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  • 1854-1856
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die Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es waere darum wohl an der Zeit, einmal abzulassen von jener kinderhaften Geschichtsbetrachtung, welche die Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die Roemer nur auf Kosten der Griechen preisen zu koennen meint und, wie man die Eiche neben der Rose gelten laesst, so auch die beiden grossartigen Organismen, die das Altertum hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu tadeln, sondern es zu begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch ihre Mangelhaftigkeit bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der Verschiedenheit beider Nationen liegt ohne Zweifel darin, dass Latium nicht, wohl aber Hellas in seiner Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt hat. Kein Volksstamm der Erde fuer sich allein war gross genug, weder das Wunder der hellenischen noch spaeterhin das Wunder der christlichen Kultur zu erschaffen; diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt, wo aramaeische Religionsideen in den indogermanischen Boden sich eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren und von beiden zu lernen.
Also war und wirkte die roemische Religion in ihrer reinen und ungehemmten durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es tut ihrem nationalen Charakter keinen Eintrag, dass seit aeltester Zeit Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem Auslande heruebergenommen wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts an einzelne Fremde den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von alters her mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich; bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern und Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist bereits gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt worden sind, ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere Bezeichnung der Genien (von lascivus), und die Minerva, die Goettin des Gedaechtnisses (mens, menervare), welche man wohl als urspruenglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach sprachlichen Gruenden vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden Fall, und passt auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr wissen, dass frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass gaben die griechischen Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter beschraenkte sich im ganzen auf Ja und Nein und hoechstens auf die Verkuendigung ihres Willens durch das – wie es scheint, urspruenglich italische – Werfen der Lose ^6; waehrend seit sehr alter Zeit, wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten empfangenen Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar frueh bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin Apollons, der kymaeischen Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der griechischen Gastfreunde aus Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des Zauberbuches wurde in fruehester Zeit ein eigenes, nur den Augurn und Pontifices im Range nachstehendes Kollegium von zwei Sachverstaendigen (duoviri sacris faciundis) bestellt, auch fuer dasselbe zwei der griechischen Sprache kundige Sklaven von Gemeinde wegen angeschafft; diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften Faellen an, wenn es, um ein drohendes Unheil abzuwenden, eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte und man doch nicht wusste, welchem Gott und wie er zu beschaffen sei. Aber auch an den delphischen Apollon selbst wandten schon frueh sich ratsuchende Roemer; ausser den schon erwaehnten Sagen ueber diesen Verkehr zeugt davon noch teils die Aufnahme des mit dem delphischen Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus in alle uns bekannte italische Sprachen, teils die aelteste roemische Form des Namens Apollon Aperta, der Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des dorischen Apellon, deren Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische Herakles ist frueh als Herclus, Hercoles, Hercules in Italien einheimisch und dort in eigentuemlicher Weise aufgefasst worden, wie es scheint zunaechst als Gott des gewagten Gewinns und der ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb sowohl von dem Feldherrn der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem Kaufmann der Zehnte des errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit dem alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die Verehrung des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; er wurde, mit einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck Italiens verehrt und in den Gassen der Staedte wie an den Landstrassen standen ueberall seine Altaere. Die Schiffergoetter ferner, Kastor und Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der Gott des Handels, Hermes, der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios oder Aesculapius, wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren oeffentliche Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der “guten Goettin” (bona dea) damium, entsprechend dem griechischen damion oder d/e/mion, mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. Auf alter Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer spaeter als “Vater Befreier” gefasst ward und mit dem Weingott der Griechen, dem “Loeser” (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der roemische Gott der Tiefe der “Reichtumspender” (Pluton – Dis pater) hiess, dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass heisst Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen Ionier, der ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war das Schnitzbild in dem roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus gefertigt. Nur auf diesem Wege, durch die frueh mit orientalischen Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, dionysischen, plutonischen, herakleischen und Artemismythen, hat in dieser Epoche die aramaeische Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf Italien geuebt. Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen Religion vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht haben. —————————————
^6 Sors, von serere, reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur gereihte Holztaefelchen, die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an die Runen erinnert.
—————————————- Indessen sind die einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von sekundaerer Bedeutung, die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie etwa die Sage von den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz verschollen; im grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische Schoepfung des Volkes, bei dem wir sie finden. Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu schliessen, was wir davon wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber eben sie gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau war beiden Staemmen die regelmaessige Weise der Goetterbefragung; aber die Titier schauten nach anderen Voegeln als die ramnischen Augurn. Ueberall, wo wir vergleichen koennen, zeigen sich aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der Goetter als Abstraktion des Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden Staemmen gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen den charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen. Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf uns gekommen sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine duestere und dennoch langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feierliche Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publikum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Kult bei weitem nicht in solcher Vollstaendigkeit und Reinheit wie den latinischen; aber mag die spaetere Gruebelei auch manches erst hineingetragen haben, und moegen auch gerade die duesteren und phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich entfernenden Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des etruskischen Volkes begruendet.
Ein innerlicher Gegensatz des sehr ungenuegend bekannten etruskischen Gottheitsbegriffs zu dem italischen laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt treten unter den etruskischen Goettern die boesen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der Gefangenen einschliesst – so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer, in Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der Tiefe friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen “guten Geister”, wie die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die die armen Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen abgeholt werden von dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen Greisengestalt mit Fluegeln und einem grossen Hammer; einer Gestalt, die man spaeter in Rom bei den Kampfspielen verwandte, um den Mann zu kostuemieren, der die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der Schatten die Pein verbunden, dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach gewissen geheimnisvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen Goetter. Es ist merkwuerdig, dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die Etrusker frueh von den Griechen deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie denn die acherontische Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der etruskischen Weisheit spielen. Aber vor allen Dingen beschaeftigt den Etrusker die Deutung der Zeichen und Wunder. Die Roemer vernahmen wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter; allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im allgemeinen, ob die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im Laufe der Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie zum Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und man suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt schleunigst getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich damit nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden der Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins einzelne heraus, und je seltsamer die Goettersprache, je auffallender das Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er an, was er verkuende und wie man das Unheil etwa abwenden koenne. So entstanden die Blitzlehre, die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der ganzen Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren, der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden, Tages genannt – man sollte meinen, dass das zugleich kindische und altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -, also Tages hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann sogleich gestorben. Seine Schueler und Nachfolger lehrten, welche Goetter Blitze zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz einen dauernden Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn dieses, ob dasselbe ein unabaenderlich datiertes sei oder durch Kunst sich verschieben lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den eingeschlagenen Blitz bestatte oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und dergleichen wundersame Kuenste mehr, denen man gelegentlich die Sportulierungsgelueste anmerkt. Wie tief dies Gaukelspiel dem roemischen Wesen widerstand, zeigt, dass, selbst als man spaeter in Rom es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht ward, es einzubuergern; in dieser Epoche genuegten den Roemern wohl noch die einheimischen und die griechischen Orakel.
Hoeher als die roemische Religion steht die etruskische insofern, als sie von dem, was den Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt mit ihren Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische Jupiter selber befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie entstanden ist, so auch wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind. Ueber den geistigen Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und Philosophie einmal gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch ihnen ein geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen gewesen zu sein.
13. Kapitel
Ackerbau, Gewerbe und Verkehr
Ackerbau und Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der aeusseren Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht werden, anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische, namentlich die roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend zu schildern. Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft jenseits der Einwanderung der Italiker in die Halbinsel faellt, ward schon bemerkt. Der Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen Gemeinden, der sabellischen und der etruskischen nicht minder als der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien in geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme ueberall, je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem Masse, neben dem Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man es empfand, dass jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die schoene Sitte, die Anlage neuer Staedte damit zu beginnen, dass man dort, wo der kuenftige Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine Furche vorzeichnete. Dass namentlich in Rom, ueber dessen agrarische Verhaeltnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit sprechen laesst, nicht bloss der Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit der Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am klarsten die Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser Teil des roemischen Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern gelangt war und also die Rechte und Pflichten der Buergerschaft nicht mehr auf der Ansaessigkeit ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung dies Missverhaeltnis und die daraus drohenden Gefahren nicht bloss fuer einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem sie die Gemeindeglieder ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer allemal nach der Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht auf die Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf der Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und Eroberungspolitik der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf die Ansaessigkeit; wie im Staat der ansaessige Mann allein galt, so hatte der Krieg den Zweck, die Zahl der ansaessigen Gemeindeglieder zu vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward entweder genoetigt, ganz in der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution oder fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische Bauernhoefe entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die Roemer; aber keines hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden also im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der Krieg gewinnt, kann der Krieg wieder entreissen, aber nicht also die Eroberung, die der Pflueger macht; wenn die Roemer viele Schlachten verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen Boden abgetreten haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern an ihrem Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des Mannes und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste und unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf die geschlossene Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft. Dass in aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach den einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag unter die einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt ward, ist bereits angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und Geschlechtergemeinde innerlich zusammenhaengen und auch spaeterhin in Rom noch das Zusammenwohnen und Wirtschaften der Mitbesitzer sehr haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische Rechtsueberlieferung weiss noch zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in Vieh und Bodenbenutzung bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu Sondereigentum aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die aelteste Bezeichnung des Vermoegens als “Viehstand” (pecunia) oder “Sklaven- und Viehstand” (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder und Sklaven als “Schaefchen” (peculium); ferner die aelteste Form des Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur fuer bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass des “Eigenlandes” (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann ^3. Wann und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat, laesst sich nicht mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel fest, dass die aelteste Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern als Surrogat dafuer die Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon die Servianische den aufgeteilten Acker voraussetzt. Aus derselben Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse des Grundbesitzes aus mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu tun und zu leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des Pfluges gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt ward, schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden.
———————————————————— ^1 Die bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie bei den Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes in jedem wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet worden, so wuerde doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von zerstueckelten Hufen ausgehen. Allein es ist vielmehr das Gegenteil der Fall; die Individualnamen der roemischen Hufen (fundus Cornelianus) zeigen deutlich, dass der aelteste roemische Individualgrundbesitz faktisch geschlossen war. ^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. 15) berichtet: Tunc (zur Zeit des Romulus) erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo pecuniosi et locupletes vocabantur. – (Numa) primum agros, quos bello Romulus ceperat, divisit viritim civibus. Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig Kuriendistrikte teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16). ^3 Da dieser Behauptung fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die Zahlen reden. Die roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der Kaiserzeit rechnen durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf roemische Scheffel Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines Heredium ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es lediglich als Ackerland betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht nimmt, 50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 Scheffel. Auf den erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet Cato (agr. c. 56) fuer das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine roemische Familie von dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach sich jeder selber beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt sich darauf, dass der Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie Bauer der aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist; beides ist wohl richtig, aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne Zweifel sind die Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und die Gemeinweide an Feigen, Gemuese, Milch, Fleisch (besonders durch die alte und intensive Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders fuer die aeltere Zeit in Anschlag zu bringen; aber die aeltere roemische Weidewirtschaft war, wenn auch nicht unbedeutend, so doch von untergeordneter Bedeutung und die Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das Getreide. Man mag ferner wegen der Intensitaet der aelteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen Steigerung besonders des Bruttoertrags gelangen – und ohne Frage haben die Bauern dieser Zeit ihren Ackern einen groesseren Ertrag abgewonnen, als die Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch mit grossem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des zehnten Korns statt des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, und sie genuegt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme Defizit, welches auch nach diesen Ansaetzen zwischen dem Ertrag des Heredium und dem Bedarf des Hauswesens bleibt, durch blosse Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der Gegenbeweis erst dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag eines Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die Ernaehrung einer Familie ausreichend herausstellt.
Man behauptet nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit Koloniegruendungen mit Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige Beispiel der Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von denjenigen Gelehrten, gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt, Argumente zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail zuverlaessigen Ueberlieferung gezaehlt werden und unterliegt auch noch anderen sehr ernsten Bedenken. Das allerdings ist richtig, dass bei der nichtkolonialen Ackeranweisung an die gesamte Buergerschaft (adsignatio viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben worden sind (so z. B. Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch keineswegs in den Losen neue Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in der Regel zu den bestehenden vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt werden (vgl. CIL I, p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein als eine Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem weniger bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf Grundstuecken von sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln Ertrag nicht auskommen zu koennen. ———————————————- Die Landwirtschaft ging wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche Korn war der Spelt (far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese fleissig gezogen.
——————————————— ^4 Vielleicht der juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den Nachweis zu fuehren, dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes hat leben koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust. 1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen zehn Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt, woraus denn gefolgert wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten, doch einen betraechtlich hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau. Es ist aber vielmehr das Umgekehrte richtig und jene nominell hoehere Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus dem Umstand, dass die Roemer den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten, den Spelt aber in den Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier durch das Dreschen nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der Spelt auch heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert nach Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen aber geringeren. Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G. Hanssen mitteilt, rechnet man dort als Durchschnittsertrag fuer den wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer Aussaat von ¨-´ Scheffel) drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (= 825 Pfund), an Spelt (bei einer Aussaat von ´-1´ Scheffel) mindestens sieben Scheffel zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), welche durch die Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert der Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht nach aber vor der Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung (als Kern”) weniger als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet worden ist, sondern weil es zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser Art von ueberlieferten und gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die oben aufgestellte Berechnung auf Weizen gestellt worden; sie durfte es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht wesentlich abweicht und der Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist genuegsamer in bezug auf Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als der Weizen; aber der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend von Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden 3 Kreuzer, der Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in Sueddeutschland, wo der Boden ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen wird, und ueberhaupt bei vorschreitender Kultur dieser den Speltbau zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige Uebergang der italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar ein Fortschritt gewesen.
——————————————————– Dass die Pflege des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler nach Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt und diese dem Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen entlehnten Weingott, dem Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer recht alten Sage der Koenig Mezentius von Caere von den Latinern oder den Rutulern einen Weinzins fordert, wenn als die Ursache, welche die Kelten veranlasste, die Alpen zu ueberschreiten, in einer weit verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten italischen Erzaehlung die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und vor allem mit der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz der Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh und allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige Rebenzucht hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste Priester der Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst damit begonnen hatte; in gleicher Weise verbot eine tusculanische Ordnung das Feilbieten des neuen Weines, bevor der Priester das Fest der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso gehoert hierher nicht bloss die allgemeine Aufnahme der Weinspende in das Opferritual, sondern auch die als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte Vorschrift der roemischen Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen Reben gewonnenen Wein zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das nuetzliche Doerren des Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten Getreides untersagten.
Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach Italien gekommen ^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts der Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; es stimmt dazu, dass der Oelzweig und die Olive im roemischen Ritual eine weit untergeordnetere Rolle spielen als der Saft der Rebe. Wie wert uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt, beweisen der Rebstock und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit des Curtischen Teiches gepflanzt wurden. —————————————
^5 Oleum, oliva sind aus elaion, elaia, amurca (PHlhefe) aus amorg/e/ entstanden.
————————————— Von den Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in Italien einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren ebenfalls mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen. —————————————
^6 Aber dass der vor dem Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) umgehauen ward (Plin. nat. 15, 18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX fehlt in allen guten Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21, interpoliert.
—————————————– Es waren der Bauer und dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und ueberhaupt die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den gewoehnlichen Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier, auch die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere. Eine selbstaendige Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand wenigstens auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land nicht oder nur in sehr beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem Kleinvieh, das man auf die gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof Schweine und Gefluegel, besonders Gaense gehalten. Im allgemeinen ward man nicht muede zu pfluegen und wieder zu pfluegen – der Acker galt als mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so dicht gezogen waren, dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb war mehr intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das hartnaeckige Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu wahrscheinlich die geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn dem praktischen Italiener war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die mit der ererbten Scholle ueberkommene Bestellungsweise fremd, und einleuchtende Verbesserungen der Landwirtschaft, wie zum Beispiel der Anbau von Futterkraeutern und das Berieselungssystem der Wiesen, moegen schon frueh von den Nachbarvoelkern uebernommen oder selbstaendig entwickelt worden sein; begann doch die roemische Literatur selbst mit der theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen und verstaendigen Arbeit folgte die erfreuliche Rast; und auch hier machte die Religion ihr Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch dem Niedrigen durch Pausen der Erholung und der freieren menschlichen Bewegung zu mildern. Jeden achten Tag (nonae), also durchschnittlich viermal im Monat, geht der Bauer in die Stadt, um zu verkaufen und zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu besorgen. Eigentliche Arbeitsruhe bringen aber nur die einzelnen Festtage und vor allem der Feiermonat nach vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae); waehrend dieser Fristen rastete nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es ruhten in Feiertagsmusse nicht bloss der Bauer, sondern auch der Knecht und der Stier. In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische Bauernstelle in aeltester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte Verwaltung gab es fuer die Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht, den leichtsinnigen Verschleuderer ererbten Vermoegens gleichsam als einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich entzogen, und wenn sie sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen Geschlechtsgenossen zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils dadurch, dass es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang des Eigentums an der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den Glaeubiger verordnete, teils durch das strenge und rasch zum faktischen Konkurs fuehrende Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch erreichte, wie die Folge zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich unbeschraenkt. So wuenschenswert es auch sein mochte, dass die Miterben im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen Gemeinschaft zu jeder Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brueder friedlich zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen Geiste des roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn auch, dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat. Die Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der Gewohnheit und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass man sich hierin nicht getaeuscht hat und die Landgueter in der Regel zusammengeblieben sind, beweist schon die allgemeine roemische Sitte, sie mit feststehenden Individualnamen zu bezeichnen. Die Gemeinde griff nur indirekt hier ein durch die Ausfuehrung von Kolonien, welche regelmaessig die Gruendung einer Anzahl neuer Vollhufen, und haeufig wohl auch, indem man kleine Grundbesitzer als Kolonisten ausfuehrte, die Einziehung einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte. Bei weitem schwieriger ist es, die Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes zu erkennen. Dass es einen solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab, ist nach der fruehen Entwicklung der Ritterschaft nicht zu bezweifeln und erklaert sich auch leicht teils aus der Aufteilung der Geschlechtsmarken, welche bei der notwendig ungleichen Kopfzahl der in den einzelnen Geschlechtern daran Teilnehmenden von selbst einen Stand von groesseren Grundbesitzern ins Leben rufen musste, teils aus der Menge der in Rom zusammenstroemenden kaufmaennischen Kapitalien. Aber eine eigentliche Grosswirtschaft, gestuetzt auf einen ansehnlichen Sklavenstand, wie wir sie spaeter in Rom finden, kann fuer diese Zeit nicht angenommen werden; vielmehr ist die alte Definition, wonach die Senatoren Vaeter genannt worden sind von den Aeckern, die sie an geringe Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher zu ziehen und wird urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes, den er nicht selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in kleinen Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, wie dies noch jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger konnte Hauskind oder Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann war, so war sein Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen des “Bittbesitzes” (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt diesen, solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel, um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte dieser ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des Bodennutzers an den Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht notwendig; ohne Zweifel aber fand sie haeufig statt und mag wohl in der Regel in der Abgabe eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich naehert, immer aber von ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines festen Endtermins, teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und den lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen, religioes geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch nicht. Das durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte ohne Zweifel im letzten Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen. Dieselbe wurde auch keineswegs erst durch die Aufhebung der Feldgemeinschaft moeglich; denn wie nach dieser der einzelne, konnte vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhaengigen Leuten gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, dass die roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu Schutz und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen Gutswirtschaft erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern in Rom ein Land-, kein Stadtadel hervorging. Da die verderbliche Institution der Mittelmaenner den Roemern fremd blieb, fand sich der roemische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz gefesselt als der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu und griff selber ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, ein guter Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte er nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend der heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde durch diese Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der Vornehmen zu den Geringen hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit wesentlich gemindert. Die freien Bittpaechter, hervorgegangen aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten Leuten und Freigelassenen, machten die grosse Masse des Proletariats aus und waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es der kleine Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist. Die fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde Nation nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse geknechtet hat, scheinen Sklaven anfaenglich nur in sehr beschraenktem Umfang vorhanden gewesen zu sein und infolgedessen die freien Arbeiter eine ganz andere Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir spaeter sie finden. Auch in Griechenland erscheinen in der aelteren Epoche die “Tageloehner” (th/e/tes) vielfach an der Stelle der spaeteren Sklaven und hat in einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern, es bis in die historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der Knecht aber war doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische, sabinische, etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders gegenueberstehen als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu hatte er als Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch tatsaechlich Land und Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine Freilassung gab, lag die Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. Wenn es mit dem grossen Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so war er keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe vom wesentlichsten Nutzen. Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis ebenso vielen Familien eine wenn auch im ganzen geringere Existenz wie der mittlere und kleine; sondern es erwuchsen auch in den verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten Grundherren die natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den ackerbauenden und eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die roemische Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht demjenigen, der kein Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die Pflugschar zu fuehren.
Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht betroffen. Es ist der Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der als Eigentuemer der Gemeinweide betrachtet wird, und teils dieselbe fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu anderen Zwecken bestimmten und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem Stande gehaltenen Herden benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe gegen eine maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am Gemeindeanger mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der einzelnen Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide kann in Rom schon deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum auch von dem Insassen erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem Insassen wohl nur ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward. In dieser Epoche indes scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft ueberhaupt nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die urspruengliche Gemeinweide wohl nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte Land aber wohl groesstenteils sogleich unter die Geschlechter oder spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt ward.
Dass der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, daneben aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus der fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der Latiner, und in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs Numa, das heisst unter den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden Einrichtungen, acht Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser, der Goldschmiede, der Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der Faerber, der Toepfer, der Schuster – womit fuer die aelteste Zeit, wo man das Brotbacken und die gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die Wolle zu den Kleidern selber spannen, der Kreis der auf Bestellung fuer fremde Rechnung arbeitenden Gewerke wohl im wesentlichen erschoepft sein wird. Merkwuerdig ist es, dass keine eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es bestaetigt dies aufs neue, dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit der Bearbeitung des Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum Beispiel fuer den heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die spaeteste Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft muessen diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser Bedeutung gewesen sein, die nicht abgemessen werden darf nach den spaeteren, durch die Masse der fuer den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden Handwerkersklaven und die steigende Einfuhr von Luxuswaren gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen Handwerks. Die aeltesten Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen Streitgott Mamers, sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach dem goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern gleiche Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers und der Esse Volcanus erscheint bereits in dem uralten roemischen Festverzeichnis. Auch in dem aeltesten Rom sind also wie allerorten die Kunst, die Pflugschar und das Schwert zu schmieden und sie zu fuehren, Hand in Hand gegangen und fand sich nichts von jener hoffaertigen Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst begegnet. Seit indes die Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich auf die Ansaessigen legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom Waffenrecht ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies wohl der Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und politischen Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass unkundige Leute in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren weder von Monopoltendenzen noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation – freilich sind auch ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die Nachrichten so voellig versiegt wie ueber die Gewerke. Dass der italische Handel sich in der aeltesten Epoche auf den Verkehr der Italiker untereinander beschraenkt hat, versteht sich von selbst. Die Messen (mercatus), die wohl zu unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten (nundinae), sind in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die internationalen Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit der Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden haben; die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, mochten diese Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in Rom zu erledigen und ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und vielleicht noch groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche Landesversammlung am Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) im Gebiet von Volsinii, welche zugleich als Messe diente und auch von roemischen Kaufleuten regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte im Hain der Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht guenstiger zu finden war fuer den Warentausch unter den drei grossen Nationen. Der hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium und Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen hier die roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten manchen Hader mit den Sabinern herbei.
Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das erste griechische oder phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier halfen bei vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus; hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen aeltesten Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste Tauschmittel waren Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe gingen; sowohl die Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich allgemein stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz zwischen Gross- und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden besonders bei den Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische, sondern noch darueber hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft zurueck ^7. Daneben kam in Italien, wo man besonders fuer die Ackerbestellung und die Ruestung allgemein des Metalls in ansehnlicher Menge bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst die noetigen Metalle erzeugten, sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer (aes) auf, wie denn den kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die “Kupferung” (aestimatio) hiess. In dieser Feststellung des Kupfers als allgemeinen, auf der ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den spaeter noch genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer Erfindung und in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses aeltesten sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen Voelker vorliegen. ———————————————– ^7 Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf zu zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus p. 237, vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe Bestimmung, wenn nach islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich gelten; nur dass hier, wie auch sonst, das deutsche Recht dem aelteren dezimalen das Duodezimalsystem substituiert hat.
Dass die Bezeichnung des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den Deutschen (englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt. ———————————————– In welcher Art der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen Italiker einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen geringen und unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von den fremden Nationen zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische Vermittlung empfingen; woher denn auch der Mangel staedtischer Entwicklung ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien Griechen und Italiker friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch in Etrurien ein ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die aeltesten Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken schliessen, die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt sind, teils und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden Manufakte, ehe man sie nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht bestimmen, wie weit die Entwicklung der Handwerke vor der Scheidung der Staemme und dann wieder in derjenigen Periode gediehen ist, wo Italien sich selbst ueberlassen blieb; es mag dahingestellt werden, inwieweit die italischen Walker, Faerber, Gerber und Toepfer von Griechenland oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder selbstaendig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen sein, nachdem der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter den Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und Praeneste in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten Loewen und aehnlichen Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das einzelne Fundstueck gestritten werden, ob es vom Ausland eingefuehrt oder einheimische Nachahmung ist; im ganzen leidet es keinen Zweifel, dass die ganze italische Westkueste in aeltester Zeit Metallwaren aus dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo von der Kunstuebung die Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur wie die Plastik in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch griechischen Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass die aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen sind. In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck noch mit eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem Ton, nach Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu schliessen, aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem Alabaster, darunter mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten oder eingeschnitzten Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. Die letzten koennen aus dem Norden auf dem Landweg gekommen sein; die uebrigen Gegenstaende aber beweisen die Einfuhr von Salben und Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher kamen Linnen und Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe Gebrauch der linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten Lehnnamen (linon linum; porph?ra purpura; sk/e/ptron skip/o/n scipio, auch wohl elephas ebur; th?os thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung einer Anzahl auf Ess- und Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich die Benennung des Oels (vgl. 1, 200), der Kruege (amphore?s amp[h]ora ampulla; krat/e/r cratera), des Schmausens (k/o/maz/o/ comissari), des Leckergerichts (ops/o/nion opsonium), des Teiges (maza massa) und verschiedener Kuchennamen (glyko?s lucuns; plako?s placenta; tyro?s turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina patan/e/) und des Specks (arvina arbin/e/) in das sizilische Griechisch Eingang gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches, kerkyraeisches und kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen, beweist eben wie diese sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der griechischen Toepferwaren nach Italien. Dass die griechische Lederarbeit in Latium wenigstens bei der Armatur Eingang fand, zeigt die Verwendung des griechischen Wortes fuer Leder (sk?tos) bei den Latinern fuer den Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich gehoeren hierher die zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten Schifferausdruecke, obwohl die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt: Segel, Mast und Rahe doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9; ferner die griechische Benennung des Briefes (epistol/e/ epistula), der Marke (tessera, von tessara ^10), der Waage (stat/e/r statera) und des Aufgeldes (arrab/o/n arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die Aufnahme italischer Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch, sowie der nachher zu erwaehnende Austausch der Muenz-, Mass- und Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der barbarische Charakter, den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor allem die charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta = plako?nta; ampora = amphorea; statera = stat/e/ra), ist der klarste Beweis ihres hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes (Mercurius) erscheint von Haus aus durch griechische Vorstellungen bedingt und selbst sein Jahrfest darum auf die Iden des Mai gelegt zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten als den Sohn der schoenen Maia.
———————————————– ^8 Vor kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer phoenikischen und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X., Taf. 32), welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum Vorschein kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist. ^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies nicht bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch antenna kann von ana (anhelare, antestari) und tendere = supertensa herkommen. Dagegen sind griechisch gubernare steuern kybernan, ancora Anker agkyra, prora Vorderteil pr/o/ra, aplustre Schiffshinterteil aphlaston, anquina der die Rahen festhaltende Strick agkoina, nausea Seekrankheit naysia. Die alten vier Hauptwinde – aquilo der Adlerwind, die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung, vielleicht der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende Suedwestwind, der Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen Meer herwehende Nordwestwind – haben einheimische nicht auf Schiffahrt bezuegliche Namen; alle uebrigen lateinischen Windnamen aber sind griechisch (wie eurus, notus) oder aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus = ap/e/li/o/t/e/s, Africus = lips).
^10 Zunaechst sind die Marken im Lagerdienst gemeint, die xyl/e/phia kata phylak/e/n brachea tele/o/s echonta charakt/e/ra (Polyb. 6, 35, 7); die vier vigiliae des Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die Vierteilung der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch; die Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv. 35, 14), auf die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen Lager eingewirkt haben. Die Verwendung der nicht dorischen Form spricht fuer verhaeltnismaessig spaete Uebernahme des Wortes.
—————————————— Sonach bezog das aelteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine Luxuswaren aus dem Osten, bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst zu fabrizieren versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als seine Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann Sklaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa im Ausland Missernte eingetreten war, sein Getreide. Aus diesem Stande des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden Aequivalente ist schon frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel in Latium und in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen alle hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen Passivhandel fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer, dessen sie notwendig bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder Sklaven eintauschen, wie denn der uralte Vertrieb der letzteren auf das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward; dagegen musste die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua wie in Spina sich notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte Wohlstand dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies in allen einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, nur mit ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber finden sich in Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine Sonderstellung gehabt zu haben und mit Falerii und dem suedlichen Etrurien in besonders enger Verbindung gewesen zu sein scheint, die latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck auslaendischer Herkunft und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer Zeit aufweist, vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher Rasen die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der Zeit nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an; Latium hat in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich beholfen und selbst die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn nur aeusserst selten haben dergleichen, wie zum Beispiel eine von Poseidonia, dort sich gefunden. In Architektur, Plastik und Toreutik wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und auf Latium, aber nur dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt ausgedehnten Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte; aber in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit zurueck hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen, dass die nach griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren auch in Latium, namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst Absatz fanden, waehrend Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt hat. Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der Latiner und Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den aeltesten Handel der Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum etwas aussprechen als die Vermutung, dass er von Spina und Hatria vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. Dass die westlichen Etrusker sich dreist in die oestlichen Meere wagten und nicht bloss mit Sizilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland verkehrten, ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss die attischen Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so zahlreich vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt, wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt die tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein gesuchter Artikel wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die Silberstuecke von Populonia sind nachgepraegt einem uralten, einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten, anderseits bloss mit einem eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das sich in Athen und an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen gefunden hat und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiss geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung der karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die Etrusker mit den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt; es ist beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser einheimischem Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren sich gefunden haben, welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten herruehren koennen, wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen Handelsmaennern eingefuehrt wurden. Indes darf diesem phoenikischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und namentlich nicht uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen, nicht von den Phoenikern nach Etrurien gebracht sind. Nach einer anderen Richtung weist der latinische Verkehr. So selten wir auch Gelegenheit haben, Vergleichungen der roemischen und der etruskischen Aufnahme hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich sind, eine vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander. Am deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den chalkidisch-dorischen Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern zugebrachte griechische weicht nicht unwesentlich ab von dem den Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide Voelker haben also hier zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu anderer Zeit und an einem anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern wiederholt sich dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische Pultuke sind jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes; der tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische Ulixes gibt genau die in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso entspricht der tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens, der roemische Aiax einer wohl auch sikelischen Nebenform; der roemische Aperta oder Apello, der samnitische Appellun sind entstanden aus dem dorischen Apellon, der tuskische Apulu a us Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums ausschliesslich auf den Zug des latinischen Handels zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin fuehrt jede andere Spur, die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene Muenze von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom bei den Volskern, Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des latinischen Geldwesens zu dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische Bezeichnung der Silbermuenze nomos, das sizilische Mass /e/mina als nummus und hemina in gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so waren umgekehrt die italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans, uncia, die zur Abmessung des nach dem Gewichte an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium aufgekommen sind, in den korrupten und hybriden Formen litra, trias, tetras, ezas, oygkia schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- und Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in ein festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss dem Silber der zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell und vielleicht gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene Aequivalent eines sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen Talents, 1/3 des roemischen Pfundes) als Silbermuenze (litra argyrioy, das ist “Kupferpfund in Silber”) schon in fruehester Zeit namentlich in Syrakus geschlagen ward. Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass die italischen Kupferbarren auch in Sizilien an Geldes Statt umliefen; und es stimmt dies auf das beste damit zusammen, dass der Handel der Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische Geld nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen Benennungen des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden. Auch von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen Staedten in Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in Elea und Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. Dass er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den Sikelioten, beweist schon die bekannte Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach Latium gelangten griechischen Woerter – es genuegt an Aesculapius, Latona, Aperta, machina zu erinnern – dorische Formen zeigen. Wenn der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie Kyme und die phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen Dorern auch nur gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen wenigstens daneben erscheinen; obwohl allerdings auch in diese ionischen Kolonien selbst der Dorismus frueh eingedrungen ist und der Dialekt hier sehr geschwankt hat. Waehrend also alles sich vereinigt, um den regen Handel der Latiner mit den Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem mit den sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann der Verkehr mit den afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstuecke hinreichend belegen, in seiner Einwirkung auf den Kulturstand Latiums doch nur in zweiter Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer beweisend, dass – von einigen Lokalnamen abgesehen – es fuer den alten Verkehr der Latiner mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem sprachlichen Zeugnis gebricht ^11. ———————————————————- ^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen oertlichen Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar aus dem Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in demselben vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich arrabo oder arra und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind offenbar zunaechst Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen orientalischen Lehnwoertern eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines aeltesten Verkehrs mit den Aramaeern aufzuweisen hat. Dass elephas und ebur von dem gleichen phoenikischen Original mit oder ohne Hinzufuegung des Artikels, also jedes selbstaendig gebildet seien, ist sprachlich unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr ha ist, auch so nicht verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte thesaurus; mag dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus dem Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, wie schon die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden Fall griechisches Lehnwort. ———————————————————- Fragen wir weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle Wahrscheinlichkeit fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen Bezeichnungen des Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen Sprachgebrauch der Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten eindringen koennen, dass sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und Kupfer gegen Schmuck einhandelten. Was endlich die Personen und Staende anlangt, durch die dieser Handel in Italien gefuehrt ward, so hat sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand selbstaendig gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund dieser auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat – eine Annahme, die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von mehreren schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse Grundbesitzer, der von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, frueh zu dem Besitz von Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; der ueberseeische Eigenhandel musste also um so mehr dem Gutsbesitzer zufallen, als er allein die Schiffe und in den Fruechten die Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz zwischen Land- und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht bekannt; die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige Darstellung zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein im wesentlichen ward Rom keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern war und blieb der Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde. 14. Kapitel
Mass und Schrift
Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst des Schreibens hoert seine Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen Bahnen zu folgen.
Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die Begriffe der zeitlichen, raeumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen, das heisst die Zahl und das Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die Natur als naechste Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der leichter misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder das “Gewicht” (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren fuenf oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente alles Zaehlens und Messens nicht bloss ueber die Trennung des griechischen und lateinischen Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit zurueckreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem Monde ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts zu zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die urspruengliche Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewaehrt die bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den Zahlwoertern bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind hier alle aeltesten Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es genuegt, an die so gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten, Magistrate, an die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an die Teilung des Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt die durchstehende Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem Gebiet von Mass und Schrift angehoerige Anwendungen dieses aeltesten Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern. Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen und Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei aeltesten und unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei Zeichen, I, V oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der offenen und der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den Phoenikern entlehnt, dagegen den Roemern, Sabellern und Etruskern gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze zur Bildung einer national italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der Regsamkeit des aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen Verkehrs der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen. Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; es gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100 Fuss ins Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im allgemeinen in denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische Festsetzungen anknuepfen und wahrscheinlich von den Italikern vor Beruehrung mit den Griechen entwickelt worden sind, die Teilung des “Ganzen” (as) in zwoelf “Einheiten” (unciae) vorherrschend. Nach der Zwoelfzahl sind eben die aeltesten latinischen Priesterschaften, die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die etruskischen Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl herrscht im roemischen Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, wo der Fuss (pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem zusammengesetzte “Trieb” (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1. Im Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen sein.
—————————————— ^1 Urspruenglich sind sowohl “actus” Trieb, wie auch das noch haeufiger vorkommende Doppelte davon, “iugerum”, Joch, wie unser “Morgen” nicht Flaechen-, sondern Arbeitsmasse und bezeichnen dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk, mit Ruecksicht auf die namentlich in Italien scharf einschneidende Mittagsruhe des Pfluegers.
——————————————– Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen sein mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein neben der Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung wohl nur gefunden werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und Mondlaufs. Mehr noch als an der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf Mondkreislaeufen zuerst dem Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus gleichen Einheiten zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff eines Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu sein und vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen. Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber wohl das Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das heisst diejenigen Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich ist, die Folgen des neuen internationalen Verkehrs. Der aelteste roemische Fuss ist verschollen; der, den wir kennen und der in fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, ist aus Griechenland entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen Einteilung in Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und sechzehn Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht in ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sizilien herrschte, nicht aber in Kyme – wieder ein bedeutsamer Beweis, dass der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier roemische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das roemische Pfund gleich anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die roemischen Koerpermasse teils in den Namen, die aus den griechischen entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach medimnos congius aus choe?s, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum von ox?baphon) entstanden sind, waehrend umgekehrt xest/e/s Korruption von sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer trockene Waren, die roemische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu dem griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 : 1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen versteht, steht in diesen Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben.
Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Roemer das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen Zeichen der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer 100 zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens das Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich das Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das roemische im wesentlichen in Etrurien angenommen ward. In gleicher Weise ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der italische Kalender, nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte, spaeter unter griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich die Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes am unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt, lange Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang wurden auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen Ausrufer bis in spaete Zeit hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich einstmals an jedem der vier Mondphasentage die von da bis zum naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch die Priester abgerufen. Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich nicht bloss bei den Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, sondern von dem naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, die bei der mittleren Dauer von 7? Tagen zwischen sieben- und achttaegiger Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der mittleren Dauer des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 Minuten bald neunundzwanzig-, bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die kleinste, der Mond die groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin begann man Tag und Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der Stundenteilung sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller und die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens als die Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht kalendarisch geordnet gewesen, da die Benennungen des Jahres und der Jahresteile bei den Griechen und den Italikern voellig selbstaendig gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon in der vorhellenischen Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, doch zur Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit fortgeschritten zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der Rechnung nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung einer Frist von zehn Monaten als eines “Ringes” (annus) oder eines Jahrganzen traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber auch noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, das Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus der Beobachtung des Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunaechst auf die Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es zusammenhaengen, dass in den Individualnamen der Monate – welche erst entstanden sein koennen, seit der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst wurde -, namentlich in den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das Problem, einen zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen Kalender herzustellen – diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen es vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der Epoche, wo die Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter beschaeftigt haben; indes diese rein nationalen Loesungsversuche sind verschollen. Was wir von dem aeltesten Kalender Roms und einiger andern latinischen Staedte wissen – ueber die sabellische und etruskische Zeitmessung ist ueberall nichts ueberliefert -, beruht entschieden auf der aeltesten griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich den Phasen des Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war auf der Annahme eines Mondumlaufs von 29´ Tagen, eines Sonnenumlaufs von 12´ Mondmonaten oder 368_ Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen oder dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber durch willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass diese griechische Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern in Gebrauch gekommen ist; die aelteste roemische Jahrform aber, die sich geschichtlich erkennen laesst, weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis und ebenso wenig in dem Wechsel der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, wohl aber wesentlich in der Benennung wie in der Abmessung der einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies roemische Jahr beginnt mit Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der einzige, der von einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars (Martius), die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen (iunius), der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis, sextilis, september, october, november, december), der elfte vom Anfangen (ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). Zu dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein namenloser “Arbeitsmonat” (mercedonius) am Jahresschluss, also hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem altnationalen heruebergenommenen Namen der Monate ist der roemische Kalender in der Dauer derselben selbstaendig: fuer die vier aus je sechs dreissig- und sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten und einem jedes zweite Jahr eintretenden, abwechselnd dreissig- und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm gesetzt worden vier Jahre von je vier – dem ersten, dritten, fuenften und achten – einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen Monaten, ferner einem in drei Jahren acht-, in dem vierten neunundzwanzigtaegigen Februar und einem jedes andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + 383 + 355 + 382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der urspruenglichen Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige Wochen; er liess die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es tun, und setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. Er setzte daneben ein fuer allemal das erste Viertel in den einunddreissigtaegigen Monaten auf den siebenten, in den neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen auf den fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt zu werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des Rufetages (kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen Zeitabschnitts des Monats wurde – der roemischen Sitte gemaess, den Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzaehlen – bezeichnet als Neuntag (nonae). Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht Scheidetag). Das dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde liegende Motiv scheint hauptsaechlich der Glaube an die heilbringende Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und wenn er im allgemeinen an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so tritt in seinen Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in Unteritalien uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser roemische Kalender, so deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem Mond- wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit dem Mondlauf keineswegs so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein griechisches Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste griechische, nicht anders als mittels haeufiger willkuerlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da man den Kalender schwerlich mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat, hoechst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des aeltesten roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird dieser roemische Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen werden koennen. Bei der allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen in der Bezifferung und den Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen Grundlage wohl vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das tatsaechlich von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren willkuerlichen, etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, wie denn beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von Unteritalien aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu anderen italischen Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen Stadtkalendern weitere untergeordnete Umgestaltungen erfahren.
—————————————- ^2 Aus derselben Ursache sind saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder 15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45 Jahresfeste. Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die geraden Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen wird.
—————————————– Zur Messung mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre der Koenige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen ist. Dagegen scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit verbundene Schatzung und Suehnung der Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzaehlung der Anlage nach gleiche Zaehlung der Lustren angeknuepft zu haben, die indes infolge der bald in der Abhaltung der Schatzungen einreissenden Unregelmaessigkeit ihre chronologische Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat. Juenger als die Messkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden werden koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in so mannigfaltigen Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss, beweist am besten die Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische, indische, griechisch-roemische und heutige Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht; und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame Schoepfung der Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in dem der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann, erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb denn auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet erfunden worden ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk selbstaendig und in hoechst abweichender Weise, aus der durch den Handel ihnen zugefuehrten aramaeischen Konsonantenschrift das vollstaendige Alphabet erschaffen durch Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier fuer die Griechen als Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a e i o und durch Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der Silbe in die Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides sagt: Heilmittel also ordnend der Vergessenheit Fuegt ich lautlos’ und lautende in Silben ein Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen. Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern zugebracht worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber durch die Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch die Kaufleute etwa von Kyme oder Tarent, von denen es zunaechst nach den uralten Vermittlungsstaetten des internationalen Verkehrs in Latium und Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein wird. Das Alphabet, das die Italiker empfingen, ist keineswegs das aelteste hellenische: es hatte schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den Zusatz der drei Buchstaben x ph ch und die Abaenderung der Zeichen fuer y g l ^3. Auch das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das latinische Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus dem griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach Etrurien und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das etruskische Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und nur ein einfaches k ^4 und vom r nur die aeltere Form P; das latinische kennt, soviel wir wissen, nur ein einziges s, dagegen ein doppeltes k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast nur die juengere Form R. Die aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und windet sich wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in abgesetzten Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt, soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach rechts oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den Roemern in jener, bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach Etrurien gebrachte Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten Charakters dennoch in eine sehr alte, wenn auch nicht positiv zu bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da die beiden Sibilanten Sigma und San von den Etruskern stets als verschiedene Laute nebeneinander gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet, das nach Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern der griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San nebeneinander im Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings, wie wir es kennen, im ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass in Latium nicht, wie in Etrurien, bloss eine einmalige Rezeption stattgefunden hat, sondern die Latiner infolge ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen Nachbarn laengere Zeit sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht hielten und den Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel, dass die Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die juengeren AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was sich nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre griechischen Aufzeichnungen wie fuer die in der Muttersprache sich des griechischen Alphabets als solchen bedienten. Deshalb ist es auch bedenklich, aus dem verhaeltnismaessig juengeren Charakter desjenigen griechischen Alphabets, das wir in Rom finden, und dem aelteren des nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass in Etrurien frueher geschrieben worden ist als in Rom. ——————————————- ^3 Die Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin, dass gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem vokalisierten und mit dem u vermehrten phoenikischen, die verschiedenartigsten Vorschlaege zur Ergaenzung und Verbesserung desselben gemacht worden sind und dass jeder dieser Vorschlaege seine eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser Vorschlaege, die auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu behalten vor. Interesse ist, sind die folgenden. I. Einfuehrung eigener Zeichen fuer die Laute x ph ch. Dieser Vorschlag ist so alt, dass mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta alle griechischen und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten Alphabete unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl dahin, die Zeichen CH xi, PH phi, PS chi dem Alphabet am Schluss anzufuegen, und in dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag zu ihnen gelangte, fuer den Laut ~i bereits das fuenfzehnte Zeichen des phoenikischen Alphabets (Samech) X im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten deshalb von den drei neuen Zeichen zwar das PH auch fuer phi, aber das CH nicht fuer xi sondern fuer chi. Das dritte, urspruenglich fuer chi erfundene Zeichen liess man wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man es fest, gab ihm aber den Wert psi. Der kleinasiatischen Schreibweise folgte auch Athen, nur dass hier nicht bloss das psi, sondern auch das xi nicht angenommen, sondern dafuer wie frueher der Doppelkonsonant geschrieben ward. II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man sich bemueht, die naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu verhueten; denn saemtliche uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des Bestrebens, beide Zeichen anders und schaerfer zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit muessen zwei Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den Sibilanten, wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) fuer sch und das achtzehnte (S) fuer s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren vielmehr jenes – und so schrieb man in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln, in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achaeern – oder man ersetzte das Zeichen des i durch einfachen Strich ?, was bei weitem das Gewoehnlichere war und in nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in der Form M auch neben dem ? festhielten.
III. Juenger ist die Ersetzung des leicht mit G g zu verwechselnden l L durch V, der wir in Athen und Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von Korinth abhaengigen Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem g statt der haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben. IV. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer r R p p und r P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche juengere Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen Achaeern und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen sowohl in dem eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit aeberwiegt. Doch ist die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so voellig verschwunden wie die aeltere Form des l; diese Neuerung faellt daher ohne Zweifel spaeter. Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o ist in aelterer Zeit beschraenkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln des Aegaeischen Meeres.
Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann ihren eigenen Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung gefunden hat. Die vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die bisher so dunkle Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht geworfen und auch fuer die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und Italikern wesentliche Daten ergeben, namentlich die bisher ungewisse Heimat des etruskischen Alphabets unwiderleglich festgestellt hat, leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als sie auf einen einzelnen dieser Vorschlaege verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht legt. Wenn ueberhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, darf man die Alphabete nicht nach der Geltung des X als x oder als ch in zwei Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 oder 26 Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das kleinasiatisch-ionische, aus dem das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen ist, und das gemeingriechische der aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den verschiedenen Modifikationsvorschlaegen gegenueber wesentlich eklektisch verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als sie zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen Landschaften die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen Wechselverhaeltnis standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist schon auf den merkwuerdigen Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu den chalkidischen und dorischen mehr kaufmaennischen Kolonien aufmerksam gemacht worden; in jenen sind durchgaengig die primitiven Formen festgehalten, in diesen die verbesserten Formen angenommen, selbst solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich gewissermassen widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen Alphabete stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; dass aber die Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, sondern beide unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend von den vier oben bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien beschraenkt), die drei ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und Latiner ueberging, war die Differenzierung von p und r noch nicht geschehen, als dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es empfingen, weshalb fuer r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei den Faliskern und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen Tongefaesses ausschliesslich die juengere Form begegnet. ^4 Dass das Koppa den Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht zweifelhaft: denn nicht bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur desselben, sondern es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen Gefaesses. Der Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann zu diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am Schluss stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen Wert haben als den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte ist und das in dem, die Abweichungen .des etruskischen Alphabets von seinem Muster darlegenden Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend bleibt es freilich, dass in dem nach Etrurien gelangten griechischen Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in dem chalkidisch-dorischen sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich eine lokale Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig werdendes Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen Zeiten Willkuer und Zufall gewaltet; so hat das attische Alphabet das achtzehnte phoenikische Zeichen eingebuesst, die uebrigen aus der Lautschrift verschwundenen im Alphabet festgehalten.
^5 Die vor kurzem bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, 1887), unter den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und lateinischer Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das raetselhafte Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel in den AdI 52, 1880) die aeltere Form des r.
——————————————- Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die Empfaenger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist – offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der Akklimatisierung der Buchstabenschrift in Etrurien.
Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die Geschichte dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger; denn hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr, der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Kuesten mit den Fremden. In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in der man sich im wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert bediente, scheint der Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen Toskana beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria und Spina aus, suedlich an der Ostkueste hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu den Venetern und spaeter sogar zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits derselben gelangt, sodass die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen. Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter Zeilenschrift, auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht mehr zu unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens f, wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. Diese Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und hat, waehrend sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen bei saemtlichen sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich eingebuergert; im weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, haeufig die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue Vokale und Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets aber ist nicht bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen Graeber, sondern betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in einem derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in einer wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da das reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangte.
Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden, Osten und Sueden der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich behauptet; nur fielen g k und z s allmaehlich lautlich zusammen, wovon die Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen (k z) aus der Schrift verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des vierten Jahrhunderts der Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte monumentale und literarische Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme ^7 kennt sie nicht. Wer nun erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen der Unterschied von g c und k k noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, dass also der Zeitraum, wo die Laute in der Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem die Abkuerzungen sich fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege liegt; dass endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung eines konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist verstrichen sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den Anfang der Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten Eintritt der aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre 1321 vor Christi Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechenland die Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter der Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Koenigszeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den ein Koenig Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloss, und der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Buendnisses, das Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das noch Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah – freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon in Metall grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die aelteste derartige roemische Urkunde und das gemeinschaftliche Muster fuer alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere verwandt mit scrobes ^10) oder malte (linere, daher littera) auf Blaetter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), spaeter auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der Samniten wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso die aeltesten, im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Kapitol bewahrten Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch noetig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die Anrede im Senat “Vaeter und Eingeschriebene” (patres conscripti), an das hohe Alter der Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des albanischen und des roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon in der fruehesten Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, so kann das, aber muss nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten hat uns die Kunde der aeltesten roemischen Geschichte entzogen, sondern die Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung berufen war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, fuer die aelteste Epoche Schilderung von Motiven und Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu begehren und ueber deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verweigert haben wuerde. ————————————————————- ^6 In diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen sein, welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der wir Truemmer besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner Entstehung niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber ihren Text nicht auf das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine nach dem gallischen Brande vorgenommene offizielle Niederschrift, beweist die Erzaehlung von der damals erfolgten Wiederherstellung der Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus, dass ihr Text keineswegs die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie aufwies, auch abgesehen davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum Auswendiglernen fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann. ^7 Dies ist die 1, 227 angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von k. ^8 So ist C Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen gilt dieses natuerlich nicht; hier wird g nicht durch c, sondern durch G (GAL Galeria), k in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina), vor a durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn eine Zeitlang hat man den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen Konsonanten durch C ausgedrueckt, dagegen vor a durch K, vor u durch das alte Zeichen des Koppa Q. ^9 Wenn dies richtig ist, so muss die Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn auch natuerlich nicht gerade die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die Zeit fallen, in welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom 850); denn die Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der Beginn des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen Zeit an.
^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann schreiben. ——————————————— Die Geschichte der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die schwache und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den Etruskern, nicht von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich daraus, dass sie das Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den Ruecken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Samniten also dasselbe schon vor ihrer Entlassung aus dem Mutterlande in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits enthaelt diese Geschichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die spaetere, der etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene roemische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern aus Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem eine Spur sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der latinischen Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass sie nicht einmal das so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich angeeignet hat ^11. Ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die von den Roemern wenigstens das Zeichen fuer 50 uebernommen haben. ———————————————- ^11 Das Raetsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v entsprechende Zeichen fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat die Spange von Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen Kolonien Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet angehoerigen boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav Meyer, Griechische Grammatik,  244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und ein aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich naehern. ——————————————— Endlich ist es charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die Entwicklung des griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten untergegangen, waehrend die Umbrer g d, die Samniten d, die Roemer g einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso fielen den Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei den Lateinern finden sich Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte zeigt sich bei den Sibilanten; denn waehrend der Etrusker die drei Zeichen z s sch festhaelt, der Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, beschraenkt sich der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der spaetere Roemer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren Lautverschiedenheiten wurden von den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen maechtigen Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen Loesung der nationalen Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen allmaehlich die Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und Vokale zerruettet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die Zerstoerung der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser Lautzerruettung Hand in Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also im allgemeinen keine andere als die notwendige Verderbnis, welche an jeder Sprache fortwaehrend zehrt, wo ihr nicht literarisch und rationell ein Damm entgegengesetzt wird; nur dass von dem, was sonst spurlos voruebergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren bewahrten. Dass diese Barbarisierung die Etrusker in staerkerem Masse erfasste als irgendeinen der italischen Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen ihrer minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, so wird der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben. 15. Kapitel
Die Kunst
Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch vorzugsweise begabten Nationen gehoerte und gehoert die italienische nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere Komoedie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die parodische Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen haben sie es nicht leicht ueber Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch die hoechsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen, goettliche Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbuecher wie Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent weit weniger hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche Gebiet, insoweit in der Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein Aeusserliches unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene Provinz anheimgefallen ist; die Macht der Schoenheit muss, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor die Augen gerueckt werden. Darum ist er denn auch in den bauenden und bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause und darin in der alten Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der neuen der Meister aller Nationen geworden.
Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht moeglich, die Entwicklung der kuenstlerischen Ideen bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit entschiedener hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug, mit dem das roemische Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den Goetterbildern und den Kaempfern die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Taenzer: jene geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der Juenglinge und der Knaben, alle in roten Roecken mit kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Maenner ueberdies behelmt, ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke nackt bis auf den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die aelteste und heiligste von allen Priesterschaften die “Springer” und durften die Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei keinem oeffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen, weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe ward. Wo aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute oder, was in aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein. Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem Begraebnis, und neben der uralten oeffentlichen Priesterschaft der Springer steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen roemischen Polizei zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und suessen Weines voll auf den Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und gewissermassen Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder dem Taenzer zur Begleitung seiner Spruenge dienen. Den Roemern galt als das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen Waldeseinsamkeit die Blaetter sich selber singen. Was der “guenstige Geist” (faunus, von favere) im Haine fluestert und floetet, das verkuenden die, denen es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner und Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die boesen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur dass in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die religioesen Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der Ackerbrueder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient: ————————————————- ^1 So gibt der aeltere Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man nuechtern eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend und ausspuckend, die Worte spricht: “Ich denke dein, hilf meinen Fuessen. Die Erde empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil” (terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27).
——————————————————————– Enos, Lases, iuvate!
Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores! Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber! Semunis alternei advocapit conctos!
Enos, Marmar, invato!
Triumpe! ^2
——————————————————————– ^2 Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! Die ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf fuenfmal wiederholt. Die Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders der dritten Zeile. Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal lauten: ioue sat deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied – asted noisi ope toitesiai pakariuois – duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo statod. Sicher verstaendlich sind nur einzelne Woerter; bemerkenswert vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten. ————————————————————

an die Goetter Uns, Laren, helfet! Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars, lass einstuermen auf mehrere. Satt sei, grauser Mars!

an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie! Brueder

an alle
Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen

an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf!

an die einzelnen Springe!
Brueder

Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der Baliarischen Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit als die aeltesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu dem Latein der Zwoelf Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach diese ehrwuerdigen Litaneien den indischen Veden vergleichen.
Schon einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab, wuerde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Massnahmen dagegen es ausdruecklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein Buerger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung eines Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter auch zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne Begleitung bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, dass sie schilderten und erzaehlten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der Poesie das epische entwickelten. Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem uralten, ohne Zweifel ueber die Scheidung der Staemme zurueckreichenden Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den Verhaeltnissen, dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht mehrere Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und der Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich ueberwiegend einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter unter dem Namen der fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die Elemente einer volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener fuer das Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war. Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen Epos und Drama. Dass die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von selbst und wird zum Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie regelmaessig von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des aelteren Cato Zeit waren dieselben vollstaendig verschollen. Die Komoedien aber, wenn man den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Mass, die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken. Ob es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft; die Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte Rezitation. Dagegen begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das sogenannte saturnische ^3 oder faunische Mass, welches den Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der aeltesten latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit spaeteren Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung geben.
—————————————— ^3 Der Name bezeichnet wohl nichts als das “Liedermass”, insofern die satura urspruenglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm ist auch der Saeegott Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Saturnus benannt; sein Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist moeglich, dass die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt wurden. Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und vermutlich gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus saturnius mit dem Gott Saturnus und die damit zusammenhaengende Dehnung der ersten Silbe erst der spaeteren Zeit an.
—————————————— Quod re sua difeidens – aspere afleicta Parens timens heic vovit – voto hoc souto Decuma facta poloucta – leibereis lubentes Donu danunt – Hercolei – maxsume – mereto Semol te orant se voti – crebro condemnes Was, Missgeschick befuerchtend – schwer betroffnem Wohlstand, Sorgvoll der Ahn gelobt hier, – des Geloebnis eintraf, Zu Weih’ und Schmaus den Zehnten – bringen gern die Kinder Dem Hercoles zur Gabe – dar, dem hochverdienten; Sie flehn zugleich dich an, dass – oft du sie erhoerest. In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig gesungen worden zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei Wechselliedern hier auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die saturnische Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken Versmassen sowohl das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen mannigfaltigen Lizenzen sich die Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten iambischen und trochaeischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen fuer hoehere poetische Leistungen genuegenden rhythmischen Bau zu entwickeln. Die Grundelemente der volkstuemlichen Musik und Choreutik Latiums, die ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben muessen, sind fuer uns verschollen; ausser dass uns von der latinischen Floete berichtet wird als einem kurzen und duennen, nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie der Name zeigt, aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen Instrument.
Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der latinischen Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco der Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus – Masken, die man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Dottore der italienischen Pulcinellkomoedie verglichen hat -, dass diese Masken bereits der aeltesten latinischen Volkskunst angehoeren, laesst sich natuerlich nicht eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die Volksbuehne von unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in Rom erst ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken an die Anfaenge des roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie als diese Anfaenge selbst betrachten duerfen.
Wenn unsere Kunde ueber die aelteste einheimische Bildung und Kunst von Latium spaerlich fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen ueber die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen, namentlich der griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche letztere den Latinern natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der Kunde des Griechischen zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie bereits in fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich die Hellenen und weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends begegnet bei den letzteren eine musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurueckwiese, und es darf wohl ueberhaupt die phoenikische wie die etruskische den Bastard- und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische Befruchtung aber blieb nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die “Saiten” (fides, von sphid/e/ Darm; auch barbitus barbytos) ist nicht, wie die Floete, in Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches Instrument gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen bereits in dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die bereitwillige Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch die altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor allem kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani) wo nicht seine Entstehung, doch seine spaetere Einrichtung nicht wohl anders als unter griechischem Einfluss erhalten haben. Es ward als ausserordentliche Dankfeier, regelmaessig auf Grund eines von dem Feldherrn vor der Schlacht getanen Geluebdes und darum gewoehnlich bei der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und den mit ihm zusammen hausenden Goettern ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit einer Arena und Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz: voran die ganze Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der Buergerwehr zu Pferde und zu Fuss; sodann die Kaempfer und die frueher beschriebenen Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die Diener der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen heiligen Geraet; endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst war das Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf zu Wagen, zu Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, darauf die abgesprungenen Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach roemischer Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich massen die Kaempfer zu Fuss, nackt bis auf einen Guertel um die Hueften, sich miteinander im Wettlauf, im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkaempfe ward nur einmal und zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen die Wettkaempfe an diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen Karneval, wobei denn die Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen entfaltet haben moegen und wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fanden ^6. Auch die im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Ruestungen der erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte.
———————————————————– ^4 Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist mit dem urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso unvereinbar, wie es nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben in Etrurien lernten. Dass das Studium der etruskischen Sprache damals in Rom die Rolle gespielt habe wie etwa jetzt bei uns das Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten heutigen Bekenner des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen Haruspicin etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten, einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K. O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist die Angabe von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der Republik herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren Annalen, welche zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner Unterhaltung mit Porsena zuliebe als Kind etruskisch lernen lassen (Dion. Hal. 5, 28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. Hal. 3, 70). Aber es gab allerdings eine Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber Italien eine gewisse Kenntnis der Landessprache bei den vornehmen Roemern erforderte. ^5 Den Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der Musik im Jahre 639 wurden nur der “latinische Floetenspieler samt dem Saengern, nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem Mahle sangen nur zur Floete (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51) von den Goetterschmaeusen erzaehlt, ungenau auf Privatgastmaehler uebertragen.
^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt haben, da es noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen Spiele erst spaeter hinzugekommen sind. Dass in jeder Kampfgattung urspruenglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv. 44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig Wagenpaare nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das Neuerung. Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in den roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es sogenannte Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die weisse und die rote. Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knuepfte es an den Aufzug der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72) gedenkt.
———————————————————- Solcher Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch in den Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen Leichenfeier traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch den oeffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem Begraebnis eingeladen ward. Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng verwachsene Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer religioesen Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen Uebungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros’ Zeugnis von Haus aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann diese Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen Verkehrs; fuer die letztere Annahme spricht die ueberwiegende Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist keine der aeltesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu den Anlagen der spaeteren Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluss erfolgt ist (I, 109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine aeltere Belustigungsweise – der “Sprung” (triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in Uebung gebliebene Schaukeln – mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu einem gewissen Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es ist ferner von dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch spadion) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher Zeit in die lateinische Sprache uebergegangen und liegt sogar ein ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, dass die Roemer die Pferde- und Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Roemer ausser den musikalischen und poetischen Anregungen auch den fruchtbaren Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken.
Es waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch diese selbst in fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die Elemente der Gymnastik besassen die Latiner nicht bloss insofern, als der roemische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und den Jagdspiess fuehren lernte und als in Rom jeder Gemeindebuerger zugleich Soldat war; sondern es genoss die Tanzkunst von jeher oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen Wettkaempfen eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die Maskenposse die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische Einwirkung nicht. Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese Samenkoerner nicht aufgingen oder verkuemmerten. Die koerperliche Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und tuechtig, aber fern von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des Koerpers, wie die hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen Wettkaempfe der Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und ohne Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe von Kunstreitern und Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung die erste Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, so kamen die roemischen bald in die Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht das Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum die Rede. Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung kam es nicht. Die italischen Goetter sind Abstraktionen gewesen und geblieben und haben nie zu rechter persoenlicher Gestaltung sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die Menschen, auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker ohne Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der Poesie, dass sie die Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und aus den Staemmen ein Volk, aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur die Gegensaetze der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die griechische Dichtkunst das duerftige und egoistische Stammgefuehl zum hellenischen Volksbewusstsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in Latium trat nichts Aehnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben, aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die Hesiodischen ‘Werke und Tage’. Es konnte wohl das latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknuepfen, wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin wiederfinden oder hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien blieb ohne nationale Poesie und Kunst. Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, dass die Entwicklung der musischen Kuenste in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt, auch fuer uns noch unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie eignen wohl ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und Totenlied gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von Hellas weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der Dichter die Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die aeltere lateinische Sprache keine Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die Liedesmacht ist hier unverhaeltnismaessig schwaecher aufgetreten und rasch verkuemmert. Die Uebung musischer Kuenste hat sich hier frueh teils auf Frauen und Kinder, teils auf zuenftige und unzuenftige Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den Frauen, die Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt worden; auch die religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern ausgefuehrt. Die Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die Klagefrauen (praeficae) unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in Hellas stets blieben, was sie auch in Latium urspruenglich gewesen waren, ehrenvolle und dem Buerger wie seiner Gemeinde zur Zier gereichende Beschaeftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten zurueck, und um so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte und je mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war. Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb geaechtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so schien das auslaendische Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern schaendlich. Waehrend die musischen Kuenste in Griechenland immer mehr Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewusstsein, und indem sie zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der Sichel auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese haeusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen Tradition, die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst (gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter des roemischen Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen schlichter und ihrer selbst kaum bewusster Weisheit, die ebenso einfach sind wie tief; aber ueber der Bewunderung, die sie erweckt, darf es nicht uebersehen werden, dass sie nur durchgefuehrt werden konnte und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung der eigentlichen individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen.