Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige Verbindung von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward nur gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens auch im Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide Schafe aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet; haeufig indes zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen grossen Herdenbesitzer in Pacht zu geben oder auch seine Schafherde einem Teilpaechter gegen Ablieferung einer bestimmten Anzahl von Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und Milch zu ueberlassen. Schweine – Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn Staelle -, Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und ein Fischkasten eingerichtet – die bescheidenen Anfaenge der spaeter so unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung.
—————————————————– ^4 Dass zwischen den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern hoechstens leicht im Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl. 137) hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besaet (Colum. 2, 9, 6). Nur wo der Wein an lebendigen Baeumen gezogen wird, baut man auch zwischen diesen Getreide.
—————————————————– Die Feldarbeit ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, die besonders zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt wurden; auch ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd gehalten. Man zog diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgaengig waren wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100 Morgen rechnet Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein juengerer Landwirt Saserna auf 200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos Anschlag fuer das kleinere Grundstueck drei, fuer das groessere vier erfordert.
Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft. An der Spitze der Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der Wirtschafter (vilicus, von villa), der einnimmt und ausgibt, kauft und verkauft, die Instruktionen des Herrn entgegennimmt und in dessen Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm stehen die Wirtschafterin (vilica), die Haus, Kueche und Speisekammer, Huehnerhof und Taubenschlag besorgt; eine Anzahl Pflueger (bubulci) und gemeiner Knechte, ein Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde gab, ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natuerlich je nach der Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne Baumpflanzungen werden zwei Pflueger und sechs Knechte, auf ein gleiches mit Baumpflanzungen zwei Pflueger und neun Knechte, auf ein Gut von 240 Morgen mit Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte und drei Hirten gerechnet. Fuer den Weinberg brauchte man natuerlich mehr Arbeitskraefte: auf ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen kommen ein Pflueger, elf Knechte und zwei Hirten. Der Wirtschafter stand natuerlich freier als die uebrigen Knechte; die Magonischen Buecher rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu gestatten, und Cato, ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird auch Aussicht gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die Freiheit zu erlangen. Im uebrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen Hausstand. Die Knechte wurden eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen, sondern in arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch wohl, wenn sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden waren, mit anderem Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das Wirtschaftsgebaeude (villa rustica) war zugleich Stallung fuer das Vieh, Speicher fuer die Fruechte und Wohnung des Wirtschafters wie der Knechte; wogegen fuer den Herrn haeufig auf dem Gut ein abgesondertes Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder Sklave, auch der Wirtschafter selbst, erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung des Herrn in gewissen Fristen nach festen Saetzen geliefert, womit er dann auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft wurden und von denen die Empfaenger nur die Instandhaltung selber beschafften; so monatlich eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu mahlen hatte, ferner Salz, Zukost – Oliven oder Salzfisch -, Wein und Oel. Die Quantitaet richtete sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel der Wirtschafter, der leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes Mass als diese empfing. Alles Backen und Kochen besorgte die Wirtschafterin und alle assen gemeinschaftlich dieselbe Kost. Es war nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt hatte oder einen Entweichungsversuch befuerchten liess, ward angeschlossen auf die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6. Regelmaessig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich von selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer dem andern aus. Fremde Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht verwandt, ausser in besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft fand, den Sklavenstand zu beschraenken und dafuer gemietete Leute zu verwenden, und zur Einbringung der Ernte, fuer welche die stehenden Arbeitskraefte nirgend genuegten. Bei der Korn- und Heuernte nahm man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt von ihrem Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch droschen, das fuenfte Korn empfingen – so zum Beispiel gingen jaehrlich umbrische Arbeiter in grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel einem Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften, gedungene Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht einiger vom Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen besorgte und den Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig verkaufte auch der Gutsbesitzer die Ernte auf dem Stock oder Zweig und liess den Kaeufer die Einbringung besorgen.
——————————————— ^5 Mago oder sein Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die Sklaven nicht zu zuechten, sondern nicht juenger als zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; und ein aehnliches Verfahren muss auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es nicht geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato (agr. 2) ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1, 8) beschreibt, wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der Arbeit befreit, die Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen werden, ist wohl mehr eine selbstaendige Spekulation als ein Teil des regelmaessigen Gutsbetriebes, aehnlich wie das von Cato selbst betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung und zum Wiederverkauf aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst erwaehnte charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche Dienerschaft (familia urbana).
^6 In dieser Beschraenkung ist die Fesselung der Sklaven und selbst der Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26) uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei Cato die gefesselten Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen koennen, statt des Kornes Brot verabreicht werden muss (56). Sogar in der Kaiserzeit tritt die Fesselung der Sklaven durchgaengig noch auf als eine definitiv von dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung (Colum. 1, 8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die Bestellung der Felder durch gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als eigenes Wirtschaftssystem vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), ein Kellergeschoss mit vielen aber schmalen und nicht vom Boden aus mit der Hand zu erreichenden Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein notwendiges Stueck des Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich dies dadurch, dass die Lage der Gutssklaven haerter war als die der uebrigen Knechte und darum vorwiegend diejenigen Sklaven dazu genommen wurden, welche sich vergangen hatten oder zu haben schienen. Dass grausame Herren uebrigens auch ohne jeden Anlass die Fesselung eintreten liessen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch klar darin angedeutet, dass die Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven treffenden Nachteile nicht ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber Gefesselten verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie sollte eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde gezeichnet (Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht. Berlin 1856, S. XXXI). ^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht ausdruecklich wohl aber Varro (rust. 1, 17), und es liegt auch in der Sache. Es waere oekonomisch fehlerhaft gewesen, den Stand der Gutssklavenschaft nach dem Mass der Erntearbeiten einzurichten, und am wenigsten wuerde man, wenn es dennoch geschehen waere, die Trauben auf dem Stock verkauft haben, was doch haeufig vorkam (Cato agr. 147). ————————————————— Die ganze Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Ruecksichtslosigkeit der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter Kettenhund, heisst es bei einem roemischen Landwirt, muss nicht zu freundlich gegen seine “Mitsklaven” sein. Man naehrt gehoerig den Knecht wie den Stier, solange sie arbeiten koennen, weil es nicht wirtschaftlich waere, sie hungern zu lassen; und man verkauft sie wie die abgaengige Pflugschar, wenn sie arbeitsunfaehig geworden sind, weil es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, sie laenger zu behalten. In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch hier mildernd eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen Fest- und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender fuer den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschaerften und der Sache nach umgingen, naemlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings ruhen zu lassen, aber mit anderen nicht ausdruecklich verpoenten Arbeiten auch an diesen Tagen die Sklavenschaft rastlos zu beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr keinerlei freie Regung gestattet – der Sklave, lautet einer von Catos Wahrspruechen, muss entweder arbeiten oder schlafen -, und durch menschliche Beziehungen die Knechte an das Gut oder an den Herrn zu knuepfen, ward nicht einmal versucht. Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhuellter Scheusslichkeit, und man machte sich keine Illusionen ueber die Folgen. “Soviel Sklaven, soviel Feinde”, sagt ein roemisches Sprichwort. Es war ein oekonomischer Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu unterdruecken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles und nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago, davor, Sklaven gleicher Nationalitaet zusammenzubringen, um nicht landsmannschaftliche Verbindungen und vielleicht Komplotte herbeizufuehren. Es ward, wie schon gesagt, die Sklavenschaft von den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die roemische Gemeinde die Untertanenschaften regierte in den “Landguetern des roemischen Volkes”, den Provinzen; und die Welt hat es empfunden, dass der herrschende Staat sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem entwickelte. Wenn man uebrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Hoehe des Denkens emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das darin steckende Kapital, so kann man der roemischen Gutswirtschaft das Lob der Folgerichtigkeit, Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und Soliditaet nicht versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt sich in der Catonischen Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, der zuerst im Hofe auf und zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich ist wie gegen seine Leute und vor allem die Wirtschafterin in Respekt zu halten weiss, aber auch die Arbeiter und das Vieh, insbesondere den Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder Arbeit mit anfasst, aber sich nie wie ein Knecht muede arbeitet, der stets zu Hause ist, nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert und als rechter Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den Menschen dem Herrn anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben bescheiden begegnet und den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu wenig und ohne zu viel zu denken, getreulich und einfach nachlebt. Der ist ein schlechter Landmann, heisst es anderswo, der das kauft, was er auf seinem Gute erzeugen kann; ein schlechter Hausvater, welcher bei Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen laesst, es sei denn, dass das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, welcher am Werkeltag tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste von allen aber der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten laesst. Auch die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl sind es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist zum Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also zuvor Reben und Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in allzu frueher Jugend ein Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft freilich eigen und anstatt der rationellen Ermittlung der Ursachen und Wirkungen treten durchgaengig die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; doch ist man sichtbar bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische Produkte anzueignen, wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten griechische, afrikanische und spanische erscheinen. ———————————————- ^8 Columella (2, 12, 9) rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und Feiertage; und damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. 14) die Zahl der heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der christlichen Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die Rastzeit des Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella auf dreissig Tage anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel durchgaengig das wandelbare “Saatfest” (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast. 1, 661). Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und sonst) und Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden.
———————————————- Die Bauernwirtschaft war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur verschieden durch den kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und seine Kinder arbeiteten hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand zog sich zusammen, und wo das Gut nicht laenger die Kosten des Pfluges und seiner Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke ein. Oel- und Weinbau traten zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe Roms oder eines anderen groesseren Absatzplatzes bestanden auch sorgfaeltig berieselte Blumen- und Gemuesegaerten, aehnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und gaben sehr reichlichen Ertrag.
Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr ins Grosse getrieben als der Feldbau. Das Weidelandgut (saltus) musste auf jeden Fall betraechtlich mehr Flaechenraum haben als das Ackergut – man rechnete mindestens 800 Morgen – und konnte mit Vorteil fuer das Geschaeft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den klimatischen Verhaeltnissen Italiens ergaenzen sich daselbst gegenseitig die Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon in jener Zeit wurden, eben wie jetzt noch und grossenteils wohl auf denselben Pfaden, die Herden im Fruehjahr von Apulien nach Samnium und im Herbst wieder zurueck von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide indes fand, wie schon bemerkt ist, nicht durchaus auf besonderem Weideland statt, sondern war zum Teil Stoppelweide. Man zog Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsaechlich um den Gutsbesitzern, Frachtfuehrern, Soldaten und so weiter die benoetigten Tiere zu liefern; auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger aber und weit hoeher entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens von Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft und war im ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister (magister pecoris) an die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer ueber kamen die Hirtensklaven meistenteils nicht unter Dach, sondern hausten, oft meilenweit von menschlichen Wohnungen entfernt, unter Schuppen und Huerden; es lag also in den Verhaeltnissen, dass man die kraeftigsten Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und Waffen gab und ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei der Gutsmannschaft geschah.
Um die oekonomischen Resultate dieser Bodenwirtschaft einigermassen zu wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse und namentlich die Kornpreise dieser Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich sind dieselben zum Erschrecken gering, und zum guten Teil durch Schuld der roemischen Regierung, welche in dieser wichtigen Frage, nicht so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine unverzeihliche Beguenstigung des hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt worden ist. Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des ueberseeischen und des italischen Korns. Das Getreide, das von den Provinzialen teils unentgeltlich, teils gegen eine maessige Verguetigung der roemischen Regierung geliefert ward, wurde von dieser teils an Ort und Stelle zur Verpflegung des roemischen Beamtenpersonals und der roemischen Heere verwandt, teils an die Zehntpaechter in der Art abgetreten, dass diese dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder auch es uebernahmen, gewisse Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es sonst erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen Kriege wurden die roemischen Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne unterhalten, und wenn dies auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil gereichte, so verschloss sich doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer den italischen Landmann. Indes dies war das geringste. Der Regierung, welche laengst wie billig auf die Kornpreise ein wachsames Auge gehabt hatte und bei drohenden Teuerungen durch rechtzeitigen Einkauf im Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die Kornlieferungen der Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und wahrscheinlich groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende fuehrten, und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu erwerben, mit solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu ueberfuehren und dasselbe zu Saetzen abzugeben, die entweder an sich oder doch verglichen mit den italischen Schleuderpreise waren. Schon in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es scheint, zunaechst auf Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische Scheffel (sechs Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen an die Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8´ Groschen) abgegeben; einige Jahre nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides zu dem letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst eiferte Cato gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie mischte sich hinein, und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr haeufigen Austeilungen von Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung oder einzelne Beamte, sind der Keim der spaeteren Getreidegesetze geworden. Aber auch wenn das ueberseeische Korn nicht auf diesem ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte, drueckte es auf den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die Getreidemassen, die der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne Zweifel in der Regel von diesen so billig erworben, dass sie beim Wiederverkauf unter dem Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich war auch in den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge der guenstigen Bodenverhaeltnisse, teils der ausgedehnten Gross- und Sklavenwirtschaft nach karthagischem System der Produktionspreis ueberhaupt betraechtlich niedriger als in Italien, der Transport aber des sizilischen und sardinischen Getreides nach Latium wenigstens ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport dahin aus Etrurien, Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im natuerlichen Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel stroemen und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen durch die leidige Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen Verhaeltnissen waere es vielleicht gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen Getreides auf das ueberseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es scheint vielmehr das Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des ueberseeischen Korns nach Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem in Anwendung gebracht zu sein – denn wenn die Ausfuhr einer Quantitaet Getreide aus Sizilien den Rhodiern als besondere Verguenstigung gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die Kornausfuhr aus den Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das ueberseeische Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr ausserordentlicher Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt fuer 6 roemische Modii (= 1 preuss. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4 Groschen) zahlte und zu demselben Preise 180 roemische Pfund (zu 22 Lot preussisch) trockene Feigen, 60 Pfund Oel, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii (= 17 preuss. Quart) Wein verkauft wurden, kommt freilich eben seiner Ausserordentlichkeit wegen wenig in Betracht; aber bestimmter sprechen andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heisst Sizilien die Kornkammer Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen Haefen das sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und Lombardei zahlte man zu Polybios’ Zeit fuer Kost und Nachtquartier im Wirtshaus durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der preussische Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3´ Groschen). Der letztere Durchschnittspreis, etwa der zwoelfte Teil des sonstigen Normalpreises ^9, zeigt mit unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es der italischen Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und infolgedessen das Korn wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet war. —————————————— ^9 Als hauptstaedtischer Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer das siebente und achte Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer den roemischen Modius oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel Weizen, wofuer heutzutage (nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt wird. Ob diese nicht sehr bedeutende Differenz der roemischen und der heutigen Preise auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des Silberwertes beruht, laesst sich schwerlich entscheiden.
Uebrigens duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der spaeteren Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, als dies heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angefuehrten von 4 und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen der aergsten Kriegsteuerung und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege der preussische Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9, 44), im Buergerkriege auf 198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92; 214), in der grossen Teuerung unter Augustus gar auf 218 Groschen (5 Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 Scal.) stieg, so ist der Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig belehrend und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen auch heute noch sich wiederholen.
——————————————— In einem grossen Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht zu ernaehren vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder doch nicht unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land wie Italien, wo die Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache war, ward auf diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der wesentlich unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, der freilich das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die schmaehlichste Weise geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich wie hier zutage, wie schlecht die Verfassung und wie unfaehig die Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik war. Das duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu ernstlichen Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels gefuehrt; aber in jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles andere eher sich geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede Regierung, die diesen Namen verdiente, wuerde von selber eingeschritten sein; aber die Masse des roemischen Senats mag in gutem Koehlerglauben in den niedrigen Kornpreisen das wahre Glueck des Volkes gesehen haben, und die Scipionen und Flaminine hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die Griechen zu emanzipieren und die republikanische Koenigskontrolle zu besorgen – so trieb das Schiff ungehindert in die Brandung hinein.
Seit der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmaehlich auch aus ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen Staenden, die sittliche Haltung und sparsame Wirtschaft der frueheren republikanischen Zeit entwich. Es war nur noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen Bauernhufen durch Aufkaufen und Niederlegen in den groesseren Grundbesitz aufgehen wuerden. Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer imstande, sich zu behaupten. Derselbe produzierte an sich schon billiger als jener, wenn er sein Land nicht nach dem aelteren System an kleinere Zeitpaechter abgab, sondern es nach dem neueren durch seine Knechte bewirtschaften liess; wo dies also nicht schon frueher geschehen war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven ohne Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner sich eher durch Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den Konkurrenten gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren Bodenrente sich begnuegen als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz mangelten und der nur eben hatte, was er brauchte, um zu leben. Hierauf beruht in der roemischen Gutswirtschaft das Zuruecktreten des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der fuer das Arbeiterpersonal erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben scheint ^10, und die Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der Viehzucht. Diese hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens die auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein Getreide nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit Schweinen und Schinken. Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die oekonomischen Resultate der roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird. Es ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden, dass das in Grundstuecken angelegte Kapital mit sechs Prozent sich gut zu verzinsen schien; was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren durchschnittlichen Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im ganzen bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die Olivenpflanzung, am wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird die Betreibung einer jeden Wirtschaftsgattung unter den ihr angemessenen Verhaeltnissen und auf ihrem naturgemaessen Boden vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse reichten an sich schon aus, um allmaehlich an die Stelle der Bauernwirtschaft ueberall die Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem Wege der Gesetzgebung ihnen entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war es, dass man durch das spaeter noch zu erwaehnende Claudische Gesetz (kurz vor 536 218) die senatorischen Haeuser von der Spekulation ausschloss und dadurch deren ungeheure Kapitalien kuenstlich zwang, vorzugsweise in Grund und Boden sich anzulegen, das heisst die alten Bauernstellen durch Meierhoefe und Viehweiden zu ersetzen. Es kamen ferner der dem Staat weit nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem Gutsbetrieb, noch besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie als die einzige Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb im grossen erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem Kapitalistensinn dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht die dauernde Anwesenheit des Herrn auf dem Gut, aber doch sein haeufiges Erscheinen daselbst und gestattete die Erweiterung der Gueter nicht wohl und die Vervielfaeltigung des Besitzes nur in beschraenkten Grenzen; wogegen das Weidegut sich unbegrenzt ausdehnen liess und den Eigentuemer wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde fing man schon an, gutes Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu verwandeln – was die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, vielleicht um diese Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu kamen die Folgen der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden nicht bloss, da regelmaessig in groesseren Stuecken okkupiert ward, ausschliesslich grosse Gueter, sondern es scheuten sich auch die Besitzer, in diesen auf beliebigen Widerruf stehenden und rechtlich immer unsicheren Besitz bedeutende Bestellungskosten zu stecken, namentlich Reben und Oelbaeume zu pflanzen; wovon denn die Folge war, dass man diese Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte.
————————————————- ^10 Darum nennt Cato die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg Olivenpflanzung (olivetum) und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloss Wein und Oel, sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Waeren freilich die 800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird, sich mit Faessern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so muessten alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von 8 culei fuer den Morgen schon ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3); allein Varro (rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, dass der Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun zu muessen, bevor die alte verkauft ist. ^11 Dass der roemische Landwirt von seinem Kapital durchschnittlich sechs Prozent machte, laesst Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen genaueren Anschlag fuer Kosten und Ertrag haben wir nur fuer den Weinberg, wofuer Columella auf den Morgen folgende Kostenberechnung aufstellt: Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen Kaufpreis der Arbeitssklaven
auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen Verlorene Zinsen waehrend
der ersten zwei Jahre 497 Sesterzen Zusammen 4640 Sesterzen = 336 Taler.
Den Ertrag berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen (65 Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen wuerde. Indes ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Missernten abgesehen, die Kosten der Einbringung und die fuer Instandhaltung der Reben, Pfaehle und Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind. Den Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf weniger als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von 25 roemischen Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem hauptstaedtischen Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr als 100 Sesterzen Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der Preis noch niedriger gestanden haben muss. Varro (3, 2) rechnet als gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines groesseren Gutes 150 Sesterzen vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind hierfuer nicht ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger Kosten machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst. Alle diese Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach Catos Tod. Von ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich Viehwirtschaft besser rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl. 2, 16, 2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natuerlich nicht heissen soll, dass es ueberall raetlich ist, Ackerland in Weide zu verwandeln, sondern relativ zu verstehen ist dahin, dass das fuer die Herdenwirtschaft auf Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte Kapital, verglichen mit dem in die Feldwirtschaft auf geeignetem Kornland gesteckten, hoehere Zinsen trage. Vielleicht ist dabei auch noch darauf Ruecksicht genommen, dass die mangelnde Taetigkeit und Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig wirkt als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermassen in absteigender Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der infolge der Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. Wiese zur Heugewinnung; 6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9. Eichenwald zur Viehfuetterung – welche neun Bestandteile in dem Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter saemtlich wiederkehren.
Von dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt auch, dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von dem Wein den Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins empfaengt. ———————————————– Von der roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine zusammenfassende Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus dem roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre Natur selbst, die bei weitem mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung. Was sich ermitteln laesst, gehoert seinen Grundzuegen nach vielleicht weniger noch als die Bodenwirtschaft den Roemern eigentuemlich an, sondern ist vielmehr Gemeingut der gesamten antiken Zivilisation, deren Grosswirtschaft begreiflicherweise eben wie die heutige ueberall zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das kaufmaennische Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von den Roemern nur aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe der Durchfuehrung und die Weite des Massstabes eben hier so eigentuemlich roemisch, dass der Geist der roemischen Oekonomie und ihre Grossartigkeit im Guten wie im Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart. Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den Roemern eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen Geldverleihers (fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers (argentarius). Das Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der Uebergang der groesseren Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten auf den vermittelnden Bankier, der fuer seine Kunden Zahlung empfaengt und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und im In- und Ausland ihre Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen Zeit vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die kleinen Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und Klientelstaaten sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing schon im ganzen Umfange des Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu werden. Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise. Das System der mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den ganzen roemischen Verkehr. Der Staat ging voran, indem er all seine komplizierteren Hebungen, alle Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen eine feste zu empfangende oder zu zahlende Summe an Kapitalisten oder Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch Private gaben durchgaengig in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: die Bauten und die Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der Erbschafts- und der Konkursmasse, wobei der Unternehmer – gewoehnlich ein Bankier – die saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die Passiva vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und nach Umstaenden noch daraufzuzahlen.
Welche hervorragende Rolle in der roemischen Volkswirtschaft der ueberseeische Handel bereits frueh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem weiteren Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende Bedeutung der italischen Hafenzoelle in der roemischen Finanzwirtschaft. Ausser den keiner weiteren Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen, durch die die Bedeutung des ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe noch kuenstlich gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die herrschende italische Nation in den Provinzen einnahm, und durch die wohl jetzt schon in vielen Klientelstaaten den Roemern und Latinern vertragsmaessig zustehende Zollfreiheit.
Dagegen blieb die Industrie verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke waren freilich unentbehrlich, und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass sie bis zu einem gewissen Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an Pfluegen, Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem starken Verbrauch von Wollstoffen die Ausdehnung und Eintraeglichkeit der Tuchfabrikation nicht bezweifelt werden ^12. Doch zeigen sich keine Versuche, die gewerbsmaessige Industrie, wie sie in Aegypten und Syrien bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur sie im Auslande mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde auch in Italien Flachs gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere Industrie gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall ueberwog hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und milesischem oder tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation. —————————————————————– ^12 Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich schon aus der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen Komoedie spielen. Die Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei Plut. Cato mai. 21). —————————————————————– Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst den Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge dieser spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden Spekulation fallen, namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon in diese Zeit; zumal da die den Sikelioten auferlegten Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt waren, doch wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die Haende zu geben.
Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen Zweigen erfolgte durchgaengig durch Sklaven. Der Geldverleiher und der Bankier richteten, soweit ihr Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und Zweigbanken unter Direktion ihrer Sklaven und Freigelassenen ein. Die Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle gepachtet hatte, stellte fuer das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich ihre Sklaven und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte oder erzog sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum Fechthandwerk abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine Waren auf eigenen Schiffen unter der Fuehrung von Sklaven oder Freigelassenen kommen und vertrieb sie wieder in derselben Weise im Gross- oder Kleinverkehr. Dass der Betrieb der Bergwerke und der Fabriken lediglich durch Sklaven erfolgte, braucht danach kaum gesagt zu werden. Die Lage dieser Sklaven war freilich auch nicht beneidenswert und durchgaengig unguenstiger als die der griechischen; dennoch befanden, wenn von den letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven sich im ganzen ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie hatten haeufiger Familie und faktisch selbstaendige Wirtschaft und die Moeglichkeit, Freiheit und eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der Emporkoemmlinge aus dem Sklavenstand, welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster in die Reihen der roemischen Buerger und nicht selten zu grossem Wohlstand gelangten und sittlich, oekonomisch und politisch wenigstens ebensoviel wie die Sklaven selbst zum Ruin des roemischen Gemeinwesens beigetragen haben. Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der gleichzeitigen politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und in seiner Art nicht minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von der Lebendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht nur die Literatur, namentlich die Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen, in denen der phoenikische Handelsmann phoenikisch redend auf die Buehne gebracht wird und der Dialog von griechischen und halbgriechischen Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst sich die Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt voellig Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen Muenzstaetten, zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge der roemischen Eroberung geschlossen oder doch auf Kleinmuenze beschraenkt wurden und in Sizilien und Sardinien der Denar wenigstens neben dem aelteren Silbercourant und wahrscheinlich sehr bald ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon gesagt. Ebenso rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze in Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die spanischen Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen. Ueberhaupt bestand, da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte, ausser der roemischen keine einzige bedeutende Muenzstaette im westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme derjenigen von Massalia und etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen Griechen in Apollonia und Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer anfingen sich im Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der Art unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre Drachme auf das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren, den denn auch die roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der Victoriamuenze (victoriatus) zunaechst fuer Oberitalien zu praegen begann. Dieses neue von dem roemischen abhaengige System beherrschte nicht bloss das massaliotische, oberitalische und illyrische Gebiet, sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die Alpengegenden das ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis hinein in das heutige Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des Mittelmeergebiets erstreckte in dieser Epoche wie die unmittelbare roemische Herrschaft so auch die roemische Muenze sich noch nicht; dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse Vermittler des internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar die roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen von einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des Hannibalischen Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran fest, ausser dem national-italischen Kupfer nichts als Silber zu schlagen; aber der Verkehr hatte bereits solche Verhaeltnisse angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem Golde nach dem Gewicht auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre 597 (157) in der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes oder ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne Zweifel fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen Kapitalisten die edlen Metalle wesentlich in dem gleichen Verhaeltnisse. Bereits damals also nahm das Gold im Grossverkehr die erste Stelle ein und ueberwog, wie hieraus weiter geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr derjenige mit dem Ausland und namentlich mit dem seit Philipp und Alexander dem Grossen zum Goldcourant uebergegangenen Osten. ——————————————- ^13 Es lagen in der Kasse 17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund ungepraegten, 18230 Pfund gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des Goldes zum Silber war 1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91. ———————————————- Der Gesamtgewinn aus diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen Kapitalisten floss ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben auch ins Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an, sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach Rom, indem sie ihr gewonnenes Vermoegen entweder realisierten und in Italien anlegten oder auch mit den erworbenen Kapitalien und Verbindungen den Geschaeftsbetrieb von Rom aus fortsetzten. Die Gelduebermacht Roms gegen die uebrige zivilisierte Welt war denn auch vollkommen ebenso entschieden wie seine politische und militaerische. Rom stand in dieser Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber wie heutzutage England dem Kontinent – wie denn ein Grieche von dem juengeren Scipio Africanus sagt, dass er “fuer einen Roemer” nicht reich gewesen sei. Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man ungefaehr danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei einem Vermoegen von 100000 Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen Senator galt, und dass eine Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren Scipio Africanus sie erhielt, von 90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines vornehmen Maedchens angesehen ward, waehrend der reichste Grieche dieses Jahrhunderts nicht mehr als eine halbe Million Taler (300 Talente) im Vermoegen hatte.
Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische Geist sich der Nation bemaechtigte, oder vielmehr – denn er war nicht neu in Rom -, dass daselbst das Kapitalistentum jetzt alle uebrigen Richtungen und Stellungen des Lebens durchdrang und verschlang und der Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen, Kapitalistenentreprisen zu werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war durchaus ein Teil der oeffentlichen und der Privatmoral. “Einer Witwe Habe mag sich mindern”, schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten Lebenskatechismus, “der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige ist ruhmwuerdig und goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher bei seinem Tode nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat”. Wo darum Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird jedes auch ohne irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft respektiert, und wenn nicht durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische Gewohnheit und Gerichtsgebrauch erforderlichenfalls dem verletzten Teil das Klagerecht zugestanden ^14; aber das formlose Schenkungsversprechen ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie in der Praxis. In Rom, sagt Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht muss, und niemand zahlt einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen Angehoerigen nicht. Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische Moral, die in allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das Geben von Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften wurden in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die Erbschaften, wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, wenigstens besteuert. Im engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmaennische Puenktlichkeit, Ehrlichkeit und Respektabilitaet das ganze roemische Leben. Buch ueber seine Ausgabe und Einnahme zu fuehren, ist jeder ordentliche Mann sittlich verpflichtet – wie es denn auch in jedem wohleingerichteten Hause ein besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab -, und jeder traegt Sorge, dass er nicht ohne letzten Willen aus der Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, die Cato in seinem Leben bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne Testament gewesen sei. Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir sie den kaufmaennischen Buechern beizulegen pflegen, kam nach roemischer Uebung jenen Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt nicht bloss gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei Differenzen unter rechtschaffenen Leuten war nichts gewoehnlicher als sie durch einen, von der einen Partei geforderten und von der anderen geleisteten Eid zu schlichten, womit sie sogar rechtlich als erledigt galten; und den Geschworenen schrieb eine traditionelle Regel vor, in Ermangelung von Beweisen zunaechst fuer den unbescholtenen gegen den bescholtenen Mann und nur bei gleicher Reputierlichkeit beider Parteien fuer den Beklagten zu sprechen ^15. Die konventionelle Respektabilitaet tritt namentlich in der scharfen und immer schaerferen Auspraegung des Satzes hervor, dass kein anstaendiger Mann sich fuer persoenliche Dienstleistungen bezahlen lassen duerfe. Darum erhielten denn nicht bloss Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle mit oeffentlichen Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine andere Verguetung fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz ihrer Auslagen, sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte (amici) sich untereinander leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess, Aufbewahrung (depositum), Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten bestimmten Gegenstaende (commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung und Besorgung (procuratio) nach demselben Grundsatz behandelt, so dass es unschicklich war, dafuer eine Verguetung zu empfangen, und eine Klage selbst auf die versprochene nicht gestattet ward. Wie vollstaendig der Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am schaerfsten die Ersetzung des Duells, auch des politischen, in dem roemischen Leben dieser Zeit durch die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, um persoenliche Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger und dem Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden Behauptung gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in aller Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette war, ganz wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf rechtlich freigestellt, aber ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden. ———————————————– ^14 Darauf beruht die Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und ueberhaupt die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Vertraegen. ^15 Die Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch fuer den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die Eintragung des Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers basierte Forderung, gibt diese rechtliche Beruecksichtigung der persoenlichen Glaubwuerdigkeit der Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener Sache handelt, den Schluessel; und daher ist auch, als spaeter diese kaufmaennische Reputierlichkeit aus dem roemischen Leben entwich, der Literalkontrakt nicht gerade abgeschafft worden, aber von selber verschwunden. ———————————————- Eine der wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann schwer fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine Steigerung des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch besondere Nahrung durch das schon oft erwaehnte System der Regierung, ihre Geschaefte durch Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; denn bei dem Umfang dieser Verrichtungen war es natuerlich und wohl auch der groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate vorgeschrieben, dass nicht einzelne Kapitalisten, sondern Kapitalistengesellschaften diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach dem Muster dieser Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es finden sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern vorgekommen ist ^16. Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit bedeutendem Risiko verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen eine solche Ausdehnung an, dass es praktisch an die Stelle der dem Altertum unbekannten Assekuranzen trat. Nichts war gewoehnlicher als das sogenannte Seedarlehen, das heutige Grossaventurgeschaeft, wodurch Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels sich auf die Eigentuemer von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese Fahrt kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war aber ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen Spekulationen mit kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu spekulieren; Cato riet dem Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff mit seinem Gelde auszuruesten, sondern mit neunundvierzig andern Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden und an jedem zum fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch herbeigefuehrte groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der roemische Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine – vom reinen Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem vorzuziehende – Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie eines jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios’ Zeugnis kaum einen vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller Gesellschafter bei den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und um soviel mehr wird ein jeder durchschnittlich einen ansehnlichen Teil seines Kapitals in den kaufmaennischen Assoziationen ueberhaupt stecken gehabt haben. ———————————————- ^16 In dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen der Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender Paragraph: “Es soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand zuruecktreten, um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse teurer verdungen werde; ausser wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort als seinen Kompagnon namhaft macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein scheint, so sollen auf Verlangen des Gutsherrn oder des von ihm bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen Assoziation, mit welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, [nicht zu jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den Eid nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt.” Dass der Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, wird stillschweigend vorausgesetzt.
——————————————— Auf allem diesem aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die vielleicht noch merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher hervorgehobene, in dieser Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der Bestand der grossen Geschlechter durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt, findet hier, in den einigermassen engen, aber soliden Grundsaetzen der kaufmaennischen Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung.
Bei der einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen Oekonomie konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen Uebelstaende nicht ausbleiben. Die buergerliche Gleichheit, welche bereits durch das Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine toedliche Wunde empfangen hatte, erlitt einen gleich schweren Schlag durch die scharf und immer schaerfer sich zeichnende soziale Abgrenzung der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung nach unten hin ist nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte, anscheinend gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenuebermut und Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, dass es schimpflich sei, fuer die Arbeit Geld zu nehmen – es zog sich damit die Scheidewand nicht bloss zwischen dem gemeinen Tageloehner und Handwerker und dem respektablen Guts- und Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem Soldaten und Unteroffizier und dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber und Boten und dem Beamten. Nach oben hin zog eine aehnliche Schranke das von Gaius Flaminius veranlasste Claudische Gesetz (kurz vor 536 218), welches Senatoren und Senatorensoehnen untersagte, Seeschiffe ausser zum Transport des Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und wahrscheinlich auch sich bei den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, ueberhaupt ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Roemer unter “Spekulation” (quaestus) verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung nicht von den Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen Opposition, welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen wollte, dass Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte machten; es kann auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie spaeter so oft, mit der demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache gemacht und die Gelegenheit wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der Senatoren die Konkurrenz zu vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur sehr unvollkommen erreicht, da das Assoziationswesen den Senatoren Wege genug eroeffnete, im stillen weiter zu spekulieren; aber wohl hat dieser Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen den nicht oder doch nicht offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen gezogen und der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an die Seite gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen Rivalitaeten mit dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfuellen. —————————————————– ^17 Liv. 21, 63 (vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung ueber die Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p. 94 Orelli) und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius “jede Spekulation fuer den Senator unschicklich gefunden ward”, so hat das Claudische Gesetz wahrscheinlich weiter gereicht.
—————————————————- Eine weitere Folge der einseitigen Kapitalmacht war das unverhaeltnismaessige Hervortreten eben der sterilsten und fuer die Volkswirtschaft im ganzen und grossen am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster Stelle haette erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der Handel bluehte; aber er war durchgaengig passiv. Nicht einmal an der Nordgrenze scheint man imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven, welche aus den keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Laendern nach Ariminum und den anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit Waren Deckung zu geben; wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des Silbergeldes in das Keltenland von der roemischen Regierung untersagt. In dem Verkehr nun gar mit Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene, Karthago musste die Bilanz notwendig zum Nachteil Italiens sich stellen. Rom fing an, die Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms Weichbild zu werden; mehr wollte man eben auch nicht sein und liess den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter als Hauptstadt ist, notwendig ihn fuehrt, mit opulenter Gleichgueltigkeit sich gefallen – besass man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man brauchte und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste Burg der roemischen Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen zur Emporbringung eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen Kleinstandes enthalten war, verkuemmerte unter dem unseligen Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall zur Vermehrung des leidigen Freigelassenenstandes bei.
Aber vor allem zehrte die tiefe Unsittlichkeit, welche der reinen Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens und ersetzte die Menschen- und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten Egoismus. Der bessere Teil der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des Verderbens in jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der instinktmaessige Hass des grossen Haufens wie die Abneigung des wohlgesinnten Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen verfolgte und dem Buchstaben des Rechtes nach immer noch verpoente gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst in einem Lustspiel dieser Zeit:
Wahrhaftig gleich eracht’ ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer; Wenn jene feilstehn insgeheim, tut ihr’s auf offnem Markte. Mit Kneipen die, mit Zinsen ihr, schindet die Leut’ ihr beide. Gesetze gnug hat eurethalb die Buergerschaft erlassen; Ihr bracht’ sie, wie man sie erliess; ein Schlupf ist stets gefunden. Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet das Gesetz ihr. Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der Fuehrer der Reformpartei Cato sich aus. “Es hat manches fuer sich”, heisst es in der Vorrede seiner Anweisung zum Ackerbau, “Geld auf Zinsen zu leihen; aber es ist nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also geordnet und in dem Gesetze geschrieben, dass der Dieb zwiefachen, der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu leisten schuldig sei; woraus man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer Buerger als der Dieb der Zinsnehmer von ihnen erachtet ward”. Der Unterschied, meint er anderswo, zwischen einem Geldverleiher und einem Moerder sei nicht gross; und man muss es ihm lassen, dass er in seinen Handlungen nicht hinter seinen Reden zurueckblieb – als Statthalter in Sardinien hat er durch seine strenge Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt seiner ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten mit Widerwillen und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich rechtschaffener und ehrbarer in den Provinzen als diese Geldleute, sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur brachen der haeufige Wechsel der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche Ungleichheit ihrer Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, notwendig die Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht schwer war, dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung zu geben; hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato war, durch Lehre und Beispiel der Ackerbau gepredigt. “Wenn unsere Vorfahren”, faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, “einem tuechtigen Mann die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen tuechtigen Bauern und einen tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward, schien das hoechste Lob erhalten zu haben. Den Kaufmann halte ich fuer wacker und erwerbsfleissig; aber sein Geschaeft ist Gefahren und Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die Bauern geben die tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb ist wie dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken”. Von sich selber pflegte er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei Erwerbsquellen herstamme: aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und wenn das auch weder sehr logisch gedacht noch genau der Wahrheit gemaess war ^18, so hat er doch nicht mit Unrecht seinen Zeitgenossen wie der Nachwelt als das Muster eines roemischen Gutsbesitzers gegolten. Leider ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche Wahrheit, dass dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der Hand; sie war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der Partei der sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie war es denn mit dem Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum fuenften Jahrhundert der Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art gefuehrt hatte, dass es mittels des Schuldzinses die Bodenrente den arbeitenden Bauern entzog und den muessig zehrenden Rentiers in die Haende fuehrte, war ausgeglichen worden hauptsaechlich durch die Erweiterung der roemischen Oekonomie und das Hinueberwerfen des in Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen Mittelmeergebiet taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; und eine wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die senatorischen Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem Grundbesitz zu draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise das italische Ackerland systematisch zu entwerten. So begann denn der zweite Feldzug des Kapitals gegen die freie Arbeit oder, was im Altertum wesentlich dasselbe ist, gegen die Bauernwirtschaft; und war der erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten verglichen milde und menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den Bauern auf Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer keinen Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und nicht radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und verwandelten sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft. Man nannte das ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die Anwendung der Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte. Die Schilderung der Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und vollkommen richtig; aber wie passt sie auf die Wirtschaft selbst, die er schildert und anraet? Wenn ein roemischer Senator, wie das nicht selten gewesen sein kann, solcher Landgueter wie das von Cato beschriebene vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der zur Zeit der alten Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig Bauernfamilien ernaehrt hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa fuenfzig groesstenteils unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, um die sinkende Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit selber bis zum Verwechseln aehnlich. ——————————————— ^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer in Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war nicht seine Art, geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in Staatspachtungen spekuliert, was er als Senator nicht durfte, noch Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm in letzter Beziehung eine von seiner Theorie abweichende Praxis vorwirft: das Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem Gesetz kein verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich zu den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften. ————————————————- Das Gesamtergebnis dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten Bevoelkerungsverhaeltnissen nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand der italischen Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in grosser Anzahl daselbst gegruendeten Bauernstellen verschwanden nicht so schnell. Polybios, der nicht lange nach dem Ende dieser Periode die Gegend bereiste, ruehmt ihre zahlreiche, schoene und kraeftige Bevoelkerung; bei einer richtigen Korngesetzgebung waere es wohl moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die Polandschaft zur Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum und der sogenannte “gallische Acker” durch die Aufteilungen des Domaniallandes in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine zahlreiche Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile des hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten und das der Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den abgeschlossenen Bergtaelern der Marser und Sabeller. Sueditalien dagegen hatte der Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und ausser einer Menge kleinerer Ortschaften die beiden groessten Staedte, Capua und Tarent, beide einst imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen, zugrunde gerichtet. Samnium hatte von den schweren Kriegen des fuenften Jahrhunderts sich wieder erholt; nach der Zaehlung von 529 (225) war es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu stellen als die saemtlichen latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach dem roemischen Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. Allein der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und die Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres, obwohl bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch uebler waren in demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin wohlbevoelkerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden. In Apulien fanden spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier angelegten Kolonien wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb die schoene kampanische Ebene; doch ward die Mark von Capua und der anderen, im Hannibalischen Kriege aufgeloesten Gemeinden Staatsbesitz und waren die Inhaber derselben durchgaengig nicht Eigentuemer, sondern kleine Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und brettischen Gebiet ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne Bevoelkerung von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich reihenden Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel, um hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen – mit Ausnahme etwa von Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten Kolonien recht in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen und oekonomischen Verhaeltnisse der verschiedenen Landschaften und dem verhaeltnismaessig bluehenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen doch der Rueckgang unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten Zeugnisse ueber den allgemeinen Zustand Italiens bestaetigt. Cato und Polybios stimmen darin ueberein, dass Italien am Ende des sechsten Jahrhunderts weit schwaecher als am Ende des fuenften bevoelkert und keineswegs mehr imstande war, Heermassen aufzubringen wie im Ersten Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der Aushebung, die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen ueber die Hoehe der von ihnen zu stellenden Kontingente bestaetigen diese Angaben; und was die roemische Buergerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zaehlte im Jahre 502 (252), kurz nach Regulus’ Zug nach Afrika, 298000 waffenfaehige Maenner; dreissig Jahre spaeter, kurz vor dem Anfang des Hannibalischen Krieges (534 220), war sie auf 270000 Koepfe, also um ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre weiter, kurz vor dem Ende desselben Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also um ein Viertel gesunken; und ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine ausserordentlichen Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders der grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen fuehlbaren ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer wieder erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser Periode gestanden hatte. Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die italische Bevoelkerung ueberhaupt, so wuerden sie ohne allen Zweifel ein verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres Defizit aufweisen. Das Sinken der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch ist es von landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben wuchs die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien und dem Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den Ackerbau ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier recht eigentlich die Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher gemacht, dass starke Besatzung dorthin gelegt werden musste; im Jahre 569 (185) wurde daselbst eine im groessten Massstab angelegte, auch mit dem Bacchanalienwesen sich verzweigende Sklavenverschwoerung entdeckt und gegen 7000 Menschen kriminell verurteilt. Aber auch in Etrurien mussten roemische Truppen gegen eine Sklavenbande marschieren (558 196, und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte wie Setia und Praeneste Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte ueberrumpelt zu werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und loeste die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- und Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen Kriege mit Karthago waren, welche die Buerger- wie die Bundesgenossenschaft dezimierten und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen Volkskraft und Volkszahl die roemischen Kapitalisten ohne Zweifel ebensoviel beigetragen wie Hamilkar und Hannibal. Es kann niemand sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; aber erschreckend und beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils wohlmeinenden und tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie nicht einmal die Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der ganzen Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine roemische Dame vom hohen Adel, die Schwester eines der zahlreichen Buergeradmirale, die im Ersten Punischen Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten, eines Tages auf dem roemischen Markt ins Gedraenge geriet, sprach sie es laut vor den Umstehenden aus, dass es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder an die Spitze einer Flotte zu stellen und durch einen neuen Aderlass der Buergerschaft auf dem Markte Luft zu machen (508 246). So dachten und sprachen freilich die wenigsten; aber es war diese frevelhafte Rede doch nichts als der schneidende Ausdruck der straeflichen Gleichgueltigkeit, womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die gemeine Buerger- und Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr Verderben, aber man liess es geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in maessiger und verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung. 13. Kapitel
Glaube und Sitte
In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die allmaechtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben, war sein Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein Haus in guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die Nachfahren ueber; und wie also ein Geschlecht nach dem anderen in die Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen roemischen Familien zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, wo wir ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen. Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen Buergersinnes auch dies, dass er durch die starre buergerliche Einfachheit und Gleichheit waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber gezwungen ward, sich in die schweigende Brust zu verschliessen und dass er erst nach dem Tode sich aeussern durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung im roemischen Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren Roemergeist eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: “Jener Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius Aemilius das Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause”. Es eroeffneten ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Taenzer, von welchen letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei erschien, auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann noch einmal der Menge vergegenwaertigte. Sodann folgte der grossartigste und eigentuemlichste Teil dieser Feierlichkeit, die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige Gepraenge so verschwand, dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren Erben vorschrieben, die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist schon frueher gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische Aedilitaet oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der Koenige hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in hoelzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat, so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht geeignete Leute, namentlich Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis staffiert, so dass die Vorfahren, jeder in dem bei Lebzeiten von ihm gefuehrten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesaeumten Mantel, mit ihren Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes, alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von ihm bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Soehne des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter ohne Schleier, die Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten: und Freigelassenen. So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Hoehe gerichtet; die Ahnen stiegen von den Wagen herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen sich nieder, und des verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse betrat die Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren.
Man mag das Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation haette freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber selbst sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie zum Beispiel Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem gleichfoermigen Zuge, zu der stolzen Wuerdigkeit des roemischen Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem gegenwaertigen zu wandeln und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren satt, zu seinen Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen. Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht mehr auf Italien beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen uebergriff, war es auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat an deren Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte hatte. Es ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche Griechenland und das jugendliche Italien, beide mit einer gewissen Naivitaet und Originalitaet, geistige Anregungen gaben und empfingen; wie in spaeterer Zeit in mehr aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat der geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas Tieferes und Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den hellenischen Strudel hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom ueberging, uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation. Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich gegen das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der italische Bauer dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie bei uns der franzoesische Frack den germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in einer den frueheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem griechischen Einfluss prinzipiell opponierte und dabei ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und Laecherlichkeiten verfiel. Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf der alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die politischen Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch frueher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls hellenische Gedanke der Solidaritaet der Republiken den Koenigen gegenueber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische Despotie, welche beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit massgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die letztere bis zur Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert – so zum Beispiel liess der Besieger des Koenigs Antiochos nicht bloss sich in griechischer Tracht seine Bildsaeule auf dem Kapitol errichten, sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen, den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch praechtigen und beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine wichtigere Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum war es, dass die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den Hellenen gegenueber Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der Hellenismus vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale Zivilisation mit der verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt zu haben. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen, durchgaengig mit griechischer Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die hier allein in Italien mehr schwunghaft und praechtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter Tongefaesse nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollstaendig eingegangen in griechische Art und griechische Kunst. ————————————————— ^1 Dass Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt; wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion. Es kann jener Beiname nichts sein als eine Korruption von Asiagen/e/s. wie auch spaetere Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten. —————————————————- Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich bewegenden und schwer zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen Prinzipienfehde eine Darstellung zu versuchen.
Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der italischen Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem Zwiste mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass er waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine Landsleute auf die politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt, dass der Staat nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen koenne und dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmaessig seien. Aber wenn man in Italien noch besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur Theologie zu verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der oeffentliche Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger, sondern vor allem auch immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen Zweck, die Ausrichtung der Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss die Goetter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es hierfuer nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit Eifer und Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben nicht beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen sich zur Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie fuer die Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit mehr und mehr ein kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und ueberhaupt der Uebernahme dauernder pekuniaerer Verpflichtungen zu religioesen Zwecken war bei den Roemern in aehnlicher Weise wie heutzutage in den katholischen Laendern verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen und zugleich hoechsten Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende Reallast betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast zu werden – “Erbschaft ohne Opferschuld” ward bei den Roemern sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns “Rose ohne Dornen”. Das Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar Male infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot abgehalten ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten unter anderem gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen wiederkehrenden, von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom. Endlich die untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts; und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne in der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint: Gleichfalls, Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag Fuer die Kuesterin, fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau;
Saehst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand’ ist’s, schick’ ich nichts.
Auch der Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich. Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie in den niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft und Glauben, die Theologie, war bereits geschaeftig, die ihr eigene beschwerliche Weitlaeufigkeit und feierliche Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des Jupiterpriesters zum Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der natuerlichen Regel, dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den Goettern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal hintereinander wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte, als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. In dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der Unglaube liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen Kriege (505 249) kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb – freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Boesen der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser Epoche werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre vernachlaessigt werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene Ausnahme und musste es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen Absichten benutzte, das heisst die Landesreligion nach Polybios’ Auffassung als einen zur Prellung des grossen Publikums brauchbaren Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der Goetter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu schmuecken. Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu durch sie zu den religioesen Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem roemischen Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl auch hellenistisch, aber nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war die Verbreitung der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die poetische Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470) ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben hatten, sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie, aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, in ihren allgemeinsten Grundzuegen der roemischen Religion wahlverwandt war, war sie geeignet, die allegorisierende Aufloesung der Landesreligion einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion lieferten die “heiligen Memoiren” des Euhemeros von Messene (um 450 300), die in Form von Berichten ueber die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland getanen Reisen die von den sogenannten Goettern umlaufenden Nachrichten gruendlich und urkundlich sichteten und im Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder gegeben habe noch gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, dass die Geschichte von Kronos’ Kinderverschlingung erklaert wird aus der in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes Glueck und half in Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion begraben. Es ist ein merkwuerdiges Zeichen des ausgesprochenen und wohlbewussten Antagonismus zwischen der Religion und der neuen Literatur, dass bereits Ennius diese notorisch destruktiven Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich damit gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen.
So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man die maechtigen Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit wucherndem Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-, neben- und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der Umwandlung alten Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedaerme- und Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens in ueppigem Flor. Sogar bei der latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch aehnliche Erscheinungen – so die praenestinischen Spruchlose und in Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche ganz unerhoerten und seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inlaendische Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden billigerweise zu verlangenden Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt, sich daran genuegen zu lassen. Der damalige, bereits denationalisierte und von orientalischer Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den Aberglauben in seinen aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme der phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter der roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen muessen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein, den die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhoertem Gepraenge von der Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das froehliche Ereignis unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das beginnende Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der Orientalen offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch streng darauf hielt, dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten (Galli), wie sie hiessen, auch blieben und noch kein roemischer Buerger zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so musste dennoch der wueste Apparat der “Grossen Mutter”, diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze unter fremdlaendischer Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-moenchische Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und Anschauung des Volkes sein. Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu schrecklich. Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine geheime naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz Italien verbreitet, ueberall die Familien zerruettet und die aergsten Verbrechen, unerhoerte Unzucht, Testamentsfaelschungen, Giftmorde hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen wurden deswegen kriminell, grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften fuer die Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich absehen lasse.
Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen Leute sich einig; die altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der hellenischen Aufklaerung trafen hier im Spott wie im Aerger zusammen. Cato setzte seinem Wirtschafter in die Instruktion, “dass er ohne Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch fuer sich darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am Flurfest auf dem Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder bei einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem Chaldaeer”. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange, das Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein Catonisches Wort und urspruenglich auf den etruskischen Gedaermebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren Anhang:
Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack, Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein, Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus, Schenken Schaetze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn. Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch 512 (242) von Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich verrueckt sind, so setzt auch der hoehere Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung dennoch nachgeben musste oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem Gesagten hervor. Die roemische Sitte, die etruskischen Weisen in vorkommenden Faellen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der etruskischen Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs wegen hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der aelteren, unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme auslaendischer Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des Goettermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem neuen Aberglauben gegenueber sich die Regierung fuehlte, vielleicht auch davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist es entweder eine unverzeihliche Nachlaessigkeit oder etwas noch Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren, erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige Anzeige hin von den Behoerden eingeschritten ward.
Wie nach der Vorstellung der achtbaren Buergerschaft dieser Zeit das roemische Privatleben beschaffen sein sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie taetig Cato als Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, so war und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz – besser ein guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche Zucht war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus verlassen noch ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen. Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf es dabei herging, kann man daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhaendig mit dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei der Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute Herkunft zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines seiner armen Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit auf Seiten des Mannes so, wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als ein notwendiges Uebel. Seine Schriften fliessen ueber von Scheltreden gegen das schwatzhafte, putzsuechtige, unregierliche schoene Geschlecht; “ueberlaestig und hoffaertig sind die Frauen alle” – meinte der alte Herr – und “waeren die Menschen der Weiber los, so moechte unser Leben wohl minder gottlos sein”. Dagegen war die Erziehung der ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen Augen eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer auch wohl selbst deren Kinder an die eigene Brust – einer der wenigen Zuege, worin das Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort in den Mund zu nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfasst, ausser wenn diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes ist wohl der schoenste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten Taetigkeit. Seinem Grundsatz getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen Leibesuebungen an und lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit vorbei war, wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu sein, und ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben haben musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum lehrte er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass er imstande war, das, was er daraus dem Roemer brauchbar erachtete, seinem Sohn in der Muttersprache zu ueberliefern. Auch seine ganze Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn berechnet, und sein Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen deutlichen Buchstaben eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn mehr kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den Zimmerwaenden keine Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse (21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei Tafel, und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder die Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall, dass man eine ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit. Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und getan hatte. So blieb denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und Vergnuegen; alles ward rasch und ohne viel Reden abgetan, und in echtem Taetigkeitsinn war ihm nichts so verhasst als die Vielgeschaeftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten. So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte roemische Musterbuerger galt und in dem, gegenueber dem griechischen Muessiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings etwas grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen – wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt: Nichts ist an der fremden Sitt’ als tausendfache Schwindelei; Besser als der roemische Buerger fuehrt sich keiner auf der Welt; Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir. Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber wer die Revolution ins Auge fasst, welche der entartete Hellenismus dieser Zeit in dem Leben und Denken der Roemer vollzog, wird geneigt sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schaerfen als zu mildern. Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit. Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich, und wie die Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, gesetzlich dagegen. etwas Wesentliches zu tun – die hohe Steuer, welche Cato als Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten und ging ueberdies ein paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt tatsaechlich ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234) schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich im Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl zum Konsulat herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste Amt zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete Frau von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der vaeterlichen gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der vaeterlichen Gewalt wenig nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit zu streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die Verwaltung ihres Vermoegens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von Kapital, die in den Haenden der Frauen sich zusammenfand, schien den Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem exorbitanten Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen gesetzlich zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst willkuerliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden Kollateralerbschaften denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso wurden die Familiengerichte ueber die Frau, die an jene eheherrliche und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, praktisch mehr und mehr zur Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen fingen die Frauen schon an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, “die Herrscher der Welt zu beherrschen”; in der Buergerschaftsversammlung war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich bereits in den Provinzen Statuen roemischer Damen. Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und Geraet, in den Bauten und in der Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und seine geld-, tag- und freudenverderbende Kleinkraemerei ueber nach Rom. Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215) gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559 195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts uebrig, als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). Eine Masse neuer und groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich figuriertes Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die sogenannten attalischen Gewaender und Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Fruehstueck (prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. Bisher hatten die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber beschafft und nur bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen, der dann Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. Jetzt dagegen begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Haeusern ward ein eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab – um 583 (171) entstanden die ersten Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden ihr Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische Delikatessen, pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in Rom geschaetzt zu werden, und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des koischen zu geben, wird den roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer Knaben wurde verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken ward und das Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das “griechisch Trinken” (Graeco more bibere) oder “griechen” (pergraecari, congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war, solche Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen einzuschreiten. Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich ^2. Cato schlug vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu lassen, um den Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte ueber den Spass und kam der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seher. her entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten waehrend dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward, abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen Zeremonien beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies daneben zu Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten megalensischen, gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni das Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese bereits mehrtaegig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen, bei denen die fromme Skrupulositaet vermutlich oft bloss als Vorwand diente, und die unaufhoerlichen ausserordentlichen Volksfeste, unter denen die schon erwaehnten Schmaeuse von den Geloebniszehnten (2., 391), die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die Leichenfeste und vor allem die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluss eines der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion abgegrenzten Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249), gefeiert wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten Schmausereien an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204), unter den geringeren Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217); beide unter dem Einfluss der fortan festverbuendeten Gewalten des fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem idealen Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben konnte; und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen wie fuer alle zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen von der Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste bildeten freilich nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter dieser Zeit schildert sehr anschaulich die Spannung, womit die Augen der Menge an dem Konsul hingen, wenn er den Wagen das Zeichen zum Abfahren zu geben im Begriff war. Aber die bisherigen Lustbarkeiten genuegten doch schon nicht mehr; man verlangte nach neuen und mannigfaltigeren. Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern treten jetzt (zuerst 568 186) auch griechische Athleten auf. Von den dramatischen Auffuehrungen wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein Gewinn von zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie nach Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum laufen und hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben; jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen, und die wilden Bestien Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst nachweislich 568 186) mit grossen Kosten nach Rom transportiert, um toetend oder sterbend den hauptstaedtischen Gaffern zur Augenweide zu dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie sie in Etrurien und Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum Spasse vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius Sophus, sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem Leichenspiel beigewohnt hatte; die Regierung setzte es durch, dass die Ueberfuehrung der auslaendischen Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss untersagt ward und hielt mit Strenge darauf, dass bei den Gemeindefesten keine Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum dem Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem Seiltaenzer den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe in dem Schmutze des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden Elementen in den szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man von vornherein preis; die Absicht der roemischen Festgeber ging ganz und gar nicht darauf, durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe der Empfindung der Besten zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer Bluetezeit tat, oder einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, wie unsere Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo die ersten griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren miteinander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte.
—————————————- ^2 Eine Art Parabase in dem Plautinischen ‘Curculio’ schildert das derzeitige Treiben auf dem hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber mit grosser Anschaulichkeit:
Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen finden moegt, Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen wuenscht Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann. Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick’ ich Dich. Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin. [Reiche wueste Ehemaenner sind zu haben im Bazar; Auch der Lustknab’ ist zu Haus dort und wer auf Geschaeftchen passt.] Doch am Fischmarkt sind, die gehen kneipen aus gemeinem Topf. Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem untern Markt, In der Mitt’ am Graben aber die, die nichts als Schwindler sind. Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin; Mit der frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus Und doch liefern wahrlich selber gnug, das man ruegen mag. Unter den alten Buden sitzen, welche Geld auf Zinsen leihn; Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen schlecht bekommt; Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten feil; Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch, Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin: Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia. Die eingeklammerten Verse sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten roemischen Basars (570 184) eingelegter Zusatz. Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, woertlich Mueller) war in dieser Zeit Delikatessenverkauf und Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7 Mueller; Plaut. Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben. ——————————————————- Schon verdarb nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren, fuehrte Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort ebenfalls und kamen allmaehlich in weiteren Kreisen in Gebrauch.
Selbstverstaendlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine oekonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt; das Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen (120 Taler) hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800 Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und nichts als Geld war die Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die Griechen selber mit unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit dem Zweiten Makedonischen Krieg fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht zu hellenisieren. Die Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen versehen und zum Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden, fuer ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu geben, nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. Man stahl womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu schnellem Reichtum zu gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung und Bettel, Lieferantenbetrug und Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung rein sittlicher Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die Ehegatten sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit abzuerkennen. Dass unter Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige kamen, die Hauptstadt an allen Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in der Arbeit findet und bloss arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer mit voller Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe von zweifelhaftem Wert. 14. Kapitel
Literatur und Kunst
Die roemische Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art kaum bei einer anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu wuerdigen, ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht und die Volksbelustigungen dieser Zeit ins Auge zu fassen. Alle geistige Bildung geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem fuer Rom. In einer Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der Buerger in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist, bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter Verwaltung ueberkam und in den Fall kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten zu muessen, hat man nicht bloss auf den freien und feinen Gebrauch der Muttersprache von jeher grossen Wert gelegt, sondern auch frueh sich bemueht, denselben in den Knabenjahren sich anzueignen. Auch die griechische Sprache war bereits in der hannibalischen Zeit in Italien allgemein verbreitet. In den hoeheren Kreisen war die Kunde der allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation laengst haeufig gewesen und jetzt, bei dem durch die veraenderte Weltstellung ungeheuer gesteigerten roemischen Verkehr mit Auslaendern und im Auslande, dem Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon sehr wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft aber, die zu einem sehr grossen Teil aus geborenen Griechen oder Halbgriechen bestand, drang griechische Sprache und griechisches Wissen bis zu einem gewissen Grade ein auch in die unteren Schichten namentlich der hauptstaedtischen Bevoelkerung. Aus den Lustspielen dieser Zeit kann man sich ueberzeugen, dass eben der nicht vornehmen hauptstaedtischen Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum rechten Verstaendnis das Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes Englisch und Wielands Deutsch das Franzoesische ^1. Die Maenner der senatorischen Familien aber redeten nicht bloss griechisch vor einem griechischen Publikum, sondern machten auch diese Reden bekannt – so Tiberius Gracchus (Konsul 577, 591 177,163) eine von ihm auf Rhodos gehaltene – und schrieben in der hannibalischen Zeit ihre Chroniken griechisch, von welcher Schriftstellerei spaeter noch zu sprechen sein wird. Einzelne gingen noch weiter. Den Flamininus ehrten die Griechen durch Huldigungen in roemischer Sprache; aber auch er erwiderte das Kompliment: der “grosse Feldherr der Aeneiaden” brachte den griechischen Goettern nach griechischer Sitte mit griechischen Distichen seine Weihgeschenke dar ^2. Einem anderen Senator rueckte Cato es vor, dass er bei griechischen Trinkgelagen griechische Rezitative mit der gehoerigen Modulation vorzutragen sich nicht geschaemt habe.
———————————————————- ^1 Ein bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, machaera, nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus, morus, graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert durchaus zum Charakter der Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden selten dazu gefuegt und nur bei Woertern, die ausserhalb des durch jene Anfuehrungen bezeichneten Ideenkreises stehen, wie zum Beispiel es im ‘Wilden’ (1, 1, 60), freilich in einem vielleicht erst spaeter eingefuegten Verse heisst: phron/e/sis est sapientia [Edelmut ist Weisheit]. Auch griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in der ‘Casina’ (3, 6, 9):
pragmata moi parecheis – Dabo mega kakon, ut opinor; ebenso griechische Wortspiele, zum Beispiel in ‘Die beiden Bacchis’ (240): opus est chryso Chrysalo;
wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von Alexandros, Andromache als den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind die halbgriechischen Bildungen wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im ‘Bramarbas’ (213):
euge! euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice! Ei die Tenuere! Holla, seht mir den Farceur da, den Akteur! ^2 Eines dieser im Namen des Flamininus gedichteten Epigramme lautet also: Dioskuren, o hoert, ihr freudigen Tummler der Rosse! Knaben des Zeus, o hoert, Spartas tyndarische Herrn! Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche Gabe, Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm. ———————————————————- Unter dem Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische Unterricht. Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den Sklaven wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem Wirtschaftersklaven zum Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die Faehigkeit zu lesen und zu schreiben voraus. Der Elementarunterricht sowie der Unterricht im Griechischen muessen lange vor dieser Zeit in sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. Dieser Epoche aber gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer bloss aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. Bisher hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und geselligen Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in einem Dorfe der deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn gibt; und die aeltesten Schreiber griechischer Chroniken mochten unter den uebrigen Senatoren stehen wie in den holsteinischen Marschen der Bauer, welcher studiert hat und des Abends, wenn er vom Pfluge nach Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. Wer mit seinem Griechisch mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als Geck; und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar nicht griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder Konsul werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche Zersetzungsprozess der italischen Nationalitaet war bereits, namentlich in der Aristokratie, weit genug gediehen, um das Surrogat der Nationalitaet, die allgemein humane Bildung, auch fuer Italien unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach einer gesteigerten Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der griechische Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward dabei die klassische Literatur, namentlich die ‘Ilias’ und mehr noch die ‘Odyssee’ zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen Schaetze hellenischer Kunst und Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet vor den Augen der Italiker da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung des Unterrichts ergab es sich von selbst, dass aus dem empirischen Sprach- ein hoeherer Literaturunterricht wurde, dass die an die Literatur sich knuepfende allgemeine Bildung den Schuelern in gesteigertem Mass ueberliefert, dass die erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den Geist der Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen Tragoedien und die Lustspiele Menanders. In aehnlicher Weise gewann auch der lateinische Unterricht ein groesseres Schwergewicht. Man fing an, in der hoeheren Gesellschaft Roms das Beduerfnis zu empfinden, die Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch wenigstens zu veredeln und dem veraenderten Kulturstand anzuschmiegen; und auch hierfuer sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die Griechen. Die oekonomische Gliederung der roemischen Wirtschaft legte, wie jedes andere geringe und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den Elementarunterricht in der Muttersprache vorwiegend in die Haende von Sklaven, Freigelassenen oder Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen oder Halbgriechen ^3; es hatte dies um so weniger Schwierigkeit, als das lateinische Alphabet dem griechischen fast gleich, die beiden Sprachen nahe und auffaellig verwandt waren. Aber dies war das wenigste; weit tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen Unterrichts in den lateinischen ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es ist, fuer die hoehere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und geeignete Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man dem Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders zu genuegen wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems, welche der griechische Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf den Unterricht im Lateinischen einfach uebertrug – geht doch heutzutage in der Uebertragung der Unterrichtsmethode von den toten auf die lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher Prozess unter unseren Augen vor.
——————————————— ^3 Ein solcher war zum Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, der als Kinderlehrer fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20). ——————————————— Aber leider fehlte es zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. Lateinisch lesen und schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln lernen; aber eine lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war in Rom nicht vorhanden.
Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der roemischen Volkslustbarkeit ist frueher dargestellt worden. Laengst spielte bei denselben die Buehne eine bedeutende Rolle; die Wagenrennen waren wohl bei allen die eigentliche Hauptbelustigung, fanden aber doch durchgaengig nur einmal, am Schlusstage statt, waehrend die ersten Tage wesentlich dem Buehnenspiel anheimfielen. Allein lange Zeit bestanden diese Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in Taenzen und Gaukelspiel; die improvisierten Lieder, die bei denselben auch vorgetragen wurden, waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man fuer sie sich nach einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen Volksfestlichkeiten standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr Talent des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in Griechenland beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater; dasselbe musste bald die Blicke der roemischen Festgeber und ihres Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl lag nun in dem aelteren roemischen Buehnenlied ein dramatischer, der Entwicklung vielleicht faehiger Keim; allein daraus das Drama herauszubilden, forderte vom Dichter wie vom Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, wie sie bei den Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu finden war; und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit dem Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe und Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches Beduerfnis vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man wuenschte sich ein Theater und es mangelten die Stuecke. Auf diesen Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit war damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht auf der individuellen Freiheit und dem froehlichen Lebensgenuss, und die Keime zu einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem die roemische Entwicklung die Freiheit und Froehlichkeit durch das Gemeingefuehl und das Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von ihr erdrueckt und musste statt sich zu entwickelt. verkuemmern. Der Hoehepunkt der roemischen Entwicklung ist die literaturlose Zeit. Erst als die roemische Nationalitaet sich aufzuloesen und die hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen, stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch roemischen Nationalsinn. Vor allem die roemische Poesie ging. zunaechst gar nicht aus dem innerlichen Dichtertriebe hervor, sondern aus den aeusserlichen Anforderungen der Schule, welche lateinische Lehrbuecher, und der Buehne, die lateinische Schauspiele brauchte. Beide Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und durch antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war dem Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags ein Greuel; und wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in dem roemischen Gemeinwesen war, dass es innerhalb der roemischen Buergerschaft keinen Herrn und keinen Knecht, keinen Millionaer und keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche Glaube und die gleiche Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule und die notwendig exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer das Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden die wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil sie lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen und schreiben, ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber gewoehnte man sich, mit roemischen Worten zu reden, waehrend das ganze innere Sein und Leben griechisch ward. Es ist nicht eine der erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden Saeculum des roemischen Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten und geschichtlich belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht unmittelbar politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und wie der Maitre de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im engen Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben. Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die spaetere Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor 482 bis nach 547 272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 Livius Andronicus genannt, kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) unter den anderen tarentinischen Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers von Sena, Marcus Livius Salinator (Konsul 535, 547 219, 207). Sein Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei und Textschreiberei, teils der Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, welchen er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben vermoegender Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei so aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, die sich seiner nicht selten bedient, zum Beispiel nach der gluecklichen Wendung des Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des Dankliedes uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn der Poeten- und Schauspielerzunft einen Platz fuer ihren gemeinsamen Gottesdienst im Minervatempel auf dem Aventin einraeumte. Seine Schriftstellerei ging hervor aus seinem zwiefachen Gewerbe. Als Schulmeister uebersetzte er die Odyssee ins Lateinische, um den lateinischen Text ebenso bei seinem lateinischen wie den griechischen bei seinem griechischen Unterricht zu Grunde zu legen; und es hat dieses aelteste roemische Schulbuch seinen Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet. Als Schauspieler schrieb er nicht bloss wie jeder andere sich die Texte selbst, sondern er machte sie auch als Buecher bekannt, das heisst, er las sie oeffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch wichtiger war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen Buehnengedichts das griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240), ein Jahr nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges, dass das erste Schauspiel auf der roemischen Buehne aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung eines Epos, einer Tragoedie, einer Komoedie in roemischer Sprache und von einem Mann, der mehr Roemer als Grieche war, war geschichtlich ein Ereignis; von einem kuenstlerischen Wert der Arbeiten kann nicht die Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalitaet; als Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um so empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene Einfalt vortraegt, sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes schulmeisterhaft nachstammelt. Die starken Abweichungen vom Original sind nicht aus der Freiheit, sondern aus der Roheit der Nachdichtung hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald schwuelstig, die Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne Muehe, was die alten Kunstrichter versichern, dass, von den Zwangslesern in der Schule abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum zweiten Male in die Hand nahm. Dennoch wurden diese Arbeiten in mehrfacher Hinsicht massgebend fuer die Folgezeit. Sie eroeffneten die roemische Uebersetzungsliteratur und buergerten die griechischen Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur hinsichtlich der Dramen geschah und die Livische ‘Odyssee’ vielmehr in dem nationalen saturnischen Masse geschrieben ward, so war der Grund offenbar, dass die Jamben und Trochaeen der Tragoedie und Komoedie weit leichter sich im Lateinischen nachbilden liessen als die epischen Daktylen.
——————————————————– ^4 Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen des Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht. ^5 In einem der Trauerspiele des Livius hiess es: quem ego nefrendem alui lacteam immulgens opem. Milchfuell’ ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt’ ich ihn. Die Homerischen Verse (Od. 12, 16)
O?d’ ara Kirk/e/n
ex Aide/o/ elthontes el/e/thomen, alla mal’ ‘/o/ka /e/lth’ entynamen/e/. ama d? amphipoloi pheron ayt/e/ siton kai krea polla kai aithopa oinon erythron. aber verborgen
Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern gar hurtig Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun Brot ihr und Fleisch in Fuell’ und den tiefrot funkelnden Wein her. werden also verdolmetscht:
topper citi ad aedis – venimus Circae: simul duona coram (?) – portant ad navis. milia alia in isdem – inserinuntur.
In Eil’ geschwinde kaemmen – wir zu Kirkes Hause. Zugleich vor uns die Gueter – bringt man zu den Schiffen Auch wurden aufgeladen – tausend andere Dinge. Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als die Gedankenlosigkeit des Uebersetzers, der statt Kirke zum Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke schickt. Ein zweites, noch laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von aidoioisin ed/o/ka (Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen ist auch geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe der Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden Schulmeister standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er gleich in Tarent geboren war, doch das Griechische nicht eigentlich Muttersprache gewesen sein kann.
———————————————- Indes diese Vorstufe der literarischen Entwicklung ward bald ueberschritten. Die Livischen Epen und Dramen galten den Spaeteren, und ohne Zweifel mit gutem Recht, gleich den daedalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als Kunstwerke. In der folgenden Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine lyrische, epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich ist es von hoher Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen. Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das Publikum stand an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein stehendes Theater mit festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; in Griechenland wie in Rom trat das Schauspiel nur als Bestandteil der jaehrlich wiederkehrenden oder auch ausserordentlichen buergerlichen Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch die Regierung der mit Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste entgegenwirkte oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie die Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt dessen wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer die Akteure (proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund (scaena) aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der Zuschauerplatz (cavea) abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss abgeschraegt ward, so dass die Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich mitbringen liessen, kauerten, lagen oder standen ^7. Die Frauen moegen frueh abgesondert und auf die obersten und schlechtesten Plaetze beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die Plaetze nicht geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt ward, den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte. ——————————————— ^6 Zwar wurde schon 575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen Spiele am Flaminischen Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom, S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen. ^7 Noch 599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl. O. Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der Republik. Leipzig 1875, S. 285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser der plautinischen Prologe, sondern schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes Publikum hindeutet (Mil. 82; 83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a. E.), so muessen wohl die meisten Zuschauer sich Stuehle mitgebracht oder sich auf den Boden gesetzt haben. ——————————————— Das Publikum war nichts weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren Staende sich nicht von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurueck; die Vaeter der Stadt scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Buergerfestes liegt, wurden zwar Sklaven und wohl auch Auslaender ausgeschlossen, aber jedem Buerger mit Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet ^8, und es kann darum die Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen sein, als wie man sie heutzutage bei oeffentlichen Feuerwerken und Gratisvorstellungen sieht. Natuerlich ging es denn auch nicht allzu ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und kreischten, hier und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu draengen; die Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als Feiertag und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der Rute zu wirken.
———————————————- ^8 Frauen und Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater zugelassen worden zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp. 12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von Rechts wegen ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. XIX, 223) und dasselbe muss wohl von den Fremden gelten, abgesehen natuerlich von den Gaesten der Gemeinde, die unter oder neben den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, 155; Tust. 43, 5, 10; Suet. Aug. 44). ———————————————- Durch die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten kein Oberfluss gewesen zu sein – ein Stueck des Naevius musste einmal in Ermangelung von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden. Allein. in der Stellung des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts; der Poet oder, wie er in dieser Zeit genannt ward, der “Schreiber”, der Schauspieler und der Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu der an sich gering geachteten Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch vor wie nach in der oeffentlichen Meinung auf die markierteste Weise zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt (l, 475). Natuerlich hielten sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe fern – der Direktor der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in der Regel zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt werden, sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering – ein Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem Ende dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, sondern ward ueberdies von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das Stueck nicht durchfiel. Mit der Bezahlung war alles abgetan: von Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie sie in Attika vorkamen, war in Rom noch nicht die Rede – man scheint daselbst in dieser Zeit,
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