkw¸rdigsten, und sonderbarsten in dem ganzen Werke. Aber ungl¸cklicher Weise, befindet sich das Manuskript an diesem Ort halb von Ratten aufgegessen; und die andre Hâ°lfte ist durch Feuchtigkeit so ¸bel zugerichtet worden, daï¬ es leichter wâ°re, aus den Blâ°ttern der Cumâ°ischen Sibylle, als aus den Bruchst¸cken von WËrtern, Sâ°tzen und Perioden, welche noch ¸brig sind, etwas Zusammenhâ°ngendes herauszubringen. Wir gestehen, daï¬ uns dieser Verlust so nahe geht, daï¬ wir uns eher der sinnreichen Ergâ°nzungen, welche Herr Naudot zum Petronius in seinem Kopfe gefunden hat, oder der sâ°mtlichen Werke des Ehrw¸rdigen Paters *** beraubt wissen wollten. Indessen ist doch dieser Verlust in Absicht des Lobes der groï¬en Herren um so leichter zu ertragen, da wir ¸ber den weiten Umfang der Einsichten, die GrËï¬e der Seelen, die edlen Gesinnungen und den guten Geschmack, welcher ordentlicher Weise die groï¬en Herren von den ¸brigen Erden-SËhnen zu unterscheiden pflegt, in dem besten und schlimmsten Buche (je nachdem es Leser bekommt; welches wir ¸brigens ganz unprâ°judizierlich und niemand zu Leide gesagt haben wollen) das in unserm Jahrhundert zur Welt gekommen ist, in dem Buche des Herrn Helvetius, alles gesagt finden, was sich ¸ber einen so reichen und edeln Stoff nur immer sagen lâ°ï¬t. Eine gleiche Bewandtnis hat es mit der Digression ¸ber die Maitressen, und ¸ber die Jagdhunde; ¸ber welche Materien der geneigte Leser in des Grafen Anton Hamiltons Beitrâ°gen zur Histoire amoureuse des Hofes Carls des zweiten von England, und in den bewundernsw¸rdigen Schriften eines gewissen neuern Staatsmannes (den wir seiner Bescheidenheit zu schonen, nicht nennen wollen) mehr als hinlâ°ngliche Auskunft finden kann. Aber den Verlust der dritten Digression bedauren wir von Herzen, indem, (nach der Versicherung eines der grËï¬esten B¸cher-Kenner von Europa) dermalen noch kein Buch in der Welt ist, in welchem diese interessante und ziemlich verwickelte Materie recht auseinandergesetzt und gr¸ndlich ausgef¸hrt wâ°re. Zum Ungl¸ck ist dieses Kapitel eben an diesem Ort am mangelhaftesten. Doch lâ°ï¬t sich aus einigen Worten, welche zum Schlusse dieser Digression zu gehËren scheinen, abnehmen, daï¬ der Verfasser neun und dreiï¬ig Ursachen angegeben habe; und wir gestehen, daï¬ wir begierig wâ°ren, diese neun und dreiï¬ig Ursachen zu wissen.
Fâ¹NFTES KAPITEL
Moralischer Zustand unsers Helden
Der Autor der alten Handschrift, aus welcher wir den grËï¬esten Teil dieser Geschichte gezogen zu haben gestehen, triumphiert, wie man gesehen hat, dar¸ber, daï¬ er seinen Helden mit seiner ganzen Tugend von einem Hofe hinweggebracht habe. Es w¸rde allerdings etwas sein, das einem Wunder ganz nahe kâ°me, wenn es sich w¸rklich so verhielte; aber wir besorgen, daï¬ er mehr gesagt habe, als er der Schâ°rfe nach zu beweisen im Stande wâ°re. Wenn es nicht etwan moralische Amulete gibt, welche der ansteckenden Beschaffenheit der Hofluft auf eben die Art widerstehen, wie der KrËtenstein dem Gift, so deucht uns ein wenig unbegreiflich, daï¬ das Get¸mmel des beschâ°ftigten Lebens, die schâ°dlichen D¸nste der Schmeichelei, welche ein G¸nstling, er wolle oder wolle nicht, unaufhËrlich einsaugt–die Notwendigkeit, von den Forderungen der Weisheit und Tugend immer etwas nachzulassen, um nicht alles zu verlieren–und was noch schâ°dlicher als dieses alles ist, die unzâ°hlichen Zerstreuungen, wodurch die Seele aus sich selbst herausgezogen wird, und ¸ber der Aufmerksamkeit auf eine Menge kleiner vorbeirauschender Gegenstâ°nde, die Aufmerksamkeit auf sich selbst verliert–nicht einige nachteilige Einfl¸sse in den Charakter seines Geistes und Herzens gehabt haben sollten. Indessen