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Michael Pullen
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Oberon
Christoph Martin Wieland
Ein romantisches Heldengedicht in zwölf Gesängen (1780)
Inhalt:
* Vorrede
* 1. Gesang
* 2. Gesang
* 3. Gesang
* 4. Gesang
* 5. Gesang
* 6. Gesang
* 7. Gesang
* 8. Gesang
* 9. Gesang
* 10. Gesang
* 11. Gesang
* 12. Gesang
* Glossarium A-K
* Glossarium L-Z
An den Leser.
Die Romanzen und Ritterbücher, womit Spanien und Frankreich im zwölften, dreyzehnten und vierzehnten Jahrhundert ganz Europa so reichlich versehen haben, sind, eben so wie die fabelhafte Götter–und Heldengeschichte der Morgenländer und der Griechen, eine Fundgrube von poetischem Stoffe, welche, selbst nach allem was Bojardo, Ariost, Tasso, Allemanni, und andere daraus gezogen haben, noch lange für unerschöpflich angesehen werden kann.
Ein großer Theil der Materialien zu gegenwärtigem Gedichte, besonders dessen was man in der Kunstsprache die Fabel nennt, ist aus dem alten Ritterbuche von Huon de Bordeaux genommen, welches durch einen der Bibliotheque Universelle des Romans einverleibten freyen Auszug, aus der Feder des verstorbenen Grafen von Tressan, allgemein bekannt ist. Aber der Oberon, der in diesem alten Ritterromane die Rolle des Deus ex machina spielt, und der Oberon, der dem gegenwärtigen Gedichte seinen Nahmen gegeben, sind zwey sehr verschiedene Wesen. Jener ist eine seltsame Art von Spuk, ein Mittelding von Mensch und Kobold, der Sohn Julius Cäsars und einer Fee, der durch eine sonderbare Bezauberung in einen Zwerg verwandelt ist; der meinige ist mit dem Oberon, welcher in Chaucers “Merchant’s-Tale” und Shakspeares “Midsummer-Night’s-Dream” als ein Feen–oder Elfenkönig (King of Fayries) erscheint, eine und eben dieselbe Person; und die Art, wie die Geschichte seines Zwistes mit seiner Gemahlin Titania in die Geschichte Hüons und Rezia’s eingewebt worden, scheint mir (mit Erlaubniß der Kunstrichter) die eigenthümlichste Schönheit des Plans und der Komposizion dieses Gedichtes zu seyn.
In der That ist “Oberon” nicht nur aus zwey, sondern, wenn man es genau nehmen will, aus drey Haupthandlungen zusammen gesetzt: nehmlich, aus dem Abenteuer, welches Hüon auf Befehl des Kaisers zu bestehen übernommen, der Geschichte seiner Liebesverbindung mit Rezia, und der Wiederaussöhnung der Titania mit Oberon: aber diese drey Handlungen oder Fabeln sind dergestalt in Einen Hauptknoten verschlungen, daß keine ohne die andere bestehen oder einen glücklichen Ausgang gewinnen konnte. Ohne Oberons Beystand würde Hüon Kaiser Karls Auftrag unmöglich haben ausführen können: ohne seine Liebe zu Rezia, und ohne die Hoffnung, welche Oberon auf die Treue und Standhaftigkeit der beiden Liebenden, als Werkzeugen seiner eignen Wiedervereinigung mit Titania, gründete, würde dieser Geisterfürst keine Ursache gehabt haben, einen so innigen Antheil an ihren Schicksalen zu nehmen. Aus dieser auf wechselseitige Unentbehrlichkeit gegründeten Verwebung ihres verschiedenen Interesse entsteht eine Art von Einheit, die, meines Erachtens, das Verdienst der Neuheit hat, und deren gute Wirkung der Leser durch seine eigene Theilnehmung an den sämmtlichen handelnden Personen zu stark fühlt, als daß sie ihm irgend ein Kunstrichter wegdisputieren könnte.
An Se. Durchlaucht den Prinzen
August von Sachsen-Gotha und Altenburg.
Der Grazien schönste weyhet, am Altar der Freundschaft, Bester Prinz, Dir diese Blumen, gepflegt von einer Muse die Du liebst.
Sie blühten unter Deinen Blicken auf, und Du ergöztest Dich an ihrem Duft.
Bescheiden ist ihr Glanz; allein mir sagt’s ein Genius, sie werden nie verblühen:
und wenn dereinst nichts übrig ist von mir als sie–und auch von Dir, o Du Geliebter, nichts übrig ist, als Deiner schönen Seele und aller Deiner holden Tugenden
Erinnerung: dann werden noch die Musen, stilltraurend–denn wer liebte sie wie Du?– die unverwelklichen um Deine Urne winden.
Erster Gesang.
1
Noch einmahl sattelt mir den Hippogryfen, ihr Musen, Zum Ritt ins alte romantische Land!
Wie lieblich um meinen entfesselten Busen Der holde Wahnsinn spielt! Wer schlang das magische Band Um meine Stirne? Wer treibt von meinen Augen den Nebel Der auf der Vorwelt Wundern liegt?
Ich seh’, in buntem Gewühl, bald siegend, bald besiegt, Des Ritters gutes Schwert, der Heiden blinkende Säbel.
2
Vergebens knirscht des alten Sultans Zorn, Vergebens dräut ein Wald von starren Lanzen: Es tönt in lieblichem Ton das elfenbeinerne Horn, Und, wie ein Wirbel, ergreift sie alle die Wuth zu tanzen; Sie drehen im Kreise sich um bis Sinn und Athem entgeht. Triumf, Herr Ritter, Triumf! Gewonnen ist die Schöne. Was säumt ihr? Fort! der Wimpel weht;
Nach Rom, daß euern Bund der heil’ge Vater kröne!
3
Nur daß der süßen verbotenen Frucht Euch ja nicht vor der Zeit gelüste!
Geduld! der freundlichste Wind begünstigt eure Flucht, Zwey Tage noch, so winkt Hesperiens goldne Küste. O rette, rette sie, getreuer Scherasmin, Wenn’s möglich ist!–Umsonst! die trunknen Seelen hören Sogar den Donner nicht. Unglückliche, wohin Bringt euch ein Augenblick! Kann Liebe so bethören?
4
In welches Meer von Jammer stürzt sie euch! Wer wird den Zorn des kleinen Halbgotts schmelzen? Ach! wie sie Arm in Arm sich auf den Wogen wälzen! Noch glücklich durch den Trost, zum wenigsten zugleich Eins an des andern Brust zu sinken ins Verderben. Ach! hofft es nicht! Zu sehr auf euch erbost Versagt euch Oberon sogar den letzten Trost, Den armen letzten Trost des Leidenden, zu sterben!
5
Zu strengern Qualen aufgespart
Seh’ ich sie hülflos, nackt, am öden Ufer irren: Ihr Lager eine Kluft, mit einer Hand voll dürren Halb faulem Schilf bestreut; und Beeren wilder Art, Die kärglich hier und dort an kahlen Hecken schmoren, All’ ihre Kost! In dieser dringenden Noth Kein Hüttenrauch von fern, kein hülfewinkend Boot, Glück, Zufall und Natur zu ihrem Fall verschworen!
6
Und noch ist nicht des Rächers Zorn erweicht, Noch hat ihr Elend nicht die höchste Stuf’ erreicht; Es nährt nur ihre strafbar’n Flammen,
Sie leiden zwar, doch leiden sie beisammen. Getrennt zu seyn, so wie in Donner und Blitz Der wilde Sturm zwey Bruderschiffe trennet, Und ausgelöscht, wenn im geheimsten Sitz Der Hoffnung noch ein schwaches Flämmchen brennet:
7
Dieß fehlte noch!–O du, ihr Genius einst, ihr Freund! Verdient, was Liebe gefehlt, die Rache sonder Grenzen? Weh euch! Noch seh’ ich Thränen in seinen Augen glänzen; Erwartet das ärgste wenn Oberon weint!– Doch, Muse, wohin reißt dich die Adlersschwinge Der hohen trunknen Schwärmerey?
Dein Hörer steht bestürzt, er fragt sich was dir sey, Und deine Gesichte sind ihm geheimnisvolle Dinge.
8
Komm, laß dich nieder zu uns auf diesen Kanapee, Und–statt zu rufen, ich seh’, ich seh,
Was niemand sieht als Du–erzähl’ uns fein gelassen Wie alles sich begab. Sieh, wie mit lauschendem Mund Und weit geöffnetem Auge die Hörer alle passen, Geneigt zum gegenseitigem Bund,
Wenn du sie täuschen kannst sich willig täuschen zu lassen. Wohlan! so höret denn die Sache aus dem Grund!
9
Der Paladin, mit dessen Abenteuern
Wir euch zu ergetzen (wofern ihr noch ergetzbar seyd) Entschlossen sind, war seit geraumer Zeit Gebunden durch sein Wort nach Babylon zu steuern. Was er zu Babylon verrichten sollte, war Halsbrechend Werk, sogar in Karls des Großen Tagen: In unsern würd’ es, auf gleiche Gefahr,
Um allen Ruhm der Welt kein junger Ritter wagen.
10
Sohn, sprach sein Oheim zu ihm, der heil’ge Vater in Rom, Zu dessen Füßen, mit einem reichlichen Strom Bußfert’ger Zähren angefeuchtet,
Er, als ein frommer Christ, erst seine Schuld gebeichtet; Sohn, sprach er, als er ihm den Ablaß segnend gab, Zeuch hin in Frieden! Es wird dir wohl gelingen Was du beginnst. Allein vor allen Dingen, Wenn du nach Joppen kommst, besuch das heil’ge Grab!
11
Der Ritter küsset ihm in Demuth den Pantoffel, Gelobt Gehorsam an, und zieht getrost dahin. Schwer war das Werk, wozu der Kaiser ihn Verurtheilt hatte; doch, mit Gott und Sankt Christoffel Hofft er zu seinem Ruhm sich schon heraus zu ziehn. Er steigt zu Joppen aus, tritt mit dem Pilgerstabe Die Wallfahrt an zum werthen heil’gen Grabe, Und fühlt sich nun an Muth und Glauben zwiefach kühn.
12
Drauf geht es mit verhängtem Zügel
Auf Bagdad los. Stets denkt er, kommt es bald? Allein da lag noch mancher steile Hügel
Und manche Wüsteney und mancher dicke Wald Dazwischen. Schlimm genug, daß in den Heidenlanden Die schöne Sprache von Ok was unerhörtes war: Ist dieß der nächste Weg nach Bagdad? fragt er zwar An jedem Thore, doch von keiner Seele verstanden.
13
Einst traf der Weg der eben vor ihm lag Auf einen Wald. Er ritt bey Sturm und Regen Bald links bald rechts den ganzen langen Tag, Und mußt’ oft erst mit seinem breiten Degen Durchs wilde Gebüsch sich einen Ausgang hau’n. Er ritt Berg an, um freyer umzuschauen.
Weh ihm! Der Wald scheint sich von allen Seiten, Je mehr er schaut, je weiter auszubreiten.
14
Was ganz natürlich war däucht ihm ein Zauberspiel. Wie wird ihm erst, da in so wilden Gründen, Woraus kaum möglich war bey Tage sich zu finden, Zuletzt die Nacht ihn überfiel!
Sein Ungemach erreichte nun den Gipfel. Kein Sternchen glimmt durch die verwachsnen Wipfel; Er führt sein Pferd so gut er kann am Zaum, Und stößt bey jedem Tritt die Stirn an einen Baum.
15
Die dichte rabenschwarze Hülle
Die um den Himmel liegt, ein unbekannter Wald, Und, was zum ersten Mahl in seine Ohren schallt, Der Löwen donnerndes Gebrülle
Tief aus den Bergen her, das, durch die Todesstille Der Nacht noch schrecklicher, von Felsen wiederhallt: Der Mann, der nie gebebt in seinem ganzen Leben, Den machte alles dieß zum ersten Mahl erbeben!
16
Auch unser Held, wiewohl kein Weibessohn Ihn jemahls zittern sah, fühlt doch bey diesem Ton An Arm und Knie die Sehnen sich entstricken, Und wider Willen läuft’s ihm eiskalt übern Rücken. Allein den Muth, der ihn nach Babylon
Zu gehen treibt, kann keine Furcht ersticken; Und mit gezognem Schwert, sein Roß stets an der Hand, Ersteigt er einen Pfad, der sich durch Felsen wand.
17
Er war nicht lange fortgegangen,
So glaubt er in der Fern’ den Schein von Feuer zu sehn. Der Anblick pumpt sogleich mehr Blut in seine Wangen, Und, zwischen Zweifel, und Verlangen
Ein menschlich Wesen vielleicht in diesen öden Höh’n Zu finden, fährt er fort dem Schimmer nachzugehn, Der bald erstirbt und bald sich wieder zeiget So wie der Pfad sich senket oder steiget.
18
Auf einmahl gähnt im tiefsten Felsengrund Ihn eine Höhle an, vor deren finsterm Schlund Ein prasselnd Feuer flammt. In wunderbaren Gestalten Ragt aus der dunkeln Nacht das angestrahlte Gestein, Mit wildem Gebüsche versetzt, das aus den schwarzen Spalten Herab nickt, und im Wiederschein
Als grünes Feuer brennt. Mit lustvermengtem Grauen Bleibt unser Ritter stehn, den Zauber anzuschauen.
19
Indem schallt aus dem Bauch der Gruft ein donnernd Halt! Und plötzlich stand vor ihm ein Mann von rauher Gestalt, Mit einem Mantel bedeckt von wilden Katzenfellen, Der, grob zusammen geflickt, die rauhen Schenkel schlug; Ein graulich schwarzer Bart hing ihm in krausen Wellen Bis auf den Magen herab, und auf der Schulter trug Er einen Cedernast, als Keule, schwer genug Den größten Stier auf Einen Schlag zu fällen.
20
Der Ritter, ohne vor dem Mann
Und seiner Ceder und seinem Bart zu erschrecken, Beginnt in der Sprache von Ok, der einzigen die er kann, Ihm seinen Nothstand zu entdecken.
Was hör’ ich? ruft entzückt der alte Waldmann aus: O süße Musik vom Ufer der Garonne!
Schon sechzehnmahl durchläuft den Sternenkreis die Sonne, Und alle die Zeit entbehr’ ich diesen Ohrenschmaus.
21
Willkommen, edler Herr, auf Libanon, willkommen! Wiewohl sich leicht erachten läßt
Daß ihr den Weg in dieses Drachennest Um meinetwillen nicht genommen.
Kommt, ruhet aus, und nehmt ein leichtes Mahl für gut, Wobey die Freundlichkeit des Wirths das beste thut. Mein Wein (er springt aus diesem Felsenkeller) Verdünnt das Blut, und macht die Augen heller.
22
Der Held, dem dieser Gruß gar große Freude gab, Folgt ungesäumt dem Landsmann in die Grotte, Legt traulich Helm und Panzer ab,
Und steht entwaffnet da, gleich einem jungen Gotte. Dem Waldmann wird als rühr’ ihn Alquifs Stab, Da jener itzt den blanken Helm entschnallet, Und ihm den schlanken Rücken hinab
Sein langes gelbes Haar in großen Ringen wallet.
23
Wie ähnlich, ruft er, o wie ähnlich, Stück für Stück! Stirn, Auge, Mund und Haar!–Wem ähnlich? fragt der Ritter. “Verzeihung, junger Mann! Es war ein Augenblick, Ein Traum aus beßrer Zeit! so süß, und auch so bitter! Es kann nicht seyn!–Und doch, wie euch dieß schöne Haar Den Rücken herunter fiel, war mir’s ich seh’ Ihn selber Von Kopf zu Fuß. Bey Gott! sein Abdruck, ganz und gar; Nur Er von breit’rer Brust, und eure Locken gelber.
24
“Ihr seyd, der Sprache nach, aus meinem Lande; vielleicht Ist’s nicht umsonst, daß ihr dem guten Herrn so gleicht, Um den ich hier in diesem wilden Haine,
So fern von meinem Volk, schon sechzehn Jahre weine. Ach! ihn zu überleben war
Mein Schicksal! Diese Hand hat ihm die Augen geschlossen, Dieß Auge sein frühes Grab mit treuen Zähren begossen, Und itzt, ihn wieder in euch zu sehn, wie wunderbar!”
25
Der Zufall spielt zuweilen solche Spiele, Versetzt der Jüngling.–Sey es dann,
Fährt jener fort: genug, mein wackrer junger Mann, Die Liebe, womit ich mich zu euch gezogen fühle, Ist traun! kein Wahn; und gönnet ihr den Lohn Daß Scherasmin bey euerm Nahmen euch nenne? “Mein Nahm’ ist Hüon, Erb’ und Sohn
Des braven Siegewin, einst Herzogs von Guyenne.”
26
O! ruft der Alte, der ihm zu Füßen fällt, So log mein Herz mir nicht! O tausendmahl willkommen In diesem einsamen unwirthbaren Theil der Welt, Willkommen, Sohn des ritterlichen, frommen, Preiswerthen Herrn, mit dem in meiner bessern Zeit Ich manches Abenteu’r in Schimpf und Ernst bestanden! Ihr hüpftet noch im ersten Flügelkleid,
Als wir zum heiligen Grab zu fahren uns verbanden.
27
Wer hätte dazumahl gedacht,
Wir würden uns in diesen Felsenschlünden Auf Libanon nach achtzehn Jahren finden? Verzweifle keiner je, dem in der trübsten Nacht Der Hoffnung letzte Sterne schwinden!
Doch, Herr, verzeiht daß mich die Freude plaudern macht. Laßt mich vielmehr vor allen Dingen fragen, Was für ein Sturmwind euch in dieses Land verschlagen?
28
Herr Hüon läßt am Feuerherd
Auf einer Bank von Moos sich mit dem Alten nieder, Und als er drauf die reisemüden Glieder
Mit einem Trunk, so frisch die Quelle ihn beschert, Und etwas Honigseim gestärket,
Beginnt er seine Geschichte dem Wirth erzählen, der sich Nicht satt an ihm sehen kann, und stets noch was bemerket Worin sein vor’ger Herr dem jungen Ritter glich.
29
Der junge Mann erzählt, nach Art der lieben Jugend, Ein wenig breit: wie seine Mutter ihn
Bey Hofe (dem wahren Ort um Prinzen zu erziehn) Gar fleißig zu guter Lehr’ und ritterlicher Tugend Erzogen; wie schnell der Kindheit lieblicher Traum Vorüber geflogen; und wie, so bald ihm etwas Flaum Durchs Kinn gestochen, man ihn zu Bordeaux, von den Stufen Des Schlosses, mit großem Pomp zum Herzog ausgerufen;
30
Und wie sie drauf in eitel Lust und Pracht, Mit Jagen, Turnieren, Banketten, Saus und Brause, Zwey volle Jahre wie einzelne Tage verbracht; Bis Amory, der Feind von seinem Hause,
Beym Kaiser (dessen Huld sein Vater schon verscherzt) Ihn hinterrücks gar böslich angeschwärzt; Und wie ihn Karl, zum Schein in allen Gnaden, Nach Hofe, zum Empfang der Lehen, vorgeladen;
31
Wie sein besagter Feind, der listige Baron Von Hohenblat, mit Scharlot, zweytem Sohn Des großen Karls, dem schlimmsten Fürstenknaben Im Christenthum, (als der schon lange Lust gehegt Zu Hüons Land) es heimlich angelegt
Auf seinem Zuge nach Hof ihm eine Grube zu graben; Und wie sie, eines Morgens früh,
Ihm aufgepaßt im Wald bey Montlery.
32
Mein Bruder, fuhr er fort, der junge Gerard, machte, Mit seinem Falken auf der Hand,
Die Reise mit. Aus frohem Unverstand Entfernt der Knabe sich, da niemand arges dachte, Von unserm Trupp, läßt seinen Falken los, Und rennt ihm nach: wir andern alle zogen Indessen unsern Weg, und achteten’s nicht groß Als Falk’ und Knab’ aus unserm Blick entflogen.
33
Auf einmahl dringt ein klägliches Geschrey In unser Ohr. Wir eilen schnell herbey,
Und siehe da! mein Bruder liegt, vom Pferde Gestürzt, beschmutzt und blutend auf der Erde. Ein Edelknecht (von keinem unsrer Schaar Erkannt, wiewohl es Scharlot selber war) Stand im Begriff ihn weidlich abzuwalken, Und seitwärts hielt ein Zwerg mit seinem Falken.
34
Von Zorn entbrannt rief ich: Du Grobian, Was hat der Knabe dir gethan,
Der wehrlos ist, ihm also mitzuspielen? Zurück, und rühr’ ihn noch mit einem Finger an, Wofern dich’s jückt mein Schwert in deinem Wanst zu fühlen. Ha! schrie mir jener zu–bist du’s? Dich sucht’ ich just; Schon lange dürst’ ich nach der Lust
Mein racheglühend Herz in deinem Blut zu kühlen.
35
Kennst du mich nicht, so wiß’, ich bin der Sohn Des Herzogs Dietrich von Ardennen:
Dein Vater Siegewin (mög’ er im Abgrund brennen!) Trug über meinen einst bey einem offnen Rennen Mit Hinterlist den Dank davon,
Und durch die Flucht allein entging er seinem Lohn. Doch, Rache hab’ ich ihm geschworen,
Du sollst mir zahlen für ihn! Da, sieh zu deinen Ohren!
36
Und mit dem Worte rennt er gegen mich, Der, unbereit zu solchem Tanze,
Sich dessen nicht versah, mit eingelegter Lanze. Zum Glück pariert’ ich seinen Stich
Mit meinem linken Arm, um den ich in der Eile Den Mantel schlug, und auf der Stell’ empfing Mit meinem Degenknopf der Unhold eine Beule Am rechten Schlaf, wovon der Athem ihm entging.
37
Er fiel, mit Einem Wort, um nimmer aufzustehen. Da ließen plötzlich sich im Walde Reiter sehen In großer Zahl; doch des Erschlagnen Tod Zu rächen, war dem feigen Troß nicht Noth. Sie hielten, während wir des Knaben Wunde banden, Sich still und fern, bis wir aus ihren Augen schwanden; Drauf legten sie den Leichnam auf ein Roß Und zogen eilends fort zum kaiserlichen Schloß.
38
Unwissend, wie bey Karl mein Handel sich verschlimmert, Verfolg’ ich meinen Weg, des Vorgangs unbekümmert. Wir langen an. Mein alter Oheim, Abt
Zu Saint Denys, ein Mann mit Weisheit hochbegabt, Führt beym Gehör das Wort. Wir werden wohl empfangen, Und alles wär’ erwünscht für uns ergangen: Doch, wie man eben sich zur Tafel setzen will, Hält Hohenblat am Schloß mit Scharlots Leiche still.
39
Zwölf Knappen tragen sie, in schwarzen Flor vermummt, Die hohen Stufen hinan, und wer sie sieht verstummet Und steht erstarrt. Sie nehmen ihren Lauf Dem Sahle zu. Die Thüren springen auf:
Da tragen zwölf Gespenster eine Bahre, Mit blut’gen Linnen bedeckt, bis mitten in den Sahl. Der Kaiser selbst erblaßt, uns andern stehn ‘ die Haare Zu Berg, und mich trifft’s wie ein Wetterstrahl.
40
Indem tritt Amory hervor, hebt von der Leiche Das blut’ge Tuch, und–“Sieh! (ruft er dem Kaiser zu) Dieß ist dein Sohn! und hier der Frevler, der dem Reiche Und dir die Wunde schlug, der Mörder unsrer Ruh! Weh mir! ich kam zu spät dazu!
Sich nichts versehend fiel dein Scharlot im Gesträuche, Durch Meuchelmord, nicht wie in offnem Feld Von Rittershand ein ritterlicher Held.”
41
Wie viel Verdrieß dem alten Herrn auch täglich Sein böser Sohn gebracht, so blieb er doch sein Sohn, Sein Fleisch und Blut. Erst stand er unbeweglich; Dann schrie er laut vor Schmerz, mein Sohn! Mein Sohn! Und warf sich in Verzweiflung neben
Den Leichnam hin. Mir war der bange Vaterton Ein Dolch ins Herz; ich hätt’ um Scharlots Leben In diesem Augenblick mein bestes Blut gegeben.
42
Herr, rief ich, höre mich! Mein Will’ ist ohne Schuld; Er gab sich für den Sohn des Herzogs von Ardennen, Und was er that, bey Gott! es hätte die Geduld Von einem Heil’gen morden können!
Er schlug den Knaben dort, der ihm kein Leid gethan, Sprach lästerlich von meines Vaters Ehre, Fiel unverwarnt mich selber mörd’risch an– Den möcht’ ich sehn, der kalt geblieben wäre!
43
Ha! Bösewicht! schreyt Karl mich hörend, springt entbrannt Vom Leichnam auf, mit Löwengrimm im Blicke, Reißt einem Knecht das Eisen aus der Hand, Und, hielten ihn mit Macht die Fürsten nicht zurücke, Er hätt’ in seiner Wuth mich durch und durch gerannt. Auf einmahl rüttelt sich der ganze Ritterstand; Ein wetterleuchtender Glanz von hundert bloßen Wehren Scheint stracks in jeder Brust die Mordlust aufzustören.
44
Die Hall’ erdonnert von Geschrey,
Das Ästrich bebt, die alten Fenster klirren. Aus Jedem Mund schallt Mord! Verrätherey! Die Sprachen scheinen sich aufs neue zu verwirren. Man schnaubt, man rennt sich an, man zückt die drohende Hand. Der Abt, den noch allein Sankt Benedikts Gewand Vor Frevel schützt, hält endlich unsern Degen Mit aufgehobnem Arm sein Skapulier entgegen.
45
Ehrt, ruft er laut, den heil’gen Vater in mir Deß Sohn ich bin! Im Nahmen des Gottes, dem ich diene, Gebiet’ ich Fried’!–Er riefs mit einer Miene Und einem Ton, der Heiden zur Gebühr
Genöthigt hätt’. Und stracks auf einmahl legen Des Aufruhrs Wogen sich, erhellt sich jeder Blick, Und jeder Dolch und jeder nackte Degen
Schleicht in die Scheide still zurück.
46
Nun trug der Abt den ganzen Verlauf der Sache Dem Kaiser vor. Die Überredung saß
Auf seinen Lippen. Allein, was half mir das? Die Leiche des Sohns liegt da und schreyt um Rache. Hier, ruft der Vater, sieh, und sprich
Dem Mörder meines Sohns das Urtheil! Sprich’s für mich! Ja, rachedürstender Geist, dein Gaumen soll sich laben An seinem Blut! Er sterb’ und mäste die Raben!
47
Itzt schwoll mein Herz empor. Ich bin kein Mörder, schrie Ich überlaut. Der Richter richtet nicht billig In eigner Sache. Der Kläger Amory
Ist ein Verräther, Herr! Hier steh’ ich, frey und willig, Will in sein falsches Herz, mit meines Lebens Fahr, Beweisen, daß er ein Schalk und Lügner ist, und war Und bleiben wird, so lange sein Hauch die Luft vergiftet. Sein Werk ist alles dieß, Er hat es angestiftet!
48
Ich bin, wie er, von fürstlichem Geschlecht, Ein Pär des Reichs, und fordre hier mein Recht; Der Kaiser kann mir’s nicht versagen!
Da liegt mein Handschuh, laßt ihn’s wagen Ihn aufzunehmen, und Gott in seinem Gericht Entscheide, welchen von uns die Stimme dieses Blutes Zur Hölle donnern soll! Die Quelle meines Muthes Ist meine Unschuld, Herr! Mich schreckt sein Donner nicht.
49
Die Fürsten des Kaiserreichs, so viel von ihnen zugegen, Ein jeder sieht sich selbst in meiner Verdammung gekränkt. Sie murmeln, dem Meere gleich, wenn sich von fern zu regen Der Sturm beginnt: sie bitten, dringen, legen Das Recht ihm vor. Umsonst! den starren Blick gesenkt Auf Scharlots blutiges Haupt, kann nichts den Vater bewegen: Wiewohl auch Hohenblat, der’s für ein leichtes hält Mir obzusiegen, selbst sich unter die Bittenden stellt.
50
Herr, spricht er, laßt mich gehn, den Frevler abzustrafen, Ich wage nichts wo Pflicht und Recht mich schützt. Ha! rief ich laut, von Scham und Grimm erhitzt, Du spottest noch? Erzittre! immer schlafen Des Rächers Blitze nicht.–Mein Schwert, ruft Hohenblat, Soll, Mörder, sie auf deine Scheitel häufen! Doch Karl, den meine Gluth nur mehr erbittert hat, Befiehlt der Wache, mich zu greifen.
51
Dieß rasche Wort empört den ganzen Sahl Von neuem; alle Schwerter blitzen,
Das Ritterrecht, das Karl in mir verletzt, zu schützen. Ergreift ihn, ruft der Kaiser abermahl;
Allein er sieht, mit vorgehaltnen Klingen, In dichtem Kreis die Ritter mich umringen. Vergebens droht, schier im Gedräng erstickt, Der geistliche Herr mit Bann und Interdikt.
52
Des Reiches Schicksal schien an einem Haar zu schweben. Die grauen Räthe flehn dem Kaiser auf den Knien, Dem Recht der Ritter nachzugeben:
Je mehr sie flehn, je minder rührt es ihn; Bis endlich Herzog Nayms (der oft in seinem Leben, Wenn Karl den Kopf verlor, den seinen ihm geliehn) Den Mund zum Ohr ihm hält, dann gegen uns sich kehret, Und zum begehrten Kampf des Kaisers Urlaub schwöret.
53
Herr Hüon fuhr dann zu erzählen fort: Wie stracks auf dieses einz’ge Wort
Der Aufruhr sich gelegt, die Ritter alle zurücke Gewichen, und Karl, wiewohl im Herzen ergrimmt, Mit stiller Wuth im halb entwölkten Blicke, Den achten Tag zum Urtheilskampf bestimmt; Wie beide Theile sich mit großer Pracht gerüstet, Und, des Triumfs gewiß, sich Amory gebrüstet.
54
Der stolze Mann, wiewohl in seiner Brust Ein Kläger pocht der seinen Muth erschüttert, War eines Arms von Eisen sich bewußt,
Der manchen Wald von Lanzen schon zersplittert. Er hatte nie vor einem Feind gezittert,
Und Kampf auf Tod und Leben war ihm Lust. Doch all sein Trotz und seine Riesenstärke Betrogen ihn bey diesem blut’gen Werke.–
55
Gekommen war nunmehr der richterliche Tag, Versammelt alles Volk. Mit meinem silberblanken Turnierschild vor der Brust, und, wie ich sagen mag, Von allen mit Liebe begrüßt, erschien ich in den Schranken. Schon stand der Kläger da. In einem Erker lag Der alte Karl, umringt von seinen Fürsten, Und schien, in offenem Vertrag
Mit Amory, nach meinem Blut zu dürsten.
56
Die Sonne wird getheilt. Die Richter setzen sich. Mein Gegner scheint vor Ungeduld zu brennen Bis die Trompete ruft. Nun ruft sie, und wir rennen, Und treffen so gewaltiglich
Zusammen, daß aufs Knie die Rosse stürzen, und ich Und Hohenblat uns kaum im Sattel halten können. Eilfertig machen wir uns aus den Bügeln los, Und nun, in einem Blitz, sind beide Schwerter bloß.
57
Daß ich von unserm Kampf dir ein Gemählde mache Verlange nicht. An Grimm und Stärke war, Wie an Erfahrenheit, mein Gegner offenbar Mir überlegen; doch die Unschuld meiner Sache Beschützte mich, und machte meine Kraft
Dem Willen gleich. Der Sieg blieb lange zweifelhaft; Schon floß aus manchem Quell des Klägers Blut herunter, Und Hüon war noch unverletzt und munter.
58
Der wilde Amory, wie er sein dampfend Blut Den Panzer färben sieht, entbrannt von neuer Wuth, Und stürmt auf Hüon ein, gleich einem Ungewitter Das alles vor sich her zertrümmert und verheert, Blitzt Schlag auf Schlag, so daß mein junger Ritter Der überlegnen Macht mit Mühe sich erwehrt. Ein Arm, an Kraft mit Rolands zu vergleichen, Bringt endlich ihn, nach langem Kampf, zum Weichen.
59
Des Sieges schon gewiß faßt Amory sogleich Mit beiden angestrengten Händen
Sein mächtig Schwert, den Kampf auf Einen Schlag zu enden. Doch Hüons gutes Glück entglitscht dem Todesstreich, Und bringt, eh jener sich ins Gleichgewicht zu schwingen Vermag, da wo der Helm sich an den Kragen schnürt, So einen Hieb ihm bey, daß ihm die Ohren klingen, Und die entnervte Hand den Degengriff verliert.
60
Der Stolze sinkt zu seines Gegners Füßen, Und Hüon, mit gezücktem Schwert,
Dringt auf ihn ein. Entlade dein Gewissen, Ruft er, wenn noch das Leben einen Werth In deinen Augen hat. Gesteh es auf der Stelle Bandit, schreyt Amory, indem er alle Kraft Zum letzten Stoß mit Grimm zusammen rafft, Nimm dieß und folge mir zur Hölle!
61
Zum Glücke streift der Stoß, mit ungewisser Hand Vom Boden auf geführt, durch eine schnelle Wendung Die Hüon macht, unschädlich nur den Rand Des linken Arms; allein, mein Ritter, in der Blendung Des ersten Zorns, vergißt, daß Hohenblat, Um öffentlich vor Karln die Wahrheit kund zu machen, Noch etwas Athem nöthig hat,
Und stößt sein breites Schwert ihm wüthend in den Rachen.
62
Der Frevler speyt in Wellen rother Flut Die schwarze Seele aus. Der Sieger steht, entsündigt Und rein gewaschen in seines Klägers Blut, Vor allen Augen da. Des Herolds Ruf verkündigt Es laut dem Volk. Ein helles Jubelgeschrey Schallt an die Wolken. Die Ritter eilen herbey Das Blut zu stillen, das an des Panzers Seiten Herab ihm quillt, und ihn zum Kaiser zu begleiten.
63
Doch Karl (so fährt der junge Ritter fort Dem Mann vom Felsen zu erzählen)
Karl hielt noch seinen Groll. Kann dieser neue Mord Mir, rief er, meinen Sohn beseelen?
Ist Hüons Unschuld anerkannt?
Ließ Hohenblat ein Wort von Widerruf entfallen? Auf ewig sey er denn aus unserm Reich verbannt, Und all sein Land und Gut der Krone heimgefallen!
64
Streng war dieß Urtheil, streng der Mund Aus dem es ging; allein, was konnten wir dagegen? Das einzige Mittel war aufs Bitten uns zu legen. Die Pärs, die Ritterschaft, wir alle knieten, rund Um seinen Thron, uns schier die Kniee wund, Und gaben’s endlich auf, ihn jemahls zu bewegen; Als Karl zuletzt sein langes Schweigen brach: Wohlan, ihr Fürsten und Ritter, ihr wollt’s, wir geben nach.
65
Doch höret den Beding, den nichts zu widerrufen Vermögend ist!–Hier neigt’ er gegen mich Herunter zu des Thrones Stufen
Den Zepter–Ich begnadige dich:
Allein, aus allen meinen Reichen
Soll dein verbannter Fuß zur Stunde stracks entweichen, Und, bis du Stück für Stück mein kaiserlich Gebot Vollbracht, ist Wiederkunft unmittelbarer Tod.
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Zeuch hin nach Babylon, und in der festlichen Stunde, Wenn der Kalif, im Staat, an seiner Tafelrunde, Mit seinen Emirn sich beym hohen Mahl vergnügt, Tritt hin, und schlage dem, der ihm zur Linken liegt, Den Kopf ab, daß sein Blut die Tafel überspritze. Ist dieß gethan, so nahe züchtig dich
Der Erbin seines Throns, zunächst an seinem Sitze, Und küß’ als deine Braut sie dreymahl öffentlich.
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Und wenn dann der Kalif, der einer solchen Scene In seiner eignen Gegenwart
Sich nicht versah, vor deiner Kühnheit starrt, So wirf dich, an der goldnen Lehne
Von seinem Stuhle, hin, nach Morgenländer-Art, Und, zum Geschenk für mich, das unsre Freundschaft kröne, Erbitte dir von ihm vier seiner Backenzähne Und eine Hand voll Haar aus seinem grauen Bart.
68
Geh hin, und, wie gesagt, eh’ du aufs Haar vollzogen Was ich dir hier von Wort zu Wort gebot, Ist deine Wiederkunft unmittelbarer Tod! Wir bleiben übrigens in Gnaden dir gewogen. Der Kaiser sprach’s und schwieg. Allein wie uns dabey Zu Muthe war, ist nothlos zu beschreiben. Ein jeder sah, daß so gewogen bleiben
Nichts besser als ein Todesurtheil sey.
69
Ein dumpfes Murren begann im tiefen Sahl zu wittern. Bey Sankt Georg! (sprach einer von den Rittern Der auf der Lanzelot und Tristan rauher Bahn Manch Abenteu’r mit Ehren abgethan)
Sonst pfleg’ ich auch nicht leicht vor einem Ding zu zittern; Setz’ einer seinen Kopf, ich setz’ ihm meinen dran: Doch was der Kaiser da dem Hüon angesonnen Hätt’ auch, so brav er war, Herr Gawin nicht begonnen!
70
Was red’ ich viel? Es war zu offenbar Daß Karl durch dieß Gebot mir nach dem Leben trachte. Doch, wie es kam, ob es Verzweiflung war, Ob Ahnung, oder Trotz, was mich so tollkühn machte, Genug, ich trat vor ihn und sprach mit Zuversicht: Was du befohlen, Herr, kann meinen Muth nicht beugen. Ich bin ein Frank! Unmöglich oder nicht, Ich unternehm’s, und seyd ihr alle Zeugen!
71
Und nun, kraft dieses Worts, mein guter Scherasmin, Siehst du mich hier, nach Babylon zu reisen Entschlossen. Willst du mir dahin
Den nächsten Weg aus diesen Bergen weisen, So habe Dank; wo nicht, so mach’ ich’s wie ich kann. Mein bester Herr, versetzt der Felsenmann, Indem die Zähren ihm am Bart herunter beben, Ihr ruft, wie aus dem Grab, mich in ein neues Leben!
72
Hier schwör’ ich euch, und da, zum heil’gen Pfand, Ist diese alte zwar doch nicht entnervte Hand, Mit euch, dem theuren Sohn und Erben
Von meinem guten Herrn, zu leben und zu sterben. Das Werk, wozu der Kaiser euch gesandt,
Ist schwer, doch ist damit auch Ehre zu erwerben! Genug, ich führ’ euch hin, und steh’ euch festen Muths Bis auf den letzten Tropfen Bluts.
73
Der junge Fürst, gerührt von solcher Treue, Fällt dankbarlich dem Alten um den Hals. Drauf legen sich die beiden auf die Streue, Und Hüon schläft als wär’ es Flaum. Und als Der Tag erwacht, erwacht mit muntern Blicken Der Ritter auch, schnallt seine Rüstung an, Der Alte nimmt den Quersack auf den Rücken, Den Knittel in die Hand, und wandert frisch voran.
Zweyter Gesang.
1
So zieht das edle Paar, stets fröhlich, wach und munter, Bey Sonnenschein und Sternenlicht
Drey Tage schon den Libanon hinunter; Und wenn die Mittagsgluth sie auf die Scheitel sticht, Dient hohes Gras im Schatten alter Cedern Zum Ruheplatz; indeß in bunten Federn
Das leichte Volk der Luft die Silberkehlen stimmt, Und traulich Theil an ihrer Mahlzeit nimmt.
2
Am vierten Morgen läßt ein kleiner Haufen Reiter Sich ziemlich nah auf einer Höhe sehn.
Es sind Araber, spricht zu Hüon sein Begleiter, Und aus dem Wege dem rohen Volke zu gehn, Wo möglich, wäre wohl das beste:
Ich kenne sie als unverschämte Gäste. Ey, ey, wo denkst du hin? erwiedert Siegwins Sohn, Wo hörtest du, daß Franken je geflohn?
3
Die Söhne der Wüste, magnetisch angezogen Von Hüons Helm, der ihnen im Sonnenglanz Entgegen blitzt, als wär’ er ganz
Karfunkel und Rubin, sie kommen mit Pfeil und Bogen, Den Säbel gezückt, in Sturm heran geflogen. Ein Mann zu Fuß, ein Mann zu Pferd
Scheint ihnen kaum des Angriffs werth; Allein sie fanden sich betrogen.
4
Der junge Held, bedeckt mit seinem Schild, Sprengt unter sie, und wirft mit seinem Speere Den, der ihr Führer schien, so kräftig von der Mähre, Daß ihm ein blutiger Strom aus Mund und Nase quillt. Nun stürzen alle zumahl, des Hauptmanns Fall zu rächen, Auf seinen Sieger zu, mit Hauen und mit Stechen; Allein von Scherasmin, der ihm den Rücken deckt, Wird auf den ersten Schlag ein Pocher hingestreckt;
5
Und auf den andern Troß arbeitet unser Ritter So unverdrossen los, daß bald ein Zweyter und Dritter Den Sattel räumt. Auf jeden frischen Zug Fliegt hier ein Kopf, und dort ein Arm, den Säbel Noch in der Faust. Nicht minder kräftig schlug Der Alte zu mit seinem schweren Hebel.
Zu ihrem Mahom schrey’n die Helden fluchend auf, Und wer noch fliehen kann, der flieht in vollem Lauf.
6
Das Feld liegt grauenhaft mit Leichen und mit Stümmeln Von Roß und Mann bedeckt, die durch einander wimmeln. Der Held, so bald sein neuer Spießgesell Das beste Roß, das seinen Herrn verloren, Nebst einem guten Schwert sich aus der Beut’ erkohren, Spornt seinen schnaubenden Hengst und eilet vogelschnell Den Thälern zu, die sich in unabsehbarn Weiten An des Gebirges Fuß vor ihrem Blick verbreiten.
7
Es schien ein wohl gebautes Land,
Mit Bächen überall durchschnitten,
Die Anger mit Schafen bedeckt, die Auen im Blumengewand, Und zwischen Palmen die friedlichen Hütten Der braunen Bewohner verstreut, die froh ihr Tagwerk thun, In ihrer Armuth reich sich dünken,
Und, wenn sie hungrig und müd’ in kühlen Schatten ruhn, Zum rohen bäurischen Mahl dem Pilger freundlich winken.
8
Hier läßt der Ritter, da ihn die Sonne zu drücken begann, Sich Brot in frische Milch von einer Hirtin brocken. Das gute Volk begafft zur Seite, halb erschrocken, Wie er im Grase liegt, den fremden eisernen Mann; Allein da Blick und Ton ihm schnell ihr Herz gewann, So wagen bald Kinder sich hin und spielen mit seinen Locken. Den tapfern Mann ergetzt ihr traulich frohes Gewühl, Er wird mit ihnen Kind, und theilt ihr süßes Spiel.
9
Wie selig, denkt er, wär’s in diesen Hütten wohnen! Vergeblicher Wunsch! ihn ruft sein Schicksal anderwärts. Der Abend winkt. Beym Scheiden wallt sein Herz, Und, um dem guten Volk das freundliche Mahl zu lohnen, Wirft Hüon eine Hand voll Gold
Der Wirthin in den Schooß. Allein die Glücklichen wußten Nicht was es war, und übten das Gastrecht ohne Sold, So daß die Herren ihr Gold nur wieder nehmen mußten.
10
Nun ritten sie zu, bis endlich, da der Tag Zu dämmern begann, ein Wald vor ihnen lag. Freund, spricht der Paladin zum Alten,
Mich brennt’s wie Feuer bis ich dem Kaiser Wort gehalten. Den nächsten Weg nach Bagdad wolltest du Mich führen? Mir ist’s, ich sey vier Jahre schon geritten. Der nächste Weg, versetzt sein Spießgesell, geht mitten Durch diesen Wald; allein, ich rath’ euch nicht dazu.
11
Man spricht nicht gut von ihm, zum wenigsten noch keiner, Der sich hinein gewagt, kam jemahls wieder ‘raus. Ihr lächelt? Glaubt mir’s, Herr, ein übellauniger kleiner Boshafter Kobold hält in diesem Walde Haus. Es wimmelt drin von Füchsen, Hirschen, Rehen, Die Menschen waren so gut als wir.
Der Himmel weiß in welches wilde Thier Wir, eh’ es morgen wird, uns umgekleidet sehen!
12
Geht nur, erwiedert Siegwins Sohn,
Durch diesen Wald der Weg nach Babylon, So fürcht’ ich nichts.–“Herr, laßt auf meinen Knieen Euch bitten! Es ist, bey Gott! mir mehr um euch als mich: Denn gegen diesen Geist, das glaubt mir sicherlich, Hilft weder Gegenwehr noch Fliehen.
Mit fünf, sechs Tagen später ist’s gethan; Und ach! ihr kommt noch stets zu früh in Bagdad an!
13
Wenn du dich fürchtest, spricht der Ritter, So bleibe du, ich geh’, mein Schluß ist fest. Das nicht, ruft Scherasmin: der Tod schmeckt immer bitter, Allein, ein Schelm der seinen Herrn verläßt! Wenn ihr entschlossen seyd, so folg’ ich ohne Zaudern, Und helf’ uns Gott und Unsre Frau zu Acqs! Wohlan, spricht Hüon, komm! und reitet, bleich wie Wachs, Den Wald hinein. Der Alte folgt mit Schaudern.
14
Kaum war er in der Dämmerung
Zwey hundert Schritte fortgetrottet, Als links und rechts in vollem Sprung
Ein Heer von Hirschen und Rehen sich ihm entgegen rottet. Sie schienen, mit Thränen im warnenden Blick, (Wie Scherasmin, wiewohl bey wenig Lichte, Bemerken will) aus Mitleid sie zurück
Zu scheuchen, als sprächen sie: O flieht, ihr armen Wichte!
15
Nun! merkt ihr, (flüstert er zum Ritter) wie es steht? Und werdet ihr ein andermahl mir glauben? Trifft’s nicht ganz wörtlich ein? Die Thiere, die ihr seht, Die aus Erbarmen uns so stark entgegen schnauben, Sind Menschen, sag’ ich euch; und wenn ihr weitergeht, Glaubt mir, so haben wir den Kobold auf der Hauben. Seyd nicht so hart und rennt aus Eigensinn, Trotz eines Freundes Rath, in euer Unglück hin!
16
Wie, Alter? spricht der Held, ich geh’ mit diesen Schritten Nach Bagdad, den Kalif um eine Hand voll Haar Aus seinem Bart und vier von seinen Zähnen zu bitten, Und du verlangst, ich soll von ungewisser Fahr Mich schrecken lassen? Wo ist dein Sinn geblieben? Wer weiß, der Kobold ist vielleicht mein guter Freund. Mit diesen wenigstens ist’s nicht so schlimm gemeint; Sieh, wie sie all’ in einem Huy zerstieben!
17
Indem er’s sagt, so sprengt er auf sie zu, Und alles weicht wie Luft und ist im Huy verflogen. Herr Hüon und sein Führer zogen
Nun eine Weile fort in ungestörter Ruh, Stillschweigend beide. Der Tag war nun gesunken, Und ihren Mohnsaft goß die braune Nacht herab; Rings um sie lag schon alles schlummertrunken, Und durch den ganzen Wald war’s stille wie im Grab.
18
Zuletzt kann länger sich der Alte nicht entbrechen. Herr, spricht er, stör’ ich euch in einem Grillenplan, So haltet mir’s zu gut; ‘s ist eine meiner Schwächen, Ich läugn’ es nicht; allein, im Dunkeln muß ich sprechen, Das war so meine Art von meiner Kindheit an. Es ist so stille hier als sey der große Pan Gestorben. Tönte nicht der Hufschlag unsrer Pferde, Ich glaube daß man gar den Maulwurf scharren hörte.
19
Ihr denkt ich fürchte mich; doch ohne Prahlerey, (Denn, was der Mensch auch hat, so sind’s am Ende Gaben, Auch leben manche noch, die es gesehen haben) Wo Schwerter klirren, im Feld und im Turney, Mann gegen Mann, auf Stechen oder Hauen, Wär’s auch im Nothfall zwey und drey
An fünf bis sechs, ich bin dabey!
Da kann man doch auf seine Knochen trauen.
20
Kurz, hat ein Feind nur Fleisch und Blut, Ich bin sein Mann! Allein, das muß ich frey gestehen, Um Mitternacht an einem Kirchhof gehen
Das lupft ein wenig mir den Hut.
Gesetzt, so einem Geist, der querfeld mir begegnet, Steht meine Fysionomie
Nicht an: was hilft mir Arm und Degen, ventregris! Wenn’s unsichtbare Schläg’ auf meinen Rücken regnet?
21
Gesetzt, wie man Exempel hat,
Ich hau’ ihm auch den Schädel glatt vom Rumpfe; Noch weil er rollt, stehn schon an dessen Statt Zwey neue Köpfe auf dem Stumpfe.
Oft rennt sogar der Rumpf in vollem Lauf Dem Kopfe nach, und setzt ihn wieder auf Als wär’ es nur ein Hut, den ihm der Wind genommen: Nun, bitt’ ich euch, wie ist so einem beyzukommen?
22
Zwar, wie ihr wißt, so bald der Hahn gekräht, So ist’s mit all dem Spuk, der zwischen eilf und zwölfen Im Dunkeln schleicht, Gespenstern oder Elfen, Als hätte sie der Wind davon geweht.
Allein, der Geist der hier sein Wesen treibet, Ist euch von ganz besonderm Schlag,
Hält offnen Hof, ißt, trinkt, und lebt und leibet Wie unser eins, und geht bey hellem Tag.
23
Um meine Neugier aufzuschrauben,
Hast du dein bestes gethan, erwiedert Siegwins Sohn: Man spricht von Geistern so viel, und lügt so viel davon, Daß Laien unsrer Art nicht wissen was sie glauben. Einst kam an unsern Hof ein tief studierter Mann, Der schwor uns hoch, es wäre gar nichts dran, Und schimpfte weidlich los auf alle Geisterseher; Auch hieß ihn der Kaplan nur einen Manichäer.
24
Sie disputierten oft bey einer Flasche Wein; Doch, wenn das letzte Glas zu Kopf zu gehn begonnte, So mischten sie so viel Latein darein
Daß unser einer kaum ein Wort verstehen konnte. Da dacht’ ich oft: Schwatzt noch so hoch gelehrt, Man weiß doch nichts als was man selbst erfährt; Ich wollt’ ein Geist erwiese mir die Ehre Und sagte mir was an der Sache wäre.
25
Indem sah unser wandernd Paar
Sich unvermerkt in einem Park befangen, Durch den sich hin und her so viele Wege schlangen, Daß irre drin zu gehn fast unvermeidlich war. Der Mond war eben itzt vollwangig aufgegangen, Um durch ein trüglich Dunkelklar
Die Augen, die nach einem Ausweg irren, Mit falschen Lichtern zu verwirren.
26
Herr, sagte Scherasmin, hier ist’s drauf angesehn Uns in ein Labyrinth zu winden.
Der einz’ge Weg sich noch heraus zu finden, Ist–auf gut Glück der Nase nachzugehn.
Der Rath (der weiser ist als mancher Klügling meinet) Führt unsre frommen Wandrer bald
Zum Mittelpunkt, wo sich der ganze Wald In einen großen Stern vereinet.
27
Und in der Fern’ erblicken sie in Büschen Ein Schloß, das, wie aus Abendroth gewebt, Sich schimmernd in die Luft erhebt.
Mit Augen, worin sich Lust und Grauen mischen, Und zwischen Traum und Wachen zweifelhaft Schwebt Hüon sprachlos da und gafft;
Als plötzlich auf die goldnen Thüren flogen Und rollt’ ein Wagen daher, den Leoparden zogen.
28
Ein Knäbchen, schön, wie auf Cytherens Schooß Der Liebesgott, saß in dem Silberwagen,
Die Zügel in der Hand.–Da kommt er auf uns los, Mein bester Herr, ruft Scherasmin mit Zagen, Indem er Hüons Pferd beym Zaume nach sich zieht: Wir sind verloren! flieht, o flieht!
Da kommt der Zwerg!–Wie schön er ist! spricht jener– “Nur desto schlimmer! Fort! und wär’ er zehnmahl schöner.
29
“Flieht, sag’ ich euch, sonst ist’s um uns gethan!” Der Ritter sträubt sich zwar, allein da hilft kein Sträuben; Der Alte jagt im schnellsten Flug voran
Und zieht ihn nach, und hört nicht auf zu treiben, Zu jagen über Stock und Stein,
Durch Wald und Busch, und über Zaun und Graben Zu setzen, bis sie aus dem Hain
Ins Freye sich gerettet haben.
30
Mit Regen, Sturm und Blitz verfolgt ein Ungewitter Die Fliehenden; die fürchterlichste Nacht Verschlingt den Mond; es donnert, saust und kracht Rings um sie her, als schlüg’s den ganzen Wald in Splitter; Kurz, alle Element’ im Streit
Zerkämpfen sich mit zügellosem Grimme; Doch mitten aus dem Sturm ertönt von Zeit zu Zeit Mit liebevollem Ton des Geistes sanfte Stimme:
31
“Was fliehst du mich? Du fliehst vor deinem Glück; Vertrau dich mir, komm, Hüon, komm zurück!” Herr, wenn ihr’s thut, seyd ihr verloren, Schreyt Scherasmin: fort, fort, die Finger in die Ohren, Und sprecht kein Wort! Er hat nichts Guts im Sinn! Nun geht’s aufs neue los durch Dick und Dünn, Vom Sturm umsaust, vom Regen überschwemmet, Bis eine Klostermau’r die raschen Reiter hemmet.
32
Ein neues Abenteu’r! Der Tag da dieß geschah War just das Nahmensfest der heil’gen Agatha, Der Schützerin von diesem Jungfernzwinger. Nun lag kaum einen Büchsenschuß
Davon ein Stift voll wohl genährter Jünger Des heil’gen Abts Antonius;
Und beide hatten sich in diesen Abendstunden Zu einer Betefahrt freundnachbarlich verbunden.
33
Sie kamen just zurück, als, nah am Klosterbühl, Indem sie Paar und Paar in schönster Ordnung wallten, Der Rest des Sturms sie überfiel.
Kreuz, Fahnen, Skapulier, sind toller Winde Spiel, Und strömend dringt die Flut bis in des Schleiers Falten. Umsonst ist alle Müh den Anstand zu erhalten; Die Andacht reißt; mit komischem Gewühl
Rennt alles hin und her in seltsamen Gestalten.
34
Hier wadet bis ans Knie geschürzt
Ein Nönnchen im Morast, dort glitscht ein Mönch im Laufen, Und, wie er sich auf einen Haufen
Von Schwesterchen, die vor ihm rennen, stürzt, Ergreift er in der Angst die Domina beym Beine. Doch endlich, als der Sturm sein äußerstes gethan, Langt athemlos die ganze Korgemeine,
Durchnäßt und wohl bespritzt, im Klostervorhof an.
35
Hier war noch alles voll Getümmel,
Als durch das Thor, das weit geöffnet stund, Mein Scherasmin sich mitten ins Gewimmel Der Klosterleute stürzt; denn auf geweihtem Grund Ist’s, wie er glaubt, so sicher als im Himmel. Bald kommt auch Hüon nach; und, wie er gleich den Mund Eröffnen will, die Freyheit abzubitten,
So steht mit einem Blitz–der Zwerg in ihrer Mitten.
36
Auf einmahl ist der Himmel wolkenleer, Und alles hell und mild und trocken wie vorher. Schön, wie im Morgenroth ein neugeborner Engel, Steht er, gestützt auf einen Lilienstängel, Und um die Schultern hängt ein elfenbeinern Horn. So schön er ist, kommt doch ein unbekanntes Grauen Sie alle an: denn Ernst und stiller Zorn Wölkt sich um seine Augenbrauen.
37
Er setzt das Horn an seine Lippen an Und bläst den lieblichsten Ton. Stracks übermannt den Alten Ein Schwindelgeist; er kann sich Tanzens nicht enthalten, Packt eine Nonne ohne Zahn,
Die vor Begierde stirbt ein Tänzchen mitzumachen, Und hüpft und springt als wie ein junger Bock So rasch mit ihr herum, daß Schleiertuch und Rock Weit in die Lüfte wehn, zu allgemeinem Lachen.
38
Bald faßt die gleiche Wuth den ganzen Klosterstand; Ein jeder Büßer nimmt sein Nönnchen bey der Hand, Und ein Ballet beginnt, wie man so bald nicht wieder Eins sehen wird. Die Schwestern und die Brüder Sind keiner Zucht noch Regel sich bewußt; Leichtfert’ger kann kein Faunentanz sich drehen. Der einz’ge Hüon bleibt auf seinen Füßen stehen, Sieht ihren Sprüngen zu, und lacht aus voller Brust.
39
Da naht sich ihm der schöne Zwerg, und spricht In seiner Sprach’ ihn an, mit ernstem Angesicht: Warum entfliehn vor mir, o Hüon von Guyenne? Wie? du verstummst? Beym Gott des Himmels, den ich kenne, Antworte mir!–Nun kehrt die Zuversicht
In Hüons Brust zurück. Was willst du mein? erwiedert Der Jüngling.–Fürchte nichts, spricht jener: wer das Licht Nicht scheuen darf, der ist mit mir verbrüdert.
40
Ich liebte dich von deiner Kindheit an, Und was ich Gutes dir bestimme,
An keinem Adamskind hab’ ich es je gethan! Dein Herz ist rein, dein Wandel ohne Krümme, Wo Pflicht und Ehre ruft, fragst du nicht Fleisch und Blut, Hast Glauben an dich selbst, hast in der Prüfung Muth: So kann mein Schutz dir niemahls fehlen, Denn meine Strafgewalt trifft nur befleckte Seelen.
41
Wär’ nicht dieß Klostervolk ein heuchlerisch Gezücht, Belög’ ihr keuscher Blick, ihr leiser Bußton nicht Ein heimlich strafbares Gewissen,
Sie ständen, trotz dem Horn, wie du, auf ihren Füßen. Auch Scherasmin, für den sein redlich Auge spricht, Muß seiner Zunge Frevel büßen.
Sie alle tanzen nicht weil sie der Kitzel sticht, Die Armen tanzen weil sie müssen.
42
Indem beginnt ein neuer Wirbelwind
Den Faunentanz noch schneller umzuwälzen; Sie springen so hoch, und drehn sich so geschwind, Daß sie in eigner Gluth wie Schnee im Thauwind schmelzen, Und jedes zappelnde Herz bis an die Kehle schlägt. Des Ritters Menschlichkeit erträgt
Den Anblick länger nicht; er denkt, es wäre Schade Um all das junge Blut, und fleht für sie um Gnade.
43
Der schöne Zwerg schwingt seinen Lilienstab, Und stracks zerrinnt der dicke Zauberschwindel; Versteinert stehn Sankt Antons fette Mündel, Und jedes Nönnchen, bleich als stieg’ es aus dem Grab, Eilt, Schleier, Rock, und was sich sonst im Springen Verschoben hat, in Richtigkeit zu bringen. Nur Scherasmin, zu alt für solchen Scherz, Sinkt kraftlos um, und glaubt ihm berste gleich das Herz.
44
Ach! keicht er, gnädiger Herr, was sagt’ ich euch?–Nicht weiter, Freund Scherasmin! fällt ihm der Zwerg ins Wort: Ich kenne dich als einen wackern Streiter, Nur läuft zuweilen dein Kopf mit deinem Herzen fort. Warum, auf andrer Wort, so rasch, mich zu verlästern? Fy! graulich schon von Bart, an Urtheil noch so jung! Nimm in Geduld die kleine Züchtigung!
Ihr andern, geht, und büßt für euch und eure Schwestern!
45
Das Klostervolk schleicht sich beschämt davon. Drauf spricht der schöne Zwerg mit Freundlichkeit zum Alten: Wie, Alter? immer noch des Argwohns düstre Falten? Doch, weil du bieder bist, verzeiht dir Oberon. Komm näher, guter alter Zecher,
Komm, faß’ ein Herz zu mir und fürchte keinen Trug! Du bist erschöpft; nimm diesen Becher
Und leer’ ihn aus auf Einen Zug.
46
Mit diesem Wort reicht ihm der Elfenkönig Ein Trinkgeschirr von feinem Gold gedreht. Der Alte, der mit Noth auf seinen Beinen steht, Stutzt, wie er leer es sieht, nicht wenig. Ey, ruft der Geist, noch keine Zuversicht? Frisch an den Mund, und trink, und zweifle nicht! Der gute Mann gehorcht, zwar nur mit halbem Willen, Und sieht das Gold sich flugs mit Wein von Langon füllen.
47
Und als er ihn auf Einen Zug geleert, Ist’s ihm, als ob mit wollustvoller Hitze Ein neuer Lebensgeist durch alle Adern blitze. Er fühlet sich so stark und unversehrt,
Als wie er war, da er, in seinen besten Jahren, Mit seinem ersten Herrn zum heiligen Grab gefahren. Voll Ehrfurcht und Vertraun fällt er dem schönen Zwerg Zu Fuß und ruft: Nun steht mein Glaube wie ein Berg!
48
Drauf spricht der Geist mit ernstem Blick zum Ritter: Mir ist der Auftrag wohl bekannt,
Womit dich Karl nach Babylon gesandt. Du siehst, was für ein Ungewitter
Er dir bereitet hat; sein Groll verlangt dein Blut: Allein, was du mit Glauben und mit Muth
Begonnen hast, das helf’ ich dir vollenden; Da, wackrer Hüon, nimm dieß Horn aus meinen Händen!
49
Ertönt mit lieblichem Ton von einem sanften Hauch Sein schneckengleich gewundner Bauch,
Und dräuten dir mit Schwert und Lanzen Zehn tausend Mann, sie fangen an zu tanzen, Und tanzen ohne Rast im Wirbel, wie du hier Ein Beyspiel sahst, bis sie zu Boden fallen: Doch, lässest du’s mit Macht erschallen, So ist’s ein Ruf, und ich erscheine dir.
50
Dann siehst du mich, und wär’ ich tausend Meilen Von dir entfernt, zu deinem Beystand eilen. Nur spare solchen Ruf bis höchste Noth dich dringt. Auch diesen Becher nimm, der sich mit Weine füllet, So bald ein Biedermann ihn an die Lippen bringt; Der Quell versieget nie, woraus sein Nektar quillet: Doch bringt ein Schalk ihn an des Mundes Rand, So wird der Becher leer, und glüht ihm in der Hand.
51
Herr Hüon nimmt mit Dank die wundervollen Pfänder Von seines neuen Schützers Huld;
Und da er sich des Ostens Purpurränder Vergülden sieht, forscht er mit Ungeduld Nach Babylon den kürzesten der Wege.
Zeuch hin, spricht Oberon, nachdem er ihn belehrt; Und daß ich nie die Stunde sehen möge,
Da Hüons Herz durch Schwäche sich entehrt!
52
Nicht daß ich deinem Muth und Herzen Mißtraue! aber, ach! du bist ein Adamskind, Aus weichem Thon geformt, und für die Zukunft blind! Zu oft ist kurze Lust die Quelle langer Schmerzen! Vergiß der Warnung nie, die Oberon dir gab! Drauf rührt er ihn mit seinem Lilienstab, Und Hüon sieht aus seinem liebevollen
Azurnen Augenpaar zwey helle Perlen rollen.
53
Und wie er Treu’ und Pflicht ihm heilig schwören will, Entschwunden war der Waldgeist seinem Blicke, Und nur ein Lilienduft blieb wo er stand zurücke. Betroffen, sprachlos, steht der junge Ritter still, Reibt Aug’ und Stirn, wie einer, im Erwachen Aus einem schönen Traum, sich sucht gewiß zu machen, Ob das, was ihn mit solcher Lust erfüllt, Was wirklichs ist, ob nur ein nächtlich Bild?
54
Doch, wenn er auch gezweifelt hätte, Der Becher und das Horn, das ihm an goldner Kette Um seine Schultern hing, ließ keinem Zweifel Platz. Der Becher sonderlich dünkt dem verjüngten Alten Das schönste Stück im ganzen Feenschatz. Herr, spricht er, (im Begriff den Bügel ihm zu halten) Noch einen Zug, dem guten Zwerg zum Dank! Sein Wein, bey meiner Treu’! ist echter Göttertrank!
55
Und nun, nachdem sie sich gestärkt zur neuen Reise, Ging’s über Berg und Thal, nach alter Ritter Weise, Den ganzen Tag; und nur ein Theil der kurzen Nacht Wird unter Bäumen zugebracht.
So zogen sie, ohn’ alles Abenteuer, Vier Tage lang–der Ritter schon im Geist Zu Babylon, und glücklich sein Getreuer, Daß Siegwins Sohn es ist, dem er zur Seite reist.
Dritter Gesang.
1
Am fünften, da ihr Weg sich durch Gebirge stahl, Auf einmahl sehen sie in einem engen Thal Viel reiche Zelten aufgeschlagen,
Und Ritter, mehr als zwanzig an der Zahl, Die gruppenweise umher in Palmenschatten lagen. Sie ruhten, wie es schien, nach ihrem Mittagsmahl: Indessen Helm’ und Speer’ an niedern Ästen hingen, Und ihre Pferde frey im Grase weiden gingen.
2
Kaum wird die ritterliche Schaar
Der beiden Reisigen noch auf der Höh’ gewahr, So raffen alle von der Erde
Sich eilends auf aus ihrer Mittagsruh, Als ob zum Kampf geblasen werde.
Das ganze Thal wird reg’ in einem Nu, Man zittert hin und her, man läuft den Waffen zu, Die Ritter rüsten sich, die Knappen ihre Pferde.
3
Laß sehen, spricht mein Held zu Scherasmin, Was diese Ritterschaft, die dem Verdauungswerke So friedlich obzuliegen schien,
In solche Unruh setzt.–Wir selber, wie ich merke, Erwiedert jener; seyd auf eurer Hut.
Sie kommen uns in halbem Mond entgegen. Herr Hüon zieht mit kaltem Blut den Degen, Freund, spricht er, der ist mir für allen Schaden gut.
4
Indem tritt aus dem Kreis, in seinem Wehrgeschmeide, Ein feiner Mann hervor, grüßt höflich unsre beide, Und bittet um Gehör. Mit Gunst, Herr Paladin! Ein jeder, spricht er, ist hier angehalten worden, Wer noch von unserm Stand und Orden
Seit einem halben Jahr in diesem Thal erschien. Nun steht’s in eurer Wahl, ein Speerchen hier zu brechen, Wo nicht, sogleich zu thun, warum wir euch besprechen.
5
Und was? fragt Hüon züchtiglich.
Nicht weit von hier, spricht jener, mästet sich In einer festen Burg der Riese Angulaffer; Ein arger Christenfeind, ein wahrer Wütherich, Auf schöne Frau’n erpichter als ein Kaffer, Und, was das schlimmste ist, fest gegen Hieb und Stich, Kraft eines Rings, den er dem Zwerg genommen, Aus dessen Park die Herren hergekommen.
6
Mein Herr, ich bin ein Prinz vom Berge Libanon. Ich hatte mich dem Dienst der schönsten aller Schönen Drey Jahre sonder Minnelohn
Verdingt, bevor sie sich so viele Treu’ zu krönen Erbitten ließ: und wie ich nun als Bräutigam Ihr eben itzt den Gürtel lösen wollte,
Da kam der Wehrwolf, nahm sie untern Arm und trollte Vor meinen Augen weg mit meinem holden Lamm.
7
Fast sieben Monden sind verflossen, Seit ich zu ihrem Heil mein äußerstes versucht: Allein der Eisenthurm, worein er sie verschlossen, Wehrt mir den Zugang, ihr die Flucht.
Das Einz’ge, was von Amors süßer Frucht Ich in der langen Zeit genossen,
War, Tage lang von fern auf einem Baum zu lauern, Und hinzusehn nach den verhaßten Mauern.
8
Zuweilen däuchte mich sogar
Ich sehe sie, in los gebundnem Haar, Am Fenster stehn, mit aufgehobnen Armen, Als flehte sie zum Himmel um Erbarmen.
Mir fuhr ein Dolch ins Herz. Und die Verzweiflung nun Trieb mich, seit jenem Tag, aus bloßer Noth zu thun Was ihr erfahren habt, wie alle diese Streiter: Kurz, ungefochten, Herr, kommt hier kein Ritter weiter.
9
Gelingt es euch, was keinem noch gelang, Aus meinem Sattel mich zu heben,
So seyd ihr frey und reiset ohne Zwang Wohin ihr wollt: wo nicht, so müßt ihr euch ergeben, Wie diese Herren hier, mir zu Gebot zu stehn, Und keinen Schritt von hier zu gehn,
Bis wir das Abenteu’r bestanden
Und meine Braut erlöst aus Angulaffers Banden.
10
Doch, wenn ihr etwa lieber schwört
In seinen Eisenthurm geraden Wegs zu dringen, Und meine Angela allein zurück zu bringen, So habt ihr freye Wahl, und seyd noch Dankes werth. Prinz, sprach der Paladin, was braucht’s hier erst zu kiesen? Genug, daß ihr die Ehre mir erwiesen!
Kommt, einen Ritt mit euch und eurer ganzen Zahl, Vom übrigen ein andermahl!
11
Der schöne Ritter stutzt, doch läßt er sich’s gefallen: Sie reiten, die Trompeten schallen,
Und, kurz, Herr Hüon legt mit einem derben Stoß Den Prinzen Libanons gar unsanft auf den Schooß Der guten alten Mutter Erde.
Drauf kommen nach der Reih’ die edeln Knechte dran; Und als er ihnen so wie ihrem Herrn gethan, Hebt er sie wieder auf mit höflicher Geberde.
12
Bey Gott, Herr Ritter, (spricht, indem er zu ihm hinkt, Der Cedernprinz) ihr seyd ein scharfer Stecher! Doch Basta! eure Hand! Kommt, weil der Abend winkt, Zum brüderlichen Mahl und zum Versöhnungsbecher. Herr Hüon nimmt den Antrag dankbar an:
Drey Stunden flogen weg mit Trinken und mit Scherzen; Und, wie die Ritter ihn so schön und höflich sahn, Verziehn sie ihm ihr Rippenweh von Herzen.
13
Itzt, spricht er, liebe Herr’n und Freunde, da ich euch Was mein war ehrlich abgewonnen,
Itzt, sollt ihr wissen, geht’s geraden Weges gleich Dem Riesen zu. Ich war’s vorhin gesonnen, Und thu’ es nun mit desto größ’rer Lust, Weil einem Biedermann ein Dienst damit geschiehet. Drauf dankt er daß sie sich so viel mit ihm bemühet, Und drückt der Reihe nach sie all’ an seine Brust.
14
Und als sie ihm zur Burg des ungeschlachten Riesen Durch einen Föhrenwald den nächsten Weg gewiesen, Entläßt er sie, mit der Versicherung,
Sie sollten bald von ihrer Dame hören. Lebt wohl, ihr Herr’n!–“Viel Glücks!”–Und nun in vollem Sprung Zum Wald hinaus. Kaum röthete die Föhren Die Morgensonn’, als ihm im blachen Feld Ein ungeheurer Thurm sich vor die Augen stellt.
15
Aus Eisen schien das ganze Werk gegossen, Und ringsum war’s so fest verschlossen,
Daß nur ein Pförtchen, kaum zwey Fuß breit, offen stand; Und vor dem Pförtchen stehn, mit Flegeln in der Hand, Zwey hochgewaltige metallene Kolossen,
Durch Zauberey belebt, und dreschen unverdrossen So hageldicht, daß zwischen Schlag und Schlag Sich unzerknickt kein Lichtstrahl drängen mag.
16
Der Paladin bleibt eine Weile stehen; Und, wie er überlegt was anzufangen sey, Läßt eine Jungfrau sich an einem Fenster sehen, Und winkt gar züchtiglich ihn mit der Hand herbey. Ey ja! ruft Scherasmin, die Jungfer hat gut winken! Ihr werdet doch kein solcher Waghals seyn? Seht ihr die Schweizer nicht zur Rechten und zur Linken? Da kommt von euch kein Knochen ganz hinein!
17
Doch Hüon hielt getreu an seiner Ordensregel, Dem Satan selber nicht den Rücken zuzudrehn. Hier, denkt er, ist kein Rath als mitten durch die Flegel Geradezu aufs Pförtchen los zu gehn.
Den Degen hoch, die Augen zugeschlossen, Stürzt er hinein; und, wohl ihm! ihn verführt Sein Glaube nicht; die ehernen Kolossen
Stehn regungslos, so bald er sie berührt.
18
Kaum ist der Held hinein gegangen,
Indessen Scherasmin im Hof die Pferde hält, So eilt die schöne Magd den Ritter zu empfangen; Mit schwarzen Haaren, die ihr am Rücken niederhangen, In weißem Atlaßrock, der bis zur Erde fällt, Und den am leicht bedeckten Busen
Ein goldnes Band zusammen hält,
Das zierlichste Modell zu Grazien oder Musen!
19
Was für ein Engel, (spricht, indem sie seine Hand Nur kaum berührt, das Mädchen süß erröthend) Was für ein Engel, Herr, hat euch mir zugesandt? Ich stand am Fenster just, zur heil’gen Jungfrau betend, Als ihr erschient. Gewiß hat Sie’s gethan, Und als von Ihr geschickt nimmt Angela euch an. Von ihr, die schon so oft sich meiner angenommen, Zu Hülfe mir gesandt, seyd tausendmahl willkommen!
20
Nur laßt uns nicht verziehn; denn jeder Augenblick Ist mir verhaßt, den wir in diesem Kerker weilen. Ich komme nicht, spricht Hüon, so zu eilen: Wo ist der Ries’?–O der, versetzt sie, liegt, zum Glück, In tiefem Schlaf, und wohl, daß ihr ihn so getroffen; Denn, ist er wieder auferweckt,
Vergebens würdet ihr ihm obzusiegen hoffen, So lang’ der Zauberring an seinem Finger steckt.
21
Doch diesen Ring ihm sicher abzunehmen Ist’s noch gerade Zeit. “Wie so?”–Der tiefe Schlaf, Der täglich drey–bis viermahl ihn zu lähmen Und zu betäuben pflegt, ist kein gemeiner Schlaf. Ich will euch, weil noch wohl zwey ganze Stunden fehlen Bis er erwacht, die Sache kurz erzählen. Mein Vater, Balazin von Frygien genannt, Ist Herr von Jericho im Palästinerland.
22
Beynah vier Jahre sind’s, seit mich Alexis liebte, Der schönste Prinz vom Berge Libanon;
Und wenn ich ihn durch Sprödethun betrübte, So wußte, glaubet mir, mein Herz kein Wort davon: Es fiel mir schwer genug! Doch, in den ersten Wochen Hatt’ ich’s der heiligen Alexia versprochen, Nur, wenn der Prinz drey Jahre keusch und rein Mir diente, anders nicht, die Seinige zu seyn.
23
Ganz heimlich ward er mir mit jedem Tage lieber; Die Prüfungszeit war lang, allein sie ging vorüber; Ich ward ihm angetraut,–und kurz, schon sahen wir Ins Brautgemach zusammen uns verschlossen: Auf einmahl flog im Sturm die Kammerthür Erdonnernd auf, der Riese kam geschossen, Ergriff mich, floh, und sieben Monden schier Sind, seit mich dieser Thurm gefangen hält, verflossen.
24
Zu wissen, ob der Ries’ es mir so leicht gemacht Ihm Stürme ohne Zahl beständig abzuschlagen, Müßt ihr ihn selber sehn. Mein Herr, was soll ich sagen? Stets angefochten, stets den Sieg davon zu tragen, Ist schwer. Einst, da er mich in einer Mondscheinsnacht (Noch schaudert’s mich!) aufs äußerste gebracht, Fiel ich auf meine Knie, rief mit gerungnen Händen Die Mutter Gottes an, mir Hülfe zuzusenden.
25
Die holde Himmelskönigin
Erhörte mich, die Jungfrau voller Gnaden. Getroffen wie vom Blitz sank der Verruchet hin, Und lag, ohnmächtig mir zu schaden,
Sechs ganzer Stunden lang. So oft, seit dieser Zeit, Er den verhaßten Kampf erneut,
Erneut das Wunder sich; stracks muß sein Trotz sich legen, Und nichts vermag sein Zauberring dagegen.
26
Dieß war erst heute noch der Fall; und nach Verlauf Der sechsten Stunde (vier sind schon davon verloffen) Steht er zu neuem Leben auf,
So frisch und stark, als hätt’ ihn nichts betroffen. Des Ringes Werk ist dieß. So lang’ ihn der beschützt, Kann ihm am Leben nichts geschehen.
Ihr glaubt nicht was der Ring für Tugenden besitzt! Allein, was hält euch, selbst das alles anzusehen?
27
Nun ging’s dem Ritter just wie euch. Er hatte sich, nach Angulaffers Nahmen,
Ein Unthier vorgestellt aus Titans rohem Samen, Den wilden Erdensöhnen gleich,
Die einst, den Göttersitz zu stürmen, Den hohen Pelion zusammt den Wurzeln aus Der Erde rissen, um ihn dem Ossa aufzuthürmen: Nun ward ein Mann von sieben Fuß daraus.
28
Habt ihr das Götterwerk von Glykon je gesehen, Den großen Sohn der langen Wundernacht,
Im Urbild, oder nur in Gypse nachgemacht, So denkt, ihr seht den Mann leibhaftig vor euch stehen, Der in der schönen Mondscheinsnacht
Die arme Angela aufs äußerste gebracht. Ihn hätte, wie er lag, von unsern neuern Alten Der Schlauste für ein Bild vom Herkules gehalten;
29
Für einen Herkules in Ruh,
Als er dem Augias den Marmorstall gemistet; So breit geschultert, hoch gebrüstet
Lag Angulaffer da; auch traf die Kleidung zu. Der Ritter stutzt: denn in den Alterthümern Lag seine Stärke nicht; und so, vorm keuschen Blick Des Tages, im Kostum der Heldenzeit zu schimmern, Däucht ihm ein wahres Heidenstück.
30
Nun, flüstert ihm die Jungfrau, edler Ritter, Was zögert ihr? Er schläft. Den Ring, und einen Hieb, So ist’s gethan!–“Dazu ist mir mein Ruhm zu lieb. Ein Feind, der schlafend liegt, und nackter als ein Splitter, Schläft sicher neben mir: erst wecken will ich ihn.” So macht euch wenigstens zuvor des Ringes Meister, Spricht sie. Der Ritter naht, den Reif ihm abzuziehn, Und macht, unwissend, sich zum Oberherrn der Geister.
31
Der Ring hat, außer mancher Kraft
Die Hüon noch nicht kennt, auch diese Eigenschaft, An jeden Finger stracks sich biegsam anzufügen; Klein oder groß, er wird sich dehnen oder schmiegen Wie’s nöthig ist. Der Paladin begafft
Den wundervollen Reif mit schauerlichem Vergnügen, Faßt drauf des Riesen Arm, und schüttelt ihn mit Macht So lang’ und stark, bis er zuletzt erwacht.
32
Kaum fängt der Riese sich zu regen an, so fliehet Die Tochter Balazins mit einem lauten Schrey. Herr Hüon, seinem Muth und Ritterstande treu, Bleibt ruhig stehn. Wie ihn der Heide siehet, Schreyt er ihn grimmig an: Wer bist du, kleiner Wicht, Der meinen Morgenschlaf so tollkühn unterbricht? Dein Köpfchen muß, weil du’s von freyen Stücken Mir vor die Füße legst, dich unerträglich jücken?
33
Steh auf und waffne dich, versetzt der Paladin, Dann, Prahler, soll mein Schwert dir Antwort geben! Der Himmel sendet mich zur Strafe dich zu ziehn; Das Ende naht von deinem Sündenleben.
Der Riese, da er ihn so reden hört, erschrickt Indem er seinen Ring an Hüons Hand erblickt. Geh, spricht er, eh’ mein Blut beginnt zu sieden, Gieb mir den Ring zurück und ziehe hin in Frieden.
34
Ich nahm dir nur was du gestohlen ab, Und dem er angehört werd’ ich ihn wieder geben, Spricht Hüon; ich verschmäh’ ein so geschenktes Leben; Steh’ auf und rüste dich, und komm mit mir herab! “Du hättest mich im Schlaf ermorden können, Versetzt der Reck’ in immer sanfterm Muth; Du bist ein Biedermann; mich dau’rt dein junges Blut; Gieb mir den Ring, den Kopf will ich dir gönnen.”
35
Feigherziger, ruft Hüon, schäme dich! Vergebens bettelst du! Stirb, oder, wenn du Leben Verdienst, verdien’ es ritterlich!
Jetzt springt der Unhold auf, daß selbst die Mauern beben; Sein Auge flammet wie der offne Höllenschlund, Die Nase schnaubt, Dampf fährt aus seinem Mund; Er eilt hinweg den Panzer anzulegen,
Der undurchdringlich ist selbst einem Zauberdegen.
36
Der Ritter steigt herab, und ungesäumt erscheint Ganz in verlupptem Stahl sein trotzig sichrer Feind, Der in der Wuth vergaß, daß vor des Ringes Blitzen Ihn keine Zauberwaffen schützen.
Allein der erste Stoß, den Hüons gutes Schwert Auf seinen Harnisch führt, giebt ihm die Todeswunde; Das Blut schießt wie ein Strom den Hals empor, und sperrt Des Athems Weg in seinem weiten Schlunde.
37
Er fällt, wie auf der Stirn des Taurus eine Fichte Im Donner stürzt; der Thurm, das Feld umher Erbebt von seinem Fall; er fühlt sich selbst nicht mehr, Sein starrend Auge schließt auf ewig sich dem Lichte, Und den verruchten Geist, von Frevelthaten schwer, Schon schleppen Teufel ihn zum schrecklichen Gerichte. Der Sieger wischt vom blutbefleckten Stahl Das schwarze Gift, und eilt zur Jungfrau in den Sahl.
38
Heil euch, mein edler Herr! ihr habt mich wohl gerochen, Ruft Angela, indem sie sich entzückt
Zu seinen Füßen wirft, so bald sie ihn erblickt: Und dir, die ihn zum Retter mir geschickt, O Himmelskönigin, sey es hiermit versprochen, Der erste Sohn, mit dem ich in die Wochen Einst komme, werd’, in klarem dichtem Gold, So schwer er ist, zum Opfer dir gezollt!
39
Herr Hüon, als er sie gar ehrbar aufgehoben, Erwiedert ihren Dank mit aller Höflichkeit Der guten alten Ritterzeit,
Die zwar so fein, wie unsre, nicht gewoben, Doch desto derber war, und besser Farbe hielt. Des Ritters große Pflicht war Jungfrau’n zu beschützen, Und, wenn sein Herz sich gleich unangemuthet fühlt, Auf jeden Ruf sein Blut für jede zu verspritzen.
40
Die Dame hatte noch nicht Zeit und Ruh genug Gehabt, den jungen Mann genauer zu erwägen; Itzt, da sie ihn erbat die Waffen abzulegen, Itzt hätte sie sich gleich mehr Augen wünschen mögen Als Junons Pfau in seinem Schweife trug, So sehr däucht ihr der Ritter, Zug für Zug, Von Kopf zu Fuß, an Bildung und Geberden, An Großheit und an Reitz, der erste Mann auf Erden.
41
Nicht, daß sie just mit jemand ihn verglich Der zwischen ihm und ihrem Herzen stünde; Ganz arglos überließ sie ihren Augen sich, Und bloßes Sehn ist freylich keine Sünde. Kein Skrupel störte sie in dieser Augenlust, So sanft spielt noch um ihre junge Brust Der süße Trug; denn, was sie sicher machte War, daß ihr Herz nicht an Alexis dachte.
42
Ein Glück für dich, unschuldige Angela, Daß keiner deiner Blick’ in Hüons Busen Zunder Zum Fangen fand. Und freylich war’s kein Wunder: Denn, kam ihr auch, wie dann und wann geschah, Der seinige auf halbem Weg entgegen,
So war’s der Blick von einem Haubenkopf; Er hätt’ auf einen Blumentopf,
Auf ein Tapetenbild, nicht kälter fallen mögen.
43
Ein unbekanntes Was, das ihn wie ein Magnet Nach Bagdad zieht, scheint allen seinen Blicken Die scharfe Spitze abzuknicken,
Und macht, daß jeder Reitz an ihm verloren geht. Vergebens ist ihr Wuchs wie eine schöne Vase Von Amors eigner Hand gedreht;
Vergebens schließt die sanft erhobne Nase Sich an die glatte Stirn in stolzer Majestät;
44
Umsonst hebt ihre Brust, gleich einem Doppelhügel Von frischem Schnee, um den ein Nebel graut, Den dünnen weißen Flor; umsonst ist ihre Haut So rein und glatt als wie ein Wasserspiegel, Worin im Rosenschmuck Aurora sich beschaut; Vergebens hat ihr königliches Siegel
Die Schönheit jedem Theil so sichtbar aufgedrückt, Daß ihr Gewand sie weder deckt noch schmückt.
45
Kurz, Angela mit allen ihren Reitzen Ist ihm vergebens schön und jung;
Und, ferne nach Verlängerung
Der holden Gegenwart zu geitzen,
Wünscht er mit jedem Augenblick
In ihres Bräut’gams Arm recht herzlich sie zurück, Und kann zuletzt sich nicht entbrechen,
Da Sie nichts sagt, ihr selbst davon zu sprechen.
46
Kaum daß er ihr dazu Geleit und Schutz versprach, Und ihre Lippen sich in Dank dafür ergossen: Als ein Getös von Reisigen und Rossen
Im Hof der Burg sie plötzlich unterbrach. Schon trampelt’s laut die langen Wendelstiegen Herauf. Die junge Frau erschrickt–“Wer kann es seyn?” Doch bald zerschmilzt ihr Schrecken in Vergnügen, Denn, siehe da! Alexis tritt herein.
47
Ihm war, zwar etwas spät, zu Sinne
Gestiegen, daß es ihm nicht allzu rühmlich sey, Wenn Hüon seine Braut dem Recken abgewinne, Indessen, weit vom Schuß, mit seiner Reiterey Er, ihr Gemahl, im Schatten, frank und frey, Sein zärtlich Blut mit Palmenwein verdünne: Auch konnte ja (wer wird dafür ihm stehn?) Der Ritter gar davon mit seinem Engel gehn.
48
Demnach, so hatt’ er, stracks als ihm sein Ohr gesungen, Mit seiner Ritterschaft zu Pferde sich geschwungen, Und kam in vollem Trab, falls etwa die Gefahr Durch Hüons Tapferkeit bereits vorüber war, Die Schöne in Empfang zu nehmen,
Dem fremden Ritter Gottes Lohn
Zu wünschen, und–ein wenig sich zu schämen, (Denkt ihr) allein, er war ein Prinz von Libanon.
49
Herr Hüon, unverhofft des Umwegs überhoben Mit Angela zurück ins Palmenthal zu gehn, Läßt von den schönen Herr’n sich in die Wette loben, Und fühlt sich just dabey so gut, als ob man ihn Gescholten hätt’. Und nun, die Wohlthat zu vollenden, Wird, durch des Ringes Kraft, von unsichtbaren Händen Mit allem was den Gaum ergetzt
Ein großer runder Tisch in Überfluß besetzt.
50
Ah, ruft die schöne Braut, schier hätt’ ich es vergessen: Herr Ritter, ehe wir zum Essen
Uns setzen, geht und schließt mit eigner Hand geschwind Des Riesen Harem auf; denn funfzig Jungfern sind Noch außer mir in diesem Thurm verwahret; Der schönste Mädchenflor, ein wahres Tulpenbeet! Er hatte sie für seinen Mahomed
Zu Opfern, denk’ ich, aufgesparet.
51
Der Harem thut sich auf, und zeigt, in vollem Putz Und buntem lieblichem Gewimmel,
Ein wahres Bild von Mahoms lust’gem Himmel. Herr Hüon läßt die Damen all’ im Schutz
Der schönen Herr’n, und ist schon weit davon geritten, Da hinter ihm noch alles lärmt und schnarrt, Die Ehre seiner Gegenwart
Sich wenigstens zur Tafel auszubitten.
52
Schon schlich, indeß in Grau das Abendroth zerfloß, Der stille Mond herauf am Horizonte,
Als Hüon, weil sein Gaul nicht länger laufen konnte, An einem schönen Platz zu ruhen sich entschloß. Er sieht sich auf der grünen Erde
Nach einem Lager um, indessen für die Pferde Sein Alter sorgt. Auf einmahl steht, ganz nah, Ein prächtiges Gezelt vor seinen Augen da.
53
Ein reicher Teppich liegt, so weit es sich verbreitet, Auf seinem Boden ausgespreitet,
Mit Polstern rings umher belegt,
Die, wie beseelt von innerlichem Leben, Bey jedem Druck sanft blähend sich erheben. Ein Tisch von Jaspis, den ein goldner Dreyfuß trägt, Steht mitten drin, und, was dem essenslust’gen Magen Zum Göttertisch ihn macht, das Mahl ist aufgetragen.
54
Der Ritter bleibt wie angefroren stehn, Winkt Scherasmin herbey, und fragt ihn, was er sehe? O, das ist leicht, erwiedert der, zu sehn: Freund Oberon ist sichtlich in der Nähe. Wir hätten ohne ihn die Nacht,
Anstatt uns nun in Schwanenflaum zu senken, Auf unsrer Mutter Schooß so sanft nicht zugebracht. Das nenn’ ich doch an seine Freunde denken!
55
Kommt, lieber Herr, nach dieser langen Fahrt Schmeckt Ruhe süß; laßt hurtig euch entgürten! Ihr seht, der schöne Zwerg hat keinen Fleiß gespart, Wiewohl im Flug, uns herrlich zu bewirthen. Herr Hüon folgt dem Rath. Sie lagern beide sich Halb sitzend um den Tisch, und schmausen ritterlich; Auch wird, beym Sang Gaskonscher froher Lieder, Der Becher fleißig leer und füllt sich immer wieder.
56
Bald löset unvermerkt des Schlafes weiche Hand Der Nerven sanft erschlafftes Band.
Indem erfüllt, wie aus der höchsten Sfäre, Die lieblichste Musik der Lüfte stillen Raum. Es tönt als ob ringsum auf jedem Baum
Ein jedes Blatt zur Kehle worden wäre, Und Mara’s Engelston, der Zauber aller Seelen, Erschallte tausendfach aus allen diesen Kehlen.
57
Allmählich sank die süße Harmonie,
Gleich voll, doch schwächer stets, herunter bis zum Säuseln Der sanftsten Sommerluft, wenn kaum sich je und ie Ein Blatt bewegt und um der Nymfe Knie
Im stillen Bache sich die Silberwellen kräuseln. Der Ritter, zwischen Schlaf und Wachen, höret sie Stets leiser wehn, bis unter ihrem Wiegen Die Sinne unvermerkt dem Schlummer unterliegen.
58
Er schlief in Einem fort, bis, da der frühe Hahn Aurorens Rosenpferde wittert,
Ein wunderbarer Traum sein Innerstes erschüttert. Ihm däucht, er geh’ auf unbekannter Bahn, Am Ufer eines Stroms, durch schattige Gefilde; Auf einmahl steht vor ihm ein göttergleiches Weib, Im großen Auge des Himmels reinste Milde, Der Liebe Reitz um ihren ganzen Leib.
59
Was er empfand ist nicht mit Worten auszudrücken, Er, der zum ersten Mahl itzt Amors Macht empfand, Und athemlos, entgeistert vor Entzücken, Sein Leben ganz in seinen Blicken,
Im Boden eingewurzelt stand,
Sie noch zu sehen glaubt, nachdem sie schon verschwand, Und, da der süße Wahn zuletzt vor ihm zerfließet, Nichts mehr zu sehn die Augen sterbend schließet.
60
Betäubt, in fühlbar’m Tod, lag er am Ufer da In seinem Traum: als ihn bedünkt, er spüre