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der grobe Materialismus des plumpen Handwerkers, der rauhe Ungest¸m des Seefahrers, die mechanische Unempfindlichkeit des Soldaten, und die einf‰ltige Schlauheit des Landvolks; daher endlich, schˆne Danae, die Schw‰rmerei, welche der weise Hippias deinem Callias vorwirft; diese Schw‰rmerei, die ich vielleicht in einem minder erhabnen Licht sehe, seitdem ich ihre wahre Quelle entdeckt zu haben glaube; aber die ich nichts desto weniger f¸r diejenige Gem¸tsbeschaffenheit halte, welche uns, unter den nˆtigen Einschr‰nkungen, gl¸cklicher als irgend eine andre machen kann.

Du begreifest leicht, schˆne Danae, dafl unter lauter Gegenst‰nden, welche ¸ber die gewˆhnliche Natur erhaben, und selbst schon idealisch sind, jenes phantastische Modell, dessen ich vorhin erw‰hnte, in einem so ungewˆhnlichen Grade abgezogen und ¸berirdisch werden muflte, dafl bei zunehmendem Alter alles was ich w¸rklich sah, weit unter demjenigen war, was sich meine Einbildungskraft zu sehen w¸nschte. In dieser Gem¸tsverfassung war ich, als einer von den Priestern zu Delphi aus Absichten, welche sich erst in der Folg’ entwickelten, es ¸bernahm, mich in den Geheimnissen der Orphischen Philosophie einzuweihen; der einzigen, die von unsern Priestern hochgeachtet wurde, weil sie die Vernunft selbst auf ihre Partei zu ziehen, und den Glauben von dessen unbeweglichem Ansehen das ihrige abhing, einen festern Grund als die Tradition und die Fabeln der Dichter, zu geben schien.

Nichts, was ich jemals empfunden habe, gleicht der Entz¸ckung, in die ich hingezogen wurde, als ich in den H‰nden dieses Egyptiers, der die geheime Gˆtterlehre seiner Nation zu uns gebracht hat, in das Reich der Geister eingef¸hrt, und zu einer Zeit, da die erhabensten Gem‰lde Homers und Pindars ihren Reiz f¸r mich verloren hatten, mitten in der materiellen Welt mir eine Neue, mit lauter unsterblichen Schˆnheiten erf¸llt, und von lauter Gˆttern bewohnt, erˆffnet wurde.

Das Alter, worin ich damals war, ist dasjenige, worin wir, aus dem langen Traum der Kindheit erwachend, uns selbst zuerst zu finden glauben, die Welt um uns her mit erstaunten Augen betrachten, und neugierig sind, unsre eigne Natur und den Schauplatz, worauf wir uns ohn unser Zutun versetzt sehen, kennen zu lernen. Wie willkommen ist uns in diesem Alter eine Philosophie, welche den Vorteil unsrer Wissensbegierde mit dieser Neigung zum Wunderbaren und dieser arbeitscheuen Fl¸chtigkeit, welche der Jugend eigen sind, vereiniget, welche alle unsre Fragen beantwortet, alle R‰tsel erkl‰rt, alle Aufgaben auflˆset; eine Philosophie, welche destomehr mit dem warmen und gef¸hlvollen Herzen der Jugend sympathisiert, weil sie alles Unempfindliche und Tote aus der Natur verbannet, und jeden Atom der Schˆpfung mit lebenden und geistigen Wesen bevˆlkert, jeden Punkt der Zeit mit verborgnen Begebenheiten und groflen Szenen befruchtet, welche f¸r k¸nftige Ewigkeiten heranreifen; ein System, welches die Schˆpfung so unermefllich macht, als ihr Urheber ist; welches uns in der anscheinenden Verwirrung der Natur eine majest‰tische Symmetrie, in der Regierung der moralischen Welt einen unver‰nderlichen Plan, in der unz‰hlbaren Menge von Klassen und Geschlechtern der Wesen einen einzigen Staat, in den verwickelten Bewegungen aller Dinge einen allgemeinen Richtpunkt, in unsrer Seele einen k¸nftigen Gott, in der Zerstˆrung unsers Kˆrpers die Wiedereinsetzung in unsre urspr¸ngliche Vollkommenheit, und in dem nachtvollen Abgrund der Zukunft helle Aussichten in grenzenlose Wonne zeigt? Ein solches System ist zu schˆn an sich selbst, zu schmeichelhaft f¸r unsern Stolz, unsern innersten W¸nschen und wesentlichsten Trieben zu angemessen, als dafl wir es in einem Alter, wo alles Grofle und R¸hrende so viel Macht ¸ber uns hat, nicht beim ersten Anblick wahr finden sollten. Vermutungen und W¸nsche werden hier zu desto st‰rkern Beweisen, da wir in dem bloflen Anschauen der Natur zuviel Majest‰t, zuviel Geheimnisreiches und Gˆttliches zu sehen glauben, um besorgen zu kˆnnen, dafl wir jemals zugrofl von ihr denken mˆchten. Und, soll ich dirs gestehen, schˆne Danae? Selbst itzt, da mich gl¸ckliche Erfahrungen das Schw‰rmende und Unzuverl‰ssige dieser Art von Philosophie gelehrt haben, f¸hle ich mit einer innerlichen Gewalt, die sich gegen jeden Zweifel empˆrt, dafl diese ¸bereinstimmung mit unsern edelsten Neigungen, welche ihr das Wort redet, der rechte Stempel der Wahrheit ist, und dafl selbst in diesen Tr‰umen, welche dem materialischen Menschen so ausschweifend scheinen, f¸r unsern Geist mehr W¸rklichkeit, mehr Unterhaltung und Aufmunterung, eine reichere Quelle von ruhiger Freude und ein festerer Grund der Selbstzufriedenheit liegt, als in allem was die Sinne uns angenehmes und Gutes anzubieten haben. Doch ich erinnere mich, dafl es die Geschichte meiner Seele, und nicht die Rechtfertigung meiner Denkensart ist, wozu ich mich anheischig gemacht habe. Es sei also genug, wenn ich sage, dafl die Lehrs‰tze des Orpheus und des Pythagoras, von den Gˆttern, von der Natur, von unsrer Seele, von der Tugend, und von dem was das hˆchste Gut des Menschen ist, sich meines Gem¸ts so g‰nzlich bemeisterten, dafl alle meine Begriffe nach diesem Urbilde gemodelt, alle meine Reizungen davon beseelt, und mein ganzes Betragen, so wie alle meine Entw¸rfe f¸r die Zukunft, mit dem Plan eines nach diesen Grunds‰tzen abgemessenen Lebens, dessen Beurteilung mich unaufhˆrlich in mir selbst besch‰ftigte, ¸bereinstimmig waren.”

ZWEITES KAPITEL

En animam & mentem cum qua Di nocte loquantur!

“Der Priester, der sich zu meinem Mentor aufgeworfen hatte, schien ¸ber den auflerordentlichen Geschmack, den ich an seinen erhabnen Unterweisungen fand, sehr vergn¸gt zu sein, und ermangelte nicht, meinen Enthusiasmus bis auf einen Grad zu erhˆhen, welcher mich, seiner Meinung nach, alles zu glauben und alles zu leiden f‰hig machen m¸flte. Ich war zu jung und zu unschuldig, um das kleinste Mifltrauen in seine Bem¸hungen zu setzen, bei welchen die Aufrichtigkeit meines eignen Herzens die edelsten Absichten voraussetzte. Er hatte die Vorsicht gebraucht, es so einzuleiten, dafl ich endlich aus eigner Bewegung auf die Frage geraten muflte, ob es nicht mˆglich sei, schon in diesem Leben mit den hˆhern Geistern in Gemeinschaft zu kommen? Dieser Gedanke besch‰ftigte mich lange bei mir selbst; ich fand mˆglich, was ich mit der grˆflesten Lebhaftigkeit w¸nschte. Die Geschichte der ersten Zeiten schien meine Hoffnung zu best‰tigen. Die Gˆtter hatten sich den Menschen bald in Tr‰umen, bald in Erscheinungen entdeckt; verschiedene waren so gar gl¸cklich genug gewesen, G¸nstlinge der Gˆtter zu sein. Hier kam mir Ganymed, Endymion und so viele andre zu statten, welche von Gottheiten geliebt worden waren. Ich gab demjenigen, was die Dichter davon erz‰hlen, eine Auslegung, welche den erhabenen Begriffen gem‰fl war, die ich von den hˆhern Wesen gefasset hatte; die Schˆnheit und Reinigkeit der Seele, die Abgezogenheit von den Gegenst‰nden der Sinne, die Liebe zu den unsterblichen und ewigen Dingen, schien mir dasjenige zu sein, was diese Personen den Gˆttern angenehm, und zu ihrem Umgang geschickt gemacht hatte. Ich entdeckte endlich dem Theogiton (so hiefl der Priester) meine lange geheim gehaltene Gedanken. Er erkl‰rte sich auf eine Art dar¸ber, welche meine Neubegierde rege machte, ohne sie zu befriedigen; er liefl mich merken, dafl dieses Geheimnisse seien, welche er Bedenken trage, meiner Jugend anzuvertrauen: Doch sagte er mir, dafl die Mˆglichkeit der Sache keinem Zweifel unterworfen sei, und bezauberte mich ganz mit dem Gem‰lde, so er mir von der Gl¸ckseligkeit derjenigen machte, welche von den Gˆttern w¸rdig geachtet w¸rden, zu ihrem geheimen Umgang zugelassen zu werden. Die geheimnisvolle Miene, die er annahm, so bald ich nach den Mitteln hiezu zu gelangen fragte, bewog mich, den Vorsatz zu fassen, zu warten, bis er selbst f¸r gut finden w¸rde, sich deutlicher zu entdecken. Er tat es nicht; aber er machte so viele Gelegenheiten, meine erregte Neugierigkeit zu entflammen, dafl ich mich nicht lange enthalten konnte, neue Fragen zu tun. Endlich f¸hrte er mich einsmals tief im geheiligten Hain des Apollo in eine Grotte, welche ein uralter Glaube der Bewohner des Landes von den Nymphen bewohnt glaubte, deren Bilder, aus Zypressenholz geschnitzt, in Blinden von Muschelwerk das Innerste der Hˆhle zierten.

Hier liefl er mich auf eine bemooste Bank niedersetzen, und fing nach einer viel versprechenden Vorrede an, mir, wie er sagte, das geheime Heiligtum der gˆttlichen Philosophie des Hermes und Orpheus aufzuschlieflen. Unz‰hliche religiˆse Waschungen, und eine Menge von Gebeten, R‰ucherungen und andre geheimen Anstalten muflten vorhergehen, einen noch in irdische Glieder gefesselten Geist zum Anschauen der himmlischen Naturen vorzubereiten. Und auch alsdenn w¸rde unser sterblicher Teil den Glanz der gˆttlichen Vollkommenheit nicht ertragen, sondern (wie die Dichter unter der Geschichte der Semele zu erkennen gegeben) g‰nzlich davon verzehrt und vernichtet werden, wenn sie sich nicht mit einer Art von kˆrperlichem Schleier umh¸llen, und durch diese Herablassung uns nach und nach f‰hig machen w¸rden, sie endlich selbst, entkˆrpert und in ihrer wesentlichen Gestalt anzuschauen. Ich war einf‰ltig genug alle diese vorgegebene Geheimnisse f¸r echt zu halten; ich hˆrte dem ernsten Theogiton mit einem heiligen Schauer zu, und machte mir seine Unterweisungen so wohl zu Nutze, dafl ich Tag und Nacht an nichts anders dachte als an die auflerordentliche Dinge, wovon ich in kurzem die Erfahrung bekommen w¸rde.

Du kannst dir einbilden, Danae, ob meine Phantasie in dieser Zeit m¸flig war. Ich w¸rde nicht fertig werden, wenn ich alles beschreiben wollte, was damals in ihr vorging, und mit welch einer Zauberei sie mich in meinen Tr‰umen bald in die gl¸cklichen Inseln, welche Pindar so pr‰chtig schildert, bald zum Gastmahl der Gˆtter, bald in die Elysischen T‰ler, der Wohnung seliger Schatten, versetzte.

So seltsam es klingt, so gewifl ist es doch, dafl die Kr‰fte der Einbildung dasjenige weit ¸bersteigen, was die Natur unsern Sinnen darstellt: Sie hat etwas gl‰nzenders als Sonnenglanz, etwas lieblichers als die s¸flesten D¸fte des Fr¸hlings zu ihren Diensten, unsre innern Sinnen in Entz¸ckung zu setzen; sie hat neue Gestalten, hˆhere Farben, vollkommnere Schˆnheiten, schnellere Veranstaltungen, eine neue Verkn¸pfung der Ursachen und W¸rkungen, eine andere Zeit–kurz, sie erschafft eine neue Natur, und versetzt uns in der Tat in fremde Welten, welche nach ganz andern Gesetzen als die unsrige regiert werden. In unsrer ersten Jugend sind wir noch zu unbekannt mit den Triebfedern unsers eignen Wesens, um deutlich einzusehen, wie sehr diese scheinbare Magie der Einbildungskraft in der Tat nat¸rlich ist. Wenigstens war ich damals leichtgl‰ubig genug, Tr‰ume von dieser Art, ¸bernat¸rlichen Einfl¸ssen beizumessen, und sie f¸r Vorboten der Wunderdinge zu halten, welche ich bald auch wachend zu erfahren hoffte.

Einsmals, als ich nach der Vorschrift des Theogitons acht Tage lang mit geheimen Zeremonien und Weihungen, und in einer unabl‰ssigen Anstrengung mein Gem¸t von allen ‰uflerlichen Gegenst‰nden abzuziehen, zugebracht hatte, und mich nunmehr berechtiget hielt, etwas mehr zu erwarten, als was mir bisher begegnet war, begab ich mich in sp‰ter Nacht, da alles schlief, in die Grotte der Nymphen, und nachdem ich eine Menge von schw¸lstigen Liedern und Anrufungsformeln hergesagt hatte, legte ich mich, mit dem Angesicht gegen den vollen Mond gekehrt, welcher eben damals in die Grotte schien, auf die Ruhebank zur¸ck, und ¸berliefl mich der Vorstellung, wie mir sein w¸rde, wenn Luna aus ihrer Silbersph‰re herabsteigen, und mich zu ihrem Endymion machen w¸rde. Mitten in diesen ausschweifenden Vorstellungen, unter denen ich allm‰hlich zu entschlummern anfing, weckte mich plˆtzlich ein liebliches Getˆn, welches in einiger Entfernung ¸ber mir zu schweben schien, und wie ich bald erkannte, aus derjenigen Art von Saitenspiel erklang, welche man dem Apollo zuzueignen pflegt. Einem nat¸rlich gestimmten Menschen w¸rde gedeucht haben, er hˆre ein gutes St¸ck von einer geschickten Hand ausgef¸hrt; und so h‰tte er sich nicht betr¸gen kˆnnen. Aber in der Verfassung, worin ich damals war, h‰tte ich vielleicht das Gequ‰ke eines Chors von Frˆschen f¸r den Gesang der Musen gehalten. Die Musik, die ich hˆrte, r¸hrte, fesselte, entz¸ckte mich; sie ¸bertraf, meiner eingebildeten Empfindung nach (denn die Phantasie hat auch ihre Empfindungen,) alles was ich jemals gehˆrt hatte; nur Apollo, der Vater der Harmonie, dessen Laute die Sph‰ren ihre Gˆtter-vergn¸gende Harmonien gelehrt hatte, konnte so ¸berirdische Tˆne hervorbringen. Meine Seele schien davon wie aus ihrem Leibe emporgezogen zu werden, und, lauter Ohr, ¸ber den Wolken zu schweben; als diese Musik plˆtzlich aufhˆrte, und mich in einer Verwirrung von Gedanken und Gem¸tsregungen zur¸ckliefl, die mir diese ganze Nacht kein Auge zu schlieflen, gestattete.

Des folgenden Tages erz‰hlte ich dem Theogiton, was mir begegnet war. Er schien nichts sehr besonders daraus zu machen; doch gab er, nachdem er mich um alle Umst‰nde befragt hatte, zu, dafl es Apollo, oder eine von den Musen gewesen sein kˆnne. Du wirst l‰cheln, Danae, wenn ich dir gestehe, dafl ich, so jung ich war, und ohne mir selbst recht bewuflt zu sein, warum? doch lieber gesehen h‰tte, wenn es eine Muse gewesen w‰re. Ich unterliefl nun keine Nacht, mich in der Grotte einzufinden, um die vermeinte Muse wieder zu hˆren: Aber meine Erwartung betrog mich; es war Apollo selbst. Nach etlichen N‰chten, worin ich mich mit der stummen Gegenwart der Nymphen von Zypressenholz hatte begn¸gen m¸ssen, k¸ndigte mir ein heller Schein, der auf einmal in die Grotte fiel, und durch die allgemeine Dunkelheit und meinen Wahnwitz zu einem ¸berirdischen Licht erhoben wurde, irgend eine auflerordentliche Begebenheit an. Urteile, wie best¸rzt ich war, als ich mitten in der Nacht, den Gott des Tages, auf einer hellgl‰nzenden Wolke sitzend, vor mir sah, der sich mir zu lieb den Armen der schˆnen Thetis entrissen hatte. Goldgelbe Locken flossen um seine weiflen Schultern; eine Krone von Strahlen schm¸ckte seine Scheitel; das silberne Gewand, das ihn umflofl, funkelte von tausend Edelsteinen; und eine goldne Leier lag in seinem linken Arm. Meine Einbildung tat das ¸brige hinzu, was zu Vollendung einer idealischen Schˆnheit nˆtig war. Allein Best¸rzung und Ehrfurcht erlaubte mir nicht, dem Gott genauer ins Gesicht zu sehen; ich glaubte geblendet zu sein, und den Glanz von Augen, welche die ganze Welt erleuchteten, nicht ertragen zu kˆnnen. Er redete mich an; er bezeugte mir sein Wohlgefallen an meinem Dienst, und an der feurigen Begierde, womit ich, mit Verachtung der irdischen Dinge mich den himmlischen widmete. Er munterte mich auf, in diesem Wege fortzugehen, und mich den Einfl¸ssen der Unsterblichen leidend zu ¸berlassen; mit der Versicherung, dafl ich bestimmt sei, die Anzahl der Gl¸cklichen zu vermehren, welche er seiner besondern Gunst gew¸rdiget habe. Er verschwand, indem er diese Worte sagte, so plˆtzlich, dafl ich nichts dabei beobachten konnte; und so voreingenommen als mein Gem¸t war, h‰tte dieser Apollo seine Rolle viel ungeschickter spielen kˆnnen, ohne dafl mir ein Zweifel gegen seine Gottheit aufgestiegen w‰re. Theogiton, dem ich von dieser Erscheinung Nachricht gab, w¸nschte mir Gl¸ck dazu, und sagte mir von den alten Helden unsrer Nation, welche einst Lieblinge der Gˆtter gewesen, und nun als Halbgˆtter selbst Alt‰re und Priester h‰tten, so viel herrliche Sachen vor, als er nˆtig erachten mochte, meine Betˆrung vollkommen zu machen. Am Ende vergafl er nicht, mir Anweisung zu geben, wie ich mich bei einer zweiten Erscheinung gegen den Gott zu verhalten h‰tte. Insonderheit ermahnte er mich, mein Urteil ¸ber alles zur¸ckzuhalten, mich durch nichts befremden zu lassen, und der Vorschrift unsrer Philosophie immer eingedenk zu bleiben, welche eine g‰nzliche Unt‰tigkeit von uns fodert, wenn die Gˆtter auf uns w¸rken sollen. Man muflte so unerfahren sein, als ich war, um keine Schlange unter diesen Blumen zu merken. Nichts als die Entwicklung dieser heiligen Mummerei konnte mir die Augen ˆffnen. Ich konnte unmˆglich aus mir selbst auf den Argwohn geraten, dafl die Zuneigung einer Gottheit eigenn¸tzig sein kˆnne. Ich hatte vielmehr gehofft, die grˆflesten Vorteile f¸r meine Wissens-Begierde von ihr zu ziehen, und mit mehr als menschlichen Vorz¸gen begabt zu werden. Die Erkl‰rungen des Apollo befremdeten mich endlich, und seine Handlungen noch mehr; zuletzt entdeckte ich, was du schon lange vorher gesehen haben muflt, dafl der vermeinte Gott kein andrer als Theogiton selber war; welcher, sobald er sein Spiel entdeckt sah, auf einmal die Sprache ‰nderte, und mich bereden wollte, dafl er diese Komˆdie nur zu dem Ende angestellt habe, um mich von der Eitelkeit der Theosophie, in die er mich so verliebt gesehen h‰tte, desto besser ¸berzeugen zu kˆnnen. Er zog die Folge daraus: Dafl alles, was man von den Gˆttern sagte, Erfindungen schlauer Kˆpfe w‰ren, womit sie Weiber und leichtgl‰ubige Knaben in ihr Netz zu ziehen suchten; Kurz, er wandte alles an, was eine unsittliche Leidenschaft einem schamlosen Ver‰chter der Gˆtter eingeben kann, um die M¸he einer so wohl ausgesonnenen und mit so vielen Maschinen aufgest¸tzten Verf¸hrung nicht umsonst gehabt zu haben. Ich verwies ihm seine Bosheit mit einem Zorne, der mich stark genug machte, mich von ihm loszureiflen. Des folgenden Tags hatte er die Unversch‰mtheit, die priesterlichen Verrichtungen mit eben der heuchlerischen Andacht fortzusetzen, womit er mich und jeden andern bisher hintergangen hatte. Er liefl nicht die geringste Ver‰nderung in seinem Betragen gegen mich merken, und schien sich des Vergangenen eben so wenig zu erinnern, als ob er den ganzen Lethe ausgetrunken h‰tte. Diese Auff¸hrung vermehrte meine Unruhe sehr; ich konnte noch nicht begreifen, dafl es Leute geben kˆnne, welche, mitten in den Ausschweifungen des Lasters, Ruhe und Heiterkeit, die nat¸rlichen Gef‰hrten der Unschuld, beizubehalten wissen. Allein in weniger Zeit darauf befreite mich die Unvorsichtigkeit dieses Betr¸gers von den Besorgnissen, worin ich seit der Geschichte in der Grotte geschwebet hatte. Theogiton verschwand aus Delphi, ohne dafl man die eigentliche Ursache davon erfuhr. Aus dem, was man sich in die Ohren murmelte, erriet ich, dafl Apollo endlich ¸berdr¸ssig geworden sein mˆchte, seine Person von einem andern spielen zu lassen. Einer von unsern Knaben, der ein Verwandter des Ober-Priesters war, hatte (wie man sagte) den Anlafl dazu gegeben.

Diese Begebenheiten f¸hrten mich nat¸rlicher Weise auf viele neue Betrachtungen; aber meine Neigung zum Wunderbaren und meine Lieblings-Ideen verloren nichts dabei; sie gewannen vielmehr, indem ich sie nun in mich selbst verschlofl, und die Unsterblichen allein zu Zeugen desjenigen machte, was in meiner Seele vorging. Ich fuhr fort, die Verbesserung derselben nach den Grunds‰tzen der Orphischen Philosophie mein vornehmstes Gesch‰fte sein zu lassen. Ich fing nun an zu glauben, dafl keine andre als eine idealische Gemeinschaft zwischen den Hˆhern Wesen und den Menschen mˆglich sei; dafl nichts als die Reinigkeit und Schˆnheit unsrer Seele vermˆgend sei, uns zu einem Gegenstande des Wohlgefallens jenes Unnennbaren, Allgemeinen, Obersten Geistes zu machen, von welchem alle ¸brige, wie die Planeten von der Sonne, ihr Licht und die ganze Natur ihre Schˆnheit und unwandelbare Ordnung erhalten; und dafl endlich in der ¸bereinstimmung aller unsrer Kr‰fte, Gedanken und geheimsten Neigungen mit den groflen Absichten und den allgemeinen Gesetzen dieses Beherrschers der sichtbaren und unsichtbaren Welt, das wahre Geheimnis liege, zu derjenigen Vereinigung mit demselben zu gelangen, welche ich f¸r die nat¸rliche Bestimmung und das letzte Ziel aller W¸nsche eines unsterblichen Wesens ansah. Beides, jene geistige Schˆnheit der Seele und diese erhabene Richtung ihrer W¸rksamkeit nach den Absichten des Gesetzgebers der Wesen, glaubte ich am sichersten durch die Betrachtung der Natur zu erhalten; welche ich mir als einen Spiegel vorstellte, aus welchem das Wesentliche, Unverg‰ngliche und Gˆttliche in unsern Geist zur¸ckstrahle, und ihn nach und nach eben so durchdringe und erf¸lle, wie die Sonne einen angestrahlten Wasser-Tropfen. Ich ¸berredete mich, dafl die unverr¸ckte Beschauung der Weisheit und G¸te, welche so wohl aus der besondern Natur eines jeden Teils der Schˆpfung, als aus dem Plan und der allgemeinen ˆkonomie des Ganzen hervorleuchte, das unfehlbare Mittel sei, selbst weise und gut zu werden. Ich brachte alle diese Grunds‰tze in Aus¸bung. Jeder neue Gedanke, der sich in mir entwickelte, wurde zu einer Empfindung meines Herzens; und so lebte ich in einem stillen und lichtvollen Zustand des Gem¸ts, dessen ich mich niemals anders als mit wehm¸tigem Vergn¸gen erinnern werde, etliche gl¸ckliche Jahre hin; unwissend (und gl¸cklich durch diese Unwissenheit) dafl dieser Zustand nicht dauern kˆnne; weil die Leidenschaften des reifenden Alters, und (wenn auch diese nicht w‰ren) die unvermeidliche Verwicklung in dem Wechsel der menschlichen Dinge jene Fortdauer von innerlicher Heiterkeit und Ruhe nicht gestatten, welche nur ein Anteil entkˆrperter Wesen sein kann.”

DRITTES KAPITEL

Die Liebe in verschiedenen Gestalten

“Inzwischen hatte ich das achtzehnte Jahr erreicht, und fing nun an, mitten unter den angenehmen Empfindungen, von denen meine Denkungs-Art und meine Besch‰ftigungen unerschˆpfliche Quellen zu sein schienen, ein Leeres in mir zu f¸hlen, welches sich durch keine Ideen ausf¸llen lassen wollte. Ich sah die manchfaltigen Szenen der Natur wie mit neuen Augen an; ihre Schˆnheiten hatten f¸r mich etwas Herz-r¸hrendes, welches ich sonst nie auf diese Art empfunden hatte. Der Gesang der Vˆgel im Haine schien mir was zu sagen, das er mir nie gesagt hatte, ohne dafl ich wuflte, was es war; und die neu belaubten W‰lder schienen mich einzuladen, in ihren Schatten einer woll¸stigen Schwermut nachzuh‰ngen, von welcher ich mitten in den erhabensten Betrachtungen wider meinen Willen ¸berw‰ltiget wurde. Nach und nach verfiel ich in eine weichliche Unt‰tigkeit: Mich deuchte, ich sei bisher nur in der Einbildung gl¸cklich gewesen; und mein Herz sehnete sich nach einem Gegenstand, in welchem ich jene idealische Vollkommenheiten w¸rklich genieflen mˆchte, an denen ich mich bisher nur wie an einem getr‰umten Gastmahle geweidet hatte. Damals zuerst stellten sich mir die Reizungen der Freundschaft in einer vorher nie empfundenen Lebhaftigkeit dar: Ein Freund (bildete ich mir ein) ein Freund w¸rde diese geheime Sehnsucht meines Herzens befriedigen. Meine Phantasie malte sich einen Pylades aus, und mein verlangendes Herz bekr‰nzte dieses schˆne Bild mit allem, was mir das Liebensw¸rdigste schien, selbst mit jenen ‰uflerlichen Annehmlichkeiten, welche in meinem System den nat¸rlichen Schmuck der Tugend ausmachten. Ich suchte diesen Freund unter der bl¸henden Jugend, welche mich umgab. Mehr als einmal betrog mich mein Herz, ihn gefunden zu haben; aber eine kurze Erfahrung machte mich meines Irrtums bald gewahr werden. Unter einer so groflen Anzahl von auserlesenen J¸nglingen, welche die Liverei des Gottes zu Delphi trugen, war nicht ein einziger, den die Natur so vollkommen mit mir zusammen gestimmt hatte, als die Spitzfindigkeit meiner Begriffe es erfoderte.

Um diese Zeit geschah es, dafl ich das Ungl¸ck hatte, der Ober-Priesterin eine Neigung einzuflˆflen, welche mit ihrem geheiligten Stande und mit ihrem Alter einen gleich starken Absatz machte; sie hatte mich schon seit geraumer Zeit mit einer vorz¸glichen G¸tigkeit angesehen, welche ich, so lang ich konnte, einer m¸tterlichen Gesinnung beimafl, und mit aller der Ehrerbietung erwiderte, die ich der Vertrauten des Delphischen Gottes schuldig war. Stelle dir vor, schˆne Danae, was f¸r ein Modell zu einer Bild-S‰ule des Erstaunens ich abgegeben h‰tte, als sich eine so ehrw¸rdige Person herabliefl, mir zu entdecken, dafl alle Vertraulichkeit, die ich zwischen ihr und dem Apollo voraussetzte, nicht zureiche, sie ¸ber die Schwachheiten der gemeinsten Erden-Tˆchter hinwegzusetzen. Die gute Dame war bereits in demjenigen Alter, worin es l‰cherlich w‰re, das Herz eines Mannes von einiger Erfahrung einer jungen Nebenbuhlerin streitig machen zu wollen. Allein einem Neuling, wof¸r sie mich mit gutem Grund ansah, die ersten Unterweisungen zu geben, dazu konnte sie sich ohne ¸bertriebene Eitelkeit f¸r reizend genug halten. Sie war zu den Zeiten des Heiligen Kriegs in der Bl¸te ihrer Schˆnheit gewesen; hatte sich aber, wie die meisten ihres Standes, so gut erhalten, dafl sie noch immer Hoffnung haben konnte, in einer Versammlung herbstlicher Schˆnheiten vorz¸glich bemerkt zu werden. Setze zu diesen ehrw¸rdigen ¸berbleibseln einer vormals ber¸hmten Schˆnheit eine Figur, wie man die blonde Ceres zu bilden pflegt, grofle schwarze Augen, unter deren affektiertem Ernst eine woll¸stige Glut hervorglimmte, und zu allem diesem eine ungemeine Sorgfalt f¸r ihre Person, und die schlaue Kunst, die Vorteile ihrer Reizungen mit der strengen Sittsamkeit ihrer priesterlichen Kleidung zu verbinden: so kannst du dir eine genugsame Vorstellung von dieser Pythia machen, um den Grad der Gefahr abnehmen zu kˆnnen, worin sich die Einfalt meiner Jugend bei ihren Nachstellungen befand.

Es ist leicht zu erachten, wie viel es sie M¸he kosten muflte, die ersten Schwierigkeiten zu ¸berwinden, welche ein mehr Ehrfurcht als Liebe einflˆflendes Frauenzimmer, in den hartn‰ckigen Vorurteilen eines achtzehnj‰hrigen J¸nglings findet. Ihr Stand erlaubte ihr nicht, sich deutlich zu erkl‰ren; und meine Blˆdigkeit verstand die Sprache nicht, deren sie sich zu bedienen genˆtigt war. Zwar braucht man sonst zu dieser Sprache keinen andern Lehrmeister als sein Herz; allein ungl¸cklicher Weise sagte mir mein Herz nichts. Es bedurfte der lange ge¸bten Geduld einer bejahrten Priesterin, um nicht tausendmal das Vorhaben aufzugeben, einem Menschen, der aus lauter Ideen zusammengesetzt war, ihre Absichten begreiflich zu machen. Und dennoch fand sie sich endlich genˆtigt, sich des einzigen Kunstgriffs zu bedienen, von dem man in solchen F‰llen eine gewisse W¸rkung erwarten kann; sie hatte noch Reizungen, welche die ungewohnten Augen eines Neulings blenden konnten. Die Verwirrung, worein sie mich durch den ersten Versuch von dieser Art gesetzt sah, schien ihr von guter Vorbedeutung zu sein; und vielleicht h‰tte sie sich weniger in ihrer Erwartung betrogen, wenn nicht ein Umstand, von dem ihr nichts bekannt war, meinem Herzen eine mehr als gewˆhnliche St‰rke gegeben h‰tte.

Unsre Tugend, oder diejenigen W¸rkungen, welche das Ansehen haben, aus einer so edeln Quelle zu flieflen, haben insgemein geheime Triebfedern, die uns, wenn sie gesehen w¸rden, wo nicht alles, doch einen groflen Teil unsers Verdienstes dabei entziehen w¸rden. Wie leicht ist es, der Versuchung einer Leidenschaft zu widerstehen, wenn ihr von einer st‰rkern die Waage gehalten wird?

Kurz zuvor, eh die schˆne Pythia ihren physikalischen Versuch machte, war das Fest der Diana eingefallen, welches zu Delphi mit aller der Feierlichkeit begangen wird, die man der Schwester des Apollo schuldig zu sein vermeint. Alle Jungfrauen ¸ber vierzehn Jahre erschienen dabei in schneeweiflem Gewand, mit aufgelˆsten fliegenden Haaren, den Kopf und die Arme mit Blumen-Kr‰nzen umwunden, und sangen Hymnen zum Preis der jungfr‰ulichen Gˆttin. Auch alte halb verloschne Augen heiterten sich beim Anblick einer so zahlreichen Menge junger Schˆnen auf, deren geringster Reiz die frischeste Blum der Jugend war. Urteile, schˆne Danae, ob derjenige, den der bunte Schimmer eines bl¸henden Blumen-St¸cks schon in eine Art von Entz¸ckung setzte, bei einem solchen Auftritt unempfindlich bleiben konnte? Meine Blicke irrten in einer z‰rtlichen Verwirrung unter diesen anmutsvollen Geschˆpfen herum; bis sie sich plˆtzlich auf einer einzigen sammelten, deren erster Anblick meinem Herzen keinen Wunsch ¸brig liefl, etwas anders zu sehen. Vielleicht w¸rde mancher sie unter so vielen Schˆnen kaum besonders wahrgenommen haben; denn der schˆnste Wuchs, die regelm‰fligsten Z¸ge, langes Haar, dessen wallende Locken bis zu den Knien herunterflossen, und eine Farbe, welche Lilien und Rosen, wenn sie ihre eigene Schˆnheit f¸hlen kˆnnten, besch‰mt h‰tte, alle diese Reizungen waren ihr mit ihren Gespielen gemein; viele ¸bertrafen sie noch in einem und dem andern St¸cke der Schˆnheit, und wenn ein Maler unter der ganzen Schar h‰tte entscheiden sollen, welche die Schˆnste sei, so w¸rde sie vielleicht ¸bergangen worden sein; allein mein Herz urteilte nicht nach den Regeln der Kunst. Ich empfand, oder glaubte zu empfinden, (und dieses ist in Absicht der W¸rkung allemal eins) dafl nichts liebensw¸rdigers als dieses junge M‰dchen sein kˆnne, ohne dafl ich daran gedachte, sie mit den ¸brigen zu vergleichen; sie lˆschte alles andre aus meinen Augen aus. So (dacht ich) m¸flte die Unschuld aussehen, wenn sie, um sichtbar zu werden, die Gestalt einer Grazie entlehnte; so r¸hrend w¸rden ihre Gesichts-Z¸ge sein; so still-heiter w¸rden ihre Augen; so holdselig ihre Wangen l‰cheln; so w¸rden ihre Blicke, so ihr Gang, so jede ihrer Bewegungen sein. Dieser Augenblick brachte in meiner Seele eine Ver‰nderung hervor, welche mir, da ich in der Folge f‰hig wurde, ¸ber meinen Zustand zu denken, dem ¸bergang in eine neue und vollkommnere Art des Daseins gleich zu sein schien. Aber damals war ich zu stark ger¸hrt, zu sehr von Empfindungen verschlungen, um mir meiner selbst recht bewuflt zu sein. Meine Entz¸ckung ging so weit, dafl ich nichts mehr von dem Pomp des Festes bemerkte; und erst, nachdem alles g‰nzlich aus meinen Augen verschwunden war, ward ich, wie durch einen plˆtzlichen Schlag, wieder zu mir selbst gebracht. Itzt hatte ich M¸he, mich zu ¸berzeugen, dafl ich nicht aus einem von den Tr‰umen erwacht sei, worin meine Phantasie, in ¸berirdische Sph‰ren verz¸ckt, mir zuweilen ‰hnliche Gestalten vorgestellt hatte. Der Schmerz, eines so s¸flen Anblicks beraubt zu sein, konnte das vollkommene Vergn¸gen nicht schw‰chen, womit das Innerste meines Wesens erf¸llt war. Selbigen ganzen Abend, und den grˆflesten Teil der Nacht, hatten alle Kr‰fte meiner Seele keine andere Besch‰ftigung, als sich dieses geliebte Bild bis auf die kleinsten Z¸ge mit allen diesen namenlosen Reizen,–welche vielleicht ich allein an dem Urbilde bemerkt hatte,–und mit einer Lebhaftigkeit vorzumalen, die ihm immer neue Schˆnheiten lehnte; mein Herz schm¸ckte es mit allem, was die Natur Anmutiges hat, mit allen Vorz¸gen des Geistes, mit jeder sittlichen Schˆnheit, mit allem was nach meiner Denkungs-Art das Vollkommenste und Beste war, aus–was f¸r ein Gem‰lde, wozu die Liebe die Farben gibt!–Und doch glaubte ich immer, zu wenig zu tun; und bearbeitete mich in mir selbst, noch etwas schˆners als das Schˆnste zu finden, um die Idee, die ich mir von meiner Unbekannten machte, g‰nzlich zu vollenden, und gleichsam in das Urbild selbst zu verwandeln.–Diese liebensw¸rdige Person hatte mich zu eben der Zeit, da ich sie erblickte, wahrgenommen; und es war (wie sie mir in der Folge entdeckte) etwas mit den Regungen meines Herzens ¸bereinstimmendes in dem ihrigen vorgegangen. Ich erinnerte mich, (denn wie h‰tte ich die kleinste Bewegung, die sie gemacht hatte, vergessen kˆnnen?) dafl unsre Blicke sich mehr als ein mal begegnet waren, und dafl sie sogleich mit einer Scham-Rˆte, welche ihr ganzes liebliches Gesicht mit Rosen ¸berzog, die Augen niedergeschlagen hatte. Ich war zu unerfahren, und in der Tat auch zu bescheiden, aus diesem Umstand etwas besonderes zu meinem Vorteil zu schlieflen; aber doch erinnerte ich mich desselben mit einem so innigen Vergn¸gen, als ob es mir geahnet h‰tte, wie gl¸cklich mich die Folge davon machen w¸rde. Ich hatte die Eitelkeit nicht, welche uns zu schmeicheln pflegt, dafl wir liebensw¸rdig seien; ich dachte an nichts weniger, als auf Mittel, wie ich mich lieben machen wollte. Aber die Schˆnheit der Seele, die ich in ihrem Gesichte ausgedr¸ckt gesehen hatte; diese sanfte Heiterkeit, die aus dem nat¸rlichen Ernst ihrer Z¸ge hervorl‰chelte, hauchten mir Hoffnung ein, dafl ich geliebet werden w¸rde.–Und welch einen Himmel von Wonne erˆffnete diese Hoffnung vor mir! Was f¸r Aussichten! Welches Entz¸cken!–Wenn ich mir vorstellte, dafl mein ganzes Leben, dafl selbst die Ewigkeiten, in deren grenzenlosen Tiefen, der Gl¸ckliche die Dauer seiner Wonne so gerne sich verlieren l‰flt, in ihrem Anschauen und an ihrer Seite dahinflieflen w¸rden!

So lebhafte Hoffnungen setzten voraus, dafl ich sie wieder finden w¸rde; und dieser Wunsch brachte die Begierde mit sich, zu wissen wer sie sei. Aber wen konnt’ ich fragen? Ich hatte keinen Freund, dem ich mich entdecken durfte; von einem jeden andern glaubte ich, dafl er bei einer solchen Frage mein ganzes Geheimnis in meinen Augen lesen w¸rde; und die Liebe, die ein sehr guter Ratgeber ist, hatte mich schon einsehen gemacht, wie viel daran gelegen sei, dafl der Pythia nicht das Geringste zu Ohren komme, was ihr den Zustand meines Herzens h‰tte verraten, oder sie zu einer mifltrauischen Beobachtung meines Betragens veranlassen kˆnnen. Ich verschlofl also mein Verlangen in mich selbst, und erwartete mit Ungeduld, bis irgend ein meiner Liebe g¸nstiger Schutz-Geist mir zu dieser gew¸nschten Entdeckung verhelfen w¸rde. Nach einigen Tagen f¸gte es sich, dafl ich meiner geliebten Unbekannten in einem der Vorhˆfe des Tempels begegnete. Die Furcht, von jemand beobachtet zu werden, hielt mich in eben dem Augenblick zur¸ck, da ich auf sie zueilen und meine Entz¸ckung ¸ber diesen unverhofften Anblick in Geb‰rden, und vielleicht in Ausrufungen, ausbrechen lassen wollte. Sie blieb, indem sie mich erblickte, einige Augenblicke stehen, und sah mich an. Ich glaubte ein plˆtzliches Vergn¸gen in ihrem schˆnen Gesicht aufgehen zu sehen; sie errˆtete, schlug die Augen wieder nieder, und eilte davon. Ich durft’ es nicht wagen, ihr zu folgen; aber meine Augen folgten ihr, so lang es mˆglich war; und ich sahe, dafl sie zu einer T¸r einging, welche in die Wohnung der Priesterin f¸hrte. Ich begab mich in den Hain, um meinen Gedanken ¸ber diese angenehme Erscheinung ungestˆrter nachzuh‰ngen. Der letzte Umstand, den ich bemerkt hatte, und ihre Kleidung, brachte mich auf die Vermutung, dafl sie vielleicht eine von den Aufw‰rterinnen der Pythia sei, deren diese Dame eine grofle Anzahl hatte, die aber (aufler bei besondern Feierlichkeiten) selten sichtbar wurden. Diese Entdeckung besch‰ftigte mich noch nach der ganzen Wichtigkeit, die sie f¸r mich hatte, als ich, in der Tat zur ungelegensten Zeit von der Welt, zu der z‰rtlichen Priesterin gerufen wurde.–Die Begierde und die Hoffnung, meine Geliebte bei dieser Gelegenheit wieder zu sehen, machte mir anf‰nglich diese Einladung sehr willkommen; aber meine Freude wurde bald von dem Gedanken vertrieben, wie schwer es mir sein w¸rde, wenn meine Unbekannte zugegen w‰re, meine Empfindungen f¸r sie den Augen einer Nebenbuhlerin zu verbergen. Die K¸nste der Verstellung waren mir zu unbekannt, und meine Gem¸ts-Regungen bildeten sich (auch wider meinen Willen) zu schnell und zu deutlich in meinem ‰uflerlichen ab, als dafl ich mich bei allen meinen Bestrebungen, vorsichtig zu sein, sicher genug halten konnte. Diese Gedanken gaben mir (wie ich glaube) ein ziemlich verwirrtes Aussehen, als ich vor die Pythia gef¸hrt wurde. Allein, da ich niemand, als eine kleine Sklavin von neun oder zehen Jahren, bei ihr fand, erholte ich mich bald wieder; und sie selbst schien mit ihren eigenen Bewegungen zu sehr besch‰ftigt, um auf die meinige genau Acht zu geben,–oder (welches wenigstens eben so wahrscheinlich ist) sie legte die Ver‰nderung, die sie in meinem Gesichte wahrnehmen muflte, zu Gunsten ihrer Reizungen aus, von denen sie sich dieses mal desto mehr W¸rkung versprechen konnte, je mehr sie vermutlich darauf studiert hatte, sie in dieses reizende Schatten-Licht zu setzen, welches die Einbildungs-Kraft so lebhaft zum Vorteil der Sinnen ins Spiel zu ziehen pflegt. Sie safl oder lag (denn ihre Stellung war ein Mittelding von beiden) auf einem mit Silber und Perlen reich gestickten Ruhe-Bette; ihr ganzer Putz hatte dieses Zierlich-Nachl‰ssige, hinter welches die Kunst sich auf eine schlaue Art versteckt, wenn sie nicht daf¸r angesehen sein will, dafl sie der Natur zu H¸lfe komme; ihr Gewand, dessen bescheidene Farbe ihrer eigenen eben so sehr als der Anst‰ndigkeit ihrer W¸rde angemessen war, wallte zwar in vielen Falten um sie her; aber es war schon daf¸r gesorgt, dafl hier und da der schˆne Contour dessen, was damit bedeckt war, deutlich genug wurde, um die Augen auf sich zu ziehen, und die Neugier l¸stern zu machen. Ihre Arme, die sie sehr schˆn hatte, waren in weiten und halb auf gesch¸rzten ‰rmeln fast ganz zu sehen; und eine Bewegung, welche sie, w‰hrend unsers Gespr‰chs, unwissender Weise gemacht haben wollte, trieb einen Busen aus seiner Verh¸llung hervor, welcher reizend genug war, ihr Gesicht um zwanzig Jahre j¸nger zu machen. Sie bemerkte diese kleine Unregelm‰fligkeit endlich; aber das Mittel, wodurch sie die Sachen wieder in Ordnung zu bringen suchte, war mit der Unbequemlichkeit verbunden, dafl dadurch ein Fufl bis zur H‰lfte sichtbar wurde, dessen die schˆnste Spartanerin sich h‰tte r¸hmen d¸rfen. Die tiefe Gleichg¸ltigkeit, worin mich alle diese Reizungen lieflen, machte ohne Zweifel, dafl ich Beobachtungen machen konnte, wozu ein ger¸hrter Zuschauer die Freiheit nicht gehabt h‰tte. Indes gab mir doch eine Art von Scham, die ich anstatt der guten Pythia auf meinen Wangen gl¸hen f¸hlte, ein Ansehen von Verwirrung, womit die Dame, welche in zweifelhaften F‰llen alle mal zu Gunsten ihrer Eigenliebe urteilte, ziemlich wohl zufrieden schien. Sie schrieb es vermutlich einer sch¸chternen Unentschlossenheit oder einem Streit zwischen Ehrfurcht und Liebe bei, dafl ich (ungeachtet des starken Eindrucks, den sie auf mich machte) ihr keine Gelegenheit gab, die Delikatesse ihrer Tugend sehen zu lassen. Ich hatte Aufmunterungen nˆtig, zu welchen man bei einem ge¸btern Liebhaber sich nicht herablassen w¸rde. Die Geschicklichkeit, die man mir in der Kunst, die Dichter zu lesen, beilegte, diente ihr zum Vorwand, mir einen Zeit-Vertrieb vorzuschlagen, von dem sie sich einige Befˆderung dieser Absicht versprechen konnte. Sie versicherte mich, dafl Homer ihr Lieblings-Autor sei, und bat mich, ihr das Vergn¸gen zu machen, sie eine Probe meines gepriesenen Talents hˆren zu lassen. Sie nahm einen Homer, der neben ihr lag, und stellte sich, nachdem sie eine Weile gesucht hatte, als ob es ihr gleichg¸ltig sei, welcher Gesang es w‰re; sie gab mir den ersten den besten in die H‰nde; aber zu gutem Gl¸cke war es gerade derjenige, worin Juno, mit dem G¸rtel der Venus geschm¸ckt, den Vater der Gˆtter in eine so lebhafte Erinnerung der Jugend ihrer ehelichen Liebe setzt.–Von dem dichterischen Feuer, welches in diesem Gem‰lde gl¸het, und dem s¸flen Wohlklang der Homerischen Verse entz¸ckt, beobachtete sie nicht, in was f¸r eine verf¸hrische Unordnung ein Teil ihres Putzes durch eine Bewegung der Bewunderung, welche sie machte, gekommen war. Sie nahm von dieser Stelle Anlafl, die unumschr‰nkte Gewalt des Liebes-Gottes zum Gegenstande der Unterredung zu machen. Sie schien der Meinung derjenigen g¸nstig zu sein, welche behaupten, dafl der Gedanke, einer so m‰chtigen Gottheit widerstehen zu wollen, nur in einer vermessenen und ruchlosen Seele geboren werden kˆnne. Ich pflichtete ihr bei, behauptete aber, dafl die meisten in den Begriffen, welche sie sich von diesem Gotte machten, der groflen Pflicht, von der Gottheit nur das W¸rdigste und Vollkommenste zu denken, sehr zu nahe tr‰ten; und dafl die Dichter durch die allzusinnliche Ausbildung ihrer allegorischen Fabeln in diesem St¸cke sich keines geringen Vergehens schuldig gemacht h‰tten. Unvermerkt schwatzte ich mich in einen Enthusiasmus hinein, in welchem ich, nach den Grunds‰tzen meiner geheimnisreichen Philosophie, von der intellektualischen Liebe, von der Liebe welche der Weg zum Anschauen des wesentlichen Schˆnen ist, von der Liebe welche die geistigen Fl¸gel der Seele entwickelt, sie mit jeder Tugend und Vollkommenheit schwellt, und zuletzt durch die Vereinigung mit dem Urbild und Urquell des Guten in einen Abgrund von Licht, Ruhe und unver‰nderlicher Wonne hineinzieht, worin sie g‰nzlich verschlungen und zu gleicher Zeit vernichtigt und vergˆttert wird–so erhabne, mir selbst meiner Einbildung nach sehr deutliche, der schˆnen Priesterin aber so unverst‰ndliche Dinge sagte, dafl sie in eben der Proportion, nach welcher sich meine Einbildungs-Kraft dabei erw‰rmte, nach und nach davon eingeschl‰fert wurde. In der Tat konnte im Prospekt eines so schˆnen Busens, als ich vor mir sahe, nichts seltsamere sein, als eine Lob-Rede auf die intellektualische Liebe; auch gab die betrogne Pythia nach einer solchen Probe alle Hoffnung auf, mich, diesen Abend wenigstens, zu einer nat¸rlichen Art zu denken und zu lieben herumzustimmen. Sie entliefl mich alsobald darauf, nachdem sie mir, wiewohl auf eine ziemlich r‰tselhafte Art, zu vernehmen gegeben hatte, dafl sie besondere Ursachen habe, sich meiner mehr anzunehmen, als irgend eines andern Kostg‰ngers des Apollo. Ich verstund aus dem, was sie mir davon sagte, so viel, dafl sie eine nahe Anverwandtin meines mir selbst noch unbekannten Vaters sei; dafl es ihr vielleicht bald erlaubt sein werde, mir das Geheimnis meiner Geburt zu entdecken; und dafl ich es allein diesem n‰hern Verh‰ltnis zu zuschreiben habe, wenn sie mich durch eine Freundschaft unterscheide, welche mich, ohne diesen Umstand, vielleicht h‰tte befremden kˆnnen. Diese Erˆffnung, an deren Wahrheit mich ihre Miene nicht zweifeln liefl, hatte die gedoppelte W¸rkung–mich zu bereden, dafl ich mich in meinen Gedanken von ihren Gesinnungen betrogen haben kˆnne–und sie auf einmal zu einem interessanten Gegenstande f¸r mein Herz zu machen. In der Tat fing ich, von dem Augenblick, da ich hˆrte, dafl sie mit meinem Vater befreundet sei, an, sie mit ganz andern Augen anzusehen; und vielleicht w¸rde sie von den Dispositionen, in welche ich dadurch gesetzt wurde, in kurzer Zeit mehr Vorteil haben ziehen kˆnnen, als von allen den Kunstgriffen, womit sie meine Sinnen hatte ¸berraschen wollen. Aber die gute Dame wuflte entweder nicht, wie viel man bei gewissen Leuten gewonnen, wenn man Mittel findet, ihr Herz auf seine Seite zu ziehen; oder sie war ¸ber mein seltsames Betragen erbittert, und glaubte, ihre verachteten Reizungen nicht besser r‰chen zu kˆnnen, als wenn sie mich in eben dem Augenblick von sich entfernte, da sie in meinen Augen las, dafl ich gerne l‰nger geblieben w‰re. Alles Bitten, dafl sie ihre G¸tigkeit durch eine deutlichere Entdeckung des Geheimnisses meiner Geburt vollkommen machen mˆchte, war umsonst; sie schickte mich fort, und hatte Grausamkeit genug, eine geraume Zeit vorbei gehen zu lassen, eh sie mich wieder vor sich kommen liefl. Zu einer andern Zeit w¸rde das Verlangen, diejenigen zu kennen, denen ich das Leben zu danken h‰tte, mir diesen Aufschub zu einer harten Strafe gemacht haben; aber damals brauchte es nur wenige Minuten, wieder allein zu sein, und einen Gedanken an meine geliebte Unbekannte, um die Priesterin mit allen ihren Reizen, und mit allem was sie mir gesagt und nicht gesagt hatte, aus meinem Gem¸te wieder auszulˆschen. Es war mir unendlich mal angelegener zu wissen, wer diese Unbekannte sei, und ob sie w¸rklich (wie ich mir schmeichelte) f¸r mich empfinde, was ich f¸r sie empfand, als in Absicht meiner selbst aus einer Unwissenheit gezogen zu werden, gegen welche die Gewohnheit mich fast ganz gleichg¸ltig gemacht hatte: So lange ich das nicht wuflte, w¸rde ich die Entdeckung, der Erbe eines Kˆnigs zu sein, mit Kaltsinn angesehen haben. Der Blick, den sie diesen Abend auf mich geheftet hatte, schien mir etwas zu versprechen, das f¸r mein Herz unendlich mehr Reiz hatte, als alle Vorteile der gl‰nzendsten Geburt. Mein ganzes Wesen schien von diesem Blicke, wie von einem ¸berirdischen Lichte, durchstrahlt und verkl‰rt–ich unterschied zwar nicht deutlich, was in mir vorging–aber so oft ich sie mir wieder in dieser Stellung, mit diesem Blicke, mit diesem Ausdruck in ihrem lieblichen Gesichte vorstellte, (und dieses geschah allemal so lebhaft, als ob ich sie w¸rklich mit Augen s‰he) so schien mir mein Herz vor Liebe und Vergn¸gen in Empfindungen zu zerflieflen, f¸r deren durchdringende S¸fligkeit keine Worte erfunden sind. “–Hier wurde Agathon (dessen Einbildungs-Kraft, von den Erinnerungen seiner ersten Liebe erhitzt, einen h¸bschen Schwung, wie man sieht, zu nehmen anfing,) durch eine ziemlich merkliche Ver‰nderung in dem Gesichte seiner schˆnen Zuhˆrerin, mitten in dem Lauf seiner unzeitigen Schw‰rmerei aufgehalten, und aus seinem achtzehnten Jahr, in welches er in dieser kleinen Ekstase zur¸ckversetzt worden war, auf einmal wieder nach Smyrna, zu sich selbst und der schˆnen Danae gegen¸ber, gebracht.

VIERTES KAPITEL

Fortsetzung des Vorhergehenden

Es ist eine alte Bemerkung, dafl man einer schˆnen Dame die Zeit nur schlecht vertreibt, wenn man sie von den Eindr¸cken, die eine andre auf unser Herz gemacht hat, unterh‰lt. Je mehr Feuer, je mehr Wahrheit, je mehr Beredsamkeit wir in einem solchen Falle zeigen, je reizender unsre Schilderungen, je schˆner unsre Bilder, je beseelter unser Ausdruck ist, desto gewisser d¸rfen wir uns versprechen, unsre Zuhˆrerin einzuschl‰fern. Diese Beobachtung sollten sich besonders diejenigen empfohlen sein lassen, welche eine w¸rklich im Besitz stehende Geliebte mit der Geschichte ihrer ehemaligen verliebtet Abenteuer unterhalten. Agathon, welcher noch weit davon entfernt war, von seiner Einbildungs-Kraft Meister zu sein, hatte diese Regel g‰nzlich aus den Augen verloren, da er einmal auf die Erz‰hlung seiner ersten Liebe gekommen war. Die Lebhaftigkeit seiner Wiedererinnerungen schien sie in Empfindungen zu verwandeln; er bedachte nicht, dafl es weniger anstˆflig w‰re, eine Geliebte, wie Danae, mit der ganzen Metaphysik der intellektualischen Liebe, als mit so enthusiastischen Beschreibungen der Vorz¸ge einer andern, und der Empfindungen, welche sie eingeflˆflt, zu unterhalten. Eine Art von Mittelding zwischen G‰hnen und Seufzen, welches ihr an der Stelle, wo wir seine Erz‰hlungen abgebrochen haben, entfuhr, und ein gewisser Ausdruck von langer Weile, der aus einer erzwungnen Miene von vergn¸gter Aufmerksamkeit hervorbrach, machte ihn endlich seiner Unbesonnenheit gewahr werden; er stutzte einen Augenblick, er errˆtete, und es fehlte wenig, dafl er den Zusammenhang seiner Geschichte dar¸ber verloren h‰tte. Doch erholte er sich noch geschwinde genug wieder, um seiner Verwirrung irgend einen zuf‰lligen Vorwand zu geben, und setzte seine Erz‰hlung fort, indem er fest bei sich beschlofl, genauer auf sich selbst Acht zu geben, und seine Beschreibungen so sehr abzuk¸rzen, als es nur immer mˆglich sein w¸rde; ein Vorsatz, bei welchem unsre Leser sich wenigstens eben so wohl befinden werden, als die schˆne Danae, wenn er anders f‰hig sein wird, sich selbst Wort zu halten.

“Die s¸flen Tr‰ume”, (fuhr der Held unsrer Geschichte fort) “worin mein Herz sich so gerne zu wiegen pflegte, hatten nicht w¸rkliches genug, diesen angenehmen Zustand meines Gem¸tes lange zu unterhalten. Eine z‰rtliche Schwermut, welche jedoch nicht ohne eine Art von Wollust war, bem‰chtigte sich meiner so stark, dafl ich M¸he hatte, sie vor denjenigen zu verbergen, mit denen ich einen Teil des Tages zubringen muflte. Ich suchte die Einsamkeit; und weil ich den Tag ¸ber, nur wenige Stunden in meiner Gewalt hatte, so fing ich wieder an, den grˆflten Teil der Zeit, worin andere schliefen, in den angenehmen Hainen, die den Tempel umgeben, mit meinen Gedanken und dem Bilde meiner Unbekannten zu durchwachen. In einer dieser N‰chte begegnete es, dafl ich von ungef‰hr in eine Gegend des Hains verirrte, welche das Ansehen einer Wildnis, aber der anmutigsten, die man sich nur einbilden kann, hatte. Mitten darin liefl das Geb¸sche, welches in labyrinthischen Kr¸mmungen mit hohen Zypressen und vielen selbst gewachsenen Lauben abgesetzt, sich um sich selbst herumwand, einen offnen Platz, der mit einem halben Circul von wilden Lorbeer-B‰umen, von denen sich immer eine Reihe ¸ber die andere erhub, eingefaflt, auf der andern Seite aber nur mit niedrigem Myrten-Gestr‰uch und Rosen-Hecken leicht umkr‰nzt war. Mitten darin lagen einige Nymphen von weiflem Marmor, von ¸berhangendem Rosen-Gestr‰uche beschattet, welche auf ihren Urnen zu schlafen schienen, indes sich aus jeder Urne eine Quelle in ein ger‰umiges Becken von poliertem schwarzem Granit-Marmor ergofl, worin die Frauens-Personen, welche unter dem Schutz des delphischen Apollo stunden, sich im Sommer zu baden pflegten. Dieser Ort war (einer alten Sage nach) der Diana heilig; und kein m‰nnlicher Fufl durfte, bei Strafe, sich den Zorn dieser unerbittlichen Gˆttin zu zuziehen, sich unterstehen, ihrem geheiligten Ruhe-Platz nahe zu kommen. Vermutlich machte die Gˆttin eine Ausnahme zu Gunsten eines unschuldigen Schw‰rmers, der (ohne den mindesten Vorsatz, ihre Ruhe zu stˆren, und ohne einmal zu wissen, wohin er kam), sich hieher verirrt hatte. Denn anstatt mich ihren Zorn empfinden zu lassen, beg¸nstigte sie mich vielmehr mit einer Erscheinung, welche mir angenehmer war, als wenn sie selbst, mich zu ihrem Endymion zu machen, zu mir herabgestiegen w‰re. Weil ich in eben dem Augenblick, da ich diese Erscheinung hatte, den Ort, wo ich mich befand, f¸r denjenigen erkannte, der mir ˆfters, um ihn desto gewisser vermeiden zu kˆnnen, beschrieben worden war; so war w¸rklich mein erster Gedanke, dafl es die Gˆttin sei, welche, von der Jagd erm¸det, unter ihren Nymphen schlummre. Von einem heiligen Schauer ersch¸ttert, wollte ich schon den Fufl zur¸ckziehn; als ich beim Glanz des seitw‰rts einfallenden Mond-Lichts gewahr wurde, dafl es meine Unbekannte war. Ich will es nicht versuchen, zu beschreiben wie mir in diesem Augenblicke zu Mute war; es war einer von denen, an welche ich mich nur erinnern darf, um zu glauben, dafl ein Wesen, welches einer solchen Wonne f‰hig ist, zu nichts geringers als zu der Wonne der Gˆtter bestimmt sein kˆnne. Itzt konnt’ ich nat¸rlicher Weise nicht mehr denken, mich unbemerkt zur¸ckzuziehen; meine einzige Sorge war, die liebensw¸rdige Einsame zu einer Zeit und an einem Orte, wo sie keinen Zeugen, am allerwenigsten einen m‰nnlichen vermuten konnte, durch keine plˆtzliche ¸berraschung zu erschrecken. Die Stellung, worin sie an eine der marmornen Nymphen angelegt lag, gab zu erkennen, dafl sie staunte; ich betrachtete sie eine geraume Weile, ohne dafl sie mich gewahr wurde. Dieser Umstand erlaubte mir meine eigene Stelle zu ver‰ndern, und eine solche zu nehmen, dafl sie, so bald sie die Augen aufschlage, mich unfehlbar erkennen m¸flte. Diese Vorsicht hatte die verlangte W¸rkung. Sie erblickte mich; sie stutzte; aber sie erkannte mich doch zu schnell, um mich f¸r einen Satyren anzusehen. Meine Erscheinung schien ihr mehr Vergn¸gen als Unruhe zu machen. Ein jeder andrer, so gar ein Satyr, w¸rde irgend ein artig gedrehtes Kompliment in Bereitschaft gehabt haben, um seine Freude ¸ber eine so reizende Erscheinung auszudr¸cken; die Gelegenheit konnte nicht schˆner sein, sie f¸r eine Gˆttin, oder wenigstens f¸r eine der Gespielen Dianens anzusehen, und diesem Irrtum gem‰fl zu begr¸flen. Aber ich, von neuen, nie gefehlten, unbeschreiblichen Empfindungen gedr¸ckt, ich konnte gar nichts sagen. Zu ihren F¸flen h‰tte ich mich werfen mˆgen; aber die Sch¸chternheit, welche (zumal in meinem damaligen Alter) mit der ersten Liebe so unzertrennlich verbunden ist, hielt mich zur¸ck; ich besorgte, dafl sie sich einen nachteiligen Begriff von der tiefen Ehrerbietung, die ich f¸r sie empfand, aus einer solchen Freiheit machen mˆchte. Meine Unbekannte war nicht so sch¸chtern; sie hub sich, mit dieser sittsamen Anmut, wodurch sie sich das erste mal, als ich sie gesehen, in meinen Augen von allen ihren Gespielen unterschieden hatte, vom Boden auf, und ging ein paar Schritte gegen mich. ‘Wie finde ich den Agathon hier?’ sagte sie mit einer Stimme, die ich noch zu hˆren glaube; so lieblich, so r¸hrend schien sie unmittelbar in meine Seele sich einzuschmeicheln. In der s¸flen Verwirrung, worin ich war, fand ich keine bessere Antwort, als sie zu versichern, dafl ich nicht so verwegen gewesen w‰re, ihre Einsamkeit zu stˆren, wenn ich vermutet h‰tte, sie hier zu finden. Das Kompliment war nicht so artig, als es ein junger Athenienser bei einer solchen Gelegenheit gemacht h‰tte; aber Psyche (so erfuhr ich in der Folge, dafl meine Unbekannte genennt werde) war zu unschuldig, um Komplimente zu erwarten. ‘Ich erkenne meine Unvorsichtigkeit, wiewohl zu sp‰t’, versetzte sie: ‘Was wird Agathon von mir denken, da er mich an diesem abgelegenen Ort in einer solchen Stunde allein findet? Und doch’ (setzte sie errˆtend hinzu) ‘ist es gl¸cklich f¸r mich, wenn ich ja einen Zeugen meiner Unbesonnenheit haben muflte, dafl es Agathon war.’ Ich versicherte sie, dafl mir nichts nat¸rlicher vorkomme, als der Geschmack, den sie in der Einsamkeit, in der Stille einer so schˆnen Nacht, und in einer so anmutigen Gegend zu finden scheine. Ich setzte noch vieles von den Annehmlichkeiten des Mondscheins, von der majest‰tischen Pracht des sternvollen Himmels, von der Begeistrung, welche die Seele in diesem feierlichen Schweigen der ganzen Natur erfahre, von dem Einschlummern der Sinne, und dem Erwachen der innern geheimnisvollen Kr‰fte unsers unsterblichen Teils, hinzu–Dinge, welche bei den meisten Schˆnen, zumal in einem so anmutigen Myrten-Geb¸sche, und in der einladenden D‰mmerung einer so lauen Sommer-Nacht, sehr ¸bel angebracht gewesen w‰ren; aber bei der gef¸hlvollen Psyche r¸hrten sie die empfindlichsten Saiten ihres Herzens. Das Gespr‰ch, worin wir uns unvermerkt verwickelten, entdeckte eine ¸bereinstimmung in unserm Geschmack und in unsern Neigungen, welche gar bald ein eben so freundschaftliches und vertrauliches Verst‰ndnis zwischen unsern Seelen hervorbrachte, als ob wir uns schon viele Jahre geliebet h‰tten. Mir war, als ob ich alles, was sie sagte, durch eine unmittelbare Anschauung in ihrer Seele lese; und hinwieder schien das, was ich sagte, so abgezogen, idealisch und dichterisch, es immer sein mochte, ein blofler Widerhall oder die Entwicklung ihrer eigenen Empfindungen und solcher Ideen zu sein, welche als Embryonen in ihrer Seele lagen, und nur den erw‰rmenden Einflufl eines ge¸btern Geistes nˆtig hatten, um sich zu entfalten, und durch ihre naive Schˆnheit die erhabensten und sinnreichsten Gedanken der Weisen zu besch‰men. Die Zeit wurde uns bei dieser Unterhaltung so kurz, dafl wir kaum eine Stunde bei einander gewesen zu sein glaubten, als uns die aufgehende Morgenrˆte erinnerte, dafl wir uns trennen muflten. Ich hatte durch diese Unterredung erfahren, dafl meine Geliebte von ihrer Herkunft eben so wenig wisse, als ich von der meinigen; dafl sie von ihrer Amme, in der Gegend von Corinth bis ins sechste Jahr erzogen, hernach aber von R‰ubern entf¸hrt, und an die Priesterin zu Delphi verkauft worden, welche sie in allen weiblichen K¸nsten, und da sie eine besondere Neigung zum Lesen an ihr bemerkt, auch in der Kunst die Dichter recht zu lesen, habe unterrichten lassen, und sie in der Folge zu ihrer Leserin gemacht habe. Diese Umst‰nde waren f¸r meine Liebe zu der jungen Psyche nicht sehr schmeichelhaft; allein das Vergn¸gen der gegenw‰rtigen Augenblicke liefl mich gar nicht an das K¸nftige denken; unbek¸mmert, wohin die Empfindungen, von denen ich eingenommen war, in ihren Folgen endlich f¸hren kˆnnten, ¸berliefl ich mich ihnen mit aller Gutherzigkeit der jugendlichen Unschuld; meine kleine Psyche zu sehen, zu lieben, es ihr zu sagen, und aus ihrem schˆnen Munde zu hˆren, in ihren seelenvollen Augen zu sehen, dafl ich wieder geliebt werde.–Das waren itzt alle Gl¸ckseligkeiten, die ich w¸nschte, und ¸ber welche hinaus ich keine andere kannte. Ich hatte ihr etwas von den Eindr¸cken gesagt, die ihr erster Anblick auf mein Herz gemacht hatte; und sie hatte diese Erˆffnungen mit dem Gest‰ndnis der vorz¸glichen Meinung, welche ihr das allgemeine Urteil zu Delphi von mir gegeben h‰tte, erwidert; aber meine z‰rtliche und ehrfurchtsvolle Sch¸chternheit erlaubte mir nicht, ihr alles zu sagen, was mein Herz f¸r sie empfand. Meine Ausdr¸cke waren lebhaft und feuerig; aber sie hatten mit der gewˆhnlichen Sprache der Liebe so wenig ‰hnliches, dafl ich weniger zu sagen glaubte, indem ich in der Tat unendlich mal mehr sagte, als ein gewˆhnlicher Liebhaber, der mehr von seinen Begierden beunruhigt, als von dem Werte seiner Geliebten ger¸hrt ist. Allein da wir uns scheiden muflten, w¸rde mich mein allzuvolles Herz verraten haben, wenn die unerfahrne Jugend der guten Psyche ihr erlaubt h‰tte, einiges Mifltrauen in Empfindungen zu setzen, welche sie nach der Unschuld ihrer eigenen beurteilte. Ich zerflofl in Tr‰nen, und setzte ihr auf eine so z‰rtliche, so bewegliche Art zu, mir zu versprechen, sich in der folgenden Nacht wieder in dieser Gegend finden zu lassen, dafl es ihr unmˆglich war, mich ungetrˆstet wegzuschicken. Wir setzten also, da uns alle Gelegenheit, uns bei Tage zu sprechen, abgeschnitten war, diese n‰chtliche Zusammenk¸nfte fort; und unsere Liebe wuchs und verschˆnerte sich zusehends, ohne dafl wir dachten, dafl es Liebe sei. Wir nannten es Freundschaft; und genossen ihrer reinsten S¸fligkeiten, ohne durch einige Besorgnisse, Bedenklichkeiten oder andre Symptome der Leidenschaft, beunruhigt zu werden. Psyche hatte sich eine Freundin, wie ich mir einen Freund, gew¸nscht; nun glaubten wir beide gefunden zu haben, was wir w¸nschten. Unsere Denkungs-Art, und die G¸te unserer Herzen, flˆflte uns ein vollkommenes und unbegrenztes Zutrauen gegen einander ein.–Meine Augen, welche schon lange gewˆhnt waren, anders zu sehen, als man sonst in meinen damaligen Jahren zu sehen pflegt, sahen in Psyche kein reizendes M‰dchen, sondern die schˆnste, die liebensw¸rdigste der Seelen, deren geistige Reizungen aus dem durchsichtigen Flor eines irdischen Gewandes hervorschimmerten; und die wissensbegierige Psyche, welche nie gl¸cklicher war, als wenn ich ihr die erhabenen Geheimnisse meiner dichterischen Philosophie entfaltete, glaubte den gˆttlichen Orpheus oder den Apollo selbst zu hˆren, wenn ich sprach. Es ist in der Natur der Liebe (so z‰rtlich und unkˆrperlich sie immer sein mag) so lange zuzunehmen, bis sie das Ziel erreicht hat, wo die Natur sie zu erwarten scheint. Die unsrige nahm auch zu, und ging nach und nach durch mehr als eine Verwandlung; aber sie blieb sich selbst doch immer ‰hnlich. Nachdem uns der Name der Freundschaft nicht mehr bedeutend genug schien, dasjenige, was wir f¸r einander empfanden, auszudr¸cken, wurden wir eins, dafl unter allen Zuneigungen, derer uns die Natur f‰hig mache, die Liebe eines Bruders und einer Schwester zugleich die st‰rkste und die reineste sei. Die Vorstellung, die wir uns davon machten, entz¸ckte uns; und nachdem wir oft bedauert hatten, dafl uns die Natur diese Gl¸ckseligkeit versagt habe, wunderten wir uns zuletzt, wie wir nicht b‰lder eingesehen h‰tten, dafl es nur von uns abhange, ihre Kargheit in diesem St¸cke zu ersetzen.

Wir waren also Bruder und Schwester, und blieben es einige Zeit, ohne dafl die Vertraulichkeit und die unschuldigen Liebkosungen, wozu uns diese Namen berechtigten, in unsern Augen wenigstens, der Tugend, welcher wir zugleich mit der Liebe eine ewige Treue geschworen hatten, den geringsten Abbruch taten. Wir waren enthusiastisch genug, die Vermutung oder vielmehr die blofle Mˆglichkeit, einander vielleicht so nahe verwandt zu sein, als wir w¸nschten, in den z‰rtlichen Ergieflungen unserer Herzen zuweilen f¸r die Stimme der Natur zu halten; zumal da eine wirkliche oder eingebildete besondere ‰hnlichkeit unserer Gesichts-Z¸ge diesen Wahn zu rechtfertigen schien. Da wir uns aber die Betr¸glichkeit dieser vermeinten Sprache des Blutes nicht immer verbergen konnten, so fanden wir desto mehr Vergn¸gen darin, die Vorstellungen von einer nat¸rlichen Verschwisterung der Seelen, einem sympathetischen Zug der einen zu der andern, einer schon in einem vorhergehenden Zustand in bessern Welten angefangenen Bekanntschaft nachzuh‰ngen, und sie in tausend angenehme Tr‰ume auszubilden. Aber auch bei diesem Grade liefl uns der phantastische Schwung, den die Liebe unsern Seelen gegeben hatte, nicht stille stehen. Wir strengten das ‰uflerste Vermˆgen unserer Einbildungs-Kraft an, um uns einen Begriff von derjenigen Art zu lieben zu machen, womit in den ¸berirdischen Sph‰ren die Geister einander liebten. Keine andere schien uns zu gleicher Zeit der St‰rke und der Reinigkeit unserer Empfindungen genug zu tun, noch f¸r Wesen sich zu schicken, die im Himmel entsprungen, und dahin wiederzukehren bestimmt w‰ren. Ich gestehe dir, schˆne Danae, dafl ich bei der Erinnerung an diese gl¸ckselige Schw‰rmerei meiner ersten Jugend mich kaum erwehren kann zu w¸nschen, dafl die Bezauberung ewig h‰tte dauern kˆnnen. Und dennoch ist nichts gewissers, als dafl sich diese allzugeistige Empfindungen endlich verzehrt, und die Natur, welche ihre Rechte nie verliert, uns zuletzt unvermerkt auf eine gewˆhnlichere Art zu lieben gef¸hrt haben w¸rde; wenn uns nur die schˆne Pythia so viel Zeit, als dazu erfodert wurde, gelassen h‰tte. Diese Dame hatte etliche Wochen verstreichen lassen, ohne (dem Ansehen nach) sich meiner zu erinnern; und ich hatte sie in dieser Zeit so g‰nzlich vergessen, dafl ich ganz betroffen war, als ich wieder zu ihr berufen wurde. Ich fand gar bald, dafl die Gˆttin von Paphos, welche sich vielleicht wegen irgend einer ehemaligen Beleidigung an ihr zu r‰chen beschlossen, sie in dieser Zwischen-Zeit nicht so ruhig gelassen hatte, als es f¸r sie und mich zu w¸nschen war. Vermutlich hatte sie (wie die tragische Ph‰dra) allen ihren weiblichen und priesterlichen Stolz zusammengerafft, um eine Leidenschaft zu unterdr¸cken, deren ¸belstand sie sich selbst unmˆglich verbergen konnte; allein eben so vermutlich mochte sie sich selbst durch die trˆstlichen Trug-Schl¸sse, welche Euripides der Amme dieser ungl¸ckseligen Prinzessin in den Mund legt, wieder beruhigt, und endlich den herzhaften Entschlufl gefaflt haben, ihrem Verh‰ngnis nachzugeben. Denn, nachdem sie alle ihre M¸he, mich das, was sie mir zu sagen hatte, erraten zu lassen, verloren sah, brach sie endlich ein Stillschweigen, dessen Bedeutung ich eben so wenig verstehen wollte, und entdeckte mir mit einer Deutlichkeit und mit einem Feuer, welche mich errˆten und erzittern machten, dafl sie liebe und wieder geliebt sein wolle. Der reizende Anzug und die verf¸hrische Stellung, worin sie dieses Gest‰ndnis machte, schien ausgew‰hlt zu sein, mich den Wert des mit angebotenen Gl¸ckes mehr als jemals empfinden zu lassen. Ich mufl noch itzt errˆten, wenn ich an die Verwirrung denke, worin ich mit allen meinen erhabenen Begriffen in diesem Augenblick war.–Die menschliche Natur so erniedrigt–den Namen der Liebe so entweihet zu sehen! In der Tat, die Pythia selbst konnte von der Art, wie ich ihre Zumutungen abwies, nicht empfindlicher besch‰mt und gequ‰lt werden, als ich es durch die Notwendigkeit war, worein ich mich gesetzt sah, ihr so ¸bel zu begegnen. Ich bestrebte mich, die H‰rtigkeit meiner Antworten durch die sanftesten Ausdr¸cke zu mildern, die ich in der Verwirrung finden konnte. Aber ich erfuhr bald, dafl heftige Leidenschaften sich so wenig als Sturm-Winde durch Worte beschwˆren lassen. Die ihrer selbst nicht mehr m‰chtige Priesterin nahm f¸r beleidigenden Spott auf, was ich aus der wohlgemeinten, aber allerdings unzeitigen Absicht, ihrer versinkenden Tugend zu H¸lfe zu kommen, sagte. Sie geriet in eine Wut, welche mich in die ‰uflerste Verlegenheit setzte; sie brach in Verw¸nschungen und Drohungen, und einen Augenblick darauf in einen Strom von Tr‰nen und in so bewegliche Apostrophen aus, dafl ich beinahe schwach genug gewesen w‰re, mit ihr zu weinen, ohne mein Herz geneigter zu finden, dem ihrigen zu antworten. Ich ergriff endlich das einzige Mittel, das mir ¸brig blieb, mich der albernen Rolle, die ich in dieser Szene spielte, zu erledigen; ich entfloh. In eben dieser Nacht sah ich meine geliebte Psyche wieder an dem gewˆhnlichen Orte; mein Gem¸t war von der Geschichte dieses Abends zu sehr beunruhigt, als dafl ich ihr ein Geheimnis davon h‰tte machen kˆnnen. Wir bedaurten die Priesterin, so schwer es uns auch war, von der Wut und den Qualen einer Liebe, welche mit der unserigen so wenig ‰hnliches hatte, uns eine Vorstellung zu machen; aber wir bedaurten noch vielmehr uns selbst. Die Raserei, worin ich die Pythia verlassen hatte, hiefl uns das ‰rgste besorgen. Wir zitterten eines f¸r des andern Sicherheit; und aus Furcht, dafl sie unsere Zusammenk¸nfte entdecken mˆchte, beschlossen wir, (so hart uns dieser Entschlufl ankam) sie eine Zeitlang seltner zu machen. Dieses war das erste mal, dafl die reinen Vergn¸gungen unserer schuldlosen Liebe von Sorgen und Unruhe unterbrochen wurden, und wir mit schwerem Herzen von einander Abschied nahmen. Es war, als ob es uns ahnete, dafl dieses das letzte mal sei, da wir uns zu Delphi s‰hen; und wir sagten uns wohl tausend mal Lebe wohl; ohne uns eines aus des andern Armen loswinden zu kˆnnen. Wir redeten mit einander ab, uns erst in der dritten Nacht wieder zu sehen. Zuf‰lliger Weise f¸gte sichs, dafl ich in der Zwischen-Zeit mit der Priesterin in Gesellschaft zusammenkam. Es war nat¸rlich, dafl sie in Gegenwart fremder Leute ihrem Betragen gegen mich den freundschaftlichen Ton der Anverwandtschaft gab, welche zwischen uns vorausgesetzt wurde, und durch welche sie nˆtig befunden hatte, ihren Umgang mit mir gegen die Urteile strenger Sitten-Richter sicher zu stellen. Allein aufler diesem bemerkte ich, dafl sie etliche mal, da sie von niemand beobachtet zu sein glaubte, die z‰rtlichsten Blicke auf mich heftete. Ich war zu gutherzig, Verstellung unter diesen Zeichen der wiederkehrenden Liebe zu argwˆhnen; und der Schlufl, den ich daraus zog, beruhigte mich g‰nzlich ¸ber die Besorgnis, dafl sie meinen Umgang mit Psyche entdeckt haben mˆchte. Ich flog mit ungedultiger Freude zu unserer abgeredeten Zusammenkunft; ich wartete so lange, dafl mich der Tag beinahe ¸berrascht h‰tte; ich durchsuchte den ganzen Hain: aber da war keine Psyche. Eben so ging es in der folgenden und dritten Nacht. Mein Schmerz und meine Betrachtungen waren unaussprechlich. Damals erfuhr ich zum ersten mal, dafl meine Einbildungs-Kraft, welche bisher nur zu meinem Vergn¸gen gesch‰ftig war, in eben dem Mafle, wie sie mich gl¸cklich gemacht hatte, mich elend zu machen f‰hig sei. Ich zweifelte nun nicht mehr, dafl die Priesterin unsere Liebe entdeckt habe; und die Folgen, welche dieser Umstand f¸r Psyche haben konnte, stellten sich mir mit allen Schrecknissen einer sich selbst qu‰lenden Einbildung dar. Ich faflte in der Wut meines Schmerzens tausend heftige Entschlieflungen, von denen immer eine die andere verschlang; ich wollte zu der Priesterin gehen, und meine Psyche von ihr fodern–ich wollte–das Ausschweifendste, was man in der Verzweiflung wollen kann; ich glaube, dafl ich f‰hig gewesen w‰re, den Tempel anzuz¸nden, wenn ich h‰tte hoffen kˆnnen, meine Psyche dadurch zu retten. Und doch hielt mich ein Schatten von Hoffnung, dafl sie durch zuf‰llige Ursachen habe verhindert werden kˆnnen, ihr Wort zu halten, noch zur¸ck, einen unbesonnenen Schritt zu tun, welcher ein blofl eingebildetes ¸bel w¸rklich und unheilbar h‰tte machen kˆnnen. Vielleicht (dachte ich) weifl die Priesterin noch nichts von unserm Geheimnis; und wie unselig w‰r’ ich in diesem Fall, wenn ich selbst der Verr‰ter davon w‰re? Dieser Gedanke f¸hrte mich zum vierten mal in den Ruhe-Platz der Diana. Nachdem ich wohl zwo Stunden vergebens gewartet hatte, warf ich mich, in einer Bet‰ubung von Schmerz und Verzweiflung, zu den F¸flen einer von den Nymphen hin. Ich lag eine Weile, ohne meiner selbst m‰chtig zu sein. Als ich mich wieder erholt hatte, sah ich einen frischen Blumen-Kranz um den Hals und die Arme einer von den Nymphen gewunden; ich sprang auf, um genauer zu erkundigen, was dieses bedeuten mˆchte, und fand ein Briefchen an den Kranz geheftet, worin mir Psyche meldete: dafl ich sie in der folgenden Nacht um eine bestimmte Stunde unfehlbar an diesem Platz antreffen w¸rde; sie versparete es auf diese Besprechung, mir zu sagen, durch was f¸r Zuf‰lle sie diese Zeit ¸ber verhindert worden, mich zu sehen, oder mir Nachricht von ihr zu geben; ich d¸rfte aber vollkommen ruhig und gewifl sein, dafl die Priesterin nichts von unserer Bekanntschaft wisse. Die heftige Begierde, womit ich w¸nschte, dafl dieses Briefchen von Psyche geschrieben sein mˆchte, liefl mich nicht daran denken, ein Mifltrauen darein zu setzen, ungeachtet mir ihre Handschrift unbekannt war. Ich ging also plˆtzlich von dem ‰uflersten Grade des Schmerzens zu der ‰uflersten Freude ¸ber. Ich wand den Gl¸ck-weissagenden Blumen-Kranz um mich herum, nachdem ich die unsichtbaren Spuren der geliebten Finger, die ihn gewunden hatten, auf jeder Blume weggek¸flt hatte. Den folgenden Abend wurde mir jeder Augenblick bis zur bestimmten Zeit ein Jahrhundert. Ich ging eine halbe Stunde fr¸her, den guten Nymphen zu danken, dafl sie unsere Liebe in ihren Schutz genommen hatten. Endlich glaubte ich, Psyche zwischen den Myrten-Hecken hervorkommen zu sehen. Die Nacht war nur durch den Schimmer der Sterne beleuchtet; aber ich erkannte die gewˆhnliche Kleidung der Psyche, und war von dem ersten Rauschen ihrer Ann‰herung schon zu sehr entz¸ckt, um gewahr zu werden, dafl die Gestalt, die sich mir n‰herte, mehr von dem ¸ppigen Contour einer Bacchantin als von der jungfr‰ulichen Geschmeidigkeit meiner Freundin hatte. Wir flogen einander mit gleichem Verlangen in die Arme. Die sprachlose Trunkenheit des ersten Augenblicks verstattet nicht, Bemerkungen zu machen; aber es w‰hrte doch nicht lange, bis ich notwendig f¸hlen muflte, dafl ich mit einer Heftigkeit, welche mit der unschuldigen Z‰rtlichkeit einer Psyche den st‰rksten Absatz machte, an einen kaum verh¸llten und ungest¸m klopfenden Busen gedr¸ckt wurde.–Das konnte nicht Psyche sein.–Ich wollte mich aus ihren Armen loswinden; aber sie verdoppelte die St‰rke, womit sie mich umschlang, zugleich mit ihren woll¸stigen Liebkosungen; und da ich nun auf einmal mit einem Entsetzen, welches mir alle Sehnen l‰hmte, meinen Irrtum erkannte; so machte die Gewalt, die ich anwenden wollte, mich von der rasenden Priesterin loszureiflen, dafl wir mit einander zu Boden sanken. Ich w¸nschte aus Hochsch‰tzung des Geschlechts, welches in meinen Augen der liebensw¸rdigste Teil der Schˆpfung ist, dafl ich diese Szene aus meinem Ged‰chtnis auslˆschen kˆnnte.–Die Bestrebungen dieser Ungl¸ckseligen empˆrten endlich alle meine Geister zu einem Grimm, der mich ihrer eigenen Wut ¸berlegen machte. Ich hatte alle meine Vernunft nˆtig, um nicht alle Achtung, die ich wenigstens ihrem Geschlecht schuldig war, aus den Augen zu setzen. Aber ich zweifle nicht, dafl eine jede Frauens-Person, welche noch einen Funken von sittlichem Gef¸hl ¸brig h‰tte, lieber den Tod, als die Vorw¸rfe und die Verw¸nschungen, womit sie ¸berstrˆmt wurde, ausstehen wollte. Sie kr¸mmete sich, in Tr‰nen berstend zu meinen F¸flen.–Dieser Anblick war mir unertr‰glich–ich wollte entfliehen; sie verfolgte mich, sie hing sich an, und bat mich, ihr den Tod zu geben. Ich verlangte mit Heftigkeit, dafl sie mir meine Psyche wieder geben sollte. Diese Worte schienen sie unsinnig zu machen. Sie erkl‰rte mir, dafl das Leben dieser Sklavin in ihrer Gewalt sei, und von dem Entschlufl, den ich nehmen w¸rde, abhange. Sie sah die Ver‰nderung, die diese Drohung auf einmal in meinem ganzen Wesen machte; wir verstummten beide eine Weile. Endlich nahm sie einen sanftern, aber nicht weniger entschlossenen Ton an, um mir ihre vorige Erkl‰rung zu bekr‰ftigen. Die Eifersucht machte sie so vieles sagen, dafl ich Zeit bekam mich zu fassen, und eine Drohung weniger f¸rchterlich zu finden, zu deren Ausf¸hrung ich sie, wenigstens aus Liebe zu sich selbst, unf‰hig glaubte. Ich antwortete ihr also mit einem kalten Blute, welches sie stutzen machte: dafl sie auf ihre eigene Gefahr ¸ber das Leben meiner jungen Freundin disponieren kˆnne. Doch ersuchte ich sie, sich zu erinnern, dafl sie selbst mich zum Meister ¸ber das Ihrige, und ¸ber das, was ihr noch lieber als das Leben sein sollte, gemacht habe. Das meinige (setzte ich lebhafter hinzu) hˆrt mit dem Augenblick auf, da Psyche f¸r mich verloren ist; denn bei dem Gott, dessen Gegenwart dieses heilige Land erf¸llt, keine menschliche Gewalt soll mich aufhalten, ihrem geliebten Geist in eine bessere Welt zu folgen, wohin uns das Laster nicht folgen kann, unsere geheiligte Liebe zu beunruhigen!–Meine Standhaftigkeit schien, den Mut der Priesterin niederzuschlagen. Sie sagte mir endlich: Sie merkte sehr wohl, dafl ich trotzig darauf sei, dafl ich in meiner Gewalt habe, sie zu Grunde zu richten–ich kˆnnte tun, was ich wollte; nur sollte ich versichert sein, dafl ihr Psyche f¸r jeden Schritt antworten sollte, den ich machen w¸rde. Mit diesen Worten entfernte sie sich, und liefl mich in einem Zustande, dessen Abscheulichkeit, nach der Empfindung die ich davon hatte, abgemessen, ¸ber allen Ausdruck ging. Ich wuflte nun, dafl die Priesterin Mittel gefunden haben m¸sse, unser Geheimnis zu entdecken, und dafl der Blumen-Kranz ein Kunstgriff von ihrer Erfindung gewesen war. Nach dieser Niedertr‰chtigkeit war keine Bosheit so ungeheuer, deren ich diese Elende nicht f‰hig gehalten h‰tte. Ich besorgte nichts f¸r mich selbst, aber alles f¸r die arme Psyche, welche ich der Gewalt einer Nebenbuhlerin ¸berlassen muflte, ohne dafl mir alle meine Z‰rtlichkeit f¸r sie das Vermˆgen geben konnte, sie davon zu befreien.”

F‹NFTES KAPITEL

Agathon entfliehet von Delphi, und findet seinen Vater

“Nachdem ich etliche Tage in der grausamen Ungewiflheit, was aus meiner Geliebten geworden sein mˆchte, zugebracht hatte, erfuhr ich endlich von einer Sklavin der Pythia, welche ihre Freundin gewesen war, dafl sie nicht mehr in Delphi sei. Dieses war alle Nachricht, die ich von ihr ziehen konnte; aber es war genug, mir den Aufenthalt von Delphi unertr‰glich zu machen. Nunmehr bedacht’ ich mich keinen Augenblick, was ich tun wollte. Ich stahl mich in der n‰chsten Nacht hinweg, ohne um die Folgen eines so unbesonnenen Schrittes bek¸mmert zu sein; oder richtiger zu sagen, in einem Gem¸ts-Zustande, worin ich unf‰hig war, einige vern¸nftige ¸berlegung zu machen. Ich irrte eine Zeitlang an allen Orten herum, wo ich eine Spur von meiner Freundin zu entdecken hoffte; tˆricht genug mir einzubilden, dafl sie mich, wo sie auch sein mˆchte, durch die magische Gewalt der Sympathie unsrer Seelen nach sich ziehen werde. Aber meine Hoffnung betrog mich; niemand konnte mir die geringste Nachricht von ihr geben. Unempfindlich gegen alles Elend, welches ich auf dieser unsinnigen Wanderschaft erfahren muflte, f¸hlte ich keinen andern Schmerz als die Trennung von meiner Geliebten und die Ungewiflheit, was ihr Schicksal sei; ich w¸rde die Versicherung, dafl es ihr wohl gehe, gerne mit meinem Leben bezahlt haben. Endlich f¸hrte mich der Zufall oder eine mitleidige Gottheit nach Corinth. Die Sonne war eben untergegangen, als ich von den Beschwerlichkeiten der Reise, und einer Di‰t, deren ich nicht gewohnt war, ‰uflerst abgemattet, vor dem Hofe eines von den pr‰chtigen Landg¸tern ankam, welche die K¸sten des Corinthischen Meeres verschˆnern. Ich warf mich unter eine hohe Zypresse nieder, und verlor mich in den Vorstellungen der nat¸rlichen, und dennoch in der Hitze der Leidenschaft nicht vorhergesehenen Folgen meiner Flucht von Delphi. In der Tat war meine Situation f‰hig, den herzhaftesten Mut niederzuschlagen. In eine Welt ausgestoflen, worin mir alles fremd war, ohne Freunde, unwissend wie ich ein Leben werde erhalten kˆnnen, dessen Urheber mir nicht einmal bekannt war–warf ich traurige Blicke um mich her–die ganze Natur schien mich verlassen zu haben–auf dem weiten Umfang der m¸tterlichen Erde sah ich nichts, worauf ich einen Anspruch machen konnte als ein Grab, wenn mich die Last des Elends endlich aufgerieben haben w¸rde; und selbst dieses konnte ich nur von der Frˆmmigkeit irgend eines mitleidigen Wanderers hoffen. Diese melancholischen Gedanken wurden durch die Erinnerung meiner vergangnen Gl¸ckseligkeit, und durch das Bewufltsein, dafl ich mein Elend durch keine Bosheit des Herzens oder irgend eine entehrende ¸beltat verdient h‰tte, noch empfindlicher gemacht. Ich sah mit tr‰nenvollen Augen um mich her, als ob ich ein Wesen in der Natur suchen wollte, dem mein Zustand zu Herzen ginge. In diesem Augenblick erfuhr ich den wohlt‰tigen Einflufl dieser gl¸ckseligen Schw‰rmerei, welche die Natur dem empfindlichsten Teil der Sterblichen, zu einem Gegenmittel gegen die ¸bel, denen sie durch die Schw‰che ihres Herzens ausgesetzt sind, gegeben zu haben scheint. Ich wandte mich an die Unsterblichen, mit denen meine Seele schon so lange in einer Art von unsichtbarer Gemeinschaft gestanden war. Der Gedanke dafl sie die Zeugen meines Lebens, meiner Gedanken, meiner geheimsten Neigungen gewesen seien, gofl lindernden Trost in mein verwundetes Herz. Ich sahe meine geliebte Psyche unter ihre Fl¸gel gesichert. ‘Nein’, rief ich aus, ‘die Unschuld kann nicht ungl¸cklich sein, noch das Laster seine Absichten ganz erhalten! In diesem majest‰tischen All, worin Sph‰ren und Atomen sich mit gleicher Unterw¸rfigkeit nach den Winken einer weisen und wohlt‰tigen Macht bewegen, w‰r es Unsinn und Gottlosigkeit, sich einer entnervenden Kleinmut zu ¸berlassen.–Mein Dasein ist der Beweis, dafl ich eine Bestimmung habe. –Hab’ ich nicht eine Seele welche denken kann, und Gliedmaflen, welche ihr als Sklaven zur Ausrichtung ihrer Gedanken zugegeben sind?–Bin ich nicht ein Grieche? Und wenn mich mein Vaterland nicht erkennen will, bin ich nicht ein Mensch? Ist nicht die Erde mein Vaterland? Und gibt mir nicht die Natur ein unverlierbares Recht an Erhaltung und jedes wesentliche St¸ck der Gl¸ckseligkeit, sobald ich meine Kr‰fte anwende die Pflichten zu erf¸llen, die mich mit der Welt verbinden?’–Diese Gedanken besch‰mten meine Tr‰nen, und richteten mein Herz wieder auf. Ich fing an, die Mittel zu ¸berlegen, die ich in meiner Gewalt hatte, mich in bessere Umst‰nde zu setzen; als ich einen Mann von mittlerm Alter gegen mich herkommen sah, dessen Ansehen und Miene mir beim ersten Anblick Zutrauen und Ehrerbietung einflˆflten. Ich raffte mich sogleich vom Boden auf, und beschlofl mit mir selbst, ihn anzureden, ihm meine Umst‰nde zu entdecken, und mir seinen Rat auszubitten. Er kam mir zuvor.–‘Du scheinest vom Weg erm¸det zu sein, junger Fremdling’, sagte er zu mir, mit einem Ton, der ihm sogleich mein Herz entgegen wallen machte; ‘und da ich dich unter dem wirtschaftlichen Schatten meines Baumes gefunden habe, so hoffe ich, du werdest mir das Vergn¸gen nicht versagen, dich diese Nacht in meinem Hause zu beherbergen. ‘ Dieser Mann, den ich hieraus f¸r den Herrn des Hauses, welches ich vor mir sah, erkannte, betrachtete mich mit einer sonderbaren Aufmerksamkeit, indem ich ihm f¸r seine Leutseligkeit dankte, und mit einer Offenherzigkeit, welche von meiner wenigen Kenntnis der Welt zeugte, bekannte; dafl ich im Begriff gewesen sei, ihn um dasjenige zu ersuchen, was er mir auf eine so edle Art anbiete; nachdem ich durch einen Zufall in diese Gegenden, wo ich niemand kenne, geraten sei. Ich weifl nicht, was ihn zu meinem Vorteil einzunehmen schien; mein Aufzug wenigstens konnte es nicht sein; denn ich hatte, aus Sorge entdeckt zu werden, meine Delphische Kleidung gegen eine schlechtere vertauscht, welche auf meiner Wanderschaft ziemlich abgenutzt worden war. Er wiederholte mir wie angenehm es ihm sei, dafl mich der Zufall vielmehr ihm als einem seiner Nachbarn zugef¸hrt habe; und so folgte ich ihm in sein Haus, dessen Weitl‰ufigkeit, Bauart und Pracht einen Besitzer von groflem Reichtum und vielem Geschmack ank¸ndigte. Der Saal in dem wir zuerst abtraten, war mit Gem‰lden von den ber¸hmtesten Meistern, und mit einigen Bild-S‰ulen und Brust-Bildern vom Phidias und Alcamenes ausgeziert. Ich liebe wie dir bekannt ist, die Werke der schˆnen K¸nste bis zur Schw‰rmerei, und mein langer Aufenthalt in Delphi hatte mir einige Kenntnis davon gegeben. Ich bewunderte einige St¸cke, setzte an andern dieses oder jenes aus, nannte die K¸nstler, deren Hand oder Manier ich erkannte, und nahm Gelegenheit von andern Meisterst¸cken zu reden, die mir von ihnen bekannt waren. Ich bemerkte, dafl mein Wirt mich mit Verwunderung von neuem betrachtete, und so aussah, als ob er betroffen w‰re, einen jungen Menschen, den er in einem so wenig versprechenden Aufzug unter einem Baum liegend gefunden, mit so vieler Kenntnis von K¸nsten sprechen zu hˆren, von denen gemeiniglich nur Leute von Stand und Vermˆgen im Ton der Kenner zu reden pflegen. Nach einer kleinen Weile wurde gemeldet, dafl das Abend-Essen aufgetragen sei. Er f¸hrte mich hierauf in einen kleinen Saal, dessen Mauern von einem der besten Sch¸ler des Parrhasius mit Wasser-Farben niedlich ¸bermalt waren. Wir speiseten ganz allein. Die Tafel, das Ger‰te, die Aufw‰rter, alles stimmte mit dem Begriff ¸berein, den ich mir bereits von dem Geschmack und dem Stande des Haus-Herrn gemacht hatte. Unter dem Essen trat ein junger Mensch von feinem Ansehen und zierlich gekleidet, auf, und rezitierte ein Stuck aus der Odyssee mit vieler Geschicklichkeit. Mein Wirt sagte mir, dafl er bei Tische diese Art von Gem¸ts-Ergˆtzung den T‰nzerinnen und Flˆtenspielerinnen vorzˆge, womit man sonst bei den Tafeln der Griechen sich zu unterhalten pflege. Das Lob das ich seinem Leser beilegte, gab zu einem Gespr‰ch ¸ber die beste Art zu rezitieren, und ¸ber die Griechischen Dichter Anlafl, wobei ich meinem Wirte abermal Gelegenheit gab, zu stutzen, und mich immer aufmerksamer, und wie mich deuchte, mit einer Art von z‰rtlicher Gem¸ts-Bewegung anzusehen. Er sah dafl ich es gewahr wurde, und sagte mir hierauf, dafl mich die Verwunderung womit er mich von Zeit zu Zeit betrachtete, weniger befremden w¸rde, wenn ich die auflerordentliche ‰hnlichkeit meiner Gesichts-Bildung und Miene mit einer Person, welche er ehmals gekannt habe, wiflte; ‘doch du sollst selbst hievon urteilen’, setzte er hinzu, und hierauf fing er an von andern Dingen zu reden, bis der Wein und die Fr¸chte aufgestellt wurden. Bald darauf stunden wir auf, und nachdem wir eine Weile in einer langen Galerie, die auf einer doppelten Reihe Corinthischer S‰ulen von buntem Marmor ruhte, und pr‰chtig erleuchtet war, auf und abgegangen waren, f¸hrte er mich in ein Cabinet, worin ein Schreibtisch, ein B¸chergestell, einige Polster, und ein Gem‰lde in Lebensgrˆfle auf welches ich nicht gleich acht gab, alle Mˆbeln und Zierraten ausmachten. Er hiefl mich niedersetzen, und nachdem er das Bildnis, welches ihm gegen¸ber hing, eine ziemliche Weile mit Bewegung angesehen hatte, redete er mich also an: ‘Deine Jugend, liebensw¸rdiger Fremdling, die Art wie sich unsere Bekanntschaft angefangen, die Eigenschaften die ich in dieser kurzen Zeit an dir entdeckt, und die Zuneigung die ich in meinem Herzen f¸r dich finde, rechtfertigen mein Verlangen, von deinem Namen, und von den Umst‰nden benachrichtiget zu sein, welche dich in einem solchen Alter von deiner Heimat entfernt und in diese fremde Gegenden gef¸hrt haben kˆnnen. Es ist sonst meine Gewohnheit nicht, mich beim ersten Anblick f¸r jemand einzunehmen. Aber bei deiner Erblickung hab ich einem geheimen Reiz, der mich gegen dich zog nicht widerstehen kˆnnen; und du hast in diesen wenigen Stunden meine voreilige Neigung so sehr gerechtfertiget, dafl ich mir selbst Gl¸ck w¸nsche, ihr Gehˆr gegeben zu haben. Befriedige also mein Verlangen, und sei versichert, dafl die Hoffnung, dir vielleicht n¸tzlich sein zu kˆnnen, weit mehr Anteil daran hat, als ein unbescheidener Vorwitz. Du siehest einen Freund in mir, dem du dich, ungeachtet der kurzen Dauer unsrer Bekanntschaft, mit allem Zutrauen eines langwierigen und bew‰hrten Umgangs entdecken darfst.’ Ich wurde durch diese Anrede so sehr ger¸hrt, dafl sich meine Augen mit Tr‰nen f¸llten–ich glaube, dafl er darin lesen konnte was ihm mein Herz antwortete, ob ich gleich eine Weile keine Worte finden konnte. Endlich sagte ich ihm, dafl ich von Delphi k‰me; dafl ich daselbst erzogen worden; dafl man mich Agathon genennt h‰tte; dafl ich niemalen habe entdecken kˆnnen, wem ich das Leben zu danken habe; und dafl alles was ich davon wisse, dieses sei, dafl ich in einem Alter von vier oder f¸nf Jahren in den Tempel gebracht, mit andern Knaben, welche man dem Dienst des Gottes zu Delphi gewidmet, erzogen, und nachdem ich zu mehrern Jahren gekommen, von den Priestern mit einer vorz¸glichen Achtung angesehen, und in allem was zur Erziehung eines freigebornen Griechen erfordert werde, ge¸bet worden sei. Stratonicus (so wurde mein Wirt genannt) hatte w‰hrend dafl ich dieses sagte, M¸he sich ruhig zu halten; sein Gesicht ver‰nderte sich; er wollte anfangen zu reden, schien sich aber wieder anders zu bedenken, und ersuchte mich nur, ihm zu sagen, warum ich Delphi verlassen h‰tte. So nat¸rlich die Aufrichtigkeit sonst meinem Herzen war, so konnte ich doch dieses mal unmˆglich ¸ber die Bedenklichkeiten hinaus kommen, welche mir ¸ber meine Liebe zu Psyche den Mund verschlossen. Einem Freunde von meinen Jahren, f¸r den ich mein Herz eben so eingenommen gefunden h‰tte, als f¸r den Stratonicus, w¸rde ich das Innerste meines Herzens ohne Bedenken aufgeschlossen haben, so bald ich h‰tte vermuten kˆnnen, dafl er meine Empfindungen zu verstehen f‰hig sei: Aber hier hielt mich etwas zur¸ck, davon ich mir selbst die Ursache nicht recht angeben konnte. Ich schob also die ganze Schuld meiner Entweichung von Delphi auf die Pythia, indem ich ihm so ausf¸hrlich, als es meine jugendliche Schamhaftigkeit gestatten wollte, von den Versuchungen, in welche sie meine Tugend gef¸hrt hatte, Nachricht gab. Er schien sehr wohl mit meiner Auff¸hrung zufrieden, und nachdem ich meine Erz‰hlung bis auf den Augenblick, wo ich ihn zuerst erblickt, und dasjenige was ich sogleich f¸r ihn empfunden, fortgef¸hrt; stund er mit einer lebhaften Bewegung auf, warf seine Arme um meinen Hals, und sagte mit Tr‰nen der Freude und Z‰rtlichkeit in seinen Augen:–‘Mein liebster Agathon, siehe deinen Vater–hier’, setzte er hinzu, indem er mich sanft umwendete, und auf das Gem‰lde wies, welchem ich bisher den R¸cken zugekehrt hatte,–‘hier, in diesem Bilde, erkenne die Mutter, deren geliebte Z¸ge mich beim ersten Anblick in deiner Gesichts-Bildung ger¸hrt, und diese Bewegung erregt haben, die ich nun f¸r die Stimme der Natur erkenne.’

Du kennest mich zu gut, liebensw¸rdige Danae, um dir meine Empfindungen in diesem Augenblicke nicht lebhafter einzubilden, als ich sie beschreiben kˆnnte. Solche Augenblicke sind keiner Beschreibung f‰hig; f¸r solche Freuden hat die Sprache keine Namen, die Natur keine Bilder, und die Phantasie selbst keine Farben.–Das Beste ist, zu schweigen, und den Zuhˆrer seinem eigenen Herzen zu ¸berlassen. Mein Vater schien durch meine Entz¸ckung, welche sich lange Zeit nur durch Tr‰nen und sprachlose Umarmungen und abgebrochene Tˆne der z‰rtlichsten Regungen, deren die Natur f‰hig ist, ausdr¸cken konnte, doppelt gl¸cklich zu sein. Das Vergn¸gen, womit er mich f¸r seinen Sohn erkannte, schien ihn selbst wieder in die gl¸cklichsten Augenblicke seiner Jugend zu versetzen, und Erinnerungen wieder aufzuwecken, denen mein Anblick ein neues Leben gab. Da er nat¸rlicher Weise voraussetzen konnte, dafl ich begierig sein werde, die Ursachen zu wissen, welche meinen Vater, der mich mit so vielem Vergn¸gen f¸r seinen Sohn erkannte, hatten bewegen kˆnnen, mich so viele Jahre von sich verbannt zu halten; so gab er mir hier¸ber alle Erl‰uterungen, die ich nur w¸nschen konnte, durch eine umst‰ndliche Erz‰hlung der Geschichte seiner Liebe zu meiner Mutter. Seine Bekanntschaft mit ihr hatte sich zuf‰lliger Weise in einem Alter angefangen, worin er noch g‰nzlich unter der v‰terlichen Gewalt stund. Sein Vater war das Haupt eines von den edelsten Geschlechtern in Athen. Meine Mutter war sehr jung, sehr schˆn, und eben so tugendhaft als schˆn, unter der Aufsicht einer alten Frau, die sich ihre Mutter nannte, dahin gekommen. Die strenge Eingezogenheit, worin sie sehr k¸mmerlich von ihrer Hand-Arbeit lebte, verwahrte die junge Musarion vor den Augen und vor den Nachstellungen der m‰fligen reichen J¸nglinge, welche gewohnt sind, junge M‰dchen, die keinen andern Schutz als ihre Unschuld, und keinen andern Reichtum als ihre Reizungen haben, f¸r ihre nat¸rliche Beute anzusehen. Dem ungeachtet konnte sie nicht verhintern, durch einen Zufall, den ich ¸bergehen will, meinem Vater bekannt zu werden, welcher sich durch seine gesittete und bescheidene Lebens-Art von den meisten jungen Atheniensern seiner Zeit unterschied. Sein tugendhafter Charakter konnte ihn nicht verwahren, von den Reizungen der jungen Musarion ger¸hrt zu werden; aber er machte, dafl seine Liebe die Eigenschaft seines Charakters annahm. Sie war tugendhaft, bescheiden, und eben dadurch st‰rker und dauerhafter. Sein Stand, sein guter Ruf und sein zur¸ckhaltendes Betragen gegen den unschuldigen Gegenstand seiner Liebe gaben zusammengenommen einen Beweg-Grund ab, der die Nachsicht entschuldigen konnte, womit die Alte seine geheime Besuche duldete, ob sie gleich immer h‰ufiger wurden. Nichts kann nat¸rlicher sein, als dasjenige, was man liebt, dem Mangel nicht ausgesetzt sehen zu kˆnnen; aber nichts ist auch in den Augen der Welt zweideutiger, als die Freigebigkeit eines jungen Menschen gegen eine junge Person, welche das Ungl¸ck hat, durch ihre Annehmlichkeiten den Neid, und durch ihre Armut die Verachtung des groflen Haufens zu erregen. Man kann sich nicht bereden, dafl in einem solchen Fall derjenige, welcher gibt, nicht eigenn¸tzige Absichten habe; oder diejenige, welche annimmt, ihre Dankbarkeit nicht auf Unkosten ihrer Unschuld beweise. Stratonicus gebrauchte deswegen die ‰uflerste Vorsichtigkeit, um die Wohltaten, womit er diese kleine Familie von Zeit zu Zeit unterst¸tzte, vor aller Welt und vor ihnen selbst zu verbergen. Allein sie entdeckten doch zuletzt ihren unbekannten Wohlt‰ter; und diese neue Proben seiner edelm¸tigen Sinnes-Art vollendeten den Eindruck, den er schon lange auf das unerfahrne Herz der z‰rtlichen Musarion gemacht hatte, und gewannen es ihm g‰nzlich. Niemals w¸rde die Liebe von der z‰rtlichsten Gegenliebe erwidert, zwei Herzen gl¸cklicher gemacht haben, wenn die Umst‰nde der jungen Schˆnen einer gesetzm‰fligen Vereinigung nicht Schwierigkeiten in den Weg gelegt h‰tten, welche ein jeder anderer als ein Liebhaber f¸r un¸berwindlich gehalten h‰tte. Endlich war Stratonicus so gl¸cklich, zu entdecken, dafl seine Geliebte w¸rklich eine Atheniensische B¸rgerin sei, die Tochter eines zwar armen, aber rechtschaffenen Mannes, welcher im Pelopponesischen Kriege sein Leben auf eine r¸hmliche Art verloren hatte. Nunmehr wagte er es, seinem Vater das Geheimnis seiner Liebe zu entdecken; er wandte alles an, seine Einwilligung zu erhalten; aber der Alte, welcher alle Reizungen und alle Tugenden der jungen Musarion f¸r keinen genugsamen Ersatz des Reichtums, der ihr fehlte, ansah, blieb unerbittlich. Stratonicus liebte zu inbr¸nstig, um dem Befehl, nicht weiter an seine Geliebte zu denken, gehorsam zu sein; er w¸rde sich selbst f¸r den Unw¸rdigsten unter den Menschen gehalten haben, wenn er f‰hig gewesen w‰re, ihr nur das Wenigste von seinen Empfindungen zu entziehen. Die Widerw‰rtigkeiten und Hinternisse, womit seine Liebe k‰mpfen muflte, taten vielmehr die W¸rkung, welche sie in einem solchen Falle bei edeln und wahrhaftig eingenommenen Gem¸tern allemal tun werden; sie konzentrierten das Feuer ihrer gegenseitigem Zuneigung, und bliesen eine Flamme, welche, so lange sie von Hoffnung gen‰hrt wurde, drei Jahre lang sanft und rein fortgebrannt hatte, zu der heftigsten Leidenschaft an. Das Herz erm¸det endlich durch den langen Kampf mit seinen s¸flesten Regungen; es verliert die Kraft zu widerstehen; und je l‰nger es unter den Qualen einer zugleich verfolgten und unbefriedigten Liebe geseufzet hat, je heftiger sehnet es sich nach einer Gl¸ckseligkeit, wovon ein einziger Augenblick genugsam ist, das Andenken aller ausgestandenen Leiden auszulˆschen, das Gef¸hl der gegenw‰rtigen zu ersticken, und die Augen, von der s¸flen Trunkenheit der gl¸cklichen Liebe benebelt, gegen alle k¸nftige Not blind zu machen. Aufler diesem hatte Musarion noch den Beweg-Grund einer Dankbarkeit, von deren dr¸ckender Last ihr Herz sich zu erleichtern suchte. Kurz: Sie schwuren einander eine ewige Treue, ¸berlieflen sich dem sympathetischen Verlangen ihres Herzens, und bedienten sich der Gewalt, die ihnen die Liebe gab, einander gl¸cklich zu machen. Die Gl¸ckseligkeit, welche eines dem andern zu danken hatte, unterhielt und befestigte die z‰rtliche Vereinigung ihrer Herzen, anstatt sie zu schw‰chen oder gar aufzulˆsen; denn noch niemals ist der Genufl das Grab der wahren Z‰rtlichkeit gewesen. Ich, schˆne Danae, war die erste Frucht ihrer Liebe. Gl¸cklicher Weise fiel meinem Vater eben damals durch den letzten Willen eines Oheims ein kleines Vorwerk auf einer von den Insuln zu, welche unter der Botm‰fligkeit der Athenienser stehen. Dieses muflte meiner Mutter zur Zuflucht dienen; ich wurde daselbst geboren, und genofl drei Jahre lang ihrer eigenen Pflege; bis sie mir durch eine Schwester entzogen wurde, deren Leben der liebensw¸rdigen Musarion das ihrige kostete. Stratonicus hatte inzwischen manchen Versuch gemacht, das Herz seines Vaters zu erweichen; aber allemal vergebens. Es blieb ihm also nichts ¸brig, als seine Verbindung mit meiner Mutter und die Folgen derselben geheim zu halten. Ihr fr¸hzeitiger Tod vernichtete die Entw¸rfe von Gl¸ckseligkeit, die er f¸r die Zukunft gemacht hatte, ohne die z‰rtliche Treue, die er ihrem Andenken widmete, zu schw‰chen. Die Sorge f¸r das, was ihm von ihr ¸brig geblieben war, hielt ihn zur¸ck, sich einer Traurigkeit vˆllig zu ¸berlassen, welche ihn lange Zeit gegen alle Freuden des Lebens gleichg¸ltig, und zu allen Besch‰ftigungen desselben verdrossen machte. Der Tempel zu Delphi schien ihm der tauglichste Ort zu sein, mich zu gleicher Zeit zu verbergen, und einer guten Erziehung teilhaft zu machen. Er hatte Freunde daselbst, denen ich besonders empfohlen wurde, mit dem gemessensten Auftrag, mich in einer g‰nzlichen Unwissenheit ¸ber meinen Ursprung zu lassen. Sein Vorsatz war, so bald der Tod seines Vaters ihn zum Meister ¸ber sich selbst und seine G¸ter gemacht haben w¸rde, mich von Delphi abzuholen, und nach Athen zu bringen, wo er so dann seine Verbindung mit meiner Mutter bekannt machen, und mich ˆffentlich f¸r seinen Sohn und Erben erkl‰ren wollte. Aber dieser Zufall erfolgte erst wenige Monate vor meiner Flucht, und seit demselben hatten ihn dringendere Gesch‰fte genˆtigt, meine Abholung aufzuschieben.

Nachdem mein Vater diese Erz‰hlung geendigt hatte, liefl er einen alten Freigelassenen zu sich rufen, und fragte ihn: Ob er den kleinen Agathon kenne, den er vor vierzehn Jahren dem Schutz des Delphischen Apollo ¸berliefert habe? Der gute Alte, dessen Z¸ge mir selbst nicht unbekannt waren, erkannte mich desto leichter, da er binnen dieser Zeit von meinem Vater etliche male nach Delphi abgeschickt worden war, sich meines Wohlbefindens zu erkundigen. Nunmehr wurde in wenigen Augenblicken das ganze Haus mit allgemeiner Freude erf¸llt; die Zufriedenheit meines Vaters ¸ber mich, und das Vergn¸gen, womit alle seine Haus-Genossen mich, als den einzigen Sohn ihres Herrn, bewillkommten, machte die Freude vollkommen, die ich bei einem so unverhofften und plˆtzlichen ¸bergang von dem Elend eines sich selbst unbekannten, nackten und allen Zuf‰llen des Schicksals preis gegebenen Fl¸chtlings zu einem so blendenden Gl¸cks-Stand notwendig empfinden muflte. Blendend h‰tte er wenigstens f¸r manchen andern sein kˆnnen, der durch die Art seiner Erziehung weniger als ich vorbereitet gewesen w‰re, einen solchen Wechsel mit Bescheidenheit zu ertragen. Inzwischen bin ich mir selbst die Gerechtigkeit schuldig, zu sagen, dafl die Versicherung, ein B¸rger von Athen, und durch meine Geburt und die Tugend meiner Voreltern zu Verdiensten und schˆnen Taten berufen zu sein, mir ungleich mehr Vergn¸gen machte, als der Anblick der Reicht¸mer, welche die G¸tigkeit meines Vaters mit mir zu teilen so begierig war, und welche in meinen Augen nur dadurch einen Wert erhielten, weil sie mir das Vermˆgen zu Leben schienen, desto freier und vollkommener nach den Grund-S‰tzen, die ich eingezogen hatte, leben zu kˆnnen. Ich unterhielt mich nun mit einer neuen Art von Tr‰umen, welche durch ihre Beziehung auf meine neu entdeckten Verh‰ltnisse f¸r mich so wichtig, als durch ihre Ausf¸hrung eben so viele Wohltaten f¸r das menschliche Geschlecht zu sein schienen. Ich machte Entw¸rfe, wie die erhabenen Lehr-S‰tze meiner idealischen Sitten-Lehre auf die Einrichtung und Verwaltung eines gemeinen Wesens angewendet werden kˆnnten. Diese Betrachtungen, welche einen guten Teil meiner N‰chte wegnahmen, erf¸llten mich mit dem lebhaftesten Eifer f¸r ein Vaterland, welches ich nur aus Geschichtschreibern kannte; ich zeichnete mir selbst, auf den Fuflstapfen der Solons und Aristiden, einen Weg aus, bei welchem ich an keine andere Hinternisse dachte, als solche, die durch Mut und Tugend zu ¸berwinden sind. Dann setzte ich mich in meinen patriotischen Entz¸ckungen an das Ende meiner Laufbahn, und sah in Athen, nichts geringers als die Hauptstadt der Welt, die Gesetzgeberin der Nationen, die Mutter der Wissenschaften und K¸nste, die Kˆnigin des Meers, den Mittelpunkt der Vereinigung des ganzen menschlichen Geschlechts.–Kurz, ich machte ungef‰hr eben so schim‰rische, und eben so ungeheure Projekte, als Alcibiades; aber mit dem wesentlichen Unterscheid, dafl ein von G¸te und allgemeiner Wohlt‰tigkeit beseeltes Herz die Quelle der meinigen war. Sie hatten noch dieses Besondere, dafl ihre Ausf¸hrung, (die moralische Mˆglichkeit derselben vorausgesetzt,) keiner Mutter eine Tr‰ne, und keinem Menschen in der Welt mehr, als die Aufopferung seiner Vorurteile, und solcher Leidenschaften, welche die Ursachen alles Privat-Elends sind, gekostet h‰tten. Ihre Ausf¸hrung schien mir, weil ich mir die Hinternisse nur einzeln, und nicht in ihrem Zusammenhang und vereinigtem Gewichte vorstellte, so leicht zu sein, dafl ich nur allein dar¸ber verwundert war, dafl ein Perikles unter den kleinf¸gigen Bem¸hungen Athen zur Meisterin von Griechenland zu machen, habe ¸bersehen kˆnnen, wie viel leichter es sei, es zum Tempel eines ewigen Friedens und der allgemeinen Gl¸ckseligkeit der Welt zu machen. Diese schˆnen Spekulationen gaben etliche mal den Stoff zu den Unterredungen ab, womit ich meinem Vater des Abends die Zeit zu verk¸rzen pflegte. Die Lebhaftigkeit meiner Einbildungskraft schien ihn eben so sehr zu belustigen, als sein Herz, dessen Ebenbild er in dem meinigen erkannte, sich an den tugendhaften Gesinnungen vergn¸gte, welche er, wie ich selbst, (vielleicht beide ein wenig zu parteiisch) f¸r die Triebfedern meiner politischen Tr‰ume hielt. Alles, was er mir von den Schwierigkeiten ihrer Ausf¸hrung, die er mit der Quadratur des Zirkels in eine Klasse setzte, sagen konnte, ¸berzeugte mich so wenig, als einen Verliebten die Einwendungen eines Freundes, der bei kaltem Blut ist, ¸berzeugen werden. Ich hatte eine Antwort f¸r alle; und dieser neue Schwung, den mein Enthusiasmus bekommen hatte, wurde bald so stark, dafl ich es kaum erwarten konnte, mich in Athen, und in Umst‰nden zu sehen, wo ich die erste Hand an dieses grofle Werk, wozu ich gewidmet zu sein glaubte, legen kˆnnte.”

SECHSTES KAPITEL

Agathon kommt nach Athen, und widmet sich der Republik. Eine Probe der besondern Natur desjenigen Windes, welcher vom Horaz aura popularis genennet wird

“Mein Vater hielt sich nur so lange zu Corinth auf, als es seine Gesch‰fte erfoderten, und eilte selbst, mich so bald es nur mˆglich war, in dieses Athen zu versetzen, welches sich meiner verschˆnernden Einbildung in einem so herrlichen Lichte darstellte. Ich gestehe dir, Danae, (und hoffe, die fromme Pflicht gegen meine Vaterstadt nicht dadurch zu beleidigen) dafl der erste Anblick mit dem was ich erwartete einen starken Absatz machte. Mein Geschmack war zu sehr verwˆhnt, um das Mittelm‰flige, worin es auch sein mˆchte, ertr‰glich zu finden; er wollte gleichsam alles in diese feine Linie eingeschlossen sehen, in welcher das Erhabene mit dem Schˆnen zusammenflieflt; und wenn er diese Vollkommenheit an einzelnen Teilen gewahr wurde, so wollte er, dafl alle zusammenstimmen, und ein sich selbst durchaus ‰hnliches, symmetrisches Ganzes ausmachen sollten. Von diesem Grade der Schˆnheit war Athen, so wie vielleicht eine jede andere Stadt in der Welt, noch weit entfernt; indessen hatte sie doch der gute Geschmack und die Verschwendung des Pericles, mit H¸lfe der Phidias, der Alcamenen, und andrer grofler Meister, in einen solchen Stand gestellt, dafl sie mit den pr‰chtigsten St‰dten des politesten Teils der Welt um den Vorzug streiten konnte; und ich hielt mit Recht davor, dafl die Erg‰nzung und Vollendung dessen, was ihr von dieser Seite noch abging, der leichteste Teil meiner Entw¸rfe, und eine nat¸rliche Folge derjenigen Veranstaltungen sein werde, welche sie, meiner Einbildung nach, zum Mittelpunkt der St‰rke, und der Reicht¸mer des ganzen Erdbodens machen sollten.

Sobald wir in Athen angekommen waren, liefl mein Vater seine erste Sorge sein, mich auf eine gesetzm‰flige und ˆffentliche Art f¸r seinen Sohn erkennen, und unter die Atheniensischen B¸rger aufnehmen zu lassen. Dieses machte mich eine Zeit lang zu einem Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Die Athenienser sind, wie dir nicht unbekannt ist, mehr als irgend ein anders Volk in der Welt geneigt, sich plˆtzlich mit der ‰uflersten Lebhaftigkeit f¸r oder wider etwas einnehmen zu lassen. Ich hatte das Gl¸ck, ihnen beim ersten Anblick zu gefallen; die Begierde mich zu sehen, und Bekanntschaft mit mir zu machen, wurde eine Art von epidemischer Leidenschaft unter Jungen und Alten; jene machten in kurzem einen gl‰nzenden Hof um mich, und diese faflten Hoffnungen von mir, welche mich, ohne es an mir selbst gewahr zu werden, mit einem geheimen Stolz erf¸llten, und die allzuhochfliegende Meinung, die ich ohnehin geneigt war, von meiner Bestimmung zu fassen, best‰tigten. Dieser subtile Stolz, der sich hinter meinen besten Neigungen und tugendhaftesten Gesinnungen verbarg, und dadurch meinem Bewufltsein sich entzog, benahm mir nichts von einer Bescheidenheit, wodurch ich vor den meisten jungen Leuten meiner Gattung mich zu unterscheiden schien; und ich gewann dadurch, nebst der allgemeinen Achtung des geringern Teils des Volkes, den Vorteil, dafl die Vornehmsten, die Weisesten und Erfahrensten mich gerne um sich haben mochten, und mir durch ihren Umgang eine Menge besondere Kenntnisse mitteilten, welche mir bei meinem fr¸hzeitigen Auftritt in der Republik sehr wohl zu statten kamen. Die Reinigkeit meiner Sitten, der gute Gebrauch, den ich von meiner Zeit machte, der Eifer, womit ich mich zum k¸nftigen Dienst meines Vaterlandes vorbereitete, die fleiflige Besuchung der Gymnasien, und der Preis, den ich in den ¸bungen von den mehresten meines Alters davon trug: Alles dieses vereinigte sich, das g¸nstige Vorurteil zu unterhalten, welches man einmal f¸r mich gefaflt hatte; und da mir noch die Verdienste meines Vaters, und einer langen Reihe von Voreltern den Weg zur Republik bahnten; so ist es nicht zu verwundern, dafl ich in einem Alter, worin die meisten J¸nglinge nur mit ihren Vergn¸gungen besch‰ftiget sind, den Mut hatte, in den ˆffentlichen Versammlungen aufzutreten, und das Gl¸ck, mit einem Beifall aufgenommen zu werden, welcher mich in Gefahr setzte, eben so schnell, als ich empor gehoben wurde, so wohl durch meine eigene Vermessenheit, als durch den Neid meiner Nebenbuhler wieder gest¸rzt zu werden.

Die Beredsamkeit ist in Athen, und in allen Freistaaten, wo das Volk Anteil an der ˆffentlichen Verwaltung hat, der n‰chste Weg zu Ehrenstellen, und das gewisseste Mittel sich auch ohne dieselben Ansehen und Einflufl zu verschaffen. Ich liefl es mir also sehr angelegen sein, die Geheimnisse einer Kunst zu studieren, von deren Aus¸bung und dem Grade der Geschicklichkeit, den ich mir darin erwerben w¸rde, die gl¸ckliche Ausf¸hrung aller meiner Entw¸rfe abzuh‰ngen schien. Denn wenn ich bedachte, wozu Perikles und Alcibiades die Athenienser zu bereden gewuflt hatten: So zweifelte ich keinen Augenblick, dafl ich sie mit einer gleichen Geschicklichkeit zu Maflnehmungen w¸rde ¸berreden kˆnnen, welche, auflerdem, dafl sie an sich selbst edler waren, zu weit gl‰nzendern Vorteilen f¸hrten, ohne so ungewifl und gef‰hrlich zu sein. In dieser Absicht besuchte ich die Schule des Platons, welcher damals zu Athen in seinem grˆflesten Ansehen stund, und indem er die Weisheit des Socrates mit der Beredsamkeit eines Gorgias und Prodicus vereinigte, nach dem Urteil meiner alten Freunde, weit geschickter, als diese Wortk¸nstler, war, einen Redner zu bilden, der vielmehr durch die St‰rke der Wahrheit, als durch die Blendwerke und Kunstgriffe einer hinterlistigen Dialektik sich die Gem¸ter seiner Zuhˆrer unterwerfen wollte. Der vertrautere Zutritt, den mir dieser ber¸hmte Weise vergˆnnte, entdeckte eine ¸bereinstimmung meiner Denkungsart mit seinen Grunds‰tzen, welche die Freundschaft, die ich f¸r ihn faflte, in eine fast schw‰rmerische Leidenschaft verwandelte. Sie w¸rde mir sch‰dlich gewesen sein, wenn man damals schon so von ihm gedacht h‰tte, wie man dachte, nachdem er, durch die Bekanntmachung seiner metaphysischen Dialogen, bei den Staatsleuten, und selbst bei vielen, welche seine Bewundrer gewesen waren, den Vorwurf, welchen Aristophanes ehemals (wiewohl hˆchst unbillig) dem weisen Socrates gemacht, sich mit besserm Grund oder mehr Scheinbarkeit zugezogen hatte. Aber damals hatte Plato weder seinen ‘Tim‰us’ noch seine ‘Republik’ geschrieben. Indessen existierte diese letztere doch bereits in seinem Gehirne; sie gab sehr oft den Stoff zu unsern Gespr‰chen in den Spazierg‰ngen der Akademie ab; und er bem¸hete sich desto eifriger, mir seine Begriffe von der besten Art, die menschliche Gesellschaft einzurichten, und zu regieren, eigen zu machen, da er das Vergn¸gen zu haben hoffte, sie wenigstens in so fern es die Umst‰nde zulassen w¸rden, durch mich realisiert zu sehen. Sein Eifer in diesem St¸cke mag so grofl gewesen sein, als er will, so war er doch gewifl nicht grˆfler, als meine Begierde, dasjenige auszu¸ben, was er spekulierte. Allein, da meine Vorstellung von der Wichtigkeit der Pflichten, welche derjenige auf sich nimmt, der sich in die ˆffentlichen Angelegenheiten mischet, der Lauterkeit und innerlichen G¸te meiner Absichten proportioniert war, und ich desto weiter von Ehrsucht, und andern eigenn¸tzigen Leidenschaften entfernt zu sein glaubte, je gewisser ich mir bewuflt war, dafl ich (wenn ich es f¸r erlaubt gehalten h‰tte, mich in der Wahl einer Lebensart blofl meiner Privatneigung zu ¸berlassen,) eine von dem St‰dtischen Get¸mmel entfernte Mufle, und den Umgang mit den Musen, die ich alle zugleich liebte, der Ehre, eine ganze Welt zu beherrschen, vorgezogen h‰tte: So glaubte ich mich nicht genug vorbereiten zu kˆnnen, eh ich auf einem Theater erschiene, wo der erste Auftritt gemeiniglich das Gl¸ck des ganzen Schauspiels entscheidet. Ich widerstund bei etlichen Gelegenheiten, welche mich aufzufodern schienen, so wohl dem Zudringen meiner Freunde, als meiner eigenen Neigung, ob es gleich, seit dem Alcibiades mit so gutem Erfolg den Anfang gemacht hatte, nicht an jungen Leuten fehlte, welche, ohne sich durch andre Talente, als die Geschicklichkeit ein Gastmahl anzuordnen, sich zierlich zu kleiden, zu tanzen, und die Cithar zu spielen, bekannt gemacht zu haben, vermessen genug waren, nach einer durchgeschw‰rmten Nacht aus den Armen einer Buhlerin in die Versammlung des Volks zu h¸pfen, und von Salben triefend mit einer t‰ndelhaften Geschw‰tzigkeit von den Gebrechen des Staats, und den Fehlern der ˆffentlichen Verwaltung zu plaudern.

Endlich ereignete sich ein Fall, wo das Interesse eines Freundes, den ich vorz¸glich liebte, alle meine Bedenklichkeiten ¸berwog. Eine m‰chtige Kabale hatte seinen Untergang geschworen; er war unschuldig; aber die Anscheinungen waren gegen ihn; die Gem¸ter waren wider ihn eingenommen; und die Furcht, sich den Unwillen seiner Feinde zu zuziehen, hielt die wenigen, welche besser von ihm dachten, zur¸ck, sich seiner ˆffentlich anzunehmen. In diesen Umst‰nden stellte ich mich als sein Verteidiger dar. Da ich von seiner Unschuld ¸berzeugt war, so w¸rkten alle diese Betrachtungen, wodurch sich seine ¸brigen Freunde abschrecken lieflen, bei mir gerade das Widerspiel. Ganz Athen wurde aufmerksam, da es bekannt wurde, dafl Agathon, des Stratonicus Sohn, auftreten w¸rde, die Sache des schon zum voraus verurteilten Lysias zu f¸hren. Die Zuneigung, welche das Volk zu mir trug, ver‰nderte auf einmal die Meinung, die man von dieser Sache gefaflt hatte; die Athenienser fanden eine Schˆnheit, von der sie ganz bezaubert waren, in der Groflmut und Herzhaftigkeit, womit ich (wie sie sagten) mich f¸r einen Freund erkl‰rte, den alle Welt verlassen und der Wut und ¸bermacht seiner Feinde preis gegeben hatte. Man tat nun die eifrigsten Gel¸bde, dafl ich den Sieg davon tragen mˆchte, und der Enthusiasmus, womit einer den andern ansteckte, wurde so grofl, dafl die Gegenpartei sich genˆtigt sah, den Tag der Entscheidung so weit hinauszusetzen, als sie f¸r nˆtig hielten, um die erhitzten Gem¸ter sich wieder abk¸hlen zu lassen. Sie sparten inzwischen keine Kunstgriffe, wodurch sie sich des Ausgangs zu versichern glaubten; allein der Erfolg vereitelte alle ihre Maflnehmungen. Die Zujauchzungen, womit ich von einem groflen Teil des Volkes empfangen wurde, munterten mich auf; ich sprach mit einem gesetztern Mut, als man sonst von einem jungen Menschen erwarten konnte, der zum ersten mal vor einer so zahlreichen Versammlung redete; und vor einer Versammlung, wo der geringste Handwerksmann sich f¸r einen Kenner und rechtm‰fligen Richter der Beredsamkeit hielt. Die Wahrheit tat auch hier die W¸rkung, die sie alle mal tut, wenn sie in ihrem eigenen Lichte und mit derjenigen Lebhaftigkeit, welche die eigene ¸berzeugung des Redners gibt, vorgetragen wird; sie ¸berw‰ltigte alle Gem¸ter. Lysias wurde losgesprochen, und Agathon, der nunmehr der Held der Athenienser war, im Triumph nach Hause begleitet. Von dieser Zeit erschien ich ˆfters in den ˆffentlichen Versammlungen; die Leidenschaft, welche das Volk f¸r mich gefaflt hatte, und der Beifall, der mir, wenn ich redete, entgegen flog, machten mir Mut, nun auch an den allgemeinen Angelegenheiten Teil zu nehmen; und da das Gl¸ck beschlossen zu haben schien, mich nicht eher zu verlassen, bis es mich auf den Gipfel der Republikanischen Grˆfle erhoben haben w¸rde; so machte ich auch in dieser neuen Lauf-Bahn so schnelle Schritte, dafl in kurzem die Gunst, worin ich bei dem Volk stund, das Ansehen der M‰chtigsten zu Athen im Gleichgewicht erhielt; und dafl meine heimlichen Feinde selbst, um dem Volk angenehm zu sein, genˆtigt waren, ˆffentlich die Zahl meiner Bewunderer zu vermehren. Der Tod meines Vaters, der um diese Zeit erfolgte, beraubte mich eines Freundes und F¸hrers, dessen Klugheit mir in dem gefahrvollen Ozean des politischen Lebens unentbehrlich war. Ich wurde dadurch in den Besitz der groflen Reicht¸mer gesetzt, mit denen er nur dadurch dem Neid entgangen war, weil er sie mit grofler Bescheidenheit gebrauchte. Ich war nicht so vorsichtig. Der Gebrauch, den ich davon machte, war zwar an sich selbst edel und lˆblich; ich verschwendete sie, um Gutes zu tun; ich unterst¸tzte alle Arten von B¸rgern, welche ohne ihre Schuld in Ungl¸ck geraten waren; mein Haus war der Sammel-Platz der Gelehrten, der K¸nstler und der Fremden; mein Vermˆgen stund jedem zu Diensten, der es benˆtigt war: aber eben dieses war es, was in der Folge meinen Fall befˆrderte. Man w¸rde mir eher zu gut gehalten haben, wenn ich es mit Gastm‰hlern, mit Buhlerinnen und mit einer immerw‰hrenden Abwechslung pr‰chtiger und ausschweifender Lustbarkeiten durchgebracht h‰tte. Indes stund es eine geraume Zeit an, bis die Eifersucht, welche ich durch eine solche Lebens-Art in den Gem¸tern der Angesehensten unter den Edeln zu Athen erregte, es wagen durfte, in sichtbare W¸rkungen auszubrechen. Das Volk, welches mich vorhin geliebet hatte, fing nun an, mich zu vergˆttern. Der Ausdruck, den ich hier gebrauche, ist nicht zu stark; denn da ein gewisser Dichter, der sich meines Tisches zu bedienen pflegte, sich einst einfallen liefl, in einem groflen und elenden Gedicht mir den Apollo zum Vater zu geben, so fand diese mir selbst l‰cherliche Schmeichelei bei dem Pˆbel (dem ohnehin das Wunderbare allemal besser als das Nat¸rliche einleuchtet) so groflen Beifall, dafl sich nach und nach eine Art von Sage unter dem Volk befestigte, welche meiner Mutter die Ehre beilegte, den Gott zu Delphi f¸r ihre Reizungen empfindlich gemacht zu haben. So ausschweifend dieser Wahn war, so wahrscheinlich schien er meinen Gˆnnern aus der untersten Klasse; dadurch allein glaubten sie die mehr als menschliche Vollkommenheiten, die sie mir zuschrieben, erkl‰ren, und die ungereimten Hoffnungen, welche sie sich von mir machten, rechtfertigen zu kˆnnen. Denn das Vorurteil des groflen Haufens ging weit genug, dafl viele ˆffentlich sagten, Athen kˆnne durch mich allein zur Gebieterin des ganzen Erdbodens gemacht werden, und man kˆnne nicht genug eilen, mir eine einzelne und unumschr‰nkte Gewalt zu ¸bertragen, von welcher sie sich nichts geringers als die Wiederkehr der gˆldenen Zeit, die g‰nzliche Aufhebung des verhaflten Unterscheids zwischen Armen und Reichen, und einen seligen M¸fliggang mitten unter allen Woll¸sten und Ergˆtzlichkeiten des Lebens versprachen.

Bei diesen Gesinnungen, womit in grˆflerm oder kleinerm Grade der Schw‰rmerei das ganze Volk zu Athen f¸r mich eingenommen war, brauchte es nur eine Gelegenheit, um sie dahin zu bringen, die Gesetze selbst zu Gunsten ihres Lieblings zu ¸berspringen. Diese zeigte sich, da Eubˆa und einige andre Insuln sich des ziemlich harten Joches, welches ihnen die Athenienser aufgelegt hatten, zu entledigen, einen Aufstand erregten, worin sie von den Spartanern heimlich unterst¸tzt wurden. Man konnte (diejenige Theorie, welche man zu Hause erwerben kann, ausgenommen) des Kriegs-Wesens nicht unerfahrner sein, als ich es war. Ich hatte das Alter noch nicht erreicht, welches die Gesetze zu Bekleidung eines ˆffentlichen Amts erfoderten; wir hatten keinen Mangel an geschickten und ge¸bten Kriegs-Leuten; ich selbst wandte alles Ansehen, das ich hatte, an, um einen davon, den ich, seines moralischen Charakters wegen, vorz¸glich hoch sch‰tzte, zum Feld-Herrn gegen die Empˆrten erw‰hlen zu machen; aber das alles half nichts gegen die warme Einbildungs-Kraft des lebhaftesten und leichtsinnigsten Volks in der Welt. Agathon, welchem man alle Talente zutraute, und von welchem man sich berechtigt hielt, Wunder zu erwarten, war allein tauglich, die Ehre des Atheniensischen Namens zu behaupten, und die hochfliegenden Tr‰ume der politischen M¸fligg‰nger zu Athen, welche bei diesem Anlafl in die Wette eiferten, wer die l‰cherlichsten Projekte machen kˆnne, in die W¸rklichkeit zu setzen. Diese Art von Leuten war so gesch‰ftig, dafl es ihnen gelang, den grˆflesten Teil ihrer Mitb¸rger mit ihrer Torheit anzustecken. Jede Nachricht, dafl sich wieder eine andere Insul aufzulehnen anfange, verursachte eine allgemeine Freude; man w¸rde es gerne gesehen haben, wenn das ganze Griechenland an dieser Sache Anteil genommen h‰tte; auch fehlte es nicht an Zeitungen, welche das Feuer grˆfler machten, als es war, und endlich so gar den Kˆnig von Persien in den Aufstand von Eubˆa verwickelten, um dem Agathon einen desto grˆflern Schau-Platz zu geben, die Athenienser durch Heldentaten zu belustigen und durch Eroberungen zu bereichern. Ich wurde also (so sehr ich mich entgegenstr‰ubte) mit unumschr‰nkter Gewalt ¸ber die Armee, ¸ber die Flotten, und ¸ber die Schatz-Kammer, zum Feld-Herrn gegen die abtr¸nnigen Insuln ernannt; und da ich nun einmal genˆtigt war, dem Eigensinn meiner Mitb¸rger nachzugeben, so entschlofl ich mich, es mit einer guten Art zu tun, und die Sache von derjenigen Seite anzusehen, welche mir eine erw¸nschte Gelegenheit zu geben schien, den Anfang zur Ausf¸hrung meiner eigenen Entw¸rfe zu machen. Da ich wuflte, dafl die Insulaner gerechte Klagen gegen Athen zu f¸hren hatten, und eine Regierung nicht lieben konnten, von der sie unterdr¸ckt, ausgezogen, und mit F¸flen getreten wurden; so gr¸ndete ich meinen ganzen Plan ihrer Beruhigung und Wiederbringung auf den Weg der G¸te, auf Abstellung der Miflbr‰uche, wodurch sie erbittert worden waren, auf eine billige M‰fligung der Abgaben, welche man gegen ihre Freiheiten und ¸ber ihr Vermˆgen, von ihnen erpreflt hatte; und auf ihre Wiedereinsetzung in alle Rechte und Vorteile, deren sie sich als Griechen und als Bunds-Genossen, vermˆge vieler besondern Vertr‰ge, zu erfreuen haben sollten. Allein ehe ich von Athen abreisen konnte, war es um so nˆtiger, die Gem¸ter vorzubereiten und auf einen Ton zu stimmen, der mit meinen Grund-S‰tzen und Absichten ¸bereink‰me, da ich sahe, wie lebhaft die ausschweifenden Projekte, womit die Eitelkeit des Alcibiades sie ehemals bezaubert hatte, bei dieser Gelegenheit wieder aufgewacht waren. Ich versammelte also das Volk, und wandte alle Kr‰fte der Rede-Kunst, welche bei keinem Volk der Welt so viel vermag, als bei den Atheniensern, dazu an, sie von der Gr¸ndlichkeit meiner Entw¸rfe zu ¸berzeugen, von welchen ich sie so viel sehen liefl, als zu Erreichung meiner Absicht nˆtig war. Nachdem ich ihnen die Grˆfle und den Flor, wozu die Republik, vermˆge ihrer nat¸rlichen Vorteile und innerlichen St‰rke, gelangen kˆnne, mit den reizendesten Farben abgemalt hatte; bem¸hte ich mich zu beweisen, dafl weitl‰ufige Eroberungen, aufler der Gefahr, womit sie durch die Unbest‰ndigkeit des Kriegs-Gl¸cks verbunden seien, den Staat endlich notwendiger Weise unter der Last ihrer eigenen Grˆfle erdr¸cken m¸flten; dafl es einen weit sichern und k¸rzern Weg gebe, Athen zur Kˆnigin des Erdbodens zu machen, indem etwas unleugbares sei, dafl allezeit diejenige Nation den ¸brigen Gesetze vorschreiben werde, welche zu gleicher Zeit die kl¸gste und die reichste sei; dafl der Reichtum allezeit Macht gebe, so wie die Klugheit den rechten Gebrauch der Macht lehre; dafl Athen in beidem allen andern Vˆlkern ¸berlegen sein werde, wenn sie auf der einen Seite fortfahre, die Pfleg-Mutter der Wissenschaften und aller n¸tzlichen und schˆnen K¸nste zu sein; auf der andern aber alle ihre Gedanken darauf richte, sich in der Herrschaft ¸ber das Meer fest zu setzen; nicht in der Absicht Eroberungen zu machen, sondern sich in eine solche Achtung bei den Ausw‰rtigen zu setzen, dafl jedermann ihre Freundschaft suche, und niemand es wagen d¸rfe, ihren Unwillen zu reizen; dafl f¸r einen am Meer gelegenen Frei-Staat ein gutes Vernehmen mit allen ¸brigen Vˆlkern, und eine so weit als nur mˆglich ausgebreitete Handlung, der nat¸rliche und unfehlbare Weg sei, nach und nach zu einer Grˆfle zu gelangen, deren Ziel nicht abzusehen sei; dafl aber hiezu die Erhaltung seiner eigenen Freiheit, und zu dieser die Freiheit aller ¸brigen, sonderheitlich der benachbarten, oder wenigstens ihre Erhaltung bei ihrer alten und nat¸rlichen Form und Verfassung, nˆtig sei; dafl B¸ndnisse mit seinen Nachbarn, und eine solche Freundschaft, wobei der andere eben so wohl seinen Vorteil finde, als wir den unsrigen, einem solchen Staat weit mehr Macht, Ansehen und Einflufl auf die allgemeine Verfassung des politischen Systems der Welt geben m¸flten, als die Unterwerfung derselben, weil ein Freund allezeit mehr wert sei, als ein Sklave; dafl die Gerechtigkeit der einzige Grund der Macht und Dauer eines Staats, so wie das einzige Band der Gesellschaft zwischen einzelnen Menschen und ganzen Nationen, sei; dafl diese Gerechtigkeit fodre, eine jede politische Gesellschaft (sie mˆge grofl oder klein sein) als unsers gleichen anzusehen, und ihr eben die Rechte zu zugestehen, welche wir f¸r uns selbst foderten; dafl ein nach diesen Grund-S‰tzen eingerichtetes Betragen das gewisseste Mittel sei, sich ein allgemeines Zutrauen zu erwerben, und anstatt einer gewaltsamen, und mit allen Gefahren der Tyrannie verkn¸pften Oberherrschaft eine freiwillig eingestandene Autorit‰t zu behaupten, welche in der Tat von allen Vorteilen der erstern begleitet sei, ohne die verhaflte Gestalt und schlimmen Folgen derselben zu haben. Nachdem ich alle diese Wahrheiten in ihrer besondern Anwendung auf Griechenland und Athen, in das st‰rkste Licht gesetzt, und bei dieser Gelegenheit die Torheit der Projekte des Alcibiades und andrer ehrs¸chtiger Schwindelkˆpfe ausf¸hrlich erwiesen hatte: Bem¸hte ich mich darzutun, dafl der Aufstand der Inseln, welche bisher unter dem Schutz der Athenienser gestanden, in neuerlichen Zeiten aber durch Schuld einiger bˆser Ratgeber der Republik, als unterworfene Sklaven behandelt worden seien, die gl¸cklichste Gelegenheit anbiete, auf der einen Seite das ganze Griechenland von der gerechten und edelm¸tigen Denkungsart der Athenienser zu ¸berzeugen, auf der andern durch eine ansehnliche Vermehrung der Seemacht, wovon die Unkosten durch die grˆflere Sicherheit und Erweiterung der Handelschaft reichlich ersetzt w¸rden, sich in ein solches Ansehen zu setzen, dafl niemand jenes gelinde und groflm¸tige Verfahren, mit dem mindesten Schein, einem Mangel an Vermˆgen sich Genugtuung zu verschaffen, werde beimessen kˆnnen. Ich unterst¸tzte diese Vorschl‰ge mit allen den Gr¸nden, welche auf die lebhafte Einbildungskraft meiner Zuhˆrer den st‰rksten Eindruck machen konnten, und hatte das Vergn¸gen, dafl meine Rede mit einem Beifall, der meine Erwartung weit ¸bertraf, aufgenommen wurde. Auflerdem, dafl die Athenienser, ihrer Gem¸tsart nach, sich von Wahrheit und gesunden Grunds‰tzen eben so leicht einnehmen lieflen, als von den Blendwerken einer falschen Staatskunst, wenn ihnen jene nur in einem eben so reizenden Licht, und mit eben so lebhaften Farben vorgetragen wurden, als sie verwˆhnt worden waren, von einem jeden, der zu den ˆffentlichen Angelegenheiten redete, zu fodern; so waren sie gleichg¸ltig, durch was f¸r Mittel Athen zu derjenigen Grˆfle gelangen mˆge, welche das Ziel aller ihrer W¸nsche war; und ein grofler Teil der B¸rger, denen der Friede mehr Vorteile brachte, als der Krieg, lieflen sichs vielmehr wohlgefallen, dafl dieses Ziel ihrer Eitelkeit auf eine mit ihrem Privatnutzen ¸bereinstimmigere Art erhalten werde. Meine heimlichen Feinde, welche nicht zweifelten, dafl diese Expedition auf eine oder andere Art Gelegenheit zu meinem Fall geben w¸rde, waren weit entfernt, meinen Maflnehmungen ˆffentlich zu widerstehen; aber (wie ich in der Folge erfuhr) unter der Hand desto gesch‰ftiger, ihren Erfolg zu hemmen, Schwierigkeiten aus Schwierigkeiten hervor zu spinnen, und die miflvergn¸gten Insulaner selbst durch geheime Aufstiftungen ¸berm¸tig, und zu billigen Bedingungen abgeneigt zu machen. Die Verachtung, womit man anfangs diesen Aufstand zu Athen angesehen hatte; das ansteckende Beispiel, und die R‰nke andrer Griechischen St‰dte, welche die Obermacht der Athenienser mit eifers¸chtigen Augen ansahen, hatten zu wege gebracht, dafl indessen auch die Attischen Kolonien, und der grˆfleste Teil der Bundesgenossen k¸hn genug worden waren, sich einer Unabh‰nglichkeit anzumaflen, deren sch‰dliche Folgen sie sich selbst unter dem reizenden Namen der Freiheit verbargen; es war die hˆchste Zeit, einer allgemeinen Empˆrung und Zusammenverschwˆrung gegen Athen zuvorzukommen; und meine Landsleute, welche bei Ann‰herung einer Gefahr, die ihnen in der Ferne nur Stoff zu witzigen Einf‰llen und Gassenliedern gegeben hatte, sehr schnell von der leichtsinnigsten Gleichg¸ltigkeit zu einer eben so ¸berm‰fligen Kleinm¸tigkeit ¸bergingen, vergrˆflerten sich selbst das ¸bel so sehr, dafl ich genˆtiget wurde unter Segel zu gehen, ehe die Zur¸stungen noch zur H‰lfte fertig waren. Ich hatte die Vorsichtigkeit gebraucht, meinen Freund, ¸ber welchen mir die Gunst des Volks einen so unbilligen Vorzug gegeben hatte, als meinen Unterbefehlshaber mitzunehmen; die Bescheidenheit, womit ich mich des Ansehens, welches mir meine Kommission ¸ber ihn gab, bediente, kam einer Eifersucht zuvor, die den Erfolg unsrer Unternehmung h‰tte vereiteln kˆnnen; wir handelten aufrichtig, und ohne Nebenabsichten, nach einem gemeinschaftlich abgeredeten Plan, und das Gl¸ck beg¸nstigte uns so sehr, dafl in einer einzigen Expedition alle Inseln, Kolonien und Schutzverwandte der Athenienser nicht nur beruhiget, und wieder in die alte Schranken gesetzt, sondern durch die Abstellung alles dessen, wodurch sie unbilliger Weise beschweret worden waren, und durch die Best‰tigung ihrer Freiheiten, die ich ihnen bewilligte, mehr als jemals geneigt gemacht wurden, die Freundschaft der Athenienser allen andern Verbindungen, die ihnen angetragen worden waren, vorzuziehen. In allem diesem folgte ich, ohne besondere Verhaltungsbefehle einzuholen, meiner eignen Denkungsart mit desto grˆflter Zuversicht, da ich den ehemaligen Miflvergn¸gten nichts zugestanden hatte, was sie nicht so wohl nach dem Naturrecht als in Kraft ‰lterer Vertr‰ge zu fodern vollkommen berechtiget waren, hingegen durch diese Nachgiebigkeit neue und sehr betr‰chtliche Vorteile f¸r die Athenienser erkaufte; Vorteile, welche dem ganzen gemeinen Wesen zuflossen, da hingegen aller Nutzen der Unterdr¸ckung, worunter sie geseufzet hatten, lediglich in die Kassen einiger Privatleute und ehmaligen G¸nstlinge des Volks geleitet worden war.

Ich kehrete also mit dem Vergn¸gen, Gutes getan zu haben, mit dem Beifall und der lebhaftesten Zuneigung der s‰mtlichen Kolonien und Bundesgenossen, und mit der vollen Zuversicht, dafl ich die Belohnung, die ich verdient zu haben glaubte, in der Zufriedenheit meiner Mitb¸rger einernten w¸rde, an der Spitze einer dreimal st‰rkern Flotte, als womit ich ausgelaufen war, nach Athen zur¸ck. Ich schmeichelte mir, dafl ich mir durch eine so schleunige Beilegung einer Unruhe, welche so weitaussehend und gef‰hrlich geschienen, einiges Verdienst um mein Vaterland erworben h‰tte. Ich hatte aus unsern Feinden, Freunde, und aus unsichern Untertanen, zuverl‰ssige Bundesgenossen gemacht, deren Treu desto weniger zweifelhaft sein muflte, da ich ihre Sicherheit und ihren Wohlstand durch unzertrennliche Bande mit dem Interesse von Athen verkn¸pft hatte; ich hatte, des gemeinen Schatzes zu schonen, mein eignes Vermˆgen zugesetzt, und durch mehr als hundert ausger¸stete Galeeren, die ich von dem guten Willen der wieder beruhigten Insulaner erhalten, unsrer Seemacht eine ansehnliche Verst‰rkung gegeben; ich hatte das Ansehen der Athenienser befestiget, ihre Neider abgeschreckt, und ihrer Handlung einen Ruhestand verschafft, dessen Fortdauer nunmehr, wenigstens auf lange Zeiten, von ihrem eigenen Betragen abhing. Das Vergn¸gen, welches sich ¸ber mein Gem¸t ausbreitete, wenn ich alle diese Vorteile meiner Verrichtung ¸berdachte, war so lebhaft, dafl ich ¸ber alle andere Belohnungen, aufler dem Beifall und Zutrauen meiner Mitb¸rger, weit hinaus sah: Aber die Athenienser waren, in dem ersten Anstofl ihrer Erkenntlichkeit, keine Leute, welche Mafl halten konnten. Ich wurde im Triumph eingeholt, und mit allen Arten der Ehrenbezeugungen in die Wette ¸berh‰uft; die Bildhauer muflten sich Tag und Nacht an meinen Statuen m¸de arbeiten; alle Tempel, alle ˆffentlichen Pl‰tze und Hallen wurden mit Denkm‰lern meines Ruhms ausgeziert; und diejenige, welche in der Folge mit der grˆflesten Heftigkeit an meinem Verderben arbeiteten, waren itzt die eifrigsten, ¸berm‰flige und zuvor nie erhˆrte Belohnungen vorzuschlagen, welche das Volk in dem Feuer seiner schw‰rmerischen Zuneigung gutherziger Weise bewilligte, ohne daran zu denken, dafl mir diese Ausschweifungen seiner Hochachtung in kurzem von ihm selbst zu eben so vielen Verbrechen gemacht werden w¸rden.

Da ich sahe, dafl alle meine Bescheidenheit nicht zureichend war, dem ¸berflieflenden Strom der popularen Dankbarkeit Einhalt zu tun; so glaubte ich am besten zu tun, wenn ich mich eine Zeitlang von Athen entfernte, und bis die Atheniensische Lebhaftigkeit durch irgend eine neue Komˆdie, einen fremden Gaukler, oder eine frisch angekommene T‰nzerin einen andern Schwung bekommen haben w¸rde, auf meinem Landgut zu Corinth in Gesellschaft der Musen und Grazien einer Mufle zu genieflen, welche ich durch die Arbeiten eines ganzen Jahres verdient zu haben glaubte. Ich dachte wenig daran, dafl ich in einer Stadt, deren Liebling ich zu sein schien, Feinde habe, die indessen, dafl ich mich mit aller Sorglosigkeit der Unschuld den Vergn¸gungen des Landlebens, und der geselligen Freiheit ¸berliefl, einen eben so boshaften als wohlausgesonnenen Plan zu meinem Untergang anzulegen besch‰ftiget seien.

Alles, womit ich mir bei der sch‰rfsten Pr¸fung meines ˆffentlichen und Privatlebens in Athen, bewuflt bin, mein Ungl¸ck, wo nicht verdient, doch befˆdert zu haben, ist Unvorsichtigkeit, oder der Mangel an einer gewissen Republikanischen Klugheit, welche nur die Erfahrung geben kann. Ich lebte nach meinem Geschmack, und nach meinem Herzen, weil ich gewifl wuflte, dafl beide gut waren, ohne daran zu denken, dafl man mir andre Absichten bei meinen Handlungen andichten kˆnne, als ich wirklich hatte. Ich lebte mit einer gewissen Pracht, weil ich das Schˆne liebte, und Vermˆgen hatte; ich tat jedermann gutes, weil ich meinem Herzen dadurch ein Vergn¸gen verschaffte, welches ich allen andern Freuden vorzog; ich besch‰ftigte mich mit dem gemeinen Besten der Republik, weil ich dazu geboren war, weil ich eine T¸chtigkeit dazu in mir f¸hlte, und weil ich durch die Zuneigung meiner Mitb¸rger in den Stand gesetzt zu werden hoffte, meinem Vaterland und der Welt n¸tzlich zu sein. Ich hatte keine andere Absichten, und w¸rde mir eher haben tr‰umen lassen, dafl man mich beschuldigen werde, nach der Krone des Kˆnigs von Persien, als nach der Unterdr¸ckung meines Vaterlands zu streben. Da ich mir bewuflt war niemands Hafl verdient zu haben, so hielt ich einen jeden f¸r meinen Freund, der sich daf¸r ausgab, um so mehr, als kaum jemand in Athen war, dem ich nicht Dienste geleistet hatte. Aus eben diesem Grunde dachte ich gleich wenig daran, wie ich mir einen Anhang mache, als wie ich die geheimen Anschl‰ge von Feinden, welche mir unsichtbar waren, vereiteln wolle. Denn ich glaubte nicht, dafl die Freim¸tigkeit, womit ich, ohne Galle oder ¸bermut, meine Meinung bei jeder Gelegenheit sagte, eine Ursache sein kˆnne, mir Feinde zu machen. Mit einem Wort, ich wuflte noch nicht, dafl Tugend, Verdienste und Wohltaten gerade dasjenige sind, wodurch man gewisse Leute zu dem tˆdlichsten Hafl erbittern kann. Eine traurige Erfahrung konnte mir allein zu dieser Einsicht verhelfen; und es ist billig, dafl ich sie wert halte, da sie mir nicht weniger, als mein Vaterland, die Liebe meiner Mitb¸rger, meine schˆnsten Hoffnungen, und das gl¸ckselige Vermˆgen, vielen Gutes zu tun, und von niemand abzuh‰ngen, gekostet hat.”

SIEBENTES KAPITEL

Agathon wird von Athen verbannt

“Der Zeitpunkt meines Lebens, auf den ich nunmehr gekommen bin, f¸hrt allzuunangenehme Erinnerungen mit sich, als dafl ich nicht entschuldiget sein sollte, wenn ich so schnell davon wegeile, als es die Gerechtigkeit zulassen wird, die ich mir selbst schuldig bin. Es mag sein, dafl einige von meinen Feinden aus Beweggr¸nden eines republikanischen Eifers gegen mich aufgestanden sind, und sich durch meinen Sturz eben so verdient um ihr Vaterland zu machen geglaubt haben, als Harmodius und Aristogiton durch die Ermordung der Pisistratiden. Aber es ist doch gewifl, dafl diejenige, welche die Sache mit der grˆflesten Wut betrieben, keinen andern Beweggrund hatten, als die Eifersucht ¸ber das Ansehen, welches mir die allgemeine Gunst des Volkes gab, und welches sie, nicht ohne Ursache, f¸r ein Hinternis ihrer ehrgeizigen und gewinns¸chtigen Absichten hielten. Die meisten glaubten auch, dafl sie Privatbeleidigungen zu r‰chen h‰tten. Einige n‰hrten noch den alten Groll, den sie bei meinem ersten Auftritt in der Republik gegen mich faflten, da ich meinen rechtschaffenen Freund, den Wirkungen ihrer Bosheit entrifl; andere schmerzte es, dafl ich ihnen bei der Wahl eines Befehlshabers gegen die Empˆrten Inseln vorgezogen worden war; viele waren durch den Verlust des Vorteils, welchen sie von den ungerechten Bedr¸ckungen derselben gezogen hatten, beleidiget worden. Bei diesen allen half mir nichts, dafl ich keine Absicht gehabt hatte sie zu beleidigen, und dafl es nur zuf‰lliger Weise dadurch geschehen war, dafl ich meiner ¸berzeugung und meinen Pflichten gem‰fl gehandelt hatte. Sie beurteilten meine Handlungen aus einem ganz andern Gesichtspunkte, und es war bei ihnen ein ausgemachter Grundsatz, dafl derjenige kein ehrlicher Mann sein kˆnne, der ihren Privatabsichten Schranken setzte. Zum Ungl¸ck f¸r mich, machten diese Leute einen groflen Teil von den Edelsten und Reichesten in Athen aus. Hiezu kam noch, dafl ich meiner immer fortdauernden Liebe zu Psyche, die vorteilhaftesten Verbindungen, welche mir angeboten worden waren, aufgeopfert, und mich dadurch der Unterst¸tzung und des Schutzes beraubet hatte, den ich mir von der Verschw‰gerung mit einem m‰chtigen Geschlechte h‰tte versprechen kˆnnen. Ich hatte nichts, was ich den R‰nken und der vereinigten Gewalt so vieler Feinde entgegen setzen konnte, als meine Unschuld, einige Verdienste, und die Zuneigung des Volks; schwache Brustwehren, welche noch nie gegen die Angriffe des Neides, der Arglist und der Gewaltt‰tigkeit ausgehalten haben. Die Unschuld kann verd‰chtig gemacht, und Verdiensten selbst durch ein falsches Licht das Ansehen von Verbrechen gegeben werden; und was ist die Gunst eines enthusiastischen Volkes, dessen Bewegungen immer seinen ¸berlegungen zuvorkommen; welches mit gleichem ¸bermafl liebet und hasset, und wenn es einmal in eine fiebrische Hitze gesetzt ist, gleich geneigt ist, dieser oder einer entgegengesetzten Direktion, je nachdem es gestoflen wird, zu folgen? Was konnte ich mir von der Gunst eines Volkes versprechen, welches den groflen Besch¸tzer der griechischen Freiheit im Gef‰ngnis hatte verschmachten lassen? Welches den tugendhaften Aristides, blofl darum, weil er den Beinamen des Gerechten verdiente, verbannet, und in einer von seinen gewˆhnlichen Launen so gar den Socrates zum Gift-Becher verurteilt hatte, weil er der weiseste und tugendhafteste Mann seines Jahrhunderts war. Diese Beispiele sagten mir sogleich bei der ersten Nachricht, die ich von dem ¸ber mir sich zusammenziehenden Ungewitter erhielt, zuverl‰ssig vorher, was ich von den Atheniensern zu erwarten h‰tte; sie machten, dafl ich ihnen nicht mehr zutraute, als sie leisteten; und trugen nicht wenig dazu bei, mich ein Ungl¸ck mit Standhaftigkeit ertragen zu machen, in welchem ich so vortreffliche M‰nner zu Vorg‰ngern gehabt hatte.

Derjenige, den meine Feinde zu meinem Ankl‰ger auserkoren hatten, war einer von diesen witzigen Schw‰tzern, deren feiles Talent gleich fertig ist, Recht oder Unrecht zu verfechten. Er hatte in der Schule des ber¸chtigten Gorgias gelernt, durch die Zaubergriffe der Rede-Kunst den Verstand seiner Zuhˆrer zu blenden, und sie zu bereden, dafl sie s‰hen, was sie nicht sahen. Er bek¸mmerte sich wenig darum, dasjenige zu beweisen, was er mit der grˆflesten Dreistigkeit behauptete; aber er wuflte ihm einen so lebhaften Schein zu geben, und durch eine zwar willk¸rliche, aber desto k¸nstlichere Verbindung seiner S‰tze die Schw‰che eines jeden, wenn er an sich und allein betrachtet w¸rde, so geschickt zu verbergen, dafl man, so gar mit einer gr¸ndlichen Beurteilungs-Kraft, auf seiner Hut sein muflte, um nicht von ihm ¸berrascht zu werden. Der haupts‰chlichste Vorwurf seiner Anklage sollte, seinem Vorgeben nach, die schlimme Verwaltung sein, deren ich mich als Ober-Befehlshaber in der Angelegenheit der empˆrten