This etext was prepared by Michael Pullen, Alpharetta, GA.
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland
Erste Fassung (1766/1767)
–quid Virtus, et quid Sapientia possit Utile proposuit nobis exemplar.–
Geschichte des Agathon–Inhalt
Vorbericht
Erster Teil
Erstes Buch
Erstes Kapitel: Anfang dieser Geschichte Zweites Kapitel: Etwas ganz Unerwartetes Drittes Kapitel: Unvermutete Unterbrechung des Bacchus-Festes
Viertes Kapitel: Agathon wird zu Schiffe gebracht F¸nftes Kapitel: Eine Entdeckung
Sechstes Kapitel: Erzâ°hlung der Psyche Siebentes Kapitel: Fortsetzung der Erzâ°hlung der Psyche Achtes Kapitel: Psyche beschlieï¬t ihre Erzâ°hlung Neuntes Kapitel: Wie Psyche und Agathon wieder getrennt werden Zehntes Kapitel: Ein Selbstgesprâ°ch
Eilftes Kapitel: Agathon kËmmt zu Smyrna an, und wird verkauft
Zweites Buch
Erstes Kapitel: Wer der Kâ°ufer des Agathon gewesen Zweites Kapitel: Absichten des weisen Hippias Drittes Kapitel: Verwunderung, in welche Agathon gesetzt wird Viertes Kapitel: Welches bei einigen den Verdacht erwecken wird, daï¬ diese Geschichte erdichtet sei F¸nftes Kapitel: Schwâ°rmerei des Agathon Sechstes Kapitel: Ein Gesprâ°ch zwischen Hippias und seinem Sklaven Siebentes Kapitel: Worin Agathon f¸r einen Schwâ°rmer ziemlich gut râ°soniert
Achtes Kapitel: Vorbereitungen zum Folgenden
Drittes Buch
Erstes Kapitel: Vorbereitung zu einem sehr interessanten Diskurs Zweites Kapitel: Theorie der angenehmen Empfindungen Drittes Kapitel: Die Geisterlehre eines echten Materialisten Viertes Kapitel: Worin Hippias bessere Schl¸sse macht F¸nftes Kapitel: Der Anti-Platonismus in Nuce Sechstes Kapitel: Ungelehrigkeit des Agathon
Viertes Buch
Erstes Kapitel: Geheimer Anschlag, den Hippias gegen die Tugend unsers Helden macht
Zweites Kapitel: Hippias stattet einer Dame einen Besuch ab Drittes Kapitel: Geschichte der schËnen Danae Viertes Kapitel: Wie gefâ°hrlich es ist, der Besitzer einer verschËnernden Einbildungskraft zu sein F¸nftes Kapitel: Pantomimen
Sechstes Kapitel: Geheime Nachrichten
F¸nftes Buch
Erstes Kapitel: Was die Nacht durch in den Gem¸tern einiger von unsern Personen vorgegangen
Zweites Kapitel: Eine kleine metaphysische Abschweifung Drittes Kapitel: Worin die Absichten des Hippias einen merklichen Schritt machen
Viertes Kapitel: Verâ°nderung der Szene F¸nftes Kapitel: Nat¸rliche Geschichte der Platonischen Liebe Sechstes Kapitel: Worin der Geschichtschreiber sich einiger Indiskretion schuldig macht
Siebentes Kapitel: Magische Kraft der Musik Achtes Kapitel: Eine Abschweifung, wodurch der Leser zum Folgenden vorbereitet wird
Neuntes Kapitel: Nachrichten zu Verh¸tung eines besorglichen Miï¬verstandes
Zehentes Kapitel: Welches alle unsre verheiratete Leser, wofern sie nicht sehr gl¸cklich oder vollkommne Stoiker sind, ¸berschlagen kËnnen
Eilftes Kapitel: Eine bemerkensw¸rdige W¸rkung der Liebe, oder von der Seelenmischung
Sechstes Buch
Erstes Kapitel: Ein Besuch des Hippias Zweites Kapitel: Eine Probe von den Talenten eines Liebhabers
Drittes Kapitel: Konvulsivische Bewegungen der wiederauflebenden Tugend
Viertes Kapitel: Daï¬ Trâ°ume nicht allemal Schâ°ume sind F¸nftes Kapitel: Ein starker Schritt zu einer Katastrophe
Siebentes Buch
Erstes Kapitel: Die erste Jugend des Agathons Zweites Kapitel: En animam & mentem cum qua Di nocte loquantur!
Drittes Kapitel: Die Liebe in verschiedenen Gestalten Viertes Kapitel: Fortsetzung des Vorhergehenden F¸nftes Kapitel: Agathon entfliehet von Delphi, und findet seinen Vater
Sechstes Kapitel: Agathon kommt nach Athen, und widmet sich der Republik. Eine Probe der besondern Natur desjenigen Windes, welcher vom Horaz aura popularis genennet wird
Siebentes Kapitel: Agathon wird von Athen verbannt Achtes Kapitel: Agathon endigt seine Erzâ°hlung Neuntes Kapitel: Ein starker Schritt zur Entzauberung unsers Helden
Zweiter Teil
Achtes Buch
Erstes Kapitel: Vorbereitung zum Folgenden Zweites Kapitel: Verrâ°terei des Hippias Drittes Kapitel: Folgen des Vorhergehenden Viertes Kapitel: Eine kleine Abschweifung F¸nftes Kapitel: Schwachheit des Agathon; unverhoffter Zufall, der seine Entschlieï¬ungen bestimmt Sechstes Kapitel: Betrachtungen, Schl¸sse und Vorsâ°tze Siebentes Kapitel: Eine oder zwo Digressionen
Neuntes Buch
Erstes Kapitel: Verâ°nderung der Szene. Charakter der Syracusaner, des Dionysius und seines Hofes Zweites Kapitel: Charakter des Dion. Anmerkungen ¸ber denselben. Eine Digression
Drittes Kapitel: Eine Probe, daï¬ die Philosophie so gut zaubern kËnne, als die Liebe
Viertes Kapitel: Philistus und Timocrates F¸nftes Kapitel: Agathon wird der G¸nstling des Dionysius
Zehentes Buch
Erstes Kapitel: Von Haupt–und Staats-Aktionen. Betragen Agathons am Hofe des KËnigs Dionys
Zweites Kapitel: Beispiele, daï¬ nicht alles, was gleiï¬t, Gold ist Drittes Kapitel: Groï¬e Fehler wider die Staats-Kunst, welche Agathon beging–Folgen davon
Viertes Kapitel: Nachricht an den Leser F¸nftes Kapitel: Moralischer Zustand unsers Helden
Eilftes Buch
Erstes Kapitel: Apologie des griechischen Autors Zweites Kapitel: Die Tarentiner. Charakter eines liebensw¸rdigen alten Mannes
Drittes Kapitel: Eine unverhoffte Entdeckung Viertes Kapitel: Etwas, das man ohne Divination vorhersehen konnte F¸nftes Kapitel: Abdankung
VORBERICHT
Der Herausgeber der gegenwâ°rtigen Geschichte siehet so wenig Wahrscheinlichkeit vor sich, das Publicum ¸berreden zu kËnnen, daï¬ sie in der Tat aus einem alten Griechischen Manuskript gezogen sei; daï¬ er am besten zu tun glaubt, ¸ber diesen Punkt gar nichts zu sagen, und dem Leser zu ¸berlassen, davon zu denken, was er will.
Gesetzt, daï¬ wirklich einmal ein Agathon gewesen, (wie dann in der Tat, um die Zeit, in welche die gegenwâ°rtige Geschichte gesetzt worden ist, ein komischer Dichter dieses Namens den Freunden der Schriften Platons bekannt sein muï¬:) gesetzt aber auch, daï¬ sich von diesem Agathon nichts wichtigers sagen lieï¬e, als wenn er geboren worden, wenn er sich verheiratet, wie viel Kinder er gezeugt, und wenn, und an was f¸r einer Krankheit er gestorben sei: was w¸rde uns bewegen kËnnen, seine Geschichte zu lesen, und wenn es gleich gerichtlich erwiesen wâ°re, daï¬ sie in den Archiven des alten Athens gefunden worden sei?
Die Wahrheit, welche von einem Werke, wie dasjenige, so wir den Liebhabern hiemit vorlegen, gefodert werden kann und soll, bestehet darin, daï¬ alles mit dem Lauf der Welt ¸bereinstimme, daï¬ die Charakter nicht willk¸rlich, und bloï¬ nach der Phantasie, oder den Absichten des Verfassers gebildet, sondern aus dem unerschËpflichen Vorrat der Natur selbst hergenommen; in der Entwicklung derselben so wohl die innere als die relative MËglichkeit, die Beschaffenheit des menschlichen Herzens, die Natur einer jeden Leidenschaft, mit allen den besondern Farben und Schattierungen, welche sie durch den Individual-Charakter und die Umstâ°nde einer jeden Person bekommen, aufs genaueste beibehalten; daneben auch der eigene Charakter des Landes, des Orts, der Zeit, in welche die Geschichte gesetzt wird, niemal aus den Augen gesetzt; und also alles so gedichtet sei, daï¬ kein hinlâ°nglicher Grund angegeben werden kËnne, warum es nicht eben so wie es erzâ°hlt wird, hâ°tte geschehen kËnnen, oder noch einmal wirklich geschehen werde. Diese Wahrheit allein kann Werke von dieser Art n¸tzlich machen, und diese Wahrheit getrauet sich der Herausgeber den Lesern der Geschichte des Agathons zu versprechen.
Seine Hauptabsicht war, sie mit einem Charakter, welcher gekannt zu werden w¸rdig wâ°re, in einem manchfaltigen Licht, und von allen seinen Seiten bekannt zu machen. Ohne Zweifel gibt es wichtigere als derjenige, auf den seine Wahl gefallen ist. Allein, da er selbst gewiï¬ zu sein w¸nschte, daï¬ er der Welt keine Hirngespenster f¸r Wahrheit verkaufe; so wâ°hlte er denjenigen, den er am genauesten kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat. Aus diesem Grunde kann er ganz zuverlâ°ssig versichern, daï¬ Agathon und die meisten ¸brigen Personen, welche in seine Geschichte eingeflochten sind, wirkliche Personen sind, dergleichen es von je her viele gegeben hat, und in dieser Stunde noch gibt, und daï¬ (die Neben-Umstâ°nde, die Folge und besondere Bestimmung der zufâ°lligen Begebenheiten, und was sonsten nur zur Auszierung, welche willk¸rlich ist, gehËrt, ausgenommen) alles, was das Wesentliche dieser Geschichte ausmacht, eben so historisch, und vielleicht noch um manchen Grad gewisser sei, als irgend ein St¸ck der glaubw¸rdigsten politischen Geschichtschreiber, welche wir aufzuweisen haben.
Es ist etwas bekanntes, daï¬ Ëfters im menschlichen Leben weit unwahrscheinlichere Dinge begegnen, als der Chevalier de Mouhy selbst zu erdichten sich getrauen w¸rde. Es w¸rde also sehr ¸bereilt sein, die Wahrheit des Charakters unsers Helden deswegen in Verdacht zu ziehen, weil es Ëfters unwahrscheinlich ist, daï¬ jemand so gedacht oder gehandelt habe, wie er. Wenn es unmËglich sein wird, zu beweisen, daï¬ ein Mensch, und ein Mensch unter den besondern Bestimmungen, unter welchen sich Agathon von seiner Kindheit an befunden, nicht so denken oder handeln kËnne, oder wenigstens es nicht ohne Wunderwerke, Einfl¸sse unsichtbarer Geister, oder ¸bernat¸rliche Bezauberung hâ°tte tun kËnnen: So glaubt der Verfasser mit Recht erwarten zu kËnnen, daï¬ man ihm auf sein Wort glaube, wenn er positiv versichert, daï¬ Agathon wirklich so gedacht oder gehandelt habe. Zu gutem Gl¸cke finden sich in den beglaubtesten Geschichtschreibern, und schon allein in den Lebensbeschreibungen des Plutarch Beispiele genug, daï¬ es mËglich sei, so edel, so tugendhaft, so enthaltsam, oder, nach der Sprache des Hippias, und einer ansehnlichen Klasse von Menschen zu reden, so seltsam, so eigensinnig und albern zu sein als es unser Held in einigen Gelegenheiten seines Lebens ist.
Man hat an verschiedenen Stellen des gegenwâ°rtigen Werks die Ursachen angegeben, warum man aus dem Agathon kein Modell eines vollkommen tugendhaften Mannes gemacht hat. Da die Welt mit ausf¸hrlichen Lehrb¸chern der Sittenlehre angef¸llt ist, so steht einem jeden frei, (und es ist nichts leichters) sich einen Menschen einzubilden, der von der Wiege an bis ins Grab, in allen Umstâ°nden und Verhâ°ltnissen des Lebens, allezeit und vollkommen so empfindt, denkt und handelt, wie eine Moral. Damit Agathon das Bild eines wirklichen Menschen wâ°re, in welchem viele ihr eigenes erkennen sollten, konnte er, wir behaupten es zuversichtlich, nicht tugendhafter vorgestellt werden, als er ist; und wenn jemand hierin andrer Meinung sein sollte, so w¸nschten wir, daï¬ er uns (wenn es wahr ist, daï¬ derjenige der Beste ist, der die besten Eigenschaften mit den wenigsten Fehlern hat,) denjenigen nenne, der unter allen nach dem nat¸rlichen Lauf Gebornen, in â°hnlichen Umstâ°nden, und alles zusammen genommen, tugendhafter gewesen wâ°re, als Agathon.
Es ist mËglich, daï¬ irgend ein junger Taugenichts, wenn er siehet, daï¬ ein Agathon den reizenden Verf¸hrungen der Liebe und einer Danae endlich unterliegt, eben den Gebrauch davon machen kann, welchen der junge Châ°rea beim Terenz von einem Gemâ°lde machte, welches eine von den Schelmereien des Vater Jupiters vorstellte,–und daï¬ er, wenn er mit herzlicher Freude gelesen haben wird, daï¬ ein so vortrefflicher Mann habe fallen kËnnen, zu sich selbst sagen mag: Ego homuncio hoc non facerem? ego vero illud faciam ac lubens.
Es ist eben so mËglich, daï¬ ein ¸belgesinnter oder ruchloser Mensch, den Diskurs des Sophisten Hippias lesen, und sich einbilden kann, die Rechtfertigung seines Unglaubens und seines lasterhaften Lebens darin zu finden: Aber alle rechtschaffnen Leute werden mit uns ¸berzeugt sein, daï¬ dieser junge Bube, und dieser ruchlose Freigeist beides gewesen und geblieben wâ°ren, wenn gleich keine Geschichte des Agathon in der Welt wâ°re.
Dieses letztere Beispiel f¸hrt uns auf eine Erlâ°uterung, wodurch wir der Schwachheit gewisser gutgesinnter Leute, deren Wille besser ist, als ihre Einsichten, zu H¸lfe zu kommen, und sie vor unzeitig genommenem â°rgernis oder ungerechten Urteilen zu verwahren, uns verbunden glauben. Wir gestehen gerne, daï¬ wir in das Bewuï¬tsein der Redlichkeit unsrer Absichten eingeh¸llt, nicht daran gedacht hâ°tten, daï¬ diese Sorgfalt nËtig wâ°re, wenn uns nicht die Anmerkung stutzen gemacht hâ°tte, welche einer unsrer Freunde, ohne unser Vorwissen, auf der Seite pag. 58, unter den Text zu setzen, gut befunden.
Diese Erlâ°uterung betrifft die Einf¸hrung des Sophisten Hippias in unsere Geschichte, und den Diskurs, wodurch er den Agathon von seinem liebensw¸rdigen und tugendhaften Enthusiasmus zu heilen, und zu einer Denkungsart zu bringen hofft, welche er nicht ohne guten Grund f¸r geschickter hâ°lt, sein Gl¸ck in der Welt zu machen. Leute, die aus gesunden Augen gerade vor sich hin sehen, w¸rden ohne unser Erinnern aus dem ganzen Zusammenhang unsers Werkes, und aus der Art, wie wir bei aller Gelegenheit von diesem Sophisten und seinen Grundsâ°tzen reden, ganz deutlich eingesehen haben, wie wenig wir dem Mann und dem System g¸nstig sind; und ob es sich gleich weder f¸r unsere eigene Art zu denken, noch f¸r den Ton und die Absicht unsers Buches geschickt hâ°tte, mit dem heftigen Eifer gegen ihn auszubrechen, welcher einen jungen Magister treibt, wenn er, um sich seinem Consistorio zu einer guten Pfr¸nde zu empfehlen, gegen einen Tindal oder Bolingbroke zu Felde zieht: So hoffen wir doch bei vern¸nftigen und ehrlichen Lesern keinen Zweifel ¸brig gelassen zu haben, daï¬ wir den Hippias f¸r einen schlimmen und gefâ°hrlichen Mann, und sein System, (in so fern es den echten Grundsâ°tzen der Religion und der Rechtschaffenheit widerspricht) f¸r ein Gewebe von Trugschl¸ssen ansehen, welche die menschliche Gesellschaft zu grunde richten w¸rden, wenn es moralisch mËglich wâ°re, daï¬ der grËï¬ere Teil der Menschen damit angesteckt werden kËnnte. Wir glauben also vor allem Verdacht ¸ber diesen Artikel sicher zu sein. Aber da unter unsern Lesern ehrliche Leute sein kËnnen, welche uns wenigstens eine Unvorsichtigkeit Schuld geben, und davor halten mËchten, daï¬ wir diesen Hippias entweder gar nicht einf¸hren, oder wenn dieses der Plan unsers Werkes ja erfodert hâ°tte, seine Lehrsâ°tze ausf¸hrlich hâ°tten widerlegen sollen: So sehen wir f¸r billig an, ihnen die Ursachen zu sagen, warum wir das erste getan, und das andere unterlassen haben.
Weil nach unserm Plan der Charakter unsers Helden auf verschiedene Proben gestellt werden sollte, durch welche seine Denkensart und seine Tugend erlâ°utert, und dasjenige, was darin ¸bertrieben, und unecht war, nach und nach abgesondert w¸rde; so war es um so viel nËtiger ihn auch dieser Probe zu unterwerfen, da Hippias, bekannter maï¬en, eine historische Person ist, und mit den ¸brigen Sophisten derselben Zeit sehr vieles zur Verderbnis der Sitten unter den Griechen beigetragen hat. ¸berdem diente er den Charakter und die Grundsâ°tze unsers Helden durch den Kontrast, den er mit selbigen macht, in ein desto hËheres Licht zu setzen. Und da es mehr als zu gewiï¬ ist, daï¬ der grËï¬este Teil derjenigen, welche die groï¬e Welt ausmachen, wie Hippias denkt, oder doch nach seinen Grundsâ°tzen handelt; so war es auch in dem Plan der moralischen Absichten, welche wir uns bei diesem Werke vorgesetzt haben, zu zeigen, was f¸r einen Effekt diese Grundsâ°tze machen, wenn sie in den gehËrigen Zusammenhang gebracht werden. Und dieses sind die hauptsâ°chlichsten Ursachen, warum wir diesen Sophisten (welchen wir nicht schlimmer vorgestellt haben, als er wirklich war, und als seine Br¸der noch heutiges Tages sind) in die Geschichte des Agathon eingeflochten haben.
Eine ausf¸hrliche Widerlegung dessen, was in seinen Grundsâ°tzen irrig und gefâ°hrlich ist: (Denn in der Tat hat er nicht allemal unrecht,) wâ°re in Absicht unsers Plans ein wahres hors d’oeuvre gewesen, und schien uns auch in Absicht der Leser ¸berfl¸ssig; indem nicht nur die Antwort, welche ihm Agathon gibt, das beste enthâ°lt, was man dagegen sagen kann; sondern auch das ganze Werk (wie einem jeden in die Augen fallen wird, sobald man das Ganze wird ¸bersehen kËnnen) als eine Widerlegung desselben anzusehen ist. Agathon widerlegt den Hippias beinahe auf die nâ°mliche Art wie Diogenes den Sophisten, welcher leugnete, daï¬ eine Bewegung sei: Diogenes lieï¬ den Sophisten schwatzen, so lang er wollte; und da er fertig war, begn¸gte er sich vor seinen Augen ganz gelassen auf und ab zu gehen. Dieses war unstreitig die einzige Widerlegung, die er verdiente.
Wir w¸rden dem zweiten Teile, dessen Ausgabe von der Aufnahme des ersten abhangen wird, den Vorteil der Neuheit und den Lesern zu gleicher Zeit ein k¸nftiges Vergn¸gen rauben, wenn wir den Inhalt desselben vor der Zeit bekannt machten. Genug, daï¬ man unsern Helden in der Folge in eben so sonderbaren und interessanten Umstâ°nden und Verwicklungen sehen wird, als in dem ersten Teil. Alles, was wir vorlâ°ufig von der Entwicklung sagen kËnnen, ist dieses: daï¬ Agathon in der letzten Periode seines Lebens, welche den Beschluï¬ unsers Werkes macht, ein eben so weiser als tugendhafter Mann sein wird, und (was uns hiebei das beste zu sein deucht, ) daï¬ unsre Leser begreifen werden, wie und warum er es ist; warum vielleicht viele unter ihnen, weder dieses noch jenes sind; und wie es zugehen m¸ï¬te, wenn sie es werden sollten.
ERSTER TEIL
ERSTES BUCH
ERSTES KAPITEL
Anfang dieser Geschichte
Die Sonne neigte sich bereits zum Untergang, als Agathon, der sich in einem unwegsamen Walde verirret hatte, von der vergeblichen Bem¸hung einen Ausgang zu finden abgemattet, an dem Fuï¬ eines Berges anlangte, welchen er noch zu ersteigen w¸nschte, in Hoffnung von dem Gipfel desselben irgend einen bewohnten Ort zu entdecken, wo er die Nacht zubringen kËnnte. Er schleppte sich also mit M¸he durch einen Fuï¬weg hinauf, den er zwischen den Gestrâ°uchen gewahr ward; allein da er ungefâ°hr die Mitte des Berges erreicht hatte, f¸hlt er sich so entkrâ°ftet, daï¬ er den Mut verlor den Gipfel erreichen zu kËnnen, der sich immer weiter von ihm zu entfernen schien, je mehr er ihm nâ°her kam. Er warf sich also ganz Atemlos unter einen Baum hin, der eine kleine Terrasse umschattete, auf welcher er die einbrechende Nacht zuzubringen beschloï¬.
Wenn sich jemals ein Mensch in Umstâ°nden befunden hatte, die man ungl¸cklich nennen kann, so war es dieser J¸ngling in denjenigen, worin wir ihn das erstemal mit unsern Lesern bekannt machen. Vor wenigen Tagen noch ein G¸nstling des Gl¸cks, und der Gegenstand des Neides seiner Mitb¸rger, befand er sich, durch einen plËtzlichen Wechsel, seines VermËgens, seiner Freunde, seines Vaterlands beraubt, allen Zufâ°llen des widrigen Gl¸cks, und selbst der Ungewiï¬heit ausgesetzt, wie er das nackte Leben, das ihm allein ¸brig gelassen war, erhalten mËchte. Allein ungeachtet so vieler Widerwâ°rtigkeiten, die sich vereinigten seinen Mut niederzuschlagen, versichert uns doch die Geschichte, daï¬ derjenige, der ihn in diesem Augenblick gesehen hâ°tte, weder in seiner Miene noch in seinen Gebâ°rden einige Spur von Verzweiflung, Ungeduld oder nur von Miï¬vergn¸gen hâ°tte bemerken kËnnen.
Vielleicht erinnern sich einige hiebei an den Weisen der Stoiker von welchem man ehmals versicherte, daï¬ er in dem gl¸henden Ochsen des Phalaris zum wenigsten so gl¸cklich sei, als ein Morgenlâ°ndischer Bassa in den weichen Armen einer jungen Circasserin. Da sich aber in dem Lauf dieser Geschichte verschiedne Proben einer nicht geringen Ungleichheit unsers Helden mit dem Weisen des Seneca zeigen werden, so halten wir f¸r wahrscheinlicher, daï¬ seine Seele von der Art derjenigen gewesen sei, welche dem Vergn¸gen immer offen stehen, und bei denen eine einzige angenehme Empfindung hinlâ°nglich ist, sie alles vergangnen und k¸nftigen Kummers vergessen zu machen. Eine Ëffnung des Waldes zwischen zween Bergen zeigte ihm von fern die untergehende Sonne. Es brauchte nichts mehr als diesen Anblick, um die Empfindung seiner widrigen Umstâ°nde zu unterbrechen. Er ¸berlieï¬ sich der Begeisterung, worin dieses majestâ°tische Schauspiel empfindliche Seelen zu setzen pflegt, ohne eine lange Zeit sich seiner dringendsten Bed¸rfnisse zu erinnern. Endlich weckte ihn doch das Rauschen einer Quelle, die nicht weit von ihm aus einem Felsen hervor sprudelte, aus dem angenehmen Staunen, worin er etliche Minuten sich selbst vergessen hatte; er stand auf, und schËpfte mit der hohlen Hand von diesem Wasser, dessen flieï¬enden Kristall, seiner Einbildung nach, eine wohltâ°tige Nymphe seinen Durst zu stillen, aus ihrem Marmorkrug entgegen goï¬; und anstatt die von Cyprischem Wein sprudelnde Becher der Athenischen Gastmâ°hler zu vermissen, deuchte ihm, daï¬ er niemals angenehmer getrunken habe. Er legte sich hierauf wieder nieder, entschlief unter dem sanftbetâ°ubenden Gemurmel der Quelle, und trâ°umte, daï¬ er seine geliebte Psyche wieder gefunden habe, deren Verlust das einzige war, was ihm von Zeit zu Zeit einige Seufzer auspreï¬te.
ZWEITES KAPITEL
Etwas ganz Unerwartetes
Wenn es seine Richtigkeit hat, daï¬ alle Dinge in der Welt in der genauesten Beziehung auf einander stehen, so ist nicht minder gewiï¬, daï¬ diese Verbindung unter einzelnen Dingen oft ganz unmerklich ist; und daher scheint es zu kommen, daï¬ die Geschichte zuweilen viel seltsamere Begebenheiten erzâ°hlt, als ein Romanen–Schreiber zu dichten wagen d¸rfte. Dasjenige, was unserm Helden in dieser Nacht begegnete, gibt mir neue Bekrâ°ftigung dieser Beobachtung ab. Er genoï¬ noch der S¸ï¬igkeit des Schlafs, den Homer f¸r ein so groï¬es Gut hâ°lt, daï¬ er ihn auch den Unsterblichen zueignet; als er durch ein lâ°rmendes GetËse plËtzlich aufgeschreckt wurde. Er horchte gegen die Seite, woher es zu kommen schiene, und glaubte in dem vermischten Get¸mmel ein seltsames Heulen und Jauchzen zu unterscheiden, welches von den entgegenstehenden Felsen auf eine f¸rchterliche Art widerhallte. Agathon, der nur im Schlaf erschreckt werden konnte, beschloï¬ diesem GetËse mit eben dem Mut entgegen zu gehen, womit in spâ°tern Zeiten der unbezwingbare Ritter von Mancha dem nâ°chtlichen Klappern der Walkm¸hlen Trotz bot. Er bestieg also den obern Teil des Berges mit so vieler Eilfertigkeit als er konnte, und der Mond, dessen voller Glanz die ganze Gegend weit umher aus den dâ°mmernden Schatten hob, beg¸nstigte sein Unternehmen. Das Get¸mmel nahm immer zu, je nâ°her er dem R¸cken des Berges kam; er unterschied itzt den Schall von Trummeln und das Fl¸stern regelloser FlËten, und fing an zu erraten, was dieser Lâ°rm zu bedeuten haben mËchte; als sich ihm plËtzlich ein Schauspiel darstellte, welches fâ°hig scheinen kËnnte, den Weisen selbst, dessen wir oben erwâ°hnet haben, seiner eingebildeten GËttlichkeit vergessen zu machen. Ein schwâ°rmender Haufen von jungen Thracischen Weibern war es, welche von der Orphischen Wut begeistert, sich in dieser Nacht versammelt hatten, die unsinnigen Gebrâ°uche zu begehen, die das heidnische Altertum zum Andenken des ber¸hmten Zuges des Bacchus aus Indien eingesetzt hatte. Ohne Zweifel kËnnte eine ausschweifende Einbildungskraft, oder der Griffel eines la Fage von einer solchen Szene ein ziemlich verf¸hrerisches Gemâ°lde machen; allein die Eindr¸cke die der wirkliche Anblick auf unsern jungen Helden machte, waren nichts weniger als von der reizenden Art. Das st¸rmisch fliegende Haar, die rollenden Augen, die beschâ°umten Lippen und die aufgeschwollnen Muskeln, die wilden Gebâ°rden und die rasende FrËhlichkeit, mit der diese Unsinnigen in frechen Stellungen, ihre mit zahmen Schlangen umwundnen Thyrsos sch¸ttelten, ihre Klapperbleche zusammen schlugen, oder abgebrochne Dithyramben mit lallender Zunge stammelten; alle diese Ausbr¸che einer fanatischen Wut, die ihm nur desto schâ°ndlicher vorkam, weil sie den Aberglauben zur Quelle hatte, machten seine Augen unempfindlich, und erweckten ihm einen Ekel vor Reizungen, die mit der Schamhaftigkeit alle ihre Macht auf ihn verloren hatten. Er wollte zur¸ck fliehen, aber es war unmËglich, weil er in eben dem Augenblick, da er sie erblickte, von ihnen bemerkt worden war. Der unerwartete Anblick eines J¸ngling, an einem Ort und bei einem Feste, welches kein mâ°nnliches Aug entweihen durfte, hemmte plËtzlich den Lauf ihrer lâ°rmenden FrËhlichkeit, um alle ihre Aufmerksamkeit auf diese Erscheinung zu wenden.
Hier kËnnen wir unsern Lesern einen Umstand nicht lâ°nger verhalten, der in diese ganze Geschichte einen groï¬en Einfluï¬ hat. Agathon war von einer so wunderbaren SchËnheit, daï¬ die Rubens und Girardons seiner Zeit, weil sie die Hoffnung aufgaben, eine vollkommnere Gestalt zu erfinden, oder aus den zerstreuten SchËnheiten der Natur zusammen zu setzen, die seinige zum Muster nahmen, wenn sie den Apollo oder Bacchus vorstellen wollten. Niemals hatte ihn ein weibliches Aug erblickt, ohne die Schuld ihres Geschlechts zu bezahlen, welches die Natur f¸r die SchËnheit so empfindlich gemacht zu haben scheint, daï¬ diese einzige Eigenschaft den meisten unter ihnen die Abwesenheit aller ¸brigen verbirgt. Agathon hatte ihr in diesem Augenblick noch mehr zu danken; sie rettete ihn von dem Schicksal des Pentheus. Seine SchËnheit setzte diese Mâ°naden in Erstaunen. Ein J¸ngling von einer solchen Gestalt, an einem solchen Ort, zu einer solchen Zeit! Konnten sie ihn f¸r etwas geringers halten, als f¸r den Bacchus selbst? In dem Taumel worin sich ihre Sinnen befanden, war nichts nat¸rlichers als dieser Gedanke; auch gab er ihrer Phantasie auf einmal einen so feurigen Schwung, daï¬, da sie die Gestalt dieses Gottes vor sich sahen, sie alles ¸brige hinzudichtete, was ihm zu einem vollstâ°ndigen Dionysus mangelte. Ihre bezauberten Augen stellten ihnen die Silenen und die Ziegenf¸ï¬igen Faunen vor, die um ihn her schwâ°rmten, und Tyger und Leoparden die mit liebkosender Zunge seine F¸ï¬e leckten; Blumen, so deucht es sie, entsprangen unter seinen Fuï¬sohlen, und Quellen von Wein und Honig sprudelten von jedem seiner Tritte auf, und rannen in schâ°umenden Bâ°chen die Felsen hinab. Auf einmal erschallte der ganze Berg, der Wald und die benachbarten Felsen von ihrem lauten “Evan, Evan!” mit einem so entsetzlichen GetËse der Trummeln und Klapperbleche, daï¬ Agathon, bei dem das, was er in diesem Augenblick sah und hËrte, alles ¸berstieg, was er jemals gesehen, gehËrt, gedichtet oder getrâ°umt hatte, von Entsetzen und Erstaunung gefesselt, wie eine Bildsâ°ule stehen blieb, indes, daï¬ die entz¸ckten Bacchantinnen gaukelnde Tâ°nze um ihn her machten, und durch tausend unsinnige Gebâ°rden ihre Freude ¸ber die vermeinte Gegenwart ihres Gottes ausdr¸ckten.
Allein die unmâ°ï¬igste Schwâ°rmerei hat ihre Grenzen, und weicht endlich der Obermacht der Sinnen. Zum Ungl¸ck f¸r den Helden unsrer Geschichte kamen diese Unsinnigen allmâ°hlich aus einer Entz¸ckung zur¸ck, wor¸ber sich vermutlich ihre Einbildungskraft gâ°nzlich abgemattet hatte, und bemerkten immer mehr menschliches an demjenigen, den seine ungewËhnliche SchËnheit in ihren trunknen Augen vergËttert hatte. Etliche, die das Bewuï¬tsein ihrer eignen stolz genug machte, die Ariadnen dieses neuen Bacchus zu sein, nâ°herten sich ihm, und setzten ihn durch die Art womit sie ihre Empfindungen ausdr¸ckten in eine desto grËï¬ere Verlegenheit, je weniger er geneigt war, ihre ungest¸men Liebkosungen zu erwidern. Dem Ansehn nach w¸rde unter ihnen selbst ein grimmiger Streit entstanden sein, und Agathon zuletzt das tragische Schicksal des Orpheus, der ehmals aus â°hnlichen Ursachen von den thracischen Mâ°naden zerrissen worden war, erfahren haben, wenn nicht die Unsterblichen, die das Gewebe der menschlichen Zufâ°lle leiten, in eben dem Augenblick ein Mittel seiner Errettung herbeigebracht hâ°tten, da weder seine Stâ°rke, noch seine Tugend ihn zu retten hinlâ°nglich war.
DRITTES KAPITEL
Unvermutete Unterbrechung des Bacchus-Festes
Eine Schar Cilicischer Seerâ°uber, welche frisches Wasser einzunehmen bei nâ°chtlicher Weile an dieser K¸ste gelâ°ndet, hatten von fern das Get¸mmel der Bacchantinnen gehËrt, und sogleich f¸r einen Aufruf zu einer ansehnlichen Beute aufgenommen. Sie erinnerten sich, daï¬ die vornehmsten Frauen dieser Gegend die geheimnisvollen Orgya um diese Zeit zu begehen pflegten; und daï¬ sie, wenn sie sich zu solchem Ende versammelten, in ihrem schËnsten Putz aufzuziehen pflegten, ob sie gleich vor Besteigung des Berges sich dessen wieder entledigten, und alles bis zu ihrer Wiederkunft von einer Anzahl Sklavinnen bewachen lieï¬en. Die Hoffnung, auï¬er diesen Weibern, von denen sie die schËnsten f¸r die Asiatischen Harems bestimmten, eine Menge von kostbaren Kleidern und Juwelen zu erbeuten, schien ihnen wohl wert, sich etwas lâ°nger aufzuhalten. Sie teilten sich also in zween Haufen, davon der eine sich derer bemâ°chtigte, welche die Kleider h¸teten, indessen daï¬ die ¸brigen den Berg bestiegen, und mit groï¬em Geschrei unter die Thracierinnen einst¸rmend, sich von ihnen Meister machten, ehe sie Zeit oder Mut hatten, sich zur Wehr zu setzen. Die Umstâ°nde waren allerdings so beschaffen, daï¬ sie sich allein mit den gewËhnlichen und anstâ°ndigsten Waffen ihres Geschlechts verteidigen konnten. Allein diese Cilicier waren allzusehr Seerâ°uber, als daï¬ sie auf die Trâ°nen und Bitten, noch selbst auf die Reizungen dieser SchËnen einige Achtung gemacht hâ°tten, welche doch in diesem Augenblick, da Schrecken und Zagheit ihnen die Weiblichkeit (wenn es erlaubt ist, dieses Wort einem groï¬en Dichter abzuborgen) wiedergegeben hatte, selbst dem sittsamen Agathon so verf¸hrerisch vorkamen, daï¬ er vor gut befand, seine nicht gerne gehorchende Augen an den Boden zu heften. Allein die Râ°uber hatten itzt andre Sorgen, und waren nur darauf bedacht, wie sie ihre Beute aufs schleunigste in Sicherheit bringen mËchten. Und so entging Agathon, f¸r etliche nicht allzufeine Scherze ¸ber die Gesellschaft, worin man ihn gefunden hatte, und f¸r seine Freiheit, einer Gefahr, aus der er seinen Gedanken nach sich nicht zu teuer loskaufen konnte. Der Verlust der Freiheit schien ihn in den Umstâ°nden worin er war, wenig zu bek¸mmern; und in der Tat, da er alles ¸brige verloren hatte, was die Freiheit schâ°tzbar macht, so hatte er wenig Ursache sich wegen eines Verlusts zu krâ°nken, der ihm wenigstens eine Verâ°nderung im Ungl¸ck versprach.
VIERTES KAPITEL
Agathon wird zu Schiffe gebracht
Nachdem die Cilicier mit ihrer gesamten Beute wieder zu Schiffe gegangen, und die Teilung derselben mit grËï¬erer Eintracht, als womit die Vorsteher einer kleinen Republik sich in die Ëffentlichen Eink¸nfte zu teilen pflegen, geendiget hatten; brachten sie den Rest der Nacht mit einem Schmause zu, bei welchem sie nicht vergaï¬en, sich wegen der mehr als stoischen Unempfindlichkeit, die sie bei Eroberung der thracischen SchËnen bewiesen hatten, schadlos zu halten. Unterdessen aber, daï¬ das ganze Schiff beschâ°ftiget war, das angefangne Bacchusfest zu vollenden, hatte sich Agathon unbemerkt in einen Winkel zur¸ck gezogen, wo er vor M¸digkeit abermals einschlummerte, und den Traum gerne fortgesetzt hâ°tte, aus welchem ihn das “Evan Evan” der berauschten Mâ°naden geweckt hatte.
Fâ¹NFTES KAPITEL
Eine Entdeckung
Die aufgehende Sonne, die von der rosenfingrichten Aurora angek¸ndiget, das jonische Meer mit ihren ersten Strahlen vergoldete, fand alle diejenigen, mit dem Virgil zu reden, von Wein und Schlaf begraben, welche die Nacht durch dem Bacchus und seiner GËttin Schwester geopfert hatten. Nur Agathon, der gewohnt war mit der MorgenrËte zu erwachen, wurde von den ersten Strahlen geweckt, die in horizontalen Linien an seiner Stirne hinschl¸pften. Indem er die Augen aufschlug, sah er einen jungen Menschen in einer Sklaven-Kleidung vor sich stehen, der ihn mit groï¬er Aufmerksamkeit betrachtete. So schËn als Agathon war, so schien er doch von diesem liebensw¸rdigen J¸ngling an Feinheit der Gestalt und Farbe ¸bertroffen zu werden; in der Tat hatte er in seiner Gesichtsbildung und in seiner ganzen Figur etwas so jungfrâ°uliches, daï¬ er, gleich dem schËnen Liebling des Horaz, in weiblicher Kleidung unter einer Schar von Mâ°dchen gemischt, gar leicht das Auge des schâ°rfsten Kenners betrogen haben w¸rde. Agathon erwiderte den Anblick dieses jungen Sklaven mit einer Aufmerksamkeit, in welcher ein angenehmes Erstaunen nach und nach sich bis zur Entz¸ckung erhob. Eben diese Bewegungen enth¸llten sich auch in dem anmutigen Gesichte des jungen Sklaven; ihre Seelen erkannten einander in eben demselben Augenblicke, und schienen durch ihre Blicke schon in einander zu flieï¬en, eh ihre Arme sich umfangen, und die von Entz¸ckung bebende Lippen “Psyche–Agathon”, ausrufen konnten. Sie schwiegen eine lange Zeit; dasjenige, was sie empfanden, war ¸ber allen Ausdruck; und wozu bedurften sie der Worte? Der Gebrauch der Sprache hËrt auf, wenn sich die Seelen einander unmittelbar mitteilen, sich unmittelbar anschauen und ber¸hren, und in einem Augenblick mehr empfinden, als die Zunge der Musen selbst in ganzen Jahren auszusprechen vermËchte. Die Sonne w¸rde vielleicht unbemerkt ¸ber ihrem Haupt hinweg, und wieder in den Ozean hinab gestiegen sein, ohne daï¬ sie in dem fortdaurenden Augenblick der Entz¸ckung den Wechsel der Stunden bemerkt hâ°tten; wenn nicht Agathon dem es allerdings zukam hierin der erste zu sein, sich mit sanfter Gewalt aus den Armen seiner Psyche losgewunden hâ°tte, um von ihr zu erfahren, durch was f¸r einen Zufall sie in die Gewalt der Seerâ°uber gekommen sei. “Die Zeit ist kostbar, liebste Psyche” sagte er, “wir m¸ssen uns der Augenblicke bemâ°chtigen, da diese Barbaren, von der Gewalt ihres Gottes bezwungen, zu Boden liegen. Erzâ°hle mir, durch was f¸r einen Zufall wurdest du von meiner Seite gerissen, ohne daï¬ es mir mËglich war zu erfahren, wie oder wohin? Und wie finde ich dich itzt in diesem Sklavenkleid, und in der Gewalt dieser Seerâ°uber?”
SECHSTES KAPITEL
Erzâ°hlung der Psyche
“Du erinnerst dich”, antwortete ihm Psyche, “jener ungl¸cklichen Stunde, da die eifers¸chtige Pythia unsre Liebe, so geheim wir sie zu halten vermeinten, entdeckte. Nichts war ihrer Wut zu vergleichen, und es fehlte nur noch, daï¬ ihre Rache nicht mein Leben zum Opfer verlangte; denn sie lieï¬ mich einige Tage alles erfahren, was verschmâ°hte Liebe erfinden kann, eine gl¸ckliche Nebenbuhlerin zu quâ°len. Ob sie es nun gleich in ihrer Gewalt hatte, mich deinen Augen gâ°nzlich zu entziehen, so hielt sie sich doch niemals sicher, so lang ich zu Delphi sein w¸rde. Sie machte bald ein Mittel ausf¸ndig, sich meiner zu entledigen, ohne einigen Argwohn zu erwecken; sie schenkte mich einer Verwandten, die sie zu Syracus hatte, und weil sie mich an diesem Orte weit genug von dir entfernt hielt, sâ°umte sie nicht, mich in der grËï¬ten Stille nach Corinth, und von da nach Sicilien bringen zu lassen. Die TËrin! kannte sie die Macht der Liebe nicht, die Agathon einflËï¬t? Wuï¬te sie nicht, daï¬ keine Scheidung der Leiber durch Lâ°nder und Meere meine Seele verhindern kËnne, aus einer Zone in die andre zu fliegen, und gleich einem liebenden Schatten um dich her zu schweben? Oder hoffte sie, reizender in deinen Augen zu werden, wenn du mich nicht mehr neben ihr sehen w¸rdest? Wie wenig kannte sie unsre Liebe! Nein, wahre Liebe kann so wenig eifers¸chtig sein, als sich selbst f¸hlende Stâ°rke zittern kann.–Ich verlieï¬ Delphi mit zerriï¬nem Herzen. Als ich den letzten Blick auf diese bezauberten Haine heftete, wo deine Liebe mir ein neues Wesen gab, eine neue W¸rklichkeit, gegen die mein voriges Leben eine ekelhafte Abwechslung von einfËrmigen Tagen und Nâ°chten, ein ungef¸hltes Pflanzen-Leben war, als ich diese geliebte Gegend endlich ganz aus den Augen verlor.–Nein, Agathon, ich kann es nicht beschreiben, du kannst es empfinden, du allein–Als ich mich selbst wieder f¸hlte, erleichtert ein Strom von Trâ°nen mein gepreï¬tes Herz. Es war eine Art von Wollust in diesen Trâ°nen, ich lieï¬ ihnen freien Lauf, ohne mich zu bek¸mmern, daï¬ sie gesehen w¸rden. Die Welt schien mir ein leerer Raum, und alle Gegenstâ°nde um mich her Trâ°ume und Schatten; du und ich waren allein; ich sah, ich hËrte nur dich, ich lag an deiner Brust, ich legte meinen Arm um deinen Hals, ich zeigte dir meine Seele in meinen Augen; ich f¸hrte dich in die heiligen Schatten, wo du mich die Gegenwart der Unsterblichen f¸hlen lehrtest; ich lag zu deinen F¸ï¬en, und meine an deinen Lippen hangende Seele glaubte den Gesang der Musen zu hËren, wenn du sprâ°chest; wir wandelten Hand in Hand beim sanften Mondschein durch elysische Gegenden, oder setzten uns unter die Blumen, stillschweigend, indem unsre Seelen, in ihrer eignen geistigen Sprache sich einander enth¸llten, und lauter Licht und Wonne um sich her sahen, und unsterblich zu sein w¸nschten, um sich ewig lieben zu kËnnen. Unter diesen Erinnerungen, deren Lebhaftigkeit alle â°uï¬re Empfindungen verdunkelte, beruhigte sich mein Herz allgemach. Ich, die sich selbst nur f¸r einen Teil deines Wesens hielt, konnte nicht glauben, daï¬ wir immer getrennt bleiben w¸rden. Diese Hoffnung machte nun mein Leben aus, und bemâ°chtigte sich meiner so sehr, daï¬ ich wieder heiter wurde. Denn ich zweifelte nicht, ich wuï¬te es, daï¬ du nicht aufhËren kËnntest, mich zu lieben. Ich ¸berlieï¬ dich der gl¸henden Leidenschaft einer mâ°chtigen und reizenden Nebenbuhlerin, ohne sie einen Augenblick zu f¸rchten. Ich wuï¬te, daï¬ wenn sie es auch so weit bringen kËnnte, deine Sinnen zu verf¸hren, sie doch unfâ°hig sei, dir eine Liebe einzuflËï¬en wie die unsrige, und daï¬ du dich bald wieder nach derjenigen sehnen w¸rdest, die dich allein gl¸cklich machen, weil sie allein dich lieben kann, wie du geliebt zu sein w¸nschest. Unter tausend solchen Gedanken kam ich endlich zu Syracus an. Die vorsichtige Priesterin hatte Anstalt gemacht, daï¬ ich nirgend Mittel finden konnte, dir von meinem Aufenthalt Nachricht zu geben. Meine neue Gebieterin war von der guten Art von GeschËpfen, die gemacht sind sich selbst zu gefallen, und sich alles gefallen zu lassen. Ich wurde zu der Ehre bestimmt, den Aufputz ihres schËnen Kopfes zu besorgen; und die Art, wie ich dieses Amt verwaltete, erwarb mir ihre Gunst so sehr, daï¬ sie mich beinahe so viel liebte, als ihren Schoï¬hund. In diesem Zustand hielt ich mich f¸r so gl¸cklich, als ich es ohne deine Gegenwart in einem jeden andern hâ°tte sein kËnnen, bis die Ankunft des Sohnes meiner Gebieterin die Szene verâ°nderte.”
SIEBENTES KAPITEL
Fortsetzung der Erzâ°hlung der Psyche
“Narcissus, so hieï¬ dieser junge Herr, war von seiner Mutter nach Athen geschickt worden, die Weisen daselbst zu hËren, und die feinen Sitten der Athenienser an sich zu nehmen. Allein er hatte keine Zeit gefunden, weder das eine noch das andre zu tun. Einige junge Leute, die er seine Freunde nannte, machten jeden Tag eine neue Lustbarkeit ausf¸ndig, die ihn verhinderte, die schwerm¸tigen Spaziergâ°nge der Philosophen zu besuchen. ¸berdas hatten ihm die artigsten Strâ°uï¬ermâ°dchen von Athen gesagt, daï¬ er ein sehr liebensw¸rdiger junger Herr wâ°re; er hatte es ihnen geglaubt, und sich also keine M¸he gegeben, erst zu werden, was er nach einem so vollg¸ltigen Zeugnis, schon war. Er hatte sich also mit nichts beschâ°ftiget, als seine Person in das gehËrige Licht zu setzen; niemand in Athen konnte sich r¸hmen lâ°cherlicher geputzt zu sein, weiï¬ere Zâ°hne und sanftere Hâ°nde zu haben als Narcissus. Er war der erste in der Kunst, sich in einem Augenblick zweimal auf einem Fuï¬ herum zu drehen, einen Fâ°cher aufzuheben, oder ein Blumenstrâ°uï¬chen an die Stirne einer Dame zu stecken. Bei solchen Vorz¸gen glaubte er einen nat¸rlichen Beruf zu haben, sich dem weiblichen Geschlecht anzubieten. Die Leichtigkeit womit seine Verdienste ¸ber die zâ°rtlichen Herzen der Strâ°uï¬ermâ°dchen gesiegt hatten, machte ihm Mut sich an die Kammermâ°dchen zu wagen, und von diesen Nymphen erhob er sich endlich zu den GËttinnen selbst. Ohne sich zu bek¸mmern, wie sein Herz aufgenommen wurde, hatte er sich angewËhnt zu glauben, daï¬ er unwiderstehlich sei; und wenn er nicht allemal Proben davon erhielt, so machte er sich daf¸r schadlos, indem er sich der Gunstbezeugungen am meisten r¸hmte, die er nicht genossen hatte.–Wunderst du dich, Agathon, woher ich so wohl von ihm unterrichtet bin? Von ihm selbst. Was meine Augen nicht an ihm entdeckten, das sagte mir sein Mund. Denn er selbst war der unerschËpfliche Inhalt seiner Gesprâ°che, so wie der einzige Gegenstand seiner Bewunderung. Ein Liebhaber von dieser Art sollte dem Ansehen nach wenig zu bedeuten haben. Eine Zeit lang belustigte mich seine Torheit; allein er wurde ungest¸m. Er fand es unanstâ°ndig, daï¬ eine Aufwâ°rterin seiner Mutter unempfindlich gegen ein Herz bleiben sollte, um welches die Strâ°uï¬er-Mâ°dchen zu Athen einander beneidet hatten. Ich ward endlich genËtiget, meine Zuflucht zu seiner Mutter zu nehmen. Allein eben diese leutselige Organisation, welche sie g¸tig gegen sich selbst, gegen ihr Schoï¬h¸ndchen und gegen alle Welt machte, machte sie auch g¸tig gegen die Torheiten ihres Sohnes. Sie schien es so gar ¸bel zu nehmen, daï¬ ich von den Vorz¸gen eines so liebreizenden jungen Herrn nicht stâ°rker ger¸hrt w¸rde. Die Ungeduld ¸ber die Anfâ°lle, denen ich bestâ°ndig ausgesetzt war, gab mir tausendmal den Gedanken ein, mich heimlich hinweg zu stehlen. Allein ich hatte keine Nachricht von dir; ein Reisender von Delphi hatte uns zwar gesagt, daï¬ du daselbst unsichtbar geworden, aber niemand konnte sagen wo du seiest. Diese Ungewiï¬heit st¸rzte mich in eine Unruhe, die meiner Gesundheit nachteilig zu werden anfing; als eben dieser Narcissus, dessen lâ°cherliche Liebe zu sich selbst mich so lange gequâ°lt hatte, mir ohne seine Absicht das Leben wieder gab, indem er erzâ°hlte, daï¬ ein gewisser Agathon von Athen, nach einem Sieg ¸ber die aufr¸hrischen Einwohner von EubËa, diese Insel seiner Republik wieder unterworfen habe. Die Umstâ°nde die er von diesem Agathon hinzu f¸gte, lieï¬en mich nicht zweifeln, daï¬ du es seiest. Eine Sklavin, die mir gewogen war, befËrderte meine Flucht. Sie hatte einen Liebhaber, der sie beredet hatte, sich von ihm entf¸hren zu lassen. Ich half ihr, dieses Vorhaben auszuf¸hren und begleitete sie; der junge Sicilianer verschaffte mir zur Dankbarkeit dieses Sklavenkleid, und brachte mich auf ein Schiff, welches nach Athen bestimmt war. Ich wurde f¸r einen Sklaven ausgegeben, der seinen Herrn zu Athen suchte, und ¸berlieï¬ mich zum zweitenmal den Wellen, aber mit ganz andern Empfindungen als das erstemal, da sie nun anstatt mich von dir zu entfernen, uns wieder zusammen bringen sollten.”
ACHTES KAPITEL
Psyche beschlieï¬t ihre Erzâ°hlung
“Unsre Fahrt war einige Tage gl¸cklich, auï¬er daï¬ ein Wind der uns westwâ°rts trieb, unsre Reise ungewËhnlich verlâ°ngerte. Allein am Abend des sechsten Tages erhob sich ein heftiger Sturm, der uns in wenigen Stunden wieder einen groï¬en Weg zur¸ck machen lieï¬; unsre Schiffer waren endlich so gl¸cklich, eine von den unbewohnten Cycladen zu erreichen, wo wir uns vor dem Sturm in Sicherheit setzten. Wir fanden in eben der Bucht wohin wir uns gefl¸chtet hatten, ein anders Schiff liegen, worin sich eben diese Cilicier befanden, denen wir itzt zugehËren. Sie hatten eine griechische Flagge aufgesteckt, sie gr¸ï¬ten uns, sie kamen zu uns her¸ber, und weil sie unsre Sprache redeten, so hatten sie keine M¸he uns so viele Mâ°rchen vorzuschwatzen, als sie nËtig fanden, uns sicher zu machen. Nach und nach wurde unser Volk vertraulich mit ihnen; sie brachten etliche groï¬e Kr¸ge mit Cyprischem Weine, wodurch sie in wenig Stunden alle unsre Leute wehrlos machten. Sie bemâ°chtigten sich hierauf unsers ganzen Schiffes, und begaben sich, so bald sich der Sturm in etwas gelegt hatte, wieder in die See. Bei der Teilung wurde ich einm¸tig dem Hauptmann der Râ°uber zuerkannt. Man bewunderte meine Gestalt ohne mein Geschlecht zu mutmaï¬en. Allein diese Verborgenheit half mir nicht so viel, als ich gehofft hatte. Der Cilicier, den ich f¸r meinen Herrn erkennen muï¬te, verzog nicht lange, mich mit einer ekelhaften Leidenschaft zu quâ°len. Er nannte mich Ganymedes, und schwur bei allen Tritonen und Nereiden, daï¬ ich ihm sein m¸ï¬te, was dieser trojanische Prinz dem Jupiter gewesen sei. Wie er sah, daï¬ seine Schmeicheleien ohne W¸rkung waren, nËtigte er mich zuletzt, ihm zu zeigen, daï¬ ich mein Leben gegen meine Ehre f¸r nichts halte. Dieses verschaffte mir bisher einige Ruhe, und ich fing an, auf ein Mittel meiner Befreiung zu denken. Ich gab dem Râ°uber zu verstehen, daï¬ ich von einem ganz andern Stande sei, als mein Sklavenmâ°ï¬iger Anzug zu erkennen gâ°be, und bat ihn aufs instâ°ndigste mich nach Athen zu f¸hren, wo er f¸r meine Erledigung erhalten w¸rde, was er nur fodern wollte. Allein ¸ber diesen Punkt war er unerbittlich, und jeder Tag entfernte uns weiter von diesem geliebten Athen, welches, wie ich glaubte, meinen Agathon in sich hielt. Wie wenig dachte ich, daï¬ eben diese Entfernung, ¸ber die ich so untrËstbar war, uns wieder zusammen bringen w¸rde? Aber, ach! in was f¸r Umstâ°nden finden wir uns wieder! Beide der Freiheit beraubt, ohne Freunde, ohne H¸lfe, ohne Hoffnung befreit zu werden; verurteilt ungesitteten Barbaren dienstbar zu sein. Die unsinnige Leidenschaft meines Herrn wird uns so gar des einzigen Vergn¸gens berauben, das unsern Zustand erleichtern kËnnte. Seitdem ihm meine Entschlossenheit die Hoffnung benommen seinen Endzweck zu erreichen, scheint sich seine Liebe in eine w¸tende Eifersucht verwandelt zu haben, die sich bem¸ht, dasjenige was man selbst nicht genieï¬en kann, wenigstens keinem andern zu Teil werden zu lassen. Der Barbar wird dir keinen Umgang mit mir verstatten, da er mir kaum sichtbar zu sein erlaubt. Doch die ungewisse Zukunft soll mir nicht einen Augenblick von der gegenwâ°rtigen Wonne rauben. Ich sehe dich, Agathon, und bin gl¸cklich. Wie begierig hâ°tte ich vor wenigen Stunden einen Augenblick wie diesen mit meinem Leben erkauft!” Indem sie dieses sagte, umarmte sie den gl¸cklichen Agathon mit einer so r¸hrenden Zâ°rtlichkeit, daï¬ die Entz¸ckung, die ihre Herzen einander mitteilten, eine zweite sprachlose Stille hervorbrachte; und wie sollten wir beschreiben kËnnen, was sie empfanden, da der Mund der Liebe selbst nicht beredt genug war, es auszudrucken?
NEUNTES KAPITEL
Wie Psyche und Agathon wieder getrennt werden
Nachdem unsre Liebhaber aus ihrer Entz¸ckung zur¸ckgekommen waren, verlangte Psyche von Agathon eben dieselbe Gefâ°lligkeit, die sie durch Erzâ°hlung ihrer Begebenheiten f¸r seine Neugierde gehabt hatte. Er meldete ihr also, wiewohl ihm die Zeit nicht erlaubte umstâ°ndlich zu sein, auf was Weise er von Delphi entflohen, wie er mit einem Athenienser bekannt geworden, und wie sich entdecket habe, daï¬ dieser Athenienser sein Vater sei; wie er durch einen Zufall in die Ëffentlichen Angelegenheiten verwickelt und durch seine Beredsamkeit dem Volke angenehm geworden; die Dienste, die er der Republik geleistet; durch was f¸r Mittel seine Neider das Volk wider ihn aufgebracht, und wie er vor wenig Tagen mit Verlust aller seiner vâ°terlichen G¸ter und Anspr¸che lebenslâ°nglich aus Athen verbannt worden; wie er den Entschluï¬ gefaï¬t, eine Reise in die Morgenlâ°nder vorzunehmen, und durch was f¸r einen Zufall er in die Hâ°nde der Cilicier geraten. Sie fingen nun auch an, sich ¸ber die Mittel ihrer Befreiung zu beratschlagen; allein die Bewegungen, welche die allmâ°hlich erwachenden Râ°uber machten, nËtigten Psyche sich aufs eilfertigste zu verbergen, um einem Verdacht zuvorzukommen, wovon der Schatten genug war, ihren Geliebten das Leben zu kosten. Sie beklagten itzt bei sich selbst, daï¬ sie, nach dem Beispiel der Liebhaber in den Romanen, eine so g¸nstige Zeit mit unnËtigen Erzâ°hlungen verloren, da sie doch voraus sehen konnten, daï¬ ihnen k¸nftig wenig Gelegenheit w¸rde gegeben werden, sich zu besprechen. Allein was sie hier¸ber hâ°tte trËsten kËnnen, war, daï¬ alle ihre Beratschlagungen und Erfindungen vergeblich gewesen wâ°ren. Denn an eben diesem Morgen erhielt der Hauptmann Nachricht von einem reichbeladnen Schiffe, welches im Begriff sei, von Lesbos nach Corinth abzugehen, und welches, nach den Umstâ°nden die der Bericht angab, unterwegs aufgefangen werden kËnnte. Diese Zeitung veranlaï¬te eine geheime Beratschlagung unter den Hâ°uptern der Râ°uber, wovon der Ausschlag war, daï¬ Agathon mit den gefangnen Thracierinnen und einigen andern jungen Sklaven unter einer Bedeckung in eine Barke gesetzt wurde, um ungesâ°umt nach Smirna gef¸hrt und daselbst verkauft zu werden; indes, daï¬ die Galeere mit dem grËï¬ten Teil der Seerâ°uber sich fertig machte, der reichen Beute, die sie schon in Gedanken verschlangen, entgegen zu gehen. In diesem Augenblick verlor Agathon die Gelassenheit, mit der er bisher alle St¸rme des widrigen Gl¸cks ausgehalten hatte. Der Gedanke, von seiner Psyche wieder getrennt zu werden, setzte ihn auï¬er sich selbst. Er warf sich zu den F¸ï¬en des Ciliciers, er schwur ihm, daï¬ der verkleidete Ganymedes sein Bruder sei; er bot sich selbst zu seinem Sklaven an, er flehte, er weinte.–Aber umsonst. Der Seerâ°uber hatte die Natur des Elements, welches er bewohnte, und die Syrenen selbst hâ°tten ihn nicht bereden kËnnen, seinen Entschluï¬ zu â°ndern. Agathon erhielt nicht einmal die Erlaubnis, von seinem geliebten Bruder Abschied zu nehmen; die Lebhaftigkeit, die er bei diesem Anlaï¬ gezeigt, hatte ihn dem Hauptmann verdâ°chtig gemacht. Er wurde also, von Schmerz und Verzweiflung betâ°ubt, in die Barke getragen, und befand sich schon eine geraume Zeit auï¬er dem Gesichtskreis seiner Psyche, eh er wieder erwachte, um den ganzen Umfang seines Elends zu f¸hlen.
ZEHNTES KAPITEL
Ein Selbstgesprâ°ch
Da wir uns zum unverbr¸chlichen Gesetze gemacht haben, in dieser Geschichte alles sorgfâ°ltig zu vermeiden, was gegen die historische Wahrheit derselben einigen gerechten Verdacht erwecken kËnnte; so w¸rden wir uns ein Bedenken gemacht haben, das Selbstgesprâ°ch, welches wir hier in unserm Manuskript vor uns finden, mitzuteilen, wenn nicht der ungenannte Verfasser die Vorsicht gebraucht hâ°tte uns zu melden, daï¬ seine Erzâ°hlung sich in den meisten Umstâ°nden auf eine Art von Tagebuch gr¸nde, welches (sichern Anzeigen nach) von der eignen Hand des Agathon sei, und wovon er durch einen Freund zu Crotona eine Abschrift erhalten. Dieser Umstand macht begreiflich, wie der Geschichtschreiber habe wissen kËnnen, was Agathon bei dieser und andern Gelegenheiten mit sich selbst gesprochen; und sch¸tzet uns gegen die Einw¸rfe, die man gegen die Selbstgesprâ°che machen kann, worin die Geschichtschreiber den Poeten so gerne nachzuahmen pflegen, ohne sich, wie sie, auf die Eingebung der Musen berufen zu kËnnen.
Unsre Urkunde meldet also, nachdem die erste Wut des Schmerzens, welche allezeit stumm und Gedankenlos zu sein pflegt, sich geleget, habe Agathon sich umgesehen; und da er von allen Seiten nichts als Luft und Wasser um sich her erblickt, habe er, seiner Gewohnheit nach, also mit sich selbst zu philosophieren angefangen:
“War es ein Traum, was mir begegnet ist, oder sah ich sie w¸rklich, hËrt’ ich w¸rklich den r¸hrenden Akzent ihrer s¸ï¬en Stimme, und umfingen meine Arme keinen Schatten? Wenn es mehr als ein Traum war, warum ist mir von einem Gegenstand, der alle andern aus meiner Seele auslËschte nichts als die Erinnerung ¸brig? Wenn Ordnung und Zusammenhang die Kennzeichen der Wahrheit sind, o! wie â°hnlich dem ungefâ°hren Spiel der trâ°umenden Phantasie sind die Zufâ°lle meines ganzen Lebens!–Von Kindheit an unter den heiligen Lorbeern des Delphischen Gottes erzogen, schmeichle ich mir unter seinem Schutz, in Beschauung der Wahrheit und im geheimen Umgang mit den Unsterblichen, ein stilles und sorgenfreies Leben zuzubringen. Tage voll Unschuld, einer dem andern gleich, flieï¬en in ruhiger Stille, wie Augenblicke vorbei, und ich werde unvermerkt ein J¸ngling. Eine Priesterin, deren Seele eine Wohnung der GËtter sein soll, wie ihre Zunge das Werkzeug ihrer Ausspr¸che, vergiï¬t ihre Gel¸bde, und bem¸ht sich meine unerfahrne Jugend zu Befriedigung ihrer Begierde zu miï¬brauchen. Ihre Leidenschaft beraubt mich derjenigen, die ich liebe; ihre Nachstellungen treiben mich endlich aus dem geheiligten Schutzort, wo ich, seit dem ich mich selbst empfand, von Bildern der GËtter und Helden umgeben, mich einzig beschâ°ftigt hatte, ihnen â°hnlich zu werden. In eine unbekannte Welt ausgestoï¬en, finde ich unvermutet einen Vater und ein Vaterland, die ich nicht kannte. Ein schneller Wechsel von Umstâ°nden setzt mich eben so unvermutet in den Besitz des grËï¬ten Ansehens in Athen. Das blinde Zutrauen eines Volkes, das in seiner Gunst so wenig Maï¬ hâ°lt als in seinem Unwillen, nËtigt mir die Anf¸hrung seines Kriegsheers auf; ein wunderbares Gl¸ck kËmmt allen meinen Unternehmungen entgegen, und f¸hrt meine Anschlâ°ge aus; ich kehre siegreich zur¸ck. Welch ein Triumph! Welch ein Zujauchzen! Welche VergËtterung! Und wof¸r? F¸r Taten, an denen ich den wenigsten Anteil hatte. Aber kaum schimmert meine Bildsâ°ule zwischen den Bildern des Cecrops und Theseus, so reiï¬t mich eben dieser PËbel, der vor wenigen Tagen bereit war, mir Altâ°re aufzurichten, mit ungest¸mer Wut zum Gerichtsplatz hin. Die Miï¬gunst derer, die das ¸bermaï¬ meines Gl¸cks beleidigte, hat schon alle Gem¸ter wider mich eingenommen, und alle Ohren gegen meine Verteidigung verstopft; Handlungen, wor¸ber mein Herz mir Beifall gibt, werden auf den Lippen meiner Anklâ°ger zu Verbrechen, mein Verdammungs-Urteil wird ausgesprochen. Von allen verlassen, die sich meine Freunde genannt hatten, und kurz zuvor die eifrigsten gewesen waren, neue Ehrenbezeugungen f¸r mich zu erfinden, fliehe ich aus Athen, mit leichterm Herzen, als womit ich vor wenigen Wochen, unter dem Zujauchzen einer unzâ°hlbaren Menge, durch ihre Tore eingef¸hrt wurde; und entschlieï¬e mich den Erdboden zu durchwandern, ob ich einen Ort finden mËchte, wo die Tugend, von auswâ°rtigen Beleidigungen sicher, ihrer eigent¸mlichen Gl¸ckseligkeit genieï¬en kËnnte, ohne sich aus der Gesellschaft der Menschen zu verbannen. Ich nahm den Weg nach Asien, um an den Ufern des Oxus die Quellen zu besuchen, aus denen die Geheimnisse des Orphischen Gottesdiensts zu uns geflossen sind. Ein Zufall f¸hrt mich unter einen Schwarm rasender Bachantinnen, und ich entrinne ihrer verliebten Wut bloï¬ dadurch, daï¬ ich in die Hâ°nde seerâ°uberischer Barbaren falle. In diesem Augenblicke, da mir von allem was man verlieren kann nur noch das Leben ¸brig ist, finde ich meine Psyche wieder; aber kaum fange ich an meinen Sinnen zu glauben, daï¬ sie es sei, die ich in meinen Armen umschlossen halte, so verschwindet sie wieder, und ich finde mich auf diesem Schiffe, um zu Smyrna als ein Sklave verkauft zu werden–Wie â°hnlich ist alles dieses einem Traum, wo die schwâ°rmende Phantasie, ohne Ordnung, ohne Wahrscheinlichkeit, ohne Zeit oder Ort in Betracht zu ziehen, die betâ°ubte Seele von einem Abenteur zu dem andern, von der Krone zum Bettlers-Mantel, von der Wonne zur Verzweiflung, vom Tartarus ins Elysium fortreiï¬t?–Und ist denn das Leben ein Traum, ein bloï¬er Traum, so eitel, so unwesentlich, so unbedeutend als ein Traum? Ein unbestâ°ndiges Spiel des blinden Zufalls, oder unsichtbarer Geister, die eine grausame Belustigung darin finden, uns zum Scherz bald gl¸cklich bald ungl¸cklich zu machen? Oder, ist es eben diese allgemeine Seele der Welt, deren Dasein die geheimnisvolle Majestâ°t der Natur ank¸ndiget; ist es dieser allesbelebende Geist, der die menschlichen Sachen anordnet; warum herrschet in der moralischen Welt nicht eben diese unverâ°nderliche Ordnung und Zusammenstimmung, wodurch die Elemente die Jahres–und Tages-Zeiten, die Gestirne und die Kreise des Himmels in ihrem gleichfËrmigen Lauf erhalten werden? Warum leidet der Unschuldige? Warum sieget der Betr¸ger? Warum verfolgt ein unerbittliches Schicksal die Tugendhaften? Sind unsre Seelen den Unsterblichen verwandt, sind sie Kinder des Himmels; warum verkennt der Himmel sein Geschlecht, und tritt auf die Seite seiner Feinde? Oder hat er uns die Sorge f¸r uns selbst gâ°nzlich ¸berlassen, warum sind wir keinen Augenblick unsers Zustandes Meister? Warum vernichtet bald Notwendigkeit, bald Zufall, die weisesten Entw¸rfe? -“
Hier hielt Agathon eine Zeitlang inne; sein in Zweifeln verwickelter Geist arbeitete sich loszuwinden, bis ein neuer Blick auf die majestâ°tische Natur die ihn umgab, eine andre Reihe von Vorstellungen in ihm entwickelte. –“Was sind”, fuhr er mit sich selbst fort, “meine Zweifel anders, als Eingebungen der eigenn¸tzigen Leidenschaft? Wer war diesen Morgen gl¸cklicher als ich? Alles war Wollust und Wonne um mich her. Hat sich die Natur binnen dieser Zeit verâ°ndert, oder ist sie minder der Schauplatz einer grenzenlosen Vollkommenheit, weil Agathon ein Sklave, und von Psyche getrennet ist? Schâ°me dich, Kleinm¸tiger, deiner tr¸bsinnigen Zweifel, und deiner unmâ°nnlichen Klagen! Wie kannst du Verlust nennen, dessen Besitz kein Gut war? Ist es ein ¸bel, deines Ansehens, deines VermËgens, deines Vaterlandes beraubt zu sein? Alles dessen beraubt warst du in Delphi gl¸cklich, und vermiï¬test es nicht. Und warum nennest du Dinge dein, die nicht zu dir selbst gehËren, die der Zufall gibt und nimmt, ohne daï¬ es in deiner Willk¸r steht sie zu erlangen oder zu erhalten? Wie ruhig, wie heiter und gl¸cklich floï¬ mein Leben in Delphi hin, ehe ich die Welt, ihre Geschâ°fte, ihre Sorgen, ihre Freuden und ihre Abwechselungen kannte; eh ich genËtiget war, mit den Leidenschaften andrer Menschen, oder mit meinen eigenen zu kâ°mpfen, mich selbst und den Genuï¬ meines Daseins einem undankbaren Volke aufzuopfern, und unter der vergeblichen Bem¸hung, Toren oder Lasterhafte gl¸cklich zu machen, selbst ungl¸cklich zu sein! –Meine eigene Erfahrung widerlegt die ungerechten Zweifel des Miï¬vergn¸gens am besten. Es waren Augenblicke, Tage, lange Reihen von Tagen, da ich gl¸cklich war, gl¸cklich in den frohen Stunden, da meine Seele, vom Anblick der Natur begeistert, in tiefsinnigen Betrachtungen und s¸ï¬en Ahnungen, wie in den bezauberten Gâ°rten der Hesperiden irrte; gl¸cklich, wenn mein befriedigtes Herz in den Armen der Liebe, aller Bed¸rfnisse, aller W¸nsche vergaï¬, und nun zu verstehen glaubte, was die Wonne der GËtter sei; gl¸cklicher, wenn in Augenblicken, deren Erinnerung den bittersten Schmerz zu vers¸ï¬en genug ist, mein Geist in der groï¬en Betrachtung des Ewigen und Unbegrenzten sich verlor–Ja du bist, alles beseelende, alles regierende G¸te–ich sah, ich f¸hlte dich! Ich empfand die SchËnheit der Tugend, die dir â°hnlich macht; ich genoï¬ die Gl¸ckseligkeit, welche Tagen die Schnelligkeit der Augenblicke, und Augenblicken den Wert von Jahrhunderten gibt. Die Macht der Empfindung zerstreut meine Zweifel; die Erinnerung der genossenen Gl¸ckseligkeit heilet den gegenwâ°rtigen Schmerz, und verspricht eine bessere Zukunft. Alle diese allgemeine Quellen der Freude, woraus alle Wesen schËpfen, flieï¬en, wie ehmals, um mich her; meine Seele ist noch eben dieselbige, wie die Natur, die mich umgibt–O Ruhe meines Delphischen Lebens, und du, meine Psyche! Dich allein, von allem, was auï¬er mir ist, nenne ich mein, weil du die wehrtere Hâ°lfte meines Wesens bist–Wenn ihr auf ewig verloren wâ°ret, dann w¸rde meine untrËstbare Seele nichts auf Erde finden, das ihr die Liebe zum Leben wieder geben kËnnte. Aber ich besaï¬ beide, ohne sie mir selbst gegeben zu haben, und die wohltâ°tige Macht, die sie gab, kann sie wiedergeben. Teure Hoffnung, du bist schon ein Anfang der Gl¸ckseligkeit, die du versprichst! Es wâ°re zugleich gottlos und tËricht, sich einem Kummer zu ¸berlassen, der den Himmel beleidigt, und uns selbst der Krâ°fte beraubt, dem Ungl¸ck zu widerstehen, und der Mittel, wieder gl¸cklich zu werden. Komm denn, du s¸ï¬e Hoffnung einer bessern Zukunft, und feï¬le meine Seele mit deinen schmeichelnden Bezauberungen! Ruhe und Psyche–Dieses allein, ihr GËtter, so mËget ihr Lorbeer-Krâ°nze und Schâ°tze geben, wem ihr wollt!”
EILFTES KAPITEL
Agathon kËmmt zu Smyrna an, und wird verkauft
Das Wetter war unsern Seefahrern so g¸nstig, daï¬ Agathon gute Muï¬e hatte, seinen Betrachtungen so lange nachzuhâ°ngen, als er wollte; zumal da seine Reise von keinem der 5 Umstâ°nde begleitet war, womit eine poetische Seefahrt ausgeschm¸ckt zu sein pflegt. Denn man sahe da weder Tritonen, die aus krummen Ammons-HËrnern bliesen, noch Nereiden, die auf Delphinen, mit Blumen-Krâ°nzen gezâ°umet, ¸ber den Wellen daherritten; noch Syrenen, die mit halbem Leib aus dem Wasser hervorragend, die Augen durch ihre SchËnheit, und das Ohr durch die S¸ï¬igkeit ihrer Stimme bezaubert hâ°tten. Die Winde selbst waren etliche Tage lang so zahm, als ob sie es mit einander abgeredet hâ°tten, uns keine Gelegenheit zu irgend einer schËnen Beschreibung eines Sturms oder eines Schiffbruchs zu geben; kurz, die Reise ging so gl¸cklich von statten, daï¬ die Barke am Abend des dritten Tages in den Hafen von Smyrna einlief; wo die Râ°uber, nunmehr unter dem Schutz des groï¬en KËnigs gesichert, sich nicht sâ°umten, ihre Gefangenen ans Land zu setzen, in der Hoffnung, auf dem Sklaven-Markte keinen geringen Vorteil aus ihnen zu ziehen. Ihre erste Sorge war, sie in eines der Ëffentlichen Bâ°der zu f¸hren, wo man nichts vergaï¬, was dazu dienen konnte, sie den folgenden Tag verkâ°uflicher zu machen. Agathon war noch zu sehr von allem demjenigen, was mit ihm vorgegangen war, eingenommen, als daï¬ er auf das gegenwâ°rtige aufmerksam sein konnte. Er wurde gebadet, abgerieben, mit Salben und wohlriechenden Wassern begossen, mit einem Sklaven-Kleid von vielfarbichter Seide angetan, mit allem was seine Gestalt erheben konnte, ausgeschm¸ckt, und von allen, die ihn sahen, bewundert; ohne daï¬ ihn etwas aus der vollkommnen Unempfindlichkeit erwecken konnte, welche in gewissen Umstâ°nden eine Folge der ¸bermâ°ï¬igen Empfindlichkeit ist. In dasjenige vertieft, was in seiner Seele vorging, schien er, weder zu sehen, noch zu hËren; weil er nichts sah, oder hËrte, was er w¸nschte; und nichts als der Anblick, der sich ihm auf dem Sklaven-Markte darstellte, war vermËgend, ihn aus dieser wachenden Trâ°umerei aufzur¸tteln. Diese Szene hatte zwar das Abscheuliche nicht, das ein Sklaven-Markt zu Barbados so gar f¸r einen Europâ°er haben kËnnte, dem die Vorurteile der gesitteten VËlker noch einige ¸berbleibsel des angebornen menschlichen Gef¸hls gelassen hâ°tten; allein sie hatte doch genug, um eine Seele zu empËren, die sich gewËhnt hatte, in den Menschen mehr die SchËnheit ihrer Natur, als die Erniedrigung ihres Zustands; mehr das, was sie nach gewissen Voraussetzungen sein kËnnten, als was sie w¸rklich waren, zu sehen. Eine Menge von traurigen Vorstellungen stieg in gedrâ°ngter Verwirrung bei diesem Anblick in ihm auf; und in eben dem Augenblick, da sein Herz von Mitleiden und Wehmut zerfloï¬, brannte es von einem z¸rnenden Abscheu vor den Menschen, dessen nur diejenigen fâ°hig sind, welche die Menschheit lieben. Er vergaï¬ Â¸ber diesen Empfindungen seines eignen Ungl¸cks, als ein Mann von edelm Ansehen, welcher schon bei Jahren zu sein schien, im Vor¸bergehn seiner gewahr ward, stehen blieb, und ihn mit besondrer Aufmerksamkeit betrachtete. “Wem gehËrt dieser junge Leibeigene?” fragte endlich der Mann einen von den Ciliciern, der neben ihm stand. “Dem, der ihn von mir kaufen wird”, versetzte dieser. “Was versteht er f¸r eine Kunst?” fuhr jener fort. “Das wird er dir selbst am besten sagen kËnnen”, erwiderte der Cilicier. Der Mann wandte sich also an den Agathon selbst, und fragte ihn, ob er nicht ein Grieche sei? ob er sich nicht in Athen aufgehalten? und ob er in den K¸nsten der Musen unterrichtet worden? Agathon bejahete diese Fragen: “Kannst du den Homer lesen?” “Ich kann lesen; und ich meine, daï¬ ich den Homer empfinden kËnne.” “Kennst du die Schriften der Philosophen?” “Nein, denn ich verstehe sie nicht.” “Du gefâ°llst mir, junger Mensch! Wie hoch haltet ihr ihn, mein Freund?” “Er sollte, wie die andern, durch den Herold ausgerufen werden”, antwortete der Cilicier, “aber f¸r zwei Talente ist er euer.” “Begleite mich mit ihm in mein Haus”, erwiderte der Alte, “du sollst zwei Talente haben, und der Sklave ist mein.” “Dein Geld muï¬ dir sehr beschwerlich sein”, sagte Agathon; “woher weiï¬t du, daï¬ ich dir f¸r zwei Talente n¸tzlich sein werde?” “Wenn du es nicht wâ°rest”, versetzte der Kâ°ufer, “so bin ich unbesorgt, unter den Damen von Smyrna zwanzig f¸r eine zu finden, die mir auf deine bloï¬e Miene hin wieder zwei Talente f¸r dich geben.” Und mit diesen Worten befahl er dem Agathon, ihm in sein Haus zu folgen.
ZWEITES BUCH
ERSTES KAPITEL
Wer der Kâ°ufer des Agathon gewesen
Der Mann, der sich f¸r zwei Talente das Recht erworben hatte, den Agathon als seinen Leibeignen zu behandeln, war einer von den merkw¸rdigen Leuten, die unter dem Namen der Sophisten in den griechischen Stâ°dten umherzogen, sich der edelsten und reichsten J¸nglinge bemâ°chtigten, und durch die Annehmlichkeiten ihres Umgangs und die prâ°chtigen Versprechungen, ihre Freunde zu vollkommnen Rednern, Staatsmâ°nnern und Feldherren zu machen, das Geheimnis gefunden hatten, welches die Alchymisten bis auf den heutigen Tag vergeblich gesucht haben. Sie wurden von aller Welt mit dem ehrenvollen Namen der Sophisten oder Weisen benennt; allein die Weisheit, von der sie Profession machten, war von der Socratischen, die durch einige Verehrer dieses Atheniensischen B¸rgers so ber¸hmt worden ist, so wohl in ihrer Beschaffenheit, als in ihren W¸rkungen unendlich unterschieden; oder besser zu sagen, sie war die vollkommne Antipode derselbigen. Die Sophisten lehrten die Kunst, die Leidenschaften andrer Menschen zu erregen; Socrates die Kunst, seine eigene zu dâ°mpfen. Jene lehrten, wie man es machen m¸sse, um weise und tugendhaft zu scheinen; dieser lehrte, wie man es sei. Jene munterten die J¸nglinge von Athen auf, sich der Regierung des Staats anzumaï¬en; Socrates, daï¬ sie vorher die Hâ°lfte ihres Lebens anwenden sollten, sich selbst regieren zu lernen. Jene spotteten der Socratischen Weisheit, die nur in einem schlechten Mantel aufzog, und sich mit einer Mahlzeit f¸r sechs Pfenninge begn¸gte, da die ihrige in Purpur schimmerte, und offne Tafel hielt. Die Socratische Weisheit war stolz darauf, den Reichtum entbehren zu kËnnen; die ihrige wuï¬te, ihn zu erwerben. Sie war gefâ°llig, einschmeichelnd, und wuï¬te alle Gestalten anzunehmen; sie vergËtterte die Groï¬en, kroch vor ihren Dienern, tâ°ndelte mit den Damen, und schmeichelte allen, welche es bezahlten. Sie war allenthalben an ihrem rechten Platz; beliebt bei Hofe, beliebt an der Toilette, beliebt beim Spiel-Tisch, beliebt beim Adel, beliebt bei den Finanz-Pachtern, beliebt bei den Theater-GËttinnen, beliebt so gar bei der Priesterschaft. Die Socratische war weit entfernt, so liebensw¸rdig zu sein; sie war trocken und langweilig; sie wuï¬te nicht zu leben; sie war unertrâ°glich, weil sie alles tadelte, und immer Recht hatte; sie wurde von dem geschâ°ftigen Teil der Welt f¸r unn¸tzlich, von dem m¸ï¬igen f¸r abgeschmackt, und von dem andâ°chtigen gar f¸r gefâ°hrlich erklâ°rt. Wir w¸rden nicht fertig werden, wenn wir diese Gegensâ°tze so weit treiben wollten, als wir kËnnten. Genug, daï¬ die Weisheit der Sophisten einen Vorzug hatte, den ihr die Socratische nicht streitig machen konnte; sie verschaffte ihren Besitzern Reichtum, Ansehen, Ruhm, und ein Leben, das von allem, was die Welt gl¸cklich nennet, ¸berfloï¬.
Hippias (so hieï¬ der neue Herr unsers Agathon) war einer von diesen Gl¸cklichen, dem die Kunst, sich die Torheiten andrer Leute zinsbar zu machen, ein VermËgen erworben hatte; wodurch er sich im Stande sah, sich der Aus¸bung derselben zu begeben, und die andre Hâ°lfte seines Lebens in den ErgËtzungen eines beg¸terten M¸ï¬iggangs zu zubringen; zu deren angenehmsten Genuï¬ das zunehmende Alter viel geschickter scheint, als die ungest¸me Jugend. Er hatte sich zu diesem Ende Smyrna zu seinem Wohn-Ort ausersehen, weil die Annehmlichkeiten des jonischen Klima, die schËne Lage dieser Stadt, der ¸berfluï¬, der ihr durch die Handlung aus allen Teilen des Erdbodens zustrËmte, und die Verbindung des griechischen Geschmacks mit der woll¸stigen ¸ppigkeit der Morgenlâ°nder ihm diesen Aufenthalt vor allen andern, die er kannte, vorz¸glich machte. Hippias hatte den Ruhm, daï¬ ihm in den Talenten seiner Profession wenige den Vorzug streitig machen kËnnten. Ob er gleich ¸ber f¸nfzig Jahre hatte, so war ihm doch von der Gabe zu gefallen, die ihm in seiner Jugend so n¸tzlich gewesen war, noch genug ¸brig geblieben, daï¬ sein Umgang von den artigsten Personen des einen und andern Geschlechts gesucht wurde. Er hatte alles, was die Art von Weisheit, die er aus¸bte, verf¸hrisch machen konnte; eine edle Gestalt, eine einnehmende Gesichts-Bildung, einen angenehmen Ton der Stimme, einen behenden und geschmeidigen Witz, und eine Beredsamkeit, die desto mehr gefiel, weil sie mehr ein Geschenk der Natur, als eine durch Fleiï¬ erworbene Kunst zu sein schien. Diese Beredsamkeit, oder vielmehr diese Gabe angenehm zu schwatzen, mit einer Tinktur von allen Wissenschaften, einem feinen Geschmack in dem SchËnen und Angenehmen, und eine vollstâ°ndige Kenntnis der Welt, war mehr als er nËtig hatte, um in den Augen aller derjenigen, mit denen er umging, (denn er ging mit keinen Socraten um) f¸r einen Genie vom ersten Rang, f¸r einen Mann zu gelten, welcher alles wisse; welchem schon zugelâ°chelt wurde, eh man wuï¬te, was er sagen wollte, und wider dessen Ausspr¸che nicht erlaubt war, etwas einzuwenden. Indessen war doch dasjenige, dem er sein Gl¸ck vornehmlich zu danken hatte, die besondere Gabe, die er besaï¬, sich der schËnern Hâ°lfte der Gesellschaft gefâ°llig zu machen. Er war so klug, fr¸hzeitig zu entdecken, wie viel an der Gunst dieser reizenden GeschËpfe gelegen ist, welche in den policierten Teilen des Erdbodens die Macht w¸rklich aus¸ben, die in den Mâ°rchen den Feen beigelegt wird; die mit einem einzigen Blick, oder durch eine kleine Verschiebung des Halstuchs stâ°rker ¸berzeugen, als Demosthenes und Lysias durch lange Reden; die mit einer einzigen Trâ°ne den Gebieter ¸ber Legionen entwaffnen, und durch den bloï¬en Vorteil, den sie von ihrer Gestalt und einem gewissen Bed¸rfnis des stâ°rkern Geschlechts zu ziehen wissen, sich zu unumschrâ°nkten Beherrscherinnen derjenigen machen, in deren Hâ°nden das Schicksal ganzer VËlker liegt. Hippias hatte diese Entdeckung von so groï¬em Nutzen gefunden, daï¬ er keine M¸he gesparet hatte, es in der Anwendung derselben zu dem hËchsten Grade der Vollkommenheit zu bringen; und dasjenige, was er in seinem Alter noch davon hatte, bewies, was er in seinen schËnen Jahren gewesen sein m¸sse. Seine Eitelkeit ging so weit, daï¬ er sich nicht enthalten konnte, die Kunst, die Zauberinnen zu bezaubern, in die Form eines Lehr-Begriffs zu bringen, und seine Erfahrungen und Beobachtungen hier¸ber der Welt in einer sehr gelehrten Abhandlung mitzuteilen, deren Verlust nicht wenig zu bedauern ist, und schwerlich von einem heutigen Schriftsteller unsrer Nation zu ersetzen sein mËchte.
Nach allem, was wir bereits von diesem weisen Manne gesagt haben, wâ°r es ¸berfl¸ssig, eine Abschilderung von seinen Sitten zu machen. Sein Lehr-Begriff, von der Kunst zu leben, wird uns in kurzem umstâ°ndlich vorgelegt werden; und er besaï¬ eine Tugend, welche nicht die Tugend der Moralisten zu sein pflegt; er lebte nach seinen Grundsâ°tzen.
ZWEITES KAPITEL
Absichten des weisen Hippias
Unter andern Neigungen, in deren Befriedigung man den rechten Gebrauch des Reichtums zu setzen pflegt, hatte Hippias einen besondern Geschmack an allem, was gut in die Augen fiel. Er wollte, daï¬ die Seinigen, in seinem Hause wenigstens, sich nirgends hinwenden sollten, ohne einem schËnen Gegenstande zu begegnen. Die schËnsten Gemâ°lde, die schËnsten Bildsâ°ulen und Schnitzwerke, die reichsten Tapeten, das schËnste Hausgerâ°te, die schËnsten Gefâ°ï¬e befriedigten seinen Geschmack noch nicht; er wollte auch, daï¬ der belebte Teil seines Hauses mit dieser allgemeinen SchËnheit ¸bereinstimmen sollte; und seine Bediente und Sklavinnen waren die ausgesuchtesten Gestalten, die er in einem Lande, wo die SchËnheit gewËhnlich ist, hatte finden kËnnen. Die Gestalt Agathons mËchte also allein hinreichend gewesen sein, ihm seine Gunst zu erwerben; zumal da er eben einen Leser nËtig hatte, und aus dem Anblick und den ersten Worten desselben urteilte, daï¬ er sich zu einem Dienst vollkommen schicken w¸rde, wozu eine gefallende Gesichts-Bildung und eine musikalische Stimme die nËtigsten Gaben sind. Allein Hippias hatte noch eine geheime Absicht, die er durch diesen J¸ngling zu erreichen hoffte. Obgleich die Liebe zu den Woll¸sten der Sinne seine herrschende Neigung zu sein schien, so hatte doch die Eitelkeit nicht weniger Anteil an den meisten Handlungen seines Lebens. Er hatte, bevor er sich nach Smyrna begab, um die Fr¸chte seiner Arbeit zu genieï¬en, den schËnsten Teil seines Lebens zugebracht, die edelste Jugend der griechischen Stâ°dte zu bilden; er hatte Redner gebildet, die durch eine k¸nstliche Vermischung des Wahren und Falschen, und den klugen Gebrauch gewisser Figuren, einer schlimmen Sache den Schein und die W¸rkung einer guten zu geben wuï¬ten; Staats-Mâ°nner, welche die Kunst besaï¬en, mitten unter den Zujauchzungen eines betËrten Volks die Gesetze durch die Freiheit und die Freiheit durch schlimme Sitten zu vernichten; um diejenigen, die sich der heilsamen Zucht der Gesetze nicht unterwerfen wollten, der willk¸rlichen Gewalt ihrer Leidenschaften zu unterwerfen; kurz, er hatte Leute gebildet, die sich Ehren-Sâ°ulen daf¸r aufrichten lieï¬en, daï¬ sie ihr Vaterland zu Grunde richteten. Allein dieses befriedigte seine Eitelkeit noch nicht: Er wollte auch jemand hinterlassen, der seine Kunst fortzusetzen geschickt wâ°re; eine Kunst, die in seinen Augen allzuschËn war, als daï¬ sie mit ihm sterben sollte. Schon lange hatte er einen jungen Menschen gesucht, bei dem er das nat¸rliche Geschicke, der Nachfolger eines Hippias zu sein, in derjenigen Vollkommenheit finden mËchte, die dazu erfodert wurde. Seine Gabe, aus der Gestalt und Miene das Inwendige eines Menschen zu erraten, beredete ihn, im Agathon zu finden, was er suchte; wenigstens hielt er es der M¸he wert, den Versuch mit ihm zu machen; und da er von seiner T¸chtigkeit ein so gutes Vorurteil gefasset hatte, so fiel ihm nur nicht ein, in seine Willigkeit zu den groï¬en Absichten, die er mit ihm vorhatte, einigen Zweifel zu setzen.
DRITTES KAPITEL
Verwunderung, in welche Agathon gesetzt wird
Agathon wuï¬te noch nichts, als daï¬ er einem Manne zugehËre, dessen â°uï¬erliches Ansehen ihm gefiel; als er bei dem Eintritt in sein Haus durch die SchËnheit des Gebâ°udes, die Bequemlichkeiten der Einrichtung, die Menge und die gute Miene der Bedienten, und durch einen Schimmer von Pracht und ¸ppigkeit, der ihm allenthalben entgegen glâ°nzte, in eine Art von Verwunderung gesetzt wurde, die ihm sonst nicht gewËhnlich war, und die nur desto mehr zunahm, wie er hËrte, daï¬ er die Ehre haben sollte, ein Haus-Genosse von Hippias, dem Weisen, zu werden. Er war noch im Nachdenken begriffen, was f¸r eine Art von Weisheit dieses sein mËchte, als Hippias, der indes seinem Zahlmeister befohlen hatte, den Cilicier zu befriedigen, ihn in sein Cabinet rufen lieï¬, und ihm seine k¸nftige Bestimmung in diesen Worten ank¸ndigte: “Die Gesetze, Callias, (denn dieses soll k¸nftig dein Name sein) geben mir zwar das Recht, dich als meinen Leibeigenen anzusehen; aber es wird nur von dir abhangen, so gl¸cklich in meinem Hause zu sein, als ich selbst. Alle deine Verrichtungen werden darin bestehen, den Homer bei meinem Tische, und die Aufsâ°tze, mit deren Ausarbeitung ich mir die Zeit vertreibe, in meinem HËr-Saal vorzulesen. Wenn dieses Amt leicht zu sein scheint, so versichre ich dich, daï¬ ich nicht leicht zu befriedigen bin, und daï¬ du Kenner zu HËrern haben wirst. Ein jonisches Ohr will nicht nur ergËtzt, es will bezaubert sein. Die Annehmlichkeit der Stimme, die Reinigkeit und das Weiche der Aussprache, die Richtigkeit des Akzents, das Muntre, das Ungezwungene, das Musikalische ist nicht hinlâ°nglich; wir fodern eine vollkommne Nachahmung, einen Ausdruck, der jedem Teile des St¸cks, jeder Periode, jedem Vers das Leben, den Affekt, die Seele gibt, die sie haben sollen; kurz, die Art, wie gelesen wird, soll das Ohr an die Stelle aller ¸brigen Sinne setzen. Das Gastmahl des Alcinous soll diesen Abend dein Probst¸ck sein. Die Fâ°higkeiten, die ich an dir zu entdecken hoffe, werden meine Absichten mit dir bestimmen; und vielleicht wirst du in der Zukunft Ursache finden, den Tag, an dem du dem Hippias gefallen hast, unter deine Gl¸cklichen zu zâ°hlen.” Mit diesen Worten verlieï¬ er unsern J¸ngling, und ersparte sich dadurch die Dem¸tigung zu sehen, wie wenig der neue Callias durch die Hoffnungen ger¸hrt schien, wozu ihn diese Erklâ°rung berechtigte. In der Tat hatte die Bestimmung, die jonischen Ohren zu bezaubern, in Agathons Augen nicht edels genug, daï¬ er sich deswegen hâ°tte gl¸cklich schâ°tzen sollen; und ¸ber dem war etwas in dem Ton dieser Anrede, welches ihm miï¬fiel, ohne daï¬ er eigentlich wuï¬te, warum? Inzwischen vermehrte sich seine Verwunderung, je mehr er sich in dem Hause des weisen Hippias umsah; und er begriff nun ganz deutlich, daï¬ sein Herr, was auch sonst seine Grundsâ°tze sein mËchten, wenigstens von der ErtËdung der Sinnlichkeit, wovon er ehmals den Plato zu Athen sehr schËne Dinge sagen gehËrt hatte, keine Profession mache. Allein wie er sah, was die Weisheit in diesem Hause f¸r eine Tafel hielt, wie prâ°chtig sie sich bedienen lieï¬, was f¸r reizende Gegenstâ°nde ihre Augen, und was f¸r woll¸stige Harmonien ihre Ohren ergËtzten, wâ°hrend daï¬ der Schenk-Tisch mit den ausgesuchtesten Weinen und den angenehm-betâ°ubenden Getrâ°nken der Asiaten beladen, den Sinnen zum Genuï¬ so vieler Woll¸ste neue Krâ°fte zu geben schien; wie er die Menge von jungen Sklaven sah, die den Liebes-GËttern â°hnlich schienen, die ChËre von Tâ°nzerinnen und Lauten-Spielerinnen, die durch die Reizungen ihrer Gestalt so sehr als durch ihre Geschicklichkeit bezauberten, und die nachahmenden Tâ°nze, in denen sie die Geschichte der Leda oder Danae durch bloï¬e Bewegungen mit einer Lebhaftigkeit vorstellten, die einen Nestor hâ°tte verj¸ngern kËnnen; wie er die ¸ppigen Bâ°der, die bezauberten Gâ°rten, kurz, wie er alles sah, was das Haus des weisen Hippias zu einem Tempel der ausgek¸nsteltsten Sinnlichkeit machte, so stieg seine Verwunderung bis zum Erstaunen; und er konnte nicht begreifen, was dieser Sybarite getan haben m¸sse, um den Namen eines Weisen zu verdienen, oder wie er sich einer Benennung nicht schâ°me, die ihm, seinen Gedanken nach, eben so gut anstund, als dem Alexander von Phera, wenn man ihn den Leutseligen, oder der Phryne, wenn man sie die Keusche hâ°tte nennen wollen. Alle AuflËsungen, die er sich selbst hier¸ber machen konnte, befriedigten ihn so wenig, daï¬ er sich vornahm, bei der ersten Gelegenheit dieses Problem dem Hippias selbst vorzulegen.
VIERTES KAPITEL
Welches bei einigen den Verdacht erwecken wird, daï¬ diese Geschichte erdichtet sei
Die Verrichtungen des Agathon lieï¬en ihm so viel Zeit ¸brig, daï¬ er in wenigen Tagen in einem Hause, wo alles Freude atmete, sehr lange Weile hatte. Zwar lag die Schuld nur an ihm selbst, wenn es ihm an einem Zeit-Vertreib mangelte, der sonst die hauptsâ°chlichste Beschâ°ftigung der Leute von seinem Alter auszumachen pflegt. Die Nymphen dieses Hauses waren von einer so gefâ°lligen Gem¸ts-Art, von einer so anziehenden Figur, und von einem so g¸nstigen Vorurteil f¸r den neuen Haus-Genossen eingenommen, daï¬ es weder die Furcht abgewiesen zu werden, noch der Fehler ihrer Reizungen war, was den schËnen Callias so zur¸ckhaltend oder unempfindlich machte.
Verschiedene, die aus seinem Betragen schlossen, daï¬ er noch ein Neuling sein m¸sse, lieï¬en sich die M¸he nicht dauern, ihm die Schwierigkeiten, die ihm seine Sch¸chternheit, ihren Gedanken nach, in den Weg legte, zu erleichtern; sie gaben ihm Gelegenheiten, die den Zaghaftesten hâ°tten unternehmend machen sollen. Allein (wir m¸ssen es nur gestehen, was man auch von unserm Helden deswegen denken mag) er gab sich eben so viel M¸he, diese Gelegenheiten auszuweichen, als man sich geben konnte, sie ihm zu machen. Wenn dieses anzuzeigen scheint, daï¬ er entweder einiges Miï¬trauen in sich selbst, oder ein allzugroï¬es Vertrauen in die Reizungen dieser schËnen Verf¸hrerinnen gesetzt habe, so dienet vielleicht zu seiner Entschuldigung, daï¬ er noch nicht alt genug war, ein Xenocrates zu sein; und daï¬ er, vermutlich nicht ohne Ursache, ein Vorurteil wider dasjenige gefaï¬t hatte, was man im Umgang von jungen Personen beiderlei Geschlechts unschuldige Freiheiten zu nennen pflegt. Dem sei inzwischen wie ihm wolle, so ist gewiï¬, daï¬ Agathon durch dieses seltsame Bezeugen einen Argwohn erweckte, der ihm bei allen Gelegenheiten sehr beiï¬ende SpËttereien von den ¸brigen Hausgenossen, und selbst von den SchËnen zuzog, die sich durch seine SprËdigkeit nicht wenig beleidigt fanden, und ihm auf eine feine Art zu verstehen gaben, daï¬ sie ihn f¸r geschickter hielten, die Tugend der Damen zu bewachen, als auf die Probe zu stellen. Agathon fand nicht ratsam, sich in einen Wett-Streit einzulassen, wo er besorgen muï¬te, daï¬ die Begierde, recht zu haben, die sich in der Hitze des Streites auch der Kl¸gsten zu bemeistern pflegt, ihn zu gefâ°hrlichen ErËrterungen f¸hren kËnnte. Er machte daher bei solchen Anlâ°ssen eine so alberne Figur, daï¬ man von seinem Witz eine eben so verdâ°chtige Meinung bekommen muï¬te, als man schon von seiner Person gefaï¬t hatte; und die Verachtung, in die er deswegen bei jedermann fiel, trug vielleicht nicht wenig dazu bei, ihm den Aufenthalt in einem Hause beschwerlich zu machen, wo ihm ohnehin, alles, was er sah und hËrte, â°rgerlich war. Er liebte diejenigen K¸nste sehr, ¸ber welche, nach dem Glauben der Griechen, die Musen die Aufsicht hatten. Allein die Gemâ°lde, womit alle Sâ°le und Gâ°nge dieses Hauses ausgeziert waren, stellten so schl¸pfrige und unsittliche Gegenstâ°nde vor, daï¬ er seinen Augen um so weniger erlauben konnte, sich darauf zu verweilen, je vollkommner die Natur darin nachgeahmt war, und je mehr sich der Genie bem¸ht hatte, der Natur selbst neue Reizungen zu leihen. Eben so weit war die Musik, die er alle Abende nach der Tafel hËren konnte, von derjenigen unterschieden, die seiner Einbildung nach allein der Musen w¸rdig war. Er liebte eine Musik, welche die Leidenschaften besâ°nftigte, und die Seele in ein angenehmes Staunen wiegte, oder das Lob der Unsterblichen mit einem feurigen Schwung von Begeistrung sang, wodurch das Herz in heiliges Entz¸cken und in ein schauervolles Gef¸hl der gegenwâ°rtigen Gottheit gesetzt wurde; und wenn sie Zâ°rtlichkeit und Freude ausdr¸ckte, so sollte es die Zâ°rtlichkeit der Unschuld und die r¸hrende Freude der einfâ°ltigen Natur sein. Allein in diesem Hause hatte man einen ganz andern Geschmack. Was Agathon hËrte, waren Syrenen-Gesâ°nge, die den ¸ppigsten Liedern des tejischen Dichters einen Reiz gaben, der auch aus unangenehmen Lippen verf¸hrerisch gewesen wâ°re; Gesâ°nge, die durch den nachahmenden Ausdruck des verschiednen Tons der schmeichelnden, seufzenden und schmachtenden, oder der triumphierenden und in Entz¸ckung aufgelËsten Leidenschaft die Begierde erregten, dasjenige zu erfahren, was in der Nachahmung schon so reizend war; Lydische FlËten, deren girrendes, verliebtes Fl¸stern die redenden Bewegungen der Tâ°nzerinnen ergâ°nzte, und ihrem Spiel eine Deutlichkeit gab, die der Einbildungs-Kraft nichts zu erraten ¸brig lieï¬; Symphonien, welche die Seele in ein bezaubertes Vergessen ihrer selbst versenkten, und, nachdem sie alle ihre edlere Krâ°fte entwaffnet hatte, die erregte und willige Sinnlichkeit der ganzen Gewalt der von allen Seiten eindringenden Wollust auslieferten. Agathon konnte bei diesen Szenen, wo so viele K¸nste, so viele Zauber-Mittel sich vereinigten, den Widerstand der Tugend zu erm¸den, nicht so gleichg¸ltig bleiben, als diejenigen zu sein schienen, die derselben gewohnt waren; und die Unruhe, in die er dadurch gesetzt wurde, machte ihm, was auch die Stoiker sagen mËgen, mehr Ehre, als dem Hippias und seinen Freunden ihre Gelassenheit. Er befand also f¸r gut, sich allemal, wenn er seine Rolle, als Homerist, geendiget hatte, hinweg und an einen Ort zu begeben, wo er in ungestËrter Einsamkeit sich von den widrigen Eindr¸cken befreien konnte, die das geschâ°ftige und frËhliche Get¸mmel des Hauses, und der Anblick von so vielen Gegenstâ°nden, die seine moralischen Sinne beleidigten, den Tag ¸ber auf sein Gem¸te gemacht hatten.
Fâ¹NFTES KAPITEL
Schwâ°rmerei des Agathon
Die Wohnung des Hippias war auf der mittâ°glichen Seite von Gâ°rten umgeben, in deren weitlâ°ufigem Bezirk die Kunst und der Reichtum alle ihre Krâ°fte aufgewandt hatten, die einfâ°ltige Natur mit ihren eignen und mit fremden SchËnheiten zu ¸berladen. Gefilde voll Blumen, die aus allen Teilen der Erde gesammelt, jeden Monat zum Fr¸hling eines andern Klima machten, Lauben von allerlei wohlriechenden Stauden, Lust-Gâ°nge von Zitronen-Bâ°umen, Ël-Bâ°umen und Zedern, in deren Lâ°nge der schâ°rfste Blick sich verlor, Haine von allen Arten der fruchtbaren Bâ°ume, und Irrgâ°nge von Myrten und Lorbeer-Hecken, mit Rosen von allen Farben durchwunden, wo tausend marmorne Najaden, die sich zu regen und zu atmen schienen, kleine murmelnde Bâ°che zwischen die Blumen hingossen, oder mit mutwilligem Plâ°tschern in spiegelhellen Brunnen spielten, oder unter ¸berhangenden Schatten von ihren Spielen auszuruhen schienen. Alles dieses machte die Gâ°rten des Hippias den bezauberten Gegenden â°hnlich, diesen Spielen einer dichtrischen und malerischen Phantasie, die man erstaunt ist, auï¬erhalb seiner Einbildung zu sehen. Hier war es, wo Agathon seine angenehmsten Stunden zubrachte; hier fand er die Heiterkeit der Seele wieder, die er dem angenehmsten Taumel der Sinne unendlich weit vorzog; hier konnt’ er sich mit sich selbst besprechen; hier war er von Gegenstâ°nden umgeben, die sich zu seiner Gem¸ts-Beschaffenheit schickten, obgleich die seltsame Denk-Art, wodurch er die Erwartung des Hippias so sehr betrog, auch hier nicht ermangelte, sein Vergn¸gen durch den Gedanken zu vermindern, daï¬ alle diese Gegenstâ°nde weit schËner wâ°ren, wenn sich die Kunst nicht angemaï¬et hâ°tte, die Natur ihrer Freiheit und r¸hrenden Einfâ°ltigkeit zu berauben. Oft wenn er beim Mond-Schein, den er mehr als den Tag liebte, so einsam im Schatten lag, erinnert’ er sich der frohen Szenen seiner ersten Jugend, der unbeschreiblichen Eindr¸cke, die jeder schËne Gegenstand, jeder ihm neue Auftritt der Natur auf seine jugendlichen unverwËhnten Sinnen gemacht hatte, der s¸ï¬en Stunden, die ihm in den Entz¸ckungen einer ersten und unschuldigen Liebe zu Augenblicken geworden waren. Diese Erinnerungen, mit der Stille der Nacht und dem Gemurmel sanfter Bâ°che und der sanft wehenden Sommer-L¸fte, wiegten seine Sinnen in eine Art von leichtem Schlummer ein, worin die innerlichen Krâ°fte der Seele mit verdoppelter Stâ°rke w¸rken; dann bildeten sich ihm die reizenden Aussichten einer bessern Zukunft vor; er sah alle seine W¸nsch’ erf¸llt, er f¸hlte sich etliche Augenblicke gl¸cklich; und wenn sie vorbei waren, beredete er sich, daï¬ diese Hoffnungen ihn nicht so lebhaft r¸hren, nicht in eine so gelassene Zufriedenheit senken w¸rden, wenn es nur nâ°chtliche Spiele der Phantasie, und nicht vielmehr innerliche Ahnungen wâ°ren, Blicke, welche der Geist in der Stille und Freiheit, die ihm die schlummernden Sinne lassen, in die Zukunft und in eine weitere Sphâ°re tut, als diejenige, die von der Schwâ°che ihrer kËrperlichen Sinne umschrieben wird.
In einer solchen Stunde war es, als Hippias, den die Anmut einer schËnen Sommer-Nacht zum Spaziergang einlud, ihn unter diesen Beschauungen ¸berraschte, denen er, in der Meinung, allein zu sein, sich zu ¸berlassen pflegte. Hippias blieb eine Weile vor ihm stehen, ohne daï¬ Agathon seiner gewahr wurde; endlich aber redet’ er ihn an, und lieï¬ sich in ein Gesprâ°ch mit ihm ein; welches ihn nur allzusehr in dem Argwohn bestâ°rkte, den er von dem Hang unsers Helden zu demjenigen, was er Schwâ°rmerei nannte, bereits gefaï¬t hatte.
SECHSTES KAPITEL
Ein Gesprâ°ch zwischen Hippias und seinem Sklaven
HIPPIAS “Du scheinst in Gedanken vertieft, Callias?”
AGATHON “Ich glaubte allein zu sein.”
HIPPIAS “Ein andrer an deiner Stelle w¸rde sich die Freiheit meines Hauses besser zu Nutze machen. Doch vielleicht gefâ°llst du mir um dieser Zur¸ckhaltung willen nur desto besser. Aber mit was f¸r Gedanken vertreibst du dir die Zeit, wenn man fragen darf?”
AGATHON “Die allgemeine Stille, der Mondschein, die r¸hrende SchËnheit der schlummernden Natur, die mit den Ausd¸nstungen der Blumen durchw¸rzte Nachtluft, tausend angenehme Empfindungen, deren liebliche Verwirrung meine Seele trunken machte, setzte sie in eine Art von Entz¸ckung, worinnen ein andrer Schauplatz von unbekannten SchËnheiten sich vor mir auftat; es war nur ein Augenblick, aber ein Augenblick, den ich um eines von den Jahren des KËnigs von Persien nicht vertauschen wollte.”
HIPPIAS (lâ°chelt.)
AGATHON “Dieses brachte mich hernach auf die Gedanken, wie gl¸cklich der Zustand der Geister sei, die den groben tierischen Leib abgelegt haben, und im Anschauen des wesentlichen SchËnen, des Unvergâ°nglichen, Ewigen und GËttlichen, Jahrtausende durchleben, die ihnen nicht lâ°nger scheinen als mir dieser Augenblick; und in den Betrachtungen, denen ich hier¸ber nachhing, bin ich von dir ¸berraschet worden.”
HIPPIAS “Du schliefst doch nicht, Callias; du hast wie ich sehe, mehr Talente als du nËtig hast; du kannst auch wachend trâ°umen?”
AGATHON “Es gibt vielerlei Arten von Trâ°umen, und bei einigen Menschen scheint ihr ganzes Leben Traum zu sein; wenn dieses Trâ°ume sind, so sind sie wenigstens angenehmer als alles, was ich in dieser Zeit wachend hâ°tte erfahren kËnnen.”
HIPPIAS “Du gedenkest also vielleicht einer von diesen Geistern zu werden, die du so gl¸cklich preisest?”
AGATHON “Ich hoff’ es zu werden, und w¸rde ohne diese Hoffnung mein Dasein f¸r kein Gut achten.”
HIPPIAS “Besitzest du etwan ein Geheimnis, kËrperliche Wesen in geistige zu erhËhen, einen Zaubertrank von der Art derjenigen, womit die Medeen und Circen der Dichter so wunderbare Verwandlungen zuwege bringen?”
AGATHON “Ich verstehe dich nicht, Hippias.”
HIPPIAS “So will ich deutlicher sein. Wenn ich anders dich verstanden habe, so hâ°ltst du dich f¸r einen Geist, der in einen tierischen Leib eingekerkert ist?”
AGATHON “Wof¸r sollt ich mich sonst halten?”
HIPPIAS “Sind die vierf¸ï¬igen Tiere, die VËgel, die Fische, die Gew¸rme, auch Geister, die in einen tierischen Leib eingeschlossen sind?”
AGATHON “Vielleicht.”
HIPPIAS “Und die Pflanzen?”
AGATHON “Vielleicht auch diese.”
HIPPIAS “Du bauest also deine Hoffnung auf ein Vielleicht. Wenn die Tiere vielleicht auch nicht Geister sind, so bist du vielleicht eben so wenig einer; denn das ist einmal gewiï¬, daï¬ du ein Tier bist. Du entstehest wie die Tiere, wâ°chsest wie sie, hast ihre Bed¸rfnisse, ihre Sinnen, ihre Leidenschaften, wirst erhalten wie sie, vermehrest dich wie sie, stirbst wie sie, und wirst wie sie wieder zu einem biï¬chen Wasser und Erde, wie du vorher gewesen warst. Wenn du einen Vorzug vor ihnen hast, so ist es eine schËnere Gestalt, ein paar Hâ°nde, mit denen du mehr ausrichten kannst als ein Tier mit seinen Pfoten, eine Bildung gewisser Gliedmaï¬en, die dich der Rede fâ°hig macht, und ein lebhafterer Witz, der von einer schwâ°chern und reizbarern Beschaffenheit deiner Fibern herkommt; und der doch alle K¸nste, womit wir uns so groï¬ zu machen pflegen, den Tieren abgelernt hat.”
AGATHON “Wir haben also sehr verschiedene Begriffe von der menschlichen Natur, du und ich.”
HIPPIAS “Vermutlich, weil ich sie f¸r nichts anders halte, als wof¸r meine Sinnen und eine Beobachtung ohne Vorurteile sie mir geben. Doch ich will freigebig sein; ich will dir zugeben, dasjenige was in dir denkt sei ein Geist, und wesentlich von deinem KËrper unterschieden.–Worauf gr¸ndest du die Hoffnung, daï¬ dieser Geist noch denken werde, wenn dein Leib zerstËrt sein wird? Was f¸r eine Erfahrung hast du, eine Meinung zu bestâ°tigen, die von so vielen Erfahrungen bestritten wird? Ich will nicht sagen, daï¬ er zu nichts werde; aber dein Leib verliert durch den Tod die Form die ihn zu deinem Leibe machte; woher hoffest du, daï¬ dein Geist die Form nicht verlieren werde, die ihn zu deinem Geiste macht?”
AGATHON “Weil ich mir unmËglich vorstellen kann, daï¬ der Oberste Geist, dessen GeschËpfe oder Ausfl¸sse die ¸brigen Geister sind, ein Wesen zerstËren werde, das er fâ°hig gemacht hat, so gl¸cklich zu sein, als ich es schon gewesen bin.”
HIPPIAS “Ein neues Vielleicht? Woher kennst du diesen obersten Geist?”
AGATHON “Woher kennst du den Phidias, der diesen Amor gemacht hat?”
HIPPIAS “Weil ich ihm zusah wie er ihn machte; denn vielleicht kËnnt eine Bildsâ°ule auch entstehn, ohne daï¬ sie von einem K¸nstler gemacht w¸rde.”
AGATHON “Wieso?”
HIPPIAS “Eine ungefâ°hre Bewegung ihrer kleinsten Elemente kËnnte diese Form endlich hervorbringen.”
AGATHON “Eine regellose Bewegung ein regelmâ°ï¬iges Werk?”
HIPPIAS “Warum das nicht? Du kannst im W¸rfelspiel von ungefâ°hr alle drei werfen. So gut als dieses mËglich ist, kËnntest du auch unter etlichen Billionen von W¸rfen einen werfen, wodurch eine gewisse Anzahl SandkËrner in eine zirkelrunde Figur fallen w¸rde. Die Anwendung ist leicht zu machen.”
AGATHON “Ich verstehe dich. Aber es bleibt allemal unendlich unwahrscheinlich, daï¬ die ungefâ°hre Bewegung der Elemente nur eine Muschel, deren so unzâ°hlich viele an jenem Ufer liegen, hervorbringen; und die Ewigkeit selbst scheint nicht lange genug zu sein, nur diese Erdkugel, diesen kleinen Atomen des ganzen Weltalls auf solche Weise entstehen zu machen.”
HIPPIAS “Es ist genug, daï¬ unter unendlich vielen ungefâ°hren Bewegungen, die nichts regelmâ°ï¬iges und dauerhaftes hervorbringen, eine mËglich ist, die eine Welt hervorbringen kann. Dieses setzt der Wahrscheinlichkeit deiner Meinung ein Vielleicht entgegen, wodurch sie auf einmal entkrâ°ftet wird.”
AGATHON “So viel als das Gewicht einer unendlichen Last, durch die Hinwegnahme eines einzigen Sandkorns.”
HIPPIAS “Du hast vergessen, daï¬ eine unendliche Zeit in die andere Waagschale gelegt werden muï¬. Doch ich will diesen Einwurf fahren lassen, ob er gleich weiter getrieben werden kann; was gewinnt deine Meinung dadurch? Vielleicht ist die Welt immer in der allgemeinen Verfassung gewesen, worin sie ist?–Vielleicht ist sie selbst das einzige Wesen, das durch sich selbst bestehet? Vielleicht ist der Geist von dem du sagtest, durch die wesentliche Beschaffenheit seiner Natur gezwungen, diesen allgemeinen WeltkËrper nach den Gesetzen einer unverâ°nderlichen Notwendigkeit zu beleben? Und gesetzt, die Welt sei, wie du meinest, das Werk eines verstâ°ndigen und freien Entschlusses; vielleicht hat sie viele Urheber? Mit einem Worte, Callias, du hast viele mËgliche Fâ°lle zu vernichten, eh du nur das Dasein deines obersten Geistes auï¬er Zweifel gesetzt hast.”
AGATHON “Ich brauche zu meiner eignen Beruhigung keinen so weitlâ°ufigen Weg. Ich sehe die Sonne, sie ist also; ich empfinde mich selbst, ich bin also; ich empfinde, ich sehe diesen obersten Geist, er ist also.”
HIPPIAS “Ein Trâ°umender, ein Kranker, ein Wahnwitziger sieht; und doch ist das nicht, was er sieht.”
AGATHON “Weil er in diesem Zustande nicht recht sehen kann.”
HIPPIAS “Wie kannst du beweisen, daï¬ du nicht gerad in diesem Punkt krank bist? Frage die â°rzte; man kann in einem einzigen St¸ck wahnwitzig, und in allen ¸brigen klug sein; so wie eine Laute bis auf eine einzige falsche Saite wohl gestimmt sein kann. Der rasende Ajax sieht zwo Sonnen, ein doppeltes Thebe. Was f¸r ein untr¸gliches Kennzeichen hast du, das Wahre von dem was nur scheint; das was du w¸rklich empfindest, von dem was du dir nur einbildest; das was du richtig empfindest, von dem was eine verstimmte Nerve dich empfinden macht, zu unterscheiden? Und wie, wenn alle Empfindung betrËge, und nichts von allem was ist, so wâ°re, wie du es empfindest?”
AGATHON “Darum bek¸mmere ich mich wenig. Gesetzt, die Sonne sei nicht so, wie ich sie sehe und f¸hle; f¸r mich ist sie darum nicht minder so, wie ich sie sehe und f¸hle, und das ist f¸r mich genug. Ihr Einfluï¬ in das System aller meiner ¸brigen Empfindungen ist darum nicht weniger w¸rklich, wenn sie gleich nicht so ist, wie sie sich meinen Sinnen darstellt, ja wenn sie gar nicht ist.”
HIPPIAS “Die Anwendung hievon, wenn dirs beliebt?”
AGATHON “Die Empfindung, die ich von dem hËchsten Geiste habe, hat in das innerliche System des meinigen den nâ°mlichen Einfluï¬, den die Empfindung die ich von der Sonne habe, auf mein kËrperliches System hat.”
HIPPIAS “Wie so?”
AGATHON “Wenn sich mein Leib ¸bel befindet, so vermehrt die Abwesenheit der Sonne das Unbehagliche dieses Zustands. Der wiederkehrende Sonnenschein belebt, ermuntert, erquicket meinen KËrper wieder, und ich befinde mich wohl, oder doch erleichtert. Eben diese W¸rkung tut die Empfindung des alles beseelenden Geistes auf meine Seele; sie erheitert, sie beruhiget, sie ermuntert mich; sie zerstreut meinen Unmut, sie belebt meine Hoffnung; sie macht, daï¬ ich in einem Zustande nicht ungl¸cklich bin, der mir ohne sie unertrâ°glich wâ°re.”
HIPPIAS “Ich bin also gl¸cklicher als du, weil ich alles dieses nicht nËtig habe. Erfahrung und Nachdenken haben mich von Vorurteilen frei gemacht; ich genieï¬e alles was ich w¸nsche, und w¸nsche nichts, dessen Genuï¬ nicht in meiner Gewalt ist. Ich weiï¬ also wenig von Unmut und Sorgen. Ich hoffe wenig, weil ich mit dem Genuï¬ des Gegenwâ°rtigen zufrieden bin. Ich genieï¬e mit Mâ°ï¬igung, damit ich desto lâ°nger genieï¬en kËnne, und wenn ich einen Schmerz f¸hle, so leide ich mit Geduld, weil dieses das beste Mittel ist, seine Dauer abzuk¸rzen.”
AGATHON “Und worauf gr¸ndest du deine Tugend? Womit nâ°hrest und belebest du sie? Womit ¸berwindest du die Hinternisse, die sie aufhalten; die Versuchungen, die von ihr ablocken, das ansteckende der Beispiele, die Unordnung der Begierden, und die Trâ°gheit, welche die Seele so oft erfâ°hrt, wenn sie sich erheben will?”
HIPPIAS “O J¸ngling, lange genug hab ich deinen Ausschweifungen zugehËrt. In was f¸r ein Gewebe von Hirngespinsten hat dich die Lebhaftigkeit deiner Einbildungskraft verwickelt? Deine Seele schwebt in einer bestâ°ndigen Bezauberung, in einer Abwechselung von quâ°lenden und entz¸ckenden Trâ°umen, und die wahre Beschaffenheit der Dinge bleibt dir so verborgen, als die sichtbare Gestalt der Welt einem Blindgebornen. Ich bedaure dich, Callias. Deine Gestalt, deine Gaben berechtigen dich nach allem zu trachten, was das menschliche Leben gl¸ckliches hat; deine Denkungsart allein wird dich ungl¸cklich machen. AngewËhnt lauter idealische Wesen um dich her zu sehen, wirst du die Kunst niemals lernen, von den Menschen Vorteil zu ziehen. Du wirst in einer Welt, die dich so wenig kennen wird als du sie, wie ein Einwohner des Monds herum irren, und nirgends am rechten Platze sein, als in einer EinËde oder im Fasse des Diogenes. Was soll man mit einem Menschen anfangen, der Geister sieht? Der von der Tugend fodert, daï¬ sie mit aller Welt und mit sich selbst in bestâ°ndigem Kriege leben soll? Mit einem Menschen, der sich in den Mondschein hinsetzt, und Betrachtungen ¸ber das Gl¸ck der entkËrperten Geister anstellt? Glaube mir, Callias, (ich kenne die Welt und sehe keine Geister) deine Philosophie mag vielleicht gut genug sein eine Gesellschaft m¸ï¬iger KËpfe statt eines andern Spiels zu belustigen; aber es ist eine Torheit sie aus¸ben zu wollen. Doch du bist jung; die Einsamkeit deiner ersten Jugend und die morgenlâ°ndischen Schwâ°rmereien, die etliche griechische M¸ï¬iggâ°nger von den Egyptern und Chaldâ°ern nach Hause gebracht, haben deiner Phantasie einen romanhaften Schwung gegeben; die ¸bermâ°ï¬ige Empfindlichkeit deiner Organisation hat den angenehmen Betrug befËdert; Leuten von dieser Art ist nichts schËn genug, was sie sehen, nichts angenehm genug, was sie f¸hlen; die Phantasie muï¬ ihnen andre Welten erschaffen, die Unersâ°ttlichkeit ihres Herzens zu befriedigen. Allein diesem ¸bel kann noch geholfen werden. Selbst in den Ausschweifungen deiner Einbildungskraft entdeckt sich eine nat¸rliche Richtigkeit des Verstandes, der nichts fehlt als auf andre Gegenstâ°nde angewendet zu werden. Ein wenig Gelehrigkeit und eine unparteiische ¸berlegung dessen, was ich dir sagen werde, ist alles was du nËtig hast, um von dieser seltsamen Art von Wahnwitz geheilt zu werden, die du f¸r Weisheit hâ°ltst. ¸berlaï¬ es mir, dich aus den unsichtbaren Welten in die wirkliche herabzuf¸hren; sie wird dich anfangs befremden, aber nur weil sie dir neu ist, und wenn du sie einmal gewohnt bist, wirst du die â°therischen so wenig vermissen als ein erwachsner die Spiele seiner Kindheit. Diese Schwâ°rmereien sind Kinder der Einsamkeit und der Muï¬e; ein Mensch der nach angenehmen Empfindungen d¸rstet, und der Mittel beraubt ist, sich w¸rkliche zu verschaffen, ist genËtiget sich mit Einbildungen zu speisen, und aus Mangel einer bessern Gesellschaft mit den Sylphen umzugehen. Die Erfahrung wird dich hievon am besten ¸berzeugen kËnnen. Ich will dir die Geheimnisse einer Weisheit entdecken, die zum Genuï¬ alles dessen f¸hrt, was die Natur, die Kunst, die Gesellschaft, und selbst die Einbildung (denn der Mensch ist doch nicht gemacht immer weise zu sein) Gutes und Angenehmes zu geben haben; und ich m¸ï¬te mich ganz mit dir betr¸gen, wenn die Stimme der Vernunft, die du noch niemals gehËrt zu haben scheinst, dich nicht von einem Irrwege zur¸ckrufen kËnnte, wo du am Ende deiner Reise in das Land der Hoffnungen dich um nichts reicher befinden w¸rdest, als um die Erfahrung dich betrogen zu haben. Itzo ist es Zeit schlafen zu gehen; aber der nâ°chste ruhige Morgen den ich habe, soll dein sein. Ich brauche dir nicht zu sagen, wie zufrieden ich mit der Art bin, wie du bisher dein Amt versehen hast; und ich w¸nsche nichts, als daï¬ eine bessere ¸bereinstimmung unsrer Denkungsart mich in den Stand setze, dir Beweise von meiner Freundschaft zu geben.” Mit diesen Worten begab sich Hippias hinweg, und lieï¬ unsern Agathon in einer Verfassung, die der Leser aus dem folgenden Kapitel ersehen wird.
SIEBENTES KAPITEL
Worin Agathon f¸r einen Schwâ°rmer ziemlich gut râ°soniert
Wir zweifeln nicht, daï¬ verschiedene Leser dieser Geschichte in der Vermutung stehen werden, Agathon m¸sse ¸ber diese nachdrucksvolle Apostrophe des weisen Hippias nicht wenig betroffen, oder doch wenigstens in einige Unruhe gesetzt worden sein. Das Alter des Hippias, der Ruf der Weisheit, worin er stand, der zuversichtliche Ton, womit er sprach, der Schein von Wahrheit der ¸ber seine Rede ausgebreitet war; und was nicht das wenigste scheint, das Ansehen, welches ihm seine Reicht¸mer gaben; alle diese Umstâ°nde hâ°tten nicht fehlen sollen, einen Menschen aus der Fassung zu setzen, der ihm so viele Vorz¸ge eingestehen muï¬te, und ¸berdas noch sein Sklave war. Allein man kann sich irren. Agathon hatte diese ganze emphatische Rede mit einem Lâ°cheln angehËrt, welches fâ°hig gewesen wâ°re, alle Sophisten der Welt irre zu machen, wenn die Dunkelheit und das Vorurteil des Redners f¸r sich selbst es hâ°tten bemerken lassen; und kaum befand er sich allein, so war die erste W¸rkung derselben, daï¬ dieses Lâ°cheln sich in ein Lachen verwandelte, welches er zum Nachteil seines Zwerchfells lâ°nger zur¸ckzuhalten unnËtig hielt, und welches immer wieder anfing, so oft er sich die Miene, den Ton und die Gebâ°rden vorstellte, womit der weise Hippias die nachdr¸cklichsten Stellen seiner Rede von sich gegeben hatte. Allein diese mechanische Bewegung machte bald ernsthaftern Gedanken Platz, und es fehlte wenig, so hâ°tte er sich selbst Vorw¸rfe dar¸ber gemacht, daï¬ er fâ°hig gewesen dar¸ber zu lachen, daï¬ ein so groï¬er Unterschied zwischen Hippias und Agathon war. “Ein Mensch, der so lebt wie Hippias”, dacht’ er, “muï¬ so denken; und wer so denkt wie Hippias w¸rde ungl¸cklich sein, wenn er nicht so leben kËnnte. Ich muï¬ lachen”, fuhr er mit sich selbst fort, “wenn ich an den Ton der Unfehlbarkeit denke, womit er sprach. Dieser Ton ist mir nicht so neu, als der weise Hippias glauben mag. Ich habe Gerber und Sacktrâ°ger zu Athen gekannt, die sich nicht zu wenig deuchten, mit dem ganzen Volk in diesem Ton zu sprechen. Du glaubst mir etwas neues gesagt zu haben, wenn du meine Denkungsart Schwâ°rmerei nennst, und mir mit der Gewiï¬heit eines Propheten die Schicksale ank¸ndigest, die sie mir zuziehen wird. Wie sehr betr¸gst du dich, wenn du mich dadurch erschreckt zu haben glaubst! O! Hippias, was ist das, was du Gl¸ckseligkeit nennest? Niemals wirst du fâ°hig sein, zu wissen was Gl¸ckseligkeit ist. Was du so nennst ist Gl¸ckseligkeit, wie das Liebe ist, was dir deine Tâ°nzerinnen einflËï¬en. Du nennst die meinige Schwâ°rmerei; laï¬ mich immer ein Schwâ°rmer sein, und sei du ein Weiser. Die Natur hat dir diese Empfindlichkeit, diese innerlichen Sinnen versagt, die den Unterschied zwischen uns beiden machen; du bist einem Tauben â°hnlich, der die frËhlichen Bewegungen, welche die begeisternde FlËte eines Damon in alle Glieder seiner HËrer bringt, dem Wein oder der Unsinnigkeit zuschreibt; er w¸rde tanzen wie sie, wenn er hËren kËnnte. Die Weltleute sind in der Tat nicht zu verdenken, wenn sie uns andre f¸r ein wenig monds¸chtig halten; wer will ihnen zumuten, daï¬ sie glauben sollen, es fehle ihnen etwas, das zu einem vollstâ°ndigen Menschen gehËrt? Ich kannte zu Athen ein junges Frauenzimmer, welches die Natur wegen der Hâ°ï¬lichkeit ihrer ¸brigen Figur durch sehr artige F¸ï¬e getrËstet hatte. ‘Ich mËchte doch wissen’, sagte sie zu einer Freundin, ‘was diese jungen Gecken an der einbildischen Timandra sehen, daï¬ sie sonst f¸r niemand Augen haben als f¸r sie? Es ist wahr, sie hat keine unfeine Farbe, ihre Z¸ge sind so so, ihre Augen wenigstens aufmunternd genug, und sie ist sehr besorgt, ihre Bewunderer durch Auslegung gewisser schl¸pfriger SchËnheiten f¸r die Gleichg¸ltigkeit ihres Gesichts schadlos zu halten; aber was sie f¸r F¸ï¬e hat! Wie kann man einen Anspruch an SchËnheit machen, ohne einen feinen Fuï¬ zu haben?’ ‘Du hast Recht’, versetzte die Freundin, die der Natur nichts schËnes zu danken hatte, als ein paar ¸beraus kleine Ohren; ‘man muï¬ einen Fuï¬ haben wie du, um schËn zu sein; aber was sagst du zu ihren Ohren, Hermia? So wahr mir Diana gnâ°dig sei, sie w¸rden einem Faunen Ehre machen.’ So sind die Menschen, und es wâ°re unbillig ihnen ¸bel zu nehmen, daï¬ sie so sind. Die Nachtigall singt, der Rabe krâ°chzt, und er m¸ï¬te kein Rabe sein, wenn er nicht dâ°chte, daï¬ er gut krâ°chze; er hat noch recht, wenn er denkt, die Nachtigall krâ°chze nicht gut; es ist wahr, dann geht er zu weit, wenn er ¸ber die Nachtigall spottet, daï¬ sie nicht so gut krâ°chzt wie er; aber sie w¸rde eben so Unrecht haben, wenn sie ¸ber ihn lachte, daï¬ er nicht singe wie sie; er singt nicht, aber er krâ°chzt doch gut, und das ist f¸r ihn genug. Aber Hippias ist besorgt f¸r mich, er bedaurt mich, er will mich so gl¸cklich machen, wie er ist. Das ist groï¬m¸tig! Er hat ausfindig gemacht, daï¬ ich das SchËne liebe, daï¬ ich gegen den Reiz, des Vergn¸gens nicht unempfindlich bin. Diese Entdeckung war leicht zu machen; aber in den Schl¸ssen, die er daraus zieht, kËnnt’ er sich betrogen haben. Der kluge Ulysses zog sein steinichtes kleines Ithaca, wo er frei war, und sein altes Weib mit der er vor zwanzig Jahren jung gewesen war, der bezauberten Insel der schËnen Calypso vor, wo er unsterblich und ein Sklave gewesen wâ°re; und der Schwâ°rmer Agathon w¸rde mit allem seinem Geschmack f¸r das SchËne, und mit aller seiner Empfindlichkeit f¸r die ErgËtzungen, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, lieber in das Faï¬ des Diogenes kriechen, als den Palast, die Gâ°rten, das Serail und die Reicht¸mer des weisen Hippias besitzen, und Hippias sein.”
Immer Selbstgesprâ°che, hËren wir den Leser sagen. Wenigstens ist dieses eines, und wer kann davor? Agathon hatte sonst niemand, mit dem er hâ°tte reden kËnnen als sich selbst; denn mit den Bâ°umen und Nymphen reden nur die Verliebten. Wir m¸ssen uns schon entschlieï¬en, ihm diese Unart zu gut zu halten, und wir sollten es desto eher tun kËnnen, da ein so feiner Weltmann als Horaz unstreitig war, sich nicht geschâ°mt hat zu gestehen, daï¬ er Ëfters mit sich selbst zu reden pflege.
ACHTES KAPITEL
Vorbereitungen zum Folgenden
Agathon hatte noch nicht lange genug unter den Menschen gelebt, um die Welt so gut zu kennen, als ein Theophrast sie zu der Zeit kannte, da er sie verlassen muï¬te. Allein was ihm an Erfahrung abging, ersetzte seine nat¸rliche Gabe in den Seelen zu lesen, die durch die Aufmerksamkeit geschâ°rft worden war, womit er die Menschen und die Auftritte des Lebens, die er zu sehen Gelegenheit gehabt, beobachtet hatte. Daher kam es, daï¬ seine letzte Unterredung mit dem Hippias, anstatt ihn etwas zu lehren, nur den Verdacht rechtfertigte, den er schon einige Zeit gegen den Charakter und die Denkungsart dieses Sophisten gefaï¬t hatte. Er konnte also auch leicht erraten, von was f¸r einer Art die geheime Philosophie sein w¸rde, von welcher er ihm so groï¬e Vorteile versprochen hatte. Dem ungeachtet verlangte ihn nach dieser Zusammenkunft, teils weil er neugierig war, die Denkungsart eines Hippias in ein System gebracht zu sehen, teils weil er sich von der Beredsamkeit desselben diejenige Art von ErgËtzung versprach, die uns ein geschickter Gaukler macht, der uns einen Augenblick sehen lâ°ï¬t, was wir nicht sehen, ohne es bei einem klugen Menschen so weit zu bringen, daï¬ man in eben demselben Augenblick nur daran zweifeln sollte, daï¬ man betrogen wird. Mit einer Gem¸tsverfassung, die so wenig von der Gelehrigkeit hatte, welche Hippias foderte, fand sich Agathon ein, als er nach Verfluï¬ einiger Tage an einem Morgen in das Zimmer des Sophisten gerufen wurde, welcher auf einem Ruhbette liegend seiner erwartete, und ihm befahl sich neben ihm niederzusetzen und das Fr¸hst¸ck mit ihm zu nehmen. Diese HËflichkeit war nach der Absicht des weisen Hippias eine Vorbereitung, und er hatte, um die W¸rkung derselben zu befËrdern, das schËnste Mâ°dchen in seinem Hause ausersehen, sie hiebei zu bedienen. In der Tat die Gestalt dieser Nymphe, und die gute Art womit sie ihr Amt versah, machten ihre Aufwartung f¸r einen Weisen von Agathons Alter ein wenig beunruhigend. Das schlimmste war, daï¬ die kleine Hexe, um sich wegen der Gleichg¸ltigkeit zu râ°chen, womit Agathon ihre zuvorkommende G¸tigkeit bisher vernachlâ°ssiget hatte, keinen von den Kunstgriffen verabsâ°umte, wodurch sie den Wert des von ihm verscherzten Gl¸ckes empfindlicher zu machen glaubte. Sie hatte die Bosheit gehabt, sich in einem so niedlichen, so sittsamen und doch so verf¸hrerischen Morgen-Anzug darzustellen, daï¬ Agathon sich nicht verhindern konnte zu denken, die Grazien selbst kËnnten, wenn sie gekleidet erscheinen wollten, keinen Anzug erfinden, der auf eine wohlanstâ°ndigere Art das Mittel, zwischen der eigentlichen Kleidung und ihrer gewËhnlichen Art sich sehen zu lassen, hielte. Die Wahrheit zu sagen, das rosenfarbe Gewand, welches sie umfloï¬, war eher demjenigen â°hnlich, was Petron einen gewebten Wind oder einen leinenen Nebel nennt, als einem Zeug der den Augen etwas entziehen soll; und die kleinste Bewegung entdeckte Reizungen, die desto gefâ°hrlicher waren, da sie sich gleich wieder in verrâ°terische Schatten verbargen, und der Einbildungskraft noch mehr als den Augen nachzustellen schienen. Dem ungeachtet w¸rde unser Held sich vielleicht ganz wohl aus der Sache gezogen haben, wenn er nicht beim ersten Anblick die Absichten des Hippias und der schËnen Cyana (so hieï¬ das junge Frauenzimmer) erraten hâ°tte. Diese Entdeckung setzte ihn in eine Art von Verlegenheit, die desto merklicher wurde, je grËï¬ere Gewalt er sich antat, sie zu verbergen; er errËtete zu seinem grËï¬ten Verdruï¬ bis an die Ohren, er machte allerlei gezwungne Gebâ°rden, und sah alle Gemâ°lde in dem Zimmer nach einander an, um seine Verwirrung unmerklich zu machen; aber alle seine M¸he war umsonst, und die Geschâ°ftigkeit der schalkhaften Cyane fand immer neuen Vorwand seinen zerstreuten Blick auf sich zu ziehen. Doch der Triumph, dessen sie in diesen Augenblicken genoï¬, wâ°hrte nicht lange. So empfindlich die Augen Agathons waren, so waren sie es doch nicht mehr als sein moralischer Sinn; und ein Gegenstand, der diesen beleidigte, konnte keinen so angenehmen Eindruck auf jene machen, daï¬ er nicht von der unangenehmen Empfindung des andern wâ°re ¸berwogen worden. Die Forderungen der schËnen Cyane, das Gek¸nstelte, das Schlaue, das Schl¸pfrige, das ihm an ihrer ganzen Person anstËï¬ig war, lËschte das Reizende so sehr aus, und erkaltete seine Sinnen so sehr, daï¬ ein grËï¬erer Grad davon, gleich dem Anblick der Medusa, fâ°hig gewesen wâ°re, ihn in einen Stein zu verwandeln. Die Freiheit und Gleichg¸ltigkeit, die ihm dieses gab, blieb Cyanen nicht verborgen; und er sorgte daf¸r, sie durch gewisse Blicke, und ein gewisses Lâ°cheln, dessen Bedeutung ihr ganz deutlich war, zu ¸berzeugen, daï¬ sie zu fr¸h triumphiert habe. Dieses Betragen war f¸r ihre Reizungen allzu beleidigend, als daï¬ sie es so gleich f¸r ungezwungen hâ°tte halten sollen; der Widerstand, den sie fand, forderte sie zu einem Wettstreit heraus, worin sie alle ihre K¸nste anwandte, den Sieg zu erhalten; allein die Stâ°rke ihres Gegners erm¸dete endlich ihre Hoffnung, und sie behielt kaum noch so viel Gewalt ¸ber sich selbst, den Verdruï¬ zu verbergen, den sie ¸ber diese Dem¸tigung ihrer Eitelkeit empfand. Hippias, der sich eine zeitlang stillschweigend mit diesem Spiel belustigte, urteilte bei sich selbst, daï¬ es nicht leicht sein werde, den Verstand eines Menschen zu fangen, dessen Herz selbst auf der schwâ°chsten Seite, sowohl befestiget schien. Allein diese Anmerkung bekrâ°ftigte ihn nur in seinen Gedanken von der Methode, die er bei seinem neuen Sch¸ler gebrauchen m¸sse; und da er selbst von seinem System besser ¸berzeugt war, als irgend ein Bonze von der Kraft der Amulete, die er seinen dankbaren Glâ°ubigen austeilt, so zweifelte er nicht, daï¬ Agathon durch einen freim¸tigen Vortrag besser zu gewinnen sein w¸rde, als durch die rednerischen Kunstgriffe, deren er sich bei schwachem Seelen mit gutem Erfolg zu bedienen pflegte. Sobald also das Fr¸hst¸ck genommen, und die beschâ°mte Cyane abgetreten war, fing er nach einem kleinen Vorbereitungs-Gesprâ°ch, den merkw¸rdigen Diskurs an, durch dessen vollstâ°ndige Mitteilung wir desto mehr Dank zu verdienen hoffen, da wir von Kennern versichert worden, daï¬ der geheime Verstand desselben den buchstâ°blichen an Wichtigkeit noch weit ¸bertreffe, und der wahre und unfehlbare Prozeï¬, den Stein der Weisen zu finden, darin verborgen liege.
DRITTES BUCH
ERSTES KAPITEL