Briefe aus der Schweiz–Zweite Abteilung by Johann Wolfgang von Goethe
Münster, den 3. October.
Sonntag Abends.
Von Basel erhalten Sie ein Paket, das die Geschichte unsrer bisherigen Reise enthält, indessen wir unsern Zug durch die Schweiz nun ernstlich fortsetzen.
Auf dem Wege nach Biel ritten wir das schöne Birsch-Thal herauf und kamen endlich an den engen Paß der hierher führt.
Durch den Rücken einer hohen und breiten Gebirgkette hat die Birsch, ein mäßiger Fluß, sich einen Weg von Uralters gesucht. Das Bedürfniß mag nachher durch ihre Schluchten ängstlich nachgeklettert sein. Die Römer erweiterten schon den Weg, und nun ist er sehr bequem durchgeführt. Das über Felsstücke rauschende Wasser und der Weg gehen neben einander hin und machen an den meisten Orten die ganze Breite des Passes, der auf beiden Seiten von Felsen beschlossen ist, die ein gemächlich aufgehobenes Auge fassen kann. Hinterwärts heben Gebirge sanft ihre Rücken, deren Gipfel uns vom Nebel bedeckt waren. Bald steigen an einander hängende Wände senkrecht auf, bald streichen gewaltige Lagen schief nach dem Fluß und dem Weg ein, breite Massen sind auf einander gelegt, und gleich daneben stehen scharfe Klippen abgesetzt. Große Klüfte spalten sich aufwärts, und Platten von Mauerstärke haben sich von dem übrigen Gesteine losgetrennt. Einzelne Felsstücke sind herunter gestürzt, andere hängen noch über und lassen nach ihrer Lage fürchten, daß sie dereinst gleichfalls herein kommen werden. Bald rund, bald spitz, bald bewachsen, bald nackt, sind die Firsten der Felsen, wo oft noch oben drüber ein einzelner Kopf kahl und kühn herüber sieht, und an Wänden und in der Tiefe schmiegen sich ausgewitterte Klüfte hinein.
Mir machte der Zug durch diese Enge eine große ruhige Empfindung. Das Erhabene gibt der Seele die schöne Ruhe, sie wird ganz dadurch ausgefüllt, fühlt sich so groß als sie sein kann. Wie herrlich ist ein solches reines Gefühl, wenn es bis gegen den Rand steigt ohne überzulaufen. Mein Auge und meine Seele konnten die Gegenstände fassen, und da ich rein war, diese Empfindung nirgends falsch widerstieß, so wirkten sie was sie sollten. Vergleicht man solch ein Gefühl mit jenem, wenn wir uns mühselig im Kleinen umtreiben, alles aufbieten, diesem so viel als möglich zu borgen und aufzuflicken, und unserm Geist durch seine eigne Creatur Freude und Futter zu bereiten; so sieht man erst, wie ein armseliger Behelf es ist.
Ein junger Mann, den wir von Basel mitnahmen, sagte: es sei ihm lange nicht wie das erstemal, und gab der Neuheit die Ehre. Ich möchte aber sagen: wenn wir einen solchen Gegenstand zum erstenmal erblicken, so weitet sich die ungewohnte Seele erst aus, und es macht dieß ein schmerzlich Vergnügen, eine Überfülle, die die Seele bewegt und uns wollüstige Thränen ablockt. Durch diese Operation wird die Seele in sich größer, ohne es zu wissen, und ist jener ersten Empfindung nicht mehr fähig. Der Mensch glaubt verloren zu haben, er hat aber gewonnen. Was er an Wollust verliert, gewinnt er an innerm Wachsthum. Hätte mich nur das Schicksal in irgend einer großen Gegend heißen wohnen, ich wollte mit jedem Morgen Nahrung der Großheit aus ihr saugen, wie aus einem lieblichen Thal Geduld und Stille. Am Ende der Schlucht stieg ich ab und kehrte einen Theil allein zurück. Ich entwickelte mir noch ein tiefes Gefühl, durch welches das Vergnügen auf einen hohen Grad für den aufmerksamen Geist vermehrt wird. Man ahnet im Dunkeln die Entstehung und das Leben dieser seltsamen Gestalten. Es mag geschehen sein wie und wann es wolle, so haben sich diese Massen, nach der Schwere und Ähnlichkeit ihrer Theile, groß und einfach zusammen gesetzt. Was für Revolutionen sie nachher bewegt, getrennt, gespalten haben, so sind auch diese doch nur einzelne Erschütterungen gewesen, und selbst der Gedanke einer so ungeheuren Bewegung gibt ein hohes Gefühl von ewiger Festigkeit. Die Zeit hat auch, gebunden an die ewigen Gesetze, bald mehr bald weniger auf sie gewirkt.
Sie scheinen innerlich von gelblicher Farbe zu sein; allein das Wetter und die Luft verändern die Oberfläche in Graublau, daß nur hier und da in Streifen und in frischen Spalten die erste Farbe sichtbar ist.
Langsam verwittert der Stein selbst und rundet sich an den Ecken ab, weichere Flecken werden weggezehrt, und so gibt’s gar zierlich ausgeschweifte Höhlen und Löcher, die, wann sie mit scharfen Kanten und Spitzen zusammen treffen, sich seltsam zeichnen. Die Vegetation behauptet ihr Recht; auf jedem Vorsprung, Fläche und Spalt fassen Fichten Wurzel, Moos und Kräuter säumen die Felsen. Man fühlt tief, hier ist nichts Willkürliches, hier wirkt ein alles langsam bewegendes ewiges Gesetz, und nur von Menschenhand ist der bequeme Weg, über den man durch diese seltsamen Gegenden durchschleicht.
Genf, den 27. October.
Die große Bergkette, die von Basel bis Genf Schweiz und Frankreich scheidet, wird, wie Ihnen bekannt ist, der Jura genannt. Die größten Höhen davon ziehen sich über Lausanne bis ungefähr über Rolle und Nyon. Auf diesem höchsten Rücken ist ein merkwürdiges Thal von der Natur eingegraben ich möchte sagen eingeschwemmt, da auf allen diesen Kalkhöhen die Wirkungen der uralten Gewässer sichtbar sind das la Vallée de Joux genannt wird, welcher Name, da Joux in der Landsprache einen Felsen oder Berg bedeutet, deutsch das Bergthal hieße. Eh’ ich zur Beschreibung unsrer Reise fortgehe, will ich mit wenigem die Lage desselben geographisch angeben. Seine Länge streicht, wie das Gebirg selbst, ziemlich von Mittag gegen Mitternacht, und wird an jener Seite von den Septmoncels, an dieser von der Dent de Vaulion, welche nach der Dole der höchste Gipfel des Jura ist, begränzt und hat, nach der Sage des Landes, neun kleine, nach unsrer ungefähren Reiserechnung aber sechs starke Stunden. Der Berg, der es die Länge hin an der Morgenseite begränzt und auch von dem flachen Land herauf sichtbar ist, heißt Le noir Mont. Gegen Abend streicht der Risou hin und verliert sich allmählich gegen die Franche-Comté.
Frankreich und Bern theilen sich ziemlich gleich in dieses Thal, so daß jenes die obere schlechte Hälfte und dieses die untere bessere besitzt, welche letztere eigentlich La Vallée du Lac de Joux genannt wird. Ganz oben in dem Thal, gegen den Fuß der Septmoncels, liegt der Lac des Rousses, der keinen sichtlichen einzelnen Ursprung hat, sondern sich aus quelligem Boden und den überall auslaufenden Brunnen sammelt. Aus demselben fließt die Orbe, durchstreicht das ganze französische und einen großen Theil des Berner Gebiets, bis sie wieder unten gegen die Dent de Vaulion sich zum Lac de Joux bildet, der seitwärts in einen kleinen See abfällt, woraus das Wasser endlich sich unter der Erde verlieret. Die Breite des Thals ist verschieden, oben bei’m Lac des Rousses etwa eine halbe Stunde, alsdann verengert sich’s und läuft wieder unten aus einander, wo etwa zum bessern Verständniß des Folgenden, wobei ich Sie einen Blick auf die Karte zu thun bitte, ob ich sie gleich alle, was diese Gegend betrifft, unrichtig gefunden habe.
Den 24. Oct. ritten wir, in Begleitung eines Hauptmanns und Oberforstmeisters dieser Gegenden, erstlich Mont hinan, einen kleinen zerstreuten Ort, der eigentlicher eine Kette von Reb- und Landhäusern genannt werden könnte. Das Wetter war sehr hell; wir hatten, wenn wir uns umkehrten, die Aussicht auf den Genfersee, die Savoyer und Walliser Gebirge, konnten Lausanne erkennen und durch einen leichten Nebel auch die Gegend von Genf. Der Montblanc, der über alle Gebirge des Faucigni ragt, kam immer mehr hervor. Die Sonne ging klar unter, es war so ein großer Anblick, daß ein menschlich Auge nicht dazu hinreicht. Der fast volle Mond kam herauf und wir immer höher. Durch Fichtenwälder stiegen wir weiter den Jura hinan, und sahen den See in Duft und den Widerschein des Mondes darin. Es wurde immer heller. Der Weg ist eine wohlgemachte Chaussee, nur angelegt um das Holz aus dem Gebirg bequemer in das Land herunter zu bringen. Wir waren wohl drei Stunden gestiegen, als es hinterwärts sachte wieder hinabzugehen anfing. Wir glaubten unter uns einen großen See zu erblicken, indem ein tiefer Nebel das ganze Thal, was wir übersehen konnten, ausfüllte. Wir kamen ihm endlich näher, sahen einen weißen Bogen, den der Mond darin bildete, und wurden bald ganz vom Nebel eingewickelt.
Die Begleitung des Hauptmanns verschaffte uns Quartier in einem Hause, wo man sonst nicht Fremde aufzunehmen pflegt. Es unterschied sich in der innern Bauart von gewöhnlichen Gebäuden in nichts, als daß der große Raum mitten inne zugleich Küche, Versammlungsplatz, Vorsaal ist, und man von da in die Zimmer gleicher Erde und auch die Treppe hinauf geht. Auf der einen Seite war an dem Boden auf steinernen Platten das Feuer angezündet, davon ein weiter Schornstein, mit Brettern dauerhaft und sauber ausgeschlagen, den Rauch aufnahm. In der Ecke waren die Thüren zu den Backöfen, der ganze Fußboden übrigens gedielet, bis auf ein kleines Eckchen am Fenster um den Spülstein, das gepflastert war, übrigens rings herum, auch in der Höhe über den Balken, eine Menge Hausrath und Geräthschaften in schöner Ordnung angebracht, alles nicht unreinlich gehalten.
Den 25. Morgens war helles kaltes Wetter, die Wiesen bereift, hier und da zogen leichte Nebel: wir konnten den untern Theil des Thals ziemlich übersehen, unser Haus lag am Fuß des östlichen noir Mont. Gegen Achte ritten wir ab, und um der Sonne gleich zu genießen, an der Abendseite hin. Der Theil des Thals, an dem wir hinritten, besteht in abgetheilten Wiesen, die gegen den See zu etwas sumpfichter werden. Die Orbe fließt in der Mitte durch. Die Einwohner haben sich theils in einzelnen Häusern an der Seite angebaut, theils sind sie in Dörfern näher zusammengerückt, die einfache Namen von ihrer Lage führen. Das erste, wodurch wir kamen, war le Sentier. Wir sahen von weitem die Dent de Vaulion über einem Nebel, der auf dem See stand, hervorblicken. Das Thal ward breiter, wir kamen hinter einem Felsgrat, der uns den See verdeckte, durch ein ander Dorf, le Lieu genannt, die Nebel stiegen und fielen wechselsweise vor der Sonne.
Hier nahebei ist ein kleiner See, der keinen Zu- und Abfluß zu haben scheint. Das Wetter klärte sich völlig auf und wir kamen gegen den Fuß der Dent de Vaulion und trafen hier an’s nördliche Ende des großen Sees, der, indem er sich westwärts wendet, in den kleinen durch einen Damm unter einer Brücke weg seinen Ausfluß hat. Das Dorf drüben heißt le Pont. Die Lage des kleinen Sees ist wie in einem eigenen kleinen Thal, was man niedlich sagen kann.
An dem westlichen Ende ist eine merkwürdige Mühle in einer Felskluft angebracht, die ehemals der kleine See ausfüllte. Nunmehr ist er abgedämmt und die Mühle in die Tiefe gebaut. Das Wasser läuft durch Schleusen auf die Räder, es stürzt sich von da in Felsritzen, wo es eingeschluckt wird und erst eine Stunde von da im Valorbe hervor kommt, wo es wieder den Namen des Orbeflusses führet. Diese Abzüge (entonnoirs) müssen rein gehalten werden, sonst würde das Wasser steigen, die Kluft wieder ausfüllen und über die Mühle weg gehen, wie es schon mehr geschehen ist. Sie waren stark in der Arbeit begriffen, den morschen Kalkfelsen theils wegzuschaffen, theils zu befestigen. Wir ritten zurück über die Brücke nach Pont, nahmen einen Wegweiser auf la Dent.
Im Aufsteigen sahen wir nunmehr den großen See völlig hinter uns. Ostwärts ist der noir Mont seine Gränze, hinter dem der kahle Gipfel der Dole hervorkommt, westwärts hält ihn der Felsrücken, der gegen den See ganz nackt ist, zusammen. Die Sonne schien heiß, es war zwischen Eilf und Mittag. Nach und nach übersahen wir das ganze Thal, konnten in der Ferne den Lac des Rousses erkennen, und weiter her bis zu unsern Füßen die Gegend durch die wir gekommen waren, und den Weg der uns rückwärts noch überblieb. Im Aufsteigen wurde von der großen Strecke Landes und den Herrschaften, die man oben unterscheiden könnte, gesprochen, und in solchen Gedanken betraten wir den Gipfel; allein uns war ein ander Schauspiel zubereitet. Nur die hohen Gebirgketten waren unter einem klaren und heitern Himmel sichtbar, alle niederen Gegenden mit einem weißen wolkigen Nebelmeer überdeckt, das sich von Genf bis nordwärts an den Horizont erstreckte und in der Sonne glänzte. Daraus stieg ostwärts die ganze reine Reihe aller Schnee- und Eisgebirge, ohne Unterschied von Namen der Völker und Fürsten, die sie zu besitzen glauben, nur Einem großen Herrn und dem Blick der Sonne unterworfen, der sie schön röthete.
Der Montblanc gegen uns über schien der höchste, die Eisgebirge des Wallis und des Oberlandes folgten, zuletzt schlossen niedere Berge des Cantons Bern. Gegen Abend war an einem Platze das Nebelmeer unbegränzt, zur Linken in der weitsten Ferne zeigten sich sodann die Gebirge von Solothurn, näher die von Neufchâtel, gleich vor uns einige niedere Gipfel des Jura, unter uns lagen einige Häuser von Vaulion, dahin die Dent gehört und daher sie den Namen hat.
Gegen Abend schließt die Franche-Comté mit flachstreichenden waldigen Bergen den ganzen Horizont, wovon ein einziger ganz in der Ferne gegen Nordwest sich unterschied. Grad ab war ein schöner Anblick. Hier ist die Spitze, die diesem Gipfel den Namen eines Zahns gibt. Er geht steil und eher etwas einwärts hinunter, in der Tiefe schließt ein kleines Fichtenthal an mit schönen Grasplätzen, gleich drüber liegt das Thal Valorbe genannt, wo man die Orbe aus dem Felsen kommen sieht und rückwärts zum kleinen See ihren unterirdischen Lauf in Gedanken verfolgen kann. Das Städtchen Valorbe liegt auch in diesem Thal. Ungern schieden wir. Einige Stunden längeren Aufenthalts, indem der Nebel um diese Zeit sich zu zerstreuen pflegt, hätten uns das tiefere Land mit dem See entdecken lassen; so aber mußte, damit der Genuß vollkommen werde, noch etwas zu wünschen übrig bleiben. Abwärts hatten wir unser ganzes Thal in aller Klarheit vor uns, stiegen bei Pont zu Pferde, ritten an der Ostseite den See hinauf, kamen durch l’Abbaye de Joux, welches jetzt ein Dorf ist, ehemals aber ein Sitz der Geistlichen war, denen das ganze Thal zugehörte. Gegen Viere langten wir in unserm Wirthshaus an, und fanden ein Essen, wovon uns die Wirthin versicherte, daß es um Mittag gut gewesen sei, aber auch übergar trefflich schmeckte.
Daß ich noch einiges, wie man mir es erzählt, Canton Bern, und sind die Gebirge umher die Holzkammer von dem Pays de Vaud. Die meisten Hölzer sind Privatbesitzungen, werden unter Aufsicht geschlagen und so in’s Land gefahren. Auch werden hier die Dauben zu fichtenen Fässern geschnitten, Eimer, Bottiche und allerlei hölzerne Gefäße verfertiget. Die Leute sind gut gebildet und gesittet. Neben dem Holzverkauf treiben sie die Viehzucht; sie haben kleines Vieh und machen gute Käse. Sie sind geschäftig, und ein Erdschollen ist ihnen viel werth. Wir fanden einen, der die wenige aus einem Gräbchen aufgeworfene Erde mit Pferd und Karren in einige Vertiefungen eben der Wiese führte. Die Steine legen sie sorgfältig zusammen und bringen sie auf kleine Haufen.
Es sind viele Steinschleifer hier, die für Genfer und andere Kaufleute arbeiten, mit welchem Erwerb sich auch die Frauen und Kinder beschäftigen. Die Häuser sind dauerhaft und sauber gebaut, die Form und Einrichtung nach dem Bedürfniß der Gegend und der Bewohner; vor jedem Hause läuft ein Brunnen, und durchaus spürt man Fleiß, Rührigkeit und Wohlstand. Über alles aber muß man die schönen Wege preisen, für die, in diesen entfernten Gegenden, der Stand Bern wie durch den ganzen übrigen Canton sorgt. Es geht eine Chaussee um das ganze Thal herum, nicht übermäßig breit, aber wohl unterhalten, so daß die Einwohner mit der größten Bequemlichkeit ihr Gewerbe treiben, mit kleinen Pferden und leichten Wagen fortkommen können. Die Luft ist sehr rein und gesund.
Den 26. ward bei’m Frühstück überlegt, welchen Weg man zurück nehmen wolle. Da wir hörten daß die Dole, der höchste Gipfel des Jura, nicht weit von dem obern Ende des Thals liege, da das Wetter sich auf das herrlichste anließ und wir hoffen konnten, was uns gestern noch gefehlt, heute vom Glück alles zu erlangen; so wurde dahin zu gehen beschlossen. Wir packten einem Boten Käse, Butter, Brot und Wein auf, und ritten gegen Achte ab. Unser Weg ging nun durch den obern Theil des Thals in dem Schatten des noir Mont hin. Es war sehr kalt, hatte gereift und gefroren; wir hatten noch eine Stunde im Bernischen zu reiten, wo sich die Chaussee, die man eben zu Ende bringt, abschneiden wird. Durch einen kleinen Fichtenwald rückten wir in’s französische Gebiet ein. Hier verändert sich der Schauplatz sehr. Was wir zuerst bemerkten, waren die schlechten Wege.
Der Boden ist sehr steinicht, überall liegen sehr große Haufen zusammen gelesen; wieder ist er eines Theils sehr morastig und quellig; die Waldungen umher sind sehr ruiniret; den Häusern und Einwohnern sieht man ich will nicht sagen Mangel, aber doch bald ein sehr enges Bedürfniß an. Sie gehören fast als Leibeigne an die Canonici von St. Claude, sie sind an die Erde gebunden, viele Abgaben liegen auf ihnen (sujets à la main morte et au droit de la suite), wovon mündlich ein mehreres, wie auch von dem neusten Edict des Königs, wodurch das droit de la suite aufgehoben wird, die Eigenthümer und Besitzer aber eingeladen werden, gegen ein gewisses Geld der main morte zu entsagen. Doch ist auch dieser Theil des Thals sehr angebaut. Sie nähren sich mühsam und lieben doch ihr Vaterland sehr, stehlen gelegentlich den Bernern Holz und verkaufen’s wieder in’s Land. Der erste Sprengel heißt le Bois d’Amont, durch den wir in das Kirchspiel les Rousses kamen, wo wir den kleinen Lac des Rousses und les sept Moncels, sieben kleine, verschieden gestaltete und verbundene Hügel, die mittägige Gränze des Thals, vor uns sahen. Wir kamen bald auf die neue Straße, die aus dem Pays de Vaud nach Paris führt; wir folgten ihr eine Weile abwärts, und waren nunmehr von unserm Thale geschieden; der kahle Gipfel der Dole lag vor uns, wir stiegen ab, unsre Pferde zogen auf der Straße voraus nach St. Sergues, und wir stiegen die Dole hinan. Es war gegen Mittag, die Sonne schien heiß, aber es wechselte ein kühler Mittagswind. Wenn wir, auszuruhen, uns umsahen, hatten wir les sept Moncels hinter uns, wir sahen noch einen Theil des Lac des Rousses und um ihn die zerstreuten Häuser des Kirchspiels, der noir Mont deckte uns das übrige ganze Thal, höher sahen wir wieder ungefähr die gestrige Aussicht in die Franche-Comté und näher bei uns, gegen Mittag, die letzten Berge und Thäler des Jura. Sorgfältig hüteten wir uns, nicht durch einen Bug der Hügel uns nach der Gegend umzusehen, um derentwillen wir eigentlich herauf stiegen. Ich war in einiger Sorge wegen des Nebels, doch zog ich aus der Gestalt des obern Himmels einige gute Vorbedeutungen. Wir betraten endlich den obern Gipfel und sahen mit größtem Vergnügen uns heute gegönnt, was uns gestern versagt war. Das ganze Pays de Vaud und de Gex lag wie eine Flurkarte unter uns, alle Besitzungen mit grünen Zäunen abgeschnitten, wie die Beete eines Parterres. Wir waren so hoch, daß die Höhen und Vertiefungen des vordern Landes gar nicht erschienen.
Dörfer, Städtchen, Landhäuser, Weinberge, und höher herauf, wo Wald und Alpen angehen, Sennhütten, meistens weiß und hell angestrichen, leuchteten gegen die Sonne. Vom Lemaner-See hatte sich der Nebel schon zurück gezogen, wir sahen den nächsten Theil an der diesseitigen Küste deutlich; den sogenannten kleinen See, wo sich der große verenget und gegen Genf zugeht, dem wir gegenüber waren, überblickten wir ganz, und gegenüber klärte sich das Land auf, das ihn einschließt. Vor allem aber behauptete der Anblick über die Eis- und Schneeberge seine Rechte. Wir setzten uns vor der kühlen Luft in Schutz hinter Felsen, ließen uns von der Sonne bescheinen, das Essen und Trinken schmeckte trefflich. Wir sahen dem Nebel zu, der sich nach und nach verzog, jeder entdeckte etwas, oder glaubte etwas zu entdecken. Wir sahen nach und nach Lausanne mit allen Gartenhäusern umher, Vevey und das Schloß von Chillon ganz deutlich, das Gebirg das uns den Eingang vom Wallis verdeckte, bis in den See, von da, an der Savoyer Küste, Evian, Ripaille, Tonon, Dörfchen und Häuschen zwischen inne; Genf kam endlich rechts auch aus dem Nebel, aber weiter gegen Mittag, gegen den Montcrédo und Mont-vauche, wo das Fort l’Ecluse inne liegt, zog er sich gar nicht weg. Wendeten wir uns wieder links, so lag das ganze Land von Lausanne bis Solothurn in leichtem Duft. Die nähern Berge und Höhen, auch alles, was weiße Häuser hatte, konnten wir erkennen; man zeigte uns das Schloß Chanvan blinken, das vom Neuburgersee links liegt, woraus wir seine Lage muthmaßen, ihn aber in dem blauen Duft nicht erkennen konnten. Es sind keine Worte für die Größe und Schöne dieses Anblicks, man ist sich im Augenblick selbst kaum bewußt, daß man sieht, man ruft sich nur gern die Namen und alten Gestalten der bekannten Städte und Orte zurück, und freut sich in einer taumelnden Erkenntniß, daß das eben die weißen Puncte sind, die man vor sich hat.
Und immer wieder zog die Reihe der glänzenden Eisgebirge das Aug’ und die Seele an sich. Die Sonne wendete sich mehr gegen Abend und erleuchtete ihre größern Flächen gegen uns zu. Schon was vom See auf für schwarze Felsrücken, Zähne, Thürme und Mauern in vielfachen Reihen vor ihnen aufsteigen! Wilde, ungeheure, undurchdringliche Vorhöfe bilden! wenn sie dann erst selbst in der Reinheit und Klarheit in der freien Luft mannichfaltig da liegen; man gibt da gern jede Prätension an’s Unendliche auf, da man nicht einmal mit dem Endlichen im Anschauen und Gedanken fertig werden kann.
Vor uns sahen wir ein fruchtbares bewohntes Land; der Boden worauf wir stunden, ein hohes kahles Gebirge, trägt noch Gras, Futter für Thiere, von denen der Mensch Nutzen zieht. Das kann sich der einbildische Herr der Welt noch zueignen; aber jene sind wie eine heilige Reihe von Jungfrauen, die der Geist des Himmels in unzugänglichen Gegenden, vor unsern Augen, für sich allein in ewiger Reinheit aufbewahrt. Wir blieben und reizten einander wechselsweise, Städte, Berge und Gegenden, bald mit bloßem Auge, bald mit dem Teleskop, zu entdecken, und gingen nicht eher abwärts, als bis die Sonne, im Weichen, den Nebel seinen Abendhauch über den See breiten ließ. Wir kamen mit Sonnenuntergang auf die Ruinen des Fort de St. Sergues. Auch näher am Thal, waren unsre Augen nur auf die Eisgebirge gegenüber gerichtet. Die letzten, links im Oberland, schienen in einen leichten Feuerdampf aufzuschmelzen; die nächsten standen noch mit wohl bestimmten rothen Seiten gegen uns, nach und nach wurden jene weiß, grün, graulich. Es sah fast ängstlich aus. Wie ein gewaltiger Körper von außen gegen das Herz zu abstirbt, so erblaßten alle langsam gegen den Montblanc zu, dessen weiter Busen noch immer roth herüber glänzte und auch zuletzt uns noch einen röthlichen Schein zu behalten schien, wie man den Tod des Geliebten nicht gleich bekennen, und den Augenblick, wo der Puls zu schlagen aufhört, nicht abschneiden will. Auch nun gingen wir ungern weg. Die Pferde fanden wir in St. Sergues, und daß nichts fehle, stieg der Mond auf und leuchtete uns nach Nyon, indeß unterweges unsere gespannten Sinnen sich wieder lieblich falten konnten, wieder freundlich wurden, um mit frischer Lust aus den Fenstern des Wirthshauses den breitschwimmenden Widerglanz des Mondes im ganz reinen See genießen zu können.
Hier und da auf der ganzen Reise ward soviel von der Merkwürdigkeit der Savoyer Eisgebirge gesprochen, und wie wir nach Genf kamen, hörten wir, es werde immer mehr Mode dieselben zu sehen, daß der Graf eine sonderliche Lust kriegte, unsern Weg dahin zu leiten, von Genf aus über Cluse und Salenche in’s Thal Chamouni zu gehen, die Wunder zu betrachten, dann über Valorsine und Trient nach Martinach in’s Wallis zu fallen. Dieser Weg, den die meisten Reisenden nehmen, schien wegen der Jahrszeit etwas bedenklich. Der Herr de Saussure wurde deßwegen auf seinem Landgute besucht und um Rath gefragt. Er versicherte, daß man ohne Bedenken den Weg machen könne: es liege auf den mittlern Bergen noch kein Schnee, und wenn wir in der Folge auf’s Wetter und auf den guten Rath der Landleute achten wollten, der niemals fehl schlage, so könnten wir mit aller Sicherheit diese Reise unternehmen. Hier ist die Abschrift eines sehr eiligen Tageregisters.
Cluse in Savoyen den 3. November.
Heute bei’m Abscheiden von Genf theilte sich die Gesellschaft; der Graf, mit mir und einem Jäger, zog nach Savoyen zu; Freund W. mit den Pferden durch’s Pays de Vaud in’s Wallis. Wir in einem leichten Cabriolett mit vier Rädern, fuhren erst, Hubern auf seinem Landgute zu besuchen, den Mann, dem Geist, Imagination, Nachahmungsbegierde zu allen Gliedern heraus will, einen der wenigen ganzen Menschen, die wir angetroffen haben. Er setzte uns auf den Weg, und wir fuhren sodann, die hohen Schneegebirge, an die wir wollten, vor Augen, weiter. Vom Genfersee laufen die vordern Bergketten gegen einander, bis da, wo Bonneville, zwischen der Mole, einem ansehnlichen Berge, und der Arve inne liegt. Da aßen wir zu Mittag. Hinter der Stadt schließt sich das Thal an, obgleich noch sehr breit, die Arve fließt sachte durch, die Mittagseite ist sehr angebaut und durchaus der Boden benutzt. Wir hatten seit früh etwas Regen, wenigstens auf die Nacht, befürchtet, aber die Wolken verließen nach und nach die Berge und theilten sich in Schäfchen, die uns schon mehr ein gutes Zeichen gewesen. Die Luft war so warm, wie Anfang Septembers und die Gegend sehr schön, noch viele Bäume grün, die meisten braungelb, wenige ganz kahl, die Saat hochgrün, die Berge im Abendroth rosenfarb in’s Violette, und diese Farben auf großen, schönen, gefälligen Formen der Landschaft. Wir schwatzten viel Gutes. Gegen Fünfe kamen wir nach Cluse, wo das Thal sich schließet und nur Einen Ausgang läßt, wo die Arve aus dem Gebirge kommt und wir morgen hineingehen. Wir stiegen auf einen Berg und sahen unter uns die Stadt an einen Fels gegenüber mit der einen Seite angelehnt, die andere mehr in die Fläche des Thals hingebaut, das wir mit vergnügten Blicken durchliefen, und auf abgestürzten Granitstücken sitzend, die Ankunft der Nacht, mit ruhigen und mannichfaltigen Gesprächen, erwarteten. Gegen Sieben, als wir hinabstiegen, war es noch nicht kühler, als es im Sommer um neun Uhr zu sein pflegt. In einem schlechten Wirthshaus, bei muntern und willigen Leuten, an deren Patois man sich erlustigt, erschlafen wir nun den morgenden Tag, vor dessen Anbruch wir schon unsern Stab weiter setzen wollen.
Abends gegen Zehn.
Salenche den 4. Nov. Mittags.
Bis ein schlechtes Mittagessen von sehr willigen Händen wird bereitet sein, versuche ich das Merkwürdigste von heute früh aufzuschreiben. Mit Tages Anbruch gingen wir zu Fuße von Cluse ab, den Weg nach Balme. Angenehm frisch war’s im Thal, das letzte Mondviertel ging vor der Sonne hell auf und erfreute uns, weil man es selten so zu sehen gewohnt ist. Leichte, einzelne Nebel stiegen aus den Felsritzen aufwärts, als wenn die Morgenluft junge Geister aufweckte, die Lust fühlten, ihre Brust der Sonne entgegen zu tragen und sie an ihren Blicken zu vergülden. Der obere Himmel war ganz rein, nur wenige durchleuchtete Wolkenstreifen zogen quer darüber hin. Balme ist ein elendes Dorf, unfern vom Weg, wo sich eine Felsschlucht wendet. Wir verlangten von den Leuten, daß sie uns zur Höhle führen sollten, von der der Ort seinen Ruf hat. Da sahen sich die Leute unter einander an und sagten einer zum andern: Nimm du die Leiter, ich will den Strick nehmen, kommt ihr Herrn nur mit! Diese wunderbare Einladung schreckte uns nicht ab, ihnen zu folgen. Zuerst ging der Stieg durch abgestürzte Kalkfelsenstücke hinauf, die durch die Zeit vor die steile Felswand aufgestufet worden und mit Hasel- und Buchenbüschen durchwachsen sind. Auf ihnen kommt man endlich an die Schicht der Felswand, wo man mühselig und leidig, auf der Leiter und Felsstufen, mit Hülfe übergebogener Nußbaum-Äste und daran befestigter Stricke, hinauf klettern muß dann steht man fröhlich in einem Portal das in den Felsen eingewittert ist, übersieht das Thal und das Dorf unter sich. Wir bereiteten uns zum Eingang in die Höhle, zündeten Lichter an und luden eine Pistole, die wir losschießen wollten. Die Höhle ist ein langer Gang, meist ebenen Bodens, auf Einer Schicht, bald zu einem bald zu zwei Menschen breit, bald über Mannshöhe, dann wieder zum Bücken und auch zum Durchkriechen. Gegen die Mitte steigt eine Kluft aufwärts und bildet einen spitzigen Dom. In einer Ecke schiebt eine Kluft abwärts, wo wir immer gelassen Siebzehn bis Neunzehn gezählt haben, eh’ ein Stein, mit verschiedentlich widerschallenden Sprüngen, endlich in die Tiefe kam. An den Wänden sintert ein Tropfstein, doch ist sie an den wenigsten Orten feucht, auch bilden sich lange nicht die reichen wunderbaren Figuren, wie in der Baumanns-Höhle. Wir drangen so weit vor, als es die Wasser zuließen, schossen im Herausgehen die Pistole los, davon die Höhle mit einem starken dumpfen Klang erschüttert wurde und um uns wie eine Glocke summte. Wir brauchten eine starke Viertelstunde wieder heraus zu gehen, machten uns die Felsen wieder hinunter, fanden unsern Wagen und fuhren weiter. Wir sahen einen schönen Wasserfall auf Staubbachs Art; er war weder sehr hoch noch sehr reich, doch sehr interessant, weil die Felsen um ihn wie eine runde Nische bilden, in der er herabstürzt, und weil die Kalkschichten an ihm, in sich selbst umgeschlagen, neue und ungewohnte Formen bilden. Bei hohem Sonnenschein kamen wir hier an, nicht hungrig genug, das Mittagessen, das aus einem aufgewärmten Fisch, Kuhfleisch und hartem Brot bestehet, gut zu finden. Von hier geht weiter in’s Gebirg kein Fuhrweg für eine so stattliche Reisekutsche, wie wir haben; diese geht nach Genf zurück und ich nehme Abschied von Ihnen, um den Weg weiter fortzusetzen. Ein Maulesel mit dem Gepäck wird uns auf dem Fuße folgen.
Chamouni, den 4. Nov.
Abends gegen Neun.
Nur daß ich mit diesem Blatt Ihnen um so viel näher rücken kann, nehme ich die Feder; sonst wäre es besser meine Geister ruhen zu lassen. Wir ließen Salenche in einem schönen offnen Thale hinter uns, der Himmel hatte sich während unsrer Mittagrast mit weißen Schäfchen überzogen, von denen ich hier eine besondere Anmerkung machen muß. Wir haben sie so schön und noch schöner an einem heitern Tag von den Berner Eisbergen aufsteigen sehen. Auch hier schien es uns wieder so, als wenn die Sonne die leisesten Ausdünstungen von den höchsten Schneegebirgen gegen sich aufzöge, und diese ganz feinen Dünste von einer leichten Luft, wie eine Schaumwolle, durch die Atmosphäre gekämmt würden. Ich erinnere mich nie in den höchsten Sommertagen, bei uns, wo dergleichen Lufterscheinungen auch vorkommen, etwas so Durchsichtiges, Leichtgewobenes gesehen zu haben. Schon sahen wir die Schneegebirge, von denen sie aufsteigen, vor uns, das Thal fing an zu stocken, die Arve schoß aus einer Felskluft hervor, wir mußten einen Berg hinan und wanden uns, die Schneegebirge rechts vor uns, immer höher. Abwechselnde Berge, alte Fichtenwälder zeigten sich uns rechts, theils in der Tiefe, theils in gleicher Höhe mit uns. Links über uns waren die Gipfel des Bergs kahl und spitzig.
Wir fühlten, daß wir einem stärkern und mächtigern Satz von Bergen immer näher rückten. Wir kamen über ein breites trocknes Bett von Kieseln und Steinen, das die Wasserfluthen die Länge des Berges hinab zerreißen und wieder füllen; von da in ein sehr angenehmes, rundgeschlossenes, flaches Thal, worin das Dörfchen Serves liegt. Von da geht der Weg um einige sehr bunte Felsen, wieder gegen die Arve.
Wenn man über sie weg ist, steigt man einen Berg hinan, die Massen werden hier immer größer, die Natur hat hier mit sachter Hand das Ungeheure zu bereiten angefangen.
Es wurde dunkler, wir kamen dem Thale Chamouni näher und endlich darein. Nur die großen Massen waren uns sichtbar. Die Sterne gingen nach einander auf und wir bemerkten über den Gipfeln der Berge, rechts vor uns, ein Licht, das wir nicht erklären konnten. Hell, ohne Glanz wie die Milchstraße, doch dichter, fast wie die Plejaden, nur größer, unterhielt es lange unsere Aufmerksamkeit, bis es endlich, da wir unsern Standpunct änderten, wie eine Pyramide, von einem innern geheimnißvollen Lichte durchzogen, das dem Schein eines Johanniswurms am besten verglichen werden kann, über den Gipfeln aller Berge hervorragte und uns gewiß machte, daß es der Gipfel des Montblanc war. Es war die Schönheit dieses Anblicks ganz außerordentlich; denn, da er mit den Sternen, die um ihn herumstunden, zwar nicht in gleich raschem Licht, doch in einer breitern zusammenhängendern Masse leuchtete, so schien er den Augen zu einer höhern Sphäre zu gehören und man hatte Müh’, in Gedanken seine Wurzeln wieder an die Erde zu befestigen. Vor ihm sahen wir eine Reihe von Schneegebirgen dämmernder auf den Rücken von schwarzen Fichtenbergen liegen und ungeheure Gletscher zwischen den schwarzen Wäldern herunter in’s Thal steigen. Meine Beschreibung fängt an unordentlich und ängstlich zu werden; auch brauchte es eigentlich immer zwei Menschen, einen der’s sähe und einen der’s beschriebe. Wir sind hier in dem mittelsten Dorfe des Thals, le Prieuré genannt, wohl logirt, in einem Hause, das eine Witwe, den vielen Fremden zu Ehren, vor einigen Jahren erbauen ließ. Wir sitzen am Kamin und lassen uns den Muskatellerwein, aus der Vallée d’Aost, besser schmecken, als die Fastenspeisen, die uns aufgetischt werden.
Den 5. Nov. Abends.
Es ist immer eine Resolution, als wie wenn man in’s kalte Wasser soll, ehe ich die Feder nehmen mag, zu schreiben. Hier hätt’ ich nun gerade Lust, Sie auf die Beschreibung der Savoyschen Eisgebirge, die Bourit, ein passionirter Kletterer, herausgegeben hat, zu verweisen.
Erfrischt durch einige Gläser guten Weins und den Gedanken, daß diese Blätter eher als die Reisenden und Bourits Buch bei Ihnen ankommen werden, will ich mein Möglichstes thun. Das Thal Chamouni, in dem wir uns befinden, liegt sehr hoch in den Gebirgen, ist etwa sechs bis sieben Stunden lang und gehet ziemlich von Mittag gegen Mitternacht. Der Charakter, der mir es vor andern auszeichnet, ist, daß es in seiner Mitte fast gar keine Fläche hat, sondern das Erdreich, wie eine Mulde, sich gleich von der Arve aus gegen die höchsten Gebirge anschmiegt.
Der Montblanc und die Gebirge die von ihm herabsteigen, die Eismassen, die diese ungeheuren Klüfte ausfüllen, machen die östliche Wand aus, an der die ganze Länge des Thals hin sieben Gletscher, einer größer als der andere, herunter kommen. Unsere Führer, die wir gedingt hatten, das Eismeer zu sehen, kamen bei Zeiten. Der eine ist ein rüstiger junger Bursche, der andre ein schon älterer und sich klugdünkender, der mit allen gelehrten Fremden Verkehr gehabt hat, von der Beschaffenheit der Eisberge sehr wohl unterrichtet und ein sehr tüchtiger Mann. Er versicherte uns, daß seit acht und zwanzig Jahren so lange führ’ er Fremde auf die Gebirge er zum erstenmal so spät im Jahr, nach Allerheiligen, jemand hinauf bringe; und doch sollten wir alles eben so gut wie im August sehen. Wir stiegen, mit Speise und Wein gerüstet, den Mont-Anvert hinan, wo uns der Anblick des Eismeers überraschen sollte. Ich würde es, um die Backen nicht so voll zu nehmen, eigentlich das Eisthal oder den Eisstrom nennen: denn die ungeheuren Massen von Eis dringen aus einem tiefen Thal, von oben anzusehen, in ziemlicher Ebne hervor. Gerad hinten endigt ein spitzer Berg, von dessen beiden Seiten Eiswogen in den Hauptstrom hereinstarren. Es lag noch nicht der mindeste Schnee auf der zackigen Fläche und die blauen Spalten glänzten gar schön hervor. Das Wetter fing nach und nach an sich zu überziehen, und ich sah wogige graue Wolken, die Schnee anzudeuten schienen, wie ich sie niemals gesehn.
In der Gegend wo wir stunden, ist die kleine von Steinen zusammen gelegte Hütte für das Bedürfniß der Reisenden, zum Scherz das Schloß von Mont-Anvert genannt. Monsieur Blaire, ein Engländer, der sich zu Genf aufhält, hat eine geräumigere an einem schicklichern Ort, etwas weiter hinauf, erbauen lassen, wo man am Feuer sitzend, zu einem Fenster hinaus, das ganze Eisthal übersehen kann. Die Gipfel der Felsen gegenüber und auch in die Tiefe des Thals hin sind sehr spitzig ausgezackt. Es kommt daher, weil sie aus einer Gesteinart zusammen gesetzt sind, deren Wände fast ganz perpendikular in die Erde einschießen. Wittert eine leichter aus, so bleibt die andere spitz in die Luft stehen. Solche Zacken werden Nadeln genennet und die Aiguille du Dru ist eine solche hohe merkwürdige Spitze, gerade dem Mont-Anvert gegenüber. Wir wollten nunmehr auch das Eismeer betreten und diese ungeheuren Massen auf ihnen selbst beschauen. Wir stiegen den Berg hinunter und machten einige hundert Schritte auf den wogigen Krystallklippen herum. Es ist ein ganz trefflicher Anblick, wenn man, auf dem Eise selbst stehend, den oberwärts sich herabdrängenden und durch seltsame Spalten geschiedenen Massen entgegen sieht. Doch wollt’ es uns nicht länger auf diesem schlüpfrigen Boden gefallen, wir waren weder mit Fußeisen, noch mit beschlagenen Schuhen gerüstet; vielmehr hatten sich unsere Absätze durch den langen Marsch abgerundet und geglättet. Wir machten uns also wieder zu den Hütten hinauf und nach einigem Ausruhen zur Abreise fertig. Wir stiegen den Berg hinab und kamen an den Ort, wo der Eisstrom stufenweis bis hinunter in’s Thal dringt, und traten in die Höhle in der er sein Wasser ausgießt. Sie ist weit, tief, von dem schönsten Blau, und es steht sich sicherer im Grund als vorn an der Mündung, weil an ihr sich immer große Stücke Eis schmelzend ablösen. Wir nahmen unsern Weg nach dem Wirthshause zu, bei der Wohnung zweier Blondins vorbei: Kinder von zwölf bis vierzehn Jahren, die sehr weiße Haut, weiße, doch schroffe Haare, rothe und bewegliche Augen wie die Kaninchen haben. Die tiefe Nacht, die im Thale liegt, lädt mich zeitig zu Bette, und ich habe kaum noch so viel Munterkeit Ihnen zu sagen, daß wir einen jungen zahmen Steinbock gesehen haben, der sich unter den Ziegen ausnimmt, wie der natürliche Sohn eines großen Herrn, dessen Erziehung in der Stille einer bürgerlichen Familie aufgetragen ist.
Von unsern Discursen geht’s nicht an, daß ich etwas außer der Reihe mittheile. An Graniten, Gneißen, Lerchen und Zirbelbäumen finden Sie auch keine große Erbauung; doch sollen Sie ehestens merkwürdige Früchte von unserm Botanisiren zu sehen kriegen. Ich bilde mir ein, sehr schlaftrunken zu sein und kann nicht eine Zeile weiter schreiben.
Chamouni, den 6. Nov. früh.
Zufrieden mit dem, was uns die Jahrszeit hier zu sehen erlaubte, sind wir reisefertig, noch heute in’s Wallis durchzudringen. Das ganze Thal ist über und über bis an die Hälfte der Berge mit Nebel bedeckt, und wir müssen erwarten, was Sonne und Wind zu unserm Vortheil thun werden. Unser Führer schlägt uns einen Weg über den Col de Balme vor: Ein hoher Berg, der an der nördlichen Seite des Thals gegen Wallis zu liegt, auf dem wir, wenn wir glücklich sind, das Thal Chamouni, mit seinen meisten Merkwürdigkeiten, noch auf einmal von der Höhe übersehen können. Indem ich dieses schreibe, geschieht an dem Himmel eine herrliche Erscheinung: Die Nebel, die sich bewegen und sich an einigen Orten brechen, lassen wie durch Tagelöcher den blauen Himmel sehen und zugleich die Gipfel der Berge, die oben, über unsrer Dunstdecke, von der Morgensonne beschienen werden. Auch ohne die Hoffnung eines schönen Tags ist dieser Anblick dem Aug’ eine rechte Weide. Erst jetzo hat man einiges Maß für die Höhe der Berge. Erst in einer ziemlichen Höhe vom Thal auf streichen die Nebel an dem Berg hin, hohe Wolken steigen von da auf, und alsdann sieht man noch über ihnen die Gipfel der Berge in der Verklärung schimmern. Es wird Zeit! Ich nehme zugleich von diesem geliebten Thal und von Ihnen Abschied.
Martinach im Wallis, den 6. Nov. Abends.
Glücklich sind wir herüber gekommen und so wäre auch dieses Abenteuer bestanden. Die Freude über unser gutes Schicksal wird mir noch eine halbe Stunde die Feder lebendig erhalten.
Unser Gepäck auf ein Maulthier geladen, zogen wir heute früh gegen Neune von Prieuré aus. Die Wolken wechselten, daß die Gipfel der Berge bald erschienen, bald verschwanden, bald die Sonne streifweis in’s Thal dringen konnte, bald die Gegend wieder verdeckt wurde. Wir gingen das Thal hinauf, den Ausguß des Eisthals vorbei, ferner den Glacier d’Argentiere hin, den höchsten von allen, dessen oberster Gipfel uns aber von Wolken bedeckt war. In der Gegend wurde Rath gehalten, ob wir den Stieg über den Col de Balme unternehmen und den Weg über Valorsine verlassen wollten. Der Anschein war nicht der vortheilhafteste; doch da hier nichts zu verlieren und viel zu gewinnen war, traten wir unsern Weg keck gegen die dunkle Nebel- und Wolkenregion an. Als wir gegen den Glacier du Tour kamen, rissen sich die Wolken auseinander, und wir sahen auch diesen schönen Gletscher in völligem Lichte. Wir setzten uns nieder, tranken eine Flasche Wein aus und aßen etwas Weniges. Wir stiegen nunmehr immer den Quellen der Arve auf rauhern Matten und schlecht beras’ten Flecken entgegen und kamen dem Nebelkreis immer näher, bis er uns endlich völlig aufnahm. Wir stiegen eine Weile geduldig fort, als es auf einmal, indem wir aufschritten, wieder über unsern Häuptern helle zu werden anfing. Kurze Zeit dauerte es, so traten wir aus den Wolken heraus, sahen sie in ihrer ganzen Last unter uns auf dem Thale liegen, und konnten die Berge, die es rechts und links einschließen, außer dem Gipfel des Montblanc, der mit Wolken bedeckt war, sehen, deuten und mit Namen nennen. Wir sahen einige Gletscher von ihren Höhen bis zu der Wolkentiefe herabsteigen, von andern sahen wir nur die Plätze, indem uns die Eismassen durch die Bergschrunden verdeckt wurden. Über die ganze Wolkenfläche sahen wir, außerhalb dem mittägigen Ende des Thales, ferne Berge im Sonnenschein. Was soll ich Ihnen die Namen von den Gipfeln, Spitzen, Nadeln, Eis- und Schneemassen vorerzählen, die Ihnen doch kein Bild, weder vom Ganzen noch vom Einzelnen, in die Seele bringen. Merkwürdiger ist’s, wie die Geister der Luft sich unter uns zu streiten schienen. Kaum hatten wir eine Weile gestanden und uns an der großen Aussicht ergetzt, so schien eine feindselige Gährung in dem Nebel zu entstehen, der auf einmal aufwärts strich, und uns auf’s neue einzuwickeln drohte. Wir stiegen stärker den Berg hinan, ihm nochmals zu entgehn, allein er überflügelte uns und hüllte uns ein. Wir stiegen immer frisch aufwärts, und bald kam uns ein Gegenwind vom Berge selbst zu Hülfe, der durch den Sattel, der zwei Gipfel verbindet, hereinstrich und den Nebel wieder in’s Thal zurücktrieb. Dieser wundersame Streit wiederholte sich öfter, und wir langten endlich glücklich auf dem Col de Balme an. Es war ein seltsamer, eigener Anblick. Der höchste Himmel über den Gipfeln der Berge war überzogen, unter uns sahen wir durch den manchmal zerrissenen Nebel in’s ganze Thal Chamouni, und zwischen diesen beiden Wolkenschichten waren die Gipfel der Berge alle sichtbar. Auf der Ostseite waren wir von schroffen Gebirgen eingeschlossen, auf der Abendseite sahen wir in ungeheure Thäler, wo doch auf einigen Matten sich menschliche Wohnungen zeigten. Vorwärts lag uns das Wallisthal, wo man mit einem Blick bis Martinach und weiter hinein mannichfaltig über einander geschlungene Berge sehen konnte. Auf allen Seiten von Gebirgen umschlossen, die sich weiter gegen den Horizont immer zu vermehren und aufzuthürmen schienen, so standen wir auf der Gränze von Savoyen und Wallis. Einige Contrebandiers kamen mit Mauleseln den Berg herauf und erschraken vor uns, da sie an dem Platz jetzo niemand vermutheten. Sie thaten einen Schuß, als ob sie sagen wollten: damit ihr seht, daß sie geladen sind, und einer ging voraus, um uns zu recognosciren. Da er unsern Führer erkannte und unsere harmlosen Figuren sah, rückten die andern auch näher, und wir zogen mit wechselseitigen Glückwünschen an einander vorbei. Der Wind ging scharf und es fing ein wenig an zu schneien. Nunmehr ging es einen sehr rauhen und wilden Stieg abwärts, durch einen alten Fichtenwald, der sich auf Fels-Platten von Gneiß eingewurzelt hatte. Vom Wind über einander gerissen verfaulten hier die Stämme mit ihren Wurzeln, und die zugleich losgebrochenen Felsen lagen schroff durch einander. Endlich kamen wir in’s Thal, wo der Trientfluß aus einem Gletscher entspringt, ließen das Dörfchen Trient ganz nahe rechts liegen und folgten dem Thale durch einen ziemlich unbequemen Weg, bis wir endlich gegen Sechse hier in Martinach auf flachem Wallisboden angekommen sind, wo wir uns zu weitern Unternehmungen ausruhen wollen.
Martinach, den 6. Nov. 1779.
Abends.
Wie unsre Reise ununterbrochen fortgeht, knüpft sich auch ein Blatt meiner Unterhaltung mit Ihnen an’s andre, und kaum hab’ ich das Ende unserer Savoyer Wanderungen gefaltet und bei Seite gelegt, nehm’ ich schon wieder ein andres Papier, um Sie mit dem bekannt zu machen, was wir zunächst vorhaben. Zu Nacht sind wir in ein Land getreten, nach welchem unsre Neugier schon lange gespannt ist. Noch haben wir nichts als die Gipfel der Berge, die das Thal von beiden Seiten einschließen, in der Abenddämmerung gesehen. Wir sind im Wirthshause untergekrochen, sehen zum Fenster hinaus die Wolken wechseln, es ist uns so heimlich und so wohl, daß wir ein Dach haben, als Kindern, die sich aus Stühlen, Tischblättern und Teppichen eine Hütte am Ofen machen und sich darin bereden, es regne und schneie draußen, um angenehme eingebildete Schauer in ihren wir in der Herbstnacht in einem fremden unbekannten Lande. Aus der Karte wissen wir, daß wir in dem Winkel eines Ellenbogens sitzen, von wo aus der kleinere Theil des Wallis, ungefähr von Mittag gegen Mitternacht, die Rhone hinunter sich an den Genfersee anschließt, der andere aber und längste, von Abend gegen Morgen, die Rhone hinauf bis an ihren Ursprung, die Furka, streicht. Das Wallis selbst zu durchreisen macht uns eine angenehme Aussicht; nur wie wir oben hinaus kommen werden, erregt einige Sorge. Zuvörderst ist festgesetzt, daß wir, um den untern Theil zu sehen, morgen bis St. Maurice gehen, wo der Freund, der mit den Pferden durch das Pays de Vaud gegangen, eingetroffen sein wird. Morgen Abend gedenken wir wieder hier zu sein, und übermorgen soll es das Land hinauf. Wenn es nach dem Rath des Herrn de Saussure geht, so machen wir den Weg bis an die Furka zu Pferde, sodann wieder bis Brieg zurück über den Simpelberg, wo bei jeder Witterung eine gute Passage ist, über Domo d’ossola, den Lago maggiore, über Bellinzona, und dann den Gotthard hinauf. Der Weg soll gut und durchaus für Pferde practicabel sein. Am liebsten gingen wir über die Furka auf den Gotthard, der Kürze wegen und weil der Schwanz durch die italiänischen Provinzen von Anfang an nicht in unserm Plane war; allein wo mit den Pferden hin? die sich nicht über die Furka schleppen lassen, wo vielleicht gar schon Fußgängern der Weg durch Schnee versperrt ist. Wir sind darüber ganz ruhig und hoffen von Augenblick zu Augenblick wie bisher von den Umständen selbst guten Rath zu nehmen. Merkwürdig ist in diesem Wirthshause eine Magd, die bei einer großen Dummheit alle Manieren einer sich empfindsam zierenden deutschen Fräulein hat. Es gab ein großes Gelächter, als wir uns die müden Füße mit rothem Wein und Kleien, auf Anrathen unsers Führers, badeten und sie von dieser annehmlichen Dirne abtrocknen ließen.
Nach Tische.
Am Essen haben wir uns nicht sehr erholt und hoffen daß der Schlaf besser schmecken soll.
Den 7ten. St. Maurice,
gegen Mittag.
Unter Weges ist es meine Art die schönen Gegenden zu genießen, daß ich mir meine abwesenden Freunde wechselsweise herbeirufe, und mich mit ihnen über die herrlichen Gegenstände unterhalte. Komm’ ich in ein Wirthshaus, so ist ausruhen, mich rückerinnern und an Sie schreiben Eins, wenn schon manchmal die allzusehr ausgespannte Seele lieber in sich selbst zusammenfiele und mit einem halben Schlaf sich erholte.
Heute früh gingen wir in der Dämmerung von Martinach weg; ein frischer Nordwind ward mit dem Tage lebendig, wir kamen an einem alten Schlosse vorbei, das auf der Ecke steht, wo die beiden Arme des Wallis ein Y machen. Das Thal ist eng und wird auf beiden Seiten von mannichfaltigen Bergen beschlossen, die wieder zusammen von eigenem, erhaben lieblichem Charakter sind. Wir kamen dahin wo der Trientstrom um enge und gerade Felsenwände herum in das Thal dringt, daß man zweifelhaft ist, ob er nicht unter den Felsen hervor komme. Gleich dabei steht die alte, vor’m Jahr durch den Fluß beschädigte Brücke, unweit welcher ungeheure Felsstücke vor kurzer Zeit vom Gebirge herab die Landstraße verschüttet haben. Diese Gruppe zusammen würde ein außerordentlich schönes Bild machen. Nicht weit davon hat man eine neue hölzerne Brücke gebaut und ein ander Stück Landstraße eingeleitet. Wir wußten, daß wir uns dem berühmten Wasserfall der Pisse vache näherten, und wünschten einen Sonnenblick, wozu uns die wechselnden Wolken einige Hoffnung machten. An dem Wege betrachteten wir die vielen Granit- und Gneißstücke, die bei ihrer Verschiedenheit doch alle Eines Ursprungs zu sein schienen. Endlich traten wir vor den Wasserfall, der seinen Ruhm vor vielen andern verdient. In ziemlicher Höhe schießt aus einer engen Felskluft ein starker Bach flammend herunter in ein Becken, wo er in Staub und Schaum sich weit und breit im Wind herumtreibt. Die Sonne trat hervor und machte den Anblick doppelt lebendig. Unten im Wasserstaube hat man einen Regenbogen hin und wieder, wie man geht, ganz nahe vor sich. Tritt man weiter hinauf, so sieht man noch eine schönere Erscheinung. Die luftigen schäumenden Wellen des obern Strahls, wenn sie gischend und flüchtig die Linien berühren, wo in unsern Augen der Regenbogen entstehet, färben sich flammend, ohne daß die aneinanderhängende Gestalt eines Bogens erschiene; und so ist an dem Platze immer eine wechselnde feurige Bewegung. Wir kletterten dran herum, setzten uns dabei nieder und wünschten ganze Tage und gute Stunden des Lebens dabei zubringen zu können. Auch hier wieder, wie so oft auf dieser Reise, fühlten wir, daß große Gegenstände im Vorübergehen gar nicht empfunden und genossen werden können. Wir kamen in ein Dorf wo lustige Soldaten waren, und tranken daselbst neuen Wein, den man uns gestern auch schon vorgesetzt hatte. Er sieht aus wie Seifenwasser, doch mag ich ihn lieber trinken als ihren sauren jährigen und zweijährigen. Wenn man durstig ist, bekommt alles wohl. Wir sahen St. Maurice von weitem, wie es just an einem Platze liegt, wo das Thal sich zu einem Passe zusammendrückt. Links über der Stadt sahen wir an einer Felsenwand eine kleine Kirche mit einer Einsiedelei angeflickt, wo wir noch hinaufzusteigen denken. Hier im Wirthshaus fanden wir ein Billet vom Freunde, der zu Bex, drei viertel Stunden von hier, geblieben ist. Wir haben ihm einen Boten geschickt. Der Graf ist spazieren gegangen, vorwärts die Gegend noch zu sehen; ich will einen Bissen essen und alsdann auch nach der berühmten Brücke und dem Paß zu gehn.
Nach Eins.
Ich bin wieder zurück von dem Fleckchen, wo man Tage lang sitzen, zeichnen, herumschleichen, und ohne müde zu werden sich mit sich selbst unterhalten könnte. Wenn ich jemanden einen Weg in’s Wallis rathen sollte, so wär’ es dieser vom Genfersee die Rhone herauf. Ich bin auf dem Weg nach Bex zu über die große Brücke gegangen, wo man gleich in’s Berner Gebiet eintritt. Die Rhone fließt dort hinunter und das Thal wird nach dem See zu etwas weiter. Wie ich mich umkehrte, sah ich die Felsen sich bei St. Maurice zusammen drücken, und über die Rhone, die unten durchrauscht, in einem hohen Bogen eine schmale leichte Brücke kühn hinüber gesprengt. Die mannichfaltigen Erker und Thürme einer Burg schließen drüben gleich an, und mit einem einzigen Thore ist der Eingang in’s Wallis gesperrt. Ich ging über die Brücke nach St. Maurice zurück, suchte noch vorher einen Gesichtspunct, den ich bei Hubern gezeichnet gesehn habe und auch ungefähr fand.
Der Graf ist wieder gekommen, er war den Pferden entgegen gegangen und hat sich auf seinem Braunen voraus gemacht. Er sagt, die Brücke sei so schön und leicht gebaut, daß es aussehe als wenn ein Pferd flüchtig über einen Graben setzt. Der Freund kommt auch an, zufrieden von seiner Reise. Er hat den Weg am Genfersee her bis Bex in wenigen Tagen zurück gelegt, und es ist eine allgemeine Freude sich wieder zu sehen.
Martinach, gegen Neun.
Wir sind tief in die Nacht geritten, und der Herweg hat uns länger geschienen als der Hinweg, wo wir von einem Gegenstand zu dem andern gelockt worden sind. Auch habe ich aller Beschreibungen und Reflexionen für heute herzlich satt, doch will ich zwei schöne noch geschwind in der Erinnerung festsetzen. An der Pisse vache kamen wir in tiefer Dämmerung wieder vorbei. Die Berge, das Thal und selbst der Himmel waren dunkel und dämmernd. Graulich und mit stillem Rauschen sah man den herabschießenden Strom von allen andern Gegenständen sich unterscheiden, man bemerkte fast gar keine Bewegung. Es war immer dunkler geworden. Auf einmal sahen wir den Gipfel einer sehr hohen Klippe, völlig wie geschmolzen Erz im Ofen, glühen und rothen Dampf davon aufsteigen. Dieses sonderbare Phänomen wirkte die Abendsonne, die den Schnee und den davon aufsteigenden Nebel erleuchtete.
Sion, den 8. Nov. nach drei Uhr.
Wir haben heute früh einen Fehlritt gethan und uns wenigstens um drei Stunden versäumet. Wir ritten vor Tag von Martinach weg, um bei Zeiten in Sion zu sein. Das Wetter war außerordentlich schön, nur daß die Sonne, wegen ihres niedern Standes, von den Bergen gehindert war, den Weg den wir ritten zu bescheinen; und der Anblick des wunderschönen Wallisthals machte manchen guten und muntern Gedanken rege. Wir waren schon drei Stunden die Landstraße hinan, die Rhone uns linker Hand, geritten; wir sahen Sion vor uns liegen und freuten uns auf das bald zu veranstaltende Mittagessen, als wir die Brücke, die wir zu passiren hatten, abgetragen fanden. Es blieb uns, nach Angabe der Leute, die dabei beschäftigt waren, nichts übrig, als entweder einen kleinen Fußpfad, der an den Felsen hinging, zu wählen, oder eine Stunde wieder zurück zu reiten und alsdann über einige andere Brücken der Rhone zu gehen. Wir wählten das letzte und ließen uns von keinem üblen Humor anfechten, sondern schrieben diesen Unfall wieder auf Rechnung eines guten Geistes, der uns bei der schönsten Tagszeit durch ein so interessantes Land spazieren führen wollte. Die Rhone macht überhaupt in diesem engen Lande böse Händel.
Wir mußten, um zu den andern Brücken zu kommen, über anderthalb Stunden durch die sandigen Flecke reiten, die sie durch Überschwemmungen sehr oft zu verändern pflegt, und die nur zu Erlen und Weidengebüschen zu benutzen sind. Endlich kamen wir an die Brücken, die sehr bös, schwankend, lang und von falschen Klüppeln zusammen gesetzt sind. Wir mußten einzeln unsere Pferde, nicht ohne Sorge, darüber führen. Nun ging es an der linken Seite des Wallis wieder nach Sion zu. Der Weg an sich war meistentheils schlecht und steinig, doch zeigte uns jeder Schritt eine Landschaft die eines Gemähldes werth gewesen wäre. Besonders führte er uns auf ein Schloß hinauf, wo herunter sich eine der schönsten Aussichten zeigte, die ich auf dem ganzen Wege gesehen habe. Die nächsten Berge schossen auf beiden Seiten mit ihren Lagen in die Erde ein, und verjüngten durch ihre Gestalt die Gegend gleichsam perspectivisch. Die ganze Breite des Wallis von Berg zu Berg lag bequem anzusehen unter uns; die Rhone kam, mit ihren mannichfaltigen Krümmen und Buschwerken, bei Dörfern, Wiesen und angebauten Hügeln vorbeigeflossen; in der Entfernung sah man die Burg von Sion und die verschiedenen Hügel die sich dahinter zu erheben anfingen; die letzte Gegend ward wie mit einem Amphitheaterbogen durch eine Reihe von Schneegebirgen geschlossen, die wie das übrige Ganze von der hohen steinig der Weg war, den wir zu reiten hatten, so erfreulich fanden wir die noch ziemlich grünen Reblauben die ihn bedeckten. Die Einwohner, denen jedes Fleckchen Erdreich kostbar ist, pflanzen ihre Weinstöcke gleich an ihre Mauern die ihre Güter von dem Wege scheiden; sie wachsen zu außerordentlicher Dicke und werden vermittelst Pfählen und Latten über den Weg gezogen, so daß er fast eine aneinanderhängende Laube bildet. In dem untern Theil war meistens Wiesewachs, doch fanden wir auch, da wir uns Sion näherten, einigen Feldbau. Gegen diese Stadt zu wird die Gegend durch wechselnde Hügel außerordentlich mannichfaltig, und man wünschte eine längere Zeit des Aufenthalts genießen zu können. Doch unterbricht die Häßlichkeit der Städte und der Menschen die angenehmen Empfindungen, welche die Landschaft erregt, gar sehr. Die scheußlichen Kröpfe haben mich ganz und gar üblen Humors gemacht. Unsern Pferden dürfen wir wohl heute nichts mehr zumuthen, und denken deßwegen zu Fuße nach Seyters zu gehen. Hier in Sion ist das Wirthshaus abscheulich, und die Stadt hat ein widriges schwarzes Ansehn.
Seyters, den 8. Nov. Nachts.
Da wir bei einbrechendem Abend erst von Sion weggegangen, sind wir bei Nacht unter einem hellen Sternhimmel hier angekommen. Wir haben einige schöne Aussichten darüber verloren, merk’ ich wohl. Besonders wünschten wir das Schloß Tourbillion, das bei Sion liegt, erstiegen zu haben; es muß von da aus eine ganz ungemein schöne Aussicht sein. Ein Bote, den wir mitnahmen, brachte uns glücklich durch einige böse Flecke, wo das Wasser ausgetreten war. Bald erreichten wir die Höhe und hatten die Rhone immer rechts unter uns. Mit verschiedenen astronomischen Gesprächen verkürzten wir den Weg, und sind bei guten Leuten, die ihr Bestes thun werden uns zu bewirthen, eingekehret. Wenn man zurück denkt, kommt einem so ein durchlebter Tag, wegen der mancherlei Gegenstände, fast wie eine Woche vor. Es fängt mir an recht leid zu thun, daß ich nicht Zeit und Geschick habe, die merkwürdigsten Gegenden auch nur linienweise zu zeichnen; es ist immer besser als alle Beschreibungen für einen Abwesenden.
Seyters, den 9ten.
Noch ehe wir aufbrechen, kann ich Ihnen einen guten Morgen bieten. Der Graf wird mit mir links in’s Gebirg nach dem Leukerbad zu gehen, der Freund indessen die Pferde hier erwarten und uns morgen in Leuk wieder antreffen.
Leukerbad, den 9ten, am Fuß des Gemmiberges.
In einem kleinen bretternen Haus, wo wir von sehr braven Leuten gar freundlich aufgenommen worden, sitzen wir in einer schmalen und niedrigen Stube, und ich will sehen, wie viel von unserer heutigen sehr interessanten Tour durch Worte mitzutheilen ist. Von Seyters stiegen wir heute früh drei Stunden lang einen Berg herauf, nachdem wir vorherSteinen und Kies Felder, Wiesen und Gärten, die denn nach und nach kümmerlich, wenn es allenfalls noch möglich ist, von den Leuten wieder hergestellt und nach ein paar Generationen vielleicht wieder verschüttet werden. Wir hatten einen grauen Tag mit abwechselnden Sonnenblicken. Es ist nicht zu beschreiben, wie mannichfaltig auch hier das Wallis wieder wird; mit jedem Augenblick biegt und verändert sich die Landschaft. Es scheint alles sehr nah beisammen zu liegen, und man ist doch durch große Schluchten und Berge getrennt. Wir hatten bisher noch meist das offene Wallisthal rechts neben uns gehabt, als sich auf einmal ein schöner Anblick in’s Gebirg vor uns aufthat.
Ich muß, um anschaulicher zu machen was ich beschreiben will, etwas von der geographischen Lage der Gegend, wo wir uns befinden, sagen. Wir waren nun schon drei Stunden aufwärts in das ungeheure Gebirg gestiegen, das Wallis von Bern trennet. Es ist eben der Stock von Bergen, der in Einemfort vom Genfersee bis auf den Gotthard läuft, und auf dem sich in dem Berner Gebiet die großen Eis- und Schnee-Massen eingenistet haben. Hier sind oben und unten relative Worte des Augenblicks. Ich sage, unter mir auf einer Fläche liegt ein Dorf, und eben diese Fläche liegt vielleicht wieder an einem Abgrund, der viel höher ist als mein Verhältniß zu ihr. Wir sahen, als wir um eine Ecke herumkamen und bei einem Heiligenstock ausruhten, unter uns am Ende einer schönen grünen Matte, die an einem ungeheuren Felsschlund herging, das Dorf Inden mit {ed.-???}.
Mitte von der Landschaft liegen. Über der Schlucht drüben gingen wieder Matten und Tannenwälder aufwärts, gleich hinter dem Dorfe stieg eine große Kluft von Felsen in die Höhe, die Berge von der linken Seite schlossen sich bis zu uns an, die von der rechten setzten auch ihre Rücken weiter fort, so daß das Dörfchen mit seiner weißen Kirche gleichsam wie im Brennpunct von so viel zusammenlaufenden Felsen und Klüften dastand. Der Weg nach Inden ist in die steile Felswand gehauen, die dieses Amphitheater von der linken Seite, im Hingehen gerechnet, einschließt. Es ist dieses kein gefährlicher aber doch sehr fürchterlich aussehender Weg. Er geht auf den Lagen einer schroffen Felswand hinunter, an der rechten Seite mit einer geringen Planke von dem Abgrunde gesondert.
Ein Kerl, der mit einem Maulesel neben uns hinab stieg, faßte sein Thier, wenn es an gefährliche Stellen kam, bei’m Schweife, um ihm einige Hülfe zu geben, wenn es gar zu steil vor sich hinunter in den Felsen hinein mußte. Endlich kamen wir in Inden an, und da unser Bote wohl bekannt war, so fiel es uns leicht, von einer willigen Frau ein gut Glas rothen Wein und Brot zu erhalten, da sie eigentlich in dieser Gegend keine Wirthshäuser haben. Nun ging es die hohe Schlucht hinter Inden hinauf, wo wir denn bald den so schrecklich beschriebenen Gemmiberg vor uns sahen, und das Leukerbad an seinem Fuß, zwischen andern hohen, unwegsamen und mit Schnee bedeckten Gebirgen, gleichsam wie in einer hohlen Hand liegen fanden. Es war gegen Drei als wir ankamen; unser Führer schaffte uns bald Quartier. Es ist zwar kein Gasthof hier, aber alle Leute sind so ziemlich, wegen der vielen Badegäste, die hieher kommen, eingerichtet. Unsere Wirthin liegt seit gestern in den Wochen, und ihr Mann macht mit einer alten Mutter und der Magd ganz artig die Ehre des Hauses. Wir bestellten etwas zu essen und ließen uns die warmen Quellen zeigen, die an verschiedenen Orten sehr stark aus der Erde hervorkommen und reinlich eingefaßt sind. Außer dem Dorfe, gegen das Gebirg zu, sollen noch einige stärkere sein. Es hat dieses Wasser nicht den mindesten schwefelichten Geruch, setzt wo es quillt und wo es durchfließt nicht den mindesten Oker noch sonst irgend etwas Mineralisches oder Irdisches an, sondern läßt wie ein anderes reines Wasser keine Spur zurück. Es ist, wenn es aus der Erde kommt, sehr heiß und wegen seiner guten Kräfte berühmt. Wir hatten noch Zeit zu einem Spaziergang gegen den Fuß des Gemmi, der uns ganz nah zu liegen schien. Ich muß hier wieder bemerken, was schon so oft vorgekommen, daß wenn man mit Gebirgen umschlossen ist, einem alle Gegenstände so außerordentlich nahe scheinen. Wir hatten eine starke Stunde über herunter gestürzte Felsstücke und dazwischen geschwemmten Kies hinauf zu steigen, bis wir uns an dem Fuß des ungeheuren Gemmibergs, wo der Weg an steilen Klippen aufwärts gehet, befanden. Es ist dieß der Übergang in’s Berner Gebiet, wo alle Kranken sich müssen in Sänften herunter tragen lassen. Hieß’ uns die Jahrszeit nicht eilen, so würde wahrscheinlicher Weise morgen ein Versuch gemacht werden, diesen so merkwürdigen Berg zu besteigen: so aber werden wir uns mit der bloßen Ansicht für dießmal begnügen müssen. Wie wir zurückgingen, sahen wir dem Gebräude der Wolken zu, das in der jetzigen Jahrszeit in diesen Gegenden äußerst interessant ist. Über das schöne Wetter haben wir bisher ganz vergessen, daß wir im November leben; es ist auch, wie man uns im Bernschen voraussagte, hier der Herbst sehr gefällig. Die frühen Abende und Schnee verkündende Wolken erinnern uns aber doch manchmal, daß wir tief in der Jahrszeit sind. Das wunderbare Wehen, das sie heute Abend verführten, war außerordentlich schön. Als wir vom Fuß des Gemmiberges zurückkamen, sahen wir, aus der Schlucht von Inden herauf, leichte Nebelwolken sich mit großer Schnelligkeit bewegen. Sie wechselten bald rückwärts bald vorwärts, und kamen endlich aufsteigend dem Leukerbad so nah, daß wir wohl sahen, wir mußten unsere Schritte verdoppeln, um bei hereinbrechender Nacht nicht in Wolken eingewickelt zu werden. Wir kamen auch glücklich zu Hause an, und während ich dieses hinschreibe, legen sich wirklich die Wolken ganz ernstlich in einen kleinen artigen Schnee aus einander. Es ist dieser der erste, den wir haben, und, wenn wir auf unsere gestrige warme Reise von Martinach nach Sion, auf die noch ziemlich belaubten Rebengeländer zurückdenken, eine sehr schnelle Abwechslung. Ich bin in die Thüre getreten, ich habe dem Wesen der Wolken eine Weile zugesehen, das über alle Beschreibung schön ist.
Eigentlich ist es noch nicht Nacht, aber sie verhüllen abwechselnd den Himmel und machen dunkel. Aus den tiefen Felsschluchten steigen sie herauf, bis sie an die höchsten Gipfel der Berge reichen; von diesen angezogen scheinen sie sich zu verdicken und von der Kälte gepackt in Gestalt des Schnees niederzufallen. Es ist eine unaussprechliche Einsamkeit hier oben, in so großer Höhe doch noch wie in einem Brunnen zu sein, wo man nur vorwärts durch die Abgründe einen Fußpfad hinaus vermuthet. Die Wolken, die sich hier in diesem Sacke stoßen, die ungeheuren Felsen bald zudecken und in eine undurchdringliche öde Dämmerung verschlingen, bald Theile davon wieder als Gespenster sehen lassen, geben dem Zustand ein trauriges Leben. Man ist voller Ahnung bei diesen Wirkungen der Natur. Die Wolken, eine dem Menschen von Jugend auf so merkwürdige Lufterscheinung, ist man in dem platten Lande doch nur als etwas Fremdes, Überirdisches anzusehen gewohnt. Man betrachtet sie nur als Gäste, als Streichvögel, die, unter einem andern Himmel geboren, von dieser oder jener Gegend bei uns augenblicklich vorbeigezogen kommen; als prächtige Teppiche, womit die Götter ihre Herrlichkeit vor unsern Augen verschließen. Hier aber ist man von ihnen selbst wie sie sich erzeugen eingehüllt, und die ewige innerliche Kraft der Natur fühlt man sich ahnungsvoll durch jede Nerve bewegen. Auf die Nebel, die bei uns eben diese Wirkungen hervorbringen, gibt man weniger Acht; auch weil sie uns weniger vor’s Auge gedrängt sind, ist ihre Wirthschaft schwerer zu beobachten. Bei allen diesen Gegenständen wünscht man nur länger sich verweilen und an solchen Orten mehrere Tage zubringen zu können; ja ist man ein Liebhaber von dergleichen Betrachtungen, so wird der Wunsch immer lebhafter, wenn man bedenkt, daß jede Jahrszeit, Tagszeit und Witterung neue Erscheinungen, die man gar nicht erwartet, hervorbringen muß. Und wie in jedem Menschen, auch selbst dem gemeinen, sonderbare Spuren übrig bleiben, wenn er bei großen ungewöhnlichen Handlungen etwa einmal gegenwärtig gewesen ist; wie er sich von diesem einen Flecke gleichsam größer fühlt, unermüdlich eben dasselbe erzählend wiederholt, und so, auf jene Weise, einen Schatz für sein ganzes Leben gewonnen hat: so ist es auch dem Menschen, der solche große Gegenstände der Natur gesehen und mit ihnen vertraut geworden ist. Er hat, wenn er diese Eindrücke zu bewahren, sie mit andern Empfindungen und Gedanken, die in ihm entstehen, zu verbinden weiß, gewiß einen Vorrath von Gewürz, womit er den unschmackhaften Theil des Lebens verbessern und seinem ganzen Wesen einen durchziehenden guten Geschmack geben kann.
Ich bemerke, daß ich in meinem Schreiben der Menschen wenig erwähne; sie sind auch unter diesen großen Gegenständen der Natur, besonders im Vorbeigehen, minder merkwürdig. Ich zweifle nicht, daß man bei längerm Aufenthalt gar interessante und gute Leute finden würde. Eins glaub’ ich überall zu bemerken: je weiter man von der Landstraße und dem größern Gewerbe der Menschen abkömmt, je mehr in den Gebirgen die Menschen beschränkt, abgeschnitten und auf die allerersten Bedürfnisse des Lebens zurückgewiesen sind, je mehr sie sich von einem einfachen, langsamen, unveränderlichen Erwerbe nähren; desto besser, willfähriger, freundlicher, uneigennütziger, gastfreier bei ihrer Armuth hab’ ich sie gefunden.
Leukerbad, den 10. Nov.
Wir machen uns bei Licht zurechte, um mit Tages Anbruch wieder hinunter zu gehen. Diese Nacht habe ich ziemlich unruhig zugebracht. Ich lag kaum im Bette, so kam mir vor als wenn ich über und über mit einer Nesselsucht befallen wäre; doch merkte ich bald, daß es ein großes Heer hüpfender Insecten war, die den neuen Ankömmling blutdürstig überfielen. Diese Thiere erzeugen sich in den hölzernen Häusern in großer Menge. Die Nacht ward mir sehr lang und ich war zufrieden, als man uns den Morgen Licht brachte.
Leuk, gegen 10 Uhr.
Wir haben nicht viel Zeit, doch will ich, eh’ wir hier weggehen, die merkwürdige Trennung unserer Gesellschaft melden, die hier vorgegangen ist, und was sie veranlaßt hat. Wir gingen mit Tages Anbruch heute von Leukerbad aus, und hatten im frischen Schnee einen schlüpfrigen Weg über die Matten zu machen. Wir kamen bald nach Inden, wo wir dann den steilen Weg, den wir gestern herunter kamen, zur Rechten über uns ließen, und auf der Matte nach der Schlucht, die uns nunmehr links lag, hinabstiegen. Es ist diese wild und mit Bäumen verwachsen, doch geht ein ganz leidlicher Weg hinunter. Durch diese Felsklüfte hat das Wasser, das vom Leukerbad kommt, seine Abflüsse in’s Wallisthal. Wir sahen in der Höhe an der Seite des Felsens, den wir gestern herunter gekommen waren, eine Wasserleitung gar künstlich eingehauen, wodurch ein Bach erst daran her, dann durch eine Höhle, aus dem Gebirge in das benachbarte Dorf geleitet wird. Wir mußten nunmehr wieder einen Hügel hinauf und sahen dann bald das offene Wallis und die garstige Stadt Leuk unter uns liegen. Es sind diese Städtchen meist an die Berge angeflickt, die Dächer mit groben geriss’nen Schindeln unzierlich gedeckt, die durch die Jahrszeit ganz schwarz gefault und vermoos’t sind. Wie man auch nur hinein tritt, so ekelt’s einem, denn es ist überall unsauber; Mangel und ängstlicher Erwerb dieser privilegirten und freien Bewohner kommt überall zum Vorschein. Wir fanden den Freund, der die schlimme Nachricht brachte, daß es nunmehr mit den Pferden sehr beschwerlich weiter zu gehen anfinge. Die Ställe werden kleiner und enger, weil sie nur auf Maulesel und Saumrosse eingerichtet sind; der Haber fängt auch an sehr selten zu werden, ja man sagt, daß weiter hin in’s Gebirg gar keiner mehr anzutreffen sei. Ein Beschluß war bald gefaßt: der Freund sollte mit den Pferden das Wallis wieder hinunter über Bex, Vevey, Lausanne, Freiburg und Bern auf Luzern gehen, der Graf und ich wollten unsern Weg das Wallis hinauf fortsetzen, versuchen, wo wir auf den Gotthard hinauf dringen könnten, alsdann durch den Canton Uri über den Vier-Waldstädtersee gleichfalls in Luzern eintreffen. Man findet in dieser Gegend überall Maulthiere, die auf solchen Wegen immer besser sind als Pferde, und zu Fuße zu gehen ist am Ende doch immer das Angenehmste. Wir haben unsere Sachen getrennet. Der Freund ist fort, unser Mantelsack wird auf ein Maulthier das wir gemiethet haben gepackt, und so wollen wir aufbrechen und unsern Weg zu Fuße nach Brieg nehmen. Am Himmel sieht es bunt aus, doch ich denke, das gute Glück, das uns bisher begleitet und uns so weit gelockt hat, soll uns auf dem Platze nicht verlassen, wo wir es am nöthigsten brauchen.
Brieg, den 10. Abends.
Von unserm heutigen Weg kann ich wenig erzählen, ausgenommen, wenn Sie mit einer weitläuftigen Wettergeschichte sich wollen unterhalten lassen. Wir gingen in Gesellschaft eines schwäbischen Metzgerknechtes, der sich hierher verloren, in Leuk Condition gefunden hatte und eine Art von Hanswurst machte, unser Gepäck auf ein Maulthier geladen, das sein Herr vor sich hertrieb, gegen Eilf von Leuk ab. Hinter uns, so weit wir in’s Wallisthal hineinsehen konnten, lag es mit dicken Schnee-Wolken bedeckt, die das Land herauf gezogen kamen. Es war wirklich ein trüber Anblick und ich befürchtete in der Stille, daß, ob es gleich so hell vor uns aufwärts war als wie im Lande Gosen, uns doch die Wolken bald einholen, und wir vielleicht im Grunde des Wallis an beiden Seiten von Bergen eingeschlossen, von Wolken zugedeckt und die Sorge, die sich meistentheils des einen Ohrs bemeistert.
Auf der andern Seite sprach der gute Muth mit weit zuverlässigerer Stimme, verwies mir meinen Unglauben, hielt mir das Vergangene vor und machte mich auch auf die gegenwärtigen Lufterscheinungen aufmerksam. Wir gingen dem schönen Wetter immer entgegen; die Rhone hinauf war alles heiter, und so stark der Abendwind das Gewölk hinter uns her trieb, so konnte es uns doch niemals erreichen. Die Ursache war diese: In das Wallisthal gehen, wie ich schon so oft gesagt, sehr viele Schluchten des benachbarten Gebirges aus und ergießen sich wie kleine Bäche in den großen Strom, wie denn auch alle ihre Gewässer in der Rhone zusammen laufen. Aus jeder solcher Öffnung streicht ein Zugwind, der sich in den innern Thälern und Krümmungen erzeugt. Wie nun der Hauptzug der Wolken das Thal herauf an so eine Schlucht kommt, so läßt die Zugluft die Wolken nicht vorbei, sondern kämpft mit ihnen und dem Winde der sie trägt, hält sie auf und macht ihnen wohl Stunden lang den Weg streitig. Diesem Kampf sahen wir oft zu, und wenn wir glaubten, von ihnen überzogen zu werden, so fanden sie wieder ein solches Hinderniß, und wenn wir eine Stunde gegangen waren, konnten sie noch kaum vom Fleck. Gegen Abend ward der Himmel außerordentlich schön. Als wir uns Brieg näherten, trafen die Wolken fast zu gleicher Zeit mit uns ein; doch mußten sie, weil die Sonne untergegangen war und ihnen nunmehr ein packender Morgenwind entgegen kam, stille stehen, und machten von einem Berge zum andern einen großen halben Mond über das Thal. Sie waren von der kalten Luft zur Consistenz gebracht und hatten, da wo sich ihr Saum gegen den blauen Himmel zeichnete, schöne leichte und muntere Formen. Man sah daß sie Schnee enthielten, doch scheint uns die frische Luft zu verheißen, daß diese Nacht nicht viel fallen soll. Wir haben ein ganz artiges Wirthshaus und, was uns zu großem Vergnügen dient, in einer geräumigen Stube ein Kamin angetroffen; wir sitzen am Feuer und machen Rathschläge wegen unserer weiteren Reise. Hier in Brieg geht die gewöhnliche Straße über den Simplon nach Italien; wenn wir also unsern Gedanken, über die Furka auf den Gotthard zu gehen, aufgeben wollten, so gingen wir mit gemietheten Pferden und Maulthieren auf Domo d’ossola, Margozzo, führen den Lago maggiore hinaufwärts, dann auf Bellinzona und so weiter den Gotthard hinauf, über Airolo zu den Kapuzinern.
Dieser Weg ist den ganzen Winter über gebahnt und mit Pferden bequem zu machen, doch scheint er unserer Vorstellung, da er in unserm Plane nicht war und uns fünf Tage später als unsern Freund nach Luzern führen würde, nicht reizend. Wir wünschen vielmehr das Wallis bis an sein oberes Ende zu sehen, dahin wir morgen Abend kommen werden; und wenn das Glück gut ist, so sitzen wir übermorgen um diese Zeit in Realp in dem Ursner Thal, welches auf dem Gotthard nahe bei dessen höchstem Gipfel ist. Sollten wir nicht über die Furka kommen, so bleibt uns immer der Weg hierher unverschlossen, und wir werden alsdann das aus Noth ergreifen, was wir aus Wahl nicht gerne thun. Sie können sich vorstellen, daß ich hier schon wieder die Leute examiniret habe, ob sie glauben, daß die Passage über die Furka offen ist; denn das ist der Gedanke mit dem ich aufstehe, schlafen gehe, mit dem ich den ganzen Tag über beschäftigt bin. Bisher war es einem Marsch zu vergleichen, den man gegen einen Feind richtet, und nun ist’s, als wenn man sich dem Flecke nähert, wo er sich verschanzt hat und man sich mit ihm herumschlagen muß. Außer unserm Maulthier sind zwei Pferde auf morgen früh bestellt.
Münster, den 11. Abends 6 Uhr.
Wieder einen glücklichen und angenehmen Tag zurückgelegt! Heute früh als wir von Brieg bei guter Tagszeit ausritten, sagte uns der Wirth noch auf den Weg: Wenn der Berg, so nennen sie hier die Furka, gar zu grimmig wäre, so möchten wir wieder zurückkehren und einen andern Weg suchen. Mit unsern zwei Pferden und einem Maulesel kamen wir nun bald über angenehme Matten, wo das Thal so eng wird, daß es kaum einige Büchsenschüsse breit ist. Es hat daselbst eine schöne Weide, worauf große Bäume stehen, und Felsstücke, die sich von benachbarten Bergen abgelös’t haben, zerstreut liegen. Das Thal wird immer enger, man wird genöthiget an den Bergen seitwärts hinauf zu steigen, und hat nunmehr die Rhone in einer schroffen Schlucht immer rechts unter sich. In der Höhe aber breitet sich das Land wieder recht schön aus, auf mannichfaltig gebogenen Hügeln sind schöne nahrhafte Matten, liegen hübsche Örter, die mit ihren dunkelbraunen hölzernen Häusern gar wunderlich unter dem Schnee hervor gucken. Wir gingen viel zu Fuß und thaten’s uns einander wechselseitig zu Gefallen. Denn ob man gleich auf den Pferden sicher ist, so sieht es doch immer gefährlich aus, wenn ein anderer, auf so schmalen Pfaden, von so einem schwachen Thiere getragen, an einem schroffen Abgrund, vor einem herreitet. Weil nun kein Vieh auf der Weide sein kann, indem die Menschen alle in den Häusern stecken, so sieht eine solche Gegend sehr einsam aus, und der Gedanke, daß man immer enger und enger zwischen ungeheuren Gebirgen eingeschlossen wird, gibt der Imagination graue und unangenehme Bilder, die einen, der nicht recht fest im Sattel säße, gar leicht herab werfen könnten. Der Mensch ist niemals ganz Herr von sich selbst. Da er die Zukunft nicht weiß, da ihm sogar der nächste Augenblick verborgen ist; so hat er oft, wenn er etwas Ungemeines vornimmt, mit unwillkürlichen Empfindungen, Ahnungen, traumartigen Vorstellungen zu kämpfen, über die man kurz hinter drein wohl lachen kann, die aber oft in dem Augenblicke der Entscheidung höchst beschwerlich sind. In unserm Mittagsquartier begegnete uns was Angenehmes. Wir traten bei einer Frau ein, in deren Hause es ganz rechtlich aussah. Ihre Stube war nach hiesiger Landesart ausgetäfelt, die Betten mit Schnitzwerk gezieret, die Schränke, Tische und was sonst von kleinen Repositorien an den Wänden und in den Ecken befestigt war, hatte artige Zierrathen von Drechsler- und Schnitzwerk. An den Porträts, die in der Stube hingen, konnte man bald sehen, daß mehrere aus dieser Familie sich dem geistlichen Stand gewidmet hatten. Wir bemerkten auch eine Sammlung wohl eingebundener Bücher über der Thür, die wir für eine Stiftung eines dieser Herren hielten. Wir nahmen die Legenden der Heiligen herunter und lasen drin, während das Essen für uns zubereitet wurde. Die Wirthin fragte uns einmal als sie in die Stube trat, ob wir auch die Geschichte des heil. Alexis gelesen hätten? Wir sagten Nein, nahmen aber weiter keine Notiz davon und jeder las in seinem Capitel fort. Als wir uns zu Tische gesetzt hatten, stellte sie sich zu uns und fing wieder von dem heil. Alexis an zu reden. Wir fragten, ob es ihr Patron oder der Patron ihres Hauses sei, welches sie verneinte, dabei aber versicherte, daß dieser heilige Mann so viel aus Liebe zu Gott ausgestanden habe, daß ihr seine Geschichte erbärmlicher vorkomme, als viele der übrigen.
Da sie sah, daß wir gar nicht unterrichtet waren, fing sie an uns zu erzählen: Es sei der heil. Alexis der Sohn vornehmer, reicher und gottesfürchtiger Eltern in Rom gewesen, sei ihnen, die den Armen außerordentlich viel Gutes gethan, in Ausübung guter Werke mit Vergnügen gefolgt; doch habe ihm dieses noch nicht genug gethan, sondern er habe sich in der Stille Gott ganz und gar geweiht, und Christo eine ewige Keuschheit angelobet. Als ihn in der Folge seine Eltern an eine schöne und treffliche Jungfrau verheirathen wollen, habe er zwar sich ihrem Willen nicht widersetzt, die Trauung sei vollzogen worden; er habe sich aber, anstatt sich zu der Braut in die Kammer zu begeben, auf ein Schiff das er bereit gefunden gesetzt, und sei damit nach Asien übergefahren. Er habe daselbst die Gestalt eines schlechten Bettlers angezogen und sei dergestalt unkenntlich geworden, daß ihn auch die Knechte seines Vaters, die man ihm nachgeschickt, nicht erkannt hätten. Er habe sich daselbst an der Thüre der Hauptkirche gewöhnlich aufgehalten, dem Gottesdienst beigewohnt und sich von geringem Almosen der Gläubigen genährt. Nach drei oder vier Jahren seien verschiedene Wunder geschehen, die ein besonderes Wohlgefallen Gottes angezeigt. Der Bischof habe in der Kirche eine Stimme gehört, daß er den frömmsten Mann, dessen Gebet vor Gott am angenehmsten sei, in die Kirche rufen und an seiner Seite den Dienst verrichten sollte. Da dieser hierauf nicht gewußt wer gemeint sei, habe ihm die Stimme den Bettler angezeigt, den er denn auch zu großem Erstaunen des Volks hereingeholt. Der heil. Alexis, betroffen daß die Aufmerksamkeit der Leute auf ihn rege geworden, habe sich in der Stille davon und auf ein Schiff gemacht, willens weiter sich in die Fremde zu begeben. Durch Sturm aber und andere Umstände sei er genöthiget worden, in Italien zu landen. Der heil. Mann habe hierin einen Wink Gottes gesehen und sich gefreut eine Gelegenheit zu finden, wo er die Selbstverläugnung im höchsten Grade zeigen konnte. Er sei daher geradezu auf seine Vaterstadt losgegangen, habe sich als ein armer Bettler vor seiner Eltern Hausthür gestellt, diese, ihn auch dafür haltend, haben ihn nach ihrer frommen Wohlthätigkeit gut aufgenommen, und einem Bedienten aufgetragen, ihn mit Quartier im Schloß und den nöthigen Speisen zu versehen. Dieser Bediente, verdrießlich über die Mühe und unwillig über seiner Herrschaft Wohlthätigkeit, habe diesen anscheinenden Bettler in ein schlechtes Loch unter der Treppe gewiesen, und ihm daselbst geringes und sparsames Essen gleich einem Hunde vorgeworfen. Der heil. Mann, anstatt sich dadurch irre machen zu lassen, habe darüber erst Gott recht in seinem Herzen gelobt, und nicht allein dieses, was er so leicht ändern können, mit gelassenem Gemüthe getragen, sondern auch die andauernde Betrübniß der Eltern und seiner Gemahlin über die Abwesenheit ihres so geliebten Alexis mit unglaublicher und übermenschlicher Standhaftigkeit ausgehalten. Denn seine vielgeliebten Eltern und seine schöne Gemahlin hat er des Tags wohl hundertmal seinen Namen ausrufen hören, sich nach ihm sehnen und über seine Abwesenheit ein kummervolles Leben verzehren sehen. An dieser Stelle konnte sich die Frau der Thränen nicht mehr enthalten und ihre beiden Mädchen, die sich während der Erzählung an ihren Rock gehängt, sahen unverwandt an der Mutter hinauf. Ich weiß mir keinen erbärmlichern Zustand vorzustellen, sagte sie, und keine größere Marter, als was dieser heilige Mann bei den Seinigen und aus freiem Willen ausgestanden hat. Aber Gott hat ihm seine Beständigkeit auf’s herrlichste vergolten, und bei seinem Tode die größten Zeichen der Gnade vor den Augen der Gläubigen gegeben. Denn als dieser heilige Mann, nachdem er einige Jahre in diesem Zustande gelebt, täglich mit größter Innbrunst dem Gottesdienste beigewohnet, so ist er endlich krank geworden ohne daß jemand sonderlich auf ihn Acht gegeben.
Als darnach an einem Morgen der Papst, in Gegenwart des Kaisers und des ganzen Adels, selbst hohes Amt gehalten, haben auf einmal die Glocken der ganzen Stadt Rom wie zu einem vornehmen Todtengeläute zu läuten angefangen; wie nun jedermänniglich darüber erstaunt, so ist dem Papste eine Offenbarung geschehen, daß dieses Wunder den Tod des heiligsten Mannes in der ganzen Stadt anzeige, der in dem Hause des Patricii so eben verschieden sei. Der Vater des Alexis fiel auf Befragen selbst auf den Bettler. Er ging nach Hause und fand ihn unter der Treppe wirklich todt. In den zusammengefalteten Händen hatte der heil. Mann ein Papier stecken, welches ihm der Alte, wiewohl vergebens, herauszuziehen suchte. Er brachte diese Nachricht dem Kaiser und Papst in die Kirche zurück, die alsdann mit dem Hofe und der Klerisei sich aufmachten, um selbst den heil. Leichnam zu besuchen. Als sie angelangt, nahm der heil. Vater ohne Mühe das Papier dem Leichnam aus den Händen, überreichte es dem Kaiser, der es sogleich von seinem Kanzler vorlesen ließ. Es enthielte dieses Papier die bisherige Geschichte dieses Heiligen. Da hätte man nun erst den übergroßen Jammer der Eltern und der Gemahlin sehen sollen, die ihren theuren Sohn und Gatten so nahe bei sich gehabt und ihm nichts zu Gute thun können, und nunmehro erst erfuhren wie übel er behandelt worden. Sie fielen über den Körper her, klagten so wehmüthig, daß niemand von allen Umstehenden sich des Weinens enthalten konnte. Auch waren unter der Menge Volks, die sich nach und nach zudrängten, viele Kranke die zu dem heil. Körper gelassen und durch dessen Berührung gesund wurden. Die Erzählerin versicherte nochmals, indem sie ihre Augen trocknete, daß sie keine erbärmlichere Geschichte niemals gehört habe; und mir kam selbst ein so großes Verlangen zu weinen an, daß ich große Mühe hatte es zu verbergen und zu unterdrücken. Nach dem Essen suchte ich im Pater Cochem die Legende selbst auf, und fand, daß die gute Frau den ganzen reinen menschlichen Faden der Geschichte behalten und alle abgeschmackten Anwendungen dieses Schriftstellers rein vergessen hatte. Wir gehen fleißig in’s Fenster und sehen uns nach der Witterung um, denn wir sind jetzt sehr im Fall, Winde und Wolken anzubeten. Die frühe Nacht und die allgemeine Stille ist das Element, worin das Schreiben recht gut gedeiht, und ich bin überzeugt, wenn ich mich nur einige Monate an so einem Orte inne halten könnte und müßte, so würden alle meine angefangenen Dramen eins nach dem andern aus Noth fertig. Wir haben schon verschiedene Leute vorgehabt und sie nach dem Übergange über die Furka gefragt, aber auch hier können wir nichts Bestimmtes erfahren, ob der Berg gleich nur zwei Stunden entfernt ist.
Wir müssen uns also darüber beruhigen, und morgen mit Anbruch des Tages selbst recognosciren und sehen, auch sonst bin, so muß ich gestehen, daß mir’s höchst verdrießlich wäre, wenn wir zurückgeschlagen würden. Glückt es, so sind wir morgen Abend in Realp auf dem Gotthard und übermorgen zu Mittage auf dem Gipfel des Bergs bei den Kapuzinern; mißlingt’s, so haben wir nur zwei Wege zur Retirade offen, wovon keiner sonderlich besser ist als der andere. Durch’s ganze Wallis zurück und den bekannten Weg über Bern auf Luzern; oder auf Brieg zurück und erst durch einen großen Umweg auf den Gotthard! Ich glaube, ich habe Ihnen das in diesen wenigen Blättern schon dreimal gesagt. Freilich ist es für uns von der größten Wichtigkeit. Der Ausgang wird entscheiden, ob unser Muth und Zutrauen, daß es gehen müsse, oder die Klugheit einiger Personen, die uns diesen Weg mit Gewalt widerrathen wollen, Recht und Muth, das Glück über sich erkennen müssen. Nachdem wir vorher nochmals das Wetter examinirt, die Luft kalt, den Himmel heiter und ohne Disposition zu Schnee gesehen haben, legen wir uns ruhig zu Bette.
Münster, den 12. Nov. früh 6 Uhr.
Wir sind schon fertig und alles ist eingepackt, um mit Tages Anbruch von hier weg zu gehen. Wir haben zwei Stunden bis Oberwald, und von da rechnet man gewöhnlich sechs Stunden auf Realp. Unser Maulthier geht mit dem Gepäck nach, so weit wir es bringen können.
Realp, den 12. Nov. Abends.
Mit einbrechender Nacht sind wir hier angekommen. Es ist überstanden und der Knoten, der uns den Weg verstrickte, entzwei geschnitten. Eh’ ich Ihnen sage, wo wir eingekehrt sind, eh’ ich Ihnen das Wesen unserer Gastfreunde beschreibe, lassen Sie mich mit Vergnügen den Weg in Gedanken zurück machen, den wir mit Sorgen vor uns liegen sahen und den wir glücklich, doch nicht ohne Beschwerde, zurückgelegt haben.
Um Sieben gingen wir von Münster weg und sahen das beschneite Amphitheater der hohen Gebirge vor uns zugeschlossen, hielten den Berg, der hinten quer vorsteht, für die Furka; allein wir irrten uns, wie wir nachmals erfuhren; sie war durch Berge, die uns links lagen, und durch hohe Wolken bedeckt. Der Morgenwind blies stark und schlug sich mit einigen Schneewolken herum, und jagte abwechselnd leichte Gestöber an den Bergen und durch das Thal. Desto stärker trieben aber die Windweben an dem Boden hin und machten uns etlichemal den Weg verfehlen, ob wir gleich, auf beiden Seiten von Bergen eingeschlossen, Oberwald am Ende doch finden mußten. Nach Neune trafen wir daselbst an und sprachen in einem Wirthshaus ein, wo sich die Leute nicht wenig wunderten, solche Gestalten in dieser Jahrszeit erscheinen zu sehen. Wir fragten, ob der Weg über die Furka noch gangbar wäre? Sie antworteten, daß ihre Leute den größten Theil des Winters drüber gingen; ob wir aber hinüber kommen würden, das wüßten sie nicht. Wir schickten sogleich nach solchen Führern; es kam ein untersetzter starker Mann, dessen Gestalt ein gutes Zutrauen gab, dem wir unsern Antrag thaten: Wenn er den Weg für uns noch practicabel hielte, so sollt’ ers sagen, noch einen oder mehr Kameraden zu sich nehmen und mit uns kommen. Nach einigem Bedenken sagte er’s zu, ging weg, um sich fertig zu machen und den andern mitzubringen. Wir zahlten indessen unserm Mauleseltreiber seinen Lohn, den wir mit seinem Thiere nunmehr nicht weiter brauchen konnten, aßen ein weniges Käs und Brot, tranken ein Glas rothen Wein und waren sehr lustig und wohlgemuth, als unser Führer wieder kam und noch einen größer und stärker aussehenden Mann, der die Stärke und Tapferkeit eines Rosses zu haben schien, hinter sich hatte. Einer hockte den Mantelsack auf den Rücken, und nun ging der Zug zu Fünfen zum Dorfe hinaus, da wir denn in kurzer Zeit den Fuß des Berges, der uns links lag, erreichten und allmählich in die Höhe zu steigen anfingen. Zuerst hatten wir noch einen betretenen Fußpfad, der von einer benachbarten Alpe herunterging, bald aber verlor sich dieser und wir mußten im Schnee den Berg hinauf steigen. Unsere Führer wanden sich durch die Felsen, um die sich der bekannte Fußpfad schlingt, sehr geschickt herum, obgleich alles überein zugeschneit war. Noch ging der Weg durch einen Fichtenwald, wir hatten die Rhone in einem engen unfruchtbaren Thal unter uns. Nach einer kleinen Weile mußten wir selbst hinab in dieses Thal, kamen über einen kleinen Steg und sahen nunmehr den Rhonegletscher vor uns. Es ist der ungeheuerste, den wir so ganz übersehen haben. Er nimmt den Sattel eines Berges in sehr großer Breite ein, steigt ununterbrochen herunter bis da wo unten im Thal die Rhone aus ihm herausfließt.
An diesem Ausflusse hat er, wie die Leute erzählen, verschiedene Jahre her abgenommen; das will aber gegen die übrige ungeheure Masse gar nichts sagen. Obgleich alles voll Schnee lag, so waren doch die schroffen Eisklippen, wo der Wind so leicht keinen Schnee haften läßt, mit ihren vitriolblauen Spalten sichtbar, und man konnte deutlich sehen, wo der Gletscher aufhört und der beschneite Felsen anhebt.
Wir gingen ganz nahe daran hin, er lag uns linker Hand. Bald kamen wir wieder auf einen leichten Steg über ein kleines Bergwasser, das in einem muldenförmigen unfruchtbaren Thal nach der Rhone zu floß. Vom Gletscher aber rechts und links und vorwärts sieht man nun keinen Baum mehr, alles ist öde und wüste. Keine schroffen und überstehenden Felsen, nur lang gedehnte Thäler, sacht geschwungene Berge, die nun gar im alles vergleichenden Schnee die einfachen ununterbrochenen Flächen uns entgegen wiesen. Wir stiegen nunmehr links den Berg hinan und sanken in tiefen Schnee. Einer von unsern Führern mußte voran und brach, indem er herzhaft durchschritt, die Bahn, in der wir folgten. Es war ein seltsamer Anblick, wenn man einen Moment seine Aufmerksamkeit von dem Wege ab und auf sich selbst und die Gesellschaft wendete: in der ödesten Gegend der Welt, und in einer ungeheuren einförmigen schneebedeckten Gebirgs-Wüste, wo man rückwärts und vorwärts auf drei Stunden keine lebendige Seele weiß, wo man auf beiden Seiten die weiten Tiefen verschlungener Gebirge hat, eine Reihe Menschen zu sehen, deren einer in des andern tiefe Fußtapfen tritt, und wo in der ganzen glatt überzogenen Weite nichts in die Augen fällt, als die Furche die man gezogen hat.
Die Tiefen, aus denen man herkommt, liegen grau und endlos in Nebel hinter einem. Die Wolken wechseln über die blasse Sonne, breitflockiger Schnee stiebt in der Tiefe und zieht über alles einen ewig beweglichen Flor. Ich bin überzeugt, daß einer, über den auf diesem Weg seine Einbildungskraft nur einigermaßen Herr würde, hier ohne anscheinende Gefahr vor Angst und Furcht vergehen müßte. Eigentlich ist auch hier keine Gefahr des Sturzes, sondern nur die Lauwinen, wenn der Schnee stärker wird als er jetzt ist, und durch seine Last zu rollen anfängt, sind gefährlich.
Doch erzählten uns unsere Führer, daß sie den ganzen Winter durch drüber gingen, um Ziegenfelle aus dem Wallis auf den Gotthard zu tragen, womit ein starker Handel getrieben wird. Sie gehen alsdann, um die Lauwinen zu vermeiden, nicht da wo wir gingen, den Berg allmählich hinauf, sondern bleiben eine Weile unten im breitern Thal, und steigen alsdann den steilen Berg gerade hinauf. Der Weg ist da sicherer, aber auch viel unbequemer. Nach viertehalb Stunden Marsch kamen wir auf dem Sattel der Furka an, bei’m Kreuz wo sich Wallis und Uri scheiden. Auch hier ward uns der doppelte Gipfel der Furka, woher sie ihren Namen hat, nicht sichtbar. Wir hofften nunmehr einen bequemern Hinabstieg, allein unsere Führer verkündigten uns einen noch tiefern Schnee, den wir auch bald fanden. Unser Zug ging wie vorher hinter einander fort, und der vorderste, der die Bahn brach, saß oft bis über den Gürtel darin. Die Geschicklichkeit der Leute, und die Leichtigkeit womit sie die Sache tractirten, erhielt auch unsern guten Muth; und ich muß sagen, daß ich für meine Person so glücklich gewesen bin, den Weg ohne große Mühseligkeit zu überstehen, ob ich gleich damit nicht sagen will, daß es ein Spaziergang sei. Der Jäger Hermann versicherte, daß er auf dem Thüringerwalde auch schon so tiefen Schnee gehabt habe, doch ließ er sich am Ende verlauten, die Furka sei ein S.. .r. Es kam ein Lämmergeier mit unglaublicher Schnelle über uns hergeflogen; er war das einzige Lebende was wir in diesen Wüsten antrafen, und in der Ferne sahen wir die Berge des Ursner Thals im Sonnenschein. Unsere Führer wollten in einer verlassenen, steinernen und zugeschneiten Hirtenhütte einkehren und etwas essen, allein wir trieben sie fort um in der Kälte nicht stille zu stehen. Hier schlingen sich wieder andere Thäler ein, und endlich hatten wir den offenen Anblick in’s Ursner Thal. Wir gingen schärfer und, nach viertehalb Stunden Wegs vom Kreuz an, sahen wir die zerstreuten Dächer von Realp. Wir hatten unsere Führer schon verschiedentlich gefragt, was für ein Wirthshaus und besonders was für Wein wir in Realp zu erwarten hätten. Die Hoffnung, die sie uns gaben, war nicht sonderlich, doch versicherten sie, daß die Kapuziner daselbst, die zwar nicht, wie die auf dem Gotthard, ein Hospitium hätten, dennoch manchmal Fremde aufzunehmen pflegten. Bei diesen würden wir einen guten rothen Wein und besseres Essen als im Wirthshaus finden. Wir schickten einen deßwegen voraus, daß er die Patres disponiren und uns Quartier machen sollte. Wir säumten nicht ihm nach zu gehen und kamen bald nach ihm an, da uns denn ein großer ansehnlicher Pater an der Thür empfing. Er hieß uns mit großer Freundlichkeit eintreten und bat noch auf der Schwelle, daß wir mit ihnen vorlieb nehmen möchten, da sie eigentlich, besonders in jetziger Jahrszeit, nicht eingerichtet wären, solche Gäste zu empfangen. Er führte uns sogleich in eine warme Stube und war sehr geschäftig, uns, indem wir unsere Stiefeln auszogen und Wäsche wechselten, zu bedienen. Er bat uns einmal über das andre, wir möchten ja völlig thun, als ob wir zu Hause wären. Wegen des Essens müßten wir, sagte er, in Geduld stehen, indem sie in ihrer langen Fasten begriffen wären, die bis Weihnachten dauert. Wir versicherten ihm, daß eine warme Stube, ein Stück Brot und ein Glas Wein, unter gegenwärtigen Umständen, alle unsere Wünsche erfülle. Er reichte uns das Verlangte, und wir hatten uns kaum ein wenig erholt, als er uns ihre Umstände und ihr Verhältniß hier auf diesem öden Flecke zu erzählen anfing. Wir haben, sagte er, kein Hospitium, wie die Patres auf dem Gotthard; wir sind hier Pfarrherrn und unser drei: ich habe das Predigtamt auf mir, der zweite Pater die Schullehre und der Bruder die Haushaltung. Er fuhr fort zu erzählen, wie beschwerlich ihre Geschäfte seien, am Ende eines einsamen, von aller Welt abgesonderten Thales zu liegen, und für sehr geringe Einkünfte viele Arbeit zu thun. Es sei sonst diese, wie die übrigen dergleichen Stellen, von einem Weltgeistlichen versehen worden, der aber, als einstens eine Schneelauwine einen Theil des Dorfs bedeckt, sich mit der Monstranz geflüchtet; da man ihn denn abgesetzt und sie, denen man mehr Resignation zutraue, an dessen Stelle eingeführt habe. Ich habe mich, um dieses zu schreiben, in eine obere Stube begeben, die durch ein Loch von unten auf geheizt wird. Es kommt die Nachricht, daß das Essen fertig ist, die, ob wir gleich schon einiges vorgearbeitet haben, sehr willkommen klingt.
Nach Neun.
Die Patres, Herren, Knechte und Träger haben alle zusammen an Einem Tische gegessen; nur der Frater, der die Küche besorgte, war erst ganz gegen Ende der Tafel sichtbar. Er hatte aus Eiern, Milch und Mehl gar mannichfaltige Speisen zusammengebracht, die wir uns eine nach der andern sehr wohl schmecken ließen. Die Träger, die eine große Freude hatten, von unserer glücklich vollbrachten Expedition zu reden, lobten unsre seltene Geschicklichkeit im Gehen, und versicherten, daß sie es nicht mit einem jeden unternehmen würden. Sie gestanden uns nun, daß heute früh als sie aufgefordert wurden, erst einer gegangen sei, uns zu recognosciren, um zu sehen, ob wir wohl die Miene hätten, mit ihnen fortzukommen; denn sie hüteten sich sehr, alte oder schwache Leute in dieser Jahrszeit zu begleiten, weil es ihre Pflicht sei, denjenigen, dem sie einmal zugesagt ihn hinüber zu bringen, im Fall er matt oder krank würde, zu tragen und selbst wenn er stürbe, nicht liegen zu lassen, außer wenn sie in augenscheinliche Gefahr ihres eigenen Lebens kämen. Es war nunmehr durch dieses Geständniß die Schleuse der Erzählung aufgezogen, und nun brachte einer nach dem andern Geschichten von beschwerlichen oder verunglückten Bergwanderungen hervor, worin die Leute hier gleichsam wie in einem Elemente leben, so daß sie mit der größten Gelassenheit Unglücksfälle erzählen, denen sie täglich selbst unterworfen sind. Der eine brachte eine Geschichte vor, wie er auf dem Kandersteg, um über den Gemmi zu gehen, mit noch einem Kameraden, der denn auch immer mit Vor- und Zunamen genennt wird, in tiefem Schnee, eine arme Familie angetroffen, die Mutter sterbend, den Knaben halb todt, und den Vater in einer Gleichgültigkeit, die dem Wahnsinne ähnlich gewesen. Er habe die Frau aufgehockt, sein Kamerade den Sohn, und so haben sie den Vater, der nicht vom Flecke gewollt, vor sich hergetrieben.
Bei’m Absteigen vom Gemmi sei die Frau ihm auf dem Rücken gestorben, und er habe sie noch todt bis hinunter in’s Leukerbad gebracht. Auf Befragen, was es für Leute gewesen seien, und wie sie in dieser Jahrszeit auf die Gebirge gekommen, sagte er: es seien arme Leute aus dem Canton Bern gewesen, die, von Mangel getrieben, sich in unschicklicher Jahrszeit auf den Weg gemacht, um Verwandte im Wallis oder den italiänischen Provinzen aufzusuchen, und seien von der Witterung übereilt worden. Sie erzählten ferner Geschichten, die ihnen begegnen, wenn sie Winters Ziegenfelle über die Furka tragen, wo sie aber immer gesellschaftsweise zusammen gingen. Der Pater machte dazwischen viele Entschuldigungen wegen seines Essens, und wir verdoppelten unsere Versicherungen, daß wir nicht mehr wünschten, und erfuhren, da er das Gespräch auf sich und seinen Zustand lenkte, daß er noch nicht sehr lange an diesem Platze sei. Er fing an vom Predigtamte zu sprechen und von dem Geschick, das ein Prediger haben müsse; er verglich ihn mit einem Kaufmann, der seine Waare wohl heraus zu streichen und durch einen gefälligen Vortrag den Leuten angenehm zu machen habe. Er setzte nach Tisch die Unterredung fort, und indem er aufgestanden die linke Hand auf den Tisch stemmte, mit der rechten seine Worte begleitete, und von der Rede selbst rednerisch redete, so schien er in dem Augenblick uns überzeugen zu wollen, daß er selbst der geschickte Kaufmann sei. Wir gaben ihm Beifall, und er kam von dem Vortrage auf die Sache selbst. Er lobte die katholische Religion. Eine Regel des Glaubens müssen wir haben, sagte er: und daß diese so fest und unveränderlich als möglich sei, ist ihr größter Vorzug. Die Schrift haben wir zum Fundamente unsers Glaubens, allein dieß ist nicht hinreichend. Dem gemeinen Manne dürfen wir sie nicht in die Hände geben; denn so heilig sie ist und von dem Geiste Gottes auf allen Blättern zeugt, so kann doch der irdisch gesinnte Mensch dieses nicht begreifen, sondern findet überall leicht Verwirrung und Anstoß. Was soll ein Laie Gutes aus den schändlichen Geschichten, die darin vorkommen, und die doch zu Stärkung des Glaubens für geprüfte und erfahrne Kinder Gottes von dem heil. Geiste aufgezeichnet worden, was soll ein gemeiner Mann daraus Gutes ziehen, der die Sachen nicht in ihrem Zusammenhange betrachtet? Wie soll er sich aus den hier und da anscheinenden Widersprüchen, aus der Unordnung der Bücher, aus der mannichfaltigen Schreibart herauswickeln, da es den Gelehrten selbst so schwer wird, und die Gläubigen über so viele Stellen ihre Vernunft gefangen nehmen müssen? Was sollen wir also lehren? Eine auf die Schrift gegründete mit der besten Schriftauslegung bewiesene Regel! Und wer soll die Schrift auslegen? Wer soll diese Regel festsetzen? Etwa ich oder ein anderer einzelner Mensch? Mit nichten! Jeder hängt die Sache auf eine andere Art zusammen, stellt sie sich nach seinem Concepte vor. Das würde eben so viele Lehren als Köpfe geben, und unsägliche Verwirrungen hervorbringen, wie es auch schon gethan hat.
Nein, es bleibt der allerheiligsten Kirche allein, die Schrift auszulegen und die Regel zu bestimmen, wornach wir unsere Seelenführung einzurichten haben. Und wer ist diese Kirche? Es ist nicht etwa ein oder das andere Oberhaupt, ein oder das andere Glied derselben, nein! Es sind die heiligsten, gelehrtesten, erfahrensten Männer aller Zeiten, die sich zusammen vereiniget haben, nach und nach, unter dem Beistand des heil. Geistes, dieses übereinstimmende große und allgemeine Gebäude aufzuführen; die auf den großen Versammlungen ihre Gedanken einander mitgetheilet, sich wechselseitig erbaut, die Irrthümer verbannt und eine Sicherheit, eine Gewißheit unserer allerheiligsten Religion gegeben, deren sich keine andre rühmen kann; ihr einen Grund gegraben und eine Brustwehr aufgeführet, die die Hölle selbst nicht überwältigen kann. Eben so ist es auch mit dem Texte der heil. Schrift. Wir haben die Vulgata, wir haben eine approbirte Übersetzung der Vulgata, und zu jedem Spruche eine Auslegung, welche von der Kirche gebilliget ist. Daher kommt die Übereinstimmung, die einen jeden erstaunen muß. Ob Sie mich hier reden hören an diesem entfernten Winkel der Welt, oder in der größten Hauptstadt in einem entferntesten Lande, den ungeschicktesten oder den fähigsten; alle werden Eine Sprache führen, ein katholischer Christ wird immer dasselbige hören, überall auf dieselbige Weise unterrichtet und erbauet werden: und das ist’s was die Gewißheit unsers Glaubens macht, was uns die süße Zufriedenheit und Versicherung gibt, in der wir einer mit dem andern fest verbunden leben, und in der Gewißheit, uns glücklicher wieder zu finden, von einander scheiden können. Er hatte diese Rede, wie im Discurs, eins auf das andre, folgen lassen, mehr in dem innern behaglichen Gefühl, daß er sich uns von einer vortheilhaften Seite zeige, als mit dem Ton einer bigotten Belehrungssucht. Er wechselte theils mit den Händen dabei ab, schob sie einmal in die Kuttenärmel zusammen, ließ sie über dem Bauch ruhen, bald holte er mit gutem Anstand seine Dose aus der Kapuze und warf sie nach dem Gebrauch wieder hinein. Wir hörten ihm aufmerksam zu, und er schien mit unserer Art, seine richte {ed.-???}.
Den 13. Nov., oben auf dem Gipfel
des Gotthards bei den Kapuzinern.
Morgens um Zehn.
Endlich sind wir auf dem Gipfel unserer Reise glücklich angelangt! Hier, ist’s beschlossen, wollen wir stille stehen und uns wieder nach dem Vaterlande zuwenden.
Ich komme mir sehr wunderbar hier oben vor; wo ich mich vor vier Jahren mit ganz andern Sorgen, Gesinnungen, Planen und Hoffnungen, in einer andern Jahrszeit, einige Tage aufhielt, und mein künftiges Schicksal unvorahnend durch ein ich weiß nicht was bewegt Italien den Rücken zukehrte und meiner jetzigen Bestimmung unwissend entgegen ging. Ich erkannte das Haus nicht wieder. Vor einiger Zeit ist es durch eine Schneelauwine stark beschädigt worden; die Patres haben diese Gelegenheit ergriffen, und eine Beisteuer im Lande eingesammelt, um ihre Wohnung zu erweitern und bequemer zu machen. Beide Patres, die hier oben wohnen, sind nicht zu Hause, doch, wie ich höre, noch eben dieselben die ich vor vier Jahren antraf. Pater Seraphim, der schon dreizehn Jahre auf diesem Posten aushält, ist gegenwärtig in Mailand, den andern erwarten sie noch heute von Airolo herauf. In dieser reinen Luft ist eine ganz grimmige Kälte. Sobald wir gegessen haben, will ich weiter fortfahren, denn vor die Thüre, merk’ ich schon, werden wir nicht viel kommen. Nach Tische.
Es wird immer kälter, man mag gar nicht von dem Ofen weg. Ja es ist die größte Lust sich oben drauf zu setzen, welches in diesen Gegenden, wo die Öfen von steinernen Platten zusammen gesetzt sind, gar wohl angeht. Zuvörderst also wollen wir an den Abschied von Realp und unsern Weg hieher. Noch gestern Abend, ehe wir zu Bette gingen, führte uns der Pater in sein Schlafzimmer, wo alles auf einen sehr kleinen Platz zusammen gestellt war. Sein Bett, das aus einem Strohsack und einer wollenen Decke bestund, schien uns, die wir uns an ein gleiches Lager gewöhnt, nichts Verdienstliches zu haben. Er
Zufriedenheit, seinen Bücherschrank und andere Dinge. Wir lobten ihm alles und schieden sehr zufrieden von einander, um zu Bette zu gehen. Bei der Einrichtung des Zimmers hatte man, um zwei Betten an Eine Wand anzubringen, beide kleiner als gehörig gemacht. Diese Unbequemlichkeit hielt mich vom Schlaf ab, bis ich mir durch zusammengestellte Stühle zu helfen suchte. Erst heute früh bei hellem Tage erwachten wir wieder und gingen hinunter, da wir denn durchaus vergnügte und freundliche Gesichter antrafen. Unsere Führer, im Begriff den lieblichen gestrigen Weg wieder zurück zu machen, schienen es als Epoche anzusehn und als Geschichte, mit der sie sich in der Folge gegen andere Fremde was zu Gute thun könnten; und da sie gut bezahlt wurden, schien bei ihnen der Begriff von Abenteuer vollkommen zu werden. Wir nahmen noch ein starkes Frühstück zu uns und schieden. Unser Weg ging nunmehr durch’s Ursner Thal, das merkwürdig ist, weil es in so großer Höhe schöne Matten und Viehzucht hat. Es werden hier Käse gemacht, denen ich einen besondern Vorzug gebe. Hier wachsen keine Bäume; Büsche von Saalweiden fassen den Bach ein, und an den Gebirgen flechten sich kleine Sträucher durch einander. Mir ist’s unter allen Gegenden, die ich kenne, die liebste und interessanteste; es sei nun daß alte Erinnerungen sie werth machen, oder daß mir das Gefühl von so viel zusammengeketteten Wundern der Natur ein heimliches und unnennbares Vergnügen erregt. Ich setze zum voraus, die ganze Gegend, durch die ich Sie führe, ist mit Schnee bedeckt, Fels und Matte und Weg sind alle überein verschneit. Der Himmel war ganz klar ohne irgend eine Wolke, das Blau viel tiefer als man es in dem platten Lande gewohnt ist, die Rücken der Berge, die sich weiß davon abschnitten, theils hell im Sonnenlicht, theils blaulich im Schatten. In anderthalb Stunden waren wir in Hospital; ein Örtchen das noch im Ursner Thal am Weg auf den Gotthard liegt. Hier betrat ich zum erstenmal wieder die Bahn meiner vorigen Reise. Wir kehrten ein, bestellten uns auf Morgen ein Mittagessen und stiegen den Berg hinauf. Ein großer Zug von Mauleseln machte mit seinen Glocken die ganze Gegend lebendig. Es ist ein Ton, der alle Berg-Erinnerungen rege macht. Der größte Theil war schon vor uns aufgestiegen, und hatte den glatten Weg mit den scharfen Eisen schon ziemlich aufgehauen. Wir fanden auch einige Wegeknechte, die bestellt sind, das Glatteis mit Erde zu überfahren, um den Weg practicabel zu erhalten. Der Wunsch, den ich in vorigen Zeiten gethan hatte, diese Gegend einmal im Schnee zu sehen, ist mir nun auch gewährt. Der Weg geht an der, über Felsen sich immer hinabstürzenden, Reuß hinauf, und die Wasserfälle bilden hier die schönsten Formen. Wir verweilten lange bei der Schönheit des einen, der über schwarze Felsen in ziemlicher Breite herunterkam. Hier und da hatten sich, in den Ritzen und auf den Flächen, Eismassen angesetzt, und das Wasser schien über schwarz und weiß gesprengten Marmor herzulaufen. Das Eis blinkte wie Krystall-Adern und Strahlen in der Sonne, und das Wasser lief rein und frisch dazwischen hinunter. Auf den Gebirgen ist keine beschwerlichere Reisegesellschaft als Maulthiere. Sie halten einen ungleichen Schritt, indem sie, durch einen sonderbaren Instinct, unten an einem steilen Orte erst stehen bleiben, dann denselben schnell hinauf schreiten und oben wieder ausruhen. Sie halten auch auf geraden Flächen, die hier und da vorkommen, manchmal inne, bis sie durch den Treiber, oder durch die nachfolgenden Thiere vom Platze bewegt werden. Und so, indem man einen gleichen Schritt hält, drängt man sich an ihnen auf dem schmalen Wege vorbei, und gewinnt über solche ganze Reihen den Vortheil. Steht man still, um etwas zu betrachten, so kommen sie einem wieder zuvor, und man ist von dem betäubenden Laut ihrer Klingeln und von ihrer breit wir endlich auf dem Gipfel des Berges an, den Sie sich wie einen kahlen Scheitel, mit einer Krone umgeben, denken müssen. Man ist hier auf einer Fläche, ringsum wieder von Gipfeln umgeben, und die Aussicht wird in der Nähe und Ferne von kahlen und auch meistens mit Schnee bedeckten Rippen und Klippen eingeschränkt. Man kann sich kaum erwärmen, besonders da sie nur mit Reißig heizen können, und auch dieses sparen müssen, weil sie es fast drei Stunden herauf zu schleppen haben, und oberwärts, wie gesagt, fast gar kein Holz wächs’t. Der Pater ist von Airolo herauf gekommen, so erfroren, daß er bei seiner Ankunft kein Wort hervorbringen konnte. Ob sie gleich hier oben sich bequemer als die übrigen vom Orden tragen dürfen, so ist es doch immer ein Anzug, der für dieses Klima nicht gemacht ist. Er war von Airolo herauf den sehr glatten Weg gegen den Wind gestiegen; der Bart war ihm eingefroren, und es währte eine ganze Weile, bis er sich besinnen konnte. Wir unterhielten uns von der Beschwerlichkeit dieses Aufenthalts; er erzählte, wie es ihnen das Jahr über zu gehen pflege, ihre Bemühungen und häuslichen Umstände. Er sprach nichts als Italiänisch, und wir fanden hier Gelegenheit von den Übungen, die wir uns das Frühjahr in dieser Sprache gegeben, Gebrauch zu machen. Gegen Abend traten wir einen Augenblick vor die Hausthüre heraus, um uns vom Pater denjenigen Gipfel zeigen zu lassen, den man für den höchsten des Gotthards hält; wir konnten aber kaum einige Minuten dauern, so durchdringend und angreifend kalt ist es. Wir bleiben also wohl für dießmal in dem Hause eingeschlossen, bis wir morgen fortgehen, und haben Zeit genug das Merkwürdige dieser Gegend in Gedanken zu durchreisen.
Aus einer kleinen geographischen Beschreibung werden Sie sehen, wie merkwürdig der Punct ist, auf dem wir uns jetzt befinden. Der Gotthard ist zwar nicht das höchste Gebirg der Schweiz, und in Savoyen übertrifft ihn der Montblanc an Höhe um sehr vieles; doch behauptet er den Rang eines königlichen Gebirges über alle andere, weil die größten Gebirgsketten bei ihm zusammen laufen und sich an ihn lehnen. Ja, wenn ich mich nicht irre, so hat mir Herr Wyttenbach zu Bern, der von dem höchsten Gipfel die Spitzen der übrigen Gebirge gesehen, erzählt, daß sich diese alle gleichsam gegen ihn zu neigen schienen. Die Gebirge von Schweiz und Unterwalden, gekettet an die von Uri, steigen von Mitternacht, von Morgen die Gebirge des Graubündter Landes, von Mittag die der italiänischen Vogteien herauf, und von Abend drängt sich durch die Furka das doppelte Gebirg, welches Wallis einschließt, an ihn heran. Nicht weit vom Hause hier sind zwei kleine Seen, davon der eine den Tessin durch Schluchten und Thäler nach Italien, der andere gleicherweise die Reuß nach dem Vier-Waldstädtersee ausgießt. Nicht fern von hier entspringt der Rhein und läuft gegen Morgen, und wenn man alsdann die Rhone dazu nimmt, die an einem Fuß der Furka entspringt, und nach Abend durch das Wallis läuft; so befindet man sich hier auf einem Kreuzpuncte, von dem aus Gebirge und Flüsse in alle vier Himmels-Gegenden auslaufen.