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  • 1854-1856
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———————————————- Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der Verteidigung Adherbal um seine Haelfte bringen zu koennen, reizte Jugurtha denselben zum Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen liess und sich begnuegte, in Rom Beschwerde zu fuehren, begann Jugurtha, ungeduldig ueber diese Weitlaeufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg. In der Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollstaendig geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Waehrend die Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen mit den in Cirta zahlreich ansaessigen und bei der Verteidigung der Stadt lebhafter als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern taeglich sich herumschlugen, erschien die von dem roemischen Senat auf Adherbals erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natuerlich junge unerfahrene Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewoehnlichen Staatssendungen regelmaessig verwandte. Die Gesandten verlangten, dass Jugurtha sie als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse, ueberhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme. Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen schleunigst heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Vaeter der Stadt zu berichten. Die Vaeter hoerten den Bericht an und liessen ihre Landsleute in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst als im fuenften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des Koenigs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte derselbe sich auf und fasste wirklich einen Beschluss – nicht etwa den Krieg zu erklaeren, wie die Minoritaet es verlangte, sondern eine neue Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an der Spitze, dem grossen Bezwinger der Taurisker und der Freigelassenen, dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen blosses Erscheinen genuegen werde, den ungehorsamen Koenig auf andere Gedanken zu bringen. In der Tat erschien Jugurtha, wie geheissen, in Utica, um mit Scaurus zu verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die Konferenz geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklaert zu haben, nach Rom zurueck und der Koenig wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah sich aufs Aeusserste gebracht und verzweifelte an der roemischen Unterstuetzung; die Italiker in Cirta, der Belagerung muede und fuer ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem roemischen Namen, draengten ueberdies zur Uebergabe. So kapitulierte die Stadt. Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern hinzurichten, die saemtliche erwachsene maennliche Bevoelkerung der Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, ueber die Klinge springen zu lassen (642 112).
Ein Schrei der Entruestung ging durch ganz Italien. Die Minoritaet des Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten einmuetig diese Regierung, fuer die die Ehre und das Interesse des Landes nichts zu sein schienen als verkaeufliche Artikel; am lautesten die Kaufmannschaft, die durch die Hinopferung der roemischen und italischen Kaufleute in Cirta am naechsten getroffen worden war. Die Majoritaet des Senats straeubte sich zwar auch jetzt noch; sie appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle Hebel der kollegialischen Geschaeftsverschleppung in Bewegung, um den lieben Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der fuer 643 (111) gewaehlte Volkstribun Gaius Memmius, ein taetiger und beredter Mann, sofort nach Antritt seines Amtes den Handel oeffentlich zur Sprache brachte und die schlimmsten Suender zu gerichtlicher Verantwortung ziehen zu wollen drohte, liess der Senat es geschehen, dass der Krieg an Jugurtha erklaert ward (642/43 112/11). Es schien ernst zu werden. Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus Italien ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Taetigkeit sich auszeichnete, betrieb die Ruestungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst uebernahm eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer Zeit stand ein roemisches Heer auf afrikanischem Boden und rueckte, am Bagradas (Medscherda) hinaufmarschierend, ein in das Numidische Koenigreich, wo die vor dem Sitz der koeniglichen Macht entlegensten Staedte, wie Gross-Leptis, bereits freiwillig ihre Unterwerfung einsandten, waehrend Koenig Bocchus von Mauretanien, obwohl seine Tochter mit Jugurtha vermaehlt war, doch den Roemern Freundschaft und Buendnis antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das roemische Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des Kampfes schien nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag mit Koenig Bocchus scheiterte daran, dass der Koenig, unbekannt mit den roemischen Sitten, diesen den Roemern vorteilhaften Vertrag umsonst abschliessen zu koennen gemeint und deshalb versaeumt hatte, seinen Boten den marktgaengigen Preis roemischer Buendnisse mitzugeben. Jugurtha kannte allerdings die roemischen Institutionen besser und hatte nicht versaeumt, seine Waffenstillstandsantraege durch die gehoerigen Begleitgelder zu unterstuetzen; indes auch er hatte sich getaeuscht. Nach den ersten Verhandlungen ergab es sich, dass im roemischen Hauptquartier nicht bloss der Waffenstillstand feil sei, sondern auch der Friede. Die koenigliche Schatzkammer war noch von Massinissas Zeiten her wohl gefuellt; rasch war man handelseinig. Der Vertrag ward abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt und nach einer unordentlichen und moeglichst summarischen Verhandlung dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade und Ungnade; der Sieger aber uebte Gnade und gab dem Koenig sein Reich ungeschmaelert zurueck gegen eine maessige Busse und die Auslieferung der roemischen Oberlaeufer und der Kriegselefanten (643 111), welche letztere der Koenig grossenteils spaeter wiedereinhandelte durch Vertraege mit den einzelnen roemischen Platzkommandanten und Offizieren. Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt wusste, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war zu haben, nur um einen hoeheren als den gemeinen senatorischen Durchschnittspreis. Die Rechtsbestaendigkeit des Friedens ward im Senat ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklaerte, dass der Koenig, wenn er wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern koenne, in Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen moege, um hinsichtlich der durchaus irregulaeren Friedensverhandlungen durch Vernehmung der beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fuegte sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der Koenig nicht als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der Koenig in der Tat in Rom und stellte sich zum Verhoer vor dem versammelten Volke, das muehsam bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Moerder der cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreissen. Allein kaum hatte Gaius Memmius die erste Frage an den Koenig gerichtet, als einer seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Koenige befahl zu schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold maechtiger als der Wille des souveraenen Volkes und seiner hoechsten Beamten. Inzwischen gingen im Senat die Verhandlungen ueber die Gueltigkeit des soeben abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius Albinus nahm eifrig Partei fuer den Antrag, denselben zu kassieren, in der Aussicht, dass dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde. Dies veranlasste einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva, seine Ansprueche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Koenigs Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen Auftrag, meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafuer der Prozess gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den Augen der roemischen Regierung veruebte Verbrechen bewirkte wenigstens so viel, dass der Senat nun den Frieden kassierte und den Koenig aus der Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und der Konsul Spurius Albinus uebernahm den Oberbefehl (644 110). Allein das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab in derjenigen Zerruettung, wie sie einer solchen politischen und militaerischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloss von Disziplin war die Rede nicht mehr und die Pluenderung der numidischen Ortschaften, ja des roemischen Provinzialgebiets waehrend der Waffenruhe das Hauptgeschaeft der roemischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche Einverstaendnisse angeknuepft mit dem Feinde. Dass ein solches Heer im Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch diesmal vom roemischen Obergeneral die Untaetigkeit kaufte, wie dies spaeter gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er wahrlich ein uebriges. Spurius Albinus also begnuegte sich damit, nichts zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch den Oberbefehl uebernahm, der ebenso tolldreiste als unfaehige Aulus Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kuehnen Handstreich sich der Schaetze des Koenigs zu bemaechtigen, die in der schwer zugaenglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (spaeter Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und aussichtslos, und als der Koenig, der eine Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt gestanden, in die Wueste ging, zog der roemische Feldherr es vor, ihn zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen naechtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und Jugurthas Einverstaendnisse in der roemischen Armee zusammenwirkten, eroberten die Numidier das roemische Lager und trieben die grossenteils waffenlosen Roemer in der vollstaendigsten und schimpflichsten Flucht vor sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug des roemischen Heeres unter dem Joch, sofortige Raeumung des ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten Buendnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Roemern angenommen wurden (Anfang 645 109). Dies war denn doch zu arg. Waehrend die Afrikaner jubelten und die ploetzlich eroeffnende Aussicht auf den kaum noch fuer moeglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche Staemme der freien und halbfreien Wuestenbewohner unter die Fahnen des siegreichen Koenigs fuehrte, brauste in Italien die oeffentliche Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozesssturm, der, genaehrt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von Opfern aus den hoechsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der schuechternen Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine ausserordentliche Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des in der numidischen Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und ihre Wahlsprueche sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der ersten afrikanischen Kommission und nebenbei den Henker des Gaius Gracchus, ausserdem zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige Maenner der Regierungspartei in die Verbannung. Dass indes diese Prozesse einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten kompromittierten Personen die aufgeregte oeffentliche Meinung namentlich der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und dass dabei von einer Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose Regiment selbst nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr deutlich die Tatsache, dass an den schuldigsten unter den Schuldigen, an den klugen und maechtigen Scaurus nicht bloss niemand sich wagte, sondern dass er eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der Vorstaende der ausserordentlichen Hochverratskommission erwaehlt ward. Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat ueberlassen, dem numidischen Skandal in der fuer die Aristokratie moeglichst gelinden Weise ein Ende zu machen; denn dass dies an der Zeit war, mochte wohl selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen.
Der Senat kassierte zunaechst auch den zweiten Friedensvertrag – den Oberbefehlshaber, der ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch vor dreissig Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der Heiligkeit der Vertraege nicht ferner noetig -, und die Erneuerung des Krieges ward diesmal allen Ernstes beschlossen. Man uebergab den Oberbefehl in Afrika zwar wie natuerlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen vornehmen Maenner, die militaerisch und sittlich der Aufgabe gewachsen waren. Die Wahl fiel auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze maechtige Familie, der er angehoerte, seinen Grundsaetzen nach ein starrer und ruecksichtsloser Aristokrat, als Beamter ein Mann, der es zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats Meuchelmoerder zu dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als unpraktische Donquichotterie verlacht haben wuerde, aber doch ein unbeugsamer, weder der Furcht noch der Bestechung zugaenglicher Verwalter und ein einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch von seinen Standesvorurteilen so weit frei, dass er sich zu seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veraenderten und verbesserten Exerzierreglements in militaerischen Kreisen geschaetzt ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen faehigen Offizieren begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so zerruetteten Zustand antraf, dass die Generale bisher nicht gewagt hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu fuehren und sie niemand fuerchterlich war als den ungluecklichen Bewohnern der roemischen Provinz. Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Fruehling des Jahres 646 (108) 5 fuehrte Metellus sie ueber die numidische Grenze. Wie Jugurtha der veraenderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte Vergleichsantraege, indem er schliesslich nichts weiter begehrte, als dass man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen Klientelfuersten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den Roemern genuegen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg ueber Albinus als der Erloeser Libyens von der Herrschaft der verhassten Fremden; ruecksichtslos und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die roemische Regierung war, konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in seiner Heimat den Krieg entzuenden; die Ruhe war nicht eher gesichert und die Entfernung der afrikanischen Armee nicht eher moeglich, als wenn Koenig Jugurtha nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende Antworten auf die Antraege des Koenigs; insgeheim stiftete er die Boten desselben auf, ihren Herrn lebend oder tot an die Roemer auszuliefern. Indes wenn der roemische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem Gebiet des Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister; Jugurtha durchschaute den Plan und ruestete sich, da er nicht anders konnte, zur verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des voellig oeden Gebirgszugs, ueber den der Weg der Roemer in das Innere fuehrte, erstreckte sich in der Breite von vier deutschen Meilen bis zu dem dem Gebirgszug parallel laufenden Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis auf die unmittelbare Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war und nur durch einen mit niedrigem Gestruepp bedeckten Huegelruecken in der Quere durchsetzt ward. Auf diesem Huegelruecken erwartete Jugurtha das roemische Heer. Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein Teil der Infanterie und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Ruecken auslief gegen den Fluss, die andere, der Kern des Fussvolks und die gesamte Reiterei, hoeher hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch das Gestruepp. Aus dem Gebirge debouchierend, erblickten die Roemer den Feind in einer ihre rechte Flanke vollstaendig beherrschenden Stellung und hatten, da sie auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmoeglich verweilen konnten und den Fluss notwendig erreichen mussten, die schwierige Aufgabe zu loesen, durch die vier Meilen breite, ganz offene Ebene, unter den Augen der feindlichen Reiter und selber ohne leichte Kavallerie, an den Strom zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement unter Rufus in gerader Richtung an den Fluss, um daselbst ein Lager zu schlagen; die Hauptmasse marschierte aus den Debouches des Gebirges in schraeger Richtung durch die Ebene auf den Huegelruecken zu, um den Feind von demselben herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene drohte das Verderben des Heeres zu werden, denn waehrend numidische Infanterie im Ruecken der Roemer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese sie raeumten, sah sich die roemische Angriffskolonne auf allen Seiten von den feindlichen Reitern umschwaermt, die von dem Huegelruecken herab angriffen. Das stete Anprallen der feindlichen Schwaerme hinderte den Vormarsch, und die Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter Detailgefechte aufzuloesen; waehrend gleichzeitig Bomilkar mit seiner Abteilung das Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer bedraengten roemischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang es Metellus und Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuss des Huegelrueckens zu erreichen; und das numidische Fussvolk, das die Hoehen verteidigte, lief trotz der Ueberzahl und der guenstigen Stellung fast ohne Widerstand davon, als die Legionaere im Sturmschritt den Berg hinauf angriffen. Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fussvolk gegen Rufus; es ward bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten in dem durchschnittenen Terrain alle getoetet oder gefangen. Spaet am Abend trafen die beiden roemischen Heerhaufen, jeder fuer sich Sieger und jeder besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden Walplaetzen zusammen. Es war eine Schlacht, die fuer Jugurthas ungemeines militaerisches Talent ebenso zeugte wie fuer die unverwuestliche Tuechtigkeit der roemischen Infanterie, welche allein die strategische Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha sandte nach der Schlacht einen grossen Teil seiner Truppen heim und beschraenkte sich auf den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit Gewandtheit leitete. Die beiden roemischen Kolonnen, die eine von Metellus gefuehrt, die andere von Marius, der, obwohl von Geburt und Rang der geringste, seit der Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die erste Stelle einnahm, durchzogen das numidische Gebiet, besetzten die Staedte und machten, wo eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig geoeffnet hatte, die erwachsene maennliche Bevoelkerung nieder. Allein die ansehnlichste unter den Staedten im oestlichen Binnenland, Zama, leistete den Roemern ernsthaften Widerstand, den der Koenig nachdruecklich unterstuetzte. Sogar ein Ueberfall des roemischen Lagers gelang ihm, und die Roemer sahen sich endlich genoetigt, die Belagerung aufzuheben und in das Winterquartier zu gehen. Der leichteren Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, unter Zuruecklassung von Besatzungen in den eroberten Staedten, in die roemische Provinz und benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen anzuknuepfen, indem er sich geneigt zeigte, dem Koenig einen ertraeglichen Frieden zu bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits hatte er sich anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja sogar seine Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000 roemische Ueberlaeufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber wurde des Koenigs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit Unrecht besorgte, dass, wenn es zum Frieden kaeme, Jugurtha ihn als den Moerder des Massiva den roemischen Gerichten ueberliefern werde, von Metellus gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit fuer jenen Mord und grosser Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den Koenig den Roemern lebendig oder tot in die Haende zu liefern. Indes weder jene offizielle Verhandlung noch diese Intrige fuehrte zu dem gewuenschten Resultat. Als Metellus mit dem Ansinnen herausrueckte, dass der Koenig persoenlich sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die Unterhandlungen ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und derselbe festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein fuer diese diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Roemer hatten allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu bemaechtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder weiterfuehren noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war, beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Roemern besetzten Staedten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte roemische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher spaeter wegen Einverstaendnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, laesst sich nicht sagen, von dem roemischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage nach dem Abfall ueberrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts preisgegeben; allein wenn die Gemueter der leicht erreichbaren und verhaeltnismaessig fuegsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, wie mochte es da aussehen weiter landeinwaerts und bei den schweifenden Staemmen der Wueste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm den doppelten Brudermoerder gern uebersahen ueber dem Retter und Raecher der Nation. Zwanzig Jahre nachher musste ein numidisches Korps, das fuer die Roemer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurueckgesandt werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man mag daraus schliessen, was er selber ueber die Seinen vermochte. Wie war ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten Eigentuemlichkeiten der Bevoelkerung und des Bodens einem Fuehrer, der sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit neuer Gewalt wiederzuerwecken?
———————————————— 5 In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlaessigt. Der Krieg ging im Sommer 649 (105) zu Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegfuehrung als Konsul 647 (107) begann, so fuehrte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die Erzaehlung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus allem Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er spaet eintraf (c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete (c. 44), seine Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat auch Marius, der gleichfalls in Italien laengere Zeit sich mit Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder als Konsul 647 (107) spaet im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst als Prokonsul 648 (106) den Oberbefehl an; so dass also die beiden Feldzuege des Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen. Dazu passt, dass Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph. epigr. IV, S. 257). Dazu passt ferner, dass die Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhaeltnis, in dem sie zu Marius’ Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das Jahr 646 (108) gesetzt werden muessen. Von Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 (105) bei ihm Konsul genannt wird.
Die Verlaengerung des Kommandos des Metellus, die Sallustius (62, 10) berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie steht, nur beziehen auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf Grund des Sempronischen Gesetzes die Provinzen der fuer 647 (107) zu waehlenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere Provinzen und liess also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluss stiess das 72, 7 erwaehnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten Handschriften beider Familien lueckenhaft ueberlieferten Worte sed Paulo …. decreverat: ea res frustra fuit muessen entweder die den Konsuln vom Senat bestimmten Provinzen genannt haben – etwa sed paulo [ante uti consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat – oder, nach der Ergaenzung der Vulgathandschriften: sed Paulo [ante senatus Metello Numidiam] decreverat. 6 Jetzt Bedschah an der Medscherda.
—————————————- Als Metellus im Jahre 647 (107) wieder ins Feld rueckte, hielt Jugurtha ihm nirgends stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten Punkt; es schien, als wuerde man ebenso leicht Herr werden ueber die Loewen wie ueber diese Reiter der Wueste. Eine Schlacht ward geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer zu sagen. Der Koenig war verschwunden in die unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der grossen Wueste, lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7; dorthin hatte Jugurtha sich zurueckgezogen mit seinen Kindern, seinen Schaetzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten. Metellus wagte es, durch eine Einoede, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in Schlaeuchen mitgefuehrt werden musste, dem Koenig zu folgen; Thala ward erreicht und fiel nach vierzigtaegiger Belagerung; allein nicht bloss vernichteten die roemischen Ueberlaeufer mit dem Gebaeude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zugleich den wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam, der Koenig Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen. Numidien zwar war so gut wie ganz in den Haenden der Roemer; aber statt dass man damit am Ziele gestanden haette, schien der Krieg nur ueber ein immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Sueden begannen die freien gaetulischen Staemme der Wueste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen die Roemer. Im Westen schien Koenig Bocchus von Mauretanien, dessen Freundschaft die Roemer in frueherer Zeit verschmaeht hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht bloss bei sich auf, sondern rueckte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, dass er mit Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis fuer Rom in Haenden hielt. Was er aber beabsichtigte, ob den Roemern den Schwiegersohn teuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen, wussten weder die Roemer noch Jugurtha und vielleicht der Koenig selbst nicht; derselbe beeilte sich auch keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darueber verliess Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluss genoetigt worden war, seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius abzutreten und dieser uebernahm fuer den naechsten Feldzug 648 (106) den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewissermassen einer Revolution. Im Vertrauen auf die von ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm zuteil gewordenen Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmaessige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tuechtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstuetzt haette, so wuerde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde der nicht adlige Mann, der die hoechste Gemeinwuerde fuer sich begehrte, von der ganzen regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und Revolutionaer geschmaeht – vollkommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechtsgrund -, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus verhoehnt – Marius moege mit seiner Kandidatur warten, hiess es, bis Metellus’ Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben koenne – und kaum im letzten Augenblick aufs ungnaedigste entlassen, um fuer das Jahr 647 (107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem er vor der gaffenden Menge die Kriegfuehrung und Verwaltung des Metellus in Afrika in einer ebenso unmilitaerischen wie schmaehlich unbilligen Weise kritisierte, ja sogar es nicht verschmaehte, dem lieben, ewig von geheimen, hoechst unerhoerten und hoechst unzweifelhaften Konspirationen der vornehmen Herren munkelnden Poebel das platte Maerchen aufzutischen, dass Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie moeglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der Regierung misswollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte Kaufmannschaft, verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, die Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde nicht bloss mit ungeheurer Majoritaet zum Konsul gewaehlt, sondern ihm auch, waehrend sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die Entscheidung ueber die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat zustand, unter Umstossung der vom Senat getroffenen Verfuegung, die den Metellus an seiner Stelle liess, durch Beschluss der souveraenen Komitien der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg uebertragen. Demgemaess trat er im Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus’ Stelle und fuehrte das Kommando in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die zuversichtliche Verheissung, es besser zu machen als sein Vorgaenger und den Jugurtha an Haenden und Fuessen gebunden schleunigst nach Rom abzuliefern, war leichter gegeben als erfuellt. Marius schlug sich herum mit den Gaetulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Staedte; er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im aeussersten Suedosten des Koenigreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch ueberbot, nahm die Stadt durch Kapitulation und liess trotz des Vertrages alle erwachsenen Maenner darin toeten – freilich das einzige Mittel, den Wiederabfall der fernliegenden Wuestenstadt zu verhueten; er griff ein am Fluss Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied, belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte, und erstuermte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kuehner Kletterer gluecklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloss darauf angekommen waere, durch dreiste Razzias das Heer abzuhaerten und dem Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus’ Zug in die Wueste durch eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese Kriegfuehrung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei voellig beiseite gesetzt. Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie der des Metellus nach Thala ein zweckmaessiges Wagnis; die Expedition aber an den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet streifte, war geradezu zweckwidrig. Koenig Bocchus, in dessen Hand es lag, den Krieg zu einem fuer die Roemer guenstigen Ausgang zu bringen oder ihn ins Endlose zu verlaengern, schloss jetzt mit Jugurtha einen Vertrag ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber versprach, den Schwiegersohn gegen Rom taetig zu unterstuetzen. Das roemische Heer, das vom Fluss Molochath wieder zurueckkehrte, sah sich eines Abends ploetzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer und numidischer Reiterei; man musste fechten, wo und wie die Abteilungen eben standen, ohne dass eine eigentliche Schlachtordnung und ein leitendes Kommando sich haetten durchfuehren lassen, und sich gluecklich schaetzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit entfernten Huegeln vorlaeufig fuer die Nacht in Sicherheit zu bringen. Indes die arge Nachlaessigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner entriss ihnen die Folgen desselben; sie liessen sich von den waehrend der Nacht einigermassen wiedergeordneten roemischen Truppen beim grauenden Morgen im tiefen Schlafe ueberfallen und wurden gluecklich zerstreut. Darauf setzte das roemische Heer in besserer Ordnung und mit groesserer Vorsicht den Rueckzug fort; allein noch einmal wurde es auf demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in grosser Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die ihm gegenueberstehenden Reiterhaufen auseinanderstaeubte und von deren Verfolgung rasch zurueckkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus warf, da wo sie persoenlich das roemische Fussvolk im Ruecken bedraengten. Also ward auch dieser Angriff gluecklich abgeschlagen; Marius brachte sein Heer zurueck nach Cirta und nahm daselbst das Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich begreiflich, dass man roemischerseits um die Freundschaft des Koenigs Bocchus, die man anfangs verschmaeht, sodann wenigstens nicht eben gesucht hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich aufs eifrigste zu bemuehen, wobei es den Roemern zustatten kam, dass von mauretanischer Seite keine foermliche Kriegserklaerung stattgefunden hatte. Nicht ungern trat Koenig Bocchus zurueck in seine alte zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit Jugurtha aufzuloesen oder diesen zu entlassen, liess er mit dem roemischen Feldherrn sich ein auf Verhandlungen ueber die Bedingungen eines Buendnisses mit Rom. Als man einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der Koenig, dass Marius zum Abschluss des Vertrages und zur Uebernahme des koeniglichen Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden moege, der dem Koenig bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des Senats am mauretanischen Hofe erschienen war, teils durch Empfehlungen der nach Rom bestimmten mauretanischen Gesandten, denen Sulla unterwegs Dienste geleistet hatte. Marius war in einer unbequemen Lage. Lehnte er die Zumutung ab, so fuehrte dies wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier einem mehr als unzuverlaessigen Mann in die Haende, der, wie maenniglich bekannt, mit den Roemern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den Plan entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorlaeufig nach beiden Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg zu Ende zu bringen, ueberwog jede andere Ruecksicht, und Sulla verstand sich zu der bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er auf, geleitet von Koenig Bocchus’ Sohn Volux, und seine Entschlossenheit wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager des Jugurtha fuehrte. Er wies die kleinmuetigen Fluchtvorschlaege seiner Begleiter zurueck und zog, des Koenigs Sohn an der Seite, unverletzt durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewaehrte der kecke Offizier in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich, ernstlich eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem Vorgeben, dass alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der grosse Verraeter durch den Verrat seiner Naechsten. Gefesselt brachte Lucius Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das roemische Hauptquartier; damit war nach siebenjaehriger Dauer der Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunaechst auf den Namen des Marius; seinem Triumphalwagen schritt in koeniglichem Schmuck und in Fesseln Koenig Jugurtha mit seinen beiden Soehnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar 650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wueste wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefaengnis, dem alten Brunnenhaus am Kapitol, dem “eisigen Badgemach”, wie der Afrikaner es nannte, als er die Schwelle ueberschritt, um daselbst sei es erdrosselt zu werden, sei es umzukommen durch Kaelte und Hunger. Allein es liess sich nicht leugnen, dass Marius an den wirklichen Erfolgen den geringsten Anteil hatte, dass Numidiens Eroberung bis an den Saum der Wueste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war und zwischen beiden Marius eine fuer einen ehrgeizigen Emporkoemmling einigermassen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern, dass sein Vorgaenger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er brauste zornig auf, als Koenig Bocchus spaeter ein goldnes Bildwerk auf dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in Schatten, vor allem Sullas glaenzender Zug in die Wueste, der seinen Mut, seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht ueber die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur Anerkennung gebracht hatte. An sich waere auf diese militaerischen Rivalitaeten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen Parteikampf eingegriffen haetten; wenn nicht die Opposition durch Marius den senatorischen General verdraengt gehabt, nicht die Regierungspartei Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die militaerischen Koryphaeen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen haette – wir werden auf die verhaengnisvollen Folgen dieser Verhetzungen in der Darstellung der inneren Geschichte zurueckzukommen haben. ———————————
7 Die Oertlichkeit ist nicht wiedergefunden. Die fruehere Annahme, dass Thelepte (bei Feriana, noerdlich von Capsa) gemeint sei, ist willkuerlich und die Identifikation mit einer auch heute Thala genannten Oertlichkeit oestlich von Capsa auch nicht gehoerig begruendet. ——————————–
Im uebrigen verlief diese Insurrektion des numidischen Klientelstaats, ohne weder in den allgemeinen politischen Verhaeltnissen noch auch nur in denen der afrikanischen Provinz eine merkliche Veraenderung hervorzubringen. Abweichend von der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine roemische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht ohne eine die Grenzen gegen die Wilden der Wueste deckende Armee zu behaupten und man keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer zu unterhalten. Man begnuegte sich deshalb, die westlichste Landschaft Numidiens, wahrscheinlich den Strich vom Fluss Molochath bis zum Hafen von Saldae (Bougie) – das spaetere Mauretanien von Caesarea (Provinz Algier) – zu dem Reich des Bocchus zu schlagen und das darum verkleinerte Koenigreich Numidien auf den letzten noch lebenden legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Koerper und Geist schwachen Halbbruder Gauda, zu uebertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf Veranlassung des Marius seine Ansprueche bei dem Senat geltend gemacht hatte 8. Zugleich wurden die gaetulischen Staemme im inneren Afrika als freie Bundesgenossen unter die mit den Roemern in Vertrag stehenden unabhaengigen Nationen aufgenommen. —————————————————————- 8 Sallusts politisches Genregemaelde des jugurthinischen Krieges, in der sonst voellig verblassten und verwaschenen Tradition dieser Epoche das einzige in frischen Farben uebriggebliebene Bild, schliesst mit Jugurthas Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhaengenden Bericht ueber die Behandlung des Numidischen Reiches. Dass Gauda Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr. 79, 4 Bekk.) an und bestaetigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli 630), die ihn Koenig und Vater Hiempsals II. nennt. Dass im Westen die zwischen Numidien einer- und dem roemischen Afrika und Kyrene andererseits bestehenden Grenzverhaeltnisse unveraendert blieben, zeigt Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spaetere Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, dass Bocchus’ Reich bedeutend vergroessert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhaengt, dass Mauretanien, urspruenglich beschraenkt auf die Landschaft von Tingis (Marokko), in spaeterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Haelfte der Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Roemern vergroessert ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann 708 (46) nach Aufloesung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich die Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei der zweiten Vergroesserung hinzugekommen.
————————————————————– Wichtiger als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die politischen Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der Jugurthinischen Insurrektion, obgleich auch diese haeufig zu hoch angeschlagen worden sind. Allerdings waren darin alle Schaeden des Regiments in unverhuellter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloss notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, dass den regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei seiner Abreise von Rom aeusserte, wenn er nur Geld genug haette, mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze aeussere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel teuflischer Erbaermlichkeit. Fuer uns verschiebt der Zufall, dass uns der Krieg in Afrika durch bessere Berichte naeher gerueckt ist als die anderen gleichzeitigen militaerischen und politischen Ereignisse, die richtige Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthuellungen eben nichts, als was jedermann laengst wusste und jeder unerschrockene Patriot laengst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Dass man fuer die nur durch ihre Unfaehigkeit aufgewogene Niedertraechtigkeit der restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch staerkere und noch unwiderleglichere Beweise in die Haende bekam, haette dennoch von Wichtigkeit sein koennen, wenn es eine Opposition und eine oeffentliche Meinung gegeben haette, mit denen die Regierung genoetigt gewesen waere sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die Regierung prostituiert als die vollstaendige Nichtigkeit der Opposition offenbart. Es war nicht moeglich, schlechter zu regieren als die Restauration in den Jahren 637- 645 (117-109) es tat, nicht moeglich, wehrloser und verlorener dazustehen, als der roemische Senat im Jahre 645 (109) stand; haette es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben, das heisst eine Partei, die eine prinzipielle Abaenderung der Verfassung wuenschte und betrieb, so musste diese notwendig jetzt wenigstens einen Versuch machen, den restaurierten Senat zu stuerzen. Er erfolgte nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute in die Verbannung. Damit stand es also fest, dass die sogenannte Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte; dass es in Rom schlechterdings nur zwei moegliche Regierungsformen gab, die Tyrannis und die Oligarchie; dass, solange es zufaellig an einer Persoenlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die aergste Misswirtschaft hoechstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefaehrdete; dass dagegen, sowie ein solcher Praetendent auftrat, nichts leichter war, als die morschen kurulischen Stuehle zu erschuettern. In dieser Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so voellig unmotiviert war. Wenn die Buergerschaft nach Albinus’ Niederlage die Kurie gestuermt haette, es waere begreiflich, um nicht zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Fuehrung, geschweige denn von Gefahr fuer das Gemeinwesen wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen Offizier, das auszufuehren, womit einst der aeltere Africanus der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten militaerischen Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu verschaffen. Die oeffentliche Meinung, nichtig in den Haenden der sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe in der Hand des kuenftigen Koenigs von Rom. Es soll damit nicht gesagt werden, dass Marius beabsichtigte, den Praetendenten zu spielen, am wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, es war augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder, was ungefaehr dasselbe war, wenn jeder populaere Offizier imstande war, in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges neues Element trat in diesen vorlaeufigen Krisen auf; es war das Hineinziehen der militaerischen Maenner und der militaerischen Macht in die politische Revolution. Ob Marius’ Auftreten unmittelbar die Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die Tyrannis zu verdraengen, oder ob dasselbe, wie so manches Aehnliche, als vereinzelter Eingriff in die Praerogative der Regierung ohne weitere Folgen voruebergehen werde, liess sich noch nicht bestimmen; wohl aber war es vorauszusehen, dass, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis zur Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie Gaius Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten Vermoegensqualifikation absah und auch dem aermsten Buerger, wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die Legion gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militaerischen Ruecksichten veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger ein folgenreiches politisches Ereignis, dass das Heer nicht mehr, wie ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der juengsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die Aristokratie herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschraenkt wie im Jahre 620 (134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten sich gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das Schwert aufgegangen.
5. Kapitel
Die Voelker des Nordens
Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die roemische Gemeinde die drei grossen von dem noerdlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen Apenninen und Alpentaelern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens die ganz- oder halbfreien Voelkerschaften fort, der schlaffen roemischen Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der oberflaechlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits der Pyrenaeen, der Alpen und der Balkankette, die grossen Stromgebiete der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich ausserhalb des politischen Gesichtskreises der Roemer. Es ist hier darzustellen, was roemischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu sichern und zu arrondieren und wie zugleich die grossen Voelkermassen, die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, anfingen, an die Tore der noerdlichen Gebirge zu pochen und die griechisch-roemische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, dass sie mit Unrecht meine, die Erde fuer sich allein zu besitzen.
Fassen wir zunaechst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenaeen ins Auge. Die Roemer beherrschten diesen Teil der Kueste des Mittelmeers seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der aeltesten, treuesten und maechtigsten der von Rom abhaengigen bundesgenoessischen Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas), oestlich Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyeres?), Antipolis (Antibes) und Nikaea (Nizza), die Kuestenfahrt wie den Landweg von den Pyrenaeen zu den Alpen sicherten und deren merkantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten ward im Jahre 600 (154) von den Roemern teils auf Ansuchen der Massalioten, teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jaehrlichen Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass um diese Zeit zugleich in dem ganzen von Massalia abhaengigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst aufbluehende Wein- und Oelbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer und Kaufleute untersagt ward ^1. Einen aehnlichen Charakter finanzieller Spekulation traegt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwaeschereien von Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora Baltea) von den Roemern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143) gegen die Salasser gefuehrt ward. Die grosse Ausdehnung dieser Waeschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser fuer ihre Aecker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete Intervention der Roemer hervor; der Krieg, obwohl die Roemer auch ihn wie alle uebrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, fuehrte endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des Goldbezirkes an das roemische Aerar. Einige Jahrzehnte spaeter (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsaechlich wohl, um durch sie den westlichen wie durch Aquileia den oestlichen Alpenpass zu beherrschen. Einen ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629 (125) in dieser Gegend den Oberbefehl uebernahm. Er zuerst betrat die Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche Hegemonie eingebuesst und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte, der effektiv fuehrende Gau in dem Gebiet von den Pyrenaeen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner 2, und es erscheint danach nicht gerade uebertrieben, dass er bis 180000 Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst die Haeduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; waehrend in dem nordoestlichen Gallien die Koenige der Suessionen (um Soissons) den bis nach Britannien hinueber sich erstreckenden Voelkerbund der Belgen unter ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit wussten viel zu erzaehlen von der prachtvollen Hofhaltung des Arvernerkoenigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glaenzenden Clangefolge, den Jaegern mit der gekoppelten Meute und der wandernden Saengerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Staedte seines Reiches fuhr, das Gold mit vollen Haenden auswerfend unter die Menge, vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen erfreuend – die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos. In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen Goldmuenzen dieser Zeit dafuer, dass der Arvernergau zu ungemeinem Reichtum und einer verhaeltnismaessig hoch gesteigerten Zivilisation gediehen war. Flaccus’ Angriff traf indes zunaechst nicht auf die Arverner, sondern auf die kleineren Staemme in dem Gebiet zwischen den Alpen und der Rhone, wo die urspruenglich ligurischen Einwohner mit nachgerueckten keltischen Scharen sich vermischt hatten und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevoelkerung entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glueck gegen die Salyer oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen ihre noerdlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drome), ebenso sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die Allobrogen, einen maechtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der Isere, der auf die Bitte des landfluechtigen Koenigs der Salyer, Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkoenig auszuliefern, drang Calvinus’ Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet ein (632 122). Bis dahin hatte der fuehrende keltische Stamm dem Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkoenig Betuhus, jenes Luerius’ Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen Schutzverhaeltnisses wegen, in dem die oestlichen Gaue zu ihm stehen mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die Roemer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurueckweisung zur Folge hatte, dass er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe erschien; wogegen wieder die Haeduer Partei ergriffen fuer die Roemer. Auch die Roemer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der suedlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluss der Isere in die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die ueber die Herrschaft im suedlichen Gallien entschied. Koenig Betuitus, wie er die zahllosen Haufen der abhaengigen Clans auf der ueber die Rhone geschlagenen Schiffbruecke an sich vorueberziehen und gegen sie die dreimal schwaecheren Roemer sich aufstellen sah, soll ausgerufen haben, dass dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres zu saettigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbruecke unter der Masse der Fluechtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des groessten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen ferner Beistand zu leisten der Arvernerkoenig sich unfaehig erklaerte und denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker genannt, nach Italien zurueckging und die nicht mehr ferne Beendigung des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus ueberliess. Dieser, auf Koenig Betuitus persoenlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlasst habe, sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemaechtigte sich in treuloser Weise der Person des Koenigs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des Treuworts zwar missbilligte, aber nicht bloss den verratenen Mann festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu sein, dass der fast schon beendigte arvernische Krieg noch einmal aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluss der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal hauptsaechlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war in dem Keltenland wiederhergestellt 3. —————————————— ^1 Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen laesst (rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung moeglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfuegung sich nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Mueller; Strab. 4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der Stadt ist bekannt. 2 In der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von Clermont.
3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge fuehren Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestaetigt teils dadurch, dass Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. 7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloss Maximus vor Ahenobarbus triumphierte, sondern auch jener ueber die Allobrogen und den Arvernerkoenig, dieser nur ueber die Arverner. Es ist einleuchtend, dass die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner frueher stattgefunden haben muss als die gegen die Arverner allein.
———————————————— Das Ergebnis dieser militaerischen Operationen war die Einrichtung einer neuen roemischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenaeen. Die saemtlichen Voelkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Roemern abhaengig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon jetzt den Roemern tributaer. In der Landschaft zwischen der Rhone und den Pyrenaeen behielten die Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht den Roemern zinspflichtig; allein sie hatten den suedlichsten Teil ihres mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich suedlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Roemer abzutreten. Da der naechste Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien und Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt fuer die Chaussierung des Kuestenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur Rhone der Kuestenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser Kueste besassen, ueberwiesen mit der Verpflichtung, die Strasse in gehoerigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu den Pyrenaeen die Roemer selbst eine Militaerchaussee anlegten, die von ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Strasse erhielt. Wie gewoehnlich verband mit dem Strassenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im oestlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier entstand eine roemische Ortschaft, die “Baeder des Sextius”, Aquae Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Roemer in Narbo sich an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluss Atax (Aude) in geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekataeos nennt und die schon vor ihrer Besetzung durch die Roemer als lebhafter an dem britannischen Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die Kelten gegruendet, ward als “Marsstadt” roemische Buergerkolonie und der gewoehnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen Keltenprovinz oder, wie sie noch haeufiger genannt wird, der Provinz Narbo. ——————————————————- 4 Aquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab. 4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen 1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten – so ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes roemisches Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft.
——————————————————- Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen veranlasste, wollte offenbar sich hier ein neues und unermessliches Gebiet fuer ihre Kolonisationsplaene eroeffnen, das dieselben Vorzuege darbot wie Sizilien und Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden konnte als die sizilischen und libyschen Aecker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte freilich auch hier sich fuehlbar in der Beschraenkung der Eroberungen und mehr noch der Stadtgruendungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht voellig vereitelt. Das gewonnene Gebiet und mehr noch die Gruendung von Narbo, welcher Ansiedelung der Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte, blieben als unfertige, aber den kuenftigen Nachfolger des Gracchus an die Fortsetzung des Baus mahnende Ansaetze stehen. Offenbar schuetzte die roemische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten. Eine aehnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlaessigt, aber noch unvollkommener als jene geloest. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die Istrische Halbinsel in den Besitz der Roemer; in Epirus und dem ehemaligen Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit frueher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein, und selbst an der Kueste beherrschten sie kaum dem Namen nach den unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen wildverschlungenen, weder von Flusstaelern noch von Kuestenebenen unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten Bergkesseln und in der laengs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als zusammenknuepft. Um die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloss sich hier die Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: waehrend die Nachbarvoelker bereits zu reicher Kulturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine Muenze und teilte den Acker, ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf unter die gemeinsaessigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Voelkerschaften hatten in frueheren Zeiten in einem losen Abhaengigkeitsverhaeltnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den roemischen Expeditionen gegen die Koenigin Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem Regierungsantritt des Koenigs Genthios hatten sie sich losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das suedliche Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von Rom dauernd abhaengig machte. Die Roemer ueberliessen die wenig lockende Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der roemischen Illyrier, namentlich der Daorser, die an der Narenta suedlich von den Dalmatern wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer zu leiden hatten, noetigten die roemische Regierung, an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort zurueckbrachte, dass die Dalmater um die Roemer weder bisher sich gekuemmert haetten noch kuenftig kuemmern wuerden, im Jahre 598 (156) ein Heer unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurueckgedraengt bis auf das roemische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die grosse und feste Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Roemern untertaenig. Indes war die arme und nur oberflaechlich unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnuegte sich, wie man es schon fuer die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre 608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordoestliche Grenze noerdlich von Skodra festgestellt worden war 5. ———————————————— 5 3, 49. Die Pirusten in den Taelern des Drin gehoerten zur Provinz Makedonien, streiften aber hinueber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1).
———————————————— Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhaengige Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Voelkern im Nordosten groessere Bedeutung, indem sie den Roemern die Verpflichtung auferlegte, die ueberall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen Staemme zu verteidigen; und in aehnlicher Weise ging nicht lange darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden gehoerigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von Gallipoli) die bisher den Koenigen von Pergamon obliegende Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schuetzen, gleichfalls auf die Roemer ueber. Von der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die makedonische Landschaft darboten, konnten die Roemer jetzt ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und der noerdlichen Gebirge wenigstens insoweit sich bemaechtigen, als die Sicherheit der suedlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die maechtigste Nation das grosse Keltenvolk, welches der einheimischen Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit suedlich der Hauptalpenkette in das Potal und noerdlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Von ihren Staemmen sassen auf beiden Ufern des Oberrheins die maechtigen, reichen und, da sie mit den Roemern nirgends sich unmittelbar beruehrten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom Genfer See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Bayern und Boehmen gewesen sein moegen 6. Suedoestlich von ihnen begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in der Steiermark und Kaernten unter dem Namen der Taurisker, spaeter der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit noerdlich von Klagenfurt) war bluehend und weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, bis die Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen Zeit fuer sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich ergiessenden keltischen Schwaerme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und Huegelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Haenden der frueher dort einheimischen Bevoelkerung geblieben, welche, ohne dass ueber ihre Nationalitaet bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen waere, unter dem Namen der Raeter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so dass an diesem letzten Punkt die beiden grossen Keltenstroeme fast sich beruehren und nur ein schmaler Streif eingeborener Bevoelkerung die keltischen Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter waren laengst friedliche Untertanen der Roemer; dagegen die eigentlichen Alpenvoelker waren nicht bloss noch frei, sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmaessig Streifzuege in die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnuegten zu brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit fuerchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze maennliche Bevoelkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten – vermutlich die tatsaechliche Antwort auf die roemischen Razzias in den Alpentaelern. Wie gefaehrlich diese raetischen Einfaelle waren, zeigt, dass einer derselben um das Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen Staemme vielfach sich gemischt haben moegen, so ist die Voelkermengung, wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren, die hohen Gebirge als natuerliche Scheidewaende dienen. Die urspruenglich illyrische Bevoelkerung, deren letzter reiner Ueberrest die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgaengig wenigstens im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl ueberall eingefuehrt. Zunaechst an die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng sassen, ein urspruenglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm. An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor allem maechtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den Keltenzuegen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die fuehrende Nation, die weit und breit nach Moesien, Thrakien und Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten man sich schreckliche Dinge erzaehlte. Ihr Hauptwaffenplatz war das feste Segestica oder Siscia an der Muendung der Kulpa in die Save. Die Voelker, die damals in Ungarn, Siebenbuergen, Rumaenien, Bulgarien sassen, blieben fuer jetzt noch ausserhalb des Gesichtskreises der Roemer; nur mit den Thrakern beruehrte man sich an der Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen. ——————————————- 6 “Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier”, sagt Tacitus (Germ. 28), “weiterhin die Boier.” Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, dass die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Boehmerwald. Wenn Caesar sie “jenseits des Rheines” versetzt (Gall. 1, 5), so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhaeltnissen ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft nordoestlich vom Bodensee meinen; womit vollkommen uebereinstimmt, dass Strabon die ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur dass er nicht ganz genau als Anwohner des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geraeumt hatten. Aus diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Staemmen schon vor Poseidonios’ Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kaernten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die sogenannte “boische Einoede”, den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Voelker bewahrte. Vgl. 2, 193 A. —————————————— Es waere fuer eine kraeftigere Regierung, als die damalige roemische es war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den Auspizien der Restaurationsregierung fuer den wichtigen Zweck geschah, genuegt auch den maessigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118) ward triumphiert ueber die Stoener, die in den Bergen oberhalb Verona gesessen haben duerften; im Jahre 659 (95) liess der Konsul Lucius Crassus die Alpentaeler weit und breit durchstoebern und die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den Siegerlorbeer paaren zu koennen. Allein da man es bei derartigen Razzias bewenden liess, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne sie unschaedlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen Ueberlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war.
Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die Nachbarn bekuemmert zu haben; kaum dass im Jahre 651 (103) Gefechte mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Maedern in den Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwaehnt werden. Ernstlichere Kaempfe fanden statt im illyrischen Land, wo ueber die unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der Adriatischen See bestaendig Beschwerde gefuehrt ward; und an der voellig offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck eines Roemers so weit ging als die roemischen Schwerter und Speere reichten, ruhten die Kaempfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619 (135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyaeer oder Vardaeer und die Pleraeer oder Paralier, eine dalmatische Voelkerschaft in dem Litoral noerdlich der Narentamuendung, die nicht aufhoerte, auf dem Meer und an der gegenueberliegenden Kueste Unfug zu treiben; auf Geheiss der Roemer siedelten sie von der Kueste weg im Binnenland, der heutigen Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkuemmerten aber in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die vermutlich mit den angegriffenen Kuestenbewohnern gemeinschaftliche Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demuetigte der Konsul Tuditanus in Verbindung mit dem tuechtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfaenglich eine Niederlage erlitten, schliesslich die roemischen Waffen tief nach Dalmatien hinein bis an den Kerkafluss, 25 deutsche Meilen abwaerts von Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre spaeter (635 119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den Skordiskern. Waehrend gegen diese der Konsul Lucius Cotta kaempfte und dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater sein Kollege, der aeltere Bruder des Besiegten von Numidien, Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, ueberwand sie und ueberwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz der Roemer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee faellt, die von Salona in oestlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da weiter landeinwaerts fuehrte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker 7; er ueberstieg, der erste unter den Roemern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten Senkung zwischen Triest und Laibach und schloss mit den Tauriskern Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward, ohne dass doch die Roemer, wie eine foermliche Unterwerfung dies nach sich gezogen haben wuerde, in die Voelkerbewegungen nordwaerts der Alpen hineingezogen worden waeren.
———————————————————————- 7 Galli Karni heissen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn so ist statt des ueberlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei Victor. ———————————————————————– Von den fast verschollenen Kaempfen mit den Skordiskern ist durch einen kuerzlich in der Naehe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos (unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quaestor Marcus Annius mit seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermassen Herr geworden war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem Koenig der Maeder (am oberen Strymon) Tipas in noch groesseren Massen abermals ein, und mit Muehe erwehrten sich die Roemer der andringenden Barbaren 8. Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, dass es noetig wurde, konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre darauf wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern ueberfallen und sein Heer vollstaendig aufgerieben, waehrend er selbst mit wenigen schimpflich entfloh; muehsam schirmte der Praetor Marcus Didius die roemische Grenze. Gluecklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642 113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste roemische Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647 110-107), der die Waffen laengs der Morawa ^10 trug und die Skordisker nachdruecklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher, im Bunde wieder mit den Maedern und den Dardanern, in das roemische Gebiet und pluenderten sogar das delphische Heiligtum; erst da machte Lucius Scipio dem zweiunddreissigjaehrigen Skordiskerkrieg ein Ende und trieb den Rest hinueber auf das linke Ufer der Donau ^11. Seitdem beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die erste Rolle zu spielen. ———————————————— 8 Der Quaestor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete (Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist sonst nicht bekannt; der Praetor Sex. Pompeius, dessen Fall darin erwaehnt wird, kann kein anderer sein als der Grossvater des Pompeius, mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde werden bezeichnet als Galat/o/n ethnos. Es wird hervorgehoben, dass Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterliess, ihre Kontingente aufzubieten und mit den roemischen Truppen allein die Barbaren zuruecktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine faktisch stehende roemische Besatzung erfordert.
9 Ist Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen (CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S. 167), so muss auch er dort einen Misserfolg erlitten haben, da Cicero (Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die fuer diese Epoche vollstaendige Triumphalliste kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106). ^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von Minucius besiegte Voelkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein Fehler von Florus sein, dass er statt des Margos (Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt. ^11 Von dieser Vernichtung der Skordisker, waehrend die Maeder und Dardaner zum Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schliessliche Ueberwaeltigung im 32. Jahr apo t/e/s pr/o/t/e/s eis Kelto?s peiras stattgefunden hat, so scheint dies von einem zweiunddreissigjaehrigen Krieg zwischen den Roemern und den Skordiskern verstanden werden zu muessen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) faellt und von dem die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. Dass die Ueberwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Buergerkriege, also wohl spaetestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzaehlung hervor. Sie faellt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis vollstaendig; indes ist es moeglich, dass es aus irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 (83), da dieser infolge der cinnanisch- marianischen Wirren fueglich verspaetet zum Konsulat gelangt sein kann. ————————————————- Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten. Schon seit laengerer Zeit irrte ein “unstetes Volk” an dem noerdlichen Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heisst die Chempho, die Kaempen oder, wie ihre Feinde uebersetzten, die Raeuber, welche Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stiessen unter den Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Boehmen. Genaueres ueber die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die Zeitgenossen aufzuzeichnen versaeumt ^12 und kann auch durch keine Mutmassung ergaenzt werden, da die derzeitigen Zustaende noerdlich von Boehmen und dem Main und oestlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich vollstaendig entziehen. Dagegen dafuer, dass die Kimbrer und nicht minder der ihnen spaeter sich anschliessende gleichartige Schwarm der Teutonen ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehoeren, der die Roemer sie anfaenglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger Staemme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurueckgebliebener Reste, der Kimbrer im heutigen Daenemark, der Teutonen im nordoestlichen Deutschland in der Naehe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des Grossen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen Voelkertafel unter den Ingaevonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars, der zuerst die Roemer den Unterschied der Deutschen und der Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen gesehen haben muss, den Deutschen beizaehlt; endlich die Voelkernamen selbst und die Angaben ueber ihre Koerperbildung und ihr sonstiges Wesen, die zwar auf die Nordlaender ueberhaupt, aber doch vorwiegend auf die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, dass ein solcher Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und auf seinen Zuegen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden Waffenbruder, der sich anschloss, willkommen geheissen hatte, eine Menge keltischer Elemente in sich schloss; so dass es nicht befremdet, wenn Maenner keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder wenn die Roemer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Roemer noch nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht ein “heiliger Lenz” in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog, eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der ueberall bei den noch nicht voellig sesshaft gewordenen Voelkern des Nordens eine andere Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den Kelten durchgaengig ins Lager mitgefuehrt ward, war hier gleichsam das Haus, wo unter dem uebergespannten Lederdach neben dem Geraet Platz sich fand fuer die Frau und die Kinder und selbst fuer den Haushund. Die Suedlaender sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen Frauen, die den Maennern an Groesse und Staerke wenig nachgaben, die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die flachskoepfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die italischen, barhaeuptig und bloss mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit kupfernen, oft reichgeschmueckten Helmen und mit einer eigentuemlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das grosse Schwert geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Roemer in dieser Waffe ihnen ueberlegen. Die Schlachtordnung war wie frueher eine rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied in gefaehrlichen Gefechten nicht selten die metallenen Leibguertel mit Stricken zusammenknuepfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward haeufig roh verschlungen. Heerkoenig war der tapferste und womoeglich der laengste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und ueberhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten Verhoehnungen des Feindes durch unschickliche Gebaerden und ein entsetzliches Gelaerm, indem die Maenner ihr Schlachtgebruell erhoben und die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer – galt ihm doch der Tod auf dem Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes wuerdig war -, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste Bestialitaet und verhiess auch wohl im voraus den Schlachtgoettern, darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben wuerde. Dann wurden die Geraete zerschlagen, die Pferde getoetet, die Gefangenen aufgeknuepft oder nur aufbehalten, um den Goettern geopfert zu werden. Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weissen linnenen Gewaendern und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein ungeheures Knaeuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern deutscher Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten aehnlich belastet und aehnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein uebers Meer fahren; ihre schwerfaellige Wagenburg mit der Gewandtheit, die ein langes Wanderleben gibt, hinueberfuehrend ueber Stroeme und Gebirge, gefaehrlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch vordringend, bald ploetzlich stockend oder seitwaerts und rueckwaerts sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten haette, das wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man spaeter anfing, die Kette zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den Kreis der antiken Zivilisation beruehrt hat, ein Glied ist, war die unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.
—————————————————— ^12 Denn der Bericht, dass an den Kuesten der Nordsee durch Sturmfluten