This page contains affiliate links. As Amazon Associates we earn from qualifying purchases.
Language:
Genre:
Published:
  • 1854-1856
Edition:
FREE Audible 30 days

muss eine von jenen dreien sein und ist wahrscheinlich die 1. adiutrix, da diese bald nach dem Jahre 88 an den Donaukriegen Domitians sich beteiligt und unter Traian in Obergermanien steht, was die Vermutung nahelegt, dass sie eine der mehreren im Jahre 88 von Spanien nach Obergermanien gefuehrten Legionen gewesen und bei dieser Veranlassung aus Spanien weggekommen ist. In Lusitanien haben keine Legionen gestanden.
^5 Bei dem Ort Pisoraca (Herrera am Pisuerga, zwischen Palencia und Santander), der allein auf Inschriften des Tiberius und des Nero, und zwar als Ausgangspunkt einer Kaiserstrasse genannt wird (CIL II, 4883, 4884), duerfte das Lager der kantabrischen Legion gewesen sein, wie bei Leon das asturische. Auch Augustobriga (westlich von Saragossa) und Complutum (Alcala de Henares, nordwaerts von Madrid) werden nicht ihrer staedtischen Bedeutung wegen, sondern als Truppenlager Reichsstrassenzentren gewesen sein. —————————————— Keine Provinz ist unter dem Prinzipat weniger von den aeusseren wie von den inneren Kriegen beruehrt worden als dieses Land des fernen Westens. Wenn in dieser Epoche die Truppenkommandos gleichsam die Stelle der rivalisierenden Parteien uebernahmen, so hat das spanische Heer auch dabei durchaus eine Nebenrolle gespielt; nur als Helfer seines Kollegen trat Galba in den Buergerkrieg ein und der blosse Zufall trug ihn an die erste Stelle. Die vergleichungsweise auch nach der Reduktion noch auffallend starke Besatzung des Nordwestens der Halbinsel laesst darauf schliessen, dass diese Gegend noch im zweiten und dritten Jahrhundert nicht vollstaendig botmaessig gewesen ist; indes vermoegen wir ueber die Verwendung der spanischen Legion innerhalb der Provinz, die sie besetzt hielt, nichts Bestimmtes anzugeben. Der Krieg gegen die Kantabrer ist mit Hilfe von Kriegsschiffen gefuehrt worden; nachher haben die Roemer keine Veranlassung gehabt, hier eine dauernde Flottenstation einzurichten. Erst in der nachdiocletianischen Zeit finden wir die Pyrenaeische Halbinsel, wie die italische und die griechisch-makedonische, ohne staendige Besatzung.
Dass die Provinz Baetica, wenigstens seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts, von der gegenueberliegenden Kueste aus durch die Mauren – die Piraten des Rif – vielfach heimgesucht wurde, wird in der Darstellung der afrikanischen Verhaeltnisse naeher auszufuehren sei. Vermutlich ist es daraus zu erklaeren, dass, obwohl sonst in den Provinzen des Senats kaiserliche Truppen nicht zu stehen pflegen, ausnahmsweise Italica (bei Sevilla) mit einer Abteilung der Legion von Leon belegt war ^6. Hauptsaechlich aber lag es dem in der Provinz von Tingis (Tanger) stationierten Kommando ob, das reiche suedliche Spanien vor diesen Einfaellen zu schuetzen. Dennoch ist es vorgekommen, dass Staedte wie Italica und Singili (unweit Antequera) von den Piraten belagert wurden. ————————————————- ^6 Damit kann in Verbindung gebracht werden, dass dieselbe Legion auch, wenngleich nur zeitweise und mit einem Detachement, in Numidien aktiv gewesen ist.
————————————————- Wenn dem weltgeschichtlichen Werke der Kaiserzeit, der Romanisierung des Okzidents, von der Republik irgendwo vorgearbeitet war, so war dies in Spanien geschehen. Was das Schwert begonnen, fuehrte der friedliche Verkehr weiter: das roemische Silbergeld hat in Spanien geherrscht, lange bevor es sonst ausserhalb Italien gangbar ward, und die Bergwerke, der Wein- und Oelbau, die Handelsbeziehungen bewirkten an der Kueste, namentlich im Suedwesten, ein stetiges Einstroemen italischer Elemente. Neukarthago, die Schoepfung der Barkiden und von seiner Entstehung an bis in die augustische Zeit die Hauptstadt der Diesseitigen Provinz und der erste Handelsplatz Spaniens, umschloss schon im siebenten Jahrhundert eine zahlreiche roemische Bevoelkerung; Carteia, gegenueber dem heutigen Gibraltar, ein Menschenalter vor der Gracchenzeit gegruendet, ist die erste ueberseeische Stadtgemeinde mit einer Bevoelkerung roemischen Ursprungs; die altberuehmte Schwesterstadt Karthagos, Gades, das heutige Cadiz, die erste fremdlaendische Stadt ausserhalb Italien, welche roemisches Recht und roemische Sprache annahm. Hatte also an dem groessten Teil der Kueste des Mittellaendischen Meeres die alteinheimische wie die phoenikische Zivilisation bereits unter der Republik in die Art und Weise des herrschenden Volkes eingelenkt, so wurde in der Kaiserzeit in keiner Provinz die Romanisierung so energisch von oben herab gefoerdert wie in Spanien. Vor allem die suedliche Haelfte der Baetica zwischen dem Baetis und dem Mittelmeer hat, zum Teil schon unter der Republik oder durch Caesar, zum Teil in den Jahren 739 (15) und 740 (14) durch Augustur, eine stattliche Reihe von roemischen Vollbuergergemeinden erhalten, die hier nicht etwa vorzugsweise die Kueste, sondern vor allem das Binnenland fuellen, voran Hispalis (Sevilla) und Corduba (Cordoba) mit Kolonialrecht, mit Munizipalrecht Italica (bei Sevilla) und Gades (Cadiz). Auch im suedlichen Lusitanien begegnet eine Reihe gleichberechtigter Staedte, namentlich Olisipo (Lissabon), Pax Iulia (Beja) und die von Augustur waehrend seines Aufenthalts in Spanien gegruendete und zur Hauptstadt dieser Provinz gemachte Veteranenkolonie Emerita (Merida). In der Tarraconensis finden sich die Buergerstaedte ueberwiegend an der Kueste, Karthago nova, Ilici (Elche), Valentia, Dertosa (Tortosa), Tarraco, Barcino (Barcelona); im Binnenland tritt nur hervor die Kolonie im Ebrotal Caesaraugusta (Saragossa). Vollbuergergemeinden zaehlte man in ganz Spanien unter Augustus fuenfzig; gegen fuenfzig andere hatten bis dahin latinisches Recht empfangen und standen hinsichtlich der inneren Ordnung den Buergergemeinden gleich. Bei den uebrigen hat dann Kaiser Vespasianus bei Gelegenheit der von ihm im Jahre 74 veranstalteten allgemeinen Reichsschaetzung die latinische Gemeindeordnung ebenfalls eingefuehrt. Die Verleihung des Buergerrechts ist weder damals noch ueberhaupt in der besseren Kaiserzeit viel weiter ausgedehnt worden, als sie in augustischer Zeit gediehen war ^7, wobei wahrscheinlich hauptsaechlich die Ruecksicht auf das den Reichsbuergern gegenueber beschraenkte Aushebungsrecht massgebend gewesen ist.
——————————————————- ^7 Dass “die Iberer Roemer genannt werden”, wie Josephus (c. Ap. 2, 4) sich ausdrueckt, kann nur auf die Erteilung des latinischen Rechts durch Vespasian bezogen werden und ist eine inkorrekte Angabe des Fremden. ——————————————————- Die einheimische Bevoelkerung Spaniens, welche also teils mit italischen Ansiedlern vermischt, teils zu italischer Sitte und Sprache hingeleitet ward, tritt in der Geschichte der Kaiserzeit nirgends deutlich erkennbar hervor. Wahrscheinlich hat derjenige Stamm, dessen Reste und dessen Sprache sich bis auf den heutigen Tag in den Bergen Vizcayas, Guipuzcoas und Navarras behaupten, einstmals die ganze Halbinsel in aehnlicher Weise erfuellt wie die Berber das nordafrikanische Land. Ihr Idiom, von den indogermanischen grundverschieden und flexionslos wie das der Finnen und Mongolen, beweist ihre urspruengliche Selbstaendigkeit, und ihre wichtigsten Denkmaeler, die Muenzen, umfassen in dem ersten Jahrhundert der Herrschaft der Roemer in Spanien die Halbinsel mit Ausnahme der Suedkueste von Cadiz bis Granada, wo damals die phoenikische Sprache herrschte, und des Gebietes noerdlich von der Muendung des Tajo und westlich von den Ebroquellen, welches damals wahrscheinlich grossenteils faktisch unabhaengig und gewiss durchaus unzivilisiert war; in diesem iberischen Gebiet unterscheidet sich wohl die suedspanische Schrift deutlich von der der Nordprovinz, aber nicht minder deutlich sind beide Aeste eines Stammes. Die phoenikische Einwanderung hat sich hier auf noch engere Grenzen beschraenkt als in Afrika und die keltische Mischung die allgemeine Gleichfoermigkeit der nationalen Entwicklung nicht in einer fuer uns erkennbaren Weise modifiziert. Aber die Konflikte der Roemermit den Iberern gehoeren ueberwiegend der republikanischen Epoche an und sind frueher dargestellt worden. Nach den bereits erwaehnten letzten Waffengaengen unter der ersten Dynastie verschwinden die Iberer voellig aus unseren Augen. Auch auf die Frage, wieweit sie in der Kaiserzeit sich romanisiert haben, gibt die uns gebliebene Kunde keine befriedigende Antwort. Dass sie im Verkehr mit den fremden Herren von jeher veranlasst sein werden, sich der roemischen Sprache zu bedienen, bedarf des Beweises nicht; aber auch aus dem oeffentlichen Gebrauch innerhalb der Gemeinden schwindet unter dem Einfluss Roms die nationale Sprache und die nationale Schrift. Schon im letzten Jahrhundert der Republik ist die anfaenglich in weitem Umfange gestattete einheimische Praegung in der Hauptsache beseitigt worden; aus der Kaiserzeit gibt es keine spanische Stadtmuenze mit anderer als lateinischer Aufschrift ^8. Wie die roemische Tracht war die roemische Sprache auch bei denjenigen Spaniern, die des italischen Buergerrechts entbehrten, in grossem Umfang verbreitet, und die Regierung beguenstigte die faktische Romanisierung des Landes ^9. Als Augustus starb, ueberwog roemische Sprache und Sitte in Andalusien, Granada, Murcia, Valencia, Katalonien, Arragonien, und ein guter Teil davon kommt auf Rechnung nicht der Kolonisierung, sondern der Romanisierung. Durch die vorher erwaehnte Anordnung Vespasians ward die einheimische Sprache von Rechts wegen auf den Privatverkehr beschraenkt. Dass sie in diesem sich behauptet hat, beweist ihr heutiges Dasein; was jetzt auf die Berge sich beschraenkt, welche weder die Goten noch die Araber je besetzt haben, wird in der roemischen Zeit sicher ueber einen grossen Teil Spaniens, besonders den Nordwesten, sich erstreckt haben. Dennoch ist die Romanisierung in Spanien sicher sehr viel frueher und staerker eingetreten als in Afrika; Denkmaeler mit einheimischer Schrift aus der Kaiserzeit sind in Afrika in ziemlicher Anzahl, in Spanien kaum nachzuweisen, und die Berbersprache beherrscht heute noch halb Nordafrika, die iberische nur die engen Taeler der Basken. Es konnte das nicht anders kommen, teils weil in Spanien die roemische Zivilisation viel frueher und viel kraeftiger auftrat als in Afrika, teils weil die Eingeborenen dort nicht wie hier den Rueckhalt an den freien Staemmen hatten. ————————————————— ^8 Das wohl juengste sicher datierbare Denkmal der einheimischen Sprache ist eine Muenze von Osicerda, welche den waehrend des Gallischen Krieges von Caesar geschlagenen Denaren mit dem Elefanten nachgepraegt ist, mit lateinischer und iberischer Aufschrift (Zobel, Estudio historico de la moneda antigua espa§ola. Bd. 2, S. 11). Unter den ganz oder teilweise epichorischen Inschriften Spaniens moegen sich manche juengere befinden; oeffentliche Setzung ist bei keiner derselben auch nur wahrscheinlich. ^9 Es hat eine Zeit gegeben, wo die Peregrinengemeinden das Recht, die lateinische zur Geschaeftssprache zu machen, vom Senat erbitten mussten; aber fuer die Kaiserzeit gilt das nicht mehr. Vielmehr ist hier wahrscheinlich haeufig das Umgekehrte eingetreten, zum Beispiel das Muenzrecht in der Weise gestattet worden, dass die Aufschrift lateinisch sein musste. Ebenso sind oeffentliche Gebaeude, die Nichtbuerger errichteten, lateinisch bezeichnet; so lautet eine Inschrift von Ilipa in Andalusien (CIL II, 1087): Urchail Atitta f(ilius) Chilasurgun portas fornac(es) aedificand(a) curavit de s(ua) p(ecunia). Dass das Tragen der Toga auch Nichtroemern gestattet und ein Zeichen von loyaler Gesinnung war, zeigt sowohl Strabons Aeusserung ueber die Tarraconensis togata wie Agricolas Verhalten in Britannien (Tac. Agr. 21). ————————————————— Die einheimische Gemeindeverfassung der Iberer war von der gallischen nicht in einer fuer uns erkennbaren Weise verschieden. Von Haus aus zerfiel Spanien, wie das Keltenland dies- und jenseits der Alpen, in Gaubezirke; die Vaccaeer und die Kantabrer unterschieden sich schwerlich wesentlich von den Cenomanen der Transpadana und den Remern der Belgica. Dass auf den in der frueheren Epoche der Roemerherrschaft geschlagenen spanischen Muenzen vorwiegend nicht die Staedte genannt werden, sondern die Gaue, nicht Tarraco, sondern die Cessetaner, nicht Saguntum, sondern die Arsenser, zeigt deutlicher noch als die Geschichte der damaligen Kriege, dass auch in Spanien einst groessere Gauverbaende bestanden. Aber die siegenden Roemer behandelten diese Verbaende nicht ueberall in gleicher Weise. Die transalpinischen Gaue blieben auch unter roemischer Herrschaft politische Gemeinwesen; wie die cisalpinischen sind die spanischen nur geographische Begriffe. Wie der Distrikt der Cenomanen nichts ist als ein Gesamtausdruck fuer die Territorien von Brixia, Bergomum und so weiter, so bestehen die Asturer aus zweiundzwanzig politisch selbstaendigen Gemeinden, die allem Anschein nach rechtlich sich nicht mehr angehen als die Staedte Brixia und Bergomum ^10. Dieser Gemeinden zaehlte die tarraconensische Provinz in augustischer Zeit 293, in der Mitte des zweiten Jahrhunderts 275. Es sind also hier die alten Gauverbaende aufgeloest worden. Dabei ist schwerlich bestimmend gewesen, dass die Geschlossenheit der Vettonen und der Kantabrer bedenklicher fuer die Reichseinheit erschien als diejenige der Sequaner und der Treuerer; hauptsaechlich beruht der Unterschied wohl in der Verschiedenheit der Zeit und der Form der Eroberung. Die Landschaft am Guadalquivir ist anderthalb Jahrhunderte frueher roemisch geworden als die Ufer der Loire und der Seine; die Zeit, wo das Fundament der spanischen Ordnung gelegt wurde, liegt derjenigen Epoche nicht so gar fern, wo die samnitische Konfoederation aufgeloest ward. Hier waltet der Geist der alten Republik, in Gallien die freiere und mildere Anschauung Caesars. Die kleineren und machtlosen Distrikte, welche nach Aufloesung der Verbaende die Traeger der politischen Einheit wurden, die Kleingaue oder Geschlechter, wandelten sich im Laufe der Zeit hier wie ueberall in Staedte um. Die Anfaenge der staedtischen Entwicklung, auch ausserhalb der zu italischem Recht gelangten Gemeinden, gehen weit in die republikanische, vielleicht in die vorroemische Zeit zurueck; spaeter musste die allgemeine Verleihung des latinischen Rechts durch Vespasian diese Umwandlung allgemein oder so gut wie allgemein machen ^11. Wirklich gab es unter den 293 augustischen Gemeinden der Provinz von Tarraco 114, unter den 275 des zweiten Jahrhunderts nur 27 nicht staedtische Gemeinden.
——————————————— ^10 Diese merkwuerdigen Ordnungen erhellen namentlich aus den spanischen Ortsverzeichnissen bei Plinius, und sind von Detlefsen (Philologus 32, 1878, S. 606f.) gut dargelegt worden. Die Terminologie freilich ist schwankend. Da die Bezeichnungen civitas, populus, gens der selbstaendigen Gemeinde eigen sind, kommen sie von Rechts wegen diesen Teilen zu; also wird zum Beispiel gesprochen von den X civitates der Autrigonen, den XXII populi der Asturer, der gens Zoelarum (CIL II, 2633), welche eben eine dieser 22 Voelkerschaften ist. Das merkwuerdige Dokument, das wir von diesen Zoelae besitzen (CIL II, 2633) lehrt, dass diese gens wieder in gentilitates zerfiel, welche letzteren auch selbst gentes hiessen, wie eben dieses selbst und andere Zeugnisse (Eph. epigr. II, p. 243) beweisen. Es findet sich auch civis in Beziehung auf einen der kantabrischen populi (Eph. epigr. II p. 243). Aber auch fuer den groesseren Gau, der ja einstmals die politische Einheit war, gibt es andere Bezeichnungen nicht als diese eigentlich retrospektive und inkorrekte; namentlich gens wird dafuer selbst im technischen Stil verwendet (z. B. CIL II, 4233: Intercat(iensis) ex gente Vaccaeorum). Dass das Gemeinwesen in Spanien auf jenen kleinen Distrikten ruht, nicht auf den Gauen, erhellt sowohl aus der Terminologie selbst wie auch daraus, dass Plinius (3, 3, 18) jenen 293 Ortschaften die civitates contributae aliis gegenueberstellt; ferner zeigt es der Beamte at census accipiendos civitatium XXIII Vasconum et Vardulorum (CIL VI, 1463) verglichen mit dem censor civitates Remorum foederatae (CIL XI, 1855 vgl. 2607). ^11 Da die latinische Gemeindeverfassung fuer eine nicht staedtisch organisierte Gemeinde nicht passt, so muessen diejenigen spanischen, welche noch nach Vespasian der staedtischen Organisation entbehrten, entweder von der Verleihung des latinischen Rechts ausgeschlossen oder fuer sie besondere Modifikationen eingetreten sein. Das letztere duerfte mehr Wahrscheinlichkeit haben. Latinische Namensform zeigen nachvespasianische Inschriften auch der gentes, wie CIL II, 2633 und Eph. epigr. II, 322; und wenn einzelne aus dieser Zeit sich finden sollten mit nichtroemischen Namen, so wird immer noch zu fragen sein, ob hier nicht bloss faktische Vernachlaessigung zugrunde liegt. Indizien nichtroemischer Gemeindeordnung, in den sparsamen sicher vorvespasianischen Inschriften verhaeltnismaessig haeufig (CIL II, 172, 1953, 2633, 5048), sind mir in sicher nachvespasianischen nicht vorgekommen. ——————————————— Ueber die Stellung Spaniens in der Reichsverwaltung ist wenig zu sagen. Bei der Aushebung haben die spanischen Provinzen eine hervorragende Rolle gespielt. Die daselbst garnisonierenden Legionen sind wahrscheinlich seit dem Anfang des Prinzipats vorzugsweise im Lande selbst ausgehoben worden; als spaeterhin einerseits die Besatzung vermindert ward, andererseits die Aushebung mehr und mehr auf den eigentlichen Garnisonsbezirk sich beschraenkte, hat die Baetica, auch hierin das Los Italiens teilend, das zweifelhafte Glueck genossen, gaenzlich vom Wehrdienst ausgeschlossen zu werden. Die auxiliare Aushebung, welcher namentlich die in der staedtischen Entwicklung zurueckgebliebenen Landschaften unterlagen, ist in Lusitanien, Callaekien, Asturien, nicht minder im ganzen noerdlichen und inneren Spanien in grossem Massstab durchgefuehrt worden; Augustus, dessen Vater sogar seine Leibwache aus Spaniern gebildet hatte, hat abgesehen von der Belgica in keinem der ihm unterstellten Gebiete so umfassend rekrutiert wie in Spanien.
Fuer die Finanzen des Staates ist dies reiche Land ohne Zweifel eine der sichersten und ergiebigsten Quellen gewesen; Naeheres ist darueber nicht ueberliefert.
Auf die Bedeutung des Verkehrs dieser Provinzen gestattet die Fuersorge der Regierung fuer das spanische Strassenwesen einigermassen einen Schluss. Zwischen den Pyrenaeen und Tarraco haben sich roemische Meilensteine schon aus der letzten republikanischen Zeit gefunden, wie sie keine andere Provinz des Okzidents aufweist. Dass Augustus und Tiberius den Strassenbau in Spanien hauptsaechlich aus militaerischen Ruecksichten foerderten, ist schon bemerkt worden; aber die bei Karthago nova von Augustur gebaute Strasse kann nur des Verkehrs wegen angelegt sein, und hauptsaechlich dem Verkehr diente auch die von ihm benannte und teilweise regulierte, teilweise neu angelegte durchgehende Reichsstrasse ^12, welche, die italisch-gallische Kuestenstrasse fortfuehrend und die Pyrenaeen bei dem Pass von Puycerda ueberschreitend, von da nach Tarraco ging, dann ueber Valentia hinaus bis zur Muendung des Jucar ungefaehr der Kueste folgte, von da aber quer durch das Binnenland das Tal des Baetis aufsuchte, sodann von dem Augustusbogen an, der die Grenze der beiden Provinzen bezeichnete und mit dem eine neue Milienzaehlung anhob, durch die Provinz Baetica bis an die Muendung des Flusses lief und also Rom mit dem Ozean verband. Dies ist allerdings die einzige Reichsstrasse in Spanien. Spaeter hat die Regierung fuer die Strassen Spaniens nicht viel getan; die Kommunen, welchen dieselben bald wesentlich ueberlassen wurden, scheinen, soviel wir sehen, abgesehen von dem inneren Hochplateau, ueberall die Kommunikationen in dem Umfang hergestellt zu haben, wie der Kulturstand der Provinz sie verlangte. Denn gebirgig wie Spanien ist, und nicht ohne Steppen und Oedland, gehoert es doch zu den ertragreichsten Laendern der Erde, sowohl durch die Fuelle der Bodenfrucht wie durch den Reichtum an Wein und Oel und an Metallen. Hinzu trat frueh die Industrie, vorzugsweise in Eisenwaren und in wollenen und leinenen Geweben. Bei den Schaetzungen unter Augustus hatte keine roemische Buergergemeinde, Patavium ausgenommen, eine solche Anzahl von reichen Leuten aufzuweisen wie das spanische Gades mit seinen durch die ganze Welt verbreiteten Grosshaendlern; und dem entsprach die raffinierte Ueppigkeit der Sitten, die dort heimischen Kastagnettenschlaegerinnen und die den eleganten Roemern gleich dem alexandrinischen gelaeufigen gaditanischen Lieder. Die Naehe Italiens und der bequeme und billige Seeverkehr gaben fuer diese Epoche besonders der spanischen Sued- und Ostkueste die Gelegenheit, ihre reichen Produkte auf den ersten Markt der Welt zu bringen, und wahrscheinlich hat Rom mit keinem Lande der Welt einen so umfassenden und stetigen Grosshandel betrieben wie mit Spanien. ————————————————— ^12 Die Richtung der via Augusta gibt Strabon (3, 4, 9 p. 160) an; ihr gehoeren alle Meilensteine an, die jenen Namen haben, sowohl die aus der Gegend von Lerida (CIL II, 4920-4928) wie die zwischen Tarragona und Valencia gefundenen (das. 4949-4954), wie endlich die zahlreichen ab Iano Augusto, qui est ad Baetem oder ab arcu, unde incipit Baetica, ad oceanum. ————————————————— Dass die roemische Zivilisation Spanien frueher und staerker durchdrungen hat als irgendeine andere Provinz, bestaetigt sich nach verschiedenen Seiten, insbesondere in dem Religionswesen und in der Literatur. Zwar in dem noch spaeter iberischen, von Einwanderung ziemlich freigebliebenen Gebiet, in Lusitanien, Callaekien, Asturien, haben die einheimischen Goetter mit ihren seltsamen, meist auf -icus und -ecus ausgehenden Namen, der Endovellicus, der Eaecus, Vagodonnaegus und wie sie weiter heissen, auch unter dem Prinzipat noch sich in den alten Staetten behauptet. Aber in der ganzen Baetica ist nicht ein einziger Votivstein gefunden worden, der nicht ebensogut auch in Italien haette gesetzt sein koennen; und von der eigentlichen Tarraconensis gilt dasselbe, nur dass von dem keltischen Goetterwesen am oberen Duero vereinzelte Spuren begegnen ^13. Eine gleich energische sakrale Romanisierung weist keine andere Provinz auf. ——————————————————– ^13 In Clunia ist eine Dedikation an die Muetter gefunden (CIL II, 2776) – die einzige spanische dieses bei den westlichen Kelten so weit verbreiteten und so lange anhaltenden Kults -, in Uxama eine den Lugoves gesetzte (das. 2818), welche Gottheit bei den Kelten von Aventicum wiederkehrt. ——————————————————– Die lateinischen Poeten in Corduba nennt Cicero nur, um sie zu tadeln; und das augustische Zeitalter der Literatur ist auch noch wesentlich das Werk der Italiener, wenngleich einzelne Provinzialen daran mithalfen und unter anderen der gelehrte Bibliothekar des Kaisers, der Philolog Hyginus, als Unfreier in Spanien geboren war. Aber von da an uebernahmen die Spanier darin fast die Rolle wenn nicht des Fuehrers, so doch des Schulmeisters. Die Cordubenser Marcus Porcius Latro, der Lehrer und das Muster Ovids, und sein Landsmann und Jugendfreund Annaeus Seneca, beide nur etwa ein Dezennium juenger als Horaz, aber laengere Zeit in ihrer Vaterstadt als Lehrer der Beredsamkeit taetig, bevor sie ihre Lehrtaetigkeit nach Rom verlegten, sind recht eigentlich die Vertreter der die republikanische Redefreiheit und Redefrechheit abloesenden Schulrhetorik. Als der erstere einmal in einem wirklichen Prozess aufzutreten nicht umhin konnte, blieb er mit seinem Vortrag stecken und kam erst wieder in Fluss, als das Gericht dem beruehmten Mann zu Gefallen vom Tribunal weg in den Schulsaal verlegt ward. Auch Senecas Sohn, der Minister Neros und der Modephilosoph der Epoche, und sein Enkel, der Poet der Gesinnungsopposition gegen den Prinzipat, Lucanus, haben eine literarisch ebenso zweifelhafte wie geschichtlich unbestreitbare Bedeutung, die doch auch in gewissem Sinn Spanien zugerechnet werden darf. Ebenfalls in der fruehen Kaiserzeit haben zwei andere Provinzialen aus der Baetica, Mela unter Claudius, Columella unter Nero, jener durch seine kurze Erdbeschreibung, dieser durch eine eingehende, zum Teil auch poetische Darstellung des Ackerbaus einen Platz unter den anerkannten stilisierenden Lehrschriftstellern gewonnen. Wenn in der domitianischen Zeit der Poet Canius Rufus aus Gades, der Philosoph Decianus aus Emerita und der Redner Valerius Licinianus aus Bilbilis (Calatayud, unweit Saragossa) als literarische Groessen neben Vergil und Catull und neben den drei cordubensischen Sternen gefeiert werden, so geschieht dies allerdings ebenfalls von einem Bilbilitaner, Valerius Martialis ^14, welcher selbst an Feinheit und Mache, freilich aber auch an Feilheit und Leere unter den Dichtern dieser Epoche keinem weicht, und man wird mit Recht dabei die Landsmannschaft in Anrechnung bringen; doch zeigt schon die blosse Moeglichkeit, einen solchen Dichterstrauss zu binden, die Bedeutung des spanischen Elements in der damaligen Literatur. Aber die Perle der spanisch- lateinischen Schriftstellerei ist Marcus Fabius Quintilianus (35 bis 95) aus Calagurris am Ebro. Schon sein Vater hatte als Lehrer der Beredsamkeit im Rom gewirkt; er selbst wurde durch Galba nach Rom gezogen und nahm, namentlich unter Domitian, als Erzieher der kaiserlichen Neffen eine angesehene Stellung ein. Sein Lehrbuch der Rhetorik und bis zu einem Grade der roemischen Literaturgeschichte ist eine der vorzueglichsten Schriften, die wir aus dem roemischen Altertum besitzen, von feinem Geschmack und sicherem Urteil getragen, einfach in der Empfindung wie in der Darstellung, lehrhaft ohne Langweiligkeit, anmutig ohne Bemuehung, in scharfem und bewusstem Gegensatz zu der phrasenreichen und gedankenleeren Modeliteratur. Nicht am wenigsten ist es sein Werk, dass die Richtung sich, wenn nicht besserte, so doch aenderte. Spaeterhin tritt in der allgemeinen Nichtigkeit der Einfluss der Spanier nicht weiter hervor. Was bei ihrer lateinischen Schriftstellerei geschichtlich besonders ins Gewicht faellt, ist das vollstaendige Anschmiegen dieser Provinzialen an die literarische Entwicklung des Mutterlandes. Cicero freilich spottet ueber das Ungeschick und die Provinzialismen der spanischen Dichtungsbeflissenen; und noch Latros Latein fand nicht den Beifall des roemisch geborenen, ebenso vornehmen wie korrekten Messalla Corvinus. Aber nach der augustischen Zeit wird nichts Aehnliches wieder vernommen. Die gallischen Rhetoren, die grossen afrikanischen Kirchenschriftsteller sind auch als lateinische Schriftsteller einigermassen Auslaender geblieben; die Seneca und Martialis wuerde an ihrem Wesen und Schreiben niemand als solche erkennen; an inniger Liebe zu der eigenen Literatur und an feinem Verstaendnis derselben hat nie ein Italiener es dem calagurritanischen Sprachlehrer zuvorgetan. ——————————————————– ^14 Die Hinkejamben (1, 61) lauten:
Hoch schaetzt des feinen Dichters Lieder Verona; Des Ivlaro freut sich Mantua.
Pataviums grosser Livius macht der Stadt Ruhm aus Und Stella wie ihr Flaccus auch.
Apollodoren rauscht Beifall des Nils Woge; Von Nasos Ruhm ist Sulmo voll.
Die beiden Seneca und den einzigen Lucanus Ruehmt das beredte Corduba.
Das lustige Gades wird den Canius sein nennen, Emerita meinen Decian.
Also wird unser Bilbilis auf dich stolz sein, Licinian, und auch auf mich.
——————————————————– 3. Kapitel
Die gallischen Provinzen
Wie Spanien war auch das suedliche Gallien bereits in republikanischer Zeit ein Teil des Roemischen Reiches geworden, jedoch weder so frueh noch so vollstaendig wie jenes. Die beiden spanischen Provinzen sind in der hannibalischen, die Provinz Narbo in der gracchischen Zeit eingerichtet worden; und wenn dort Rom die ganze Halbinsel an sich nahm, so begnuegte es sich hier nicht bloss bis in die letzte Zeit der Republik mit dem Besitz der Kueste, sondern es nahm auch von dieser unmittelbar nur die kleinere und die entferntere Haelfte. Nicht mit Unrecht bezeichnete die Republik diesen ihren Besitz als das Stadtgebiet Narbo (Narbonne); der groessere Teil der Kueste, etwa von Montpellier bis Nizza, gehoerte der Stadt Massalia. Diese Griechengemeinde war mehr ein Staat als eine Stadt, und das von alters her bestehende gleiche Buendnis mit Rom erhielt durch ihre Machtstellung eine reale Bedeutung, wie sie bei keiner zweiten Bundesstadt je vorgekommen ist. Freilich waren nichtsdestoweniger die Roemer fuer diese benachbarten Griechen, mehr noch als fuer die entfernteren des Ostens, der Schild wie das Schwert. Die Massalioten hatten wohl das untere Rhonegebiet bis nach Avignon hinauf in ihrem Besitz; aber die ligurischen und die keltischen Gaue des Binnenlandes waren ihnen keineswegs botmaessig, und das roemische Standlager bei Aquae Sextiae (Aix), einen Tagemarsch nordwaerts von Massalia, ist recht eigentlich zum dauernden Schutz der reichen griechischen Kaufstadt eingerichtet worden. Es war eine der schwerwiegendsten Konsequenzen des roemischen Buergerkrieges, dass mit der legitimen Republik zugleich ihre treueste Verbuendete, die Stadt Massalia, politisch vernichtet, aus einem mitherrschenden Staat umgewandelt ward in eine auch ferner reichsfreie und griechische, aber ihre Selbstaendigkeit und ihren Hellenismus in den bescheidenen Verhaeltnissen einer provinzialen Mittelstadt bewahrende Gemeinde. In politischer Hinsicht ist nach der Einnahme im Buergerkrieg nicht weiter von Massalia die Rede; die Stadt ist fortan nur fuer Gallien, was Neapolis fuer Italien, das Zentrum griechischer Bildung und griechischer Lehre. Insofern als der groessere Teil der spaeteren Provinz Narbo erst damals unter unmittelbare roemische Verwaltung trat, gehoert auch deren Einrichtung gewissermassen erst dieser Epoche an. Wie das uebrige Gallien in roemische Gewalt kam, ist auch bereits erzaehlt worden. Vor Caesars Gallischem Krieg erstreckte die Roemerherrschaft sich ungefaehr bis nach Toulouse, Vienne und Genf, nach demselben bis an den Rhein in seinem ganzen Lauf und an die Kuesten des Atlantischen Meeres im Norden wie im Westen. Allerdings war diese Unterwerfung wahrscheinlich nicht vollstaendig, im Nordwesten vielleicht nicht viel weniger oberflaechlich gewesen als diejenige Britanniens. Indes erfahren wir von Ergaenzungskriegen hauptsaechlich nur hinsichtlich der Distrikte iberischer Nationalitaet. Den Iberern gehoerte nicht bloss der suedliche, sondern auch der noerdliche Abhang der Pyrenaeen mit deren Vorland, Bearn, die Gascogne, das westliche Languedoc ^1; und es ist schon erwaehnt worden, dass, als das nordwestliche Spanien mit den Roemern die letzten Kaempfe bestand, auch auf der noerdlichen Seite der Pyrenaeen und ohne Zweifel in Zusammenhang damit, ernsthaft gestritten wurde, zuerst von Agrippa im Jahre 716 (38), dann von Marcus Valerius Messalla, dem bekannten Patron der roemischen Poeten, welcher im Jahre 726 (28) oder 727 (27), also ungefaehr gleichzeitig mit dem Kantabrischen Krieg, in dem altroemischen Gebiet unweit Narbonne die Aquitaner in offener Feldschlacht ueberwand. In Betreff der Kelten wird nichts weiter gemeldet, als dass kurz vor der Actischen Schlacht die Moriner in der Picardie niedergeworfen wurden; und wenn auch waehrend des zwanzigjaehrigen, fast ununterbrochenen Buergerkrieges unsere Berichterstatter die verhaeltnismaessig unbedeutenden gallischen Angelegenheiten aus den Augen verloren haben moegen, so beweist doch das Schweigen des hier vollstaendigen Verzeichnisses der Triumphe, dass keine weiteren militaerischen Unternehmungen von Bedeutung im Keltenland waehrend dieser Zeit stattgefunden haben. Auch nachher, waehrend der langen Regierung des Augustus und bei allen, zum Teil recht bedenklichen Krisen der germanischen Kriege, sind die gallischen Landschaften botmaessig geblieben. Freilich hat die roemische Regierung sowohl wie die germanische Patriotenpartei, wie wir gesehen haben, bestaendig in Rechnung gezogen, dass ein entscheidender Erfolg der Deutschen und deren Einruecken in Gallien eine Erhebung der Gallier gegen Rom im Gefolge haben werde; sicher also kann die Fremdherrschaft damals noch keineswegs gestanden haben. Zu einer wirklichen Insurrektion kam es im Jahre 21 unter Tiberius. Es bildete sich unter dem keltischen Adel eine weit verzweigte Verschwoerung zum Sturz des roemischen Regiments. Sie kam vorzeitig zum Ausbruch in den wenig bedeutenden Gauen der Turoner und der Andecaven an der unteren Loire, und es wurde sogleich nicht bloss die kleine Lyoner Besatzung, sondern auch ein Teil der Rheinarmee gegen die Aufstaendischen in Marsch gesetzt. Dennoch schlossen die angesehensten Distrikte sich an; die Treuerer unter Fuehrung des Iulius Florus warfen sich haufenweise in die Ardennen; in der unmittelbaren Nachbarschaft von Lyon erhoben sich unter Fuehrung des Iulius Sacrovir die Haeduer und die Sequaner. Freilich wurden die geschlossenen Legionen ohne grosse Muehe der Rebellen Herr; allein der Aufstand, an dem die Germanen sich in keiner Weise beteiligten, zeigt doch den im Lande und namentlich bei dem Adel damals noch herrschenden Hass gegen die fremden Gebieter, welcher durch den Steuerdruck und die Finanznot, die als die Ursachen der Insurrektion bezeichnet werden, gewiss verstaerkt, aber nicht erst erzeugt war. Eine groessere Leistung der roemischen Staatskunst, als dass sie Galliens Herr zu werden vermocht hat, ist es, dass sie verstanden hat, es zu bleiben, und dass Vercingetorix keinen Nachfolger gefunden hat, obwohl es, wie man sieht, nicht ganz an Maennern fehlte, die gern den gleichen Weg gewandelt waeren. Erreicht ward dies durch kluge Verbindung des Schreckens und des Gewinnens, man kann hinzusetzen des Teilens. Die Staerke und die Naehe der Rheinarmee ist ohne Frage das erste und das wirksamste Mittel gewesen, um die Gallier in der Furcht des Herrn zu erhalten. Wenn dieselbe durch das ganze Jahrhundert hindurch auf der gleichen Hoehe geblieben ist, wie dies in dem folgenden Abschnitt dargelegt werden wird, so ist dies wahrscheinlich ebenso sehr der eigenen Untertanen wegen geschehen, als wegen der spaeterhin keineswegs besonders furchtbaren Nachbarn. Dass schon die zeitweilige Entfernung dieser Truppen die Fortdauer der roemischen Herrschaft in Frage stellte, nicht weil die Germanen dann den Rhein ueberschreiten, sondern weil die Gallier den Roemern die Treue aufsagen konnten, lehrt die Erhebung nach Neros Tod trotz ihrer Haltlosigkeit: nachdem die Truppen nach Italien abgezogen waren, um ihren Feldherrn zum Kaiser zu machen, wurde in Trier das selbstaendige Gallische Reich proklamiert und die uebriggebliebenen roemischen Soldaten auf dieses in Eid und Pflicht genommen. Aber wenn auch diese Fremdherrschaft, wie jede, auf der uebermaechtigen Gewalt, der Ueberlegenheit der geschlossenen und geschulten Truppe ueber die Menge zunaechst und hauptsaechlich beruhte, so beruhte sie doch darauf keineswegs ausschliesslich. Die Kunst des Teilens ist auch hier erfolgreich angewandt worden. Gallien gehoerte nicht den Kelten allein; nicht bloss die Iberer waren im Sueden stark vertreten, sondern auch germanische Staemme am Rhein in betraechtlicher Zahl angesiedelt und durch ihre hervorragende kriegerische Tuechtigkeit mehr noch als durch ihre Zahl von Bedeutung. In geschickter Weise wusste die Regierung den Gegensatz zwischen den Kelten und den linksrheinischen Germanen zu naehren und auszunutzen. Aber maechtiger wirkte die Politik der Verschmelzung und der Versoehnung. Welche Massregeln zu diesem Zwecke ergriffen wurden, wird weiterhin auseinandergesetzt werden; indem die Gauverfassung geschont und selbst eine Art nationaler Vertretung bewilligt, gegen das nationale Priestertum auch, aber allmaehlich vorgegangen ward, dagegen die lateinische Sprache von Anfang an obligatorisch und mit jener nationalen Vertretung die neue Kaiserreligion verschmolzen wurde, ueberhaupt indem die Romanisierung nicht in schroffer Weise angefasst, aber vorsichtig und geduldig gefoerdert ward, hoerte die roemische Fremdherrschaft in dem Keltenland auf, dies zu sein, da die Kelten selber Roemer wurden und sein wollten. Wie weit die Arbeit bereits nach Ablauf des ersten Jahrhunderts der Roemerherrschaft in Gallien gediehen war, zeigen die eben erwaehnten Vorgaenge nach Neros Tod, die in ihrem Gesamtverlauf teils der Geschichte des roemischen Gemeinwesens, teils den Beziehungen desselben zu den Germanen angehoeren, aber auch in diesem Zusammenhang wenigstens andeutungsweise erwaehnt werden muessen. Der Sturz der Julisch-Claudischen Dynastie ging von einem keltischen Adligen aus und begann mit einer keltischen Insurrektion; aber es war dies keine Auflehnung gegen die Fremdherrschaft wie die des Vercingetorix oder noch des Sacrovir, ihr Ziel nicht die Beseitigung, sondern die Umgestaltung des roemischen Regiments; dass ihr Fuehrer seine Abstammung von einem Bastard Caesars zu den Adelsbriefen seines Geschlechts zaehlte, drueckt den halb nationalen, halb roemischen Charakter dieser Bewegung deutlich aus. Einige Monate spaeter proklamierten allerdings, nachdem die abgefallenen roemischen Truppen germanischer Herkunft und die freien Germanen fuer den Augenblick die roemische Rheinarmee ueberwaeltigt hatten, einige keltische Staemme die Unabhaengigkeit ihrer Nation, aber dieser Versuch scheiterte klaeglich, nicht erst durch das Einschreiten der Regierung, sondern schon an dem Widerspruch der grossen Majoritaet der Keltengaue selbst, die den Abfall von Rom nicht wollen konnten und nicht wollten. Die roemischen Namen der fuehrenden Adligen, die lateinische Aufschrift der Insurrektionsmuenzen, die durchgehende Travestie der roemischen Ordnungen zeigen auf das deutlichste, dass die Befreiung der keltischen Nation von dem Joch der Fremden im Jahre 70 n. Chr. deshalb nicht mehr moeglich war, weil es eine solche Nation nicht mehr gab und die roemische Herrschaft nach Umstaenden als ein Joch, aber nicht mehr als Fremdherrschaft empfunden ward. Waere eine solche Gelegenheit zur Zeit der Schlacht bei Philippi oder noch unter Tiberius den Kelten geboten worden, so waere der Aufstand wohl auch nicht anders, aber in Stroemen Bluts verlaufen; jetzt verlief er im Sande. Wenn einige Dezennien nach diesen schweren Krisen die Rheinarmee betraechtlich reduziert ward, so hatten eben sie den Beweis geliefert, dass die Gallier in ihrer grossen Mehrzahl nicht mehr daran dachten, sich von den Italienern zu scheiden, und die vier Generationen, die seit der Eroberung sich gefolgt waren, ihr Werk getan hatten. Was spaeter dort vorgeht, sind Krisen innerhalb der roemischen Welt. Als diese auseinanderzubrechen drohte, sonderte sich fuer einige Zeit wie der Osten so auch der Westen von dem Zentrum des Reiches ab; aber der Sonderstaat des Postumus war das Werk der Not, nicht der Wahl, und auch die Sonderung nur eine faktische; die Imperatoren, die ueber Gallien, Britannien und Spanien geboten, haben gerade ebenso auf die Beherrschung des ganzen Reiches Anspruch gemacht wie ihre italischen Gegenkaiser. Gewiss blieben genug Spuren des alten keltischen Wesens und auch der alten keltischen Unbaendigkeit. Wie der Bischof Hilarius von Poitiers, selbst ein Gallier, ueber das trotzige Wesen seiner Landsleute klagt, so heissen die Gallier auch in den spaeteren Kaiserbiographien stoerrig und unregierlich und geneigt zur Widersetzlichkeit, so dass ihnen gegenueber Konsequenz und Strenge des Regiments besonders erforderlich erscheint. Aber an eine Trennung vom Roemischen Reich oder gar an eine Lossagung von der roemischen Nationalitaet, soweit es ueberhaupt eine solche damals gab, ist in diesen spaeteren Jahrhunderten nirgends weniger gedacht worden als in Gallien; vielmehr fuellt die Entwicklung der roemisch- gallischen Kultur, zu welcher Caesar und Augustus den Grund gelegt haben, die spaetere roemische Epoche ebenso aus wie das Mittelalter und die Neuzeit. ——————————————- ^1 Das iberische Muenzgebiet reicht entschieden ueber die Pyrenaeen hinueber, wenn auch die einzelnen Muenzaufschriften, welche unter anderm auf Perpignan und Narbonne bezogen werden, nicht sicherer Deutung sind. Da alle diese Praegungen unter roemischer Autorisation stattgefunden haben, so legt dies die Frage nahe, ob nicht frueher, namentlich vor der Gruendung von Narbo (636 118), dieser Teil der spaeteren Narbonensis unter dem Statthalter des Diesseitigen Spaniens gestanden hat. Aquitanische Muenzen mit iberischer Aufschrift gibt es nicht, so wenig wie aus dem nordwestlichen Spanien, wahrscheinlich, weil die roemische Oberherrschaft, unter deren Tutel diese Praegung erwachsen ist, solange dieselbe dauerte, das heisst vielleicht bis zum Numantinischen Krieg, jene Gebiete nicht umfasste. ——————————————- Die Regulierung Galliens ist das Werk des Augustus. Bei derjenigen der Reichsverwaltung nach dem Schluss der Buergerkriege kam das gesamte Gallien, so wie es Caesar uebertragen oder von ihm hinzugewonnen worden war, nur mit Ausschluss des inzwischen mit Italien vereinigten Gebiets diesseits der Alpen, unter kaiserliche Verwaltung. Unmittelbar nachher begab Augustus sich nach Gallien und vollzog im Jahre 727 (27) in der Hauptstadt Lugudunum die Schatzung der gallischen Provinz, wodurch die durch Caesar zum Reiche gekommenen Landesteile zuerst einen geordneten Kataster erhielten und fuer sie die Steuerzahlung reguliert ward. Er verweilte damals nicht lange, da die spanischen Angelegenheiten seine Gegenwart erheischten. Aber die Durchfuehrung der neuen Ordnung stiess auf grosse Schwierigkeiten und vielfach auf Widerstand; es sind nicht bloss militaerische Angelegenheiten gewesen, welche Agrippas Aufenthalt in Gallien im Jahre 735 (19) und den des Kaisers selbst waehrend der Jahre 738-741 (16-13) veranlassten; und die dem kaiserlichen Hause angehoerigen Statthalter oder Kommandofuehrer am Rhein, Augustus’ Stiefsohn Tiberius 738 (16), dessen Bruder Drusus 742-745 (12-9), wieder Tiberius 745-747 (9-7), 757-759 (3-5 n. Chr.), 763-765 (9-11 n. Chr.), dessen Sohn Germanicus 766-769 (12-15 n. Chr.), hatten alle auch die Aufgabe, die Organisation Galliens weiterzufuehren. Das Friedenswerk war sicher nicht minder schwierig und nicht minder wichtig als die Waffengaenge am Rhein; man erkennt dies darin, dass der Kaiser die Fundamentierung selbst in die Hand nahm und die Durchfuehrung den naechst- und hoechstgestellten Maennern des Reiches anvertraute. Die von Caesar im Drange der Buergerkriege getroffenen Festsetzungen haben erst in diesen Jahren diejenige Gestalt bekommen, welche sie dann im wesentlichen behielten. Sie erstreckten sich ueber die alte wie ueber die neue Provinz; indes gab Augustus das altroemische Gebiet nebst dem von Massalia vom Mittelmeer bis an die Cevennen schon im Jahre 732 (22) an die senatorische Regierung ab und behielt nur Neugallien in eigener Verwaltung. Dieses immer noch sehr ausgedehnte Gebiet wurde dann in drei Verwaltungsbezirke aufgeloest, deren jedem ein selbstaendiger kaiserlicher Statthalter vorgesetzt wurde. Diese Einteilung knuepfte an an die schon von dem Diktator Caesar vorgefundene und auf den nationalen Gegensaetzen beruhende Dreiteilung des Keltenlandes in das von Iberern bewohnte Aquitanien, das rein keltische Gallien und das keltisch-germanische Gebiet der Bellten; auch ist wohl beabsichtigt worden, diese den Ausbau der roemischen Herrschaft foerdernden Gegensaetze einigermassen in der administrativen Teilung zum Ausdruck zu bringen. Indes ist dies nur annaehernd durchgefuehrt worden und konnte auch praktisch nicht anders realisiert werden. Das rein keltische Gebiet zwischen Garonne und Loire ward zu dem allzu kleinen iberischen Aquitanien hinzugelegt, das gesamte linksrheinische Ufer vom Lemansee bis zur Mosel mit der Belgica vereinigt, obwohl die meisten dieser Gaue keltisch waren; ueberhaupt ueberwog der Keltenstamm in dem Grade, dass die vereinigten Provinzen die “drei Gallien” heissen konnten. Von der Bildung der beiden sogenannten Germanien, nominell dem Ersatz fuer die verlorene oder nicht zustande gekommene wirklich germanische Provinz, der Sache nach der gallischen Militaergrenze, wird in dem folgenden Abschnitt die Rede sein.
Die rechtlichen Verhaeltnisse wurden in durchaus verschiedener Weise fuer die alte Provinz Gallien und fuer die drei neuen geordnet: jene wurde sofort und vollstaendig latinisiert, in dieser zunaechst nur das bestehende nationale Verhaeltnis reguliert. Dieser Gegensatz der Verwaltung, welcher weit tiefer eingreift als die formale Verschiedenheit der senatorischen und der kaiserlichen Administration, hat wohl die noch heute nachwirkende Verschiedenheit der Laender der Langue d’oc und der Provence zu denen der Langue d’oui zunaechst und hauptsaechlich herbeigefuehrt.
Soweit wie die Romanisierung Suedspaniens war die des gallischen Suedens in republikanischer Zeit nicht vorgeschritten. Die zwischen den beiden Eroberungen liegenden achtzig Jahre waren nicht rasch einzuholen; die Truppenlager in Spanien waren bei weitem staerker und stetiger als die gallischen, die Staedte latinischer Art dort zahlreicher als hier. Wohl war auch hier in der Zeit der Gracchen und unter ihrem Einfluss Narbo gegruendet worden, die erste eigentliche Buergerkolonie jenseits des Meeres; aber sie blieb vereinzelt und im Handelsverkehr zwar Rivalin von Massalia, aber allem Anscheine nach an Bedeutung ihr keineswegs gleich. Aber als Caesar anfing, die Geschicke Roms zu leiten, wurde vor allem hier, in diesem Lande seiner Wahl und seines Sterns, das Versaeumte nachgeholt. Die Kolonie Narbo wurde verstaerkt und war unter Tiberius die volkreichste Stadt im gesamten Gallien. Dann wurden, hauptsaechlich auf dem von Massalia abgetretenen Gebiet, vier neue Buergergemeinden angelegt, darunter die bedeutendsten militaerisch Forum Iulii (Frejus), Hauptstation der neuen Reichsflotte, fuer den Verkehr Arelate (Arles) an der Rhonemuendung, das bald, als Lyon sich hob und der Verkehr sich wieder mehr nach der Rhone zog, Narbo ueberfluegelnd, die rechte Erbin Massalias und das grosse Emporium des gallisch- italischen Handels ward. Was er selbst noch und was sein Sohn in diesem Sinne geschaffen hat, ist nicht bestimmt zu unterscheiden, und geschichtlich kommt darauf auch wenig an; wenn irgendwo, war hier Augustus nichts als der Testamentsvollstrecker Caesars. Ueberall weicht die keltische Gauverfassung der italischen Gemeinde. Der Gau der Volker im Kuestengebiet, frueher den Massalioten untertaenig, empfing durch Caesar latinische Gemeindeverfassung in der Weise, dass die “Praetoren” der Volker dem ganzen, 24 Ortschaften umfassenden Bezirk vorstanden ^2, bis dann bald darauf die alte Ordnung auch dem Namen nach verschwand und an die Stelle des Gaus der Volker die latinische Stadt Nemausus (Nimes) trat. Aehnlich erhielt der ansehnlichste aller Gaue dieser Provinz, der der Allobrogen, welche das Land noerdlich der Isere und oestlich der mittleren Rhone, von Valence und Lyon bis in die savoyischen Berge und an den Lemansee in Besitz hatten, wahrscheinlich bereits durch Caesar eine gleiche staedtische Organisation und italisches Recht, bis dann Kaiser Gaius der Stadt Vienna das roemische Buergerrecht gewaehrte. Ebenso wurden in der gesamten Provinz die groesseren Zentren durch Caesar oder in der ersten Kaiserzeit nach latinischem Recht organisiert, so Ruscino (Roussillon), Avennio (Avignon), Aquae Sextiae (Aix), Apta (Apt). Schon am Schluss der augustischen Zeit war die Landschaft an beiden Ufern der unteren Rhone in Sprache und Sitte vollstaendig romanisiert, die Gauverfassung wahrscheinlich in der gesamten Provinz bis auf geringe Ueberreste beseitigt. Die Buerger der Gemeinden, denen das Reichsbuergerrecht verliehen war, und nicht minder die Buerger derjenigen latinischen Rechts, welche durch den Eintritt in das Reichsheer oder durch Bekleidung von Aemtern in ihrer Heimatstadt fuer sich und ihre Nachkommen das Reichsbuergerrecht erworben hatten, standen rechtlich den Italienern vollstaendig gleich und gelangten gleich ihnen im Reichsdienst zu Aemtern und Ehren.
—————————————————– ^2 Das zeigt die merkwuerdige Inschrift von Avignon (Herzog, Galliae Narbonensis historia, descriptio, institutorum compositio. Leipzig 1864 n. 403): T. Carisius T. f. pr(aetor) Volcar(um) dar, das aelteste Zeugnis fuer die roemische Ordnung des Gemeinwesens in diesen Gegenden. —————————————————– Dagegen in den drei Gallien gab es Staedte roemischen und latinischen Rechts nicht, oder vielmehr es gab dort nur eine solche ^3, die eben darum auch zu keiner der drei Provinzen oder zu allen gehoerte, die Stadt Lugudunum (Lyon). Am aeussersten Suedrand des kaiserlichen Gallien, unmittelbar an der Grenze der staedtisch geordneten Provinz, am Zusammenfluss der Rhone und der Saone, an einer militaerisch wie kommerziell gleich wohlgewaehlten Stelle war waehrend der Buergerkriege, zunaechst infolge der Vertreibung einer Anzahl in Vienna ansaessiger Italiener ^4, im Jahre 711 (43) diese Ansiedlung entstanden, nicht hervorgegangen aus einem Keltengau ^5 und daher auch immer mit eng beschraenktem Gebiet, sondern von Haus aus von Italienern gebildet und im Besitz des vollen roemischen Buergerrechts, einzig in ihrer Art dastehend unter den Gemeinden der drei Gallien, den Rechtsverhaeltnissen nach einigermassen wie Washington in dem nordamerikanischen Bundesstaat. Diese einzige Stadt der drei Gallien wurde zugleich die gallische Hauptstadt. Eine gemeinschaftliche Oberbehoerde hatten die drei Provinzen nicht und von hohen Reichsbeamten hatte dort nur der Statthalter der mittleren oder der lugudunensischen Provinz seinen Sitz; aber wenn Kaiser oder Prinzen in Gallien verweilten, residierten sie regelmaessig in Lyon. Lyon war neben Karthago die einzige Stadt der lateinischen Reichshaelfte, welche nach dem Muster der hauptstaedtischen Garnison eine staendige Besatzung erhielt ^6. Die einzige Muenzstaette fuer Reichsgeld, die wir im Westen fuer die fruehere Kaiserzeit mit Sicherheit nachweisen koennen, ist die von Lyon. Hier war die Zentralstelle des ganz Gallien umfassenden Grenzzolles, hier der Knotenpunkt des gallischen Strassennetzes. Aber nicht bloss alle Regierungsanstalten, welche Gallien gemeinschaftlich waren, hatten ihren geborenen Sitz in Lyon, sondern diese Roemerstadt wurde auch, wie wir weiterhin sehen werden, der Sitz des keltischen Landtags der drei Provinzen und aller daran sich knuepfenden politischen und religioesen Institutionen, seiner Tempel und seiner Jahresfeste. Also bluehte Lugudunum rasch empor, gefoerdert durch die mit der Metropolenstellung verbundene reiche Dotation und die fuer den Handel ungemein guenstige Lage. Ein Schriftsteller aus Tiberius’ Zeit bezeichnet sie als die zweite in Gallien nach Narbo; spaeterhin nimmt sie daselbst den Platz neben oder vor ihrer Rhoneschwester Arelate. Bei der Feuersbrunst, die im Jahre 64 einen grossen Teil Roms in Asche legte, sandten die Lugudunenser den Abgebrannten eine Beihilfe von 4 Millionen Sesterzen (870000 Mark), und als ihre eigene Stadt im naechsten Jahr dasselbe Schicksal in noch haerterer Weise traf, steuerte auch ihnen das ganze Reich seinen Beitrag und sandte der Kaiser die gleiche Summe aus seiner Schatulle. Glaenzender als zuvor erstand die Stadt aus ihren Ruinen, und sie ist fast durch zwei Jahrtausende unter allen Zeitlaeuften eine Grossstadt geblieben bis auf den heutigen Tag. In der spaeteren Kaiserzeit freilich tritt sie zurueck hinter Trier. Die Stadt der Treverer, Augusta genannt wahrscheinlich von dem ersten Kaiser, gewann bald in der Belgica den ersten Platz; wenn noch in Tiberius’ Zeit Durocortorum der Remer (Reims) die volkreichste Ortschaft der Provinz und der Sitz der Statthalter genannt wird, so teilt bereits ein Schriftsteller aus der Zeit des Claudius den Primat daselbst dem Hauptort der Treverer zu. Aber die Hauptstadt Galliens ^7, man darf vielleicht sagen des Okzidents, ist Trier erst geworden durch die Umgestaltung der Reichsverwaltung unter Diocletian. Seit Gallien, Britannien und Spanien unter einer Oberverwaltung stehen, hat diese ihren Sitz in Trier, und seitdem ist Trier auch, wenn die Kaiser in Gallien verweilen, deren regelmaessige Residenz und, wie ein Grieche des 5. Jahrhunderts sagt, die groesste Stadt jenseits der Alpen. Indes die Epoche, wo dieses Rom des Nordens seine Mauern und seine Thermen empfing, die wohl genannt werden duerfen neben den Stadtmauern der roemischen Koenige und den Baedern der kaiserlichen Reichshauptstadt, liegt jenseits unserer Darstellung. Durch die ersten drei Jahrhunderte der Kaiserzeit ist Lyon das roemische Zentrum des Keltenlandes geblieben, und nicht bloss, weil es an Volkszahl und Reichtum den ersten Platz einnahm, sondern weil es, wie keine andere des gallischen Nordens und nur wenige des Suedens, eine von Italien aus gegruendete und nicht nur dem Recht, sondern dem Ursprung und dem Wesen nach roemische Stadt war.
———————————————- ^3 Nur etwa Noviodunum (Nyon am Genfer See) kann in den drei Gallien der Anlage nach mit Lugudunum zusammengestellt werden; aber da diese Gemeinde spaeter als civitas Equestrium auftritt (Inscr. Helv. 115), so scheint sie unter die Gaue eingereiht zu sein, was von Lugudunum nicht gilt. ^4 Die aus Vienna von den Allobrogen frueher Vertriebenen (oi ek Oyienn/e/s t/e/s Narbon/e/sias ypo t/o/n Allobrig/o/n pote ekpesontes) bei Dio 46, 50 koennen nicht wohl andere gewesen sein als roemische Buerger, da die Gruendung einer Buergerkolonie zu ihren Gunsten nur unter dieser Voraussetzung sich begreift. Die “fruehere” Vertreibung stand wohl in Zusammenhang mit dem Allobrogenaufstand unter Catugnatus im Jahre 693 (61). Die Erklaerung, warum die Vertriebenen nicht zurueckgefuehrt, sondern anderweitig angesiedelt wurden, fehlt, aber es lassen sich dafuer mancherlei Veranlassungen denken, und die Tatsache selbst wird dadurch nicht in Zweifel gestellt. Die der Stadt zufliessenden Renten (Tac. hist. 1, 65) moegen ihr wohl auf Kosten von Vienna verliehen worden sein.
^5 Der Boden gehoerte frueher den Segusiavern (Plin. nat. 4, 18, 107; Strab. p. 186, 192), einem der kleinen Klientelgaue der Haeduer (Caes. Gall. 7, 75); aber in der Gaueinteilung zaehlt sie nicht zu diesen, sondern steht fuer sich als m/e/tropolis (Ptol. geogr. 2, 8, 11 u. 12). ^6 Dies sind die 1200 Soldaten, mit welchen, wie der Judenkoenig Agrippa bei Josephus (bel. Iud. 2, 16, 4) sagt, die Roemer das gesamte Gallien in Botmaessigkeit halten.
^7 Nichts ist so bezeichnend fuer die Stellung Triers in dieser Zeit als die Verordnung des Kaisers Gratianus vom Jahre 376 (Cod. Theod. 13, 3, 11), dass den Professoren der Rhetorik und der Grammatik beider Sprachen in saemtlichen Hauptstaedten der damaligen siebzehn gallischen Provinzen zu ihrem staedtischen Gehalt die gleiche Zulage aus der Staatskasse gegeben, fuer Trier aber diese hoeher bemessen werden solle.
———————————————- Wie fuer die Organisation der Suedprovinz die italische Stadt die Grundlage war, so fuer die noerdliche der Gau, und zwar ueberwiegend derjenige der keltischen ehemaligen Staats-, jetzigen Gemeindeordnung. Die Bedeutung des Gegensatzes von Stadt und Gau ist nicht zunaechst abhaengig von seinem Inhalt; selbst wenn er ein bloss rechtlich formaler gewesen waere, haette er die Nationalitaeten geschieden, auf der einen Seite das Gefuehl der Zugehoerigkeit zu Rom, auf der andern Seite das der Fremdartigkeit geweckt und geschaerft. Hoch darf fuer diese Zeit die praktische Verschiedenheit der beiden Ordnungen nicht angeschlagen werden, da die Elemente der Gemeindeordnung, die Beamten, der Rat, die Buergerversammlung, dort wie hier dieselben waren und etwa frueher vorhandene, tiefer gehende Gegensaetze von der roemischen Oberherrschaft schwerlich lange geduldet wurden. Daher hat auch der Uebergang von der Gauordnung zu der staedtischen sich haeufig und ohne Anstoss, man kann vielleicht sagen im Laufe der Entwicklung mit einer gewissen Notwendigkeit von selber vollzogen. Infolgedessen treten die qualitativen Unterschiede der beiden Rechtsformen in unserer Ueberlieferung wenig hervor. Dennoch war der Gegensatz sicher nicht ein bloss nomineller, sondern es bestanden in den Befugnissen der verschiedenen Gewalten, in Rechtspflege, Besteuerung, Aushebung, Verschiedenheiten, die fuer die Administration, teils an sich, teils infolge der Gewoehnung, von Bedeutung waren oder doch bedeutend schienen. Bestimmt erkennbar ist der quantitative Gegensatz. Die Gaue, wenigstens wie sie bei den Kelten und den Germanen auftreten, sind durchgaengig mehr Voelkerschaften als Ortschaften; dieses sehr wesentliche Moment ist allen keltischen Gebieten eigentuemlich und selbst durch die spaeter eintretende Romanisierung oft mehr verdeckt als verwischt. Mediolanum und Brixia haben ihre weiten Grenzen und ihre dauernde Potenz wesentlich dem zu danken, dass sie eigentlich nichts sind als die Gaue der Insubrer und der Cenomanen. Dass das Territorium der Stadt Vienna die Dauphine und Westsavoyen umfasst und die ebenso alten und fast ebenso ansehnlichen Ortschaften Cularo (Grenoble) und Genava (Genf) bis in die spaete Kaiserzeit dem Rechte nach Doerfer der Kolonie Vienna sind, erklaert sich ebenfalls daraus, dass dieses der spaetere Name der Voelkerschaft der Allobrogen ist. In den meisten keltischen Gauen ueberwiegt eine Ortschaft so durchaus, dass es einerlei ist, ob man die Remer oder Durocortorum, die Bituriger oder Burdigala nennt; aber es kommt auch das Gegenteil vor, wie zum Beispiel bei den Vocontiern Vasio (Vaison) und Lucus, bei den Carnuten Autricum (Chartres) und Cenabum (Orleans) sich die Waage halten; und ob die Vorrechte, die nach italischer und griechischer Ordnung sich selbstverstaendlich der Flur gegenueber an den Mauerring knuepfen, bei den Kelten rechtlich oder auch nur tatsaechlich in aehnlicher Weise geordnet waren, ist mehr als fraglich. Das Gegenbild fuer diesen Gau im griechisch-italischen Westen ist viel weniger die Stadt als die Voelkerschaft; die Carnuten hat man mit den Boeotern zu gleichen, Autricum und Cenabum mit Tanagra und Thespiae. Die Besonderheit der Stellung der Kelten unter der roemischen Herrschaft gegenueber anderen Nationen, den Iberern zum Beispiel und den Hellenen, beruht darauf, dass diese groesseren Verbaende dort als Gemeinden fortbestanden, hier diejenigen Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzten, die Gemeinden bildeten. Dabei moegen aeltere, der vorroemischen Zeit angehoerige Verschiedenheiten der nationalen Entwicklung mitgewirkt haben; es mag wohl leichter ausfuehrbar gewesen sein, den Boeotern den gemeinschaftlichen Staedtetag zu nehmen, als die Helvetier in ihre vier Distrikte aufzuloesen; politische Verbaende behaupten sich auch nach der Unterwerfung unter eine Zentralgewalt da, wo ihre Aufloesung die Desorganisation herbeifuehren wuerde. Dennoch ist, was in Gallien durch Augustus oder, wenn man will durch Caesar geschah, nicht durch den Zwang der Verhaeltnisse herbeigefuehrt worden, sondern hauptsaechlich durch den freien Entschluss der Regierung, wie er auch allein zu der uebrigens gegen die Kelten geuebten Schonung passt. Denn es gab in der Tat in der vorroemischen Zeit und noch zur Zeit der Caesarischen Eroberung eine bei weitem groessere Anzahl von Gauen, als wir sie spaeter finden; namentlich ist es bemerkenswert, dass die zahlreichen, durch Klientel einem groesseren Gau angeschlossenen kleineren in der Kaiserzeit nicht selbstaendig geworden, sondern verschwunden sind ^8. Wenn spaeterhin das Keltenland geteilt erscheint in eine maessige Anzahl bedeutender, zum Teil sogar sehr grosser Gaudistrikte, innerhalb deren abhaengige Gaue nirgends zum Vorschein kommen, so ist diese Ordnung freilich durch das vorroemische Klientelwesen angebahnt, aber erst durch die roemische Reorganisation vollstaendig durchgefuehrt worden. Dieser Fortbestand und diese Steigerung der Gauverfassung wird fuer die weitere politische Entwicklung Galliens vor allem bestimmend gewesen sein. Wenn die tarraconensische Provinz in 293 selbstaendige Gemeinden zerfiel, so zaehlten die drei Gallien zusammen, wie wir sehen werden, deren nicht mehr als 64. Die Einheit und ihre Erinnerungen blieben ungebrochen; die eifrige Verehrung, die die ganze Kaiserzeit hindurch dem Quellgott Nemausus bei den Volkern gezollt wurde, zeigt, wie selbst hier, im Sueden des Landes und in einem zur Stadt umgewandelten Gau die traditionelle Zusammengehoerigkeit noch immer lebendig empfunden ward. In dieser Art innerlich fest zusammenhaltende Gemeinden mit weiten Grenzen waren eine Macht. Wie Caesar die gallischen Gemeinden vorfand, mit einer in voelliger politischer wie oekonomischer Abhaengigkeit gehaltenen Volksmasse und einem uebermaechtigen Adel, so sind sie im wesentlichen auch unter roemischer Herrschaft geblieben; genau wie in vorroemischer Zeit die grossen Adligen mit ihrem nach Tausenden zaehlenden Gesinde von Hoerigen und Schuldknechten ein jeder in seiner Heimat die Herren spielten, so schildert uns Tacitus in Tiberius’ Zeit die Zustaende bei den Treverern. Das roemische Regiment gab der Gemeinde weitgehende Rechte, sogar eine gewisse Militaergewalt, so dass sie unter Umstaenden Festungen einzurichten und besetzt zu halten befugt war, wie dies bei den Helvetiern vorkommt, die Beamten die Buergerwehr aufbieten konnten und in diesem Falle Offiziersrecht und Offiziersrang hatten. Diese Befugnis war nicht dieselbe in den Haenden des Vorstehers einer kleinen Stadt Andalusiens und desjenigen eines Bezirkes an der Loire oder der Mosel vom Umfang einer kleinen Provinz. Die weitherzige Politik Caesars des Vaters, auf den die Grundzuege dieses Systems notwendig zurueckgefuehrt werden muessen, zeigt sich hier in ihrer ganzen grossartigen Ausdehnung.
——————————————- ^8 Bei Caesar erscheinen wohl, im grossen und ganzen genommen, dieselben Gaue, wie sie dann in der augustischen Ordnung vertreten sind, aber zugleich vielfache Spuren kleinerer Klientelverbaende (vgl. 3, 249); so werden als “Klienten” der Haeduer genannt die Segusiaver, die Ambivareten, die Aulerker Brannoviker und die Brannovier (Caes. Gall. 7, 75), als Klienten der Treuerer die Condruser (Caes. Gall. 4; 6), als solche der Helvetier die Tulinger und Latobrigen. Mit Ausnahme der Segusiaver fehlen diese alle auf dem Lyoner Landtage. Dergleichen kleinere, nicht voellig in die Vororte aufgegangene Gaue mag es in Gallien zur Zeit der Unterwerfung in grosser Zahl gegeben haben. Wenn nach Josephus (bel. Iud. 2, 16, 4) den Roemern 305 gallische Gaue und 1200 Staedte gehorchten, so moegen dies die Ziffern sein, die fuer Caesars Waffenerfolge herausgerechnet worden sind; wenn die kleinen iberischen Voelker in Aquitanien und die Klientelgaue im Keltenland mitgezaehlt wurden, konnten dergleichen Zahlen wohl herauskommen.
——————————————- Aber die Regierung beschraenkte sich nicht darauf, die Gauordnung den Kelten zu lassen; sie liess oder gab ihnen vielmehr auch eine nationale Verfassung, soweit eine solche mit der roemischen Oberherrschaft sich vereinbaren liess. Wie der hellenischen Nation, so verlieh Augustus der gallischen eine organisierte Gesamtvertretung, welche dort wie hier in der Epoche der Freiheit und der Zerfahrenheit wohl erstrebt, aber nie erreicht worden war. Unter dem Huegel, den die Hauptstadt Galliens kroente, da wo die Saone ihr Wasser mit dem der Rhone mischt, weihte am 1. August des Jahres 742 (12) der kaiserliche Prinz Drusus als Vertreter der Regierung in Gallien der Roma und dem Genius des Herrschers den Altar, an welchem fortan jedes Jahr an diesem Tage diesen Goettern von der Gemeinschaft der Gallier die Festfeier abgehalten werden sollte. Die Vertreter der saemtlichen Gaue waehlten aus ihrer Mitte Jahr fuer Jahr den “Priester der drei Gallien”, und dieser brachte am Kaisertag das Kaiseropfer dar und leitete die dazu gehoerigen Festspiele. Diese Landesvertretung hatte nicht bloss eine eigene Vermoegensverwaltung mit Beamten, welche den vornehmen Kreisen des provinzialen Adels angehoerten, sondern auch einen gewissen Anteil an den allgemeinen Landesangelegenheiten. Von unmittelbarem Eingreifen derselben in die Politik findet sich allerdings keine andere Spur, als dass bei der ernsten Krise des Jahres 70 der Landtag der “drei Gallien” die Treverer von der Auflehnung gegen Rom abmahnte; aber er hatte und gebrauchte das Recht der Beschwerdefuehrung ueber die in Gallien fungierenden Reichs- und Hausbeamten und wirkte ferner mit wenn nicht bei der Auflegung, so doch bei der Repartition der Steuern ^9, zumal da diese nicht nach den einzelnen Provinzen, sondern fuer Gallien insgemein angelegt wurden. Aehnliche Einrichtungen hat allerdings die Kaiserregierung in allen Provinzen ins Leben gerufen, in einer jeden nicht bloss die sakrale Zentralisierung eingefuehrt, sondern auch, was die Republik nicht getan hatte, einer jeden ein Organ verliehen, um Bitten und Klagen vor die Regierung zu bringen. Dennoch hat Gallien in dieser Hinsicht vor allen uebrigen Reichsteilen wenigstens ein tatsaechliches Privilegium, wie sich denn diese Institution auch allein hier voll entwickelt findet ^10. Einmal steht der vereinigte Landtag der drei Provinzen den Legaten und Prokuratoren einer jeden notwendig unabhaengiger gegenueber als zum Beispiel der Landtag von Thessalonike dem Statthalter von Makedonien. Sodann aber kommt es bei Institutionen dieser Art weit weniger auf das Mass der verliehenen Rechte an, als auf das Gewicht der darin vertretenen Koerperschaften; und die Staerke der einzelnen gallischen Gemeinden uebertrug sich ebenso auf den Landtag von Lyon wie die Schwaeche der einzelnen hellenischen auf den von Argos. In der Entwicklung Galliens unter den Kaisern hat der Landtag von Lyon allem Anschein nach diejenige allgemein gallische Homogenitaet, welche daselbst mit der Latinisierung Hand in Hand geht, wesentlich gefoerdert.
——————————————————- ^9 Darauf fuehrt ausser der Inschrift bei Boissieu, Lyon, S. 609, wo die Worte tot[i]us cens[us Galliarum] mit dem Namen eines der Altarpriester in Verbindung gebracht werden, die Ehreninschrift, welche die drei Gallien einem kaiserlichen Beamten a censibus accipiendis setzen (Heuzen 6944); derselbe scheint die Katasterrevision fuer das ganze Land geleitet zu haben, eben wie frueher Drusus, waehrend die Schaetzung selbst durch Kommissarien fuer die einzelnen Landschaften erfolgte. Auch ein sacerdos Romae et Augusti der Tarraconensis wird belobt ob curam tabulari censualis fideliter administratam (CIL II, 4248); es waren also mit der Steuerrepartierung wohl die Landtage aller Provinzen befasst. Die kaiserliche Finanzverwaltung der drei Gallien war wenigstens der Regel nach so geteilt, dass die beiden westlichen Provinzen (Aquitanien und Lugudunensis) unter einem Prokurator standen, Belgica und die beiden Germanien unter einem andern; doch hat es rechtlich feste Kompetenzen dafuer wohl nicht gegeben. Auf eine regelmaessige Beteiligung bei der Aushebung darf aus der von Hadrian, offenbar ausserordentlicher Weise, mit Vertretern aller spanischen Distrikte gepflogenen Verhandlung (vita 12) nicht geschlossen werden.
^10 Fuer die arca Galliarum, den Freigelassenen der drei Gallien (Heuzen 6393), den adlector arcae Galliarum, inquisitor Galliarum, iudex arcae Galliarum gibt meines Wissens keine andere Provinz Analogien; und von diesen Einrichtungen haetten, wenn sie allgemein gewesen waeren, die Inschriften sicher auch sonst Spuren bewahrt. Diese Einrichtungen scheinen auf eine sich selbst verwaltende und besteuernde Koerperschaft zu fuehren (der in seiner Bedeutung unklare adlector kommt als Beamter in Kollegien vor CIL VI, 355; Orelli 2406); wahrscheinlich bestritt diese Kasse die wohl nicht unbetraechtlichen Ausgaben fuer die Tempelgebaeude und fuer das Jahrfest. Eine Staatskasse ist die arca Galliarum nicht gewesen.
——————————————————- Die Zusammensetzung des Landtags, welche uns ziemlich genau bekannt ist ^11, zeigt, in welcher Weise die Nationalitaetenfrage von der Regierung behandelt ward. Von den sechzig, spaeter vierundsechzig auf dem Landtag vertretenen Gauen kommen nur vier auf die iberischen Bewohner Aquitaniens, obwohl dieses Gebiet zwischen der Garonne und den Pyrenaeen unter eine sehr viel groessere Zahl durchgaengig kleiner Staemme geteilt war, sei es, dass die uebrigen von der Vertretung ueberhaupt ausgeschlossen waren, sei es, dass jene vier vertretenen Gaue die Vororte von Gauverbaenden sind ^12. Spaeterhin, wahrscheinlich in traianischer Zeit, ist der iberische Bezirk von dem Lyoner Landtag abgetrennt und ihm eine selbstaendige Vertretung gegeben worden ^13. Dagegen sind die keltischen Gaue in derjenigen Organisation, die wir frueher kennengelernt haben, im wesentlichen alle auf dem Landtag vertreten und ebenso die halb oder ganz germanischen ^14, soweit sie zur Zeit der Stiftung des Altars zum Reiche gehoerten; dass fuer die Hauptstadt Galliens in dieser Gauvertretung kein Platz war, versteht sich von selbst. Ausserdem erscheinen die Ubier nicht auf dem Landtag von Lyon, sondern opfern an ihrem eigenen Augustus-Altar – es ist dies, wie wir sahen, ein stehengebliebener Ueberrest der beabsichtigten Provinz Germanien.
—————————————— ^11 Als Gesamtzahl der auf dem Lyoner Altar verzeichneten Gemeinden gibt Strabo (4, 3, 2, p. 192) sechzig an, als die Zahl der aquitanischen in dem keltischen Teil, noerdlich von der Garonne, vierzehn (4,1, 1, p. 177). Tacitus (ann. 3, 44) nennt als Gesamtzahl der gallischen Gaue vierundsechzig, ebenso, wenn auch in unrichtiger Verbindung, der Scholiast zur Aeneis (1, 286). Auf die gleiche Gesamtzahl fuehrt das Verzeichnis bei Ptolemaeos aus dem zweiten Jahrhundert, welches fuer Aquitanien siebzehn, fuer die Lugudunensis 25, fuer Belgica 22 Gaue auffuehrt. Von seinen aquitanischen Gauen fallen dreizehn auf das Gebiet zwischen Loire und Garonne, vier auf das zwischen Garonne und Pyrenaeen. In dem spaeteren aus dem 5. Jahrhundert, das unter dem Namen der Notitia Galliarum bekannt ist, fallen auf Aquitanien 26, auf die Lugudunensis (ausschliesslich Lyons) 24, auf Belgica 27. Alle diese Zahlen sind vermutlich eine jede fuer ihre Zeit richtig; zwischen der Errichtung des Altars im Jahre 742 (12) und der Zeit des Tacitus (denn auf diese ist seine Angabe wohl zu beziehen) koennen ebenso vier Gaue hinzugetreten sein, wie sich die Verschiebung der Zahlen vom 2, bis zum 5. Jahrhundert auf einzelne, zum guten Teil speziell noch nachweisliche Aenderungen zurueckfuehren laesst. Bei der Wichtigkeit dieser Ordnungen wird es nicht ueberfluessig sein, sie wenigstens fuer die beiden westlichen Provinzen im speziellen darzulegen. In der rein keltischen Mittelprovinz stimmen die drei Verzeichnisse bei Plinius (1. Jahrhundert), Ptolemaeos (2. Jahrhundert) und der Notitia (5. Jahrhundert) in 21 Namen ueberein: Abrincates – Andecavi – Aulerci Cenomani – Aulerci Diablintes – Aulerci Eburovici – Baiocasses (Bodiocasses Plin., Vadicasii Ptol.) – Carnutes – Coriosolites (ohne Zweifel die Samnitae des Ptolemaeos) – Haedui – Lexovii – Meldae – Namnetes – Osismii – Parisii – Redones – Senones – Tricassini – Turones – Veliocasses (Rotomagenses) – Veneti – Unelli (Constantia); in drei weiteren: Caletae – Segusiavi – Viducasses stimmen Plinius und Ptolemaeos, waehrend sie in der Notitia fehlen, weil inzwischen die Caletae mit den Veliocasses oder den Rotomagenses, die Viducasses mit den Baiocasses zusammengelegt und die Segusiavi in Lyon aufgegangen waren. Dagegen erscheinen hier statt der drei verschwundenen zwei neue durch Teilung entstandene: Aureliani (Orleans), abgezweigt aus den Carnutes (Chartres), und Autessiodurum (Auxerre), abgezweigt aus den Senones (Sens). Uebrig bleiben bei Plinius zwei Namen: Boi – Atesui; bei Ptolemaeos einer: Arvii; in der Notitia einer: Saii. Fuer das keltische Aquitanien stimmen die drei Listen in elf Namen ueberein:
Arverni – Bituriges Cubi – Bituriges Vivisci (Burdigalenses) – Cadurci – Gabales – Lemovici – Nitiobriges (Aginnenses) – Petrucorii – Pictones – Ruteni – Sautones; die zweite und dritte in dem zwoelften der Vellauni, der bei Plinius ausgefallen sein wird; Plinius allein hat (abgesehen von den problematischen Aquitani) zwei Namen mehr: Ambilatri und Anagnutes, Ptolomaeos einen sonst unbekannten: Datii; vielleicht ist mit zweien von diesen die Strabonische Zahl der vierzehn voll zu machen. Die Notitia hat ausser jenen elf noch zwei auf Spaltung beruhende, die Albigenses (Albi am Tarn) und die Ecolismenses (Angouleme).
In aehnlicher Weise verhalten sich die Listen der oestlichen Gaue. Obwohl untergeordnete Differenzen sich ergeben, die hier nicht eroertert werden koennen, liegt das Wesen und die Bestaendigkeit der gallischen Gauteilung deutlich vor.
^12 Die vier vertretenen Voelkerschaften sind die Tarbeller, Vasaten, Auscier und Convener. Ausser diesen zaehlt Plinius im suedlichen Aquitanien nicht weniger als 25 groesstenteils sonst unbekannte Voelkerschaften auf als rechtlich jenen vier gleichstehend.
^13 Plinius und, vermutlich auch hier aelteren Quellen folgend, Ptolemaeos wissen von dieser Teilung nichts; aber wir besitzen noch die ungefuegen Verse des Gascogner Bauern (B. Borghesi, (Oeuvres completes. Paris 1862-79. Bd. 8, S. 544), der dies in Rom auswirkte, ohne Zweifel in Gemeinschaft mit einer Anzahl seiner Landsleute, obwohl er es vorgezogen hat, dies nicht hinzuzusetzen: Flamen, item dumvir, quaestor pagiq(ue) magister Verus ad Augustum legato (so) munere functus pro novem optinuit populis seiungere Gallos: urbe redux Genio pagi hanc dedicat aram. Flamen, auch Zweimann, Schatzmeister und Schulze des Dorfes Ging den Kaiser ich an, Verus, nach erhaltenem Auftrag; Wirkte dem Neungau aus von ihm zu scheiden die Galler Und zurueck von Rom weih den Altar ich dem Dorfgeist. Die aelteste Spur der administrativen Trennung des iberischen Aquitaniens von dem gallischen ist die Nennung des “Bezirks von Lactora” (Lectoure) neben Aquitanien in einer Inschrift aus traianischer Zeit (CIL V 875: procurator provinciarum Luguduniensis et Aquitanicae, item Lactorae). Diese Inschrift beweist allerdings an sich mehr die Verschiedenheit der beiden Gebiete als die formelle Absonderung des einen von dem andern; aber es laesst sich anderweitig zeigen, dass bald nach Traian die letztere durchgefuehrt war. Denn dass der abgetrennte Bezirk urspruenglich in neun Gaue zerfiel, wie jene Verse es sagen, bestaetigt der seitdem gebliebene Name Novempopulana; unter Pius aber zaehlt der Bezirk bereits elf Gemeinden (denn der dilectator er Apquitanicae XI populos, Boissieu, Lyon, S. 246, gehoert gewiss hierher), im fuenften Jahrhundert zwoelf; denn so viele zaehlt die Notitia unter der Novempopulana auf. Diese Vermehrung erklaert sich ebenso wie die in Anm. 11 eroerterte. Auf die Statthalterschaft bezieht die Teilung sich nicht; vielmehr blieben das keltische und das iberische Aquitanien beide unter demselben Legaten. Aber die Novempopulana erhielt unter Traian ihren eigenen Landtag, waehrend die keltischen Distrikte Aquitaniens nach wie vor den Landtag von Lyon beschickten. ^14 Es fehlen einige kleinere germanische Voelkerschaften, wie die Baetasier und die Sunuker, vielleicht aus aehnlichen Gruenden wie die kleineren iberischen; ferner die Cannenefaten und die Friesen, wahrscheinlich weil diese erst spaeter reichsuntertaenig geworden sind. Die Bataver sind vertreten. ———————————————— Wurde die keltische Nation also in dem kaiserlichen Gallien in sich selbst konsolidiert, so wurde sie auch dem roemischen Wesen gegenueber gewissermassen garantiert durch das hinsichtlich der Erteilung des Reichsbuergerrechts fuer dieses Gebiet eingehaltene Verfahren. Die Hauptstadt Galliens freilich war und blieb eine roemische Buergerkolonie, und es gehoert dies wesentlich mit zu der eigenartigen Stellung, die sie dem uebrigen Gallien gegenueber einnahm und einnehmen sollte. Aber waehrend die Suedprovinz mit Kolonien bedeckt und durchaus nach italischem Gemeinde recht geordnet ward, hat Augustus in den “drei Gallien” nicht eine einzige Buergerkolonie eingerichtet, und wahrscheinlich ist auch dasjenige Gemeinderecht, welches unter dem Namen des latinischen eine Zwischenstufe zwischen Buergern und Nichtbuergern bildet und seinen angeseheneren Inhabern von Rechts wegen das Buergerrecht fuer ihre Person und ihre Nachkommen gewaehrt, laengere Zeit von Gallien ferngehalten worden. Die persoenliche Verleihung des Buergerrechts, teils nach allgemeinen Bestimmungen an den Soldaten bald bei dem Eintritt, bald bei dem Abschied, teils aus besonderer Gunst an einzelne Personen, konnte allerdings auch dem Gallier zuteil werden; so weit, wie die Republik gegangen war, dem Helvetier zum Beispiel den Gewinn des roemischen Buergerrechts ein fuer allemal zu untersagen, ging Augustus nicht und konnte es auch nicht, nachdem Caesar das Buergerrecht an geborene Gallier vielfach auf diese Weise vergeben hatte. Aber er nahm wenigstens den aus den “drei Gallien” stammenden Buergern – mit Ausnahme immer der Lugudunenser – das Recht der Aemterbewerbung und schloss sie damit zugleich aus dem Reichssenat aus. Ob diese Bestimmung zunaechst im Interesse Roms oder zunaechst in dem der Gallier getroffen war, koennen wir nicht wissen; gewiss hat Augustus beides gewollt, einmal dem Eindringen des fremdartigen Elements in das Roemertum wehren und damit dasselbe reinigen und heben, andererseits den Fortbestand der gallischen Eigenartigkeit in einer Weise verbuergen, die eben durch verstaendiges Zurueckhalten die schliessliche Verschmelzung mit dem roemischen Wesen sicherer foerderte, als die schroffe Aufzwingung fremdlaendischer Institutionen getan haben wuerde. Kaiser Claudius, selbst in Lyon geboren und, wie die Spoetter von ihm sagten, ein richtiger Gallier, hat diese Schranken zum guten Teil beseitigt. Die erste Stadt in Gallien, welche sicher italisches Recht empfangen hat, ist die der Ubier, wo der Altar des roemischen Germaniens angelegt war; dort im Feldlager ihres Vaters, des Germanicus, wurde die nachmalige Gemahlin des Claudius Agrippina geboren, und sie hat im Jahre 50 ihrem Geburtsort das wahrscheinlich latinische Kolonialrecht erwirkt, dem heutigen Koeln. Vielleicht gleichzeitig, vielleicht schon frueher ist dasselbe fuer die Stadt der Treverer, Augusta, geschehen, das heutige Trier. Auch noch einige andere gallische Gaue sind in dieser Weise dem Roemertum naeher gerueckt worden, so der der Helvetier durch Vespasian, ferner der der Sequaner (Besanáon); grosse Ausdehnung aber scheint das latinische Recht in diesen Gegenden nicht gefunden zu haben. Noch weniger ist in der frueheren Kaiserzeit in dem kaiserlichen Gallien ganzen Gemeinden das volle Buergerrecht beigelegt worden. Wohl aber hat Claudius mit der Aufhebung der Rechtsbeschraenkung den Anfang gemacht, welche die zum persoenlichen Reichsbuergerrecht gelangten Gallier von der Reichsbeamtenlaufbahn ausschloss; es wurde zunaechst fuer die aeltesten Verbuendeten Roms, die Haeduer, bald wohl allgemein diese Schranke beseitigt. Damit war wesentlich die Gleichstellung erreicht. Denn nach den Verhaeltnissen dieser Epoche hatte das Reichsbuergerrecht fuer die durch ihre Lebensstellung von der Aemterlaufbahn ausgeschlossenen Kreise kaum einen besonderen praktischen Wert und war fuer vermoegende Peregrinen guter Herkunft, die diese Laufbahn zu betreten wuenschten und deshalb seiner bedurften, leicht zu erlangen; wohl aber war es eine empfindliche Zuruecksetzung, wenn dem roemischen Buerger aus Gallien und seinen Nachkommen von Rechts wegen die Aemterlaufbahn verschlossen blieb. Wenn in der Organisation der Verwaltung das nationale Wesen der Kelten so weit geschont ward, als dies mit der Reichseinheit sich irgend vertrug, so ist dies hinsichtlich der Sprache nicht geschehen. Auch wenn es praktisch ausfuehrbar gewesen waere, den Gemeinden die Fuehrung ihrer Verwaltung in einer Sprache zu gestatten, deren die kontrollierenden Reichsbeamten nur ausnahmsweise maechtig sein konnten, lag es unzweifelhaft nicht in den Absichten der roemischen Regierung, diese Schranke zwischen den Herrschenden und Beherrschten aufzurichten. Dementsprechend ist unter den in Gallien unter roemischer Herrschaft geschlagenen Muenzen und von Gemeinde wegen gesetzten Denkmaelern keine erweislich keltische Aufschrift gefunden worden. Der Gebrauch der Landessprache wurde uebrigens nicht gehindert; wir finden sowohl in der Suedprovinz wie in den noerdlichen Denkmaeler mit keltischer Aufschrift, dort immer mit griechischem ^15, hier immer mit lateinischem Alphabet geschrieben ^16, und wahrscheinlich gehoeren wenigstens manche von jenen, sicher diese saemtlich der Epoche der Roemerherrschaft an. Dass in Gallien ausserhalb der Staedte italischen Rechts und der roemischen Lager inschriftliche Denkmaeler ueberhaupt nur in geringer Zahl auftreten, wird wahrscheinlich hauptsaechlich dadurch herbeigefuehrt sein, dass die als Dialekt behandelte Landessprache ebenso fuer solche Verwendung ungeeignet erschien wie die ungelaeufige Reichssprache und daher das Denksteinsetzen hier ueberhaupt nicht so wie in den latinisierten Gegenden in Aufnahme kam; das Lateinische mag in dem groessten Teil Galliens damals ungefaehr die Stellung gehabt haben wie nachher im frueheren Mittelalter gegenueber der damaligen Volkssprache. Das energische Fortleben der nationalen Sprache zeigt am bestimmtesten die Wiedergabe der gallischen Eigennamen im Latein nicht selten unter Beibehaltung unlateinischer Lautformen. Dass Schreibungen wie Lousonna und Boudicca mit dem unlateinischen Diphthong ou selbst in die lateinische Literatur eingedrungen sind und fuer den aspirierten Dental, das englische th, sogar in roemischer Schrift ein eigenes Zeichen (D) verwendet wird, ferner Epaciatextorigus neben Epasnactus geschrieben wird, Dirona neben Sirona, machen es fast zur Gewissheit, dass die keltische Sprache, sei es im roemischen Gebiet, sei es ausserhalb desselben, in oder vor dieser Epoche einer gewissen schriftmaessigen Regulierung unterlegen hatte und schon damals so geschrieben werden konnte, wie sie noch heute geschrieben wird. Auch an Zeugnissen fuer ihren fortdauernden Gebrauch in Gallien fehlt es nicht. Als die Stadtnamen Augustodunum (Autun), Augustonemetum (Clermont), Augustobona (Troyes) und manche aehnliche aufkamen, sprach man notwendig auch im mittleren Gallien noch keltisch. Arrian unter Hadrian gibt in seiner Abhandlung ueber die Kavallerie fuer einzelne den Kelten entlehnte Manoever den keltischen Ausdruck an. Ein geborener Grieche, Eirenaeos, der gegen das Ende des 2. Jahrhunderts als Geistlicher in Lyon fungierte, entschuldigt die Maengel seines Stils damit, dass er im Lande der Kelten lebe und genoetigt sei, stets in barbarischer Sprache zu reden. In einer juristischen Schrift aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts wird, im Gegensatz zu der Rechtsregel, dass die letztwilligen Verfuegungen im allgemeinen lateinisch oder griechisch abzufassen sind, fuer Fideikommisse auch jede andere Sprache, zum Beispiel die punische und die gallische zugelassen. Dem Kaiser Alexander wurde sein Ende von einer gallischen Wahrsagerin in gallischer Sprache angekuendigt. Noch der Kirchenvater Hieronymus, der selber in Ancyra wie in Trier gewesen ist, versichert, dass die kleinasiatischen Galater und die Treverer seiner Zeit ungefaehr die gleiche Sprache redeten, und vergleicht das verdorbene Gallisch der Asiaten mit dem verdorbenen Punisch der Afrikaner. Wenn die keltische Sprache sich in der Bretagne, aehnlich wie in Wales, bis auf den heutigen Tag behauptet hat, so hat die Landschaft zwar ihren heutigen Namen von den im fuenften Jahrhundert dorthin vor den Sachsen fluechtenden Inselbriten erhalten, aber die Sprache ist schwerlich erst mit diesen eingewandert, sondern allem Anschein nach hier seit Jahrtausenden von einem Geschlecht dem andern ueberliefert. In dem uebrigen Gallien hat natuerlich im Laufe der Kaiserzeit das roemische Wesen schrittweise Boden gewonnen; ein Ende gemacht hat aber dem keltischen Idiom hier wohl nicht so sehr die germanische Einwanderung als die Christianisierung, welche in Gallien nicht, wie in Syrien und Aegypten, die von der Regierung beiseite geschobene Landessprache aufnahm und zu ihrem Traeger machte, sondern das Evangelium lateinisch verkuendigte. —————————————————– ^15 So hat sich in Nemausus eine in keltischer Sprache geschriebene Weihinschrift gefunden, gesetzt Matrebo Namaysikabo (CIL XI, p. 383), das heisst, den oertlichen Muettern.
^16 Beispielsweise liest man auf einem in Neris-les-Bains (Allier) gefundenen Altarstein (E. Desjardins, Geographie historique et administrative de la Gaule Romaine. 4 Bde. Paris 1876-93. Bd. 2, S. 476): Bratronos Nantonicn Epadatextorici Leucullo Suio rebelocitoi. Auf einem andern, den die Pariser Schiffergilde unter Tiberius dem hoechsten besten Jupiter setzte (Mowat im Bulletin epigraphique de la Gaule 1, S. 25f.), ist die Hauptinschrift lateinisch, aber ueber den Reliefs der Seitenflaechen, die eine Prozession von neun bewaffneten Priestern darzustellen scheinen, stehen erklaerende Beischriften: Senani Useiloni . . . und Eurises, die nicht lateinisch sind. Solches Gemenge begegnet auch sonst, zum Beispiel in einer Inschrift von Arrenes (Creuse im Bulletin epigraphique de la Gaule 1, S. 38): Sacer Peroco ieuru (wahrscheinlich = fecit) Duorico v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). —————————————————– In dem Vorschreiten der Romanisierung, welche in Gallien, abgesehen von der Suedprovinz, wesentlich der inneren Entwicklung ueberlassen blieb, zeigt sich eine bemerkenswerte Verschiedenheit zwischen dem oestlichen Gallien und dem Westen und Norden, die wohl mit, aber nicht allein auf dem Gegensatz der Germanen und der Gallier beruht. In den Vorgaengen bei und nach Neros Sturz tritt diese Verschiedenheit selbst politisch bestimmend hervor. Die nahe Beruehrung der oestlichen Gaue mit den Rheinlagern und die hier vorzugsweise stattfindende Rekrutierung der Rheinlegionen hat dem roemischen Wesen hier frueher und vollstaendiger Eingang verschafft als im Gebiet der Loire und der Seine. Bei jenen Zerwuerfnissen gingen die rheinischen Gaue, die keltischen Lingonen und Treverer sowohl wie die germanischen Ubier oder vielmehr die Agrippinenser mit der Roemerstadt Lugudunum und hielten fest zu der legitimen roemischen Regierung, waehrend die, wie bemerkt ward, wenigstens in gewissem Sinn nationale Insurrektion von den Sequanern, Haeduern und Arvernern ausgeht. In einer spaeteren Phase desselben Kampfes finden wir unter veraenderten Parteiverhaeltnissen dieselbe Spaltung, jene oestlichen Gaue mit den Germanen im Bunde, waehrend der Landtag von Reims den Anschluss an diese verweigert. Wurde somit das gallische Land in Betreff der Sprache im wesentlichen ebenso behandelt wie die uebrigen Provinzen, so begegnet wiederum die Schonung seiner alten Institutionen bei den Bestimmungen ueber Mass und Gewicht. Allerdings haben neben der allgemeinen Reichsordnung, welche in dieser Hinsicht von Augustus erlassen ward, entsprechend dem toleranten oder vielmehr indifferenten Verhalten der Regierung in dergleichen Dingen, die oertlichen Bestimmungen vielerorts fortbestanden, aber nur in Gallien hat die oertliche Ordnung spaeterhin die des Reiches verdraengt. Die Strassen sind im ganzen Roemischen Reich gemessen und bezeichnet nach der Einheit der roemischen Meile (1,48 Kilometer), und bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts trifft dies auch fuer diese Provinzen zu. Aber von Severus an tritt in den “drei Gallien” und den beiden Germanien an deren Stelle eine zwar der roemischen angefuegte, aber doch verschiedene und gallisch benannte Meile, die Leuga (2,22 Kilometer), gleich anderthalb roemischen Meilen. Unmoeglich kann Severus damit den Kelten eine nationale Konzession haben machen wollen; es passt dies weder fuer die Epoche, noch insbesondere fuer diesen Kaiser, der eben diesen Provinzen in ausgesprochener Feindseligkeit gegenueberstand; ihn muessen Zweckmaessigkeitsruecksichten bestimmt haben. Diese koennen nur darauf beruhen, dass das nationale Wegemass, die Leuga oder auch die Doppelleuga, die germanische Rasta, welche letztere der franzoesischen Lieue entspricht, in diesen Provinzen nach der Einfuehrung des einheitlichen Wegemasses in ausgedehnterem Umfang fortbestanden haben, als dies in den uebrigen Reichslaendern der Fall war. Augustus wird die roemische Meile formell auf Gallien erstreckt und die Postbuecher und die Reichsstrassen darauf gestellt, aber der Sache nach dem Lande das alte Wegemass gelassen haben; und so mag es gekommen sein, dass die spaetere Verwaltung es weniger unbequem fand, die zwiefache Einheit im Postverkehr sich gefallen zu lassen ^17, als noch laenger sich eines praktisch im Lande unbekannten Wegemasses zu bedienen. —————————————————— ^17 Die Postbuecher und Strassentafeln verfehlen nicht bei Lyon und Toulouse anzumerken, dass hier die Leugen beginnen. —————————————————— Von weit groesserer Bedeutung ist das Verhalten der roemischen Regierung zu der Landesreligion; ohne Zweifel hat das gallische Volkstum seinen festesten Rueckhalt an dieser gefunden. Selbst in der Suedprovinz muss die Verehrung der nichtroemischen Gottheiten lange, viel laenger als zum Beispiel in Andalusien sich behauptet haben. Die grosse Handelsstadt Arelate freilich hat keine anderen Weihungen aufzuweisen als an die auch in Italien verehrten Goetter; aber in Frejus, Aix, Nimes und ueberhaupt der ganzen Kuestenlandschaft sind die alten keltischen Gottheiten in der Kaiserepoche nicht viel weniger verehrt worden als im inneren Gallien. Auch in dem iberischen Teil Aquitaniens begegnen zahlreiche Spuren des einheimischen, von dem keltischen durchaus verschiedenen Kultus. Indes tragen alle im Sueden Galliens zum Vorschein gekommenen Goetterbilder einen minder von dem gewoehnlichen abweichenden Stempel als die Denkmaeler des Nordens, und vor allem war es leichter, mit den nationalen Goettern auszukommen als mit dem nationalen Priestertum, das uns nur im kaiserlichen Gallien und auf den britannischen Inseln begegnet, den Druiden. Es wuerde vergebliche Muehe sein, von dem inneren Wesen der aus Spekulation und Imagination wunderbar zusammengestellten Druidenlehre eine Vorstellung geben zu wollen; nur die Fremdartigkeit und die Fruchtbarkeit derselben sollen einige Beispiele erlaeutern. Die Macht der Rede wurde symbolisch dargestellt in einem kahlkoepfigen, runzligen, von der Sonne verbrannten Greis, der Keule und Bogen fuehrt und von dessen durchbohrter Zunge zu den Ohren des ihm folgenden Menschen feine goldene Ketten laufen – das heisst, es fliegen die Pfeile und schmettern die Schlaege des redegewaltigen Alten und willig folgen ihm die Herzen der Menge. Das ist der Ogmius der Kelten; den Griechen erschien er wie ein als Herakles staffierter Charon. Ein in Paris gefundener Altar zeigt uns drei Goetterbilder mit Beischrift, in der Mitte den Jovis, zu seiner Linken den Vulcan, ihm zur Rechten den Esus, “den Entsetzlichen mit seinen grausen Altaeren”, wie ihn ein roemischer Dichter nennt, aber dennoch ein Gott des Handelsverkehrs und des friedlichen Schaffens ^18; er ist zur Arbeit geschuerzt wie Vulcan, und wie dieser Hammer und Zange fuehrt, so behaut er mit dem Beil einen Weidenbaum. Eine oefter wiederkehrende Gottheit, wahrscheinlich Cernunnos genannt, wird kauernd, mit untergeschlagenen Beinen, dargestellt; auf dem Kopf traegt sie ein Hirschgeweih, an dem eine Halskette haengt, und haelt auf dem Schoss den Geldsack; vor ihr stehen zuweilen Rinder und Hirsche – es scheint, als solle damit der Erdboden als die Quelle des Reichtums ausgedrueckt werden. Die ungeheure Verschiedenheit dieses aller Reinheit und Schoenheit baren, im barocken und phantastischen Mengen sehr irdischer Dinge sich gefallenden keltischen Olymp von den einfach menschlichen Formen der griechischen und den einfach menschlichen Begriffen der roemischen Religion gibt eine Ahnung der Schranke, die zwischen diesen Besiegten und ihren Siegern stand. Daran hingen weiter sehr bedenkliche praktische Konsequenzen: ein umfassender Geheimmittel- und Zauberkram, bei dem die Priester zugleich die Aerzte spielten und wo neben dem Besprechen und Besegnen auch Menschenopfer und Krankenheilung durch das Fleisch der also Geschlachteten vorkam. Dass direkte Opposition gegen die Fremdherrschaft in dem Druidentum dieser Zeit gewaltet hat, laesst sich wenigstens nicht erweisen; aber auch, wenn dies nicht der Fall war, ist es wohl begreiflich, dass die roemische Regierung, welche sonst alle oertlichen Besonderheiten der Gottesverehrung mit gleichgueltiger Duldung gewaehren liess, diesem Druidenwesen nicht bloss in seinen Ausschreitungen, sondern ueberhaupt mit Apprehension gegenueberstand. Die Einrichtung des gallischen Jahrfestes in der rein roemischen Landeshauptstadt und unter Ausschluss aller Anknuepfung an den nationalen Kultus ist offenbar ein Gegenzug der Regierung gegen die alte Landesreligion mit ihrem jaehrlichen Priesterkonzil in Chartres, dem Mittelpunkt des gallischen Landes. Unmittelbar aber ging Augustus gegen das Druidentum nicht weiter vor, als dass er jedem roemischen Buerger die Beteiligung an dem gallischen Nationalkult untersagte. Tiberius in seiner energischeren Weise griff durch und verbot dieses Priestertum mit seinem Anhang von Lehrern und Heilkuenstlern ueberhaupt; aber es spricht nicht gerade fuer den praktischen Erfolg dieser Verfuegung, dass dasselbe Verbot abermals unter Claudius erging – von diesem wird erzaehlt, dass er einen vornehmen Gallier lediglich deshalb koepfen liess, weil er ueberwiesen ward, fuer guten Erfolg bei Verhandlungen vor dem Kaiser das landuebliche Zaubermittel in Anwendung gebracht zu haben. Dass die Besetzung Britanniens, welches von alters her der Hauptsitz dieses Priestertreibens gewesen war, zum guten Teil beschlossen ward, um damit dieses an der Wurzel zu fassen, wird weiterhin ausgefuehrt werden. Trotz alledem hat noch in dem Abfall, den die Gallier nach dem Sturz der claudischen Dynastie versuchten, dies Priestertum eine bedeutende Rolle gespielt; der Brand des Kapitols, so predigten die Druiden, verkuende den Umschwung der Dinge und den Beginn der Herrschaft des Nordens ueber den Sueden. Indes wenn auch dies Orakel spaeterhin in Erfuellung ging, durch diese Nation und zugunsten ihrer Priester ist es nicht geschehen. Die Besonderheiten der gallischen Gottesverehrung haben wohl auch spaeter noch ihre Wirkung geuebt; als im dritten Jahrhundert fuer einige Zeit ein gallisch-roemisches Sonderreich ins Leben trat, spielt auf dessen Muenzen die erste Rolle der Herkules, teils in seiner griechisch- roemischen Gestalt, teils auch als gallischer Deusoniensis oder Magusanus. Von den Druiden aber ist nur noch etwa insofern die Rede, als die klugen Frauen in Gallien bis in die diocletianische Zeit unter dem Namen der Druidinnen gehen und orakeln, und dass die alten adligen Haeuser noch lange nachher in ihrer Ahnenreihe sich druidischer Altvordern beruehmen. Wohl rascher noch als die Landessprache ging die Landesreligion zurueck und das eindringende Christentum hat kaum noch an dieser ernstlichen Widerstand gefunden. ————————————————- ^18 Die zweite Berner Glosse zu Lucan 1, 445, die den Teutates richtig zum Mars macht und auch sonst glaubwuerdig scheint, sagt von ihm: Hesum Mercurium credunt, si quidem a mercatoribus colitur. ————————————————- Das suedliche Gallien, mehr als irgendeine andere Provinz durch seine Lage jedem feindlichen Angriff entzogen und gleich Italien und Andalusien ein Land der Olive und der Feige, gedieh unter dem Kaiserregiment zu hohem Wohlstand und reicher staedtischer Entwicklung. Das Amphitheater und das Sarkophagfeld von Arles, der “Mutter ganz Galliens”, das Theater von Orange, die in und bei Nimes noch heute aufrecht stehenden Tempel und Bruecken sind davon bis in die Gegenwart lebendige Zeugen. Auch in den noerdlichen Provinzen stieg der alte Wohlstand des Landes weiter durch den dauernden Frieden, der, allerdings mit dem dauernden Steuerdruck, durch die Fremdherrschaft in das Land kam. “In Gallien”, sagt ein Schriftsteller der vespasianischen Zeit, “sind die Quellen des Reichtums heimisch und ihre Fuelle stroemt ueber die ganze Erde ^19.” Vielleicht nirgends sind gleich zahlreiche und gleich praechtige Landhaeuser zum Vorschein gekommen, vor allen Dingen im Osten Galliens, am Rhein und seinen Zufluessen; man erkennt deutlich den reichen gallischen Adel. Beruehmt ist das Testament des vornehmen Lingonen, welcher anordnet, ihm das Grabdenkmal und die Bildsaeule aus italischem Marmor oder bester Bronze zu errichten und unter anderem sein saemtliches Geraet fuer Jagd und Vogelfang mit ihm zu verbrennen – es erinnert dies an die anderweitig erwaehnten, meilenlangen eingefriedigten Jagdparks im Keltenland und an die hervorragende Rolle, welche die keltischen Jagdhunde und keltische Waidmannsart bei dem Xenophon der hadrianischen Zeit spielen, welcher nicht verfehlt hinzuzufuegen, dass dem Xenophon, des Gryllos Sohn, das Jagdwesen der Kelten nicht habe bekannt sein koennen. Nicht minder gehoert in diesen Zusammenhang die merkwuerdige Tatsache, dass in dem roemischen Heerwesen der Kaiserzeit die Kavallerie eigentlich keltisch ist, nicht bloss insofern diese vorzugsweise aus Gallien sich rekrutiert, sondern auch, indem die Manoever und selbst die technischen Ausdruecke zum guten Teil den Kelten entlehnt sind; man erkennt hier, wie nach dem Hinschwinden der alten Buergerreiterei unter der Republik die Kavallerie durch Caesar und Augustus mit gallischen Mannschaften und in gallischer Weise reorganisiert worden ist. Die Grundlage dieses vornehmen Wohlstandes war der Ackerbau, auf dessen Hebung auch Augustus selbst energisch hinwirkte und der in ganz Gallien, etwa abgesehen von der Steppengegend an der aquitanischen Kueste, reichen Ertrag gab. Eintraeglich war auch die Viehzucht, besonders im Norden, namentlich die Zucht von Schweinen und Schafen, welche bald fuer die Industrie und die Ausfuhr von Bedeutung wurden – die menapischen Schinken (aus Flandern) und die atrebatischen und nervischen Tuchmaentel (bei Arras und Tournay) gingen in spaeterer Zeit in das gesamte Reich. Von besonderem Interesse ist die Entwicklung des Weinbaus. Weder das Klima noch die Regierung waren demselben guenstig. Der “gallische Winter” blieb lange Zeit bei den Suedlaendern sprichwoertlich; wie denn in der Tat das Roemische Reich nach dieser Seite hin am weitesten gegen Norden sich ausdehnt. Aber engere Schranken zog der gallischen Weinkultur die italische Handelskonkurrenz. Allerdings hat der Gott Dionysos seine Welteroberung ueberhaupt langsam vollbracht und nur Schritt vor Schritt ist der aus der Halmfrucht bereitete Trank dem Saft der Rebe gewichen; aber es beruht auf dem Prohibitivsystem, dass in Gallien das Bier sich wenigstens im Norden als das gewoehnliche geistige Getraenk die ganze Kaiserzeit hindurch behauptete und noch Kaiser Julianus bei seinem Aufenthalt in Gallien mit diesem falschen Bacchus in Konflikt kam ^20. So weit freilich, wie die Republik, welche den Wein- und Oelbau an der gallischen Suedkueste polizeilich untersagte, ging das Kaiserregiment nicht; aber die Italiener dieser Zeit waren doch die rechten Soehne ihrer Vaeter. Die Bluete der beiden grossen Rhoneemporien Arles und Lyon beruhte zu einem nicht geringen Teil auf dem Vertrieb des italienischen Weins nach Gallien; daran mag man ermessen, welche Bedeutung der Weinbau damals fuer Italien selbst gehabt haben muss. Wenn einer der sorgfaeltigsten Verwalter, die das Kaiseramt gehabt hat, Domitianus, den Befehl erliess, in saemtlichen Provinzen mindestens die Haelfte der Rebstoecke zu vertilgen ^21, was freilich so nicht zur Ausfuehrung kam, so darf daraus geschlossen werden, dass die Ausbreitung des Weinbaus allerdings von Regierungs wegen ernstlich eingeschraenkt ward. Noch in augustischer Zeit war er in dem noerdlichen Teil der narbonensischen Provinz unbekannt, und wenn er auch hier bald in Aufnahme kam, scheint er doch durch Jahrhunderte auf die Narbonensis und das suedliche Aquitanien beschraenkt geblieben zu sein; von gallischen Weinen kennt die bessere Zeit nur den allobrogischen und den biturigischen, nach unserer Redeweise den Burgunder und den Bordeaux ^22. Erst als die Zuegel des Reiches den Haenden der Italiener entfielen, im Laufe des dritten Jahrhunderts, aenderte sich dies, und Kaiser Probus (276-282) gab endlich den Provinzialen den Weinbau frei. Wahrscheinlich erst infolgedessen hat die Rebe festen Fuss gefasst an der Seine wie an der Mosel. “Ich habe”, schreibt Kaiser Julianus, “einen Winter” (es war der von 357 auf 358) “in dem lieben Lutetia verlebt, denn so nennen die Gallier das Staedtchen der Pariser, eine kleine Insel im Flusse gelegen und rings ummauert; das Wasser ist dort trefflich und rein zu schauen und zu trinken. Die Einwohner haben einen ziemlich milden Winter, und es waechst bei ihnen guter Wein; ja einige ziehen sogar auch Feigen, indem sie sie im Winter mit Weizenstroh wie mit einem Rocke zudecken.” Und nicht viel spaeter schildert dann der Dichter von Bordeaux in der anmutigen Beschreibung der Mosel, wie die Weinberge diesen Fluss an beiden Ufern einfassen, “gleich wie die eigenen Reben mir kraenzen die gelbe Garonne”. —————————————– ^19 Ios. bel. Iud. 2, 16, 4. Ebenda sagt Koenig Agrippa zu seinen Juden, ob sie sich etwa einbildeten, reicher zu sein als die Gallier, tapferer als die Germanen, klueger als die Hellenen. Damit stimmen alle anderen Zeugnisse ueberein. Nero vernimmt den Aufstand nicht ungern occasione nata spoliandarum iure belli opulentissimarum provinciarum (Suet. Nero 40; Plut. Galba 5); die dem Insurgentenheer des Vindex abgenommene Beute ist unermesslich (Tac. hist. 1, 51). Tacitus (hist. 3, 46) nennt die Haeduer pecunia dites et voluptatibus opulentos. Nicht mit Unrecht sagt der Feldherr Vespasians zu den abgefallenen Galliern bei Tacitus (bist. 4, 74); regna bellaque per Gallias semper fuere, donec in nostrum ius concederetis; nos quamquam totiens lacessiti iure victoriae id solum vobis addidimus quo pacem tueremur, nam neque quies gentium sine armis neque arma sine stipendiis neque stipendia sine tributis haberi queunt. Die Steuern drueckten wohl schwer, aber nicht so schwer wie der alte Fehde- und Faustrechtzustand.
^20 Sein Epigramm ‘Auf den Gerstenwein’ ist erhalten (AP 9, 368): Tis pothen eis, Dionyse? Ma gar ton al/e/thea Bakchon s?s’ epigign/o/sk/o/. ton Dios oida monon keinos nektar od/o/de. s? de tragoy. /e/ ra se Keltoi t/e/ peni/e/ botr?/o/n te?xan ap’ astach?/o/n. t/o/ se chr/e/ kaleein D/e/m/e/trion, oy Dionyson pyrsgen/e/ mallon kai bromon, oy Bromion. Du, Dionysos, von wo kommst du? Bei dem richtigen Bacchus! Ich erkenne dich nicht; Zeus Sohn kenn’ ich allein. Jener duftet nach Nektar; du riechst nach dem Bocke. Die Kelten, Denen die Rebe versagt, braueten dich aus dem Halm, Scheuer-, nicht Feuersohn, Erdkind, nicht Kind dich des Himmels, Nur fuer das Futtern gemacht, nicht fuer den lieblichen Trunk. Auf einem in Paris gefundenen irdenen Ring (Mowat im Bulletin epigraphique de la Gaule 2, S. 110; 3, S. 133), der hohl und zum Fuellen der Becher eingerichtet ist, sagt der Trinkende zu dem Wirt: copo, conditu(m) [cnoditu ist Schreibfehler] abes; est reple(n)da – Wirt, du hast mehr im Keller; die Flasche ist leer, und zu der Kellnerin: ospita, reple, lagona(m) cervesa – Maedchen, fuelle die Flasche mit Bier.
^21 Suet. Dom. 7. Wenn als Grund angegeben ward, dass die hohen Kornpreise durch das Umwandeln des Ackerlandes in Weinberge veranlasst seien, so war das natuerlich ein auf den Unverstand des Publikums berechneter Vorwand. ^22 Wenn noch V. Hehn (Kulturpflanzen und Haustiere. Berlin 1870, S. 76) fuer den Weinbau der Arverner und der Sequaner ausserhalb der Narbonensis sich auf Plinius (nat. 14, 1, 18) beruft, so folgt er beseitigten Textinterpolationen. Es ist moeglich, dass das straffere kaiserliche Regiment in den “drei Gallien” den Weinbau mehr zurueckhielt als das schlaffe senatorische in der Narbonensis.
—————————————– Der innere Verkehr so wie der mit den Nachbarlaendern, besonders mit Italien, muss ein sehr reger gewesen sein und das Strassennetz entwickelt und gepflegt. Die grosse Reichsstrasse von Rom nach der Muendung des Baetis, deren bei Spanien gedacht ward, war die Hauptader fuer den Landhandel der Suedprovinz; die ganze Strecke, in republikanischer Zeit von den Alpen bis zur Rhone durch die Massalioten, von da bis zu den Pyrenaeen durch die Roemer instand gehalten, wurde von Augustus neu chaussiert. Im Norden fuehrten die Reichsstrassen hauptsaechlich teils nach der gallischen Hauptstadt, teils nach den grossen Rheinlagern; doch scheint auch ausserdem fuer die uebrige Kommunikation in ausreichender Weise gesorgt gewesen zu sein. Wenn die Suedprovinz in der aelteren Zeit auf dem geistigen Gebiet zu dem hellenischen Kreise gehoerte, so hat der Rueckgang von Massalia und das gewaltige Vordringen des Roemertums im suedlichen Gallien darin freilich eine Aenderung herbeigefuehrt; dennoch aber ist dieser Teil Galliens immer, wie Kampanien, ein Sitz hellenischen Wesens geblieben. Dass Nemausus, eine der Teilerben von Massalia, auf seinen Muenzen aus augustischer Zeit alexandrinische Jahreszahlen und das Wappen Aegyptens zeigt, ist nicht ohne Wahrscheinlichkeit darauf bezogen worden, dass durch Augustus selbst in dieser, dem Griechentum nicht fremd gegenueberstehenden Stadt Veteranen aus Alexandreia angesiedelt worden sind. Es darf wohl auch mit dem Einfluss Massalias in Verbindung gebracht werden, dass dieser Provinz, wenigstens der Abstammung nach, derjenige Historiker angehoerte, welcher, es scheint im bewussten Gegensatz zu der nationalroemischen Geschichtschreibung und gelegentlich mit scharfen Ausfaellen gegen deren namhafteste Vertreter, Sallustius und Livius, die hellenische vertrat, der Vocontier Pompeius Trogus, Verfasser einer von Alexander und den Diadochenreichen ausgehenden Weltgeschichte, in welcher die roemischen Dinge nur innerhalb dieses Rahmens oder anhangsweise dargestellt werden. Ohne Zweifel gab er damit nur wieder, was eigentlich der literarischen Opposition des Hellenismus angehoerte; immer bleibt es bemerkenswert, dass diese Tendenz ihren lateinischen Vertreter, und einen geschickten und sprachgewandten Vertreter, hier in augustischer Zeit fand. Aus spaeterer ist erwaehnenswert Favorinus, aus einem angesehenen Buergerhaus von Arles, einer der Haupttraeger der Polymathie der hadrianischen Zeit; Philosoph mit aristotelischer und skeptischer Tendenz, daneben Philolog und Kunstredner, Schueler des Dion von Prusa, Freund des Plutarchos und des Herodes Atticus, polemisch auf dem wissenschaftlichen Gebiet angegriffen von Galenus, feuilletonistisch von Lucian, ueberhaupt in lebhaften Beziehungen mit den namhaften Gelehrten des zweiten Jahrhunderts und nicht minder mit Kaiser Hadrian. Seine mannigfaltigen Forschungen, unter anderm ueber die Namen der Genossen des Odysseus, die die Scylla verschlang, und ueber den des ersten Menschen, der zugleich ein Gelehrter war, lassen ihn als den rechten Vertreter des damals beliebten gelehrten Kleinkrams erscheinen, und seine Vortraege fuer ein gebildetes Publikum ueber Thersites und das Wechselfieber sowie seine zum Teil uns aufgezeichneten Unterhaltungen ueber alles und noch etwas mehr gewaehren kein erfreuliches, aber ein charakteristisches Bild des damaligen Literatentreibens. Hier ist hervorzuheben, was er selbst unter die Merkwuerdigkeiten seines Lebenslaufes rechnete, dass er geborener Gallier und zugleich griechischer Schriftsteller war. Obwohl die Literaten des Okzidents haeufig nebenbei auch griechisch speziminierten, so haben doch nur wenige sich dieser als ihrer eigentlichen Schriftstellersprache bedient; hier wird dies mit durch die Heimat des Gelehrten bedingt sein. Im uebrigen war Suedgallien an der augustischen Literaturbluete insofern beteiligt, als einige der namhaftesten Gerichtsredner der spaeteren augustischen Zeit, Votienus Montanus (+ 27 n. Chr.) aus Narbo – der Ovid der Redner genannt – und Gnaeus Domitius Afer (Konsul 39 n. Chr.) aus Nemausus, dieser Provinz angehoerten. ueberhaupt erstreckt die roemische Literatur ihre Kreise natuerlich auch ueber diese Landschaft; die Dichter der domitianischen Zeit sandten ihre Freiexemplare den Freunden in Tolosa und Vienna. Plinius unter Traian ist erfreut, dass seine kleinen Schriften auch in Lugudunum nicht bloss guenstige Leser, sondern auch Buchhaendler finden, die sie vertreiben. Einen besonderen Einfluss aber, wie ihn die Baetica in der frueheren, das noerdliche Gallien in der spaeteren Kaiserzeit auf die geistige und literarische Entwicklung Roms ausgeuebt hat, vermoegen wir fuer den Sueden nicht nachzuweisen. Wein und Fruechte gediehen in dem schoenen Land; aber weder Soldaten noch Denker sind dem Reiche von dorther gekommen. Das eigentliche Gallien ist im Gebiet der Wissenschaft das gelobte Land des Lehrens und des Lernens; vermutlich geht dies zurueck auf die eigentuemliche Entwicklung und den maechtigen Einfluss des nationalen Priestertums. Das Druidentum war keineswegs ein naiver Volksglaube, sondern eine hoch entwickelte und anspruchsvolle Theologie, die nach guter Kirchensitte alle Gebiete des menschlichen Denkens und Tuns, Physik und Metaphysik, Rechts- und Heilkunde bestrebt war zu erleuchten oder doch zu beherrschen, die von ihren Schuelern unermuedliches, man sagt zwanzigjaehriges Studium forderte und diese ihre Schueler vor allem in den adligen Kreisen suchte und fand. Die Unterdrueckung der Druiden durch Tiberius und seine Nachfolger muss in erster Reihe diese Priesterschulen betroffen und deren wenigstens oeffentliche Beseitigung herbeigefuehrt haben; aber wirksam konnte dies nur dann geschehen, wenn der nationalen Jugendbildung die roemisch-griechische ebenso gegenuebergestellt ward, wie dem carnutischen Druidenkonzil der Roma-Tempel in Lyon. Wie frueh dies, ohne Frage unter dem bestimmenden Einfluss der Regierung, in Gallien eingetreten ist, zeigt die merkwuerdige Tatsache, dass bei dem frueher erwaehnten Aufstand unter Tiberius die Insurgenten vor allen Dingen versuchten, sich der Stadt Augustodunum (Autun) zu bemaechtigen, um die dort studierende vornehme Jugend in ihre Gewalt zu bekommen und dadurch die grossen Familien zu gewinnen oder zu schrecken. Zunaechst moegen wohl diese gallischen Lyzeen trotz ihres keineswegs nationalen Bildungskursus dennoch ein Ferment des spezifisch gallischen Volkstums gewesen sein; schwerlich zufaellig hat das damals bedeutendste derselben nicht in dem roemischen Lyon seinen Sitz, sondern in der Hauptstadt der Haeduer, des vornehmsten unter den gallischen Gauen. Aber die roemisch-hellenische Bildung, wenn auch vielleicht der Nation aufgenoetigt und zunaechst mit Opposition aufgenommen, drang, wie allmaehlich der Gegensatz sich verschliff, in das keltische Wesen so sehr ein, dass mit der Zeit die Schueler sich ihr eifriger zuwandten als die Lehrmeister. Die Gentlemanbildung, etwa in der Art, wie sie heute in England besteht, ruhend auf dem Studium des Lateinischen und in zweiter Reihe des Griechischen und in der Entwicklung der Schulrede mit ihren Schnitzelpointen und Glanzphrasen lebhaft an neuere, demselben Boden entstammende literarische Erscheinungen erinnernd, ward allmaehlich im Okzident eine Art Privilegium der Galloromanen. Besser bezahlt als in Italien wurden dort die Lehrer wohl von jeher, und vor allen Dingen auch besser behandelt. Schon Quintilianus nennt mit Achtung unter den hervorragenden Gerichtsrednern mehrere Gallier; und nicht ohne Absicht macht Tacitus in dem feinen Dialog ueber die Redekunst den gallischen Advokaten Marcus Aper zum Verteidiger der modernen Beredsamkeit gegen die Verehrer Ciceros und Caesars. Den ersten Platz unter den gallischen Universitaeten nahm spaeterhin Burdigala ein, wie denn ueberall Aquitanien hinsichtlich der Bildung dem mittleren und noerdlichen Gallien weit voran war – in einem dort geschriebenen Dialog aus dem Anfang des 5. Jahrhunderts wagt einer der Mitsprechenden, ein Geistlicher aus Chalon-sur-Saone, kaum den Mund aufzutun vor dem gebildeten aquitanischen Kreise. Hier wirkte der frueher erwaehnte, von Kaiser Valentinianus zum Lehrer seines Sohnes Grabanus (geb. 359) berufene Professor Ausonius, der in seinen vermischten Gedichten einer grossen Anzahl seiner Kollegen ein Denkmal gestiftet hat; und als sein Zeitgenosse Symmachus, der beruehmteste Redner dieser Epoche, fuer seinen Sohn einen Hofmeister suchte, liess er in Erinnerung an seinen alten, an der Garonne heimischen Lehrer sich einen aus Gallien kommen. Daneben ist Augustodunum immer einer der grossen Mittelpunkte der gallischen Studien geblieben; wir haben noch die Reden, welche wegen der Wiederherstellung dieser Lehranstalt bittend und dankend vor dem Kaiser Konstantin gehalten worden sind. Die literarische Vertretung dieser eifrigen Schultaetigkeit ist untergeordneter Art und geringen Wertes: Prunkreden, die namentlich durch die spaetere Umwandlung von Trier in eine kaiserliche Residenz und das haeufige Verweilen des Hofes im gallischen Land gefoerdert worden sind, und Gelegenheitsgedichte mannigfaltiger Art. Wie die Redeleistung war das Versemachen ein notwendiges Attribut des Lehramts und der oeffentliche Lehrer der Literatur zugleich nicht gerade geborener, aber doch bestallter Dichter. Wenigstens die Geringschaetzung der Poesie, welche der uebrigens gleichartigen hellenischen Literatur der gleichen Epoche eigen ist, hat sich auf diese Okzidentalen nicht uebertragen. In den Versen herrscht die Schulreminiszenz und das Pedantenkunststueck vor ^23 und nur selten begegnen, wie in der Moselfahrt des Ausonius, lebendige und empfundene Schilderungen. Die Reden, die wir freilich nur nach einigen spaeten, am kaiserlichen Hoflager gehaltenen Vortraegen zu beurteilen in der Lage sind, sind Musterstuecke in der Kunst, mit vielen Worten wenig zu sagen und die unbedingte Loyalitaet in gleich unbedingter Gedankenlosigkeit zum Ausdruck zu bringen. Wenn eine vermoegende Mutter ihren Sohn, nachdem er die Fuelle und den Schmuck der gallischen Rede sich angeeignet hat, weiter nach Italien schickt, um auch die roemische Wuerde ^24 zu gewinnen, so war diesen gallischen Rhetoren allerdings diese schwieriger abzulernen als der Wortpomp. Fuer das fruehe Mittelalter sind diese Leistungen bestimmend gewesen; durch sie ist in der ersten christlichen Zeit Gallien die eigentliche Staette der frommen Verse und doch auch der letzte Zufluchtsort der Schulliteratur geworden, waehrend die grosse geistige Bewegung innerhalb des Christentums ihre Hauptvertreter nicht hier gefunden hat. —————————————
^23 Eines der Professorengedichte des Ausonius ist vier griechischen Grammatikern gewidmet: “Alle fleissig walteten sie des Lehramts; Schmal nur war der Sold ja und duenn der Vortrag; Aber da sie lehrten zu meinen Zeiten, Will ich sie nennen.” Dies ist um so verdienstlicher, da er nichts Rechtes bei ihnen gelernt hat: “Wohl, weil mich gehindert die allzu schwache Fassungskraft des Geistes und mich von Hellas Bildung fernhielt leider damals des Knaben trauriger Irrtum.” Diese Gedanken sind oefter, aber selten in sapphischem Masse vorgetragen worden.
^24 Romana gravitas: Hier. epist. 125 p. 929 Vall. —————————————
In dem Kreise der bauenden und der bildenden Kuenste rief schon das Klima manche Erscheinung hervor, welche der eigentliche Sueden nicht oder nur in den Anfaengen kennt; so ist die in Italien nur bei Baedern gebraeuchliche Luftheizung und der dort ebenfalls wenig verbreitete Gebrauch der Glasfenster in der gallischen Baukunst in umfassender Weise zur Anwendung gekommen. Aber auch von einer diesem Gebiet eigenen Kunstentwicklung darf vielleicht insofern gesprochen werden, als die Bildnisse und in weiterer Entwicklung die Darstellung der Szenen des taeglichen Lebens in dem keltischen Gebiet relativ haeufiger auftreten als in Italien und die abgenutzten mythologischen Darstellungen durch erfreulichere ersetzen. Wir koennen diese Richtung auf das Reale und das Genre allerdings fast nur an den Grabmonumenten erkennen, aber sie hat wohl in der Kunstuebung ueberhaupt vorgeherrscht. Der Bogen von Arausio (Orange) aus der fruehen Kaiserzeit mit seinen gallischen Waffen und Feldzeichen, die bei Vetera gefundene Bronzestatue des Berliner Museums, wie es scheint, den Ortsgott mit Gerstenaehren im Haar darstellend, das wahrscheinlich zum Teil aus gallischen Werkstaetten hervorgegangene Hildesheimer Silbergeraet beweisen eine gewisse Freiheit in der Aufnahme und Umbildung der italischen Motive. Das Juliergrabmal von St. Remy bei Avignon, ein Werk augustischer Zeit, ist ein merkwuerdiges Zeugnis fuer die lebendige und geistreiche Rezeption der hellenischen Kunst im suedlichen Gallien, sowohl in seinem kuehnen architektonischen Aufbau zweier quadratischer Stockwerke, welche ein Saeulenkreis mit konischer Kuppel kroent, wie auch in seinen Reliefs, welche, im Stil den pergamenischen naechst verwandt, figurenreiche Kampf- und Jagdszenen, wie es scheint, dem Leben der Geehrten entnommen, in malerisch bewegter Ausfuehrung darstellen. Merkwuerdigerweise liegt der Hoehepunkt dieser Entwicklung neben der Suedprovinz in der Gegend der Mosel und der Maas; diese Landschaft, nicht so voellig unter roemischem Einfluss stehend wie Lyon und die rheinischen Lagerstaedte und wohlhabender und zivilisierter als die Gegenden an der Loire und der Seine, scheint diese Kunstuebung einigermassen aus sich selbst erzeugt zu haben. Das unter dem Namen der Igeler Saeule bekannte Grabdenkmal eines vornehmen Trierers gibt ein deutliches Bild der hier einheimischen turmartigen, mit spitzem Dach gekroenten, auf allen Seiten mit Darstellungen aus dem Leben des Verstorbenen bedeckten Denkmaeler. Haeufig sehen wir auf denselben den Gutsherrn, dem seine Kolonen Schafe, Fische, Gefluegel, Eier darbringen. Ein Grabstein aus Arlon bei Luxemburg zeigt ausser den Portraets der beiden Gatten auf der einen Seite einen Karren und eine Frau mit einem Fruchtkorb, auf der andern ueber zwei auf dem Boden hockenden Maennern einen Aepfelverkauf. Ein anderer Grabstein aus Neumagen bei Trier hat die Form eines Schiffes: in diesem sitzen sechs Schiffer, die Ruder fuehrend; die Ladung besteht aus grossen Faessern, neben denen der lustig blickende Steuermann, man moechte meinen, sich des darin geborgenen Weines zu freuen scheint. Wir duerfen sie wohl in Verbindung bringen mit dem heiteren Bilde, das der Poet von Bordeaux uns vom Moseltal bewahrt hat mit den praechtigen Schloessern, den lustigen Rebgelaenden und dem regen Fischer- und Schiffertreiben, und den Beweis darin finden, dass in diesem schoenen Lande bereits vor anderthalb Jahrtausenden friedliche Taetigkeit, heiterer Genuss und warmes Leben pulsiert hat.
4. Kapitel
Das roemische Germanien und die freien Germanen Die beiden roemischen Provinzen Ober- und Untergermanien sind das Ergebnis derjenigen Niederlage der roemischen Waffen und der roemischen Staatskunst unter der Regierung des Augustus, welche frueher geschildert worden ist. Die urspruengliche Provinz Germanien, die das Land vom Rhein bis zur Elbe umfasste, hat nur zwanzig Jahre, vom ersten Feldzug des Drusus (742 12 v. Chr.) bis zur Varusschlacht und dem Falle Alisos (762 9 n. Chr.) bestanden; da sie aber einerseits die Militaerlager auf dem linken Rheinufer, Vindonissa, Mogontiacum, Vetera in sich schloss, andererseits auch nach jener Katastrophe mehr oder minder betraechtliche Teile des rechten Ufers roemisch blieben, so wurden durch jene Katastrophe die Statthalterschaft und das Kommando nicht eigentlich aufgehoben, obwohl sie sozusagen in der Luft standen. Die innere Ordnung der drei Gallien ist frueher dargelegt worden; sie umfassten das gesamte Gebiet bis an den Rhein, ohne Unterschied der Abstammung -nur etwa die erst waehrend der letzten Krisen nach Gallien uebergesiedelten Ubier gehoerten nicht zu den 64 Gauen, wohl aber die Helvetier, die Triboker und ueberhaupt die sonst von den rheinischen Truppen besetzt gehaltenen Distrikte. Es war die Absicht gewesen, die germanischen Gaue zwischen Rhein und Elbe zu einer aehnlichen Gemeinschaft unter roemischer Hoheit zusammenzufassen, wie dies mit den gallischen geschehen war, und denselben in dem Augustusaltar der Ubierstadt, dem Keim des heutigen Koeln, einen aehnlichen exzentrischen Mittelpunkt zu verleihen, wie der Augustusaltar von Lyon ihn fuer Gallien bildete; fuer die fernere Zukunft war wohl auch die Verlegung der Hauptlager auf das rechte Rheinufer und die Rueckgabe des linken, wenigstens im wesentlichen, an den Statthalter der Belgica in Aussicht genommen. Allein diese Entwuerfe gingen mit den Legionen des Varus zugrunde; der germanische Augustusaltar am Rhein ward oder blieb der Altar der Ubier; die Legionen behielten dauernd ihre Standquartiere in dem Gebiet, welches eigentlich zur Belgica gehoerte, aber, da eine Trennung der Militaer- und Zivilverwaltung nach der roemischen Ordnung ausgeschlossen war, so lange, als die Truppen hier standen, auch administrativ unter den Kommandanten der beiden Heere gelegt war. Denn, wie schon frueher angegeben worden ist, Varus ist wahrscheinlich der letzte Kommandant der vereinigten Rheinarmee gewesen ^1; bei der Vermehrung der Armee auf acht Legionen, welche diese Katastrophe im Gefolge gehabt hat, ist allem Anschein nach auch deren Teilung eingetreten. Es sind also in diesem Abschnitt nicht eigentlich die Zustaende einer roemischen Landschaft zu schildern, sondern die Geschicke einer roemischen Armee, und, was damit aufs engste zusammenhaengt, die der Nachbarvoelker und der Gegner, soweit sie in die Geschichte Roms verflochten sind.
——————————————————- ^1 Diese Teilung einer Provinz unter drei Statthalter ist in der roemischen Verwaltung sonst ohne Beispiel; das Verhaeltnis von Afrika und Numidien bietet wohl eine aeussere Analogie, ist aber politisch bedingt durch die Stellung des senatorischen Statthalters zu dem kaiserlichen Militaerkommandanten, waehrend die drei Statthalter der Belgica gleichmaessig kaiserlich sind und gar nicht abzusehen ist, warum den beiden germanischen Sprengel innerhalb der Belgica statt eigener angewiesen werden. Nur das Zuruecknehmen der Grenze unter Beibehaltung des bisherigen Namens – aehnlich wie das transdanuvianische Dakien spaeterhin als cisdanuvianisches dem Namen nach fortbestand – erklaert diese Seltsamkeit.
——————————————————- Die beiden Hauptquartiere der Rheinarmee waren von jeher Vetera bei Wesel und Mogontiacum, das heutige Mainz, beide wohl aelter als die Teilung des Kommandos und eine der Ursachen, dass dieselbe eintrat. Die beiden Armeen zaehlten jede im ersten Jahrhundert n. Chr. vier Legionen, also ungefaehr 30000 Mann ^2; in oder zwischen jenen beiden Punkten lag die Hauptmasse der roemischen Truppen, ausserdem eine Legion bei Noviomagus (Nimwegen), eine andere in Argentoratum (Strassburg), eine dritte bei Vindonissa (Windisch, unweit Zuerich), nicht weit von der raetischen Grenze. Zu dem unteren Heere gehoerte die nicht unbetraechtliche Rheinflotte. Die Grenze zwischen der oberen und der unteren Armee liegt zwischen Andernach und Remagen bei Brohl ^3, so dass Koblenz und Bingen in das obere, Bonn und Koeln in das untere Militaergebiet fielen. Auf dem linken Ufer gehoerten zu dem obergermanischen Verwaltungsbezirk die Distrikte der Helvetier (Schweiz), der Sequaner (Besanáon), der Lingonen (Langres), der Rauriker (Basel), der Triboker (Elsass), der Nemeter (Speyer) und der Vangionen (Worms); zu dem beschraenkteren untergermanischen der Distrikt der Ubier oder vielmehr die Kolonie Agrippina (Koeln), der Tungrer (Tongern), der Menapier (Brabant) und der Bataver, waehrend die weiter westlich gelegenen Gaue mit Einschluss von Metz und Trier unter den verschiedenen Statthaltern der drei Gallien standen. Wenn diese Scheidung nur administrative Bedeutung hat, so faellt dagegen die wechselnde Ausdehnung der beiden Sprengel auf dem rechten Ufer mit den wechselnden Beziehungen zu den Nachbarn und der dadurch bedingten Vor- und Zurueckschiebung der Grenzen der roemischen Herrschaft zusammen. Diesen Nachbarn gegenueber sind die unterrheinischen und die oberrheinischen Verhaeltnisse in so verschiedener Weise geordnet worden und die Ereignisse in so durchaus anderer Richtung verlaufen, dass hier die provinziale Trennung geschichtlich von der eingreifendsten Bedeutung wurde. Betrachten wir zunaechst die Entwicklung der Dinge am Unterrhein. ———————————————– ^2 Die Staerke der Auxilien der oberen Armee laesst sich fuer die domitianisch-traianische Epoche mit ziemlicher Sicherheit auf etwa 10000 Mann bestimmen. Eine Urkunde vom Jahre 90 zaehlt vier Alen und vierzehn Kohorten dieser Armee auf; zu diesen kommt wenigstens eine Kohorte (I Germanorum), die nachweislich, sowohl im Jahre 82 wie im Jahre 116, daselbst garnisonierte; ob zwei Alen, die im Jahre 82, und mindestens drei Kohorten, die im Jahre 116 daselbst sich befanden und die in der Liste vom Jahre 90 fehlen, im Jahr 90 dort garnisonierten oder nicht, ist zweifelhaft, die meisten derselben aber sind wohl vor 90 aus der Provinz weg oder erst nach 90 in dieselbe gekommen. Von jenen neunzehn Auxilien ist eine sicher (coh. I Damascenorum), eine andere (ala I Flavia gemina) vielleicht eine Doppelabteilung. Im Minimum also ergibt sich als Normaletat der Auxilien dieses Heeres die oben bezeichnete Ziffer, und bedeutend kann sie nicht ueberschritten sein. Wohl aber moegen die Auxilien von Untergermanien, dessen Garnisonen weniger ausgedehnt waren, an Zahl geringer gewesen sein.
^3 An der Grenzbruecke ueber den Abrinca-, jetzt Vinxtbach, der alten Grenze der Erzdioezesen Koeln und Trier, standen zwei Altaere, der auf der Seite von Remagen den Grenzen, dem Ortsgeist und dem Jupiter (Finibus et Genio loci et Iovi optimo maximo) gewidmet von Soldaten der 30. niedergermanischen Legion, der auf der Seite von Andernach dem Jupiter, dem Ortsgott und der Juno geweiht von einem Soldaten der 8. obergermanischen (Brambach 649, 650). ———————————————– Es ist frueher dargestellt worden, wieweit die Roemer zu beiden Seiten des Unterrheins die Germanen sich unterworfen hatten. Die germanischen Bataver sind nicht durch Caesar, aber nicht lange nachher, vielleicht durch Drusus, auf friedlichem Wege mit dem Reiche vereinigt worden. Sie sassen im Rheindelta, das heisst auf dem linken Rheinufer und auf den durch die Rheinarmee gebildeten Inseln aufwaerts bis wenigstens an den Alten Rhein, also etwa von Antwerpen bis Utrecht und Leiden in Seeland und dem suedlichen Holland, auf urspruenglich keltischem Gebiet – wenigstens sind die Ortsnamen ueberwiegend keltisch; ihren Namen fuehrt noch die Betuwe, die Niederung zwischen Waal und Leck mit der Hauptstadt Noviomagus, jetzt Nimwegen. Sie waren, insbesondere verglichen mit den unruhigen und stoerrigen Kelten, gehorsame und nuetzliche Untertanen und nahmen daher im roemischen Reichsverband und namentlich im Heerwesen eine Sonderstellung ein. Sie blieben gaenzlich steuerfrei, wurden aber dagegen so stark wie kein anderer Gau bei der Rekrutierung angezogen; der eine Gau stellte zu dem Reichsheer 1000 Reiter und 9000 Fusssoldaten; ausserdem wurden die kaiserlichen Leibwaechter vorzugsweise aus ihnen genommen. Das Kommando dieser batavischen Abteilungen wurde ausschliesslich an geborene Bataver vergeben. Die Bataver galten unbestritten nicht bloss als die besten Reiter und Schwimmer der Armee, sondern auch als das Muster treuer Soldaten, wobei allerdings der gute Sold der batavischen Leibwaechter sowohl wie der bevorzugte Offiziersdienst der Adligen die Loyalitaet erheblich befestigte. Diese Germanen waren denn auch bei der Varuskatastrophe weder vorbereitend noch nachfolgend beteiligt; und wenn Augustus unter dem ersten Eindruck der Schreckensnachricht seine batavischen Leibwaechter verabschiedete, so ueberzeugte er sich bald selbst von der Grundlosigkeit seines Argwohns, und die Truppe wurde kurze Zeit darauf wieder hergestellt.
Am anderen Ufer des Rheins wohnten den Batavern zunaechst, im heutigen Kennemerland (Nordholland ueber Amsterdam), die ihnen eng verwandten, aber weniger zahlreichen Cannenefaten; sie werden nicht bloss unter den durch Tiberius unterworfenen Voelkerschaften genannt, sondern sind auch in der Stellung von Mannschaften wie die Bataver behandelt worden. Die weiterhin sich anschliessenden Friesen in dem noch heute nach ihnen benannten Kuestenland bis zu der unteren Ems unterwarfen sich dem Drusus und erhielten eine aehnliche Stellung wie die Bataver; es wurde ihnen, anstatt der Steuer, nur die Ablieferung einer Anzahl von Rindshaeuten fuer die Beduerfnisse des Heeres auferlegt; dagegen hatten auch sie verhaeltnismaessig zahlreiche Mannschaften fuer den roemischen Dienst zu stellen. Sie waren seine so wie spaeter des Germanicus treueste Bundesgenossen, ihm nuetzlich sowohl bei dem Kanalbau wie besonders nach den ungluecklichen Nordseefahrten. Auf sie folgen oestlich die Chauker, ein weitausgedehntes Schiffer- und Fischervolk an der Nordseekueste zu beiden Seiten der Weser, vielleicht von der Ems bis zur Elbe; sie wurden durch Drusus zugleich mit den Friesen, aber nicht wie diese ohne Gegenwehr, den Roemern botmaessig. Alle diese germanischen Kuestenvoelker fuegten sich entweder durch Vertrag oder doch ohne schweren Kampf der neuen Herrschaft, und wie sie an dem Cheruskeraufstand keinen Teil gehabt haben, blieben sie nach der Varusschlacht gleichfalls in den frueheren Verhaeltnissen zum Roemischen Reich; selbst aus den entfernter liegenden Gauen der Friesen und der Chauker sind die Besatzungen damals nicht herausgezogen worden, und noch zu den Feldzuegen des Germanicus haben die letzteren Zuzug gestellt. Bei der abermaligen Raeumung Germaniens im Jahre 17 scheint allerdings das arme und ferne, schwer zu schuetzende Chaukerland aufgegeben worden zu sein; wenigstens gibt es fuer die Fortdauer der roemischen Herrschaft daselbst keine spaeteren Belege, und einige Dezennien nachher finden wir sie unabhaengig. Aber alles Land westwaerts der unteren Ems blieb bei dem Reiche, dessen Grenze also die heutigen Niederlande einschloss. Die Verteidigung dieses Teils der Reichsgrenze gegen die nicht zum Reich gehoerigen Germanen blieb in der Hauptsache den botmaessigen Seegauen selber ueberlassen.
Weiter stromaufwaerts wurde anders verfahren; hier ward eine Grenzstrasse abgesteckt und das Zwischenland entvoelkert. An die in groesserer oder geringerer Entfernung vom Rhein gezogene Grenzstrasse, den Limes ^4, knuepfte sich die Kontrolle des Grenzverkehrs, indem die Ueberschreitung dieser Strasse zur Nachtzeit ueberhaupt, am Tage den Bewaffneten untersagt und den uebrigen in der Regel nur unter besonderen Sicherheitsmassregeln und unter Erlegung der vorgeschriebenen Grenzzoelle gestattet war. Eine solche Strasse hat gegenueber dem unterrheinischen Hauptquartier im heutigen Muensterland Tiberius nach der Varusschlacht gezogen, in einiger Entfernung vom Rhein, dazwischen ihr und dem Fluss der seiner Lage nach nicht naeher bekannte “Caesische Wald” sich erstreckte. Aehnliche Anstalten muessen gleichzeitig in den Taelern der Ruhr und der Sieg bis zu dem der Wied hin, wo die unterrheinische Provinz endigte, getroffen worden sein. Militaerisch besetzt und zur Verteidigung eingerichtet brauchte diese Strasse nicht notwendig zu sein, obwohl natuerlich die Grenzverteidigung und die Grenzbefestigung immer darauf hinausgingen, die Grenzstrasse moeglichst sicher zu stellen. Ein hauptsaechliches Mittel fuer den Grenzschutz war die Entvoelkerung des Landstrichs zwischen dem Fluss und der Strasse. “Vom rechten Rheinufer”, sagt ein kundiger Schriftsteller der tiberischen Zeit, “haben teils die Roemer die Voelkerschaften auf das linke uebergefuehrt, teils diese selbst sich in das Innere zurueckgezogen.” Dies traf im heutigen Muensterland die daselbst frueher ansaessigen germanischen Staemme der Usiper, Tencterer, Tubanten. In den Zuegen des Germanicus erscheinen dieselben vom Rhein abgedraengt, aber noch in der Gegend der Lippe, spaeter, wahrscheinlich eben infolge jener Expeditionen, weiter suedwaerts, Mainz gegenueber. Ihr altes Heim lag seitdem oede und bildete das ausgedehnte, fuer die Herden der niedergermanischen Armee reservierte Triftland, auf welchem im Jahre 58 erst die Friesen und dann die heimatlos irrenden Amsivarier sich niederzulassen gedachten, ohne dazu die Erlaubnis der roemischen Behoerden auswirken zu koennen. Weiter suedwaerts blieb von den Sugambrern, die ebenfalls zum grossen Teil derselben Behandlung unterlagen, wenigstens ein Teil am rechten Ufer ansaessig ^5, waehrend andere kleinere Voelkerschaften ganz verdraengt wurden. Die spaerliche innerhalb des Limes geduldete Bevoelkerung war selbstverstaendlich reichsuntertaenig, wie dies die bei den Sugambrern stattfindende roemische Aushebung bestaetigt. ——————————————————- ^4 Limes (von limus quer) ist ein unseren Rechtsverhaeltnissen fremder und daher auch in unserer Sprache nicht wiederzugebender technischer Ausdruck, davon hergenommen, dass die roemische Ackerteilung, die alle Naturgrenzen ausschliesst, die Quadrate, in welche der im Privateigentum stehende Boden geteilt wird, durch Zwischenwege von einer bestimmten Breite trennt; diese Zwischenwege sind die limites, und insofern bezeichnet das Wort immer zugleich sowohl die von Menschenhand gezogene Grenze wie die von Menschenhand gebaute Strasse. Diese Doppelbedeutung behaelt das Wort auch in der Anwendung auf den Staat (unrichtig Rudorff); limes ist nicht jede Reichsgrenze, sondern nur die von Menschenhand abgesteckte und zugleich zum Begehen und Postenstellen fuer die Grenzverteidigung eingerichtete (vita Hadriani 12: locis in quibus barbari non fluminibus, sed limitibus dividuntur), wie wir sie in Germanien und in Afrika finden. Darum werden auch auf die Anlage dieses Limes die fuer den Strassenbau dienenden Bezeichnungen angewandt aperire (Vell. 2, 121, was nicht, wie Muellenhoff in der Zeitschrift fuer deutsches Altertum, N. F. 2, S. 32 will, so zu verstehen ist wie unser oeffnen des Schlagbaums), munire, agere (Frontin. straf. 1, 3, 10: limitibus per CXX m. p. actis). Darum ist der Limes nicht bloss eine Laengenlinie, sondern auch von einer gewissen Breite (Tac. ann. 1, 50: castra in limite locat). Daher verbindet sich die Anlage des limes oft mit derjenigen des agger, das heisst des Strassendammes (Tac. ann. 2, 7: cuncta novis limitibus aggeribusque permunita) und die Verschiebung desselben mit der Verlegung der Grenzposten (Tac. Germ. 29: limite acto promotisque praesidiis). Der Limes ist also die Reichsgrenzstrasse, bestimmt zur Regulierung des Grenzverkehrs dadurch, dass ihre Ueberschreitung nur an gewissen, den Bruecken der Flussgrenze entsprechenden Punkten gestattet, sonst untersagt wird. Zunaechst ist dies ohne Zweifel herbeigefuehrt worden durch Abpatrouillierung der Linie, und solange dies geschah blieb der Limes ein Grenzweg. Er blieb dies auch, wenn er an beiden Seiten befestigt ward, wie dies in Britannien und an der Donaumuendung geschah; auch der britannische Wall heisst limes. Es konnten aber auch an den gestatteten Ueberschreitungspunkten Posten aufgestellt und die Zwischenstrecken der Grenzwege in irgendeiner Weise unwegsam gemacht werden, In diesem Sinne sagt der Biograph in der oben angefuehrten Steile von Hadrian, dass an den limites er stipitibus magnis in modum muralis saepis funditus iactis atque conexis barbaros separavit. Damit verwandelt sich die Grenzstrasse in eine mit gewissen Durchgaengen versehene Grenzbarrikade, und das ist der Limes Obergermaniens in der entwickelten, weiterhin darzulegenden Gestalt. Uebrigens wird das Wort in diesem Werte in republikanischer Zeit nicht gebraucht und ist ohne Zweifel dieser Begriff des limes erst entstanden mit der Einrichtung der den Staat, wo Naturgrenzen fehlen, umschliessenden Postenkette, welcher Reichsgrenzschutz der Republik fremd, aber das Fundament des Augusteischen Militaer- und vor allem des Augusteischen Zollsystems ist. ^5 Die auf das linke Ufer uebergesiedelten Sugambrer werden unter diesem Namen nachher nicht erwaehnt und sind wahrscheinlich die unterhalb Koeln am Rhein wohnenden Cugerner. Aber dass die Sugambrer auf dem rechten Ufer, welche Strabo erwaehnt, wenigstens noch zu Claudius’ Zeit bestanden, zeigt die nach diesem Kaiser benannte, also sicher unter ihm und zwar aus Sugambrern errichtete Kohorte (CIL III p. 877); und sie, sowie die vier anderen, wahrscheinlich augustischen Kohorten dieses Namens bestaetigen, was eigentlich auch Strabon sagt, dass diese Sugambrer zum Roemischen Reich gehoerten. Sie sind wohl, wie die Mattiaker, erst in den Stuermen der Voelkerwanderung verschwunden. ——————————————————- In dieser Weise wurden nach dem Aufgeben der weiter greifenden Entwuerfe die Verhaeltnisse am Unterrhein geordnet, immer also noch ein nicht unbetraechtliches Gebiet am rechten Ufer von den Roemern gehalten. Aber es knuepften sich daran mancherlei unbequeme Verwicklungen. Gegen das Ende der Regierung des Tiberius (28) fielen die Friesen infolge der unertraeglichen Bedrueckung bei der Erhebung der an sich geringen Abgabe vom Reiche ab, erschlugen die bei der Erhebung beschaeftigten Leute und belagerten den hier fungierenden roemischen Kommandanten mit dem Reste der im Gebiet verweilenden roemischen Soldaten und Zivilpersonen in dem Kastell Flevum, da, wo vor der im Mittelalter erfolgten Ausdehnung der Zuidersee die oestlichste Rheinmuendung war, bei der heutigen Insel Vlieland neben dem Texel. Der Aufstand nahm solche Verhaeltnisse an, dass beide Rheinheere gemeinschaftlich gegen die Friesen marschierten; aber der Statthalter Lucius Apronius richtete dennoch nichts aus. Die Belagerung des Kastells gaben die Friesen auf, als die roemische Flotte die Legionen herantrug; aber ihnen selbst war in dem durchschnittenen Lande schwer beizukommen; mehrere roemische Heerhaufen wurden vereinzelt aufgerieben und die roemische Vorhut so gruendlich geschlagen, dass selbst die Leichen der Gefallenen in der Gewalt des Feindes blieben. Zu einer entscheidenden Aktion kam es nicht, aber auch nicht zu rechter Unterwerfung; groesseren Unternehmungen, die dem kommandierenden Feldherrn eine Machtstellung gaben, war Tiberius, je aelter er wurde, immer weniger geneigt. Damit steht in Zusammenhang, dass in den naechsten Jahren die Nachbarn der Friesen, die Chauker, den Roemern sehr unbequem wurden, im Jahre 41 der Statthalter Publius Gabinius Secundus gegen sie eine Expedition unternehmen musste und sechs Jahre spaeter (47) sie sogar unter Fuehrung des roemischen Ueberlaeufers Gannascus, eines geborenen Cannenefaten, mit ihren leichten Piratenschiffen die gallische Kueste weithin brandschatzten. Gnaeus Domitius Corbulo, von Claudius zum Statthalter Niedergermaniens ernannt, legte mit der Rheinflotte diesen Vorgaengern der Sachsen und Normannen das Handwerk und brachte dann die Friesen energisch zum Gehorsam zurueck, indem er ihr Gemeinwesen neu ordnete und roemische Besatzung dorthin legte. Er hatte die Absicht, weiter die Chauker zu zuechtigen; auf sein Anstiften wurde Gannascus aus dem Wege geraeumt – gegen den Ueberlaeufer hielt er sich auch dazu berechtigt -, und er war im Begriff, die Ems ueberschreitend in das Chaukerland einzuruecken, als er nicht bloss Gegenbefehl von Rom erhielt, sondern die roemische Regierung ueberhaupt ihre Stellung am Unterrhein vollstaendig aenderte. Kaiser Claudius wies den Statthalter an, alle roemischen Besatzungen vom rechten Ufer wegzunehmen. Es ist begreiflich, dass der kaiserliche General die freien Feldherren des ehemaligen Rom mit bitteren Worten gluecklich pries; es wurde allerdings damit die nach der Varusschlacht nur halb gezogene Konsequenz der Niederlage vervollstaendigt. Wahrscheinlich ist diese durch keine unmittelbare Noetigung veranlasste Einschraenkung der roemischen Okkupation Germaniens hervorgerufen worden durch den eben damals gefassten Entschluss, Britannien zu besetzen, und findet darin ihre Rechtfertigung, dass die Truppen beidem zugleich nicht genuegten. Dass der Befehl ausgefuehrt ward und es auch spaeter dabei blieb, beweist das Fehlen der roemischen Militaerinschriften am ganzen rechten Unterrhein ^6. Nur einzelne Uebergangspunkte und Ausfallstore, wie insbesondere Deutz gegenueber Koeln, machen Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel. Auch die Militaerstrasse haelt sich hier auf dem linken Ufer und streng an den Rheinlauf, waehrend der hinter derselben herlaufende Verkehrsweg, die Kruemmungen abschneidend, die gerade Verbindung verfolgt. Auf dem rechten Rheinufer sind hier nirgends, weder durch aufgefundene Meilensteine noch anderweitig, roemische Militaerstrassen bezeugt. ——————————————— ^6 Das Kastell von Niederbiber, unweit der Muendung der Wied in den Rhein, sowie das von Arzbach bei Montabaur im Lahngebiet gehoeren schon zu Obergermanien. Die besondere Bedeutung jener Festung, des groessten Kastells in Obergermanien, beruht darauf, dass sie die roemischen Linien auf dem rechten Rheinufer militaerisch abschloss.
——————————————— Einen eigentlichen Verzicht auf den Besitz des rechten Ufers in dieser Provinz schliesst die Zurueckziehung der Besatzungen nicht ein. Dasselbe galt den Roemern seitdem etwa wie dem Festungskommandanten das unter seinen Kanonen liegende Terrain. Die Cannenefaten und wenigstens ein Teil der Friesen ^7 sind nach wie vor reichsuntertaenig gewesen. Dass auch spaeter noch im Muensterland die Herden der Legionen weideten und den Germanen nicht gestattet wurde, sich dort niederzulassen, ist schon bemerkt worden. Aber die Regierung hat seitdem fuer den Schutz des Grenzgebietes auf dem rechten Ufer, das es in dieser Provinz auch ferner gab, im Norden sich auf die Cannenefaten und die Friesen verlassen, weiter stromaufwaerts im wesentlichen der Oedgrenze vertraut und auch die roemische Ansiedelung hier, wenn nicht geradezu untersagt, doch nicht aufkommen lassen. Der in Altenberg (Kreis Muelheim) am Dhuenfluss gefundene Altarstein eines Privaten ist fast das einzige Zeugnis roemischer Einwohnerschaft in diesen Gegenden. Es ist dies um so bemerkenswerter, als das Aufbluehen von Koeln, wenn hier nicht besondere Hindernisse im Wege gestanden haetten, die roemische Zivilisation von selber weithin auf das andere Ufer getragen haben wuerde. Oft genug werden roemische Truppen diese ausgedehnten Gebiete betreten, vielleicht selbst die gerade hier in augustischer Zeit zahlreich angelegten Strassen einigermassen gangbar gehalten, auch wohl neue angelegt haben; spaerliche Ansiedler, teils Ueberreste der alten germanischen Bevoelkerung, teils Kolonisten aus dem Reich, werden hier gesessen haben, aehnlich wie wir sie bald in der frueheren Kaiserzeit am rechten Ufer des Oberrheins finden werden; aber den Wegen wie den Besitzungen fehlte der Stempel der Dauerhaftigkeit. Man wollte hier nicht eine Arbeit von gleicher Ausdehnung und gleicher Schwierigkeit unternehmen, wie wir sie weiterhin in der oberen Provinz kennenlernen werden, nicht hier, wie es dort geschah, die Reichsgrenze militaerisch schuetzen und befestigen. Darum hat den Unterrhein wohl die roemische Herrschaft, aber nicht, wie den Oberrhein, auch die roemische Kultur ueberschritten. —————————————— ^7 Dies fordern die Aushebungen (Eph. epigr. V, p. 274), waehrend die Friesen, wie sie im Jahre 58 (Tac. ann. 13, 54) auftreten, eher unabhaengig erscheinen; auch der aeltere Plinius (nat. 25, 3, 22) unter Vespasian nennt sie im Rueckblick auf die Zeit des Germanicus gens tum fida. Wahrscheinlich haengt dies zusammen mit der Unterscheidung der Frisii und Frisiavones bei Plinius (nat. 4, 15, 101) und der Frisii maiores und minores bei Tacitus (Germ. 34). Die roemisch gebliebenen Friesen werden die westlichen sein, die freien die oestlichen; wenn die Friesen ueberhaupt bis zur Ems reichen (Ptol. geogr. 3, 11, 7), so moegen die spaeter roemischen etwa westwaerts der Yssel gesessen haben. Anderswo als an der noch heute ihren Namen tragenden Kueste darf man sie nicht ansetzen; die Nennung bei Plinius (nat. 4, 17, 106) steht vereinzelt und ist ohne Zweifel fehlerhaft.
—————————————— Ihrer doppelten Aufgabe, das benachbarte Gallien in Gehorsam und die Germanen des rechten Rheinufers von Gallien abzuhalten, hatte die Armee am Unterrhein auch nach dem Verzicht auf Besetzung des rechtsrheinischen Gebietes ausreichend genuegt; und es waere die Ruhe nach aussen und innen voraussichtlich nicht unterbrochen worden, wenn nicht der Sturz der Julisch-Claudischen Dynastie und der dadurch hervorgerufene Buerger- oder vielmehr Korpskrieg in diese Verhaeltnisse in verhaengnisvoller Weise eingegriffen haette. Die Insurrektion des Keltenlandes unter Fuehrung des Vindex wurde zwar von den beiden germanischen Armeen niedergeschlagen; aber Neros Sturz erfolgte dennoch, und als sowohl das spanische Heer wie die Kaisergarde in Rom ihm einen Nachfolger bestellten, taten auch die Rheinarmeen das gleiche, und im Anfang des Jahres 69 ueberschritt der groesste Teil dieser Truppen die Alpen, um auf den Schlachtfeldern Italiens auszumachen, ob dessen Herrscher Marcus oder Aulus heissen werde. Im Mai desselben Jahres folgte der neue Kaiser Vitellius, nachdem die Waffen fuer ihn entschieden hatten, begleitet von dem Rest der guten kriegsgewohnten Mannschaften. Durch eilig in Gallien ausgehobene Rekruten waren allerdings die Luecken in den Rheinbesatzungen notduerftig ausgefuellt worden; aber dass es nicht die alten Legionen waren, wusste das ganze Land, und bald zeigte es sich auch, dass jene nicht zurueckkamen. Haette der neue Herrscher die Armee, die ihn auf den Thron gesetzt hatte, in seiner Gewalt gehabt, so haette gleich nach der Niederwerfung Othos im April wenigstens ein Teil derselben an den Rhein zurueckkehren muessen; aber mehr noch die Unbotmaessigkeit der Soldaten als die bald eintretende neue Verwicklung mit dem im Osten zum Kaiser ausgerufenen Vespasian hielt die germanischen Legionen in Italien zurueck. Gallien war in der furchtbarsten Aufregung. Die Insurrektion des Vindex war, wie frueher bemerkt ward, an sich nicht gegen die Herrschaft Roms, sondern gegen den dermaligen Herrscher gerichtet; aber darum war sie nicht weniger eine Kriegfuehrung gewesen zwischen den Rheinarmeen und dem Landsturm der grossen Mehrzahl der keltischen Gaue, und diese nicht weniger gleich Besiegten gepluendert und misshandelt worden. Die Stimmung, die zwischen den Provinzialen und den Soldaten bestand, zeigt zum Beispiel die Behandlung, welche der Gau der Helvetier bei dem Durchmarsch der nach Italien bestimmten Truppen erfuhr: weil hier ein von den Vitellianern nach Pannonien abgesandter Kurier aufgegriffen worden war, rueckten die Marschkolonnen von der einen Seite, von der anderen die in Raetien in Garnison stehenden Roemer in den Gau ein, pluenderten weit und