Iphigenie auf Tauris Ein Schauspiel by Johann Wolfgang von GoetheEin Schauspiel

Globaltraveler5565@yahoo.com Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Johann Wolfgang von Goethe Personen: Iphigenie. Thoas, Kˆnig der Taurier. Orest. Pylades. Arkas. — Schauplatz: Hain vor Dianens Tempel Erster Aufzug. Erster Auftritt. Iphigenie. Heraus in eure Schatten, rege Wipfel Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines, Wie in der Gˆttin stilles Heiligthum Tret’ ich noch jetzt mit schauderndem Gef¸hl, Als
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Iphigenie auf Tauris.
Ein Schauspiel.

Johann Wolfgang von Goethe

Personen:

Iphigenie.
Thoas, Kˆnig der Taurier.
Orest.
Pylades.
Arkas.

Schauplatz: Hain vor Dianens Tempel

Erster Aufzug.

Erster Auftritt.

Iphigenie.
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines, Wie in der Gˆttin stilles Heiligthum
Tret’ ich noch jetzt mit schauderndem Gef¸hl, Als wenn ich sie zum erstenmal betr‰te, Und es gewˆhnt sich nicht mein Geist hierher. So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;
Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd. Denn ach mich trennt das Meer von den Geliebten, Und an dem Ufer steh’ ich lange Tage
Das Land der Griechen mit der Seele suchend; Und gegen meine Seufzer bringt die Welle Nur dumpfe Tˆne brausend mir her¸ber.
Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern Ein einsam Leben f¸hrt! Ihm zehrt der Gram Das n‰chste Gl¸ck vor seinen Lippen weg, Ihm schw‰rmen abw‰rts immer die Gedanken Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne
Zuerst den Himmel vor ihm aufschloss, wo Sich Mitgeborne spielend fest und fester Mit sanften Banden an einander kn¸pften, Ich rechte mit den Gˆttern nicht; allein Der Frauen Zustand ist beklagenswerth.
Zu Haus und in dem Kriege herrscht der Mann Und in der Fremde weifl er sich zu helfen. Ihn freuet der Besitz; ihn krˆnt der Sieg! Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet.
Wie eng-gebunden ist des Weibes Gl¸ck! Schon einem rauhen Gatten zu gehorchen,
Ist Pflicht und Trost; wie elend, wenn sie gar Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt! So h‰lt mich Thoas hier, ein edler Mann, In ernsten, heil’gen Sklavenbanden fest. O wie besch‰mt gesteh’ ich, dafl ich dir Mit stillem Widerwillen diene, Gˆttin,
Dir meiner Retterin! Mein Leben sollte Zu freiem Dienste dir gewidmet sein.
Auch hab’ ich stets auf dich gehofft und hoffe Noch jetzt auf dich, Diana, die du mich, Des grˆflten Kˆniges verstoflne Tochter, In deinen heil’gen sanften Arm genommen. Ja, Tochter Zeus, wenn du den hohen Mann, Den du, die Tochter fordernd, ‰ngstigtest, Wenn du den gˆttergleichen Agamemnon,
Der dir sein Liebstes zum Altare brachte, Von Troja’s umgewandten Mauern r¸hmlich Nach seinem Vaterland zur¸ck begleitet, Die Gattin ihm, Elektren und den Sohn,
Die schˆnen Sch‰tze, wohl erhalten hast; So gib auch mich den Meinen endlich wieder, Und rette mich, die du vom Tod errettet, Auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode!

Zweiter Auftritt.

Iphigenie. Arkas.

Arkas.
Der Kˆnig sendet mich hierher und beut Der Priesterin Dianens Grufl und Heil.
Diefl ist der Tag, da Tauris seiner Gˆttin F¸r wunderbare neue Siege dankt.
Ich eile vor dem Kˆnig und dem Heer, Zu melden, dafl er kommt und dafl es naht.

Iphigenie.
Wir sind bereit sie w¸rdig zu empfangen, Und unsre Gˆttin sieht willkommnem Opfer Von Thoas Hand mit Gnadenblick entgegen.

Arkas.
O f‰nd’ ich auch den Blick der Priesterin, Der werthen, vielgeehrten, deinen Blick, O, heil’ge Jungfrau, heller, leuchtender, Uns allen gutes Zeichen! Noch bedeckt
Der Gram geheimnisvoll dein Innerstes; Vergebens harren wir schon Jahre lang
Auf ein vertraulich Wort aus deiner Brust. So lang ich dich an dieser St‰tte kenne, Ist diefl der Blick, vor dem ich immer schaudre; Und wie mit Eisenbanden bleibt die Seele In’s Innerste des Busens dir geschmiedet.

Iphigenie.
Wie’s der Vertriebnen, der Verwais’ten ziemt.

Arkas.
Scheinst du dir hier vertrieben und verwais’t?

Iphigenie.
Kann uns zum Vaterland die Fremde werden?

Arkas.
Und dir ist fremd das Vaterland geworden.

Iphigenie.
Das ist’s, warum mein blutend Herz nicht heilt In erster Jugend, da sich kaum die Seele An Vater, Mutter und Geschwister band;
Die neuen Schˆfllinge, gesellt und lieblich, Vom Fufl der alten St‰mme himmelw‰rts Zu dringen strebten; leider faflte da
Ein fremder Fluch mich an und trennte mich Von den Geliebten, rifl das schˆne Band Mit ehrner Faust entzwei. Sie war dahin, Der Jugend beste Freude, das Gedeihn
Der ersten Jahre. Selbst gerettet, war Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust Des Lebens bl¸ht in mir nicht wieder auf.

Arkas.
Wenn du dich so ungl¸cklich nennen willst, So darf ich dich auch wohl undankbar nennen.

Iphigenie.
Dank habt ihr stets.

Arkas.
Doch nicht den reinen Dank, Um dessentwillen man die Wohlthat thut;
Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben Und ein geneigtes Herz dem Wirthe zeigt. Als dich ein tief geheimniflvolles Schicksal Vor so viel Jahren diesem Tempel brachte, Kam Thoas dir, als einer Gottgegebnen,
Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen, Und dieses Ufer ward dir hold und freundlich, Das jedem Fremden sonst voll Grausens war, Weil niemand unser Reich vor dir betrat, Der an Dianens heil’gen Stufen nicht,
Nach altem Brauch, ein blutig Opfer, fiel.

Iphigenie.
Frei athmen macht das Leben nicht allein. Welch Leben ist’s das an der heil’gen St‰tte, Gleich einem Schatten um sein eigen Grab, Ich nur vertrauern mufl? Und nenn’ ich das Ein frˆhlich selbstbewufltes Leben, wenn Uns jeder Tag, vergebens hingetr‰umt,
Zu jenen grauen Tagen vorbereitet,
Die an dem Ufer Lethe’s selbstvergessend, Die Trauerschaar der Abgeschiednen feiert? Ein unn¸tz Leben ist ein fr¸her Tod;
Diefl Frauenschicksal ist vor allen meines.

Arkas.
Den edeln Stolz dafl du dir selbst nicht g’n¸gest, Verzeih’ ich dir, so sehr ich dich bedaure; Er raubet den Genufl des Lebens dir.
Du hast hier nichts gethan seit deiner Ankunft? Wer hat des Kˆnig tr¸ben Sinn erheitert? Wer hat den alten grausamen Gebrauch,
Dafl am Altar Dianens jeder Fremde Sein Leben blutend l‰flt, von Jahr zu Jahr, Mit sanfter ‹berredung aufgehalten,
Und die Gefangnen vom gewissen Tod
In’s Vaterland so oft zur¸ckgeschickt? Hat nicht Diane, statt erz¸rnt zu sein, Dafl sie der blut’gen alten Opfer mangelt, Dein sanft Gebet in reichem Mafl erhˆrt? Umschwebt mit frohem Fluge nicht der Sieg Das Heer? und eilt er nicht sogar voraus? Und f¸hlt nicht jeglicher ein besser Loos, Seitdem der Kˆnig, der uns weis’ und tapfer So lang gef¸hret, nun sich auch der Milde In deiner Gegenwart erfreut und uns
Des schweigenden Gehorsams Pflicht erleichtert? Das nennst du unn¸tz, wenn von deinem Wesen Auf Tausende herab ein Balsam tr‰ufelt? Wenn du dem Volke, dem ein Gott dich brachte, Des neuen Gl¸ckes ew’ge Quelle wirst,
Und an dem unwirthbaren Todes-Ufer
Dem Fremden Heil und R¸ckkehr zubereitest?

Iphigenie.
Das Wenige verschwindet leicht dem Blick, Der vorw‰rts sieht, wie viel noch ¸brig bleibt.

Arkas.
Doch lobst du den, der was er thut nicht sch‰tzt?

Iphigenie.
Man tadelt den, der seine Thaten w‰gt.

Arkas.
Auch den, der wahren Werth zu stolz nicht achtet, Wie den, der falschen Werth zu eitel hebt. Glaub’ mir und hˆr’ auf eines Mannes Wort, Der Treu und redlich dir ergeben ist:
Wenn heut der Kˆnig mit dir redet, so Erleichtr’ ihm was er dir zu sagen denkt.

Iphigenie.
Du ‰ngstest mich mit jedem guten Worte; Oft wich ich seinem Antrag m¸hsam aus.

Arkas.
Bedenke was du thust und was dir n¸tzt. Seitdem der Kˆnig seinen Sohn verloren, Vertraut er wenigen der Seinen mehr,
Und diesen wenigen nicht mehr wie sonst. Miflg¸nstig sieht er jedes Edeln Sohn
Als seines Reiches Folger an, er f¸rchtet Ein einsam h¸lflos Alter, ja vielleicht Verwegnen Aufstand und fr¸hzeit’gen Tod. Der Scythe setzt in’s Reden keinen Vorzug, Am wenigsten der Kˆnig. Er, der nur
Gewohnt ist zu befehlen und zu thun, Kennt nicht die Kunst, von weitem ein Gespr‰ch Nach seiner Absicht langsam fein zu lenken. Erschwer’s ihm nicht durch ein r¸ckhaltend Weigern, Durch ein vorsetzlich Miflverstehen. Geh Gef‰llig ihm den halben Weg entgegen.

Iphigenie.
Soll ich beschleunigen was mich bedroht?

Arkas.
Willst du sein Werben eine Drohung nennen?

Iphigenie.
Es ist die schrecklichste von allen mir.

Arkas.
Gib ihm f¸r seine Neigung nur Vertraun.

Iphigenie.
Wenn er von Furcht erst meine Seele lˆs’t.

Arkas.
Warum verschweigst du deine Herkunft ihm?

Iphigenie.
Weil einer Priesterin Geheimnifl ziemt.

Arkas.
Dem Kˆnig sollte nichts Geheimnifl sein; Und ob er’s gleich nicht fordert, f¸hlt er’s doch Und f¸hlt es tief in seiner groflen Seele, Dafl du sorgf‰ltig dich vor ihm verwahrst.

Iphigenie.
N‰hrt er Verdrufl und Unmuth gegen mich?

Arkas.
So scheint es fast. Zwar schweigt er auch von dir; Doch haben hingeworfne Worte mich
Belehrt, dafl seine Seele fest den Wunsch Ergriffen hat dich zu besitzen. Lafl,
O ¸berlafl ihn nicht sich selbst! damit In seinem Busen nicht der Unmuth reife
Und dir Entsetzen bringe, du zu sp‰t An meinen treuen Rath mit Reue denkest.

Iphigenie.
Wie? Sinnt der Kˆnig, was kein edler Mann, Der seinen Namen liebt und dem Verehrung Der Himmlischen den Busen B‰ndiget,
Je denken sollte? Sinnt er vom Altar Mich in sein Bette mit Gewalt zu ziehn?
So ruf’ ich alle Gˆtter und vor allen Dianen, die entschloss’ne Gˆttin, an,
Die ihren Schutz der Priesterin gewifl Und Jungfrau einer Jungfrau gern gew‰hrt.

Arkas.
Sei ruhig! Ein gewaltsam neues Blut Treibt nicht den Kˆnig, solche J¸nglingsthat Verwegen auszu¸ben. Wie er sinnt,
Bef¸rcht’ ich andern harten Schlufl von ihm, Den unaufhaltbar er vollenden wird:
Denn seine Seel’ ist fest und unbeweglich. Drum bitt’ ich dich, vertrau’ ihm, sei ihm dankbar, Wenn du ihm weiter nichts gew‰hren kannst.

Iphigenie.
O sage was dir weiter noch bekannt ist.

Arkas.
Erfahr’s von ihm. Ich seh’ den Kˆnig kommen; Du ehrst ihn, und dich heiflt dein eigen Herz, Ihm freundlich und vertraulich zu begegnen. Ein edler Mann wird durch ein gutes Wort Der Frauen weit gef¸hrt.

Iphigenie (allein).
Zwar seh’ ich nicht,
Wie ich dem Rath des Treuen folgen soll; Doch folg’ ich gern der Pflicht, dem Kˆnige F¸r seine Wohlthat gutes Wort zu geben, Und w¸nsche mir, dafl ich dem M‰chtigen, Was ihm gef‰llt, mit Wahrheit sagen mˆge.

Dritter Auftritt.

Iphigenie. Thoas.

Iphigenie.
Mit kˆniglichen G¸tern segne dich Die Gˆttin! Sie gew‰hre Sieg und Ruhm Und Reichthum und das Wohl der Deinigen
Und jedes frommen Wunsches F¸lle dir! Dafl, der du ¸ber viele sorgend herrschest, Du auch vor vielen seltnes Gl¸ck genieflest.

Thoas.
Zufrieden w‰r’ ich wenn mein Volk mich r¸hmte: Was ich erwarb, genieflen andre mehr
Als ich. Der ist am gl¸cklichsten, er sei Ein Kˆnig oder ein Geringer, dem
In seinem Hause Wohl bereitet ist.
Du nahmest Theil an meinen tiefen Schmerzen, Als mir das Schwert der Feinde meinen Sohn, Den letzten, besten, von der Seite rifl. So lang die Rache meinen Geist besafl,
Empfand ich nicht die ÷de meiner Wohnung; Doch jetzt, da ich befriedigt wiederkehre, Ihr Reich zerstˆrt, mein Sohn gerochen ist, Bleibt mir zu Hause nichts das mich ergetze. Der frˆhliche Gehorsam, den ich sonst
Aus einem jeden Auge blicken sah,
Ist nun von Sorg’ und Unmuth still ged‰mpft. Ein jeder sinnt was k¸nftig werden wird, Und folgt dem Kinderlosen, weil er mufl. Nun komm’ ich heut in diesen Tempel, den Ich oft betrat, um Sieg zu bitten und
F¸r Sieg zu danken. Einen alten Wunsch Trag’ ich im Busen, der auch dir nicht fremd Noch unerwartet ist: ich hoffe, dich,
Zum Segen meines Volks und mir zum Segen, Als Braut in meine Wohnung einzuf¸hren.

Iphigenie.
Der Unbekannten bietest du zu viel, O Kˆnig, an. Es steht die Fl¸chtige
Besch‰mt vor dir, die nichts an diesem Ufer Als Schutz und Ruhe sucht, die du ihr gabst.

Thoas.
Dafl du in das Geheimnifl deiner Ankunft Vor mir wie vor dem Letzten stets dich h¸llest, W‰r’ unter keinem Volke recht und gut. Diefl Ufer schreckt die Fremden: das Gesetz Gebietet’s und die Noth. Allein von dir, Die jedes frommen Rechts genieflt, ein wohl Von uns empfangner Gast, nach eignem Sinn Und Willen ihres Tages sich erfreut,
Von dir hofft’ ich Vertrauen, das der Wirth F¸r seine Treue wohl erwarten darf.

Iphigenie.
Verbarg ich meiner Eltern Namen und Mein Haus, o Kˆnig, war’s Verlegenheit, Nicht Mifltraun. Den vielleicht, ach w¸fltest du Wer vor dir steht, und welch verw¸nschtes Haupt Du n‰hrst und sch¸tzest, ein Entsetzen faflte Dein grofles Herz mit seltnem Schauer an, Und statt die Seite deines Thrones mir
Zu bieten, triebest du mich vor der Zeit Aus deinem Reiche; stieflest mich vielleicht, Eh’ zu den Meinen frohe R¸ckkehr mir
Und meiner Wandrung Ende zugedacht ist, Dem Elend zu, das jeden Schweifenden,
Von seinem Haus Vertriebnen ¸berall Mit kalter fremder Schreckenshand erwartet.

Thoas.
Was auch der Rath der Gˆtter mit dir sei, Und was sie deinem Haus und dir gedenken; So fehlt es doch, seitdem du bei uns wohnst Und eines frommen Gastes Recht genieflest, An Segen nicht, der mir von oben kommt.
Ich mˆchte schwer zu ¸berreden sein, Dafl ich an dir ein schuldvoll Haupt besch¸tze.

Iphigenie.
Dir bringt die Wohlthat Segen, nicht der Gast.

Thoas.
Was man Verruchten thut wird nicht gesegnet. Drum endige dein Schweigen und dein Weigern; Es fordert diefl kein ungerechter Mann. Die Gˆttin ¸bergab dich meinen H‰nden; Wie du ihr heilig warst, so warst du’s mir. Auch sei ihr Wink noch k¸nftig mein Gesetz: Wenn du nach Hause R¸ckkehr hoffen kannst, So sprech’ ich dich von aller Fordrung los. Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt, Und ist dein Stamm vertrieben, oder durch Ein ungeheures Unheil ausgelˆscht,
So bist du mein durch mehr als Ein Gesetz. Sprich offen! und du weiflt, ich halte Wort.

Iphigenie.
Vom alten Bande lˆset ungern sich
Die Zunge los, ein lang verschwiegenes Geheimnifl endlich zu entdecken; denn
Einmal vertraut, verl‰flt es ohne R¸ckkehr Des tiefen Herzens sichre Wohnung, schadet, Wie es die Gˆtter wollen, oder n¸tzt.
Vernimm! ich bin aus Tantalus Geschlecht.

Thoas.
Du sprichst ein grofles Wort gelassen aus. Nennst du Den deinen Ahnherrn, den die Welt Als einen ehmals Hochbegnadigten
Der Gˆtter kennt? Ist’s jener Tantalus, Den Jupiter zu Rath und Tafel zog,
An dessen alterfahrnen, vielen Sinn Verkn¸pfenden Gespr‰chen Gˆtter selbst, Wie an Orakelspr¸chen, sich ergetzten?

Iphigenie.
Er ist es; aber Gˆtter sollten nicht Mit Menschen, wie mit ihres Gleichen, wandeln; Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach In ungewohnter Hˆhe nicht zu schwindeln. Unedel war er nicht und kein Verr‰ther; Allein zum Knecht zu grofl, und zum Gesellen Des groflen Donnrers nur ein Mensch. So war Auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht War streng, und Dichter singen: ‹bermuth Und Untreu’ st¸rzten ihn von Jovis Tisch Zur Schmach des alten Tartarus hinab.
Ach und sein ganz Geschlecht trug ihren Hafl!

Thoas.
Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne?

Iphigenie.
Zwar die gewalt’ge Brust und der Titanen Kraftvolles Mark war seiner Sˆhn’ und Enkel Gewisses Erbtheil; doch es schmiedete
Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band. Rath, M‰fligung und Weisheit und Geduld Verbarg er ihrem scheuen d¸stern Blick; Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier,
Und gr‰nzenlos drang ihre Wuth umher. Schon Pelops, der Gewaltig-wollende,
Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb Sich durch Verrath und Mord das schˆnste Weib, ÷nomaus Erzeugte, Hippodamien.
Sie bringt den W¸nschen des Gemahls zwei Sˆhne, Thyest und Atreus. Neidisch sehen sie
Des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn Aus einem andern Bette wachsend an.
Der Hafl verbindet sie, und heimlich wagt Das Paar im Brudermord die erste That.
Der Vater w‰hnet Hippodamien
Die Mˆrderin, und grimmig fordert er Von ihr den Sohn zur¸ck, und sie entleibt Sich selbst–

Thoas.
Du schweigest? Fahre fort zu reden! Lafl dein Vertraun dich nicht gereuen! Sprich!

Iphigenie.
Wohl dem, der seiner V‰ter gern gedenkt, Der froh von ihren Thaten, ihrer Grˆfle Den Hˆrer unterh‰lt, und still sich freuend An’s Ende dieser schˆnen Reihe sich
Geschlossen sieht! Denn es erzeugt nicht gleich Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer; Erst eine Reihe Bˆser oder Guter
Bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude Der Welt hervor.–Nach ihres Vaters Tode Gebieten Atreus und Thyest der Stadt,
Gemeinsam-herrschend. Lange konnte nicht Die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyest Des Bruders Bette. R‰chend treibet Atreus Ihn aus dem Reiche. T¸ckisch hatte schon Thyest, auf schwere Thaten sinnend, lange Dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich Ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen. Dem f¸llet er die Brust mit Wuth und Rache Und sendet ihn zur Kˆnigsstadt, dafl er Im Oheim seinen eignen Vater morde.
Des J¸nglings Vorsatz wird entdeckt: der Kˆnig Straft grausam den gesandten Mˆrder, w‰hnend, Er tˆdte seines Bruders Sohn. Zu sp‰t Erf‰hrt er, wer vor seinen trunknen Augen Gemartert stirbt; und die Begier der Rache Aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still Auf unerhˆrte That. Er scheint gelassen Gleichg¸ltig und versˆhnt, und lockt den Bruder Mit seinen beiden Sˆhnen in das Reich
Zur¸ck, ergreift die Knaben, schlachtet sie, Und setzt die ekle schaudervolle Speise
Dem Vater bei dem ersten Mahle vor. Und da Thyest an seinem Fleische sich
Ges‰ttigt, eine Wehmuth ihn ergreift, Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme Der Knaben an des Saales Th¸re schon
Zu hˆren glaubt, wirft Atreus grinsend Ihm Haupt und F¸fle der Erschlagnen hin.– Du wendest schaudernd dein Gesicht, o Kˆnig: So wendete die Sonn’ ihr Antlitz weg
Und ihren Wagen aus dem ewg’en Gleise. Diefl sind die Ahnherrn deiner Priesterin; Und viel unseliges Geschick der M‰nner, Viel Thaten des verworrnen Sinnes deckt
Die Nacht mit schweren Fittigen und l‰flt Uns nur die grauenvolle D‰mmrung sehn.

Thoas.
Verbirg sie schweigend auch. Es sei genug Der Gr‰uel! Sage nun, durch welch ein Wunder Von diesem wilden Stamme du entsprangst.

Iphigenie.
Des Altreus ƒlt’ster Sohn war Agamemnon: Er ist mein Vater. Doch ich darf es sagen, In ihm hab’ ich seit meiner ersten Zeit
Ein Muster des vollkommnen Manns gesehn. Ihm brachte Klyt‰mnestra mich, den Erstling Der Liebe, dann Elektren. Ruhig herrschte Der Kˆnig, und es war dem Hause Tantals Die lang entbehrte Rast gew‰hrt. Allein Es mangelte dem Gl¸ck der Eltern noch
Ein Sohn, und kaum war dieser Wunsch erf¸llt, Dafl zwischen beiden Schwestern nun Orest Der Liebling wuchs, als neues ‹bel schon Dem sichern Hause zubereitet war.
Der Ruf des Krieges ist zu euch gekommen, Der, um den Raub der schˆnsten Frau zu r‰chen, Die ganze Macht der F¸rsten Griechenlands Um Trojens Mauern lagerte. Ob sie
Die Stadt gewonnen, ihrer Rache Ziel Erreicht, vernahm ich nicht. Mein Vater f¸hrte Der Griechen Heer. In Aulis harrten sie
Auf g¸nst’gen Wind vergebens: denn Diane, Erz¸rnt auf ihren groflen F¸hrer, hielt Die Eilenden zur¸ck und forderte
Durch Kalchas Mund des Kˆnigs ‰lt’ste Tochter. Sie lockten mit der Mutter mich in’s Lager; Sie rissen mich vor den Altar und weihten Der Gˆttin dieses Haupt. Sie war versˆhnt: Sie wollte nicht mein Blut und h¸llte rettend In eine Wolke mich; in diesem Tempel
Erkannt ich mich zuerst vom Tode wieder. Ich bin es selbst, bin Iphigenie,
Des Altreus Enkel, Agamemnons Tochter, Der Gˆttin Eigenthum, die mit dir spricht.

Thoas.
Mehr Vorzug und Vertrauen geb’ ich nicht Der Kˆnigstochter als der Unbekannten.
Ich wiederhole meinen ersten Antrag: Komm, folge mir, und theile was ich habe.

Iphigenie.
Wie darf ich solchen Schritt, o Kˆnig, wagen? Hat nicht die Gˆttin, die mich rettete, Allein das Recht auf mein geweihtes Leben? Sie hat f¸r mich den Schutzort ausgesucht, Und sie bewahrt mich einem Vater, den
Sie durch den Schein genug gestraft, vielleicht Zur schˆnsten Freude seines Alters hier. Vielleicht ist mir die frohe R¸ckkehr nah; Und ich, auf ihren Weg nicht achtend, h‰tte Mich wider ihren Willen hier gefesselt?
Ein Zeichen bat ich, wenn ich bleiben sollte.

Thoas.
Das Zeichen ist, dafl du noch hier verweilst. Such’ Ausflucht solcher Art nicht ‰ngstlich auf. Man spricht vergebens viel, um zu versagen; Der andre hˆrt von allem nur das Nein.

Iphigenie.
Nicht Worte sind es, die nur blenden sollen; Ich habe dir mein tiefstes Herz entdeckt. Und sagst du dir nicht selbst, wie ich dem Vater, Der Mutter, den Geschwistern mich entgegen Mit ‰ngstlichen Gef¸hlen sehnen mufl? Dafl in den alten Hallen, wo die Trauer Noch manchmal stille meinen Namen lispelt, Die Freude, wie um eine Neugeborne,
Den schˆnsten Kranz von S‰ul an S‰ulen schlinge. O sendetest du mich auf Schiffen hin!
Du g‰best mir und allen neues Leben.

Thoas.
So kehr’ zur¸ck! Thu’ was dein Herz dich heiflt, Und hˆre nicht die Stimme guten Raths
Und der Vernunft. Sei ganz ein Weib und gib Dich hin dem Triebe, der dich z¸gellos
Ergreift und dahin oder dorthin reiflt. Wenn ihnen eine Lust im Busen brennt,
H‰lt vom Verr‰ther sie kein heilig Band, Der sie dem Vater oder dem Gemahl
Aus langbew‰hrten, treuen Armen lockt; Und schweigt in ihrer Brust die rasche Gluth, So dringt auf sie vergebens treu und m‰chtig Der ‹berredung goldne Zunge los.

Iphigenie.
Gedenk’, o Kˆnig, deines edeln Wortes! Willst du mein Zutraun so erwiedern? Du
Schienst vorbereitet alles zu vernehmen.

Thoas.
Auf’s Ungehoffte war ich nicht bereitet; Doch sollt’ ich’s auch erwarten: wuflt’ ich nicht, Dafl ich mit einem Weibe handeln ging?

Iphigenie.
Schilt nicht, o Kˆnig, unser arm Geschlecht. Nicht herrlich wie die euern, aber nicht Unedel sind die Waffen eines Weibes.
Glaub’ es, darin bin ich dir vorzuziehn, Dafl ich dein Gl¸ck mehr als du selber kenne. Du w‰hnest, unbekannt mit dir und mir, Ein n‰her Band werd’ uns zum Gl¸ck vereinen. Voll guten Muthes wie voll guten Willens Dringst du in mich, dafl ich mich f¸gen soll; Und hier dank’ ich den Gˆttern, dafl sie mir Die Festigkeit gegeben, dieses B¸ndnifl Nicht einzugehen, das sie nicht gebilligt.

Thoas.
Es spricht kein Gott; es spricht dein eignes Herz.

Iphigenie.
Sie reden nur durch unser Herz zu uns.

Thoas.
Und hab’ Ich, sie zu hˆren, nicht das Recht?

Iphigenie.
Es ¸berbraust der Sturm die zarte Stimme.

Thoas.
Die Priesterin vernimmt sie wohl allein?

Iphigenie.
Vor allen andern merke sie der F¸rst.

Thoas.
Dein heilig Amt und dein geerbtes Recht An Jovis Tisch bringt dich den Gˆttern n‰her, Als einen erdgebornen Wilden.

Iphigenie.
So
B¸fl’ ich nun das Vertraun, das du erzwangst.

Thoas.
Ich bin ein Mensch; und besser ist’s, wir enden. So bleibe denn mein Wort: Sei Priesterin Der Gˆttin, wie sie dich erkoren hat;
Doch mir verzeih’ Diane, dafl ich ihr, Bisher mit Unrecht und mit innerm Vorwurf, Die alten Opfer vorenthalten habe.
Kein Fremder nahet gl¸cklich unserm Ufer; Von Alters her ist ihm der Tod gewifl.
Nur du hast mich mit einer Freundlichkeit, In der ich bald der zarten Tochter Liebe, Bald stille Neigung einer Braut zu sehn
Mich tief erfreute, wie mit Zauberbanden Gefesselt, dafl ich meiner Pflicht vergafl. Du hattest mir die Sinnen eingewiegt,
Das Murren meines Volks vernahm ich nicht; Nun rufen sie die Schuld von meines Sohnes Fr¸hzeit’gem Tode lauter ¸ber mich.
Um deinetwillen halt’ ich l‰nger nicht Die Menge, die das Opfer dringend fordert.

Iphigenie.
Um meinetwillen hab ich’s nie begehrt. Der miflversteht die Himmlischen, der sie Blutgierig w‰hnt; er dichtet ihnen nur Dir eignen grausamen Begierden an.
Entzog die Gˆttin mich nicht selbst dem Priester? Ihr war mein Dienst willkommner, als mein Tod.

Thoas.
Es ziemt sich nicht f¸r uns, den heiligen Gebrauch mit leicht beweglicher Vernunft Nach unserm Sinn zu deuten und zu lenken. Thu’ deine Pflicht, ich werde meine thun. Zwei Fremde, die wir in des Ufers Hˆhlen Versteckt gefunden, und die meinem Lande Nichts Gutes bringen, sind in meiner Hand. Mit diesen nehme deine Gˆttin wieder
Ihr erstes, rechtes, lang entbehrtes Opfer! Ich sende sie hierher; du weiflt den Dienst.

Vierter Auftritt.

Iphigenie (allein).
Du hast Wolken, gn‰dige Retterin, Einzuh¸llen unschuldig Verfolgte,
Und auf Winden dem ehrnen Geschick sie Aus den Armen, ¸ber das Meer,
‹ber der Erde weiteste Strecken
Und wohin es dir gut d¸nkt zu tragen. Weise bist du und siehest das K¸nftige; Nicht vor¸ber ist dir das Vergangne,
Und dein Blick ruht ¸ber den Deinen Wie dein Licht, das Leben der N‰chte,
‹ber der Erde ruhet und waltet.
O enthalte vom Blut meine H‰nde!
Nimmer bringt es Segen und Ruhe;
Und die Gestalt des zuf‰llig Ermordeten Wird auf des traurig-unwilligen Mˆrders Bˆse Stunden lauern und schrecken.
Denn die Unsterblichen lieben der Menschen Weit verbreitete gute Geschlechter,
Und sie fristen das fl¸chtige Leben Gerne dem Sterblichen, wollen ihm gerne
Ihres eigenen, ewigen Himmels
Mitgenieflendes frˆhliches Anschaun Eine Weile gˆnnen und lassen.

Zweiter Aufzug.

Erster Auftritt.

Orest. Pylades.

Orest.
Es ist der Weg des Todes, den wir treten: Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller. Als ich Apollen bat, das gr‰flliche
Geleit der Rachegeister von der Seite Mir abzunehmen, schien er H¸lf’ und Rettung Im Tempel seiner vielgeliebten Schwester, Die ¸ber Tauris herrscht, mit hoffnungsreichen Gewissen Gˆtterworten zu versprechen;
Und nun erf¸llet sich’s, dafl alle Noth Mit meinem Leben vˆllig enden soll.
Wie leicht wird’s mir, dem eine Gˆtterhand Das Herz zusammendr¸ckt, den Sinn bet‰ubt, Dem schˆnen Licht der Sonne zu entsagen. Und sollen Atreus Enkel in der Schlacht
Ein siegbekrˆntes Ende nicht gewinnen; Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater, Als Opferthier im Jammertode bluten:
So sei es! Besser hier vor dem Altar, Als im verworfnen Winkel, wo die Netze
Der nahverwandte Meuchelmˆrder stellt. Laflt mir so lange Ruh, ihr Unterird’schen, Die nach dem Blut ihr, das von meinen Tritten Hernieder tr‰ufelnd meinen Pfad bezeichnet, Wie losgelass’ne Hunde sp¸rend hetzt.
Laflt mich, ich komme bald zu euch hinab; Das Licht des Tags soll euch nicht sehn, noch mich. Der Erde schˆner gr¸ner Teppich soll
Kein Tummelplatz f¸r Larven sein. Dort unten Such’ ich euch auf: dort bindet alle dann Ein gleich Geschick in ew’ge matte Nacht. Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld Und meines Banns unschuldigen Genossen,
Wie ungern nehm’ ich dich in jenes Trauerland Fr¸hzeitig mit! Dein Leben oder Tod
Gibt mir allein noch Hoffnung oder Furcht.

Pylades.
Ich bin noch nicht, Orest, wie du bereit, In jenes Schattenreich hinabzugehn.
Ich sinne noch, durch die verworrnen Pfade, Die nach der schwarzen Nacht zu f¸hren scheinen, Uns zu dem Leben wieder aufzuwinden.
Ich denke nicht den Tod; ich sinn’ und horche, Ob nicht zu irgend einer frohen Flucht
Die Gˆtter Rath und Wege zubereiten. Der Tod, gef¸rchtet oder ungef¸rchtet, Kommt unaufhaltsam. Wenn die Priesterin
Schon, unsre Locken weihend abzuschneiden, Die Hand erhebt, soll dein’ und meine Rettung Mein einziger Gedanke sein. Erhebe
Von diesem Unmuth deine Seele; zweifelnd Beschleunigest du die Gefahr. Apoll
Gab uns das Wort: im Heiligthum der Schwester Sei Trost und H¸lf’ und R¸ckkehr dir bereitet. Der Gˆtter Worte sind nicht doppelsinnig, Wie der Gedr¸ckte sie im Unmuth w‰hnt.

Orest.
Des Lebens dunkle Decke breitete
Die Mutter schon mir um das zarte Haupt, Und so wuchs ich herauf, ein Ebenbild
Des Vaters, und es war mein stummer Blick Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen. Wie oft, wenn still Elektra, meine Schwester, Am Feuer in der tiefen Halle safl,
Dr‰ngt’ ich beklommen mich an ihren Schoos, Und starrte, wie sie bitter weinte, sie
Mit groflen Augen an. Dann sagte sie Von unserm hohen Vater viel: wie sehr
Verlangt’ ich ihn zu sehn, bei ihm zu sein! Mich w¸nscht’ ich bald nach Troja, ihn bald her. Es kam der Tag–

Pylades.
O lafl von jener Stunde
Sich Hˆllengeister n‰chtlich unterhalten! Uns gebe die Erinnrung schˆner Zeit
Zu frischem Heldenlaufe neue Kraft. Die Gˆtter brauchen manchen guten Mann
Zu ihrem Dienst auf dieser weiten Erde. Sie haben noch auf dich gez‰hlt; sie gaben Dich nicht dem Vater zum Geleite mit,
Da er unwillig nach dem Orcus ging.

Orest.
O, w‰r’ ich, seinen Saum ergreifend, ihm Gefolgt!

Pylades.
So haben die, die dich erhielten, F¸r mich gesorgt: denn was ich worden w‰re, Wenn du nicht lebtest, kann ich mir nicht denken; Da ich mit dir und deinetwillen nur
Seit meiner Kindheit leb’ und leben mag.

Orest.
Erinnre mich nicht jener schˆnen Tage, Da mir dein Haus die freie St‰tte gab, Dein edler Vater klug und liebevoll
Die halberstarrte junge Bl¸the pflegte; Da du ein immer munterer Geselle,
Gleich einem leichten bunten Schmetterling Um eine dunkle Blume, jeden Tag
Um mich mit neuem Leben gaukeltest, Mir deine Lust in meine Seele spieltest, Dafl ich, vergessend meiner Noth, mit dir In rascher Jugend hingerissen schw‰rmte.

Pylades.
Da fing mein Leben an, als ich dich liebte.

Orest.
Sag: meine Noth begann, und du sprichst wahr. Das ist das ƒngstliche von meinem Schicksal, Dafl ich, wie ein verpesteter Vertriebner, Geheimen Schmerz und Tod im Busen trage; Dafl, wo ich den gesund’sten Ort betrete, Gar bald um mich die bl¸henden Gesichter Den Schmerzenszug langsamen Tod’s verrathen.

Pylades.
Der N‰chste w‰r’ ich diesen Tod zu sterben, Wenn je dein Hauch, Orest, vergiftete.
Bin ich nicht immer noch voll Muth und Lust? Und Lust und Liebe sind die Fittige
Zu groflen Thaten.

Orest.
Grofle Thaten? Ja,
Ich weifl die Zeit, da wir sie vor uns sahn! Wenn wir zusammen oft dem Wilde nach
Durch Berg’ und Th‰ler rannten und dereinst An Brust und Faust dem hohen Ahnherrn gleich Mit Keul’ und Schwert dem Ungeheuer so,
Dem R‰uber auf der Spur zu jagen hofften; Und dann wir Abends an der weiten See
Uns aneinander lehnend ruhig saflen, Die Wellen bis zu unsern F¸ssen spielten, Die Welt so weit, so offen vor uns lag;
Da fuhr wohl Einer manchmal nach dem Schwert, Und k¸nft’ge Thaten drangen wie die Sterne Rings um uns her unz‰hlig aus der Nacht.

Pylades.
Unendlich ist das Werk, das zu vollf¸hren Die Seele dringt. Wir mˆchten jede That So grofl gleich thun, als wie sie w‰chs’t und wird, Wenn Jahre lang durch L‰nder und Geschlechter Der Mund der Dichter sie vermehrend w‰lzt. Es klingt so schˆn was unsre V‰ter thaten, Wenn es in stillen Abendschatten ruhend
Der J¸ngling mit dem Ton der Harfe schl¸rft; Und was wir thun ist, wie es ihnen war,
Voll M¸h’ und eitel St¸ckwerk!
So laufen wir nach dem, was vor uns flieht, Und achten nicht des Weges den wir treten, und sehen neben uns der Ahnherrn Tritte
Und ihres Erdelebens Spuren kaum.
Wir eilen immer ihrem Schatten nach, Der gˆttergleich in einer weiten Ferne
Der Berge Haupt auf goldnen Wolken krˆnt. Ich halte nichts von dem, der von sich denkt Wie ihn das Volk vielleicht erheben mˆchte. Allein, o J¸ngling, danke du den Gˆttern, Dafl sie so fr¸h durch dich so viel gethan.

Orest.
Wenn sie dem Menschen frohe That bescheren Dafl er ein Unheil von den Seinen wendet, Dafl er sein Reich vermehrt, die Gr‰nzen sichert, Und alte Feinde fallen oder fliehn;
Dann mag er danken! denn ihm hat ein Gott Des Lebens erste, letzte Lust gegˆnnt.
Mich haben sie zum Schl‰chter auserkoren, Zum Mˆrder meiner doch verehrten Mutter, Und, eine Schandthat sch‰ndlich r‰chend, mich Durch ihren Wink zu Grund’ gerichtet. Glaube, Sie haben es auf Tantals Haus gerichtet, Und ich, der Letzte, soll nicht schuldlos, soll Nicht ehrenvoll vergehn.

Pylades.
Die Gˆtter r‰chen
Der V‰ter Missethat nicht an dem Sohn; Ein jeglicher, gut oder bˆse, nimmt
Sich seinen Lohn mit seiner That hinweg. Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.

Orest.
Uns f¸hrt ihr Segen, d¸nkt mich, nicht hierher.

Pylades.
Doch wenigstens der hohen Gˆtter Wille.

Orest.
So ist’s ihr Wille denn, der uns verderbt.

Pylades.
Thu’ was sie dir gebieten und erwarte. Bringst du die Schwester zu Apollen hin, Und wohnen beide dann vereint zu Delphi, Verehrt von einem Volk das edel denkt;
So wird f¸r diese That das hohe Paar Dir gn‰dig sein, sie werden aus der Hand Der Unterird’schen dich erretten. Schon
In diesen heil’gen Hain wagt keine sich.

Orest.
So hab’ ich wenigstens geruh’gen Tod.

Pylades.
Ganz anders denk’ ich, und nicht ungeschickt Hab’ ich das schon Geschehne mit dem K¸nft’gen Verbunden und im stillen ausgelegt.
Vielleicht reift in der Gˆtter Rath schon lange Das grofle Werk. Diana sehnet sich
Von diesem rauhen Ufer der Barbaren Und ihren blut’gen Menschenopfern weg.
Wir waren zu der schˆnen That bestimmt, Uns wird sie auferlegt, und seltsam sind Wir an der Pforte schon gezwungen hier.

Orest.
Mit seltner Kunst flichtst du der Gˆtter Rath Und deine W¸nsche klug in Eins zusammen.

Pylades.
Was ist des Menschen Klugheit, wenn sie nicht Auf Jener Willen droben achtend lauscht? Zu einer schweren That beruft ein Gott
Den edeln Mann, der viel verbrach, und legt Ihm auf was uns unmˆglich scheint zu enden. Es siegt der Held, und b¸flend dienet er Den Gˆttern und der Welt, die ihn verehrt.

Orest.
Bin ich bestimmt zu leben und zu handeln, So nehm’ ein Gott von meiner schweren Stirn Den Schwindel weg, der auf dem schl¸pfrigen, Mit Mutterblut besprengten Pfade fort
Mich zu den Todten reiflt. Er trockne gn‰dig Die Quelle, die, mir aus der Mutter Wunden Entgegen sprudelnd, ewig mich befleckt.

Pylades.
Erwart’ es ruhiger! Du mehrst das ‹bel Und nimmst das Amt der Furien auf dich.
Lafl mich nur sinnen, bleibe still! Zuletzt, Bedarf’s zur That vereinter Kr‰fte, dann Ruf’ ich dich auf, und beide schreiten wir Mit ¸berlegter K¸hnheit zur Vollendung.

Orest.
Ich hˆr’ Ulyssen reden.

Pylades.
Spotte nicht.
Ein jeglicher mufl seinen Helden w‰hlen, Dem er die Wege zum Olymp hinauf
Sich nacharbeitet. Lafl es mich gestehn: Mir scheinen List und Klugheit nicht den Mann Zu sch‰nden, der sich k¸hnen Thaten weiht.

Orest.
Ich sch‰tze den, der tapfer ist und g’rad.

Pylades.
Drum hab’ ich keinen Rath von dir verlangt. Schon ist ein Schritt gethan. Von unsern W‰chtern Hab’ ich bisher gar vieles ausgelockt.
Ich weifl, ein fremdes, gˆttergleiches Weib H‰lt jenes blutige Gesetz gefesselt;
Ein reines Herz und Weihrauch und Gebet Bringt sie den Gˆttern dar. Man r¸hmet hoch Die G¸tige; man glaubet, sie entspringe vom Stamm der Amazonen, sei geflohn,
Um einem groflen Unheil zu entgehn.

Orest.
Es scheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft Durch des Verbrechers N‰he, den der Fluch Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt. Die fromme Blutgier lˆs’t den alten Brauch Von seinen Fesseln los, uns zu verderben. Der wilde Sinn des Kˆnigs tˆdtet uns;
Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er z¸rnt.

Pylades.
Wohl uns, dafl es ein Weib ist! denn ein Mann, Der beste selbst, gewˆhnet seinen Geist An Grausamkeit und macht sich auch zuletzt Aus dem, was er verabscheut, ein Gesetz, Wird aus Gewohnheit hart und fast unkenntlich. Allein ein Weib bleibt st‰t auf Einem Sinn Den sie gefaflt. Du rechnest sicherer
Auf sie im Guten wie im Bˆsen.–Still! Sie kommt; lafl uns allein. Ich darf nicht gleich Ihr unsre Namen nennen, unser Schicksal
Nicht ohne R¸ckhalt ihr vertraun. Du gehst, Und eh’ sie mit dir spricht, treff’ ich dich noch.

Zweiter Auftritt.

Iphigenie. Pylades.

Iphigenie.
Woher du seist und kommst, o Fremdling, sprich! Mir scheint es, dafl ich eher einem Griechen Als einem Scythen dich vergleichen soll. (Sie nimmt ihm die Ketten ab.)
Gef‰hrlich ist die Freiheit, die ich gebe; Die Gˆtter wenden ab was euch bedroht!

Pylades.
O s¸fle Stimme! Vielwillkommner Ton Der Muttersprach’ in einem fremden Lande! Des v‰terlichen Hafens blaue Berge
Seh’ ich Gefangner neu willkommen wieder Vor meinen Augen. Lafl dir diese Freude Versichern, dafl auch ich ein Grieche bin! Vergessen hab’ ich einen Augenblick,
Wie sehr ich dein bedarf, und meinen Geist Der herrlichen Erscheinung zugewendet.
O sage, wenn dir dein Verh‰ngnifl nicht Die Lippe schlieflt, aus welchem unsrer St‰mme Du deine gˆttergleiche Herkunft z‰hlst.

Iphigenie.
Die Priesterin, von ihrer Gˆttin selbst Gew‰hlet und geheiligt, spricht mit dir. Das lafl dir g’n¸gen; sage, wer du seist Und welch unselig-waltendes Geschick
Mit dem Gef‰hrten dich hierher gebracht.

Pylades.
Leicht kann ich dir erz‰hlen, welch ein ‹bel Mit lastender Gesellschaft uns verfolgt. O kˆnntest du der Hoffnung frohen Blick Uns auch so leicht, du Gˆttliche, gew‰hren! Aus Kreta sind wir, Sˆhne des Adrasts:
Ich bin der j¸ngste, Cephalus genannt, Und er Laodamas, der ‰lteste
Des Hauses. Zwischen uns stand rauh und wild Ein mittlerer, und trennte schon im Spiel Der ersten Jugend Einigkeit und Lust.
Gelassen folgten wir der Mutter Worten, So lang des Vaters Kraft vor Troja stritt; Doch als er beutereich zur¸cke kam
Und kurz darauf verschied, da trennte bald Der Streit um Reich und Erbe die Geschwister. Ich neigte mich zum ‰lt’sten. Er erschlug Den Bruder. Um der Blutschuld willen treibt Die Furie gewaltig ihn umher.
Doch diesem wilden Ufer sendet uns
Apoll, der Delphische, mit Hoffnung zu. Im Tempel seiner Schwester hiefl er uns Der H¸lfe segensvolle Hand erwarten.
Gefangen sind wir und hierher gebracht, Und dir als Opfer dargestellt. Du weiflt’s.

Iphigenie.
Fiel Troja? Theurer Mann, versichr’ es mir.

Pylades.
Es liegt. O sichre du uns Rettung zu! Beschleunige die H¸lfe, die ein Gott
Versprach. Erbarme meines Bruders dich. O sag’ ihm bald ein gutes holdes Wort;
Doch schone seiner wenn du mit ihm sprichst, Das bitt’ ich eifrig: denn es wird gar leicht Durch Freud’ und Schmerz und durch Erinnerung Sein Innerstes ergriffen und zerr¸ttet. Ein fieberhafter Wahnsinn f‰llt ihn an, Und seine schˆne freie Seele wird
Den Furien zum Raube hingegeben.

Iphigenie.
So grofl dein Ungl¸ck ist, beschwˆr’ ich dich, Vergifl es, bis du mir genug gethan.

Pylades.
Die hohe Stadt, die zehen lange Jahre Dem ganzen Heer der Griechen widerstand, Liegt nun im Schutte, steigt nicht wieder auf. Doch manche Gr‰ber unsrer Besten heiflen Uns an das Ufer der Barbaren denken.
Achill liegt dort mit seinem schˆnen Freunde.

Iphigenie.
So seid ihr Gˆtterbilder auch zu Staub!

Pylades.
Auch Palamedes, Ajax Telamons,
Sie sahn des Vaterlandes Tag nicht wieder.

Iphigenie.
Er schweigt von meinem Vater, nennt ihn nicht Mit den Erschlagnen. Ja! er lebt mir noch! Ich werd’ ihn sehn! O hoffe, liebes Herz!

Pylades.
Doch selig sind die Tausende, die starben Den bitters¸flen Tod von Feindes Hand! Denn w¸ste Schrecken und ein traurig Ende Hat den R¸ckkehrenden statt des Triumphs Ein feindlich aufgebrachter Gott bereitet. Kommt denn der Menschen Stimme nicht zu euch? So weit sie reicht, tr‰gt sie den Ruf umher Von unerhˆrten Thaten die geschahn.
So ist der Jammer, der Mycenens Hallen Mit immer wiederholten Seufzern f¸llt,
Dir ein Geheimnifl? Klyt‰mnestra hat Mit H¸lf’ ƒgisthens den Gemahl ber¸ckt, Am Tage seiner R¸ckkehr ihn ermordet!– Ja, du verehrest dieses Kˆnigs Haus!
Ich seh’ es, deine Brust bek‰mpft vergebens Das unerwartet ungeheure Wort.
Bist du die Tochter eines Freundes? bist Du nachbarlich in dieser Stadt geboren?
Verbirg es nicht und rechne mir’s nicht zu, Dafl ich der Erste diese Gr‰uel melde.

Iphigenie.
Sag’ an, wie ward die schwere That vollbracht?

Pylades.
Am Tage seiner Ankunft, da dir Kˆnig Vom Bad erquickt und ruhig, sein Gewand
Aus der Gemahlin Hand verlangend, stieg, Warf die Verderbliche ein faltenreich
Und k¸nstlich sich verwirrendes Gewebe Ihm auf die Schultern, um das edle Haupt; Und da er wie von einem Netze sich
Vergebens zu entwickeln strebte, schlug ƒgisth ihn, der Verr‰ther, und verh¸llt Ging zu den Todten dieser grofle F¸rst.

Iphigenie.
Und welchen Lohn erhielt der Mitverschworne?

Pylades.
Ein Reich und Bette, das er schon besafl.

Iphigenie.
So trieb zur Schandthat eine bˆse Lust?

Pylades.
Und einer alten Rache tief Gef¸hl.

Iphigenie.
Und wie beleidigte der Kˆnig sie?

Pylades.
Mit schwerer That, die, wenn Entschuldigung Des Mordes w‰re, sie entschuldigte.
Nach Aulis lockt’ er sie und brachte dort, Als eine Gottheit sich der Griechen Fahrt Mit ungst¸men Winden widersetzte,
Die ‰lt’ste Tochter, Iphigenien,
Vor den Altar Dianens, und sie fiel Ein blutig Opfer f¸r der Griechen Heil. Diefl, sagt man, hat ihr einen Widerwillen So tief in’s Herz gepr‰gt, dafl sie dem Werben ƒgisthens sich ergab und den Gemahl
Mit Netzen des Verderbens selbst umschlang.

Iphigenie (sich verh¸llend).
Es ist genug. Du wirst mich wiedersehn.

Pylades (allein).
Von dem Geschick des Kˆnigs-Hauses scheint Sie tief ger¸hrt. Wer sie auch immer sei, So hat sie selbst den Kˆnig wohl gekannt Und ist, zu unserm Gl¸ck, aus hohem Hause Hierher verkauft. Nur stille, liebes Herz, Und lafl dem Stern der Hoffnung, der uns blinkt, Mit frohem Muth uns klug entgegen steuern.

Dritter Aufzug.

Erster Auftritt.

Iphigenie. Orest.

Iphigenie.
Ungl¸cklicher, ich lˆse deine Bande Zum Zeichen eines schmerzlichern Geschicks. Die Freiheit, die das Heiligthum gew‰hrt, Ist, wie der letzte lichte Lebensblick
Des schwer Erkrankten, Todesbote. Noch Kann ich es mir und darf es mir nicht sagen, Dafl ihr verloren seid! Wie kˆnnt’ ich euch Mit mˆrderischer Hand dem Tode weihen?
Und niemand, wer es sei, darf euer Haupt, So lang ich Priesterin Dianens bin,
Ber¸hren. Doch verweigr’ ich jene Pflicht, Wie sie der aufgebrachte Kˆnig fordert; So w‰hlt er eine meiner Jungfraun mir
Zur Folgerin, und ich vermag alsdann Mit heiflem Wunsch allein euch beizustehn. O werther Landsmann! Selbst der letzte Knecht, Der an den Herd der Vatergˆtter streifte, Ist uns in fremdem Lande hoch willkommen: Wie soll ich euch genug mit Freud’ und Segen Empfangen, die ihr mir das Bild der Helden, Die ich von Eltern her verehren lernte,
Entgegen bringet und das innre Herz Mit neuer schˆner Hoffnung schmeichelnd labet!

Orest.
Verbirgst du deinen Namen, deine Herkunft Mit klugem Vorsatz? oder darf ich wissen, Wer mir, gleich einer Himmlischen, begegnet?

Iphigenie.
Du sollst mich kennen. Jetzo sag’ mir an, Was ich nur halb von deinem Bruder hˆrte, Das Ende derer, die von Troja kehrend
Ein hartes unerwartetes Geschick
Auf ihrer Wohnung Schwelle stumm empfing. Zwar ward ich jung an diesen Strand gef¸hrt; Doch wohl erinnr’ ich mich des scheuen Blicks, Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit
Auf jene Helden warf. Sie zogen aus, Als h‰tte der Olymp sich aufgethan
Und die Gestalten der erlauchten Vorwelt Zum Schrecken Ilions herabgesendet,
Und Agamemnon war vor allen herrlich! O sage mir! Er fiel, sein Haus betretend, Durch seiner Frauen und ƒgisthens T¸cke?

Orest.
Du sagst’s!

Iphigenie.
Weh dir, unseliges Mycen!
So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch Mit vollen wilden H‰nden ausges‰t!
Und gleich dem Unkraut, w¸ste H‰upter sch¸ttelnd Und tausendf‰lt’gen Samen um sich streuend, Den Kindeskindern nahverwandte Mˆrder
Zur ew’gen Wechselwuth erzeugt! Enth¸lle, Was von der Rede deines Bruders schnell
Die Finsternifl des Schreckens mir verdeckte. Wie ist des groflen Stammes letzter Sohn, Das holde Kind, bestimmt des Vaters R‰cher Dereinst zu sein, wie ist Orest dem Tage Des Bluts entgangen? Hat ein gleich Geschick Mit des Avernus Netzen ihn umschlungen?
Ist er gerettet? Lebt er? Lebt Elektra?

Orest.
Sie leben.

Iphigenie.
Goldne Sonne, leihe mir
Die schˆnsten Strahlen, lege sie zum Dank Vor Jovis Thron! denn ich bin arm und stumm.

Orest.
Bist du gastfreundlich diesem Kˆnigs-Hause, Bist du mit n‰hern Banden ihm verbunden, Wie deine schˆne Freude mir verr‰th:
So b‰ndige dein Herz und halt’ es fest! Denn unertr‰glich mufl dem Frˆhlichen Ein j‰her R¸ckfall in die Schmerzen sein. Du weiflt nur, merk’ ich, Agamemnons Tod.

Iphigenie.
Hab’ ich an dieser Nachricht nicht genug?

Orest.
Du hast des Gr‰uels H‰lfte nur erfahren.

Iphigenie.
Was f¸rcht’ ich noch? Orest, Elektra leben.

Orest.
Und f¸rchtest du f¸r Klyt‰mnestren nichts?

Iphigenie.
Sie rettet weder Hoffnung, weder Furcht.

Orest.
Auch schied sie aus dem Land der Hoffnung ab.

Iphigenie.
Vergofl sie reuig w¸thend selbst ihr Blut?

Orest.
Nein, doch ihr eigen Blut gab ihr den Tod.

Iphigenie.
Sprich deutlicher, dafl ich nicht l‰nger sinne. Die Ungewiflheit schl‰gt mir tausendf‰ltig Die dunkeln Schwingen um das bange Haupt.

Orest.
So haben mich die Gˆtter ausersehn Zum Boten einer That, die ich so gern
In’s klanglos-dumpfe Hˆhlenreich der Nacht Verbergen mˆchte? Wider meinen Willen
Zwingt mich dein holder Mund; allein er darf Auch etwas Schmerzlichs fordern und erh‰lt’s. Am Tage, da der Vater fiel, verbarg
Elektra rettend ihren Bruder: Strophius, Des Vaters Schw‰her, nahm ihn willig auf, Erzog ihn neben seinem eignen Sohne,
Der, Pylades genannt, die schˆnsten Bande Der Freundschaft um den Angekommnen kn¸pfte. Und wie sie wuchsen, wuchs in ihrer Seele Die brennende Begier des Kˆnigs Tod
Zu r‰chen. Unversehen, fremd gekleidet, Erreichen sie Mycen, als br‰chten sie
Die Trauernachricht von Orestens Tode Mit seiner Asche. Wohl empf‰nget sie
Die Kˆnigin; sie treten in das Haus. Elektren gibt Orest sich zu erkennen;
Sie bl‰s’t der Rache Feuer in ihm auf, Das vor der Mutter heil’ger Gegenwart
In sich zur¸ckgebrannt war. Stille f¸hrt Sie ihn zum Orte, wo sein Vater fiel,
Wo eine alte leichte Spur des frech Vergoss’nen Blutes oftgewaschnen Boden
Mit blassen ahndungsvollen Streifen f‰rbte. Mit ihrer Feuerzunge schilderte
Sie jeden Umstand der verruchten That, Ihr knechtisch elend durchgebrachtes Leben, Den ‹bermuth der gl¸cklichen Verr‰ther, Und die Gefahren, die nun der Geschwister Von einer stiefgewordnen Mutter warteten.– Hier drang sie jenen alten Dolch ihm auf, Der schon in Tantals Hause grimmig w¸thete, Und Klyt‰mnestra fiel durch Sohnes Hand.

Iphigenie.
Unsterbliche, die ihr den reinen Tag Auf immer neuen Wolken selig lebet,
Habt ihr nur darum mich so manches Jahr Von Menschen abgesondert, mich so nah
Bei euch gehalten, mir die kindliche Besch‰ftigung, des heil’gen Feuers Gluth Zu n‰hren aufgetragen, meine Seele
Der Flamme gleich in ew’ger frommer Klarheit Zu euern Wohnungen hinaufgezogen,
Dafl ich nur meines Hauses Gr‰uel sp‰ter Und tiefer f¸hlen sollte? Sage mir
Vom Ungl¸cksel’gen! sprich mir von Orest!–

Orest.
O, kˆnnte man von seinem Tode sprechen! Wie g‰hrend stieg aus der Erschlagnen Blut Der Mutter Geist
Und ruft der Nacht uralten Tˆchtern zu: “Laflt nicht den Muttermˆrder entfliehn! Verfolgt den Verbrecher! Euch ist er geweiht!” Sie horchen auf, es schaut ihr hohler Blick Mit der Begier des Adlers um sich her.
Sie r¸hren sich in ihren schwarzen Hˆhlen, Und aus den Winkeln schleichen ihre Gef‰hrten, Der Zweifel und die Reue, leis herbei.
Vor ihnen steigt ein Dampf vom Acheron; In seinen Wolkenkreisen w‰lzet sich
Die ewige Betrachtung des Geschehnen Verwirrend um des Schuld’gen Haupt umher Und sie, berechtigt zum Verderben, treten Der gottbes‰ten Erde schˆnen Boden,
Von dem ein alter Fluch sie l‰ngst verbannte. Den Fl¸chtigen verfolgt ihr schneller Fufl; Sie geben nur um neu zu schrecken Rast.

Iphigenie.
Unseliger, du bist in gleichem Fall, Und f¸hlst was er, der arme Fl¸chtling, leidet!

Orest.
Was sagst du mir? was w‰hnst du gleichen Fall?

Iphigenie.
Dich dr¸ckt ein Brudermord wie jenen; mir Vertraute diefl dein j¸ngster Bruder schon.

Orest.
Ich kann nicht leiden, dafl du grofle Seele Mit einem falschen Wort betrogen werdest. Ein l¸genhaft Gewebe kn¸pf’ ein Fremder Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt, Zur Falle vor die F¸fle; zwischen uns
Sei Wahrheit!
Ich bin Orest! und dieses schuld’ge Haupt Senkt nach der Grube sich und sucht den Tod; In jeglicher Gestalt sei er willkommen!
Wer du auch seist, so w¸nsch’ ich Rettung dir Und meinem Freunde; mir w¸nsch’ ich sie nicht. Du scheinst hier wider Willen zu verweilen; Erfindet Rath zur Flucht und laflt mich hier. Es st¸rze mein entseelter Leib vom Fels, Es rauche bis zum Meer hinab mein Blut,
Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren! Geht ihr, daheim im schˆnen Griechenland Ein neues Leben freundlich anzufangen.
(Er entfernt sich.)

Iphigenie.
So steigst du denn, Erf¸llung, schˆnste Tochter Des grˆflten Vaters, endlich zu mir nieder! Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir!
Kaum reicht mein Blick dir an die H‰nde, die Mit Furcht und Segenskr‰nzen angef¸llt Die Sch‰tze des Olympus niederbringen. Wie man den Kˆnig an dem ‹bermafl
Der Gaben kennt: denn ihm mufl wenig scheinen Was Tausenden schon Reichthum ist; so kennt Man euch, ihr Gˆtter, an gesparten, lang Und weise zubereiteten Geschenken.
Denn ihr allein wiflt was uns frommen kann, Und schaut der Zukunft ausgedehntes Reich, Wenn jedes Abends Stern- und Nebelh¸lle Die Aussicht uns verdeckt. Gelassen hˆrt Ihr unser Flehn, das um Beschleunigung
Euch kindisch bittet; aber eure Hand Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfr¸chte; Und wehe dem, der ungeduldig sie
Ertrotzend saure Speise sich zum Tod Genieflt. O laflt das lang erwartete,
Noch kaum gedachte Gl¸ck nicht, wie den Schatten Des abgeschiednen Freundes, eitel mir
Und dreifach schmerzlicher vor¸bergehn!

Orest (tritt wieder zu ihr).
Rufst du die Gˆtter an f¸r dich und Pylades, So nenne meinen Namen nicht mit eurem.
Du rettest den Verbrecher nicht, zu dem Du dich gesellst, und theilest Fluch und Noth.

Iphigenie.
Mein Schicksal ist an deines fest gebunden.

Orest.
Mit nichten! Lafl allein und unbegleitet Mich zu den Todten gehn. Verh¸lltest du In deinen Schleier selbst den Schuldigen; Du birgst ihn nicht vor’m Blick der Immerwachen, Und deine Gegenwart, du Himmlische,
Dr‰ngt sie nur seitw‰rts und verscheucht sie nicht. Sie d¸rfen mit den ehrnen frechen F¸flen Des heil’gen Waldes Boden nicht betreten; Doch hˆr’ ich aus der Ferne hier und da Ihr gr‰flliches Gel‰chter. Wˆlfe harren So um den Baum, auf den ein Reisender
Sich rettete. Da drauflen ruhen sie Gelagert; und verlass’ ich diesen Hain,
Dann steigen sie, die Schlangenh‰upter sch¸ttelnd, Von allen Seiten Staub erregend auf
Und treiben ihre Beute vor sich her.

Iphigenie.
Kannst du, Orest, ein freundlich Wort vernehmen?

Orest.
Spar’ es f¸r einen Freund der Gˆtter auf.

Iphigenie.
Sie geben dir zu neuer Hoffnung Licht.

Orest.
Durch Rauch und Qualm seh’ ich den matten Schein Des Todtenflusses mir zur Hˆlle leuchten.

Iphigenie.
Hast du Elektren, Eine Schwester nur?

Orest.
Die Eine kannt’ ich; doch die ‰lt’ste nahm Ihr gut Geschick, das uns so schrecklich schien, Bei Zeiten aus dem Elend unsers Hauses.
O lafl dein Fragen, und geselle dich Nicht auch zu den Erinnyen; sie blasen
Mir schadenfroh die Asche von der Seele, Und leiden nicht, dafl sich die letzten Kohlen Von unsers Hauses Schreckensbrande still In mir verglimmen. Soll die Gluth denn ewig, Vors‰tzlich angefacht, mit Hˆllenschwefel Gen‰hrt, mir auf der Seele marternd brennen?

Iphigenie.
Ich bringe s¸fles Rauchwerk in die Flamme. O lafl den reinen Hauch der Liebe dir
Die Gluth des Busens leise wehend k¸hlen. Orest, mein Theurer, kannst du nicht vernehmen? Hat das Geleit der Schreckensgˆtter so
Das Blut in deinen Adern aufgetrocknet? Schleicht, wie vom Haupt der gr‰fllichen Gorgone, Versteinernd dir ein Zauber durch die Glieder? O wenn vergoss’nen Mutterblutes Stimme
Zur Hˆll’ hinab mit dumpfen Tˆnen ruft; Soll nicht der reinen Schwester Segenswort H¸lfreiche Gˆtter von Olympus rufen?

Orest.
Es ruft! es ruft! So willst du mein Verderben! Verbirgt in dir sich eine Rachegˆttin?
Wer bist du, deren Stimme mir entsetzlich Das Innerste in seinen Tiefen wendet?

Iphigenie.
Es zeigt sich dir im tiefsten Herzen an: Orest, ich bin’s! Sieh Iphigenien!
Ich lebe!

Orest.
Du!

Iphigenie.
Mein Bruder!

Orest.
Lafl! Hinweg!
Ich rathe dir, ber¸hre nicht die Locken! Wie von Kreusa’s Brautkleid z¸ndet sich Ein unauslˆschlich Feuer von mir fort.
Lafl mich! Wie Hercules will ich Unw¸rd’ger Den Tod voll Schmach, in mich verschlossen, sterben.

Iphigenie.
Du wirst nicht untergehn! O dafl ich nur Ein ruhig Wort von dir vernehmen kˆnnte! O lˆse meine Zweifel, lafl des Gl¸ckes, Des lang erflehten, mich auch sicher werden. Es w‰lzet sich ein Rad von Freud’ und Schmerz Durch meine Seele. Von dem fremden Manne Entfernet mich ein Schauer; doch es reiflt Mein Innerstes gewaltig mich zum Bruder.

Orest.
Ist hier Ly‰ens Tempel? und ergreift Unb‰ndig-heil’ge Wuth die Priesterin?

Iphigenie.
O hˆre mich! O sieh mich an, wie mir Nach einer langen Zeit das Herz sich ˆffnet, Der Seligkeit, dem Liebsten, was die Welt Noch f¸r mich tragen kann, das Haupt zu k¸ssen, Mit meinen Armen, die den leeren Winden
Nur ausgebreitet waren, dich zu fassen! O lafl mich! Lafl mich! Denn es quillet heller Nicht vom Parnafl die ew’ge Quelle sprudelnd Von Fels zu Fels in’s goldne Thal hinab, Wie Freude mir vom Herzen wallend flieflt, Und wie ein selig Meer mich rings umf‰ngt. Orest! Orest! Mein Bruder!

Orest.
Schˆne Nymphe,
Ich traue dir und deinem Schmeicheln nicht. Diana fordert strenge Dienerinnen
Und r‰chet das entweihte Heiligthum. Entferne deinen Arm von meiner Brust!
Und wenn du einen J¸ngling rettend lieben, Das schˆne Gl¸ck ihm z‰rtlich bieten willst, So wende meinem Freunde dein Gem¸th,
Dem w¸rd’gern Manne zu. Er irrt umher Auf jenem Felsenpfade; such’ ihn auf,
Weis’ ihn zurecht und schone meiner.

Iphigenie.
Fasse
Dich, Bruder, und erkenne die Gefundne! Schilt einer Schwester reine Himmelsfreude Nicht unbesonnene, strafbare Lust.
O nehmt den Wahn ihm von dem starren Auge, Dafl uns der Augenblick der hˆchsten Freude Nicht dreifach elend mache! Sie ist hier, Die l‰ngst verlorne Schwester. Vom Altar Rifl mich die Gˆttin weg und rettete
Hierher mich in ihr eigen Heiligthum. Gefangen bist du, dargestellt zum Opfer, Und findest in der Priesterin die Schwester.

Orest.
Unselige! So mag die Sonne denn
Die letzten Gr‰uel unsers Hauses sehn! Ist nicht Elektra hier? damit auch sie
Mit uns zu Grunde gehe, nicht ihr Leben Zu schwererem Geschick und Leiden friste. Gut, Priesterin! Ich folge zum Altar:
Der Brudermord ist hergebrachte Sitte Des alten Stammes; und ich danke, Gˆtter, Dafl ihr mich ohne Kinder auszurotten
Beschlossen habt. Und lafl dir rathen, habe Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne; Komm, folge mir in’s dunkle Reich hinab! Wie sich vom Schwefelpfuhl erzeugte Drachen Bek‰mpfend die verwandte Brut verschlingen, Zerstˆrt sich selbst das w¸thende Geschlect; Komm kinderlos und schuldlos mit hinab!
Du siehst mich mit Erbarmen an? Lafl ab! Mit solchen Blicken suchte Klyt‰mnestra Sich einen Weg nach ihres Sohnes Herzen; Doch sein geschwungner Arm traf ihre Brust. Die Mutter fiel!–Tritt auf, unwill’ger Geist! Im Kreis geschlossen tretet an, ihr Furien, Und wohnet dem willkommnen Schauspiel bei, Dem letzten, gr‰fllichsten, das ihr bereitet! Nicht Hafl und Rache sch‰rfen ihren Dolch; Die liebevolle Schwester wird zur That
Gezwungen. Weine nicht! Du hast nicht Schuld. Seit meinen ersten Jahren hab’ ich nichts Geliebt, wie ich dich lieben kˆnnte, Schwester. Ja, schwinge deinen Stahl, verschone nicht, Zerreifle diesen Busen, und erˆffne
Den Strˆmen die hier sieden einen Weg! (Er sinkt in Ermattung.)

Iphigenie.
Allein zu tragen dieses Gl¸ck und Elend Vermag ich nicht.–Wo bist du, Pylades?
Wo find’ ich deine H¸lfe, theurer Mann? (Sie entfernt sich suchend.)

Zweiter Auftritt.

Orest
(aus seiner Bet‰ubung erwachend und sich aufrichtend).

Noch Einen! reiche mir aus Lethe’s Fluthen Den letzten k¸hlen Becher der Erquickung! Bald ist der Krampf des Lebens aus dem Busen Hinweggesp¸lt; bald flieflet still mein Geist, Der Quelle des Vergessens hingegeben,
Zu euch, ihr Schatten, in die ew’gen Nebel. Gef‰llig laflt in eurer Ruhe sich
Den umgetriebnen Sohn der Erde laben!– Welch ein Gelispel hˆr’ ich in den Zweigen, Welch ein Ger‰usch aus jener D‰mmrung s‰useln?– Sie kommen schon, den neuen Gast zu sehn! Wer ist die Schaar, die herrlich mit einander Wie ein versammelt F¸rstenhaus sich freut? Sie gehen friedlich, Alt’ und Junge, M‰nner Mit Weibern; gˆttergleich und ‰hnlich scheinen Die wandelnden Gestalten. Ja, sie sind’s, Die Ahnherrn meines Hauses!–Mit Thyesten Geht Atreus in vertraulichen Gespr‰chen; Die Knaben schl¸pfen scherzend um sie her. Ist keine Feindschaft hier mehr unter euch? Verlosch die Rache wie das Licht der Sonne? So bin auch ich willkommen, und ich darf In euern feierlichen Zug mich mischen.
Willkommen, V‰ter! euch gr¸flt Orest, Von euerm Stamme der letzte Mann;
Was ihr ges‰t, hat er geerntet:
Mit Fluch beladen stieg er herab,
Doch leichter tr‰get sich hier jede B¸rde: Nehmt ihn, o nehmt ihn in euern Kreis!– Dich, Atreus, ehr’ ich, auch dich Thyesten: Wir sind hier alle der Feindschaft los.– Zeigt mir den Vater, den ich nur einmal
Im Leben sah!–Bist du’s, mein Vater? Und f¸hrst die Mutter vertraut mit dir? Darf Klyt‰mnestra die hand dir reichen; So darf Orest auch zu ihr treten
Und darf ihr sagen: sieh deinen Sohn!– Seht euern Sohn! Heiflt ihn willkommen. Auf Erden war in unserm Hause
Der Grufl des Mordes gewisse Losung, Und das Geschlect des alten Tantalus
Hat seine Freuden jenseits der Nacht. Ihr ruft: Willkommen! und nehmt mich auf! O f¸hrt zum Alten, zum Ahnherrn mich!
Wo ist der Alte? dafl ich ihn sehe, Das theure Haupt, das vielverehrte,
Das mit den Gˆttern zu Rathe safl. Ihr scheint zu zaudern, euch wegzuwenden? Was ist es? Leidet der Gˆttergleiche?
Weh mir! es haben die ‹berm‰cht’gen Der Heldenbrust grausame Qualen
Mit ehrnen Ketten fest aufgeschmiedet.

Dritter Auftritt.

Orest. Iphigenie. Pylades.

Orest.
Seid ihr auch schon herabgekommen?
Wohl Schwester dir! Noch fehlt Elektra: Ein g¸t’ger Gott send’ uns die Eine
Mit sanften Pfeilen auch schnell herab. Dich, armer Freund, mufl ich bedauern!
Komm mit! komm mit! zu Pluto’s Thron, Als neue G‰ste den Wirth zu gr¸flen.

Iphigenie.
Geschwister, die ihr an dem weiten Himmel Das schˆne Licht bei Tag und Nacht herauf Den Menschen bringet, und den Abgeschiednen Nicht leuchten d¸rfet, rettet uns Geschwister! Du liebst, Diane, deinen holden Bruder
Vor allem, was dir Erd’ und Himmel bietet, Und wendest dein jungfr‰ulich Angesicht Nach seinem ew’gen Lichte sehnend still. O lafl den einz’gen Sp‰tgefundnen mir Nicht in der Finsternifl des Wahnsinns rasen! Und ist dein Wille, da du hier mich bargst, Nunmehr vollendet, willst du mir durch ihn Und ihm durch mich die sel’ge H¸lfe geben; So lˆs’ ihn von den Banden jenes Fluchs, Dafl nicht die theure Zeit der Rettung schwinde.

Pylades.
Erkennst du uns und diesen heil’gen Hain Und dieses Licht, das nicht den Todten leuchtet? F¸hlst du den Arm des Freundes und der Schwester, Die dich noch fest, noch lebend halten? Fafl Uns kr‰ftig an; wir sind nicht leere Schatten. Merk’ auf mein Wort! Vernimm es! Raffe dich Zusammen! Jeder Augenblick ist theuer,
Und unsre R¸ckkehr h‰ngt an zarten F‰den, Die, scheint es, eine g¸nst’ge Parze spinnt.

Orest (zu Iphigenien).
Lafl mich zum Erstenmal mit freiem Herzen In deinen Armen reine Freude haben!
Ihr Gˆtter, die mit flammender Gewalt Ihr schwere Wolken aufzuzehren wandelt,
Und gn‰dig-ernst den lang erflehten Regen Mit Donnerstimmen und mit Windesbrausen
In wilden Strˆmen auf die Erde sch¸ttet, Doch bald der Menschen grausendes Erwarten In Segen auflˆs’t und das bange Staunen In Freudeblick und lauten Dank verwandelt, Wenn in den Tropfen frischerquickter Bl‰tter Die neue Sonne tausendfach sich spiegelt, Und Iris freundlich bunt mit leichter Hand Den grauen Flor der letzten Wolken trennt; O laflt mich auch in meiner Schwester Armen, An meines Freundes Brust, was ihr mir gˆnnt Mit vollem Dank genieflen und behalten. Es lˆset sich der Fluch, mir sagt’s das Herz. Die Eumeniden ziehn, ich hˆre sie,
Zum Tartarus und schlagen hinter sich Die ehrnen Thore fernabdonnernd zu.
Die Erde dampft erquickenden Geruch Und ladet mich auf ihren Fl‰chen ein,
Nach Lebensfreud’ und grofler That zu jagen.

Pylades.
Vers‰umt die Zeit nicht, die gemessen ist! Der Wind der unsre Segel schwellt, er bringe Erst unsre volle Freude zum Olymp.
Kommt! Es bedarf hier schnellen Rath und Schlufl.

Vierter Aufzug.

Erster Auftritt.

Iphigenie.
Denken die Himmlischen
Einem der Erdgebornen
Viele Verwirrungen zu,
Und bereiten sie ihm
Von der Freude zu Schmerzen
Und von Schmerzen zur Freude
Tief-ersch¸tternden ‹bergang;
Dann erziehen sie ihm
In der N‰he der Stadt,
Oder am fernen Gestade,
Dafl in Stunden der Noth
Auch die H¸lfe bereit sei,
Einen ruhigen Freund.
O segnet, Gˆtter, unsern Pylades
Und was er immer unternehmen mag!
Er ist der Arm des J¸nglings in der Schlacht, Des Greises leuchtend Aug’ in der Versammlung: Denn seine Seel’ ist stille; sie bewahrt Der Ruhe heil’ges unerschˆpftes Gut,
Und den Umhergetriebnen reichet er
Aus ihren Tiefen Rath und H¸lfe. Mich Rifl er vom Bruder los; den staunt’ ich an Und immer wieder an, und konnte mir
Das Gl¸ck nicht eigen machen, liefl ihn nicht Aus meinen Armen los, und f¸hlte nicht
Die N‰he der Gefahr die uns umgibt. Jetzt gehn sie ihren Anschlag auszuf¸hren Der See zu, wo das Schiff mit den Gef‰hrten In einer Bucht versteckt auf’s Zeichen lauert, Und haben kluges Wort mir in den Mund
Gegeben, mich gelehrt was ich dem Kˆnig Antworte, wenn er sendet und das Opfer
Mir dringender gebietet. Ach! ich sehe wohl, Ich mufl mich leiten lassen wie ein Kind. Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten
Noch jemand etwas abzulisten. Weh!
O weh der L¸ge! Sie befreiet nicht, Wie jedes andre wahrgesprochne Wort,
Die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie ‰ngstet Den, der sie heimlich schmiedet, und sie kehrt, Ein losgedruckter Pfeil, von einem Gotte Gewendet und versagend, sich zur¸ck
Und trifft den Sch¸tzen. Sorg’ auf Sorge schwankt Mir durch die Brust. Es greift die Furie Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder Des ungeweihten Ufers grimmig an.
Entdeckt man sie vielleicht? Mich d¸nkt, ich hˆre Gewaffnete sich nahen!–Hier!–Der Bote
Kommt von dem Kˆnige mit schnellem Schritt, Es schl‰gt mein Herz, es tr¸bt sich meine Seele, Da ich des Mannes Angesicht erblicke,
Dem ich mit falschem Wort begegnen soll.

Zweiter Auftritt.

Iphigenie. Arkas.

Arkas.
Beschleunige das Opfer, Priesterin! Der Kˆnig wartet und es harrt das Volk.

Iphigenie.
Ich folgte meiner Pflicht und deinem Wink, Wenn unvermuthet nicht ein Hindernifl
Sich zwischen mich und die Erf¸llung stellte.

Arkas.
Was ist’s, das den Befehl des Kˆnigs hindert?

Iphigenie.
Der Zufall, dessen wir nicht Meister sind.

Arkas.
So sage mir’s, dafl ich’s ihm schnell vermelde: Denn er beschlofl bei sich der beiden Tod.

Iphigenie.
Die Gˆtter haben ihn noch nicht beschlossen. Der ‰lt’ste dieser M‰nner tr‰gt die Schuld Des nahverwandten Bluts, das er vergofl. Die Furien verfolgen seinen Pfad,
Ja in dem innern Tempel faflte selbst Das ‹bel ihn, und seine Gegenwart
Entheiligte die reine St‰tte. Nun Eil’ ich mit meinen Jungfraun, an dem Meere Der Gˆttin Bild mit frischer Welle netzend, Geheimniflvolle Weihe zu begehn.
Es stˆre niemand unsern stillen Zug!

Arkas.
Ich melde dieses neue Hindernifl
Dem Kˆnige geschwind; beginne du
Das heil’ge Werk nicht eh’ bis er’s erlaubt.

Iphigenie.
Diefl ist allein der Priestrin ¸berlassen.

Arkas.
Solch seltnen Fall soll auch der Kˆnig wissen.

Iphigenie.
Sein Rath wie sein Befehl ver‰ndert nichts.

Arkas.
Oft wird der M‰chtige zum Schein gefragt.

Iphigenie.
Erdringe nicht, was ich versagen sollte.

Arkas.
Versage nicht, was gut und n¸tzlich ist.

Iphigenie.
Ich gebe nach, wenn du nicht s‰umen willst.

Arkas.
Schnell bin ich mit der Nachricht in dem Lager, Und schnell mit seinen Worten hier zur¸ck. O kˆnnt’ ich ihm noch eine Botschaft bringen, Die alles lˆs’te, was uns jetzt verwirrt: Denn du hast nicht des Treuen Rath geachtet.

Iphigenie.
Was ich vermochte, hab’ ich gern gethan.

Arkas.
Noch ‰nderst du den Sinn zur rechten Zeit.

Iphigenie.
Das steht nun einmal nicht in unsrer Macht.

Arkas.
Du h‰ltst unmˆglich, was dir M¸he kostet.

Iphigenie.
Dir scheint es mˆglich, weil der Wunsch dich tr¸gt.

Arkas.
Willst du denn alles so gelassen wagen?

Iphigenie.
Ich hab’ es in der Gˆtter Hand gelegt.

Arkas.
Sie pflegen Menschen menschlich zu erretten.

Iphigenie.
Auf ihren Fingerzeig kˆmmt alles an.

Arkas.
Ich sage dir, es liegt in deiner Hand. Des Kˆnigs aufgebrachter Sinn allein
Bereitet diesen Fremden bittern Tod. Das Heer entwˆhnte l‰ngst vom harten Opfer Und von dem blut’gen Dienste sein Gem¸th. Ja, mancher, den ein widriges Geschick
An fremdes Ufer trug, empfand es selbst, Wie gˆttergleich dem armen Irrenden,
Umhergetrieben an der fremden Gr‰nze, Ein freundlich Menschenangesicht begegnet. O wende nicht von uns was du vermagst!
Du endest leicht was du begonnen hast: Denn nirgends baut die Milde, die herab
In menschlicher Gestalt vom Himmel kommt, Ein Reich sich schneller, als wo tr¸b und wild Ein neues Volk, voll Leben, Muth und Kraft, Sich selbst und banger Ahnung ¸berlassen, Des Menschenlebens schwere B¸rden tr‰gt.

Iphigenie.
Ersch¸ttre meine Seele nicht, die du Nach deinem Willen nicht bewegen kannst.

Arkas.
So lang es Zeit ist, schont man weder M¸he Noch eines guten Wortes Wiederholung.

Iphigenie.
Du machst dir M¸h und mir erregst du Schmerzen: Vergebens beides: darum lafl mich nun.

Arkas.
Die Schmerzen sind’s, die ich zu H¸lfe rufe: Denn es sind Freunde, Gutes rathen sie.

Iphigenie.
Sie fassen meine Seele mit Gewalt,
Doch tilgen sie den Widerwillen nicht.

Arkas.
F¸hlt eine schˆne Seele Widerwillen F¸r eine Wohlthat, die der Edle reicht?

Iphigenie.
Ja, wenn der Edle, was sich nicht geziemt, Statt meines Dankes mich erwerben will.

Arkas.
Wer keine Neigung f¸hlt, dem mangelt es An einem Worte der Entschuld’gung nie.
Dem F¸rsten sag’ ich an, was hier geschehn. O wiederholtest du in deiner Seele,
Wie edel er sich gegen dich betrug
Von deiner Ankunft an bis diesen Tag.

Dritter Auftritt.

Iphigenie (allein).

Von dieses Mannes Rede f¸hl’ ich mir Zur ungelegnen Zeit das Herz im Busen
Auf einmal umgewendet. Ich erschrecke!– Denn wie die Fluth mit schnellen Strˆmen wachsend Die Felsen ¸bersp¸lt, die in dem Sand
Am Ufer liegen: so bedeckte ganz
Ein Freudenstrom mein Innerstes. Ich hielt In meinen Armen das Unmˆgliche.
Es schien sich eine Wolke wieder sanft Um mich zu legen, von der Erde mich
Empor zu heben und in jenen Schlummer Mich einzuwiegen, den die gute Gˆttin
Um meine Schl‰fe legte, da ihr Arm Mich rettend faflte.–Meinen Bruder
Ergriff das Herz mit einziger Gewalt: Ich horchte nur auf seines Freundes Rath; Nur sie zu retten drang die Seele vorw‰rts. Und wie den Klippen einer w¸sten Insel
Der Schiffer gern den R¸cken wendet: so Lag Tauris hinter mir. Nun hat die Stimme Des treuen Manns mich wieder aufgeweckt, Dafl ich auch Menschen hier verlasse, mich Erinnert. Doppelt wird mir der Betrug
Verhaflt. O bleibe ruhig, meine Seele! Beginnst du nun zu schwanken und zu zweifeln? Den festen Boden deiner Einsamkeit
Muflt du verlassen! Wieder eingeschifft Ergreifen dich die Wellen schaukelnd, tr¸b Und bang verkennest du die Welt und dich.

Vierter Auftritt.

Iphigenie. Pylades.

Pylades.
Wo ist sie? dafl ich ihr mit schnellen Worten Die frohe Botschaft unsrer Rettung bringe!

Iphigenie.
Du siehst mich hier voll Sorgen und Erwartung Des sichern Trostes, den du mir versprichst.

Pylades.
Dein Bruder ist geheilt! Den Felsenboden Des ungeweihten Ufers und den Sand
Betraten wir mit frˆhlichen Gespr‰chen; Der Hain blieb hinter uns, wir merkten’s nicht. Und herrlicher und immer herrlicher
Umloderte der Jugend schˆne Flamme Sein lockig Haupt; sein volles Auge gl¸hte Von Muth und Hoffnung, und sein freies Herz Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust, Dich, seine Retterin, und mich zu retten.

Iphigenie.
Gesegnet seist du, und es mˆge nie Von deiner Lippe, die so Gutes sprach,
Der Ton des Leidens und der Klage tˆnen!

Pylades.
Ich bringe mehr als das; denn schˆn begleitet, Gleich einem F¸rsten, pflegt das Gl¸ck zu nahn. Auch die Gef‰hrten haben wir gefunden. In einer Felsenbucht verbargen sie
Das Schiff und saflen traurig und erwartend. Sie sahen deinen Bruder, und es regten
Sich alle jauchzend, und sie baten dringend Der Abfahrt Stunde zu beschleunigen.
Es sehnet jede Faust sich nach dem Ruder, Und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd, Von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen. Drum lafl uns eilen, f¸hre mich zum Tempel, Lafl mich das Heiligthum betreten, lafl Mich unsrer W¸nsche Ziel verehrend fassen. Ich bin allein genug, der Gˆttin Bild
Auf wohl ge¸bten Schultern wegzutragen; Wie sehn’ ich mich nach der erw¸nschten Last!

(Er geht gegen den Tempel unter den letzten Worten, ohne zu bemerken, dafl Iphigenie nicht folgt; endlich kehrt er sich um.)

Du stehst und zauderst–Sage mir–Du schweigst! Du scheinst verworren! Widersetzet sich
Ein neues Unheil unserm Gl¸ck? Sag’ an! Hast du dem Kˆnige das kluge Wort
Vermelden lassen, das wir abgeredet?

Iphigenie.
Ich habe, theurer Mann; doch wirst du schelten. Ein schweigender Verweis war mir dein Anblick. Des Kˆnigs Bote kam, und wie du es
Mir in den Mund gelegt, so sagt’ ich’s ihm. Er schien zu staunen, und verlangte dringend Die seltne Feier erst dem Kˆnige
Zu melden, seinen Willen zu vernehmen; Und nun erwart’ ich seine Wiederkehr.

Pylades.
Weh uns! Erneuert schwebt nun die Gefahr Um unsre Schl‰fe! Warum hast du nicht
In’s Priesterrecht dich weislich eingeh¸llt?

Iphigenie.
Als eine H¸lle hab’ ich’s nie gebraucht.

Pylades.
So wirst du, reine Seele, dich und uns Zu Grunde richten. Warum dacht’ ich nicht Auf diesen Fall voraus, und lehrte dich
Auch dieser Fordrung auszuweichen!

Iphigenie.
Schilt
Nur mich, die Schuld ist mein, ich f¸hl’ es wohl; Doch konnt’ ich anders nicht dem Mann begegnen, Der mit Vernunft und Ernst von mir verlangte, Was ihm mein Herz als Recht gestehen muflte.

Pylades.
Gef‰hrlicher zieht sich’s zusammen; doch auch so Lafl uns nicht zagen, oder unbesonnen
Und ¸bereilt uns selbst verrathen. Ruhig Erwarte du die Wiederkunft des Boten,
Und dann steh fest, er bringe was er will: Denn solcher Weihung Feier anzuordnen
Gehˆrt der Priesterin und nicht dem Kˆnig. Und fordert er den fremden Mann zu sehn, Der von dem Wahnsinn schwer belastet ist; So lehn’ es ab, als hieltest du uns beide Im Tempel wohl verwahrt. So schaff’ uns Luft, Dafl wir auf’s eiligste, den heil’gen Schatz Dem rauh unw¸rd’gen Volk entwendend, fliehn. Die besten Zeichen sendet uns Apoll,
Und, eh’ wir die Bedingung fromm erf¸llen, Erf¸llt er gˆttlich sein Versprechen schon. Orest ist frei, geheilt!–Mit dem Befreiten O f¸hret uns hin¸ber, g¸nst’ge Winde, Zur Felsen-Insel die der Gott bewohnt;
Dann nach Mycen, dafl es lebendig werde, Dafl von der Asche des verloschnen Herdes Die Vatergˆtter frˆhlich sich erheben, Und schˆnes Feuer ihre Wohnungen
Umleuchte! Deine Hand soll ihnen Weihrauch Zuerst aus goldnen Schalen streuen. Du
Bringst ¸ber jene Schwelle Heil und Leben wieder, Ents¸hnst den Fluch und schm¸ckest neu die Deinen Mit frischen Lebensbl¸then herrlich aus.

Iphigenie.
Vernehm’ ich dich, so wendet sich, o Theurer, Wie sich die Blume nach der Sonne wendet, Die Seele, von dem Strahle deiner Worte
Getroffen, sich dem s¸flen Troste nach. Wie kˆstlich ist des gegenw‰rt’gen Freundes Gewisse Rede, deren Himmelskraft
Ein Einsamer entbehrt und still versinkt. Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen, Gedank’ ihm und Entschlufl; die Gegenwart Des Liebenden entwickelte sie leicht.

Pylades.
Leb’ wohl! Die Freunde will ich nun geschwind Beruhigen, die sehnlich wartend harren.
Dann komm’ ich schnell zur¸ck und lausche hier Im Felsenbusch versteckt auf deinen Wink– Was sinnest du? Auf einmal ¸berschwebt
Ein stiller Trauerzug die freie Stirne.

Iphigenie.
Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne, So zieht mir vor der Seele leichte Sorge Und Bangigkeit vor¸ber.

Pylades.
F¸rchte nicht!
Betr¸glich schlofl die Furcht mit der Gefahr Ein enges B¸ndnifl; beide sind Gesellen.

Iphigenie.
Die Sorge nenn’ ich edel, die mich warnt, Den Kˆnig, der mein zweiter Vater ward, Nicht t¸ckisch zu betr¸gen, zu berauben.

Pylades.
Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du.

Iphigenie.
Es ist derselbe, der mir Gutes that.

Pylades.
Das ist nicht Undank, was die Noth gebeut.

Iphigenie.
Es bleibt wohl Undank; nur die Noth entschuldigt.

Pylades.
Vor Gˆttern und vor Menschen dich gewifl.

Iphigenie.
Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt.

Pylades.
Zu strenge Fordrung ist verborgner Stolz.

Iphigenie.
Ich untersuche nicht, ich f¸hle nur.

Pylades.
F¸hlst du dich recht, so muflt du dich verehren.

Iphigenie.
Ganz unbefleckt genieflt sich nur das Herz.

Pylades.
So hast du dich im Tempel wohl bewahrt; Das Leben lehrt uns, weniger mit uns
Und andern strenge sein; du lernst es auch. So wunderbar ist diefl Geschlecht gebildet, So vielfach ist’s verschlungen und verkn¸pft, Dafl keiner in sich selbst, noch mit den andern Sich rein und unverworren halten kann.
Auch sind wir nicht bestellt uns selbst zu richten; Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen
Ist eines Menschen erste, n‰chste Pflicht: Denn selten sch‰tzt er recht was er gethan, Und was er thut weifl er fast nie zu sch‰tzen.

Iphigenie.
Fast ¸berred’st du mich zu deiner Meinung.

Pylades.
Braucht’s ‹berredung, wo die Wahl versagt ist? Den Bruder, dich, und einen Freund zu retten Ist nur Ein Weg; fragt sich’s ob wir ihn gehen?

Iphigenie.
O lafl mich zaudern! denn du th‰test selbst Ein solches Unrecht keinem Mann gelassen, Dem du f¸r Wohlthat dich verpflichtet hieltest.

Pylades.
Wenn wir zu Grunde gehen, wartet dein Ein h‰rtrer Vorwurf, der Verzweiflung tr‰gt. Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt, Da du dem groflen ‹bel zu entgehen
Ein falsches Wort nicht einmal opfern willst.

Iphigenie.
O tr¸g’ ich doch ein m‰nnlich Herz in mir! Das, wenn es einen k¸hnen Vorsatz hegt, Vor jeder andern Stimme sich verschlieflt.

Pylades.
Du weigerst dich umsonst; die ehrne Hand Der Noth gebietet, und ihr ernster Wink
Ist oberstes Gesetz, dem Gˆtter selbst Sich unterwerfen m¸ssen. Schweigend herrscht Des ew’gen Schicksals unberathne Schwester. Was sie dir auferlegt, das trage: thu’
Was sie gebeut. Das Andre weiflt du. Bald Komm’ ich zur¸ck, aus deiner heil’gen Hand Der Rettung schˆnes Siegel zu empfangen.

F¸nfter Auftritt.

Iphigenie (allein).
Ich mufl ihm folgen: denn die Meinigen Seh’ ich in dringender Gefahr. Doch ach! Mein eigen Schicksal macht mir bang und b‰nger. O soll ich nicht die stille Hoffnung retten, Die in der Einsamkeit ich schˆn gen‰hrt? Soll dieser Fluch denn ewig walten? Soll Nie diefl Geschlecht mit einem neuen Segen Sich wieder heben?–Nimmt doch alles ab! Das beste Gl¸ck, des Lebens schˆnste Kraft Ermattet endlich, warum nicht der Fluch? So hofft’ ich denn vergebens, hier verwahrt, Von meines Hauses Schicksal abgeschieden, Dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen Die schwer befleckte Wohnung zu ents¸hnen! Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder Vom grimm’gen ‹bel wundervoll und schnell Geheilt, kaum naht ein lang erflehtes Schiff, Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten, So legt die taube Noth ein doppelt Laster Mit ehrner Hand mir auf: das heilige
Mir anvertraute, viel verehrte Bild Zu rauben und den Mann zu hintergehn,
Dem ich mein Leben und mein Schicksal danke. O dafl in meinem Busen nicht zuletzt
Ein Widerwille keime! der Titanen
Der alten Gˆtter tiefer Hafl auf euch, Olympier, nicht auch die zarte Brust
Mit Geierklauen fasse! Rettet mich
Und rettet euer Bild in meiner Seele!

Vor meinen Ohren tˆnt das alte Lied– Vergessen hatt’ ich’s und vergafl es gern– Das Lied der Parzen, das sie grausend sangen, Als Tantalus vom goldnen Stuhle fiel:
Sie litten mit dem edeln Freunde; grimmig War ihre Brust, und furchtbar ihr Gesang. In unsrer Jugend sang’s die Amme mir
Und den Geschwistern vor, ich merkt es wohl.

Es f¸rchte die Gˆtter
Das Menschengeschlecht!
Sie halten die Herrschaft
In ewigen H‰nden,
Und kˆnnen sie brauchen
Wie’s ihnen gef‰llt.

Der f¸rchte sie doppelt,
Den je sie erheben!
Auf Klippen und Wolken
Sind St¸hle bereitet
Um goldene Tische.

Erhebet ein Zwist sich:
So st¸rzen die G‰ste
Geschm‰ht und gesch‰ndet
In n‰chtliche Tiefen,
Und harren vergebens,
Im Finstern gebunden,
Gerechten Gerichtes.

Sie aber, sie bleiben
In ewigen Festen
An goldenen Tischen.
Sie schreiten vom Berge
Zu Bergen hin¸ber:
Aus Schl¸nden der Tiefe
Dampft ihnen der Athem
Erstickter Titanen,
Gleich Opferger¸chen,
Ein leichtes Gewˆlke.

Es wenden die Herrscher
Ihr segnendes Auge
Von ganzen Geschlechtern,
Und meiden, im Enkel
Die ehmals geliebten
Still redenden Z¸ge
Des Ahnherrn zu sehn.

So sangen die Parzen;
Es horcht der Verbannte
In n‰chtlichen Hˆhlen
Der Alte die Lieder,
Denkt Kinder und Enkel
Und sch¸ttelt das Haupt.

F¸nfter Aufzug.

Erster Auftritt.

Thoas. Arkas.

Arkas.
Verwirrt mufl ich gestehn, dafl ich nicht weifl, Wohin ich meinen Argwohn richten soll.
Sind’s die Gefangnen, die auf ihre Flucht Verstohlen sinnen? Ist’s die Priesterin, Die ihnen hilft? Es mehrt sich das Ger¸cht: Das Schiff, das diese beiden hergebracht, Sei irgend noch in einer Bucht versteckt. Und jenes Mannes Wahnsinn, diese Weihe,
Der heil’ge Vorwand dieser Zˆgrung, rufen Den Argwohn lauter und die Vorsicht auf.

Thoas.
Es komme schnell die Priesterin herbei! Dann geht, durchsucht das Ufer scharf und schnell Vom Vorgebirge bis zum Hain der Gˆttin. Verschonet seine heil’gen Tiefen, legt
Bed‰cht’gen Hinterhalt und greift sie an; Wo ihr sie findet, faflt sie wie ihr pflegt.

Zweiter Auftritt.

Thoas (allein).

Entsetzlich wechselt mir der Grimm im Busen; Erst gegen sie, die ich so heilig hielt; Dann gegen mich, der ich sie zum Verrath Durch Nachsicht und durch G¸te bildete. Zur Sklaverei gewˆhnt der Mensch sich gut Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn Der Freiheit ganz beraubt. Ja, w‰re sie In meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen,
Und h‰tte sie der heil’ge Grimm verschont: Sie w‰re froh gewesen, sich allein
Zu retten, h‰tte dankbar ihr Geschick Erkannt und fremdes Blut vor dem Altar
Vergossen, h‰tte Pflicht genannt
Was Noth war. Nun lockt meine G¸te In ihrer Brust verwegnen Wunsch herauf.
Vergebens hofft’ ich, sie mir zu verbinden; Sie sinnt sich nun ein eigen Schicksal aus. Durch Schmeichelei gewann sie mir das Herz: Nun widersteh’ ich der; so sucht sie sich Den Weg durch List und Trug, und meine G¸te Scheint ihr ein alt verj‰hrtes Eigenthum.

Dritter Auftritt.

Iphigenie. Thoas.

Iphigenie.
Du forderst mich! was bringt dich zu uns her?

Thoas.
Du schiebst das Opfer auf; sag’ an, warum?

Iphigenie.
Ich hab’ an Arkas alles klar erz‰hlt.

Thoas.
Von dir mˆcht’ ich es weiter noch vernehmen.

Iphigenie.
Die Gˆttin gibt dir Frist zur ‹berlegung.

Thoas.
Sie scheint dir selbst gelegen, diese Frist.

Iphigenie.
Wenn dir das Herz zum grausamen Entschlufl Verh‰rtet ist: so solltest du nicht kommen! Ein Kˆnig, der Unmenschliches verlangt, Find’t Diener g’nug, die gegen Gnad’ und Lohn Den halben Fluch der That begierig fassen; Doch seine Gegenwart bleibt unbefleckt.
Er sinnt den Tod in einer schweren Wolke, Und seine Boten bringen flammendes
Verderben auf des Armen Haupt hinab; Er aber schwebt durch seine Hˆhen ruhig, Ein unerreichter Gott, im Sturme fort.

Thoas.
Die heil’ge Lippe tˆnt ein wildes Lied.

Iphigenie.
Nicht Priesterin! nur Agamemnons Tochter. Der Unbekannten Wort verehrtest du;
Der F¸rstin willst du rasch gebieten? Nein! Von Jugend auf hab’ ich gelernt gehorchen, Erst meinen Eltern und dann einer Gottheit, Und folgsam f¸hlt’ ich immer meine Seele Am schˆnsten frei; allein dem harten Worte, Dem rauhen Ausspruch eines Mannes mich
Zu f¸gen, lernt’ ich weder dort noch hier.

Thoas.
Ein alt Gesetz, nicht ich, gebietet dir.

Iphigenie.
Wir fassen ein Gesetz begierig an,
Das unsrer Leidenschaft zur Waffe dient. Ein andres spricht zu mir, ein ‰lteres, Mich dir zu widersetzen, das Gebot,
Dem jeder Fremde heilig ist.

Thoas.
Es scheinen die Gefangnen dir sehr nah Am Herzen: denn vor Antheil und Bewegung Vergissest du der Klugheit erstes Wort,
Dafl man den M‰chtigen nicht reizen soll.

Iphigenie.
Red’ oder schweig’ ich, immer kannst du wissen, Was mir im Herzen ist und immer bleibt.
Lˆs’t die Erinnerung des gleichen Schicksals Nicht ein verschloss’nes Herz zum Mitleid auf? Wie mehr denn meins! In ihnen seh’ ich mich. Ich habe vor’m Altare selbst gezittert,
Und feierlich umgab der fr¸he Tod
Die Knieende; das Messer zuckte schon, Den lebenvollen Busen zu durchbohren;
Mein Innerstes entsetzte wirbelnd sich, Mein Auge brach, und–ich fand mich gerettet. Sind wir, was Gˆtter gn‰dig uns gew‰hrt, Ungl¸cklichen nicht zu erstatten schuldig? Du weiflt es, kennst mich, und du willst mich zwingen!

Thoas.
Gehorche deinem Dienste, nicht dem Herrn.

Iphigenie.
Lafl ab! Beschˆnige nicht die Gewalt, Die sich der Schwachheit eines Weibes freut. Ich bin so frei geboren als ein Mann.
St¸nd’ Agamemnons Sohn dir gegen¸ber, Und du verlangtest was sich nicht geb¸hrt: So hat auch Er ein Schwert und einen Arm, Die Rechte seines Busens zu verteid’gen. Ich habe nichts als Worte, und es ziemt
Dem edeln Mann, der Frauen Wort zu achten.

Thoas.
Ich acht’ es mehr als eines Bruders Schwert.

Iphigenie.
Das Loos der Waffen wechselt hin und her: Kein kluger Streiter h‰lt den Feind gering. Auch ohne H¸lfe gegen Trutz und H‰rte Hat die Natur den Schwachen nicht gelassen. Sie gab zur List ihm Freude, lehrt’ ihn K¸nste; Bald weicht er aus, versp‰tet und umgeht. Ja, der Gewaltige verdient, dafl man sie ¸bt.

Thoas.
Die Vorsicht stellt der List sich klug entgegen.

Iphigenie.
Und eine reine Seele braucht sie nicht.

Thoas.
Sprich unbehutsam nicht dein eigen Urtheil.

Iphigenie.
O s‰hest du wie meine Seele k‰mpft, Ein bˆs Geschick, das sie ergreifen will, Im ersten Anfall muthig abzutreiben!
So steh’ ich denn hier wehrlos gegen dich? Die schˆne Bitte, den anmuth’gen Zweig, In einer Frauen Hand gewaltiger
Als Schwert und Waffe, stˆflest du zur¸ck: Was bleibt mir nun, mein Innres zu verteid’gen? Ruf’ ich die Gˆttin um ein Wunder an?
Ist keine Kraft in meiner Seele Tiefen?

Thoas.
Es scheint, der beiden Fremden Schicksal macht Unm‰flig dich besorgt. Wer sind sie? sprich, F¸r die dein Geist gewaltig sich erhebt?

Iphigenie.
Sie sind–sie scheinen–f¸r Griechen halt’ ich sie.

Thoas.
Landsleute sind es? und sie haben wohl Der R¸ckkehr schˆnes Bild in dir erneut?

Iphigenie (nach einigem Stillschweigen). Hat denn zur unerhˆrten That der Mann
Allein das Recht? Dr¸ckt denn Unmˆgliches Nur Er an die gewalt’ge Heldenbrust?
Was nennt man grofl? Was hebt die Seele schaudernd Dem immer wiederholenden Erz‰hler?
Als was mit unwahrscheinlichem Erfolg Der Muthigste begann. Der in der Nacht
Allein das Heer des Feindes ¸berschleicht, Wie unversehen eine Flamme w¸thend
Die Schlafenden, Erwachenden ergreift, Zuletzt gedr‰ngt von den Ermunterten
Auf Feindes Pferden, doch mit Beute kehrt, Wird der allein gepriesen? der allein,
Der, einen sichern Weg verachtend, k¸hn Gebirg’ und W‰lder durchzustreifen geht, Dafl er von R‰ubern eine Gegend s‰ubre? Ist uns nichts ¸brig? Mufl ein zartes Weib Sich ihres angebornen Rechts ent‰uflern, Wild gegen Wilde sein, wie Amazonen
Das Recht des Schwerts euch rauben und mit Blute Die Unterdr¸ckung r‰chen? Auf und ab
Steigt in der Brust ein k¸hnes Unternehmen: Ich werde groflem Vorwurf nicht entgehn, Noch schwerem ‹bel wenn es mir mifllingt; Allein Euch leg’ ich’s auf die Kniee! Wenn Ihr wahrhaft seid, wie ihr gepriesen werdet; So zeigt’s durch euern Beistand und verherrlicht Durch mich die Wahrheit!–Ja, vernimm, o Kˆnig, Es wird ein heimlicher Betrug geschmiedet; Vergebens fragst du den Gefangnen nach;
Sie sind hinweg und suchen ihre Freunde, Die mit dem Schiff am Ufer warten, auf.
Der ‰lt’ste, den das ‹bel hier ergriffen Und nun verlassen hat–es ist Orest,
Mein Bruder, und der andre sein Vertrauter, Sein Jugendfreund, mit Namen Pylades.
Apoll schickt sie von Delphi diesem Ufer Mit gˆttlichen Befehlen zu, das Bild
Dianens wegzurauben und zu ihm
Die Schwester hinzubringen, und daf¸r Verspricht er dem von Furien Verfolgten, Des Mutterblutes Schuldigen, Befreiung.
Uns beide hab’ ich nun, die ‹berbliebnen Von Tantals Haus, in deine Hand gelegt:
Verdirb uns–wenn du darfst.

Thoas.
Du glaubst, es hˆre Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme
Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus, Der Grieche, nicht vernahm?

Iphigenie.
Es hˆrt sie jeder,
Geboren unter jedem Himmel, dem
Des Lebens Quelle durch den Busen rein Und ungehindert flieflt.–Was sinnst du mir, O Kˆnig, schweigend in der tiefen Seele? Ist es Verderben? so tˆdte mich zuerst! Denn nun empfind’ ich, da uns keine Rettung Mehr ¸brig bleibt, die gr‰flliche Gefahr, Worein ich die Geliebten ¸bereilt
Vorsetzlich st¸rzte. Weh! ich werde sie Gebunden vor mir sehn! Mit welchen Blicken Kann ich von meinem Bruder Abschied nehmen, Den ich ermorde? Nimmer kann ich ihm
Mehr in die vielgeliebten Augen schaun!

Thoas.
So haben die Betr¸ger k¸nstlich-dichtend Der lang Verschloss’nen, ihre W¸nsche leicht Und willig Glaubenden, ein solch Gespinnst Um’s Haupt geworfen!

Iphigenie.
Nein! o Kˆnig, nein!
Ich kˆnnte hintergangen werden; diese Sind treu und wahr. Wirst du sie anders finden, So lafl sie fallen und verstofle mich, Verbanne mich zur Strafe meiner Thorheit An einer Klippen-Insel traurig Ufer.
Ist aber dieser Mann der lang erflehte, Geliebte Bruder: so entlafl uns, sei
Auch den Geschwistern wie der Schwester freundlich! Mein Vater fiel durch seiner Frauen Schuld, Und sie durch ihren Sohn. Die letzte Hoffnung Von Atreus Stamme ruht auf ihm allein.
Lafl mich mit reinem Herzen, reiner Hand, Hin¸bergehn und unser Haus ents¸hnen.
Du h‰ltst mir Wort!–Wenn zu den Meinen je Mir R¸ckkehr zubereitet w‰re, schwurst Du mich zu lassen; und sie ist es nun.
Ein Kˆnig sagt nicht, wie gemeine Menschen, Verlegen zu, dafl er den Bittenden
Auf einen Augenblick entferne; noch Verspricht er auf den Fall, den er nicht hofft: Dann f¸hlt er erst die Hˆhe seiner W¸rde, Wenn er den Harrenden begl¸cken kann.

Thoas.
Unwillig, wie sich Feuer gegen Wasser Im Kampfe wehrt und gischend seinen Feind Zu Tilgen sucht, so wehret sich der Zorn In meinem Busen gegen deine Worte.

Iphigenie.
O lafl die Gnade, wie das heil’ge Licht Der stillen Opferflamme, mir, umkr‰nzt Von Lobgesang und Dank und Freude, lodern.

Thoas.
Wie oft bes‰nftigte mich diese Stimme!

Iphigenie.
O reiche mir die Hand zum Friedenszeichen.

Thoas.
Du forderst viel in einer kurzen Zeit.

Iphigenie.
Um Gut’s zu thun braucht’s keiner ‹berlegung.

Thoas.
Sehr viel! denn auch dem Guten folgt das ‹bel.

Iphigenie.
Der Zweifel ist’s, der Gutes bˆse macht. Bedenke nicht; gew‰hre, wie du’s f¸hlst.

Vierter Auftritt.

Orest (gewaffnet). Die Vorigen.

Orest (nach der Scene gekehrt).
Verdoppelt eure Kr‰fte! Haltet sie Zur¸ck! nur wenig Augenblicke! Weicht
Der Menge nicht, und deckt den Weg zum Schiffe Mir und der Schwester.
(Zu Iphigenien ohne den Kˆnig zu sehen.) Komm, wir sind verrathen.
Geringer Raum bleibt uns zur Flucht. Geschwind! (Er erblickt den Kˆnig.)

Thoas (nach dem Schwerte greifend).
In meiner Gegenwart f¸hrt ungestraft Kein Mann das nackte Schwert.

Iphigenie.
Entheiliget
Der Gˆttin Wohnung nicht durch Wuth und Mord. Gebietet euerm Volke Stillstand, hˆret
Die Priesterin, die Schwester.

Orest.
Sage mir!
Wer ist es, der uns droht?

Iphigenie.
Verehr’ in ihm
Den Kˆnig, der mein zweiter Vater ward! Verzeih mir, Bruder! doch mein kindlich Herz Hat unser ganz Geschick in seine Hand
Gelegt. Gestanden hab’ ich euern Anschlag Und meine Seele vom Verrath gerettet.

Orest.
Will er die R¸ckkehr friedlich uns gew‰hren?

Iphigenie.
Dein blinkend Schwert verbietet mir die Antwort.

Orest (der das Schwert einsteckt).
So sprich! Du siehst, ich horche deinen Worten.

F¸nfter Auftritt.

Die Vorigen. Pylades. (Bald nach ihm) Arkas.

(Beide mit bloflen Schwertern.)

Pylades.
Verweilet nicht! Die letzte Kr‰fte raffen Die Unsrigen zusammen; weichend werden
Sie nach der See langsam zur¸ckgedr‰ngt. Welch ein Gespr‰ch der F¸rsten find’ ich hier! Diefl ist des Kˆniges verehrtes Haupt!

Arkas.
Gelassen, wie es dir, o Kˆnig, ziemt, Stehst du den Feinden gegen¸ber. Gleich Ist die Verwegenheit bestraft; es weicht Und f‰llt ihr Anhang, und ihr Schiff ist unser. Ein Wort von dir, so steht’s in Flammen.

Thoas.
Geh!
Gebiete Stillstand meinem Volke! keiner Besch‰dige den Feind, so lang wir reden. (Arkas ab.)

Orest.
Ich nehm’ es an. Geh, sammle, treuer Freund, Den Rest des Volkes; harret still, welch Ende Die Gˆtter unsern Thaten zubereiten.
(Pylades ab.)

Sechster Auftritt.

Iphigenie. Thoas. Orest.

Iphigenie.
Befreit von Sorge mich, eh’ ihr zu sprechen Beginnet. Ich bef¸rchte bˆsen Zwist,
Wenn du, o Kˆnig, nicht der Billigkeit Gelinde Stimme hˆrest; du, mein Bruder, Der raschen Jugend nicht gebieten willst.

Thoas.
Ich halte meinen Zorn, wie es dem ƒltern Geziemt, zur¸ck. Antworte mir! Womit
Bezeugst du, dafl du Agamemnons Sohn Und Dieser Bruder bist?

Orest.
Hier ist das Schwert,
Mit dem er Troja’s tapfre M‰nner schlug. Dies nahm ich seinem Mˆrder ab und bat
Die Himmlischen, den Mut und Arm, das Gl¸ck Des groflen Kˆniges mir zu verleihn,
Und einen schˆnern Tod mir zu gew‰hren. W‰hl’ einen aus den Edeln deines Heers Und stelle mir den Besten gegen¸ber.
So weit die Erde Heldensˆhne n‰hrt, Ist keinem Fremdling dies Gesuch verweigert.

Thoas.
Dies Vorrecht hat die alte Sitte nie Dem Fremden hier gestattet.

Orest.
So beginne
Die neue Sitte denn von dir und mir! Nachahmend heiliget ein ganzes Volk
Die edle That der Herrscher zum Gesetz. Und lafl mich nicht allein f¸r unsre Freiheit, Lafl mich, den Fremden, f¸r die Fremden k‰mpfen. Fall ich, so ist ihr Urtheil mit dem meinen Gesprochen; aber gˆnnet mir das Gl¸ck, Zu ¸berwinden, so betrete nie
Ein Mann dies Ufer, dem der schnelle Blick H¸lfreicher Liebe nicht begegnet, und
Getrˆstet scheide jeglicher hinweg!

Thoas.
Nicht unwerth scheinest du, o J¸ngling, mir Der Ahnherrn, deren du dich r¸hmst, zu sein. Grofl ist die Zahl der edeln, tapfern M‰nner, Die mich begleiten; doch ich stehe selbst In meinen Jahren noch dem Feinde, bin
Bereit, mit dir der Waffen Loos zu wagen.

Iphigenie.
Mit nichten! Dieses blutigen Beweises Bedarf es nicht, o Kˆnig! Laflt die Hand Vom Schwerte! Denkt an mich und mein Geschick. Der rasche Kampf verewigt einen Mann:
Er falle gleich, so preiset ihn das Lied. Allein die Thr‰nen, die unendlichen
Der ¸berbliebnen, der verlass’nen Frau Z‰hlt keine Nachwelt, und der Dichter schweigt Von tausend durchgeweinten Tag- und N‰chten, Wo eine stille Seele den verlornen,
Rasch abgeschiednen Freund vergebens sich Zur¸ckzurufen bangt und sich verzehrt.
Mich selbst hat eine Sorge gleich gewarnt, Dafl der Betrug nicht eines R‰ubers mich Vom sichern Schutzort reifle, mich der Knechtschaft Verrathe. Fleiflig hab ich sie befragt, Nach jedem Umstand mich erkundigt, Zeichen Gefordert, und gewifl ist nun mein Herz. Sieh hier an seiner rechten Hand das Mahl Wie von drei Sternen, das am Tage schon, Da er geboren ward, sich zeigte, das
Auf schwere That, mit dieser Faust zu ¸ben, Der Priester deutete. Dann ¸berzeugt
Mich doppelt diese Schramme, die ihm hier Die Augenbraune spaltet. Als ein Kind
Liefl ihn Elektra, rasch und unvorsichtig Nach ihrer Art, aus ihren Armen st¸rzen. Er schlug auf einen Dreifufl auf–Er ist’s– Soll ich dir noch die ƒhnlichkeit des Vaters, Soll ich das innre Jauchzen meines Herzens Dir auch als Zeugen der Versichrung nennen?

Thoas.
Und h¸be deine Rede jeden Zweifel
Und b‰ndigt’ ich den Zorn in meiner Brust: So w¸rden doch die Waffen zwischen uns
Entscheiden m¸ssen; Frieden seh’ ich nicht. Sie sind gekommen, du bekennest selbst,
Das heil’ge Bild der Gˆttin mir zu rauben. Glaubt ihr, ich sehe dies gelassen an?
Der Grieche wendet oft sein l¸stern Auge Den fernen Sch‰tzen der Barbaren zu,
Dem goldnen Felle, Pferden, schˆnen Tˆchtern; Doch f¸hrte sie Gewalt und List nicht immer Mit den erlangten G¸tern gl¸cklich heim.

Orest.
Das Bild, o Kˆnig, soll uns nicht entzweien! Jetzt kennen wir den Irrthum, den ein Gott Wie einen Schleier um das Haupt uns legte, Da er den Weg hierher uns wandern hiefl. Um Rath und um Befreiung bat ich ihn
Von dem Geleit der Furien; er sprach: “Bringst du die Schwester, die an Tauris Ufer Im Heiligthume wider Willen bleibt,
Nach Griechenland, so lˆset sich der Fluch.” Wir legten’s von Apollens Schwester aus, Und er gedachte dich! Die strengen Bande Sind nun gelˆs’t; du bist den Deinen wieder, Du Heilige, geschenkt. Von dir ber¸hrt, War ich geheilt; in deinen Armen faflte Das ‹bel mich mit allen seinen Klauen
Zum letztenmal und sch¸ttelte das Mark Entsetzlich mir zusammen; dann entfloh’s Wie eine Schlange zu der Hˆhle. Neu
Geniefl ich nun durch dich das weite Licht Des Tages. Schˆn und herrlich zeigt sich mir Der Gˆttin Rath. Gleich einem heil’gen Bilde, Daran der Stadt unwandelbar Geschick
Durch ein geheimes Gˆtterwort gebannt ist, Nahm sie dich weg, dich Sch¸tzerin des Hauses; Bewahrte dich in einer heil’gen Stille
Zum Segen deines Bruders und der Deinen. Da alle Rettung auf der weiten Erde
Verloren schien, gibst du uns alles wieder. Lafl deine Seele sich zum Frieden wenden, O Kˆnig! Hindre nicht, dafl sie die Weihe Des v‰terlichen Hauses nun vollbringe, Mich der ents¸hnten Halle wiedergebe,
Mir auf das Haupt die alte Krone dr¸cke! Vergilt den Segen, den sie dir gebracht, Und lafl des n‰hern Rechtes mich genieflen! Gewalt und List, der M‰nner hˆchster Ruhm, Wird durch die Wahrheit dieser hohen Seele Besch‰mt, und reines kindliches Vertrauen Zu einem edeln Manne wird belohnt.

Iphigenie.
Denk’ an dein Wort, und lafl durch diese Rede Aus einem g’raden, treuen Munde dich
Bewegen! Sieh uns an! Du hast nicht oft Zu solcher edeln That Gelegenheit.
Versagen kannst du’s nicht; gew‰hr’ es bald!

Thoas.
So geht!

Iphigenie.
Nicht so, mein Kˆnig! Ohne Segen, In Widerwillen scheid’ ich nicht von dir. Verbann’ uns nicht! Ein freundlich Gastrecht walte Von dir zu uns: so sind wir nicht auf ewig Getrennt und abgeschieden. Werth und theuer, Wie mir mein Vater war, so bist du’s mir, Und dieser Eindruck bleibt in meiner Seele. Bringt der Geringste deines Volkes je
Den Ton der Stimme mir in’s Ohr zur¸ck, Den ich an euch gewohnt zu hˆren bin,
Und seh’ ich an dem ƒrmsten eure Tracht: Empfangen will ich ihn wie einen Gott,
Ich will ihm selbst ein Lager zubereiten, Auf einen Stuhl ihn an das Feuer laden,
Und nur nach dir und deinem Schicksal fragen. O geben dir die Gˆtter deiner Thaten
Und deiner Milde wohlverdienten Lohn! Leb’ wohl! O wende dich zu uns und gib
Ein holdes Wort des Abschieds mir zur¸ck! Dann schwellt der Wind die Segel sanfter an, Und Thr‰nen flieflen lindernder vom Auge Des Scheidenden. Leb’ wohl! und reiche mir Zum Pfand der alten Freundschaft deine Rechte.

Thoas.
Lebt wohl!