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  • 1910
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Notaugen gegen die Schw‰rze der Heimsuchung, da ihm graute vor dem Unrat, auf dem man ihn verlassen hatte, weil er seinesgleichen war: selbst da noch, wenn er sich besann, war es sein grˆflestes Entsetzen, erwidert worden zu sein. Was waren alle Finsternisse seither gegen die dichte Traurigkeit jener Umarmungen, in denen sich alles verlor. Wachte man nicht auf mit dem Gef¸hl, ohne Zukunft zu sein? Ging man nicht sinnlos umher ohne Anrecht auf alle Gefahr? Hatte man nicht hundertmal versprechen m¸ssen, nicht zu sterben? Vielleicht war es der Eigensinn dieser argen Erinnerung, die sich von Wiederkunft zu Wiederkunft eine Stelle erhalten wollte, was sein Leben unter den Abf‰llen w‰hren liefl. Schliefllich fand man ihn wieder. Und erst dann, erst in den Hirtenjahren, beruhigte sich seine viele Vergangenheit.

Wer beschreibt, was ihm damals geschah? Welcher Dichter hat die ‹berredung, seiner damaligen Tage L‰nge zu vertragen mit der K¸rze des Lebens? Welche Kunst ist weit genug, zugleich seine schmale, vermantelte Gestalt hervorzurufen und den ganzen ‹berraum seiner riesigen N‰chte.

Das war die Zeit, die damit begann, dafl er sich allgemein und anonym f¸hlte wie ein zˆgernd Genesender. Er liebte nicht, es sei denn, dafl er es liebte, zu sein. Die niedrige Liebe seiner Schafe lag ihm nicht an; wie Licht, das durch Wolken f‰llt, zerstreute sie sich um ihn her und schimmerte sanft ¸ber den Wiesen. Auf der schuldlosen Spur ihres Hungers schritt er schweigend ¸ber die Weiden der Welt. Fremde sahen ihn auf der Akropolis, und vielleicht war er lange einer der Hirten in den Baux und sah die versteinerte Zeit das hohe Geschlecht ¸berstehen, das mit allem Erringen von Sieben und Drei die sechzehn Strahlen seines Sterns nicht zu bezwingen vermochte. Oder soll ich ihn denken zu Orange, an das l‰ndliche Triumphtor geruht? Soll ich ihn sehen im seelengewohnten Schatten der Allyscamps, wie sein Blick zwischen den Gr‰bern, die offen sind wie die Gr‰ber Auferstandener, eine Libelle verfolgt?

Gleichviel. Ich seh mehr als ihn, ich sehe sein Dasein, das damals die lange Liebe zu Gott begann, die stille, ziellose Arbeit. Denn ¸ber ihn, der sich f¸r immer hatte verhalten wollen, kam noch einmal das anwachsende Nichtanderskˆnnen seines Herzens. Und diesmal hoffte er auf Erhˆrung. Sein ganzes, im langen Alleinsein ahnend und unbeirrbar gewordenes Wesen versprach ihm, dafl jener, den er jetzt meinte, zu lieben verst¸nde mit durchdringender, strahlender Liebe. Aber w‰hrend er sich sehnte, endlich so meisterhaft geliebt zu sein, begriff sein an Fernen gewohntes Gef¸hl Gottes ‰uflersten Abstand. N‰chte kamen, da er meinte, sich auf ihn zuzuwerfen in den Raum; Stunden voller Entdeckung, in denen er sich stark genug f¸hlte, nach der Erde zu tauchen, um sie hinaufzureiflen auf der Sturmflut seines Herzens. Er war wie einer, der eine herrliche Sprache hˆrt und fiebernd sich vornimmt, in ihr zu dichten. Noch stand ihm die Best¸rzung bevor, zu erfahren, wie schwer diese Sprache sei; er wollte es nicht glauben zuerst, dafl ein langes Leben dar¸ber hingehen kˆnne, die ersten, kurzen Scheins‰tze zu bilden, die ohne Sinn sind. Er st¸rzte sich ins Erlernen wie ein L‰ufer in die Wette; aber die Dichte dessen, was zu ¸berwinden war, verlangsamte ihn. Es war nichts auszudenken, was dem¸tigender sein konnte als diese Anf‰ngerschaft. Er hatte den Stein der Weisen gefunden, und nun zwang man ihn, das rasch gemachte Gold seines Gl¸cks unaufhˆrlich zu verwandeln in das klumpige Blei der Geduld. Er, der sich dem Raum angepaflt hatte, zog wie ein Wurm krumme G‰nge ohne Ausgang und Richtung. Nun, da er so m¸hsam und kummervoll lieben lernte, wurde ihm gezeigt, wie nachl‰ssig und gering bisher alle Liebe gewesen war, die er zu leisten vermeinte. Wie aus keiner etwas hatte werden kˆnnen, weil er nicht begonnen hatte, an ihr Arbeit zu tun und sie zu verwirklichen.

In diesen Jahren gingen in ihm die groflen Ver‰nderungen vor. Er vergafl Gott beinah ¸ber der harten Arbeit, sich ihm zu n‰hern, und alles, was er mit der Zeit vielleicht bei ihm zu erreichen hoffte, war “sa patience de supporter une ‚me”. Die Zuf‰lle des Schicksals, auf die die Menschen halten, waren schon l‰ngst von ihm abgefallen, aber nun verlor, selbst was an Lust und Schmerz notwendig war, den gew¸rzhaften Beigeschmack und wurde rein und nahrhaft f¸r ihn. Aus den Wurzeln seines Seins entwickelte sich die feste, ¸berwinternde Pflanze einer fruchtbaren Freudigkeit. Er ging ganz darin auf, zu bew‰ltigen, was sein Binnenleben ausmachte, er wollte nichts ¸berspringen, denn er zweifelte nicht, dafl in alledem seine Liebe war und zunahm. Ja, seine innere Fassung ging so weit, dafl er beschlofl, das Wichtigste von dem, was er fr¸her nicht hatte leisten kˆnnen, was einfach nur durchwartet worden war, nachzuholen. Er dachte vor allem an die Kindheit, sie kam ihm, je ruhiger er sich besann, desto ungetaner vor; alle ihre Erinnerungen hatten das Vage von Ahnungen an sich, und dafl sie als vergangen galten, machte sie nahezu zuk¸nftig. Dies alles noch einmal und nun wirklich auf sich zu nehmen, war der Grund, weshalb der Entfremdete heimkehrte. Wir wissen nicht, ob er blieb; wir wissen nur, dafl er wiederkam.

Die die Geschichte erz‰hlt haben, versuchen es an dieser Stelle, uns an das Haus zu erinnern, wie es war; denn dort ist nur wenig Zeit vergangen, ein wenig gez‰hlter Zeit, alle im Haus kˆnnen sagen, wieviel. Die Hunde sind alt geworden, aber sie leben noch. Es wird berichtet, dafl einer aufheulte. Eine Unterbrechung geht durch das ganze Tagwerk. Gesichter erscheinen an den Fenstern, gealterte und erwachsene Gesichter von r¸hrender ƒhnlichkeit. Und in einem ganz alten schl‰gt ganz plˆtzlich blafl das Erkennen durch. Das Erkennen? Wirklich nur das Erkennen?–Das Verzeihen. Das Verzeihen wovon?–Die Liebe. Mein Gott: die Liebe.

Er, der Erkannte, er hatte daran nicht mehr gedacht, besch‰ftigt wie er war: dafl sie noch sein kˆnne. Es ist begreiflich, dafl von allem, was nun geschah, nur noch dies ¸berliefert ward: seine Geb‰rde, die unerhˆrte Geb‰rde, die man nie vorher gesehen hatte; die Geb‰rde des Flehens, mit der er sich an ihre F¸fle warf, sie beschwˆrend, dafl sie nicht liebten. Erschrocken und schwankend hoben sie ihn zu sich herauf. Sie legten sein Ungest¸m nach ihrer Weise aus, indem sie verziehen. Es mufl f¸r ihn unbeschreiblich befrei end gewesen sein, dafl ihn alle miflverstanden, trotz der verzweifelten Eindeutigkeit seiner Haltung. Wahrscheinlich konnte er bleiben. Denn er erkannte von Tag zu Tag mehr, dafl die Liebe ihn nicht betraf, auf die sie so eitel waren und zu der sie einander heimlich ermunterten. Fast muflte er l‰cheln, wenn sie sich anstrengten, und es wurde klar, wie wenig sie ihn meinen konnten.

Was wuflten sie, wer er war. Er war jetzt furchtbar schwer zu lieben, und er f¸hlte, dafl nur Einer dazu imstande sei. Der aber wollte noch nicht.