Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
Rainer Maria Rilke
Ich sehe seit einer Weile ein, daï¬ ich Menschen, die in der Entwicklung ihres Wesens zart und suchend sind, streng davor warnen muï¬, in den Aufzeichnungen Analogien f¸r das zu finden, was sie durchmachen; wer der Verlockung nachgibt und diesem Buch parallel geht, muï¬ notwendig abwâ°rts kommen; erfreulich wird es wesentlich nur denen werden, die es gewissermaï¬en gegen den Strom zu lesen unternehmen.
Diese Aufzeichnungen indem sie ein Maï¬ an sehr angewachsene Leiden legen, deuten an, bis zu welcher HËhe die Seligkeit steigen kËnnte, die mit der F¸lle dieser selben Krâ°fte zu leisten wâ°re.
R.M.R (Aus den Briefen vom Februar 1912) II. September, rue Toallier.
So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich w¸rde eher meinen, es st¸rbe sich hier. Ich bin ausgewesen. Ich habe gesehen: Hospitâ°ler. Ich habe einen Menschen gesehen, welcher schwankte und umsank. Die Leute versammelten sich um ihn, das ersparte mir den Rest. Ich habe eine schwangere Frau gesehen. Sie schob sich schwer an einer hohen, warmen Mauer entlang, nach der sie manchmal tastete, wie um sich zu ¸berzeugen, ob sie noch da sei. Ja, sie war noch da. Dahinter? Ich suchte auf meinem Plan: Maison d’Accouchement. Gut. Man wird sie entbinden–man kann das. Weiter, rue Saint-Jacques, ein groï¬es Gebâ°ude mit einer Kuppel. Der Plan gab an Val-de-grâce, HÃspital militaire. Das brauchte ich eigentlich nicht zu wissen, aber es schadet nicht. Die Gasse begann von allen Seiten zu riechen. Es roch, soviel sich unterscheiden lieï¬, nach Jodoform, nach dem Fett von pommes frites, nach Angst. Alle Stâ°dte riechen im Sommer. Dann habe ich ein eigent¸mlich starblindes Haus gesehen, es war im Plan nicht zu finden, aber ¸ber der T¸r stand noch ziemlich leserlich: Asyle de nuit. Neben dem Eingang waren die Preise. Ich habe sie gelesen. Es war nicht teuer.
Und sonst? ein Kind in einem stehenden Kinderwagen: es war dick, gr¸nlich und hatte einen deutlichen Ausschlag auf der Stirn. Er heilte offenbar ab und tat nicht weh. Das Kind schlief, der Mund war offen, atmete Jodoform, pommes frites, Angst. Das war nun mal so. Die Hauptsache war, daï¬ man lebte. Das war die Hauptsache.
Daï¬ ich es nicht lassen kann, bei offenen Fenster zu schlafen. Elektrische Bahnen rasen lâ°utend durch meine Stube. Automobile gehen ¸ber mich hin. Eine T¸r fâ°llt zu. Irgendwo klirrt eine Scheibe herunter, ich hËre ihre groï¬en Scherben lachen, die kleinen Splitter kichern. Dann plËtzlich dumpfer, eingeschlossener Lâ°rm von der anderen Seite, innen im Hause. Jemand steigt die Treppe. Kommt, kommt unaufhËrlich. Ist da, ist lange da, geht vorbei. Und wieder die Straï¬e. Ein Mâ°dchen kreischt: Ah tais-toi, je ne veux plus. Die Elektrische rennt ganz erregt heran, dar¸ber fort, fort ¸ber alles. Jemand ruft. Leute laufen, ¸berholen sich. Ein Hund bellt. Was f¸r eine Erleichterung: ein Hund. Gegen Morgen krâ°ht sogar ein Hahn, und das ist Wohltun ohne Grenzen. Dann schlafe ich plËtzlich ein.
Das sind die Gerâ°usche. Aber es giebt hier etwas, was furchtbarer ist: die Stille. Ich glaube, bei groï¬en Brâ°nden tritt manchmal so ein Augenblick â°uï¬erster Spannung ein, die Wasserstrahlen fallen ab, die Feuerwehrleute klettern nicht mehr, niemand r¸hrt sich. Lautlos schiebt sich ein schwarzes Gesimse voroben, und eine hohe Mauer, hinter welcher das Feuer auffâ°hrt, neigt sich, lautlos. Alles steht und wartet mit hochgeschobenen Schultern, die Gesichter ¸ber die Augen zusammengezogen, auf den schrecklichen Schlag. So ist hier die Stille.
Ich lerne sehen. Ich weiï¬ nicht, woran es liegt, es geht alles tiefer in mich ein und bleibt nicht an der Stelle stehen, wo es sonst immer zu Ende war. Ich habe ein Inneres, von dem ich nicht wuï¬te. Alles geht jetzt dorthin. Ich weiï¬ nicht, was dort geschieht.
Ich habe heute einen Brief geschrieben, dabei ist es mir aufgefallen, daï¬ ich erst drei Wochen hier bin. Drei Wochen anderswo, auf dem Lande zum Beispiel, das konnte sein wie ein Tag, hier sind es Jahre. Ich will auch keinen Brief mehr schreiben. Wozu soll ich jemandem sagen, daï¬ ich mich verâ°ndere, bleibe ich ja doch nicht der, der ich war, und bin ich etwas anderes als bisher, so ist klar, daï¬ ich keine Bekannten habe. Und an fremde Leute, an Leute, die mich nicht kennen, kann ich unmËglich schreiben.
Habe ich es schon gesagt? Ich lerne sehen–ja, ich fange an. Es geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen.
Daï¬ es mir zum Beispiel niemals zum Bewuï¬tsein gekommen ist, wieviel Gesichter es giebt. Es giebt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, nat¸rlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den andern? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, daï¬ ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht.
Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, sie hâ°tten f¸r immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon das letzte. Das hat nat¸rlich seine Tragik. Sie sind nicht gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat LËcher, ist an vielen Stellen d¸nn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum.
Aber die Frau, die Frau: sie war ganz in sich hineingefallen, vorn¸ber in ihre Hâ°nde. Es war an der Ecke rue Notre-Dame-des-Champs. Ich fing an, leise zu gehen, sowie ich sie gesehen hatte. Wenn arme Leute nachdenken, soll man sie nicht stËren. Vielleicht fâ°llt es ihnen doch ein.
Die Straï¬e war zu leer, ihre Leere langweilte sich und zog mir den Schritt unter den F¸ï¬en weg und klappte mit ihm herum, dr¸ben und da, wie mit einem Holzschuh. Die Frau erschrak und hob sich aus sich ab, zu schnell, zu heftig, so daï¬ das Gesicht in den zwei Hâ°nden blieb. Ich konnte es darin liegen sehen, seine hohle Form. Es kostete mich unbeschreibliche Anstrengung, bei diesen Hâ°nden zu bleiben und nicht zu schauen, was sich aus ihnen abgerissen hatte. Mir graute, ein Gesicht von innen zu sehen, aber ich f¸rchtete mich doch noch viel mehr vor dem bloï¬en wunden Kopf ohne Gesicht.
Ich f¸rchte mich. Gegen die Furcht muï¬ man etwas tun, wenn man sie einmal hat. Es wâ°re sehr hâ°ï¬lich, hier krank zu werden, und fiele es jemandem ein, mich ins HÃtel-Dieu zu schaffen, so w¸rde ich dort gewiï¬ sterben. Dieses HÃtel ist ein angenehmes HÃtel, ungeheuer besucht. Man kann kaum die Fassade der Kathedrale von Paris betrachten ohne Gefahr, von einem der vielen Wagen, die so schnell wie mËglich ¸ber den freien Plan dort hinein m¸ssen, ¸berfahren zu werden. Das sind kleine Omnibusse, die fortwâ°hrend lâ°uten, und selbst der Herzog von Sagan m¸ï¬te sein Gespann halten lassen, wenn so ein kleiner Sterbender es sich in den Kopf gesetzt hat, geradenwegs in Gottes HÃtel zu wollen. Sterbende sind starrkËpfig, und ganz Paris stockt, wenn Madame Legrand, brocanteuse aus der rue des Martyrs, nach einem gewissen Platz der Cità gefahren kommt. Es ist zu bemerken, daï¬ diese verteufelten kleinen Wagen ungemein anregende Milchglasfenster haben, hinter denen man sich die herrlichsten Agonien vor stellen kann; daf¸r gen¸gt die Phantasie einer Concierge. Hat man noch mehr Einbildungskraft und schlâ°gt sie nach anderen Richtungen hin, so sind die Vermutungen geradezu unbegrenzt. Aber ich habe auch offene Droschken ankommen sehen, Zeitdroschken mit aufgeklapptem Verdeck, die nach der ¸blichen Taxe fuhren: Zwei Francs f¸r die Sterbestunde.
Dieses ausgezeichnete HÃtel ist sehr alt, schon zu KËnig Chlodwigs Zeiten starb man darin in einigen Betten. Jetzt wird in 559 Betten gestorben. Nat¸rlich fabrikmâ°ï¬ig. Bei so enormer Produktion ist der einzelne Tod nicht so gut ausgef¸hrt, aber darauf kommt es auch nicht an. Die Masse macht es. Wer giebt heute noch etwas f¸r einen gut ausgearbeiteten Tod? Niemand. Sogar die Reichen, die es sich doch leisten kËnnten, ausf¸hrlich zu sterben, fangen an, nachlâ°ssig und gleichg¸ltig zu werden; der Wunsch, einen eigenen Tod zu haben, wird immer seltener. Eine Weile noch, und er wird ebenso selten sein wie ein eigenes Leben. Gott; das ist alles da. Man kommt, man findet ein Leben, fertig, man hat es nur anzuziehen. Man will gehen oder man ist dazu gezwungen: nun, keine Anstrengung: Voilâ¡ votre mort, monsieur. Man stirbt, wie es gerade kommt; man stirbt den Tod, der zu der Krankheit gehËrt, die man hat (denn seit man alle Krankheiten kennt, weiï¬ man auch, daï¬ die verschiedenen letalen Abschl¸sse zu den Krankheiten gehËren und nicht zu den Menschen; und der Kranke hat sozusagen nichts zu tun).
In den Sanatorien, wo ja so gern und mit so viel Dankbarkeit gegen Ærzte und Schwestern gestorben wird, stirbt man einen von den an der Anstalt angestellten Toden; das wird gerne gesehen. Wenn man aber zu Hause stirbt, ist es nat¸rlich, jenen hËflichen Tod der guten Kreise zu wâ°hlen, mit dem gleichsam das Begrâ°bnis erster Klasse schon anfâ°ngt und die ganze Folge seiner wunderschËnen Gebrâ°uche. Da stehen dann die Armen vor so einem Haus und sehen sich satt. Ihr Tod ist nat¸rlich banal, ohne alle Umstâ°nde. Sie sind froh, wenn sie einen finden, der ungefâ°hr paï¬t. Zu weit darf er sein: man wâ°chst immer noch ein biï¬chen. Nur wenn er nicht zugeht ¸ber der Brust oder w¸rgt, dann hat es seine Not.
Wenn ich nach Hause denke, wo nun niemand mehr ist, dann glaube ich, das muï¬ fr¸her anders gewesen sein. Fr¸her wuï¬te man (oder vielleicht man ahnte es), daï¬ man den Tod in sich hatte wie die Frucht den Kern. Die Kinder hatten einen kleinen in sich und die Erwachsenen einen groï¬en. Die Frauen hatten ihn im Schooï¬ und die Mâ°nner in der Brust. Den hatte man, und das gab einem eine eigent¸mliche W¸rde und einen stillen Stolz.
Meinem Groï¬vater noch, dem alten Kammerherrn Brigge, sah man es an, daï¬ er einen Tod in sich trug. Und was war das f¸r einer: zwei Monate lang und so laut, daï¬ man ihn hËrte bis aufs Vorwerk hinaus.
Das lange, alte Herrenhaus war zu klein f¸r diesen Tod, es schien, als m¸ï¬te man Fl¸gel anbauen, denn der KËrper des Kammerherrn wurde immer grËï¬er, und er wollte fortwâ°hrend aus einem Raum in den anderen getragen sein und geriet in f¸rchterlichen Zorn, wenn der Tag noch nicht zu Ende war und es gab kein Zimmer mehr, in dem er nicht schon gelegen hatte. Dann ging es mit dem ganzen Zuge von Dienern, Jungfern und Hunden, die er immer um sich hatte, die Treppe hinauf und, unter Vorantritt des Haushofmeisters, in seiner hochseligen Mutter Sterbezimmer, das ganz in dem Zustande, in dem sie es vor dreiundzwanzig Jahren verlassen hatte, erhalten worden war und das sonst nie jemand betreten durfte. Jetzt brach die ganze Meute dort ein. Die Vorhâ°nge wurden zur¸ckgezogen, und das robuste Licht eines Sommernachmittags untersuchte alle die scheuen, erschrockenen Gegenstâ°nde und drehte sich ungeschickt um in den aufgerissenen Spiegeln. Und die Leute machten es ebenso. Es gab da Zofen, die vor Neugierde nicht wuï¬ten, wo ihre Hâ°nde sich gerade aufhielten, junge Bediente, die alles anglotzten, und â°ltere Dienstleute, die herumgingen und sich zu erinnern suchten, was man ihnen von diesem verschlossenen Zimmer, in dem sie sich nun gl¸cklich befanden, alles erzâ°hlt hatte.
Vor allem aber schien den Hunden der Aufenthalt in einem Raum, wo alle Dinge rochen, ungemein anregend. Die groï¬en, schmalen russischen Windhunde liefen beschâ°ftigt hinter den Lehnst¸hlen hin und her, durchquerten in langem Tanzschritt mit wiegender Bewegung das Gemach, hoben sich wie Wappenhunde auf und schauten, die schmalen Pfoten auf das weiï¬goldene Fensterbrett gest¸tzt, mit spitzem, gespanntem Gesicht und zur¸ckgezogener Stirn nach rechts und nach links in den Hof. Kleine, handschuhgelbe Dachshunde saï¬en, mit Gesichtern, als wâ°re alles ganz in der Ordnung, in dem breiten, seidenen Polstersessel am Fenster, und ein stichelhaariger, m¸rrisch aussehender H¸hnerhund rieb seinen R¸cken an der Kante eines goldbeinigen Tisches, auf dessen gemalter Platte die SÃvrestassen zitterten.
Ja, es war f¸r diese geistesabwesenden, verschlafenen Dinge eine schreckliche Zeit. Es passierte, daï¬ aus B¸chern, die irgendeine hastige Hand ungeschickt geËffnet hatte, Rosenblâ°tter heraustaumelten, die zertreten wurden; kleine, schwâ°chliche Gegenstâ°nde wurden ergriffen und, nachdem sie sofort zerbrochen waren, schnell wieder hingelegt, manches Verbogene auch unter Vorhâ°nge gesteckt oder gar hinter das goldene Netz des Kamingitters geworfen. Und von Zeit zu Zeit fiel etwas, fiel verh¸llt auf Teppich, fiel hell auf das harte Parkett, aber es zerschlug da und dort, zersprang scharf oder brach fast lautlos auf, denn diese Dinge, verwËhnt wie sie waren, vertrugen keinerlei Fall.
Und wâ°re es jemandem eingefallen zu fragen, was die Ursache von alledem sei, was ¸ber dieses â°ngstlich geh¸tete Zimmer alles Untergangs F¸lle herabgerufen habe,–so hâ°tte es nur eine Antwort gegeben: der Tod.
Der Tod des Kammerherrn Christoph Detlev Brigge auf Ulsgaard. Denn dieser lag, groï¬ Â¸ber seine dunkelblaue Uniform hinausquellend, mitten auf dem Fuï¬boden und r¸hrte sich nicht. In seinem groï¬en, fremden, niemandem mehr bekannten Gesicht waren die Augen zugefallen: er sah nicht, was geschah. Man hatte zuerst versucht, ihn auf das Bett zu legen, aber er hatte sich dagegen gewehrt, denn er haï¬te Betten seit jenen ersten Nâ°chten, in denen seine Krankheit gewachsen war. Auch hatte sich das Bett da oben als zu klein erwiesen, und da war nichts anderes ¸brig geblieben, als ihn so auf den Teppich zu legen; denn hinunter hatte er nicht gewollt.
Da lag er nun, und man konnte denken, daï¬ er gestorben sei. Die Hunde hatten sich, da es langsam zu dâ°mmern begann, einer nach dem anderen durch die T¸rspalte gezogen, nur der Harthaarige mit dem m¸rrischen Gesicht saï¬ bei seinem Herrn, und eine von seinen breiten, zottigen Vorderpfoten lag auf Christoph Detlevs groï¬er, grauer Hand. Auch von der Dienerschaft standen jetzt die meisten drauï¬en in dem weiï¬en Gang, der heller war als das Zimmer; die aber, welche noch drinnen geblieben waren, sahen manchmal heimlich nach dem groï¬en, dunkelnden Haufen in der Mitte, und sie w¸nschten, daï¬ das nichts mehr wâ°re als ein groï¬er Anzug ¸ber einem verdorbenen Ding.
Aber es war noch etwas. Es war eine Stimme, die Stimme, die noch vor sieben Wochen niemand gekannt hatte: denn es war nicht die Stimme des Kammerherrn. Nicht Christoph Detlev war es, welchem diese Stimme gehËrte, es war Christoph Detlevs Tod.
Christoph Detlevs Tod lebte nun schon seit vielen, vielen Tagen auf Ulsgaard und redete mit allen und verlangte. Verlangte, getragen zu werden, verlangte das blaue Zimmer, verlangte den kleinen Salon, verlangte den Saal. Verlangte die Hunde, verlangte, daï¬ man lache, spreche, spiele und still sei und alles zugleich. Verlangte Freunde zu sehen, Frauen und Verstorbene, und verlangte selber zu sterben: verlangte. Verlangte und schrie.
Denn, wenn die Nacht gekommen war und die von den ¸berm¸den Dienstleuten, welche nicht Wache hatten, einzuschlafen versuchten, dann schrie Christoph Detlevs Tod, schrie und stËhnte, br¸llte so lange und anhaltend, daï¬ die Hunde, die zuerst mitheulten, verstummten und nicht wagten sich hinzulegen und, auf ihren langen, schlanken, zitternden Beinen stehend, sich f¸rchteten. Und wenn sie es durch die weite, silberne, dâ°nische Sommernacht im Dorfe hËrten, daï¬ er br¸llte, so standen sie auf wie beim Gewitter, kleideten sich an und blieben ohne ein Wort um die Lampe sitzen, bis es vor¸ber war. Und die Frauen, welche nahe vor dem Niederkommen waren, wurden in die entlegensten Stuben gelegt und in die dichtesten Bettverschlâ°ge; aber sie hËrten es, sie hËrten es, als ob es in ihrem eigenen Leibe wâ°re, und sie flehten, auch aufstehen zu d¸rfen, und kamen, weiï¬ und weit, und setzten sich zu den andern mit ihren verwischten Gesichtern. Und die K¸he, welche kalbten in dieser Zeit, waren h¸lflos und verschlossen, und einer riï¬ man die tote Frucht mit allen Eingeweiden aus dem Leibe, als sie gar nicht kommen wollte. Und alle taten ihr Tagwerk schlecht und vergaï¬en das Heu hereinzubringen, weil sie sich bei Tage â°ngstigten vor der Nacht und weil sie vom vielen Wachsein und vom erschreckten Aufstehen so er mattet waren, daï¬ sie sich auf nichts besinnen konnten. Und wenn sie am Sonntag in die weiï¬e, friedliche Kirche gingen, so beteten sie, es mËge keinen Herrn mehr auf Ulsgaard geben: denn dieser war ein schrecklicher Herr. Und was sie alle dachten und beteten, das sagte der Pfarrer laut von der Kanzel herab, denn auch er hatte keine Nâ°chte mehr und konnte Gott nicht begreifen. Und die Glocke sagte es, die einen furchtbaren Rivalen bekommen hatte, der die ganze Nacht drËhnte und gegen den sie, selbst wenn sie aus allem Metall zu lâ°uten begann, nichts vermochte. Ja, alle sagten es, und es gab einen unter den jungen Leuten, der getrâ°umt hatte, er wâ°re ins Schloï¬ gegangen und hâ°tte den gnâ°digen Herrn erschlagen mit seiner Mistforke, und so aufgebracht war man, so zu Ende, so ¸berreizt, daï¬ alle zuhËrten, als er seinen Traum erzâ°hlte, und ihn, ganz ohne es zu wissen, daraufhin ansahen, ob er solcher Tat wohl gewachsen sei. So f¸hlte und sprach man in der ganzen Gegend, in der man den Kammerherrn noch vor einigen Wochen geliebt und bedauert hatte. Aber obwohl man so sprach, verâ°nderte sich nichts. Christoph Detlevs Tod, der auf Ulsgaard wohnte, lieï¬ sich nicht drâ°ngen. Er war f¸r zehn Wochen gekommen, und die blieb er. Und wâ°hrend dieser Zeit war er mehr Herr, als Christoph Detlev Brigge es je gewesen war, er war wie ein KËnig, den man den Schrecklichen nennt, spâ°ter und immer.
Das war nicht der Tod irgendeines Wassers¸chtigen, das war der bËse, f¸rstliche Tod, den der Kammerherr sein ganzes Leben lang in sich getragen und aus sich genâ°hrt hatte. Alles â¹bermaï¬ an Stolz, Willen und Herrenkraft, das er selbst in seinen ruhigen Tagen nicht hatte verbrauchen kËnnen, war in seinen Tod eingegangen, in den Tod, der nun auf Ulsgaard saï¬ und vergeudete.
Wie hâ°tte der Kammerherr Brigge den angesehen, der von ihm verlangt hâ°tte, er solle einen anderen Tod sterben als diesen. Er starb seinen schweren Tod.
Und wenn ich an die andern denke, die ich gesehen oder von denen ich gehËrt habe: es ist immer dasselbe. Sie alle haben einen eigenen Tod gehabt. Diese Mâ°nner, die ihn in der R¸stung trugen, innen, wie einen Gefangenen, diese Frauen, die sehr alt und klein wurden und dann auf einem ungeheueren Bett, wie auf einer Schaub¸hne, vor der ganzen Familie, dem Gesinde und den Hunden diskret und herrschaftlich hin¸bergingen. Ja die Kinder, sogar die ganz kleinen, hatten nicht irgendeinen Kindertod, sie nahmen sich zusammen und starben das, was sie schon waren, und das, was sie geworden wâ°ren.
Und was gab das den Frauen f¸r eine wehm¸tige SchËnheit, wenn sie schwanger waren und standen, und in ihrem groï¬en Leib, auf welchem die schmalen Hâ°nde unwillk¸rlich liegen blieben, waren zwei Fr¸chte: ein Kind und ein Tod. Kam das dichte, beinah nahrhafte Lâ°cheln in ihrem ganz ausgerâ°umten Gesicht nicht davon her, daï¬ sie manchmal meinten, es w¸chsen beide?
Ich habe etwas getan gegen die Furcht. Ich habe die ganze Nacht gesessen und geschrieben, und jetzt bin ich so gut m¸de wie nach einem weiten Weg ¸ber die Felder von Ulsgaard. Es ist doch schwer zu denken, daï¬ alles das nicht mehr ist, daï¬ fremde Leute wohnen in dem alten langen Herrenhaus. Es kann sein, daï¬ in dem weiï¬en Zimmer oben im Giebel jetzt die Mâ°gde schlafen, ihren schweren, feuchten Schlaf schlafen von Abend bis Morgen.
Und man hat niemand und nichts und fâ°hrt in der Welt herum mit einem Koffer und mit einer B¸cherkiste und eigentlich ohne Neugierde. Was f¸r ein Leben ist das eigentlich: ohne Haus, ohne ererbte Dinge, ohne Hunde. Hâ°tte man doch wenigstens seine Erinnerungen. Aber wer hat die? Wâ°re die Kindheit da, sie ist wie vergraben. Vielleicht muï¬ man alt sein, um an das alles heranreichen zu kËnnen. Ich denke es mir gut, alt zu sein.
Heute war ein schËner, herbstlicher Morgen. Ich ging durch die Tuilerien. Alles, was gegen Osten lag, vor der Sonne, blendete. Das Angeschienene war vom Nebel verhangen wie von einem lichtgrauen Vorhang. Grau im Grauen sonnten sich die Statuen in den noch nicht enth¸llten Gâ°rten. Einzelne Blumen in den langen Beeten standen auf und sagten: Rot, mit einer erschrockenen Stimme. Dann kam ein sehr groï¬er, schlanker Mann um die Ecke, von den Champs-ElysÃes her; er trug eine Kr¸cke, aber nicht mehr unter die Schulter geschoben,–er hielt sie vor sich her, leicht, und von Zeit zu Zeit stellte er sie fest und laut auf wie einen Heroldstab. Er konnte ein Lâ°cheln der Freude nicht unterdr¸cken und lâ°chelte, an allem vorbei, der Sonne, den Bâ°umen zu. Sein Schritt war sch¸chtern wie der eines Kindes, aber ungewËhnlich leicht, voll von Erinnerung an fr¸heres Gehen.
Was so ein kleiner Mond alles vermag. Da sind Tage, wo alles um einen licht ist, leicht, kaum angegeben in der hellen Luft und doch deutlich. Das Nâ°chste schon hat TËne der Ferne, ist weggenommen und nur gezeigt, nicht hergereicht; und was Beziehung zur Weite hat: der Fluï¬, die Br¸cken, die langen Straï¬en und die Plâ°tze, die sich verschwenden, das hat diese Weite eingenommen hinter sich, ist auf ihr gemalt wie auf Seide. Es ist nicht zu sagen, was dann ein lichtgr¸ner Wagen sein kann auf dem Pont-neuf oder irgendein Rot, das nicht zu halten ist, oder auch nur ein Plakat an der Feuermauer einer perlgrauen Hâ°usergruppe. Alles ist vereinfacht, auf einige richtige, helle plans gebracht wie das Gesicht in einem Manetschen Bildnis. Und nichts ist gering und ¸berfl¸ssig. Die Bouquinisten am Quai tun ihre Kâ°sten auf, und das frische oder vernutzte Gelb der B¸cher, das violette Braun der Bâ°nde, das grËï¬ere Gr¸n einer Mappe: alles stimmt, gilt, nimmt teil und bildet eine Vollzâ°hligkeit, in der nichts fehlt.
Unten ist folgende Zusammenstellung: ein kleiner Handwagen, von einer Frau geschoben; vorn darauf ein Leierkasten, der Lâ°nge nach. Dahinter quer ein Kinderkorb, in dem ein ganz Kleines auf festen Beinen steht, vergn¸gt in seiner Haube, und sich nicht mag setzen lassen. Von Zeit zu Zeit dreht die Frau am Orgelkasten. Das ganz Kleine stellt sich dann sofort stampfend in seinem Korbe wieder auf, und ein kleines Mâ°dchen in einem gr¸nen Sonntagskleid tanzt und schlâ°gt Tamburin zu den Fenstern hinauf.
Ich glaube, ich m¸ï¬te anfangen, etwas zu arbeiten, jetzt, da ich sehen lerne. Ich bin achtundzwanzig, und es ist so gut wie nichts geschehen. Wiederholen wir: ich habe eine Studie ¸ber Carpaccio geschrieben, die schlecht ist, ein Drama, das ‘Ehe’ heiï¬t und etwas Falsches mit zweideutigen Mitteln beweisen will, und Verse. Ach, aber mit Versen ist so wenig getan, wenn man sie fr¸h schreibt. Man sollte warten damit und Sinn und S¸ï¬igkeit sammeln ein ganzes Leben lang und ein langes womËglich, und dann, ganz zum Schluï¬, vielleicht kËnnte man dann zehn Zeilen schreiben, die gut sind. Denn Verse sind nicht, wie die Leute meinen, Gef¸hle (die hat man fr¸h genug),–es sind Erfahrungen. Um eines Verses willen muï¬ man viele Stâ°dte sehen, Menschen und Dinge, man muï¬ die Tiere kennen, man muï¬ f¸hlen, wie die VËgel fliegen, und die Gebâ°rde wissen, mit welcher die kleinen Blumen sich auftun am Morgen. Man muï¬ zur¸ckdenken kËnnen an Wege in unbekannten Gegenden, an unerwartete Begegnungen und an Abschiede, die man lange kommen sah,–an Kindheitstage, die noch unaufgeklâ°rt sind, an die Eltern, die man krâ°nken muï¬te, wenn sie einem eine Freude brachten und man begriff sie nicht (es war eine Freude f¸r einen anderen–), an Kinderkrankheiten, die so seltsam anheben mit so vielen tiefen und schweren Verwandlungen, an Tage in stillen, verhaltenen Stuben und an Morgen am Meer, an das Meer ¸berhaupt, an Meere, an Reisenâ°chte, die hoch dahinrauschten und mit allen Sternen flogen, –und es ist noch nicht genug, wenn man an alles das denken darf. Man muï¬ Erinnerungen haben an viele Liebesnâ°chte, von denen keine der andern glich, an Schreie von Kreiï¬enden und an leichte, weiï¬e, schlafende WËchnerinnen, die sich schlieï¬en. Aber auch bei Sterbenden muï¬ man gewesen sein, muï¬ bei Toten gesessen haben in der Stube mit dem offenen Fenster und den stoï¬weisen Gerâ°uschen. Und es gen¸gt auch noch nicht, daï¬ man Erinnerungen hat. Man muï¬ sie vergessen kËnnen, wenn es viele sind, und man muï¬ die groï¬e Geduld haben, zu warten, daï¬ sie wiederkommen. Denn die Erinnerungen selbstes noch nicht. Erst wenn sie Blut werden in uns, Blick und Gebâ°rde, namenlos und nicht mehr zu unterscheiden von uns selbst, erst dann kann es geschehen, daï¬ in einer sehr seltenen Stunde das erste Wort eines Verses aufsteht in ihrer Mitte und aus ihnen ausgeht.
Alle meine Verse aber sind anders entstanden, also sind es keine.–Und als ich mein Drama schrieb, wie irrte ich da. War ich ein Nachahmer und Narr, daï¬ ich eines Dritten bedurfte, um von dem Schicksal zweier Menschen zu erzâ°hlen, die es einander schwer machten? Wie leicht ich in die Falle fiel. Und ich hâ°tte doch wissen m¸ssen, daï¬ dieser Dritte, der durch alle Leben und Literaturen geht, dieses Gespenst eines Dritten, der nie gewesen ist, keine Bedeutung hat, daï¬ man ihn leugnen muï¬. Er gehËrt zu den Vorwâ°nden der Natur, welche immer bem¸ht ist, von ihren tiefsten Geheimnissen die Aufmerksamkeit der Menschen abzulenken. Er ist der Wandschirm, hinter dem ein Drama sich abspielt. Er ist der Lâ°rm am Eingang zu der stimmlosen Stille eines wirklichen Konfliktes. Man mËchte meinen, es wâ°re allen bisher zu schwer gewesen, von den Zweien zu reden, um die es sich handelt; der Dritte, gerade weil er so unwirklich ist, ist das Leichte der Aufgabe, ihn konnten sie alle. Gleich am Anfang ihrer Dramen merkt man die Ungeduld, zu dem Dritten zu kommen, sie kËnnten ihn kaum erwarten. Sowie er da ist, ist alles gut. Aber wie langweilig, wenn er sich verspâ°tet, es kann rein nichts geschehen ohne ihn, alles steht, stockt, wartet. Ja und wie, wenn es bei diesem Stauen und Anstehn bliebe? Wie, Herr Dramatiker, und du, Publikum, welches das Leben kennt, wie, wenn er verschollen wâ°re, dieser beliebte Lebemann oder dieser anmaï¬ende junge Mensch, der in allen Ehen schlieï¬t wie ein Nachschl¸ssel? Wie, wenn ihn, zum Beispiel, der Teufel geholt hâ°tte? Nehmen wirs an. Man merkt auf einmal die k¸nstliche Leere der Theater, sie werden vermauert wie gefâ°hrliche LËcher, nur die Motten aus den Logenrâ°ndern taumeln durch den haltlosen Hohlraum. Die Dramatiker genieï¬en nicht mehr ihre Villenviertel. Alle Ëffentlichen Aufpassereien suchen f¸r sie in entlegenen Weltteilen nach dem Unersetzlichen, der die Handlung selbst war.
Und dabei leben sie unter den Menschen, nicht diese ‘Dritten’, aber die Zwei, von denen so unglaublich viel zu sagen wâ°re, von denen noch nie etwas gesagt worden ist, obwohl sie leiden und handeln und sich nicht zu helfen wissen.
Es ist lâ°cherlich. Ich sitze hier in meiner kleinen Stube, ich, Brigge, der achtundzwanzig Jahre alt geworden ist und von dem niemand weiï¬. Ich sitze hier und bin nichts. Und dennoch, dieses Nichts fâ°ngt an zu denken und denkt, f¸nf Treppen hoch, an einem grauen Pariser Nachmittag diesen Gedanken:
Ist es mËglich, denkt es, daï¬ man noch nichts Wirkliches und Wichtiges gesehen, erkannt und gesagt hat? Ist es mËglich, daï¬ man Jahrtausende Zeit gehabt hat, zu schauen, nachzudenken und aufzuzeichnen, und daï¬ man die Jahrtausende hat vergehen lassen wie eine Schulpause, in der man sein Butterbrot iï¬t und einen Apfel?
Ja, es ist mËglich.
Ist es mËglich, daï¬ man trotz Erfindungen und Fortschritten, trotz Kultur, Religion und Weltweisheit an der Oberflâ°che des Lebens geblieben ist? Ist es mËglich, daï¬ man sogar diese Oberflâ°che, die doch immerhin etwas gewesen wâ°re, mit einem unglaublich langweiligen Stoff ¸berzogen hat, so daï¬ sie aussieht, wie die SalonmËbel in den Sommerferien?
Ja, es ist mËglich.
Ist es mËglich, daï¬ die ganze Weltgeschichte miï¬verstanden worden ist? Ist es mËglich, daï¬ die Vergangenheit falsch ist, weil man immer von ihren Massen gesprochen hat, gerade, als ob man von einem Zusammenlauf vieler Menschen erzâ°hlte, statt von dem Einen zu sagen, um den sie herumstanden, weil er fremd war und starb?
Ja, es ist mËglich.
Ist es mËglich, daï¬ man glaubte, nachholen zu m¸ssen, was sich ereignet hat, ehe man geboren war? Ist es mËglich, daï¬ man jeden einzelnen erinnern m¸ï¬te, er sei ja aus allen Fr¸heren entstanden, w¸ï¬te es also und sollte sich nichts einreden lassen von den anderen, die anderes w¸ï¬ten?
Ja, es ist mËglich.
Ist es mËglich, daï¬ alle diese Menschen eine Vergangenheit, die nie gewesen ist, ganz genau kennen? Ist es mËglich, daï¬ alle Wirklichkeiten nichts sind f¸r sie; daï¬ ihr Leben ablâ°uft, mit nichts verkn¸pft, wie eine Uhr in einem leeren Zimmer–?
Ja, es ist mËglich.
Ist es mËglich, daï¬ man von den Mâ°dchen nichts weiï¬, die doch leben? Ist es mËglich, daï¬ man ‘die Frauen’ sagt, ‘die Kinder’, ‘die Knaben’ und nicht ahnt (bei aller Bildung nicht ahnt), daï¬ diese Worte lâ°ngst keine Mehrzahl mehr haben, sondern nur unzâ°hlige Einzahlen?
Ja, es ist mËglich.
Ist es mËglich, daï¬ es Leute giebt, welche ‘Gott’ sagen und meinen, das wâ°re etwas Gemeinsames?–Und sieh nur zwei Schulkinder: Es kauft sich der eine ein Messer, und sein Nachbar kauft sich ein ganz gleiches am selben Tag. Und sie zeigen einander nach einer Woche die beiden Messer, und es ergiebt sich, daï¬ sie sich nur noch ganz entfernt â°hnlich sehen,–so verschieden haben sie sich in verschiedenen Hâ°nden entwickelt. (Ja, sagt des einen Mutter dazu: wenn ihr auch gleich immer alles abnutzen m¸ï¬t.–) Ach so: Ist es mËglich, zu glauben, man kËnne einen Gott haben, ohne ihn zu gebrauchen?
Ja, es ist mËglich.
Wenn aber dieses alles mËglich ist, auch nur einen Schein von MËglichkeit hat,–dann muï¬ ja, um alles in der Welt, etwas geschehen. Der Nâ°chstbeste, der, welcher diesen beunruhigenden Gedanken gehabt hat, muï¬ anfangen, etwas von dem Versâ°umten zu tun; wenn es auch nur irgend einer ist, durchaus nicht der Geeignetste: es ist eben kein anderer da. Dieser junge, belanglose Auslâ°nder, Brigge, wird sich f¸nf Treppen hoch hinsetzen m¸ssen und schreiben, Tag und Nacht. Ja er wird schreiben m¸ssen, das wird das Ende sein.
ZwËlf Jahre oder hËchstens dreizehn muï¬ ich damals gewesen sein. Mein Vater hatte mich nach Urnekloster mitgenommen. Ich weiï¬ nicht, was ihn veranlaï¬te, seinen Schwiegervater aufzusuchen. Die beiden Mâ°nner hatten sich jahrelang, seit dem Tode meiner Mutter, nicht gesehen, und mein Vater selbst war noch nie in dem alten Schlosse gewesen, in welches der Graf Brahe sich erst spâ°t zur¸ckgezogen hatte. Ich habe das merkw¸rdige Haus spâ°ter nie wiedergesehen, das, als mein Groï¬vater starb, in fremde Hâ°nde kam. So wie ich es in meiner kindlich gearbeiteten Erinnerung wiederfinde, ist es kein Gebâ°ude; es ist ganz aufgeteilt in mir; da ein Raum, dort ein Raum und hier ein St¸ck Gang, das diese beiden Râ°ume nicht verbindet, sondern f¸r sich, als Fragment, aufbewahrt ist. In dieser Weise ist alles in mir verstreut,–die Zimmer, die Treppen, die mit so groï¬er Umstâ°ndlichkeit sich niederlieï¬en, und andere enge, rundgebaute Stiegen, in deren Dunkel man ging wie das Blut in den Adern; die Turmzimmer, die hoch aufgehâ°ngten Balkone, die unerwarteten Altane, auf die man von einer kleinen T¸r hinausgedrâ°ngt wurde:–alles das ist noch in mir und wird nie aufhËren, in mir zu sein. Es ist, als wâ°re das Bild dieses Hauses aus unendlicher HËhe in mich hineingest¸rzt und auf meinem Grunde zerschlagen.
Ganz erhalten ist in meinem Herzen, so scheint es mir, nur jener Saal, in dem wir uns zum Mittagessen zu versammeln pflegten, jeden Abend um sieben Uhr. Ich habe diesen Raum niemals bei Tage gesehen, ich erinnere mich nicht einmal, ob er Fenster hatte und wohin sie aussahen; jedes mal, so oft die Familie eintrat, brannten die Kerzen in den schweren Armleuchtern, und man vergaï¬ in einigen Minuten die Tageszeit und alles, was man drauï¬en gesehen hatte. Dieser hohe, wie ich vermute, gewËlbte Raum war stâ°rker als alles; er saugte mit seiner dunkelnden HËhe, mit seinen niemals ganz aufgeklâ°rten Ecken alle Bilder aus einem heraus, ohne einem einen bestimmten Ersatz daf¸r zu geben. Man saï¬ da wie aufgelËst; vËllig ohne Willen, ohne Besinnung, ohne Lust, ohne Abwehr. Man war wie eine leere Stelle. Ich erinnere mich, daï¬ dieser vernichtende Zustand mir zuerst fast â¹belkeit verursachte, eine Art Seekrankheit, die ich nur dadurch ¸berwand, daï¬ ich mein Bein ausstreckte, bis ich mit dem Fuï¬ das Knie meines Vaters ber¸hrte, der mir gegen¸bersaï¬. Erst spâ°ter fiel es mir auf, daï¬ er dieses merkw¸rdige Benehmen zu begreifen oder doch zu dulden schien, obwohl zwischen uns ein fast k¸hles Verhâ°ltnis bestand, aus dem ein solches Gebaren nicht erklâ°rlich war. Es war indessen jene leise Ber¸hrung, welche mir die Kraft gab, die langen Mahlzeiten auszuhalten. Und nach einigen Wochen krampfhaften Ertragens hatte ich, mit der fast unbegrenzten Anpasssung des Kindes, mich so sehr an das Unheimliche jener Zusammenk¸nfte gewËhnt, daï¬ es mich keine Anstrengung mehr kostete, zwei Stunden bei Tische zu sitzen; jetzt vergingen sie sogar verhâ°ltnismâ°ï¬ig schnell, weil ich mich damit beschâ°ftigte, die Anwesenden zu beobachten.
Mein Groï¬vater nannte es die Familie, und ich hËrte auch die andern diese Bezeichnung gebrauchen, die ganz willk¸rlich war. Denn obwohl diese vier Menschen miteinander in entfernten verwandtschaftlichen Beziehungen standen, so gehËrten sie doch in keiner Weise zusammen. Der Oheim, welcher neben mir saï¬, war ein alter Mann, dessen hartes und verbranntes Gesicht einige schwarze Flecke zeigte, wie ich erfuhr, die Folgen einer explodierten Pulverladung; m¸rrisch und malkontent wie er war, hatte er als Major seinen Abschied genommen, und nun machte er in einem mir unbekannten Raum des Schlosses alchymistische Versuche, war auch, wie ich die Diener sagen hËrte, mit einem Stockhause in Verbindung, von wo man ihm ein- oder zweimal jâ°hrlich Leichen zusandte, mit denen er sich Tage und Nâ°chte einschloï¬ und die er zerschnitt und auf eine geheimnisvolle Art zubereitete, so daï¬ sie der Verwesung widerstanden. Ihm gegen¸ber war der Platz des Frâ°uleins Mathilde Brahe. Es war das eine Person von unbestimmtem Alter, eine entfernte Cousine meiner Mutter, von der nichts bekannt war, als daï¬ sie eine sehr rege Korrespondenz mit einem Ësterreichischen Spiritisten unterhielt, der sich Baron Nolde nannte und dem sie vollkommen ergeben war, so daï¬ sie nicht das geringste unternahm, ohne vorher seine Zustimmung oder vielmehr etwas wie seinen Segen einzuholen. Sie war zu jener Zeit auï¬erordentlich stark, von einer weichen, trâ°gen F¸lle, die gleichsam achtlos in ihre losen, hellen Kleider hineingegossen war; ihre Bewegungen waren m¸de und unbestimmt, und ihre Augen flossen bestâ°ndig ¸ber. Und trotzdem war etwas in ihr, das mich an meine zarte und schlanke Mutter erinnerte.
Ich fand, je lâ°nger ich sie betrachtete, alle die feinen und leisen Z¸ge in ihrem Gesichte, an die ich mich seit meiner Mutter Tode nie mehr recht hatte erinnern kËnnen; nun erst, seit ich Mathilde Brahe tâ°glich sah, wuï¬te ich wieder, wie die Verstorbene ausgesehen hatte; ja, ich wuï¬te es vielleicht zum erstenmal. Nun erst setzte sich aus hundert und hundert Einzelheiten ein Bild der Toten in mir zusammen, jenes Bild, das mich ¸berall begleitet. Spâ°ter ist es mir klar geworden, daï¬ in dem Gesicht des Frâ°uleins Brahe wirklich alle Einzelheiten vorhanden waren, die die Z¸ge meiner Mutter bestimmten, –sie waren nur, als ob ein fremdes Gesicht sich dazwischen geschoben hâ°tte, auseinandergedrâ°ngt, verbogen und nicht mehr in Verbindung miteinander.
Neben dieser Dame saï¬ der kleine Sohn einer Cousine, ein Knabe, etwa gleichaltrig mit mir, aber kleiner und schwâ°chlicher. Aus einer gefâ°ltelten Krause stieg sein d¸nner, blasser Hals und verschwand unter einem langen Kinn. Seine Lippen waren schmal und fest geschlossen, seine Nasenfl¸gel zitterten leise, und von seinen schËnen dunkelbraunen Augen war nur das eine beweglich. Es blickte manchmal ruhig und traurig zu mir her¸ber, wâ°hrend das andere immer in dieselbe Ecke gerichtet blieb, als wâ°re es verkauft und kâ°me nicht mehr in Betracht.
Am oberen Ende der Tafel stand der ungeheure Lehnsessel meines Groï¬vaters, den ein Diener, der nichts anderes zu tun hatte, ihm unterschob und in dem der Greis nur einen geringen Raum einnahm. Es gab Leute, die diesen schwerhËrigen und herrischen alten Herrn Exzellenz und Hofmarschall nannten, andere gaben ihm den Titel General. Und er besaï¬ gewiï¬ auch alle diese W¸rden, aber es war so lange her, seit er Æmter bekleidet hatte, daï¬ diese Benennungen kaum mehr verstâ°ndlich waren. Mir schien es ¸berhaupt, als ob an seiner in gewissen Momenten so scharfen und doch immer wieder aufgelËsten PersËnlichkeit kein bestimmter Name haften kËnne. Ich konnte mich nie entschlieï¬en, ihn Groï¬vater zu nennen, obwohl er bisweilen freundlich zu mir war, ja mich sogar zu sich rief, wobei er meinem Namen eine scherzhafte Betonung zu geben versuchte. â¹brigens zeigte die ganze Familie ein aus Ehrfurcht und Scheu gemischtes Benehmen dem Grafen gegen¸ber, nur der kleine Erik lebte in einer gewissen Vertraulichkeit mit dem greisen Hausherrn; sein bewegliches Auge hatte zuzeiten rasche Blicke des Einverstâ°ndnisses mit ihm, die ebensorasch von dem Groï¬vater erwidert wurden; auch konnte man sie zuweilen in den langen Nachmittagen am Ende der tiefen Galerie auftauchen sehen und beobachten, wie sie, Hand in Hand, die dunklen alten Bildnisse entlang gingen, ohne zu sprechen, offenbar auf eine andere Weise sich verstâ°ndigend.
Ich befand mich fast den ganzen Tag im Parke und drauï¬en in den Buchenwâ°ldern oder auf der Heide; und es gab zum Gl¸ck Hunde auf Urnekloster, die mich begleiteten; es gab da und dort ein Pâ°chterhaus oder einen Meierhof, wo ich Milch und Brot und Fr¸chte bekommen konnte, und ich glaube, daï¬ ich meine Freiheit ziemlich sorglos genoï¬, ohne mich, wenigstens in den folgenden Wochen, von dem Gedanken an die abendlichen Zusammenk¸nfte â°ngstigen zu lassen. Ich sprach fast mit niemandem, denn es war meine Freude, einsam zu sein; nur mit den Hunden hatte ich kurze Gesprâ°che dann und wann: mit ihnen verstand ich mich ausgezeichnet. Schweigsamkeit war ¸brigens eine Art Familieneigenschaft; ich kannte sie von meinem Vater her, und es wunderte mich nicht, daï¬ wâ°hrend der Abendtafel fast nichts gesprochen wurde.
In den ersten Tagen nach unserer Ankunft allerdings benahm sich Mathilde Brahe â°uï¬erst gesprâ°chig. Sie fragte den Vater nach fr¸heren Bekannten in auslâ°ndischen Stâ°dten, sie erinnerte sich entlegener Eindr¸cke, sie r¸hrte sich selbst bis zu Trâ°nen, indem sie verstorbener Freundinnen und eines gewissen jungen Mannes gedachte, von dem sie andeutete, daï¬ er sie geliebt habe, ohne daï¬ sie seine instâ°ndige und hoffnungslose Neigung hâ°tte erwidern mËgen. Mein Vater hËrte hËflich zu, neigte dann und wann zustimmend sein Haupt und antwortete nur das NËtigste. Der Graf, oben am Tisch, lâ°chelte bestâ°ndig mit herabgezogenen Lippen, sein Gesicht erschien grËï¬er als sonst, es war, als tr¸ge er eine Maske. Er ergriff ¸brigens selbst manchmal das Wort, wobei seine Stimme sich auf niemanden bezog, aber, obwohl sie sehr leise war, doch im ganzen Saal gehËrt werden konnte; sie hatte etwas von dem gleichmâ°ï¬igen unbeteiligten Gang einer Uhr; die Stille um sie schien eine eigene leere Resonanz zu haben, f¸r jede Silbe die gleiche.
Graf Brahe hielt es f¸r eine besondere Artigkeit meinem Vater gegen¸ber, von dessen verstorbener Gemahlin, meiner Mutter, zu sprechen. Er nannte sie Grâ°fin Sibylle, und alle seine Sâ°tze schlossen, als fragte er nach ihr. Ja es kam mir, ich weiï¬ nicht weshalb, vor, als handle es sich um ein ganz junges Mâ°dchen in Weiï¬, das jeden Augenblick bei uns eintreten kËnne. In demselben Tone hËrte ich ihn auch von ‘unserer kleinen Anna Sophie’ reden. Und als ich eines Tages nach diesem Frâ°ulein fragte, das dem Groï¬vater besonders lieb zu sein schien, erfuhr ich, daï¬ er des Groï¬kanzlers Conrad Reventlow Tochter meinte, weiland Friedrichs des Vierten Gemahlin zur linken Hand, die seit nahezu anderthalb hundert Jahren zu Roskilde ruhte. Die Zeitfolgen spielten durchaus keine Rolle f¸r ihn, der Tod war ein kleiner Zwischenfall, den er vollkommen ignorierte, Personen, die er einmal in seine Erinnerung aufgenommen hatte, existierten, und daran konnte ihr Absterben nicht das geringste â°ndern. Mehrere Jahre spâ°ter, nach dem Tode des alten Herrn, erzâ°hlte man sich, wie er auch das Zuk¸nftige mit demselben Eigensinn als gegenwâ°rtig empfand. Er soll einmal einer gewissen jungen Frau von ihren SËhnen gesprochen haben, von den Reisen eines dieser SËhne insbesondere, wâ°hrend die junge Dame, eben im dritten Monate ihrer ersten Schwangerschaft, fast besinnungslos vor Entsetzen und Furcht neben dem unablâ°ssig redenden Alten saï¬.
Aber es begann damit, daï¬ ich lachte. Ja ich lachte laut und ich konnte mich nicht beruhigen. Eines Abends fehlte nâ°mlich Mathilde Brahe. Der alte, fast ganz erblindete Bediente hielt, als er zu ihrem Platze kam, dennoch die Sch¸ssel anbietend hin. Eine Weile verharrte er so; dann ging er befriedigt und w¸rdig und als ob alles in Ordnung wâ°re weiter. Ich hatte diese Szene beobachtet, und sie kam mir, im Augenblick da ich sie sah, durchaus nicht komisch vor. Aber eine Weile spâ°ter, als ich eben einen Bissen in den Mund steckte, stieg mir das Gelâ°chter mit solcher Schnelligkeit in den Kopf, daï¬ ich mich verschluckte und groï¬en Lâ°rm verursachte. Und trotzdem diese Situation mir selber lâ°stig war, trotzdem ich mich auf alle mËgliche Weise anstrengte, ernst zu sein, kam das Lachen stoï¬weise immer wieder und behielt vËllig die Herrschaft ¸ber mich.
Mein Vater, gleichsam um mein Benehmen zu verdecken, fragte mit seiner breiten gedâ°mpften Stimme: “Ist Mathilde krank?” Der Groï¬vater lâ°chelte in seiner Art und antwortete dann mit einem Satze, auf den ich, mit mir selber beschâ°ftigt, nicht achtgab und der etwa lautete: Nein, sie w¸nscht nur, Christinen nicht zu begegnen. Ich sah es also auch nicht als Wirkung dieser Worte an, daï¬ mein Nachbar, der braune Major, sich erhob und, mit einer undeutlich gemurmelten Entschuldigung und einer Verbeugung gegen den Grafen hin, den Saal verlieï¬. Es fiel mir nur auf, daï¬ er sich hinter dem R¸cken des Hausherrn in der T¸r nochmals umdrehte und dem kleinen Erik und zu meinem grËï¬ten Erstaunen plËtzlich auch mir winkende und nickende Zeichen machte, als forderte er uns auf, ihm zu folgen. Ich war so ¸berrascht, daï¬ mein Lachen aufhËrte, mich zu bedrâ°ngen. Im ¸brigen schenkte ich dem Major weiter keine Aufmerksamkeit; er war mir unangenehm, und ich bemerkte auch, daï¬ der kleine Erik ihn nicht beachtete.
Die Mahlzeit schleppte sich weiter wie immer, und man war gerade beim Nachtisch angelangt, als meine Blicke von einer Bewegung ergriffen und mitgenommen wurden, die im Hintergrund des Saales, im Halbdunkel, vor sich ging. Dort war nach und nach eine, wie ich meinte, stets verschlossene T¸re, von welcher man mir gesagt hatte, daï¬ sie in das Zwischengeschoï¬ f¸hre, aufgegangen, und jetzt, wâ°hrend ich mit einem mir ganz neuen Gef¸hl von Neugier und Best¸rzung hinsah, trat in das Dunkel der T¸rËffnung eine schlanke, hellgekleidete Dame und kam langsam auf uns zu. Ich weiï¬ nicht, ob ich eine Bewegung machte oder einen Laut von mir gab, der Lâ°rm eines umst¸rzenden Stuhles zwang mich, meine Blicke von der merkw¸rdigen Gestalt abzureiï¬en, und ich sah meinen Vater, der aufgesprungen war und nun, totenbleich im Gesicht, mit herabhâ°ngenden geballten Hâ°nden, auf die Dame zuging. Sie bewegte sich indessen, von dieser Szene ganz unber¸hrt, auf uns zu, Schritt f¸r Schritt, und sie war schon nicht mehr weit von dem Platze des Grafen, als dieser sich mit einem Ruck erhob, meinen Vater beim Arme faï¬te, ihn an den Tisch zur¸ckzog und festhielt, wâ°hrend die fremde Dame, langsam und teilnahmlos, durch den nun freigewordenen Raum vor¸berging, Schritt f¸r Schritt, durch unbeschreibliche Stille, in der nur irgendwo ein Glas zitternd klirrte, und in einer T¸r der gegen¸berliegenden Wand des Saales verschwand.
In diesem Augenblick bemerkte ich, daï¬ es der kleine Erik war, der mit einer tiefen Verbeugung diese T¸re hinter der Fremden schloï¬.
Ich war der einzige, der am Tische sitzengeblieben war; ich hatte mich so schwer gemacht in meinem Sessel, mir schien, ich kËnnte allein nie wieder auf. Eine Weile sah ich, ohne zu sehen. Dann fiel mir mein Vater ein, und ich gewahrte, daï¬ der Alte ihn noch immer am Arme festhielt. Das Gesicht meines Vaters war jetzt zornig, voller Blut, aber der Groï¬vater, dessen Finger wie eine weiï¬e Kralle meines Vaters Arm umklammerten, lâ°chelte sein maskenhaftes Lâ°cheln. Ich hËrte dann, wie er etwas sagte, Silbe f¸r Silbe, ohne daï¬ ich den Sinn seiner Worte verstehen konnte. Dennoch fielen sie mir tief ins GehËr, denn vor etwa zwei Jahren fand ich sie eines Tages unten in meiner Erinnerung, und seither weiï¬ ich sie. Er sagte: “Du bist heftig, Kammerherr, und unhËflich. Was lâ°ï¬t du die Leute nicht an ihre Beschâ°ftigungen gehn?” “Wer ist das?” schrie mein Vater dazwischen. “Jemand, der wohl das Recht hat, hier zu sein. Keine Fremde. Christine Brahe.”–Da entstand wieder jene merkw¸rdig d¸nne Stille, und wieder fing das Glas an zu zittern. Dann aber riï¬ sich mein Vater mit einer Bewegung los und st¸rzte aus dem Saale.
Ich hËrte ihn die ganze Nacht in seinem Zimmer auf und ab gehen; denn auch ich konnte nicht schlafen. Aber plËtzlich gegen Morgen erwachte ich doch aus irgend etwas Schlafâ°hnlichem und sah mit einem Entsetzen, daï¬ mich bis ins Herz hinein lâ°hmte, etwas Weiï¬es, das an meinem Bette saï¬. Meine Verzweiflung gab mir schlieï¬lich die Kraft, den Kopf unter die Decke zu stecken, und dort begann ich aus Angst und H¸lflosigkeit zu weinen. PlËtzlich wurde es k¸hl und hell ¸ber meinen weinenden Augen; ich dr¸ckte sie, um nichts sehen zu m¸ssen, ¸ber den Trâ°nen zu. Aber die Stimme, die nun von ganz nahe auf mich einsprach, kam lau und s¸ï¬lich an mein Gesicht, und ich erkannte sie: es war Frâ°ulein Mathildes Stimme. Ich beruhigte mich sofort und lieï¬ mich trotzdem, auch als ich schon ganz ruhig war, immer noch weiter trËsten; ich f¸hlte zwar, daï¬ diese G¸te zu weichlich sei, aber ich genoï¬ sie dennoch und meinte sie irgendwie verdient zu haben. “Tante”, sagte ich schlieï¬lich und versuchte in ihrem zerflossenen Gesicht die Z¸ge meiner Mutter zusammenzufassen: “Tante, wer war die Dame?”
“Ach”, antwortete das Frâ°ulein Brahe mit einem Seufzer, der mir komisch vorkam, “eine Ungl¸ckliche, mein Kind, eine Ungl¸ckliche.”
Am Morgen dieses Tages bemerkte ich in einem Zimmer einige Bediente, die mit Packen beschâ°ftigt waren. Ich dachte, daï¬ wir reisen w¸rden, ich fand es ganz nat¸rlich, daï¬ wir nun reisten. Vielleicht war das auch meines Vaters Absicht. Ich habe nie erfahren, was ihn bewog, nach jenem Abend noch auf Urnekloster zu bleiben. Aber wir reisten nicht. Wir hielten uns noch acht Wochen oder neun in diesem Hause auf, wir ertrugen den Druck seiner Seltsamkeiten, und wir sahen noch dreimal Christine Brahe.
Ich wuï¬te damals nichts von ihrer Geschichte. Ich wuï¬te nicht, daï¬ sie vor langer, langer Zeit in ihrem zweiten Kindbett gestorben war, einen Knaben gebâ°hrend, der zu einem bangen und grausamen Schicksal heranwuchs,–ich wuï¬te nicht, daï¬ sie eine Gestorbene war. Aber mein Vater wuï¬te es. Hatte er, der leidenschaftlich war und auf Konsequenz und Klarheit angelegt, sich zwingen wollen, in Fassung und ohne zu fragen, dieses Abenteuer auszuhalten? Ich sah, ohne zu begreifen, wie er mit sich kâ°mpfte, ich erlebte es, ohne zu verstehen, wie er sich endlich bezwang.
Das war, als wir Christine Brahe zum letztenmal sahen. Dieses Mal war auch Frâ°ulein Mathilde zu Tische erschienen; aber sie war anders als sonst. Wie in den ersten Tagen nach unserer Ankunft sprach sie unaufhËrlich ohne bestimmten Zusammenhang und fortwâ°hrend sich verwirrend, und dabei war eine kËrperliche Unruhe in ihr, die sie nËtigte, sich bestâ°ndig etwas am Haar oder am Kleide zu richten,–bis sie unvermutet mit einem hohen klagenden Schrei aufsprang und verschwand.
In demselben Augenblick wandten sich meine Blicke unwillk¸rlich nach der gewissen T¸re, und wirklich: Christine Brahe trat ein. Mein Nachbar, der Major, machte eine heftige, kurze Bewegung, die sich in meinen KËrper fortpflanzte, aber er hatte offenbar keine Kraft mehr, sich zu erheben. Sein braunes, altes, fleckiges Gesicht wendete sich von einem zum andern, sein Mund stand offen, und die Zunge wand sich hinter den verdorbenen Zâ°hnen; dann auf einmal war dieses Gesicht fort, und sein grauer Kopf lag auf dem Tische, und seine Arme lagen wie in St¸cken dar¸ber und darunter, und irgendwo kam eine welke, fleckige Hand hervor und bebte.
Und nun ging Christine Brahe vorbei, Schritt f¸r Schritt, langsam wie eine Kranke, durch unbeschreibliche Stille, in die nur ein einziger wimmernder Laut hineinklang wie eines alten Hundes. Aber da schob sich links von dem groï¬en silbernen Schwan, der mit Narzissen gef¸llt war, die groï¬e Maske des Alten hervor mit ihrem grauen Lâ°cheln. Er hob sein Weinglas meinem Vater zu. Und nun sah ich, wie mein Vater, gerade als Christine Brahe hinter seinem Sessel vor¸berkam, nach seinem Glase griff und es wie etwas sehr Schweres eine Handbreit ¸ber den Tisch hob. Und noch in dieser Nacht reisten wir.
BibliothÃque Nationale.
Ich sitze und lese einen Dichter. Es sind viele Leute im Saal aber man sp¸rt sie nicht. Sie sind in den B¸chern. Manchmal bewegen sie sich in den Blâ°ttern, wie Menschen, die schlafen und sich umwenden zwischen zwei Trâ°umen. Ach, wie gut ist es doch, unter lesenden Menschen zu sein. Warum sind sie nicht immer so? Du kannst hingehen zu einem und ihn leise anr¸hren: er f¸hlt nichts. Und stËï¬t du einen Nachbar beim Aufstehen ein wenig an und entschuldigst dich, so nickt er nach der Seite, auf der er deine Stimme hËrt, sein Gesicht wendet sich dir zu und sieht dich nicht, und sein Haar ist wie das Haar eines Schlafenden. Wie wohl das tut. Und ich sitze und habe einen Dichter. Was f¸r ein Schicksal. Es sind jetzt vielleicht dreihundert Leute im Saale, die lesen; aber es ist unmËglich, daï¬ sie jeder einzelne einen Dichter haben. (Weiï¬ Gott, was sie haben.) Dreihundert Dichter giebt es nicht. Aber sieh nur, was f¸r ein Schicksal, ich, vielleicht der armsâ°ligste von diesen Lesenden, ein Auslâ°nder: ich habe einen Dichter. Obwohl ich arm bin. Obwohl mein Anzug, den ich tâ°glich trage, anfâ°ngt, gewisse Stellen zu bekommen, obwohl gegen meine Schuhe sich das und jenes einwenden lieï¬e. Zwar mein Kragen ist rein, meine Wâ°sche auch, und ich kËnnte, wie ich bin, in eine beliebige Konditorei gehen, womËglich auf den groï¬en Boulevards, und kËnnte mit meiner Hand getrost in einen Kuchenteller greifen und etwas nehmen. Man w¸rde nichts Auffâ°lliges darin finden und mich nicht schelten und hinausweisen, denn es ist immerhin eine Hand aus den guten Kreisen, eine Hand, die vier- bis f¸nfmal tâ°glich gewaschen wird. Ja, es ist nichts hinter den Nâ°geln, der Schreibfinger ist ohne Tinte, und besonders die Gelenke sind tadellos. Bis dorthin waschen arme Leute sich nicht, das ist eine bekannte Tatsache. Man kann also aus ihrer Reinlichkeit gewisse Schl¸sse ziehen. Man zieht sie auch. In den Geschâ°ften zieht man sie. Aber es giebt doch ein paar Existenzen, auf dem Boulevard Saint-Michel zum Beispiel und in der rue Racine, die lassen sich nicht irremachen, die pfeifen auf die Gelenke. Die sehen mich an und wissen es. Die wissen, daï¬ ich eigentlich zu ihnen gehËre, daï¬ ich nur ein biï¬chen KomËdie spiele. Es ist ja Fasching. Und sie wollen mir den Spaï¬ nicht verderben; sie grinsen nur so ein biï¬chen und zwinkern mit den Augen. Kein Mensch hats gesehen. Im ¸brigen behandeln sie mich wie einen Herrn. Es muï¬ nur jemand in der Nâ°he sein, dann tun sie sogar untertâ°nig. Tun, als ob ich einen Pelz anhâ°tte und mein Wagen hinter mir herf¸hre. Manchmal gebe ich ihnen zwei Sous und zittere, sie kËnnten sie abweisen; aber sie nehmen sie an. Und es wâ°re alles in Ordnung, wenn sie nicht wieder ein wenig gegrinst und gezwinkert hâ°tten. Wer sind diese Leute? Was wollen sie von mir? Warten sie auf mich? Woran erkennen sie mich? Es ist wahr, mein Bart sieht etwas vernachlâ°ssigt aus, ein ganz, ganz klein wenig erinnert er an ihre kranken, alten, verblichenen Bâ°rte, die mir immer Eindruck gemacht haben. Aber habe ich nicht das Recht, meinen Bart zu vernachlâ°ssigen? Viele beschâ°ftigte Menschen tun das, und es fâ°llt doch niemandem ein, sie deshalb gleich zu den Fortgeworfenen zu zâ°hlen. Denn das ist mir klar, daï¬ das die Fortgeworfenen sind, nicht nur Bettler; nein, es sind eigentlich keine Bettler, man muï¬ Unterschiede machen. Es sind Abfâ°lle, Schalen von Menschen, die das Schicksal ausgespieen hat. Feucht vom Speichel des Schicksals kleben sie an einer Mauer, an einer Laterne, an einer Plakatsâ°ule, oder sie rinnen langsam die Gasse herunter mit einer dunklen, schmutzigen Spur hinter sich her. Was in aller Welt wollte diese Alte von mir, die, mit einer Nachttischschublade, in der einige KnËpfe und Nadeln herumrollten, aus irgendeinem Loch herausgekrochen war? Weshalb ging sie immer neben mir und beobachtete mich? Als ob sie versuchte, mich zu erkennen mit ihren Triefaugen, die aussahen, als hâ°tte ihr ein Kranker gr¸nen Schleim in die blutigen Lider gespuckt. Und wie kam damals jene graue, kleine Frau dazu, eine Viertelstunde lang vor einem Schaufenster an meiner Seite zu stehen, wâ°hrend sie mir einen alten, langen Bleistift zeigte, der unendlich langsam aus ihren schlechten, geschlossenen Hâ°nden sich herausschob. Ich tat, als betrachtete ich die ausgelegten Sachen und merkte nichts. Sie aber wuï¬te, daï¬ ich sie gesehen hatte, sie wuï¬te, daï¬ ich stand und nachdachte, was sie eigentlich tâ°te. Denn daï¬ es sich nicht um den Bleistift handeln konnte, begriff ich wohl: ich f¸hlte, daï¬ das ein Zeichen war, ein Zeichen f¸r Eingeweihte, ein Zeichen, das die Fortgeworfenen kennen; ich ahnte, sie bedeutete mir, ich m¸ï¬te irgendwohin kommen oder etwas tun. Und das Seltsamste war, daï¬ ich immerfort das Gef¸hl nicht los wurde, es best¸nde tatsâ°chlich eine gewisse Verabredung, zu der dieses Zeichen gehËrte, und diese Szene wâ°re im Grunde etwas, was ich hâ°tte erwarten m¸ssen.
Das war vor zwei Wochen. Aber nun vergeht fast kein Tag ohne eine solche Begegnung. Nicht nur in der Dâ°mmerung, am Mittag in den dichtesten Straï¬en geschieht es, daï¬ plËtzlich ein kleiner Mann oder eine alte Frau da ist, nickt, mir etwas zeigt und wieder verschwindet, als wâ°re nun alles NËtige getan. Es ist mËglich, daï¬ es ihnen eines Tages einfâ°llt, bis in meine Stube zu kommen, sie wissen bestimmt, wo ich wohne, und sie werden es schon einrichten, daï¬ der Concierge sie nicht aufhâ°lt. Aber hier, meine Lieben, hier bin ich sicher vor euch. Man muï¬ eine besondere Karte haben, um in diesen Saal eintreten zu kËnnen. Diese Karte habe ich vor euch voraus. Ich gehe ein wenig scheu, wie man sich denken kann, durch die Straï¬en, aber schlieï¬lich stehe ich vor einer Glast¸r, Ëffne sie, als ob ich zuhause wâ°re, weise an der nâ°chsten T¸r meine Karte vor (ganz genau wie ihr mir eure Dinge zeigt, nur mit dem Unterschiede, daï¬ man mich versteht und begreift, was ich meine–), und dann bin ich zwischen diesen B¸chern, bin euch weggenommen, als ob ich gestorben wâ°re, und sitze und lese einen Dichter.
Ihr wiï¬t nicht, was das ist, ein Dichter?–Verlaine… Nichts? Keine Erinnerung? Nein. Ihr habt ihn nicht unterschieden unter denen, die ihr kanntet? Unterschiede macht ihr keine, ich weiï¬. Aber es ist ein anderer Dichter, den ich lese, einer, der nicht in Paris wohnt, ein ganz anderer. Einer, der ein stilles Haus hat im Gebirge. Der klingt wie eine Glocke in reiner Luft. Ein gl¸cklicher Dichter, der von seinem Fenster erzâ°hlt und von den Glast¸ren seines B¸cherschrankes, die eine liebe, einsame Weite nachdenklich spiegeln. Gerade der Dichter ist es, der ich hâ°tte werden wollen; denn er weiï¬ von den Mâ°dchen so viel, und ich hâ°tte auch viel von ihnen gewuï¬t. Er weiï¬ von Mâ°dchen, die vor hundert Jahren gelebt haben; es tut nichts mehr, daï¬ sie tot sind, denn er weiï¬ alles. Und das ist die Hauptsache. Er spricht ihre Namen aus, diese leisen, schlankgeschriebenen Namen mit den altmodischen Schleifen in den langen Buchstaben und die erwachsenen Namen ihrer â°lteren Freundinnen, in denen schon ein klein wenig Schicksal mitklingt, ein klein wenig Enttâ°uschung und Tod. Vielleicht liegen in einem Fach seines Mahagonischreibtisches ihre verblichenen Briefe und die gelËsten Blâ°tter ihrer Tageb¸cher, in denen Geburtstage stehen, Sommerpartien, Geburtstage. Oder es kann sein, daï¬ es in der bauchigen Kommode im Hintergrunde seines Schlafzimmers eine Schublade giebt, in der ihre Fr¸hjahrskleider aufgehoben sind; weiï¬e Kleider, die um Ostern zum erstenmal angezogen wurden, Kleider aus getupftem T¸ll, die eigentlich in den Sommer gehËren, den man nicht erwarten konnte. O was f¸r ein gl¸ckliches Schicksal, in der stillen Stube eines ererbten Hauses zu sitzen unter lauter ruhigen, seï¬haften Dingen und drauï¬en im leichten, lichtgr¸nen Garten die ersten Meisen zu hËren, die sich versuchen, und in der Ferne die Dorfuhr. Zu sitzen und auf einen warmen Streifen Nachmittagssonne zu sehen und vieles von vergangenen Mâ°dchen zu wissen und ein Dichter zu sein. Und zu denken, daï¬ ich auch so ein Dichter geworden wâ°re, wenn ich irgendwo hâ°tte wohnen d¸rfen, irgendwo auf der Welt, in einem von den vielen verschlossenen Landhâ°usern, um die sich niemand bek¸mmert. Ich hâ°tte ein einziges Zimmer gebraucht (das lichte Zimmer im Giebel). Da hâ°tte ich drinnen gelebt mit meinen alten Dingen, den Familienbildern, den B¸chern. Und einen Lehnstuhl hâ°tte ich gehabt und Blumen und Hunde und einen starken Stock f¸r die steinigen Wege. Und nichts sonst. Nur ein Buch in gelbliches, elfenbeinfarbiges Leder gebunden mit einem alten blumigen Muster als Vorsatz: dahinein hâ°tte ich geschrieben. Ich hâ°tte viel geschrieben, denn ich hâ°tte viele Gedanken gehabt und Erinnerungen von Vielen. Aber es ist anders gekommen, Gott wird wissen, warum. Meine alten MËbel faulen in einer Scheune, in die ich sie habe stellen d¸rfen, und ich selbst, ja, mein Gott, ich habe kein Dach ¸ber mir, und es regnet mir in die Augen.
Manchmal gehe ich an kleinen Lâ°den vorbei in der rue de Seine etwa. Hâ°ndler mit Altsachen oder kleine Buchantiquare oder Kupferstichverkâ°ufer mit ¸berf¸llten Schaufenstern. Nie tritt jemand bei ihnen ein, sie machen offenbar keine Geschâ°fte. Sieht man aber hinein, so sitzen sie, sitzen und lesen, unbesorgt; sorgen nicht um morgen, â°ngstigen sich nicht um ein Gelingen, haben einen Hund, der vor ihnen sitzt, gut aufgelegt, oder eine Katze, die die Stille noch grËï¬er macht, indem sie die B¸cherreihen entlang streicht, als wischte sie die Namen von den R¸cken.
Ach, wenn das gen¸gte: ich w¸nschte manchmal, mir so ein volles Schaufenster zu kaufen und mich mit einem Hund dahinterzusetzen f¸r zwanzig Jahre.
Es ist gut, es laut zu sagen: “Es ist nichts geschehen.” Noch einmal: “Es ist nichts geschehen.” Hilft es?
Daï¬ mein Ofen wieder einmal geraucht hat und ich ausgehen muï¬te, das ist doch wirklich kein Ungl¸ck. Daï¬ ich mich matt und erkâ°ltet f¸hle, hat nichts zu bedeuten. Daï¬ ich den ganzen Tag in den Gassen umhergelaufen bin, ist meine eigene Schuld. Ich hâ°tte ebensogut im Louvre sitzen kËnnen. Oder nein, das hâ°tte ich nicht. Dort sind gewisse Leute, die sich wâ°rmen wollen. Sie sitzen auf den Samtbâ°nken, und ihre F¸ï¬e stehen wie groï¬e leere Stiefel nebeneinander auf den Gittern der Heizungen. Es sind â°uï¬erst bescheidene Mâ°nner, die dankbar sind, wenn die Diener in den dunklen Uniformen mit den vielen Orden sie dulden. Aber wenn ich eintrete, so grinsen sie. Grinsen und nicken ein wenig. Und dann, wenn ich vor den Bildern hin und her gehe, behalten sie mich im Auge, immer im Auge, immer in diesem umger¸hrten, zusammengeflossenen Auge. Es war also gut, daï¬ ich nicht ins Louvre gegangen bin. Ich bin immer unterwegs gewesen. Weiï¬ der Himmel in wie vielen Stâ°dten, Stadtteilen, FriedhËfen, Br¸cken und Durchgâ°ngen. Irgendwo habe ich einen Mann gesehen, der einen Gem¸sewagen vor sich herschob. Er schrie: Choufleur, Chou-fleur, das fleur mit eigent¸mlich tr¸bem eu. Neben ihm ging eine eckige, hâ°ï¬liche Frau, die ihn von Zeit zu Zeit anstieï¬. Und wenn sie ihn anstieï¬, so schrie er. Manchmal schrie er auch von selbst, aber dann war es umsonst gewesen, und er muï¬te gleich darauf wieder schreien, weil man vor einem Hause war, welches kaufte. Habe ich schon gesagt, daï¬ er blind war? Nein? Also er war blind. Er war blind und schrie. Ich fâ°lsche, wenn ich das sage, ich unterschlage den Wagen, den er schob, ich tue, als hâ°tte ich nicht bemerkt, daï¬ er Blumenkohl ausrief. Aber ist das wesentlich? Und wenn es auch wesentlich wâ°re, kommt es nicht darauf an, was die ganze Sache f¸r mich gewesen ist? Ich habe einen alten Mann gesehen, der blind war und schrie. Das habe ich gesehen. Gesehen.
Wird man es glauben, daï¬ es solche Hâ°user giebt? Nein, man wird sagen, ich fâ°lsche. Diesmal ist es Wahrheit, nichts weggelassen, nat¸rlich auch nichts hinzugetan. Woher sollte ich es nehmen? Man weiï¬, daï¬ ich arm bin. Man weiï¬ es. Hâ°user? Aber, um genau zu sein, es waren Hâ°user, die nicht mehr da waren. Hâ°user, die man abgebrochen hatte von oben bis unten. Was da war, das waren die anderen Hâ°user, die danebengestanden hatten, hohe Nachbarhâ°user. Offenbar waren sie in Gefahr, umzufallen, seit man nebenan alles weggenommen hatte; denn ein ganzes Ger¸st von langen, geteerten Mastbâ°umen war schrâ°g zwischen den Grund des Schuttplatzes und die bloï¬gelegte Mauer gerammt. Ich weiï¬ nicht, ob ich schon gesagt habe, daï¬ ich diese Mauer meine. Aber es war sozusagen nicht die erste Mauer der vorhandenen Hâ°user (was man doch hâ°tte annehmen m¸ssen), sondern die letzte der fr¸heren. Man sah ihre Innenseite. Man sah in den verschiedenen Stockwerken Zimmerwâ°nde, an denen noch die Tapeten klebten, da und dort den Ansatz des Fuï¬bodens oder der Decke. Neben den Zimmerwâ°nden blieb die ganze Mauer entlang noch ein schmutzigweiï¬er Raum, und durch diesen kroch in unsâ°glich widerlichen, wurmweichen, gleichsam verdauenden Bewegungen die offene, rostfleckige Rinne der AbortrËhre. Von den Wegen, die das Leuchtgas gegangen war, waren graue, staubige Spuren am Rande der Decken geblieben, und sie bogen da und dort, ganz unerwartet, rund um und kamen in die farbige Wand hineingelaufen und in ein Loch hinein, das schwarz und r¸cksichtslos ausgerissen war. Am unvergeï¬lichsten aber waren die Wâ°nde selbst. Das zâ°he Leben dieser Zimmer hatte sich nicht zertreten lassen. Es war noch da, es hielt sich an den Nâ°geln, die geblieben waren, es stand auf dem bandbreiten Rest der Fuï¬bËden, es war unter den Ansâ°tzen der Ecken, wo es noch ein klein wenig Innenraum gab, zusammengekrochen. Man konnte sehen, daï¬ es in der Farbe war, die es langsam, Jahr um Jahr, verwandelt hatte: Blau in schimmliches Gr¸n, Gr¸n in Grau und Gelb in ein altes, abgestandenes Weiï¬, das fault. Aber es war auch in den frischeren Stellen, die sich hinter Spiegeln, Bildern und Schrâ°nken erhalten hatten; denn es hatte ihre Umrisse gezogen und nachgezogen und war mit Spinnen und Staub auch auf diesen versteckten Plâ°tzen gewesen, die jetzt bloï¬lagen. Es war in jedem Streifen, der abgeschunden war, es war in den feuchten Blasen am unteren Rande der Tapeten, es schwankte in den abgerissenen Fetzen, und aus den garstigen Flecken, die vor langer Zeit entstanden waren, schwitzte es aus. Und aus diesen blau, gr¸n und gelb gewesenen Wâ°nden, die eingerahmt waren von den Bruchbahnen der zerstËrten Zwischenmauern, stand die Luft dieser Leben heraus, die zâ°he, trâ°ge, stockige Luft, die kein Wind noch zerstreut hatte. Da standen die Mittage und die Krankheiten und das Ausgeatmete und der jahrealte Rauch und der Schweiï¬, der unter den Schultern ausbricht und die Kleider schwer macht, und das Fade aus den Munden und der Fuselgeruch gâ°render F¸ï¬e. Da stand das Scharfe vom Urin und das Brennen vom Ruï¬ und grauer Kartoffeldunst und der schwere, glatte Gestank von alterndem Schmalze. Der s¸ï¬e, lange Geruch von vernachlâ°ssigten Sâ°uglingen war da und der Angstgeruch der Kinder, die in die Schule gehen, und das Schw¸le aus den Betten mannbarer Knaben. Und vieles hatte sich dazugesellt, was von unten gekommen war, aus dem Abgrund der Gasse, die verdunstete, und anderes war von oben herabgesickert mit dem Regen, der ¸ber den Stâ°dten nicht rein ist. Und manches hatte die schwachen, zahm gewordenen Hauswinde, die immer in derselben Straï¬e bleiben, zugetragen, und es war noch vieles da, wovon man den Ursprung nicht wuï¬te. Ich habe doch gesagt, daï¬ man alle Mauern abgebrochen hatte bis auf die letzte–? Nun von dieser Mauer spreche ich fortwâ°hrend. Man wird sagen, ich hâ°tte lange davorgestanden; aber ich will einen Eid geben daf¸r, daï¬ ich zu laufen begann, sobald ich die Mauer erkannt hatte. Denn das ist das Schreckliche, daï¬ ich sie erkannt habe. Ich erkenne das alles hier, und darum geht es so ohne weiteres in mich ein: es ist zu Hause in mir.
Ich war etwas erschËpft nach alledem, man kann wohl sagen angegriffen, und darum war es zuviel f¸r mich, daï¬ auch er noch auf mich warten muï¬te. Er wartete in der kleinen CrÃmerie, wo ich zwei Spiegeleier essen wollte; ich war hungrig, ich war den ganzen Tag nicht dazu gekommen zu essen. Aber ich konnte auch jetzt nichts zu mir nehmen; ehe die Eier noch fertig waren, trieb es mich wieder hinaus in die Straï¬en, die ganz dickfl¸ssig von Menschen mir entgegenrannen. Denn es war Fasching und Abend, und die Leute hatten alle Zeit und trieben umher und rieben sich einer am andern. Und ihre Gesichter waren voll von dem Licht, das aus den Schaubuden kam, und das Lachen quoll aus ihren Munden wie Eiter aus offenen Stellen. Sie lachten immer mehr und drâ°ngten sich immer enger zusammen, je ungeduldiger ich versuchte vorwâ°rts zu kommen. Das Tuch eines Frauenzimmers hakte sich irgendwie an mir fest, ich zog sie hinter mir her, und die Leute hielten mich auf und lachten, und ich f¸hlte, daï¬ ich auch lachen sollte, aber ich konnte es nicht. Jemand warf mir eine Hand Confetti in die Augen, und es brannte wie eine Peitsche. An den Ecken waren die Menschen festgekeilt, einer in den andern geschoben, und es war keine Weiterbewegung in ihnen, nur ein leises, weiches Auf und Ab, als ob sie sich stehend paarten. Aber obwohl sie standen und ich am Rande der Fahrbahn, wo es Risse im Gedrâ°nge gab, hinlief wie ein Rasender, war es in Wahrheit doch so, daï¬ sie sich bewegten und ich mich nicht r¸hrte. Denn es verâ°nderte sich nichts; wenn ich aufsah, gewahrte ich immer noch dieselben Hâ°user auf der einen Seite und auf der anderen die Schaubuden. Vielleicht auch stand alles fest, und es war nur ein Schwindel in mir und ihnen, der alles zu drehen schien. Ich hatte keine Zeit, dar¸ber nachzudenken, ich war schwer von Schweiï¬, und es kreiste ein betâ°ubender Schmerz in mir, als ob in meinem Blute etwas zu Groï¬es mittriebe, das die Adern ausdehnte, wohin es kam. Und dabei f¸hlte ich, daï¬ die Luft lâ°ngst zu Ende war und daï¬ ich nur mehr Ausgeatmetes einzog, das meine Lungen stehen lieï¬en.
Aber nun ist es vorbei; ich habe es ¸berstanden. Ich sitze in meinem Zimmer bei der Lampe; es ist ein wenig kalt, denn ich wage es nicht, den Ofen zu versuchen; was, wenn er rauchte und ich m¸ï¬te wieder hinaus? Ich sitze und denke: wenn ich nicht arm wâ°re, w¸rde ich mir ein anderes Zimmer mieten, ein Zimmer mit MËbeln, die nicht so aufgebraucht sind, nicht so voll von fr¸heren Mietern wie diese hier. Zuerst war es mir wirklich schwer, den Kopf in diesen Lehnstuhl zu legen; es ist da nâ°mlich eine gewisse schmierig-graue Mulde in seinem gr¸nen Bezug, in die alle KËpfe zu passen scheinen. Lâ°ngere Zeit gebrauchte ich die Vorsicht, ein Taschentuch unter meine Haare zu legen, aber jetzt bin ich zu m¸de dazu; ich habe gefunden, daï¬ es auch so geht und daï¬ die kleine Vertiefung genau f¸r meinen Hinterkopf gemacht ist, wie nach Maï¬. Aber ich w¸rde mir, wenn ich nicht arm wâ°re, vor allem einen guten Ofen kaufen, und ich w¸rde das reine, starke Holz heizen, welches aus dem Gebirge kommt, und nicht diese trostlosen tÃtes-de-moineau, deren Dunst das Atmen so bang macht und den Kopf so wirr. Und dann m¸ï¬te jemand da sein, der ohne grobes Gerâ°usch aufrâ°umt und der das Feuer besorgt, wie ich es brauche; denn oft, wenn ich eine Viertelstunde vor dem Ofen knien muï¬ und r¸tteln, die Stirnhaut gespannt von der nahen Glut und mit Hitze in den offenen Augen, gebe ich alles aus, was ich f¸r den Tag an Kraft habe, und wenn ich dann unter die Leute komme, haben sie es nat¸rlich leicht. Ich w¸rde manchmal, wenn groï¬es Gedrâ°nge ist, einen Wagen nehmen, vorbeifahren, ich w¸rde tâ°glich in einem Duval essen… und nicht mehr in die CrÃmerien kriechen… Ob er wohl auch in einem Duval gewesen wâ°re? Nein. Dort hâ°tte er nicht auf mich warten d¸rfen. Sterbende lâ°ï¬t man nicht hinein. Sterbende? Ich sitze ja jetzt in meiner Stube; ich kann ja versuchen, ruhig ¸ber das nachzudenken, was mir begegnet ist. Es ist gut, nichts im Ungewissen zu lassen. Also ich trat ein und sah zuerst nur, daï¬ der Tisch, an dem ich Ëfters zu sitzen pflegte, von jemandem anderen eingenommen war. Ich gr¸ï¬te nach dem kleinen Buffet hin, bestellte und setzte mich nebenan. Aber da f¸hlte ich ihn, obwohl er sich nicht r¸hrte. Gerade seine Regungslosigkeit f¸hlte ich und begriff sie mit einem Schlage. Die Verbindung zwischen uns war hergestellt, und ich wuï¬te, daï¬ er erstarrt war vor Entsetzen. Ich wuï¬te, daï¬ das Entsetzen ihn gelâ°hmt hatte, Entsetzen ¸ber etwas, was in ihm geschah. Vielleicht brach ein Gefâ°ï¬ in ihm, vielleicht trat ein Gift, das er lange gef¸rchtet hatte, gerade jetzt in seine Herzkammer ein, vielleicht ging ein groï¬es Geschw¸r auf in seinem Gehirn wie eine Sonne, die ihm die Welt verwandelte. Mit unbeschreiblicher Anstrengung zwang ich mich, nach ihm hinzusehen, denn ich hoffte noch, daï¬ alles Einbildung sei. Aber es geschah, daï¬ ich aufsprang und hinausst¸rzte; denn ich hatte mich nicht geirrt. Er saï¬ da in einem dicken, schwarzen Wintermantel, und sein graues, gespanntes Gesicht hing tief in ein wollenes Halstuch. Sein Mund war geschlossen, als wâ°re er mit groï¬er Wucht zugefallen, aber es war nicht mËglich zu sagen, ob seine Augen noch schauten: beschlagene, rauchgraue Brillenglâ°ser lagen davor und zitterten ein wenig. Seine Nasenfl¸gel waren aufgerissen, und das lange Haar ¸ber seinen Schlâ°fen, aus denen alles weggenommen war, welkte wie in zu groï¬er Hitze. Seine Ohren waren lang, gelb, mit groï¬en Schatten hinter sich. Ja, er wuï¬te, daï¬ er sich jetzt von allem entfernte, nicht nur von den Menschen. Ein Augenblick noch, und alles wird seinen Sinn verloren haben, und dieser Tisch und die Tasse und der Stuhl, an den er sich klammert, alles Tâ°gliche und Nâ°chste wird unverstâ°ndlich geworden sein, fremd und schwer. So saï¬ er da und wartete, bis es geschehen sein w¸rde. Und wehrte sich nicht mehr.
Und ich wehre mich noch. Ich wehre mich, obwohl ich weiï¬, daï¬ mir das Herz schon heraushâ°ngt und daï¬ ich doch nicht mehr leben kann, auch wenn meine Quâ°ler jetzt von mir ablieï¬en. Ich sage mir: es ist nichts geschehen, und doch habe ich jenen Mann nur begreifen kËnnen, weil auch in mir etwas vor sich geht, das anfâ°ngt, mich von allem zu entfernen und abzutrennen. Wie graute mir immer, wenn ich von einem Sterbenden sagen hËrte: er konnte schon niemanden mehr erkennen. Dann stellte ich mir ein einsames Gesicht vor, das sich aufhob aus Kissen und suchte, nach etwas Bekanntem suchte, nach etwas schon einmal Gesehenem suchte, aber es war nichts da. Wenn meine Furcht nicht so groï¬ wâ°re, so w¸rde ich mich damit trËsten, daï¬ es nicht unmËglich ist, alles anders zu sehen und doch zu leben. Aber ich f¸rchte mich, ich f¸rchte mich namenlos vor dieser Verâ°nderung. Ich bin ja noch gar nicht in dieser Welt eingewËhnt gewesen, die mir gut scheint. Was soll ich in einer anderen? Ich w¸rde so gerne unter den Bedeutungen bleiben, die mir lieb geworden sind, und wenn schon etwas sich verâ°ndern muï¬, so mËchte ich doch wenigstens unter den Hunden leben d¸rfen, die eine verwandte Welt haben und dieselben Dinge.
Noch eine Weile kann ich das alles aufschreiben und sagen. Aber es wird ein Tag kommen, da meine Hand weit von mir sein wird, und wenn ich sie schreiben heiï¬en werde, wird sie Worte schreiben, die ich nicht meine. Die Zeit der anderen Auslegung wird anbrechen, und es wird kein Wort auf dem anderen bleiben, und jeder Sinn wird wie Wolken sich auflËsen und wie Wasser niedergehen. Bei aller Furcht bin ich schlieï¬lich doch wie einer, der vor etwas Groï¬em steht, und ich erinnere mich, daï¬ es fr¸her oft â°hnlich in mir war, eh ich zu schreiben begann. Aber diesmal werde ich geschrieben werden. Ich bin der Eindruck, der sich verwandeln wird. Oh, es fehlt nur ein kleines, und ich kËnnte das alles begreifen und gutheiï¬en. Nur ein Schritt, und mein tiefes Elend w¸rde Seligkeit sein. Aber ich kann diesen Schritt nicht tun, ich bin gefallen und kann mich nicht mehr aufheben, weil ich zerbrochen bin. Ich habe ja immer noch geglaubt, es kËnnte eine H¸lfe kommen. Da liegt es vor mir in meiner eigenen Schrift, was ich gebetet habe, Abend f¸r Abend. Ich habe es mir aus den B¸chern, in denen ich es fand, abgeschrieben, damit es mir ganz nahe wâ°re und aus meiner Hand entsprungen wie Eigenes. Und ich will es jetzt noch einmal schreiben, hier vor meinem Tisch kniend will ich es schreiben; denn so habe ich es lâ°nger, als wenn ich es lese, und jedes Wort dauert an und hat Zeit zu verhallen.
‘MÃcontent de tous et mÃcontent de moi, je voudrais bien me racheter et m’enorgueillir un peu dans le silence et la solitude de la nuit. ¬mes de ceux que j’ai aimÃs, âmes de ceux que j’ai chantÃs, fortifiez-moi, soutenez-moi, Ãloignez de moi le mensonge et les vapeurs corruptrices du monde; et vous, Seigneur mon Dieu! accordez-moi la grâce de produire quelques beaux vers qui me prouvent â¡ moi-mÃme que je ne suis pas le dernier des hommes, que je ne suis pas infÃrieur â¡ ceux que je mÃprise.’
‘Die Kinder loser und verachteter Leute, die die Geringsten im Lande waren. Nun bin ich ihr Saitenspiel worden und muï¬ ihr Mâ°rlein sein.
… sie haben ¸ber mich einen Weg gemacht…
… es war ihnen so leicht, mich zu beschâ°digen, daï¬ sie keiner H¸lfe dazu durften.
… nun aber geuï¬et sich aus meiner Seele ¸ber mich, und mich hat ergriffen die elende Zeit.
Des Nachts wird mein Gebein durchbohret allenthalben; und die mich jagen, legen sich nicht schlafen.
Durch die Menge der Kraft werde ich anders und anders gekleidet; und man g¸rtet mich damit wie mit dem Loch meines Rocks…
Meine Eingeweide sieden und hËren nicht auf; mich hat ¸berfallen die elende Zeit…
Meine Harfe ist eine Klage worden, und meine Pfeife ein Weinen.’
Der Arzt hat mich nicht verstanden. Nichts. Es war ja auch schwer zu erzâ°hlen. Man wollte einen Versuch machen mit dem Elektrisieren. Gut. Ich bekam einen Zettel: ich sollte um ein Uhr in der SalpÃtrÃre sein. Ich war dort. Ich muï¬te lange an verschiedenen Baracken vor¸ber, durch mehrere HËfe gehen, in denen da und dort Leute mit weiï¬en Hauben wie Strâ°flinge unter den leeren Bâ°umen standen. Endlich kam ich in einen langen, dunklen, gangartigen Raum, der auf der einen Seite vier Fenster aus mattem, gr¸nlichem Glase hatte, eines vom anderen durch eine breite, schwarze Zwischenwand getrennt. Davor lief eine Holzbank hin, an allem vorbei, und auf dieser Bank saï¬en sie, die mich kannten, und warteten. Ja, sie waren alle da. Als ich mich an die Dâ°mmerung des Raumes gewËhnt hatte, merkte ich, daï¬ unter denen, welche Schulter an Schulter in endloser Reihe dasaï¬en, auch einige andere Leute sein konnten, kleine Leute, Handwerker, Bedienernnen und Lastkutscher. Unten an der Schmalseite des Ganges auf besonderen St¸hlen hatten sich zwei dicke Frauen ausgebreitet, die sich unterhielten, vermutlich Conciergen. Ich sah nach der Uhr; es war f¸nf Minuten vor Eins. Nun in f¸nf, sagen wir in zehn Minuten, muï¬te ich drankommen; es war also nicht so schlimm. Die Luft war schlecht, schwer, voll Kleider und Atem. An einer gewissen Stelle schlug die starke, steigernde K¸hle von Æther aus einer T¸rspalte. Ich begann auf und ab zu gehen. Es kam mir in den Sinn, daï¬ man mich hierher gewiesen hatte, unter diese Leute, in diese ¸berf¸llte, allgemeine Sprechstunde. Es war sozusagen die erste Ëffentliche Bestâ°tigung, daï¬ ich zu den Fortgeworfenen gehËrte; hatte der Arzt es mir angesehen? Aber ich hatte meinen Besuch in einem leidlich guten Anzuge gemacht, ich hatte meine Karte hineingeschickt. Trotzdem, er muï¬te es irgendwie erfahren haben, vielleicht hatte ich mich selbst verraten. Nun, da es einmal Tatsache war, fand ich es auch gar nicht so arg; die Leute saï¬en still und achteten nicht auf mich. Einige hatten Schmerzen und schwenkten ein wenig das eine Bein, um sie leichter auszuhalten. Verschiedene Mâ°nner hatten den Kopf in die flachen Hâ°nde gelegt, andere schliefen tief mit schweren, versch¸tteten Gesichtern. Ein dicker Mann mit rotem, angeschwollenem Halse saï¬ vor¸bergebeugt da, stierte auf den Fuï¬boden und spie von Zeit zu Zeit klatschend auf einen Fleck, der ihm dazu passend schien. Ein Kind schluchzte in einer Ecke; die langen magern Beine hatte es zu sich auf die Bank gezogen, und nun hielt es sie umfaï¬t und an sich gepreï¬t, als m¸ï¬te es von ihnen Abschied nehmen. Eine kleine, blasse Frau, der ein mit runden, schwarzen Blumen geputzter Krepphut schief auf den Haaren saï¬, hatte die Grimasse eines Lâ°chelns um die d¸rftigen Lippen, aber ihre wunden Lider gingen bestâ°ndig ¸ber. Nicht weit von ihr hatte man ein Mâ°dchen hingesetzt mit rundem glatten Gesicht und herausgedrâ°ngten Augen, die ohne Ausdruck waren; sein Mund stand offen, so daï¬ man das weiï¬e, schleimige Zahnfleisch sah mit den alten, verk¸mmerten Zâ°hnen. Und viele Verbâ°nde gab es. Verbâ°nde, die den ganzen Kopf Schichte um Schichte umzogen, bis nur noch ein einziges Auge da war, das niemandem mehr gehËrte. Verbâ°nde, die verbargen, und Verbâ°nde, die zeigten, was darunter war. Verbâ°nde, die man geËffnet hatte und in denen nun, wie in einem schmutzigen Bett, eine Hand lag, die keine mehr war; und ein eingebundenes Bein, das aus der Reihe herausstand, groï¬ wie ein ganzer Mensch. Ich ging auf und ab und gab mir M¸he, ruhig zu sein. Ich beschâ°ftigte mich viel mit der gegen¸berliegenden Wand. Ich bemerkte, daï¬ sie eine Anzahl einfl¸geliger T¸ren enthielt und nicht bis an die Decke reichte, so daï¬ dieser Gang von den Râ°umen, die daneben liegen muï¬ten, nicht ganz abgetrennt war. Ich sah nach der Uhr; ich war eine Stunde auf und ab gegangen. Eine Weile spâ°ter kamen die Ærzte. Zuerst ein paar junge Leute, die mit gleichg¸ltigen Gesichtern vorbeigingen, schlieï¬lich der, bei dem ich gewesen war, in lichten Handschuhen, Chapeau â°huit reflets, tadellosem â¹berzieher. Als er mich sah, hob er ein wenig den Hut und lâ°chelte zerstreut. Ich hatte nun Hoffnung, gleich gerufen zu werden, aber es verging wieder eine Stunde. Ich kann mich nicht erinnern, womit ich sie verbrachte. Sie verging. Ein alter Mann kam in einer fleckigen Sch¸rze, eine Art Wâ°rter, und ber¸hrte mich an der Schulter. Ich trat in eines der Nebenzimmer. Der Arzt und die jungen Leute saï¬en um einen Tisch und sahen mich an, man gab mir einen Stuhl. So. Und nun sollte ich erzâ°hlen, wie das eigentlich mit mir wâ°re. MËglichst kurz, s’il vous plaÃt. Denn viel Zeit hâ°tten die Herren nicht. Mir war seltsam zumut. Die jungen Leute saï¬en und sahen mich an mit jener ¸berlegenen, fachlichen Neugier, die sie gelernt hatten. Der Arzt, den ich kannte, strich seinen schwarzen Spitzbart und lâ°chelte zerstreut. Ich dachte, daï¬ ich in Weinen ausbrechen w¸rde, aber ich hËrte mich franzËsisch sagen: “Ich hatte bereits die Ehre, Ihnen, mein Herr, alle Ausk¸nfte zu geben, die ich geben kann. Halten Sie es f¸r nËtig, daï¬ diese Herren eingeweiht werden, so sind Sie nach unserer Unterredung gewiï¬ imstande, dies mit einigen Worten zu tun, wâ°hrend es mir sehr schwer fâ°llt.” Der Arzt erhob sich mit hËflichem Lâ°cheln, trat mit den Assistenten ans Fenster und sagte ein paar Worte, die er mit einer waagerechten, schwankenden Handbewegung begleitete. Nach drei Minuten kam einer von den jungen Leuten, kurzsichtig und fahrig, an den Tisch zur¸ck und sagte, indem er versuchte, mich strenge anzusehen: “Sie schlafen gut, mein Herr?” “Nein, schlecht.” Worauf er wieder zu der Gruppe zur¸ck sprang. Dort verhandelte man noch eine Weile, dann wandte sich der Arzt an mich und teilte mir mit, daï¬ man mich rufen lassen w¸rde. Ich erinnerte ihn, daï¬ ich auf ein Uhr bestellt worden sei. Er lâ°chelte und machte ein paar schnelle, sprunghafte Bewegungen mit seinen kleinen weiï¬en Hâ°nden, die bedeuten wollten, daï¬ er ungemein beschâ°ftigt sei. Ich kehrte also in meinen Gang zur¸ck, in dem die Luft viel lastender geworden war, und fing wieder an, hin und her zu gehen, obwohl ich mich todm¸de f¸hlte. Schlieï¬lich machte der feuchte, angehâ°ufte Geruch mich schwindlig; ich blieb an der Eingangst¸r stehen und Ëffnete sie ein wenig. Ich sah, daï¬ drauï¬en noch Nachmittag und etwas Sonne war, und das tat mir unsagbar wohl. Aber ich hatte kaum eine Minute so gestanden, da hËrte ich, daï¬ man mich rief. Eine Frauenperson, die zwei Schritte entfernt bei einem kleinen Tische saï¬, zischte mir etwas zu. Wer mich geheiï¬en hâ°tte, die T¸re Ëffnen. Ich sagte, ich kËnnte die Luft nicht vertragen. Gut, das sei meine Sache, aber die T¸re m¸sse geschlossen bleiben. Ob es denn nicht anginge, ein Fenster aufzumachen. Nein, das sei verboten. Ich beschloï¬, das Aufundabgehen wieder aufzunehmen, weil es schlieï¬lich eine Art Betâ°ubung war und niemanden krâ°nkte. Aber der Frau an dem kleinen Tische miï¬fiel jetzt auch das. Ob ich denn keinen Platz hâ°tte. Nein, den hâ°tte ich nicht. Das Herumgehen sei aber nicht gestattet; ich m¸ï¬te mir einen Platz suchen. Es w¸rde schon noch einer da sein. Die Frau hatte recht. Es fand sich wirklich sogleich ein Platz neben dem Mâ°dchen mit den herausdrâ°ngenden Augen. Da saï¬ ich nun in dem Gef¸hle, daï¬ dieser Zustand unbedingt auf etwas F¸rchterliches vorbereiten m¸sse. Links war also das Mâ°dchen mit dem faulenden Zahnfleisch; was rechts von mir war, konnte ich erst nach einer Weile erkennen. Es war eine ungeheuere, unbewegliche Masse, die ein Gesicht hatte und eine groï¬e, schwere, reglose Hand. Die Seite des Gesichtes, die ich sah, war leer, ganz ohne Z¸ge und ohne Erinnerungen, und es war un heimlich, daï¬ der Anzug wie der einer Leiche war, die man f¸r den Sarg angekleidet hatte. Die schmale, schwarze Halsbinde war in derselben losen unpersËnlichen Weise um den Kragen geschnallt, und dem Rock sah man es an, daï¬ er von anderen ¸ber diesen willenlosen KËrper gezogen worden war. Die Hand hatte man auf diese Hose gelegt, dorthin wo sie lag, und sogar das Haar war wie von Leichenwâ°scherinnen gekâ°mmt und war, wie das Haar ausgestopfter Tiere, steif geordnet. Ich betrachtete das alles mit Aufmerksamkeit, und es fiel mir ein, daï¬ dies also der Platz sei, der f¸r mich bestimmt gewesen war, denn ich glaubte nun endlich an diejenige Stelle meines Lebens gekommen zu sein, an der ich bleiben w¸rde. Ja, das Schicksal geht wunderbare Wege.
PlËtzlich erhoben sich ganz in der Nâ°he rasch hintereinander die erschreckten, abwehrenden Schreie eines Kindes, denen ein leises, zugehaltenes Weinen folgte. Wâ°hrend ich mich anstrengte, herauszufinden, wo das kËnnte gewesen sein, verzitterte wieder ein kleiner, unterdr¸ckter Schrei, und ich hËrte Stimmen, die fragten, eine Stimme, die halblaut befahl, und dann schnurrte irgend eine gleichg¸ltige Maschine los und k¸mmerte sich um nichts. Jetzt erinnerte ich mich jener halben Wand, und es war mir klar, daï¬ das alles von jenseits der T¸ren kam und daï¬ man dort an der Arbeit war. Wirklich erschien von Zeit zu Zeit der Wâ°rter mit der fleckigen Sch¸rze und winkte. Ich dachte gar nicht mehr daran, daï¬ er mich meinen kËnnte. Galt es mir? Nein. Zwei Mâ°nner waren da mit einem Rollstuhl; sie hoben die Masse hinein, und ich sah jetzt, daï¬ es ein alter, lahmer Mann war, der noch eine andere, kleinere, vom Leben abgenutzte Seite hatte mit einem offenen, tr¸ben, traurigen Auge. Sie fuhren ihn hinein, und neben mir entstand eine Menge Platz. Und ich saï¬ und dachte, was sie wohl dem blËden Mâ°dchen tun wollten und ob es auch schreien w¸rde. Die Maschinen dahinten schnurrten so angenehm fabrikmâ°ï¬ig, es hatte gar nichts Beunruhigendes.
PlËtzlich aber war alles still, und in die Stille sagte eine ¸berlegene, selbstgefâ°llige Stimme, die ich zu kennen glaubte:
“Riez!” Pause. “Riez. Mais riez, riez.” Ich lachte schon. Es war unerklâ°rlich, weshalb der Mann da dr¸ben nicht lachen wollte. Eine Maschine ratterte los, verstummte aber sofort wieder, Worte wurden gewechselt, dann erhob sich wieder dieselbe energische Stimme und befahl: “Dites-nous le mot: avant.” Buchstabierend: “a-v-a-n-t”… Stille. “On n’entend rien. Encore une fois:… ”
Und da, als es dr¸ben so warm und schwammig lallte: da zum erstenmal seit vielen, vielen Jahren war es wieder da. Das, was mir das erste, tiefe Entsetzen eingejagt hatte, wenn ich als Kind im Fieber lag: das Groï¬e. Ja, so hatte ich immer gesagt, wenn sie alle um mein Bett standen und mir den Puls f¸hlten und mich fragten, was mich erschreckt habe: Das Groï¬e. Und wenn sie den Doktor holten und er war da und redete mir zu, so bat ich ihn, er mËchte nur machen, daï¬ das Groï¬e wegginge, alles andere wâ°re nichts. Aber er war wie die andern. Er konnte es nicht fortnehmen, obwohl ich damals doch klein war und mir leicht zu helfen gewesen wâ°re. Und jetzt war es wieder da. Es war spâ°ter einfach ausgeblieben, auch in Fiebernâ°chten war es nicht wiedergekommen, aber jetzt war es da, obwohl ich kein Fieber hatte. Jetzt war es da. Jetzt wuchs es aus mir heraus wie eine Geschwulst, wie ein zweiter Kopf, und war ein Teil von mir, obwohl es doch gar nicht zu mir gehËren konnte, weil es so groï¬ war. Es war da, wie ein groï¬es totes Tier, das einmal, als es noch lebte, meine Hand gewesen war oder mein Arm. Und mein Blut ging durch mich und durch es, wie durch einen und denselben KËrper. Und mein Herz muï¬te sich sehr anstrengen, um das Blut in das Groï¬e zu treiben: es war fast nicht genug Blut da. Und das Blut trat ungern ein in das Groï¬e und kam krank und schlecht zur¸ck. Aber das Groï¬e schwoll an und wuchs mir vor das Gesicht wie eine warme blâ°uliche Beule und wuchs mir vor den Mund, und ¸ber meinem letzten Auge war schon der Schatten von seinem Rande.
Ich kann mich nicht erinnern, wie ich durch die vielen HËfe hinausgekommen war. Es war Abend, und ich verirrte mich in der fremden Gegend und ging Boulevards mit endlosen Mauern in einer Richtung hinauf und, wenn dann kein Ende da war, in der entgegengesetzten Richtung zur¸ck bis an irgendeinen Platz. Dort begann ich eine Straï¬e zu gehen, und es kamen andere Straï¬en, die ich nie gesehen hatte, und wieder andere. Elektrische Bahnen rasten manchmal ¸berhell und mit hartem, klopfendem Gelâ°ute heran und vorbei. Aber auf ihren Tafeln standen Namen, die ich nicht kannte. Ich wuï¬te nicht, in welcher Stadt ich war und ob ich hier irgendwo eine Wohnung hatte und was ich tun muï¬te, um nicht mehr gehen zu m¸ssen.
Und jetzt auch noch diese Krankheit, die mich immer schon so eigent¸mlich ber¸hrt hat. Ich bin sicher, daï¬ man sie unterschâ°tzt. Genau wie man die Bedeutung anderer Krankheiten ¸bertreibt. Diese Krankheit hat keine bestimmten Eigenheiten, sie nimmt die Eigenheiten dessen an, den sie ergreift. Mit einer somnambulen Sicherheit holt sie aus einem jeden seine tiefste Gefahr heraus, die vergangen schien, und stellt sie wieder vor ihn hin, ganz nah, in die nâ°chste Stunde. Mâ°nner, die einmal in der Schulzeit das h¸lflose Laster versucht haben, dessen betrogene Vertraute die armen, harten Knabenhâ°nde sind, finden sich wieder dar¸ber, oder es fâ°ngt eine Krankheit, die sie als Kinder ¸berwunden haben, wieder in ihnen an; oder eine verlorene Gewohnheit ist wieder da, ein gewisses zËgerndes Wenden des Kopfes, das ihnen vor Jahren eigen war. Und mit dem, was kommt, hebt sich ein ganzes Gewirr irrer Erinnerungen, das daranhâ°ngt wie nasser Tang an einer versunkenen Sache. Leben, von denen man nie erfahren hâ°tte, tauchen empor und mischen sich unter das, was wirklich gewesen ist, und verdrâ°ngen Vergangenes, das man zu kennen glaubte: denn in dem, was aufsteigt, ist eine ausgeruhte, neue Kraft, das aber, was immer da war, ist m¸de von zu oftem Erinnern.
Ich liege in meinem Bett, f¸nf Treppen hoch, und mein Tag, den nichts unterbricht, ist wie ein Zifferblatt ohne Zeiger. Wie ein Ding, das lange verloren war, eines Morgens auf seiner Stelle liegt, geschont und gut, neuer fast als zur Zeit des Verlustes, ganz als ob es bei irgend jemandem in Pflege gewesen wâ°re–: so liegt da und da auf meiner Bettdecke Verlorenes aus der Kindheit und ist wie neu. Alle verlorenen Ængste sind wieder da.
Die Angst, daï¬ ein kleiner Wollfaden, der auf dem Saum der Decke heraussteht, hart sei, hart und scharf wie eine stâ°hlerne Nadel; die Angst, daï¬ dieser kleine Knopf meines Nachthemdes grËï¬er sei als mein Kopf, groï¬ und schwer; die Angst, daï¬ dieses Kr¸mchen Brot, das jetzt von meinem Bette fâ°llt, glâ°sern und zerschlagen unten ankommen w¸rde, und die dr¸ckende Sorge, daï¬ damit eigentlich alles zerbrochen sei, alles f¸r immer; die Angst, daï¬ der Streifen Rand eines aufgerissenen Briefes etwas Verbotenes sei, das niemand sehen d¸rfe, etwas unbeschreiblich Kostbares, f¸r das keine Stelle in der Stube sicher genug sei; die Angst, daï¬ ich, wenn ich einschliefe, das St¸ck Kohle verschlucken w¸rde, das vor dem Ofen liegt; die Angst, daï¬ irgendeine Zahl in meinem Gehirn zu wachsen beginnt, bis sie nicht mehr Raum hat in mir; die Angst, daï¬ das Granit sei, worauf ich liege, grauer Granit; die Angst, daï¬ ich schreien kËnnte und daï¬ man vor meiner T¸re zusammenliefe und sie schlieï¬lich aufbrâ°che, die Angst, daï¬ ich mich verraten kËnnte und alles das sagen, wovor ich mich f¸rchte, und die Angst, daï¬ ich nichts sagen kËnnte, weil alles unsagbar ist,–und die anderen Ængste… die Ængste.
Ich habe um meine Kindheit gebeten, und sie ist wiedergekommen, und ich f¸hle, daï¬ sie immer noch so schwer ist wie damals und daï¬ es nichts gen¸tzt hat, â°lter zu werden.
Gestern war mein Fieber besser, und heute fâ°ngt der Tag wie Fr¸hling an, wie Fr¸hling in Bildern. Ich will versuchen, auszugehen in die BibliothÃque Nationale zu meinem Dichter, den ich so lange nicht gelesen habe, und vielleicht kann ich spâ°ter langsam durch die Gâ°rten gehen. Vielleicht ist Wind ¸ber dem groï¬en Teich, der so wirkliches Wasser hat, und es kommen Kinder, die ihre Schiffe mit den roten Segeln hineinlassen und zuschauen.
Heute habe ich es nicht erwartet, ich bin so mutig ausgegangen, als wâ°re das das Nat¸rlichste und Einfachste. Und doch, es war wieder etwas da, das mich nahm wie Papier, mich zusammenkn¸llte und fortwarf, es war etwas UnerhËrtes da.
Der Boulevard St-Michel war leer und weit, und es ging sich leicht auf seiner leisen Neigung. Fensterfl¸gel oben Ëffneten sich mit glâ°sernem Aufklang, und ihr Glâ°nzen flog wie ein weiï¬er Vogel ¸ber die Straï¬e. Ein Wagen mit hellroten Râ°dern kam vor¸ber, und weiter unten trug jemand etwas Lichtgr¸nes. Pferde liefen in blinkernden Geschirren auf dem dunkel gespritzten Fahrdamm, der rein war. Der Wind war erregt, neu, mild, und alles stieg auf: Ger¸che, Rufe, Glocken.
Ich kam an einem der CafÃhâ°user vorbei, in denen am Abend die falschen roten Zigeuner spielen. Aus den offenen Fenstern kroch mit schlechtem Gewissen die ¸bernâ°chtige Luft. Glattgekâ°mmte Kellner waren dabei, vor der T¸re zu scheuern. Der eine stand geb¸ckt und warf, handvoll nach handvoll, gelblichen Sand unter die Tische. Da stieï¬ ihn einer von den Vor¸bergehenden an und zeigte die Straï¬e hinunter. Der Kellner, der ganz rot im Gesicht war, schaute eine Weile scharf hin, dann verbreitete sich ein Lachen auf seinen bartlosen Wangen, als wâ°re es darauf versch¸ttet worden. Er winkte den andern Kellnern, drehte das lachende Gesicht ein paarmal schnell von rechts nach links, um alle herbeizurufen und selbst nichts zu versâ°umen. Nun standen alle und blickten hinuntersehend oder -suchend, lâ°chelnd oder â°rgerlich, daï¬ sie noch nicht entdeckt hatten, was Lâ°cherliches es gâ°be.
Ich f¸hlte, daï¬ ein wenig Angst in mir anfing. Etwas drâ°ngte mich auf die andere Seite hin¸ber; aber ich begann nur schneller zu gehen und ¸berblickte unwillk¸rlich die wenigen Leute vor mir, an denen ich nichts Besonderes bemerkte. Doch ich sah, daï¬ der eine, ein Laufbursche mit einer blauen Sch¸rze und einem leeren Henkelkorb ¸ber der einen Schulter, jemandem nachschaute. Als er genug hatte, drehte er sich auf derselben Stelle nach den Hâ°usern um und machte zu einem lachenden Kommis hin¸ber die schwankende Bewegung vor der Stirne, die allen gelâ°ufig ist. Dann blitzte er mit den schwarzen Æugen und kam mir befriedigt und sich wiegend entgegen.
Ich erwartete, sobald mein Auge Raum hatte, irgendeine ungewËhnliche und auffallende Figur zu sehen, aber es zeigte sich, daï¬ vor mir niemand ging, als ein groï¬er hagerer Mann in einem dunklen â¹berzieher und mit einem weichen, schwarzen Hut auf dem kurzen, fahlblonden Haar. Ich vergewisserte mich, daï¬ weder an der Kleidung, noch in dem Benehmen dieses Mannes etwas Lâ°cherliches sei, und versuchte schon, an ihm vor¸ber den Boulevard hinunter zu schauen, als er ¸ber irgend etwas stolperte. Da ich nahe hinter ihm folgte, nahm ich mich in acht, aber als die Stelle kam, war da nichts, rein nichts. Wir gingen beide weiter, er und ich, der Abstand zwischen uns blieb derselbe. Jetzt kam ein Straï¬en¸bergang, und da geschah es, daï¬ der Mann vor mir mit ungleichen Beinen die Stufen des Gangsteigs hinunterh¸pfte in der Art etwa, wie Kinder manchmal wâ°hrend des Gehens aufh¸pfen oder springen, wenn sie sich freuen. Auf den jenseitigen Gangsteig kam er einfach mit einem langen Schritt hinauf. Aber kaum war er oben, zog er das eine Bein ein wenig an und h¸pfte auf dem anderen einmal hoch und gleich darauf wieder und wieder. Jetzt konnte man diese plËtzliche Bewegung wieder ganz gut f¸r ein Stolpern halten, wenn man sich einredete, es wâ°re da eine Kleinigkeit gewesen, ein Kern, die glitschige Schale einer Frucht, irgend etwas; und das Seltsame war, daï¬ der Mann selbst an das Vorhandensein eines Hindernisses zu glauben schien, denn er sah sich jedesmal mit jenem halb â°rgerlichen, halb vorwurfsvollen Blick, den die Leute in solchen Augenblicken haben, nach der lâ°stigen Stelle um. Noch einmal rief mich etwas Warnendes auf die andere Seite der Straï¬e, aber ich folgte nicht und blieb immerfort hinter diesem Manne, indem ich meine ganze Aufmerksamkeit auf seine Beine richtete. Ich muï¬ gestehen, daï¬ ich mich merkw¸rdig erleichtert f¸hlte, als etwa zwanzig Schritte lang jenes H¸pfen nicht wiederkam, aber da ich nun meine Æugen aufhob, bemerkte ich, daï¬ dem Manne ein anderes Ærgernis entstanden war. Der Kragen seines â¹berziehers hatte sich aufgestellt; und wie er sich auch, bald mit einer Hand, bald mit beiden umstâ°ndlich bem¸hte, ihn niederzulegen, es wollte nicht gelingen. Das kam vor. Es beunruhigte mich nicht. Aber gleich darauf gewahrte ich mit grenzenloser Verwunderung, daï¬ in den beschâ°ftigten Hâ°nden dieses Menschen zwei Bewegungen waren: eine heimliche, rasche, mit welcher er den Kragen unmerklich hochklappte, und jene andere ausf¸hrliche, anhaltende, gleichsam ¸bertrieben buchstabierte Bewegung, die das Umlegen des Kragens bewerkstelligen sollte. Diese Beobachtung verwirrte mich so sehr, daï¬ zwei Minuten vergingen, ehe ich erkannte, daï¬ im Halse des Mannes, hinter dem hochgeschobenen â¹berzieher und den nervËs agierenden Hâ°nden dasselbe schreckliche, zweisilbige H¸pfen war, das seine Beine eben verlassen hatte. Von diesem Augenblick an war ich an ihn gebunden. Ich begriff, daï¬ dieses H¸pfen in seinem KËrper herumirrte, daï¬ es versuchte, hier und da auszubrechen. Ich verstand seine Angst vor den Leuten, und ich begann selber vorsichtig zu pr¸fen, ob die Vor¸bergehenden etwas merkten. Ein kalter Stich fuhr mir durch den R¸cken, als seine Beine plËtzlich einen kleinen, zuckenden Sprung machten, aber niemand hatte es gesehen, und ich dachte mir aus, daï¬ auch ich ein wenig stolpern wollte, im Falle jemand aufmerksam wurde. Das wâ°re gewiï¬ ein Mittel, Neugierige glauben zu machen, es hâ°tte da doch ein kleines, unscheinbares Hindernis im Wege gelegen, auf das wir zufâ°llig beide getreten hâ°tten. Aber wâ°hrend ich so auf H¸lfe sann, hatte er selbst einen neuen, ausgezeichneten Ausweg gefunden. Ich habe vergessen zu sagen, daï¬ er einen Stock trug, nun, es war ein einfacher Stock, aus dunklem Holze mit einem schlichten, rund gebogenen Handgriff. Und es war ihm in seiner suchenden Angst in den Sinn gekommen, diesen Stock zunâ°chst mit einer Hand (denn wer weiï¬, wozu die zweite noch nËtig sein w¸rde) auf den R¸cken zu halten, gerade ¸ber die Wirbelsâ°ule, ihn fest ins Kreuz zu dr¸cken und das Ende der runden Kr¸cke in den Kragen zu schieben, so daï¬ man es hart und wie einen Halt hinter dem Halswirbel und dem ersten R¸ckenwirbel sp¸rte. Das war eine Haltung, die nicht auffâ°llig, hËchstens ein wenig ¸berm¸tig war; der unerwartete Fr¸hlingstag konnte das entschuldigen. Niemandem fiel es ein, sich umzusehen, und nun ging es. Es ging vortrefflich. Freilich beim nâ°chsten Straï¬en¸bergange kamen zwei H¸pfer aus, zwei kleine, halbunterdr¸ckte H¸pfer, die vollkommen belanglos waren; und der eine, wirklich sichtbare Sprung war so geschickt angebracht (es lag gerade ein Spritzschlauch quer ¸ber dem Weg), daï¬ nichts zu bef¸rchten war. Ja, noch ging alles gut; von Zeit zu Zeit griff auch die zweite Hand an den Stock und preï¬te ihn fester an, und die Gefahr war gleich wieder ¸berstanden. Ich konnte nichts dagegen tun, daï¬ meine Angst dennoch wuchs. Ich wuï¬te, daï¬, wâ°hrend er ging und mit unendlicher Anstrengung versuchte, gleichg¸ltig und zerstreut auszusehen, das furchtbare Zucken in seinem KËrper sich anhâ°ufte; auch in mir war die Angst, mit der er es wachsen und wachsen f¸hlte, und ich sah, wie er sich an den Stock klammerte, wenn es innen in ihm zu r¸tteln begann. Dann war der Ausdruck dieser Hâ°nde so unerbittlich und streng, daï¬ ich alle Hoffnung in seinen Willen setzte, der groï¬ sein muï¬te. Aber was war da ein Wille. Der Augenblick muï¬te kommen, da seine Kraft zu Ende war, er konnte nicht weit sein. Und ich, der ich hinter ihm herging mit stark schlagendem Herzen, ich legte mein biï¬chen Kraft zusammen wie Geld, und indem ich auf seine Hâ°nde sah, bat ich ihn, er mËchte nehmen, wenn er es brauchte.
Ich glaube, daï¬ er es genommen hat; was konnte ich daf¸r, daï¬ es nicht mehr war.
Auf der Place St-Michel waren viele Fahrzeuge und hin und her eilende Leute, wir waren oft zwischen zwei Wagen und dann holte er Atem und lieï¬ sich ein wenig gehen, wie um auszuruhen, und ein wenig h¸pfte es und nickte ein wenig. Vielleicht war das die List, mit der die gefangene Krankheit ihn ¸berwinden wollte. Der Wille war an zwei Stellen durchbrochen, und das Nachgeben hatte in den besessenen Muskeln einen leisen, lockenden Reiz zur¸ckgelassen und den zwingenden Zweitakt. Aber der Stock war noch an seinem Platz, und die Hâ°nde sahen bËse und zornig aus; so betraten wir die Br¸cke, und es ging. Es ging. Nun kam etwas Unsicheres in den Gang, nun lief er zwei Schritte, und nun stand er. Stand. Die linke Hand lËste sich leise vom Stock ab und hob sich so langsam empor, daï¬ ich sie vor der Luft zittern sah; er schob den Hut ein wenig zur¸ck und strich sich ¸ber die Stirn. Er wandte ein wenig den Kopf, und sein Blick schwankte ¸ber Himmel, Hâ°user und Wasser hin, ohne zu fassen, und dann gab er nach. Der Stock war fort, er spannte die Arme aus, als ob er auffliegen wollte, und es brach aus ihm aus wie eine Naturkraft und bog ihn vor und riï¬ ihn zur¸ck und lieï¬ ihn nicken und neigen und schleuderte Tanzkraft aus ihm heraus unter die Menge. Denn schon waren viele Leute um ihn, und ich sah ihn nicht mehr.
Was hâ°tte es f¸r einen Sinn gehabt, noch irgendwohin zu gehen, ich war leer. Wie ein leeres Papier trieb ich an den Hâ°usern entlang, den Boulevard wieder hinauf.
Ein Briefentwurf.
Ich versuche es, Dir zu schreiben, obwohl es eigentlich nichts giebt nach einem notwendigen Abschied. Ich versuche es dennoch, ich glaube, ich muï¬ es tun, weil ich die Heilige gesehen habe im Pantheon, die einsame, heilige Frau und das Dach und die T¸r und drin die Lampe mit dem bescheidnen Lichtkreis und dr¸ben die schlafende Stadt und den Fluï¬ und die Ferne im Mondschein. Die Heilige wacht ¸ber der schlafenden Stadt. Ich habe geweint. Ich habe geweint, weil das alles auf einmal so unerwartet da war. Ich habe davor geweint, ich wuï¬te mir nicht zu helfen.
Ich bin in Paris, die es hËren freuen sich, die meisten beneiden mich. Sie haben recht. Es ist eine groï¬e Stadt, groï¬, voll merkw¸rdiger Versuchungen. Was mich betrifft, ich muï¬ zugeben, daï¬ ich ihnen in gewisser Beziehung erlegen bin. Ich glaube, es lâ°ï¬t sich nicht anders sagen. Ich bin diesen Versuchungen erlegen, und das hat gewisse Verâ°nderungen zur Folge gehabt, wenn nicht in meinem Charakter, so doch in meiner Weltanschauung, jedenfalls in meinem Leben. Eine vollkommen andere Auffassung aller Dinge hat sich unter diesen Einfl¸ssen in mir herausgebildet, und es sind gewisse Unterschiede da, die mich von den Menschen mehr als alles Bisherige abtrennen. Eine verâ°nderte Welt. Ein neues Leben voll neuer Bedeutungen. Ich habe es augenblicklich etwas schwer, weil alles zu neu ist. Ich bin ein Anfâ°nger in meinen eigenen Verhâ°ltnissen.
Ob es nicht mËglich wâ°re, einmal das Meer zu sehen?
Ja, aber denke nur, ich bildete mir ein, Du kËnntest kommen. Hâ°ttest Du mir vielleicht sagen kËnnen, ob es einen Arzt giebt? Ich habe vergessen, mich danach zu erkundigen. â¹brigens brauche ich es jetzt nicht mehr.
Erinnerst Du Dich an Baudelaires unglaubliches Gedicht ‘Une Charogne’? Es kann sein, daï¬ ich es jetzt verstehe. Abgesehen von der letzten Strophe war er im Recht. Was sollte er tun, da ihm das widerfuhr? Es war seine Aufgabe, in diesem Schrecklichen, scheinbar nur Widerwâ°rtigen das Seiende zu sehen, das unter allem Seienden gilt. Auswahl und Ablehnung giebt es nicht. Hâ°ltst Du es f¸r einen Zufall, daï¬ Flaubert seinen Saint-Julien-l’Hospitalier geschrieben hat? Es kommt mir vor, als wâ°re das das Entscheidende: ob einer es ¸ber sich bringt, sich zu dem Aussâ°tzigen zu legen und ihn zu erwâ°rmen mit der Herzwâ°rme der Liebesnâ°chte, das kann nicht anders als gut ausgehen.
Glaube nur nicht, daï¬ ich hier an Enttâ°uschungen leide, im Gegenteil. Es wundert mich manchmal, wie bereit ich alles Erwartete aufgebe f¸r das Wirkliche, selbst wenn es arg ist.
Mein Gott, wenn etwas davon sich teilen lieï¬e. Aber wâ°re es dann, wâ°re es dann? Nein, es ist nur um den Preis des Alleinseins.
Die Existenz des Entsetzlichen in jedem Bestandteil der Luft. Du atmest es ein mit Durchsichtigem; in dir aber schlâ°gt es sich nieder, wird hart, nimmt spitze, geometrische Formen an zwischen den Organen; denn alles, was sich an Qual und Grauen begeben hat auf den Richt plâ°tzen, in den Folterstuben, den Tollhâ°usern, den Operationssâ°len, unter den Br¸ckenbËgen im Nachherbst: alles das ist von einer zâ°hen Unvergâ°nglichkeit, alles das besteht auf sich und hâ°ngt, eifers¸chtig auf alles Seiende, an seiner schrecklichen Wirklichkeit. Die Menschen mËchten vieles davon vergessen d¸rfen; ihr Schlaf feilt sanft ¸ber solche Furchen im Gehirn, aber Trâ°ume drâ°ngen ihn ab und ziehen die Zeichnungen nach. Und sie wachen auf und keuchen und lassen einer Kerze Schein sich auflËsen in der Finsternis und trinken, wie gezuckertes Wasser, die halbhelle Beruhigung. Aber, ach, auf welcher Kante hâ°lt sich diese Sicherheit. Nur eine geringste Wendung, und schon wieder steht der Blick ¸ber Bekanntes und Freundliches hinaus, und der eben noch so trËstliche Kontur wird deutlicher als ein Rand von Grauen. H¸te dich vor dem Licht, das den Raum hohler macht; sieh dich nicht um, ob nicht vielleicht ein Schatten hinter deinem Aufsitzen aufsteht wie dein Herr. Besser vielleicht, du wâ°rest in der Dunkelheit geblieben und dein unabgegrenztes Herz hâ°tte versucht, all des Ununterscheidbaren schweres Herz zu sein. Nun hast du dich zusammengenommen in dich, siehst dich vor dir aufhËren in deinen Hâ°nden, ziehst von Zeit zu Zeit mit einer ungenauen Bewegung dein Gesicht nach. Und in dir ist beinah kein Raum; und fast stillt es dich, daï¬ in dieser Engheit in dir unmËglich sehr Groï¬es sich aufhalten kann; daï¬ auch das UnerhËrte binnen werden muï¬ und sich beschrâ°nken den Verhâ°ltnissen nach. Aber drauï¬en, drauï¬en ist es ohne Absehen; und wenn es da drauï¬en steigt, so f¸llt es sich auch in dir, nicht in den Gefâ°ï¬en, die teilweise in deiner Macht sind, oder im Phlegma deiner gleichm¸tigen Organe: im Kapillaren nimmt es zu, rËhrig aufwâ°rts gesaugt in die â°uï¬ersten Verâ°stelungen deines zahlloszweigigen Daseins. Dort hebt es sich, dort ¸bersteigt es dich, kommt hËher als dein Atem, auf den du dich hinauffl¸chtest wie auf deine letzte Stelle. Ach, und wohin dann, wohin dann? Dein Herz treibt dich aus dir hinaus, dein Herz ist hinter dir her, und du stehst fast schon auï¬er dir und kannst nicht mehr zur¸ck. Wie ein Kâ°fer, auf den man tritt, so quillst du aus dir hinaus, und dein biï¬chen obere Hâ°rte und Anpassung ist ohne Sinn.
O Nacht ohne Gegenstâ°nde. O stumpfes Fenster hinaus, O sorgsam verschlossene T¸ren; Einrichtungen von alters her, ¸bernommen, beglaubigt, nie ganz verstanden. O Stille im Stiegenhaus. Stille aus den Nebenzimmern, Stille hoch oben an der Decke. O Mutter: o du Einzige, die alle diese Stille verstellt hat, einst in der Kindheit. Die sie auf sich nimmt, sagt: erschrick nicht, ich bin es. Die den Mut hat, ganz in der Nacht diese Stille zu sein f¸r das, was sich f¸rchtet, was verkommt vor Furcht. Du z¸ndest ein Licht an, und schon das Gerâ°usch bist du. Und du hâ°lst es vor dich und sagst: ich bin es, erschrick nicht. Und du stellst es hin, langsam, und es ist kein Zweifel: du bist es, du bist das Licht um die gewohnten herzlichen Dinge, die ohne Hintersinn da sind, gut, einfâ°ltig, eindeutig. Und wenn es unruhigt in der Wand irgendwo, oder einen Schritt macht in den Dielen: so lâ°chelst du nur, lâ°chelst, lâ°chelst durchsichtig auf hellem Grund in das bangsame Gesicht, das an dir forscht, als wâ°rst du eins und unterm Geheimnis mit jedem Halblaut, abgeredet mit ihm und einverstanden. Gleicht eine Macht deiner Macht in der irdischen Herrschaft? Sieh, KËnige liegen und starren, und der Geschichtenerzâ°hler kann sie nicht ablenken. An den seligen Br¸sten ihrer Lieblingin ¸berkriecht sie das Grauen und macht sie schlottrig und lustlos. Du aber kommst und hâ°ltst das Ungeheuere hinter dir und bist ganz und gar vor ihm; nicht wie ein Vorhang, den es da oder da aufschlagen kann. Nein, als hâ°ttest du es ¸berholt auf den Ruf hin, der dich bedurfte. Als wâ°rest du weit allem zuvorgekommen, was kommen kann, und hâ°ttest im R¸cken nur dein Hereilen, deinen ewigen Weg, den Flug deiner Liebe.
Der Mouleur, an dem ich jeden Tag vor¸berkomme, hat zwei Masken neben seiner T¸r ausgehâ°ngt. Das Gesicht der jungen Ertrâ°nkten, das man in der Morgue abnahm, weil es schËn war, weil es lâ°chelte, weil es so tâ°uschend lâ°chelte, als w¸ï¬te es. Und darunter sein wissendes Gesicht. Diesen harten Knoten aus fest zusammengezogenen Sinnen. Diese unerbittliche Selbstverdichtung fortwâ°hrend ausdampfen wollender Musik. Das Antlitz dessen, dem ein Gott das GehËr verschlossen hat, damit es keine Klâ°nge gâ°be, auï¬er seinen. Damit er nicht beirrt w¸rde durch das Tr¸be und Hinfâ°llige der Gerâ°usche. Er, in dem ihre Klarheit und Dauer war; damit nur die tonlosen Sinne ihm Welt eintr¸gen, lautlos, eine gespannte, wartende Welt, unfertig, vor der Erschaffung des Klanges.
Weltvollendender: wie, was als Regen fâ°llt ¸ber die Erde und an die Gewâ°sser, nachlâ°ssig niederfâ°llt, zufâ°llig fallend,–unsichtbarer und froh von Gesetz wieder aufstehend aus allem und steigt und schwebt und die Himmel bildet: so erhob sich aus dir der Aufstieg unserer Niederschlâ°ge und umwËlbte die Welt mit Musik.
Deine Musik: daï¬ sie hâ°tte um die Welt sein d¸rfen; nicht um uns. Daï¬ man dir ein Hammerklavier erbaut hâ°tte in der ThebaÃs; und ein Engel hâ°tte dich hingef¸hrt vor das einsame Instrument, durch die Reihen der W¸stengebirge, in denen KËnige ruhen und Hetâ°ren und Anachoreten. Und er hâ°tte sich hoch geworfen und fort, â°ngstlich, daï¬ du begâ°nnest.
Und dann hâ°ttest du ausgestrËmt, StrËmender, ungehËrt; an das All zur¸ckgebend, was nur das All ertrâ°gt. Die Beduinen wâ°ren in der Ferne vorbeigejagt, aberglâ°ubisch; die Kaufleute aber hâ°tten sich hingeworfen am Rande deiner Musik, als wâ°rst du der Sturm. Einzelne LËwen nur hâ°tten dich weit bei Nacht umkreist, erschrocken vor sich selbst, von ihrem bewegten Blute bedroht.
Denn wer holt dich jetzt aus den Ohren zur¸ck, die l¸stern sind? Wer treibt sie aus den Musiksâ°len, die Kâ°uflichen mit dem unfruchtbaren GehËr, das hurt und niemals empfâ°ngt? Da strahlt Samen aus, und sie halten sich unter wie Dirnen und spielen damit, oder er fâ°llt, wâ°hrend sie daliegen in ihren ungetanen Befriedigungen, wie Samen Onans zwischen sie alle.
Wo aber, Herr, ein Jungfrâ°ulicher unbeschlafenen Ohrs lâ°ge bei deinem Klang: er st¸rbe an Seligkeit oder er tr¸ge Unendliches aus und sein befruchtetes Hirn m¸ï¬te bersten an lauter Geburt.
Ich unterschâ°tze es nicht. Ich weiï¬, es gehËrt Mut dazu. Aber nehmen wir f¸r einen Augenblick an, es hâ°tte ihn einer, diesen Courage de luxe, ihnen nachzugehen, um dann f¸r immer (denn wer kËnnte das wieder vergessen oder verwechseln?) zu wissen, wo sie hernach hineinkriechen und was sie den vielen ¸brigen Tag beginnen und ob sie schlafen bei Nacht. Dies ganz besonders wâ°re festzustellen: ob sie schlafen. Aber mit dem Mut ist es noch nicht getan. Denn sie kommen und gehen nicht wie die ¸brigen Leute, denen zu folgen eine Kleinigkeit wâ°re. Sie sind da und wieder fort, hingestellt und weggenommen wie Bleisoldaten. Es sind ein wenig abgelegene Stellen, wo man sie findet, aber durchaus nicht versteckte. Die B¸sche treten zur¸ck, der Weg wendet sich ein wenig um den Rasenplatz herum: da stehen sie und haben eine Menge durchsichtigen Raumes um sich, als ob sie unter einem Glassturz st¸nden. Du kËnntest sie f¸r nachdenkliche Spaziergâ°nger halten, diese unscheinbaren Mâ°nner von kleiner, in jeder Beziehung bescheidener Gestalt. Aber du irrst. Siehst du die linke Hand, wie sie nach etwas greift in der schiefen Tasche des alten â¹berziehers; wie sie es findet und herausholt und den kleinen Gegenstand linkisch und auffâ°llig in die Luft hâ°lt? Es dauert keine Minute, so sind zwei, drei VËgel da, Spatzen, die neugierig heranh¸pfen. Und wenn es dem Manne gelingt, ihrer sehr genauen Auffassung von Unbeweglichkeit zu entsprechen, so ist kein Grund, warum sie nicht noch nâ°her kommen sollen. Und schlieï¬lich steigt der erste und schwirrt eine Weile nervËs in der HËhe jener Hand, die (weiï¬ Gott) ein kleines St¸ck abgenutzten s¸ï¬en Brotes mit anspruchslosen, ausdr¸cklich verzichtenden Fingern hinbietet. Und je mehr Menschen sich um ihn sammeln, in entsprechendem Abstand nat¸rlich, desto weniger hat er mit ihnen gemein. Wie ein Leuchter steht er da, der ausbrennt, und leuchtet mit dem Rest von Docht und ist ganz warm davon und hat sich nie ger¸hrt. Und wie er lockt, wie er anlockt, das kËnnen die vielen, kleinen, dummen VËgel gar nicht beurteilen. Wenn die Zuschauer nicht wâ°ren und man lieï¬e ihn lange genug dastehen, ich bin sicher, daï¬ auf einmal ein Engel kâ°me und ¸berwâ°nde sich und â°ï¬e den alten, s¸ï¬lichen Bissen aus der verk¸mmerten Hand. Dem sind nun, wie immer, die Leute im Wege. Sie sorgen daf¸r, daï¬ nur VËgel kommen; sie finden das reichlich, und sie behaupten, er erwarte sich nichts anderes. Was sollte sie auch erwarten, diese alte, verregnete Puppe, die ein wenig schrâ°g in der Erde steckt wie die Schiffsfiguren in den kleinen Gâ°rten zuhause; kommt auch bei ihr diese Haltung davon her, daï¬ sie einmal irgendwo vorne gestanden hat auf ihrem Leben, wo die Bewegung am grËï¬ten ist? Ist sie nun so verwaschen, weil sie einmal bunt war? Willst du sie fragen?
Nur die Frauen frag nichts, wenn du eine f¸ttern siehst. Denen kËnnte man sogar folgen; sie tun es so im Vorbeigehen; es wâ°re ein Leichtes. Aber laï¬ sie. Sie wissen nicht, wie es kam. Sie haben auf einmal eine Menge Brot in ihrem Handsack, und sie halten groï¬e St¸cke hinaus aus ihrer d¸nnen Mantille, St¸cke, die ein biï¬chen gekaut sind und feucht. Das tut ihnen wohl, daï¬ ihr Speichel ein wenig in die Welt kommt, daï¬ die kleinen VËgel mit diesem Beigeschmack herumfliegen, wenn sie ihn nat¸rlich auch gleich wieder vergessen.
Da saï¬ ich an deinen B¸chern, Eigensinniger, und versuchte sie zu meinen wie die andern, die dich nicht beisammen lassen und sich ihren Anteil genommen haben, befriedigt. Denn da begriff ich noch nicht den Ruhm, diesen Ëffentlichen Abbruch eines Werdenden, in dessen Bauplatz die Menge einbricht, ihm die Steine verschiebend.
Junger Mensch irgendwo, in dem etwas aufsteigt, was ihn erschauern macht, n¸tz es, daï¬ dich keiner kennt. Und wenn sie dir widersprechen, die dich f¸r nichts nehmen, und wenn sie dich ganz aufgeben, die, mit denen du umgehst, und wenn sie dich ausrotten wollen, um deiner lieben Gedanken willen, was ist diese deutliche Gefahr, die dich zusammenhâ°lt in dir, gegen die listige Feindschaft spâ°ter des Ruhms, die dich unschâ°dlich macht, indem sie dich ausstreut.
Bitte keinen, daï¬ er von dir sprâ°che, nicht einmal verâ°chtlich. Und wenn die Zeit geht und du merkst, wie dein Name herumkommt unter den Leuten, nimm ihn nicht ernster als alles, was du in ihrem Munde findest. Denk: er ist schlecht geworden, und tu ihn ab. Nimm einen andern an, irgendeinen, damit Gott dich rufen kann in der Nacht. Und verbirg ihn vor allen.
Du Einsamster, Abseitiger, wie haben sie dich eingeholt auf deinem Ruhm. Wie lang ist es her, da waren sie wider dich von Grund aus, und jetzt gehen sie mit dir um, wie mit ihresgleichen. Und deine Worte f¸hren sie mit sich in den Kâ°figen ihres D¸nkels und zeigen sie auf den Plâ°tzen und reizen sie ein wenig von ihrer Sicherheit aus. Alle deine schrecklichen Raubtiere.
Da las ich dich erst, da sie mir ausbrachen und mich anfielen in meiner W¸ste, die Verzweifelten. Verzweifelt, wie du selber warst am Schluï¬, du, dessen Bahn falsch eingezeichnet steht in allen Karten. Wie ein Sprung geht sie durch die Himmel, diese hoffnungslose Hyperbel deines Weges, die sich nur einmal heranbiegt an uns und sich entfernt voll Entsetzen. Was lag dir daran, ob eine Frau bleibt oder fortgeht und ob einen der Schwindel ergreift und einen der Wahnsinn und ob Tote lebendig sind und Lebendige scheintot: was lag dir daran? Dies alles war so nat¸rlich f¸r dich; da gingst du durch, wie man durch einen Vorraum geht, und hieltst dich nicht auf. Aber dort weiltest du und warst geb¸ckt, wo unser Geschehen kocht und sich niederschlâ°gt und die Farbe verâ°ndert, innen. Innerer als dort, wo je einer war; eine T¸r war dir aufgesprungen, und nun warst du bei den Kolben im Feuerschein. Dort, wohin du nie einen mitnahmst, Miï¬trauischer, dort saï¬est du und unterschiedest â¹bergâ°nge. Und dort, weil das Aufzeigen dir im Blute war und nicht das Bilden oder das Sagen, dort faï¬test du den ungeheuren Entschluï¬, dieses Winzige, das du selber zuerst nur durch Glâ°ser gewahrtest, ganz allein gleich so zu vergrËï¬ern, daï¬ es vor Tausenden sei, riesig, vor allen. Dein Theater entstand. Du konntest nicht warten, daï¬ dieses fast raumlose von den Jahrhunderten zu Tropfen zusammengepreï¬te Leben von den anderen K¸nsten gefunden und allmâ°hlich versichtbart werde f¸r einzelne, die sich nach und nach zusammenfinden zur Einsicht und die endlich verlangen, gemeinsam die erlauchten Ger¸chte bestâ°tigt zu sehen im Gleichnis der vor ihnen aufgeschlagenen Szene. Dies konntest du nicht abwarten, du warst da, du muï¬test das kaum Meï¬bare: ein Gef¸hl, das um einen halben Grad stieg, den Ausschlagswinkel eines von fast nichts beschwerten Willens, den du ablasest von ganz nah, die leichte Tr¸bung in einem Tropfen Sehnsucht und dieses Nichts von Farbenwechsel in einem Atom von Zutrauen: dieses muï¬test du feststellen und aufbehalten; denn in solchen Vorgâ°ngen war jetzt das Leben, unser Leben, das in uns hineingeglitten war, das sich nach innen zur¸ckgezogen hatte, so tief, daï¬ es kaum noch Vermutungen dar¸ber gab.
So wie du warst, auf das Zeigen angelegt, ein zeitlos tragischer Dichter, muï¬test du dieses Kapillare mit einem Schlag umsetzen in die ¸berzeugendsten Gebâ°rden, in die vorhandensten Dinge. Da gingst du an die beispiellose Gewalttat deines Werkes, das immer ungeduldiger, immer verzweifelter unter dem Sichtbaren nach den Æquivalenten suchte f¸r das innen Gesehene. Da war ein Kaninchen, ein Bodenraum, ein Saal, in dem einer auf und nieder geht: da war ein Glasklirren im Nebenzimmer, ein Brand vor den Fenstern, da war die Sonne. Da war eine Kirche und ein Felsental, das einer Kirche glich. Aber das reichte nicht aus; schlieï¬lich muï¬ten die T¸rme herein und die ganzen Gebirge; und die Lawinen, die die Landschaften begraben, versch¸tteten die mit Greifbarem ¸berladene B¸hne um des Unfaï¬lichen willen. Da konntst du nicht mehr. Die beiden Enden, die du zusammengebogen hattest, schnellten aus einander; deine wahnsinnige Kraft entsprang aus dem elastischen Stab, und dein Werk war wie nicht.
Wer begriffe es sonst, daï¬ du zum Schluï¬ nicht vom Fenster fortwolltest, eigensinnig wie du immer warst. Die Vor¸bergehenden wolltest du sehen; denn es war dir der Gedanke gekommen, ob man nicht eines Tages etwas machen kËnnte aus ihnen, wenn man sich entschlËsse anzufangen.
Damals zuerst fiel es mir auf, daï¬ man von einer Frau nichts sagen kËnne; ich merkte, wenn sie von ihr erzâ°hlten, wie sie sie aussparten, wie sie die anderen nannten und beschrieben, die Umgebungen, die ÷rtlichkeiten, die Gegenstâ°nde bis an eine bestimmte Stelle heran, wo das alles aufhËrte, sanft und gleichsam vorsichtig aufhËrte mit dem leichten, niemals nachgezogenen Kontur, der sie einschloï¬. Wie war sie? fragte ich dann. “Blond, ungefâ°hr wie du”, sagten sie und zâ°hlten allerhand auf, was sie sonst noch wuï¬ten; aber dar¸ber wurde sie wieder ganz ungenau, und ich konnte mir nichts mehr vorstellen. Sehen eigentlich konnte ich sie nur, wenn Maman mir die Geschichte erzâ°hlte, die ich immer wieder verlangte–.–Dann pflegte sie jedesmal, wenn sie zu der Szene mit dem Hunde kam, die Augen zu schlieï¬en und das ganz verschlossene, aber ¸berall durchscheinende Gesicht irgendwie instâ°ndig zwischen ihre beiden Hâ°nde zu halten, die es kalt an den Schlâ°fen ber¸hrten. “Ich hab es gesehen, Malte”, beschwor sie: “Ich hab es gesehen.” Das war schon in ihren letzten Jahren, da ich dies von ihr gehËrt habe. In der Zeit, wo sie niemanden mehr sehen wollte und wo sie immer, auch auf Reisen, das kleine, dichte, silberne Sieb bei sich hatte, durch das sie alle Getrâ°nke seihte. Speisen von fester Form nahm sie nie mehr zu sich,