nur mittelbare Bestaetigung, sondern sie wird von dem Zeitgenossen Cicero (div. 2, 54, 119) sogar ausdruecklich fuer falsch erklaert und von den spaeteren Geschichtschreibern, namentlich von Sueton (79) und Dio (44, 15) nur als ein Geruecht berichtet, das sie weit entfernt sind, verbuergen zu wollen; und sie wird denn auch dadurch nicht besser beglaubigt, dass Plutarch (Caes. 60, 64; Brut. 10) und Appian (civ. 2, 110) ihrer Gewohnheit gemaess jener anekdotenhaft, dieser pragmatisierend, sie wiederholen. Es ist diese Erzaehlung aber nicht bloss unbezeugt, sondern auch innerlich unmoeglich. Wenn man auch davon absehen will, dass Caesar zu viel Geist und zu viel politischen Takt hatte, um nach Oligarchenart wichtige Staatsfragen durch einen Schlag mit der Orakelmaschine zu entscheiden, so konnte er doch nimmermehr daran denken, den Staat, den er nivellieren wollte, also foermlich und rechtlich zu spalten. ——————————————— Indes wie auch die definitive Titulatur gedacht gewesen sein mag, der Herr war da, und sogleich richtete denn auch der Hof in obligatem Pomp und obligater Geschmacklosigkeit und Leerheft sich ein. Caesar erschien oeffentlich statt in dem mit Purpurstreifen verbraemten Gewande der Konsuln in dem ganzpurpurnen, das im Altertum als das Koenigskleid galt, und empfing, auf seinem Goldsessel sitzend, ohne sich von demselben zu erheben, den feierlichen Zug des Senats. Die Geburtstags-, Sieges- und Geluebdefeste zu seinen Ehren fuellten den Kalender. Wenn Caesar nach der Hauptstadt kam, zogen die vornehmsten seiner Diener scharenweise auf weite Strecken ihm entgegen ihn einzuholen. Ihm nahe zu sein fing an so viel zu bedeuten, dass die Mietpreise in dem von ihm bewohnten Stadtviertel in die Hoehe gingen. Durch die Menge der zur Audienz sich draengenden Personen ward die persoenliche Verhandlung mit ihm so erschwert, dass Caesar sogar mit seinen Vertrauten vielfach schriftlich zu verkehren sich genoetigt sah und dass auch die Vornehmsten stundenlang im Vorzimmer zu warten hatten. Man empfand es, deutlicher als es Caesar selber lieb war, dass man nicht mehr zu einem Mitbuerger kam. Es entstand ein monarchischer Adel, welcher in merkwuerdiger Weise zugleich neu und alt war und aus dem Gedanken entsprang, den Adel der Oligarchie durch den des Koenigtums, die Nobilitaet durch das Patriziat in Schatten zu stellen. Noch immer bestand die Patrizierschaft, wenngleich ohne wesentliche staendische Vorrechte, doch als geschlossene Junkergilde fort; aber da sie keine neuen Geschlechter aufnehmen konnte, war sie im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zusammengestorben: nicht mehr als fuenfzehn bis sechzehn Patriziergeschlechter waren zu Caesars Zeit noch vorhanden. Indem Caesar, selber einem derselben entsprossen, das Recht, neue patrizische Geschlechter zu kreieren, durch Volksbeschluss dem Imperator erteilen liess, gruendete er, im Gegensatz zu der republikanischen Nobilitaet, den neuen Adel des Patriziats, der alle Erfordernisse eines monarchischen Adels: altersgrauen Zauber, vollstaendige Abhaengigkeit von der Regierung und gaenzliche Bedeutungslosigkeit auf das gluecklichste vereinigte. Nach allen Seiten hin offenbarte sich das neue Herrenrum.
Unter einem also tatsaechlich unumschraenkten Monarchen konnte kaum von einer Verfassung die Rede sein, geschweige denn von denn Fortbestand des bisherigen, auf dem gesetzlichen Zusammenwirken der Buergerschaft, des Senats und der einzelner. Beamten beruhenden Gemeinwesens. Mit voller Bestimmtheit ging Caesar zurueck auf die Ueberlieferung der Koenigszeit: die Buergerschaftsversammlung blieb, was sie schon in der Koenigszeit gewesen war, neben und mit dem Koenig der hoechste und letzte Ausdruck des souveraenen Volkswillens; der Senat ward wieder auf seine urspruengliche Bestimmung zurueckgefuehrt, dem Herrn auf dessen Verlangen Rat zu erteilen; der Herrscher endlich konzentrierte in seiner Person aufs neue die gesamte Beamtengewalt, so dass es einen anderen selbstaendigen Staatsbeamten neben ihm so wenig gab wie neben den Koenigen der aeltesten Zeit.
Fuer die Gesetzgebung hielt der demokratische Monarch fest an dem uralten Satz des roemischen Staatsrechts, dass nur die Volksgemeinde in Gemeinschaft mit dem sie berufenden Koenig vermoegend sei, das Gemeinwesen organisch zu regulieren, und sanktionierte seine konstitutiven Verfuegungen regelmaessig durch Volksschluss. Die freie Kraft und die sittlich-staatliche Autoritaet, die das Ja oder Nein jener alten Wehrmannschaften in sich getragen hatte, liess sich freilich den sogenannten Komitien dieser Zeit nicht wiedereinfloessen; die Mitwirkung der Buergerschaft bei der Gesetzgebung, die in der alten Verfassung hoechst beschraenkt, aber wirklich und lebendig gewesen war, war in der neuen in praktischer Hinsicht ein wesenloser Schatten. Besonderer beschraenkender Massregeln gegen die Komitien bedurfte es darum auch nicht; eine vieljaehrige Erfahrung hatte gezeigt, dass mit diesem formellen Souveraen jede Regierung, die Oligarchie wie der Monarch, bequem auskam. Nur insofern, als diese Caesarischen Komitien dazu dienten, die Volkssouveraenitaet prinzipiell festzuhalten und energisch gegen den Sultanismus zu protestieren, waren sie ein wichtiges Moment in dem Caesarischen System und mittelbar von praktischer Bedeutung. Daneben aber wurde, wie nicht bloss an sich klar, sondern auch bestimmt bezeugt ist, schon von Caesar selbst und nicht erst von seinen Nachfolgern auch der andere Satz des aeltesten Staatsrechts wieder aufgenommen, dass, was der hoechste oder vielmehr einzige Beamte befiehlt, unbedingt Gueltigkeit hat, solange er im Amte bleibt, und die Gesetzgebung zwar nur dem Koenig und der Buergerschaft gemeinschaftlich zukommt, die koenigliche Verordnung aber, wenigstens bis zum Abgang ihres Urhebers, dem Gesetz gleichsteht. Wenn der Demokratenkoenig also der Volksgemeinde wenigstens einen formellen Anteil an der Souveraenitaet zugestand, so war es dagegen keineswegs seine Absicht, mit der bisherigen Regierung, dem Senatorenkollegium, die Gewalt zu teilen. Caesars Senat sollte – ganz anders als der spaetere Augusteische – nichts sein als ein hoechster Reichsrat, den er benutzte, um die Gesetze mit ihm vorzuberaten und die wichtigeren administrativer. Verfuegungen durch ihn oder wenigstens unter seinem Namen zu erlassen, denn es kam freilich auch vor, dass Senatsbeschluesse ergingen, von denen selbst von den als bei der Redaktion gegenwaertig aufgefuehrten Senatoren keiner eine Ahnung hatte. Es hatte keine wesentlichen Formschwierigkeiten, den Senat wieder auf seine urspruengliche beratende Stellung zurueckzufuehren, aus der er mehr tatsaechlich als rechtlich herausgetreten war; dagegen war es hier notwendig, sich vor praktischem Widerstand zu schuetzen, da der roemische Senat ebenso der Herd der Opposition gegen Caesar war wie der attische Areopag derjenige gegen Perikles. Hauptsaechlich aus diesem Grunde wurde die Zahl der Senatoren, die bisher hoechstens sechshundert im Normalbestand betragen hatte und durch die letzten Krisen stark zusammengeschwunden war, durch ausserordentliche Ergaenzung bis auf neunhundert gebracht und zugleich, um sie mindestens auf dieser Hoehe zu halten, die Zahl der jaehrlich zu ernennenden Quaestoren, das heisst der jaehrlich in den Senat eintretenden Mitglieder, von zwanzig auf vierzig erhoeht ^13. Die ausserordentliche Ergaenzung des Senats nahm der Monarch allein vor. Bei der ordentlichen sicherte er einen dauernden Einfluss sich dadurch, dass die Wahlkollegien durch Gesetz ^14 verpflichtet wurden, den ersten zwanzig vom Monarchen mit Empfehlungsschreiben versehenen Bewerbern um die Quaestur ihre Stimmen zu geben; ueberdies stand es der Krone frei, die an die Quaestur oder ein derselben uebergeordnetes Amt geknuepften Ehrenrechte, also namentlich den Sitz im Senat, ausnahmsweise auch an nichtqualifizierte Individuen zu vergeben. Die ausserordentlichen Ergaenzungswahlen fielen natuerlich wesentlich auf Anhaenger der neuen Ordnung der Dinge und brachten neben angesehenen Rittern auch manche zweifelhafte und plebejische Individuen in die hohe Korporation: ehemalige, durch den Zensor oder infolge eines Richterspruchs von der Liste gestrichene Senatoren, Auslaender aus Spanien und Gallien, welche zum Teil erst im Senat ihr Lateinisch zu lernen hatten, gewesene Unteroffiziere, die bisher nicht einmal den Ritterring gehabt, Soehne von freigelassenen Leuten oder von solchen, die unehrenhafte Gewerbe betrieben, und dergleichen Elemente mehr. Die exklusiven Kreise der Nobilitaet, denen diese Umgestaltung des senatorischen Personals natuerlich zum bittersten Aerger gereichte, sahen darin eine absichtliche Herabwuerdigung der Institution des Senats selbst. Einer solchen sich selber vernichtenden Staatskunst war Caesar nicht faehig; er war ebenso entschlossen, sich nicht von seinem Rat regieren zu lassen, als ueberzeugt von der Notwendigkeit des Instituts an sich. Richtiger haetten sie in diesem Verfahren die Absicht des Monarchen erkannt, dem Senat seinen bisherigen Charakter der ausschliesslichen Repraesentation des oligarchischen Adels zu nehmen und ihn wieder zu dem zu machen, was er in der Koenigszeit gewesen war: zu einem alle Klassen der Staatsangehoerigen durch ihre intelligentesten Elemente vertretenden und auch den niedrig geborenen und selbst den fremden Mann nicht mit Notwendigkeit ausschliessenden Reichsrat – gerade wie jene aeltesten Koenige Nichtbuerger, zog Caesar Nichtitaliker in seinen Senat. ——————————————————– ^13 Nach der frueher angenommenen Wahrscheinlichkeitsrechnung wuerde dies eine durchschnittliche Gesamtzahl von 1000-1200 Senatoren ergeben. ^14 Dasselbe bezog sich allerdings nur auf die Wahlen fuer das Jahr 711 (43) und 712 (42) (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 730); aber gewiss sollte die Einrichtung bleibend werden.
——————————————————– Wenn hiermit das Regiment der Nobilitaet beseitigt und ihre Existenz untergraben, der Senat in seiner neuen Gestalt aber nichts als ein Werkzeug des Monarchen war, so wurde zugleich in der Verwaltung und Regierung des Staats die Autokratie in der schaerfsten Weise durchgefuehrt und die gesamte Exekutive in der Hand des Monarchen vereinigt. Vor allen Dingen entschied natuerlich in jeder irgend wesentlichen Frage der Imperator in eigener Person. Caesar hat es vermocht, das persoenliche Regiment in einer Ausdehnung durchzufuehren, die fuer uns geringe Menschen kaum fasslich ist und die doch nicht allein aus der beispiellosen Raschheit und Sicherheit seines Arbeitens sich erklaert, sondern ausserdem noch begruendet ist in einer allgemeineren Ursache. Wenn wir Caesar, Sulla, Gaius Gracchus, ueberhaupt die roemischen Staatsmaenner durchweg eine unsere Vorstellungen von menschlicher Arbeitskraft uebersteigende Taetigkeit entwickeln sehen, so liegt die Ursache nicht in der seit jener Zeit veraenderten Menschennatur, sondern in der seit jener Zeit veraenderten Organisation des Hauswesens. Das roemische Haus war eine Maschine, in der dem Herrn auch die geistigen Kraefte seiner Sklaven und Freigelassenen zuwuchsen; ein Herr, der diese zu regieren verstand, arbeitete gleichsam mit unzaehligen Geistern. Es war das Ideal buerokratischer Zentralisation, dem unser Kontorwesen zwar mit Eifer nachstrebt, aber doch hinter dem Urbild ebenso weit zurueckbleibt wie die heutige Kapitalherrschaft hinter dem antiken Sklavensystem. Caesar verstand diesen Vorteil zu nutzen: wo ein Posten besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt, sehen wir grundsaetzlich, soweit irgend andere Ruecksichten es gestatten, ihn denselben mit seinen Sklaven, Freigelassenen, niedrig geborenen Klienten besetzen. Seine Werke im ganzen zeigen, was ein organisierendes Genie wie das seinige mit einem solchen Werkzeug auszurichten vermochte; auf die Frage, wie im einzelnen diese wunderbaren Leistungen durchgefuehrt wurden, haben wir keine hinreichende Antwort – die Buerokratie gleicht der Fabrik auch darin, dass das geschaffene Werk nicht als das des einzelnen erscheint, der es gearbeitet hat, sondern als das der Fabrik, die es stempelt. Nur das ist vollkommen klar, dass Caesar durchaus keinen Gehilfen bei seinem Werke gehabt hat, der von persoenlichem Einfluss auf dasselbe oder auch nur in den ganzen Plan eingeweiht gewesen waere; er war nicht nur allein Meister, sondern er arbeitete auch ohne Gesellen, nur mit Handlangern.
Im einzelnen versteht sich von selbst, dass in den eigentlich politischen Angelegenheiten Caesar soweit irgend moeglich jede Stellvertretung vermied. Wo sie unumgaenglich war, wie denn Caesar namentlich waehrend seiner haeufigen Abwesenheit von Rom eines hoeheren Organs daselbst durchaus bedurfte, wurde in bezeichnender Weise hierzu nicht der legale Stellvertreter des Monarchen, der Stadtpraefekt, bestimmt, sondern ein Vertrauensmann ohne offiziell anerkannte Kompetenz, gewoehnlich Caesars Bankier, der kluge und geschmeidige phoenikische Kaufmann Lucius Cornelius Balbus aus Gades. In der Verwaltung war Caesar vor allem darauf bedacht, die Schluessel der Staatskasse, die der Senat nach dem Sturze des Koenigtums sich zugeeignet und mittels deren er sich des Regiments bemaechtigt hatte, wiederum an sich zu nehmen und sie nur solchen Dienern anzuvertrauen, die mit ihrem Kopfe unbedingt und ausschliesslich ihm hafteten. Zwar dem Eigentum nach blieb das Privatvermoegen des Monarchen von dem Staatsgut natuerlich streng geschieden; aber die Verwaltung des ganzen Finanz- und Geldwesens des Staates nahm Caesar in die Hand und fuehrte sie durchaus in der Art, wie er, und ueberhaupt die roemischen Grossen, die Verwaltung ihres eigenen Vermoegens zu fuehren pflegten. Fuer die Zukunft wurden die Erhebung der Provinzialgefaelle und in der Hauptsache auch die Leitung des Muenzwesens den Sklaven und Freigelassenen des Imperators uebertragen und die Maenner senatorischen Standes davon ausgeschlossen – ein folgenreicher Schritt, aus dem im Laufe der Zeit der so wichtige Prokuratorenstand und das “kaiserliche Haus” sich entwickelt haben. Dagegen von den Statthalterschaften, die, nachdem sie ihre finanziellen Geschaefte an die neuen kaiserlichen Steuereinnehmer abgegeben, mehr noch als bisher wesentlich Militaerkommandos waren, ging nur das aegyptische Kommando an die eigenen Leute des Monarchen ueber. Die in eigentuemlicher Art geographisch isolierte und politisch zentralisierte Landschaft am Nil war, wie schon die waehrend der letzten Krise mehrfach vorgekommenen Versuche bedraengter italischer Parteichefs, daselbst sich festzusetzen, hinreichend bewiesen, wie kein anderer Distrikt geeignet, unter einem faehigen Fuehrer auf die Dauer sich von der Zentralgewalt loszumachen. Wahrscheinlich war es eben diese Ruecksicht, die Caesar bestimmte, das Land nicht foermlich zur Provinz zu erklaeren, sondern die ungefaehrlichen Lagiden daselbst zu belassen; und sicher wurden aus diesem Grunde die in Aegypten stationierenden Legionen nicht einem dem Senat, das heisst der ehemaligen Regierung angehoerigen Manne anvertraut, sondern dieses Kommando, aehnlich wie die Steuereinnehmerstellen, als ein Gesindeposten behandelt. Im allgemeinen aber ueberwog bei Caesar die Ruecksicht, die Soldaten Roms nicht, wie die der Koenige des Ostens, durch Lakaien kommandieren zu lassen. Es blieb Regel, die bedeutenderen Statthalterschaften mit gewesenen Konsuln, die geringeren mit gewesenen Praetoren zu besetzen; anstatt des fuenfjaehrigen Zwischenraums, den das Gesetz von 702 (52) vorgeschrieben, knuepfte wahrscheinlich wieder in alter Weise der Anfang der Statthalterschaft unmittelbar an das Ende der staedtischen Amtstaetigkeit an. Dagegen die Verteilung der Provinzen unter die qualifizierten Kandidaten, die bisher bald durch Volks- oder Senatsbeschluss, bald durch Vereinbarung der Beamten oder durch das Los erfolgt war, ging ueber an den Monarchen; und indem die Konsuln haeufig veranlasst wurden, vor Ende des Jahres abzudanken und nachgewaehlten Konsuln (consules suffecti) Platz zu machen, ferner die Zahl der jaehrlich ernannten Praetoren von acht auf sechzehn erhoeht und dem Imperator die Ernennung der Haelfte derselben in aehnlicher Art wie die der Haelfte der Quaestoren uebertragen ward, endlich demselben das Recht reserviert blieb, zwar nicht Titularkonsuln, aber doch Titularpraetoren wie Titularquaestoren zu ernennen, sicherte Caesar sich fuer die Besetzung der Statthalterschaften eine hinreichende Zahl ihm genehmer Kandidaten. Die Abberufung blieb natuerlich dem Ermessen des Regenten anheimgestellt, ebenso wie die Ernennung; als Regel wurde angenommen, dass der konsularische Statthalter nicht ueber zwei, der praetorische nicht ueber ein Jahr in der Provinz bleiben solle. Was endlich die Verwaltung der Haupt- und Residenzstadt anlangt, so beabsichtigte der Imperator eine Zeitlang offenbar, auch diese in aehnlicher Weise von ihm ernannten Beamten anzuvertrauen. Er rief die alte Stadtverweserschaft der Koenigszeit wieder ins Leben; zu verschiedenen Malen uebertrug er waehrend seiner Abwesenheit die Verwaltung der Hauptstadt einem oder mehreren solchen von ihm ohne Befragen des Volkes und auf unbestimmte Zeit ernannten Stellvertretern, welche die Geschaefte der saemtlichen Verwaltungsbeamten in sich vereinigten und sogar das Recht besassen, mit eigenem Namen, obwohl natuerlich nicht mit eigenem Bilde, Muenze zu schlagen. In dem Jahre 707 (47) und in den ersten neun Monaten des Jahres 709 (45) gab es ferner weder Praetoren noch kurulische Aedilen noch Quaestoren; auch die Konsuln wurden in jenem Jahre erst gegen das Ende ernannt, und in diesem war gar Caesar Konsul ohne Kollegen. Es sieht dies ganz aus wie ein Versuch, die alte koenigliche Gewalt auch innerhalb der Stadt Rom, bis auf die durch die demokratische Vergangenheit des neuen Monarchen gebotenen Beschraenkungen, vollstaendig zu erneuern, also von Beamten, ausser dem Koenig selbst, nur den Stadtpraefekten waehrend des Koenigs Abwesenheit und die zum Schutz der Volksfreiheit bestellten Tribunen und Volksaedilen bestehen zu lassen, aber das Konsulat, die Zensur, die Praetur, die kurulische Aedilitaet und die Quaestur wiederabzuschaffen ^15. Indes ging Caesar hiervon spaeter wieder ab: weder nahm er selbst den Koenigstitel an, noch tilgte er jene ehrwuerdigen, mit der glorreichen Geschichte der Republik verwachsenen Namen. Den Konsuln, Praetoren, Aedilen, Tribunen und Quaestoren blieb im wesentlichen ihre bisherige formelle Kompetenz, allein ihre Stellung ward dennoch gaenzlich umgewandelt. Es war der politische Grundgedanke der Republik, dass das Roemische Reich in der Stadt Rom aufgehe, und deshalb waren konsequent die hauptstaedtischen Munizipal- durchaus als Reichsbeamte behandelt worden. In Caesars Monarchie fiel mit jener Auffassung auch diese Folge weg; die Beamten Roms bildeten fortan nur die erste unter den vielen Reichsmunizipalitaeten, und namentlich das Konsulat ward ein reiner Titularposten, der nur durch die daran geknuepfte Expektanz einer hoeheren Statthalterschaft eine gewisse praktische Bedeutung bewahrte. Das Schicksal, das die roemische Gemeinde den unterworfenen zu bereiten gewohnt gewesen, widerfuhr durch Caesar ihr selber: ihre Souveraenitaet ueber das Roemische Reich verwandelte sich in eine beschraenkte Kommunalfreiheit innerhalb des roemischen Staates. Dass zugleich die Zahl der Praetoren und Quaestoren verdoppelt ward, wurde schon erwaehnt; das gleiche geschah hinsichtlich der Volksaedilen, zu denen zwei neue “Getreideaedilen” (aediles Ceriales) zur Ueberwachung der hauptstaedtischen Zufuhr hinzukamen. Die Besetzung dieser Aemter blieb der Gemeinde und ward hinsichtlich der Konsuln, vielleicht auch der Volkstribune und der Volksaedilen, nicht beschraenkt; dass fuer die Haelfte der jaehrlich zu ernennenden Praetoren, kurulischen Aedilen und Quaestoren der Imperator ein die Waehler bindendes Vorschlagsrecht erhielt, ward in der Hauptsache schon erwaehnt. Ueberhaupt wurden die altheiligen Palladien der Volksfreiheit nicht angetastet; was natuerlich nicht hinderte, gegen den einzelnen aufsaetzigen Volkstribun ernstlich einzuschreiten, ja ihn abzusetzen und von der Liste der Senatoren zu streichen. Indem also der Imperator fuer die allgemeineren und wichtigeren Fragen sein eigener Minister war; indem er die Finanzen durch seine Bedienten, das Heer durch seine Adjutanten beherrschte; indem die alten republikanischen Staatsaemter wieder in Gemeindeaemter der Stadt Rom umgewandelt waren, war die Autokratie hinreichend begruendet. —————————————– ^15 Daher denn auch die vorsichtigen Wendungen bei Erwaehnung dieser Aemter in Caesars Gesetzen: cum censor aliusve quis magistratus Romae populi censum aget (Lex Iul. munic., Z. 144); praetor isve quei Romae iure deicundo praerit (Lex Rubr. oft); quaestor urbanes queive aerario praerit (Lex Iul. munic., Z. 37 u. oe.).
—————————————– In der geistlichen Hierarchie dagegen hat Caesar, obwohl er auch ueber diesen Teil des Staatshaushalts ein ausfuehrliches Gesetz erliess, nichts Wesentliches geneuert, ausser dass er das Oberpontifikat und vielleicht die Mitgliedschaft der hoeheren Priesterkollegien ueberhaupt mit der Person des Regenten verknuepfte; womit es teilweise zusammenhaengt, dass in den drei hoechsten Kollegien je eine, in dem vierten der Schmausherren drei neue Stellen geschaffen wurden. Hatte die roemische Staatskirche bisher der herrschenden Oligarchie zur Stuetze gedient, so konnte sie ebendenselben Dienst auch der neuen Monarchie leisten. Die konservative Religionspolitik des Senats ging ueber auf die neuen Koenige von Rom; als der streng konservative Varro um diese Zeit seine ‘Altertuemer der goettlichen Dinge’, das Haupt- und Grundbuch der roemischen Staatstheologie, bekannt machte, durfte er dieselben dem Oberpontifex Caesar zueignen. Der matte Glanz, den der Joviskult noch zu geben vermochte, umfloss den neugegruendeten Thron, und der alte Landesglaube ward in seinen letzten Stadien das Werkzeug eines freilich von Haus aus hohlen und schwaechlichen Caesaropapismus.
Im Gerichtswesen ward zunaechst die alte koenigliche Gerichtsbarkeit wiederhergestellt. Wie der Koenig urspruenglich in Kriminal- und Zivilsachen Richter gewesen war, ohne in jenen an die Gnadeninstanz des Volkes, in diesen an die Ueberweisung der Entscheidung der streitigen Frage an Geschworene rechtlich gebunden zu sein: so nahm auch Caesar das Recht in Anspruch, Blutgerichte wie Privatprozesse zu alleiniger und endgueltiger Entscheidung an sich zu ziehen und sie im Falle seiner Anwesenheit selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den Stadtverweser zu erledigen. In der Tat finden wir ihn, ganz nach der Weise der alten Koenige, teils oeffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht sitzen ueber des Hochverrats angeklagte roemische Buerger, teils in seinem Hause Gericht halten ueber die des gleichen Vergehens beschuldigten Klientelfuersten; so dass das Vorrecht, das die roemischen Buerger vor den uebrigen Untertanen des Koenigs voraus hatten, allein in der Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlung bestanden zu haben scheint. Indes dieses wiedererweckte koenigliche Oberrichtertum konnte, wenngleich Caesar mit Unparteilichkeit und Sorgfalt sich demselben unterzog, doch der Natur der Sache nach tatsaechlich nur in Ausnahmefaellen zur Anwendung kommen. Fuer den gewoehnlichen Rechtsgang in Kriminal- und Zivilsachen blieb daneben die bisherige republikanische Rechtspflege im wesentlichen bestehen. Die Kriminalsachen fanden nach wie vor ihre Erledigung vor den verschiedener, fuer die einzelnen Verbrechen kompetenten Geschworenenkommissionen, die Zivilsachen teils vor dem Erbschafts- oder dem sogenannten “Hundertmaennergericht”, teils vor den Einzelgeschworenen; die Leitung der Gerichte ward, wie bisher, in der Hauptstadt hauptsaechlich von den Praetoren, in den Provinzen von den Statthaltern beschafft. Auch die politischen Verbrechen blieben selbst unter der Monarchie einer Geschworenenkommission ueberwiesen; die neue Ordnung, die Caesar fuer dieselbe erliess, spezifizierte die gesetzlich strafbaren Handlungen genau und in liberaler, jede Gesinnungsverfolgung ausschliessender Weise und setzte als Strafe nicht den Tod fest, sondern die Verbannung. Hinsichtlich der Auswahl der Geschworenen, die die Senatorenpartei ausschliesslich aus dem Senat, die strengen Gracchaner ausschliesslich aus dem Ritterstand erkoren wissen wollten, liess Caesar, getreu dem Grundsatz der Versoehnung der Parteien, es bei dem Transaktionsgesetze Cottas, jedoch mit der wahrscheinlich schon durch das Gesetz des Pompeius vom Jahre 699 (55) vorbereiteten Modifikation, dass die aus den unteren Schichten des Volkes hervorgegangenen Aerartribunen beseitigt, damit also ein Geschworenenzensus von mindestens 400000 Sesterzen (30000 Taler) festgesetzt ward, und Senatoren und Ritter in die Geschworenenfunktionen, die so lange der Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetzt sich teilten. Das Verhaeltnis der koeniglichen und der republikanischen Gerichtsbarkeit war im ganzen konkurrierender Art, so dass jede Sache sowohl vor dem Koenigsgericht als vor dem beikommenden republikanischen Gerichtshof anhaengig gemacht werden konnte, wobei im Kollisionsfall natuerlich der letztere zurueckstand; wenn dagegen das eine oder das andere Gericht den Spruch gefaellt hatte, die Sache damit endgueltig erledigt war. Zur Umstossung eines in einer Zivil- oder in einer Kriminalsache von den berufenen Geschworenen gefaellten Verdikts war auch der neue Herrscher nicht befugt, ausgenommen wo besondere Momente, zum Beispiel Bestechung oder Gewalt, schon nach dem Recht der Republik die Kassation des Geschworenenspruchs herbeifuehrten. Dagegen erhielt der Satz, dass wegen eines jeden bloss magistratischen Dekrets der dadurch Beschwerte an den Vorgesetzten des Dezernenten zu appellieren befugt sei, wahrscheinlich schon jetzt die grosse Ausdehnung, aus der die spaetere kaiserliche Appellationsinstanz hervorgegangen ist: es wurden vielleicht saemtliche rechtsprechende Magistrate, mindestens aber die Statthalter der saemtlichen Provinzen insofern als Unterbeamte des Herrschers angesehen, dass von jedem ihrer Dekrete Berufung an denselben eingelegt werden konnte.
Allerdings haben diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die Generalisierung der Appellation, nicht einmal unbedingt zu den Besserungen gezaehlt werden kann, die Schaeden, an denen die roemische Rechtspflege daniederlag, keineswegs ausgeheilt. Der Kriminalprozess kann in keinem Sklavenstaat gesund sein, da das Verfahren gegen Sklaven wenn nicht rechtlich, doch tatsaechlich in der Hand des Herrn liegt. Der roemische Herr ahndete begreiflicherweise das Verbrechen seines Knechts durchgaengig nicht als solches, sondern nur insofern es den Sklaven ihm unbrauchbar oder unangenehm machte; die Verbrechersklaven wurden eben nur ausrangiert, etwa wie die stoessigen Ochsen, und, wie diese an den Schlaechter, so jene in die Fechtbude verkauft. Aber auch der Kriminalprozess gegen Freie, der von Haus aus politischer Prozess gewesen und zum guten Teil immer geblieben war, hatte in dem wuesten Treiben der letzten Generationen aus einem ernstlichen Rechtshandel sich umgewandelt in eine mit Gunst, Geld und Gewalt zu schlagende Cliquenschlacht. Die Schuld lag an allen Beteiligten zugleich, an den Beamten, der Jury, den Parteien, sogar dem Zuschauerpublikum; aber die unheilbarsten Wunden schlug dem Rechte das Treiben der Advokaten. Indem die Schmarotzerpflanze der roemischen Advokatenberedsamkeit gedieh, wurden alle positiven Rechtsbegriffe zersetzt und der dem Publikum so schwer einleuchtende Unterschied zwischen Meinung und Beweis aus der roemischen Kriminalpraxis recht eigentlich ausgetrieben. “Ein recht schlechter Angeklagter”, sagt ein vielerfahrener roemischer Advokat dieser Zeit, “kann auf jedes beliebige Verbrechen, das er begangen oder nicht begangen hat, angeklagt werden und wird sicher verurteilt.” Es sind aus dieser Epoche zahlreiche Plaedoyers in Kriminalsachen erhalten; kaum eines ist darunter, das auch nur ernstlich versuchte, das fragliche Verbrechen zu fixieren und den Beweis oder Gegenbeweis zu formulieren ^16. Dass der gleichzeitige Zivilprozess ebenfalls vielfach ungesund war, bedarf kaum der Erwaehnung; auch er litt unter den Folgen der in alles sich mengenden Parteipolitik, wie denn zum Beispiel in dem Prozess des Publius Quinctius (671-673 83-81) die widersprechendsten Entscheidungen fielen, je nachdem Cinna oder Sulla in Rom die Oberhand hatte; und die Anwaelte, haeufig Nichtjuristen, stifteten auch hier absichtlich und unabsichtlich Verwirrung genug. Aber es lag doch in der Natur der Sache, dass teils die Partei hier nur ausnahmsweise sich einmengte, teils die Advokatenrabulistik nicht so rasch und nicht so tief die Rechtsbegriffe aufzuloesen vermochte; wie denn auch die Zivilplaedoyers, die wir aus dieser Epoche besitzen, zwar nicht nach unseren strengeren Begriffen gute Advokatenschriften, aber doch weit weniger libellistischen und weit mehr juristischen Inhalts sind als die gleichzeitigen Kriminalreden. Wenn Caesar der Advokatenberedsamkeit den von Pompeius ihr angelegten Maulkorb liess oder gar ihn noch verschaerfte, war damit wenigstens nichts verloren; und viel war gewonnen, wenn besser gewaehlte und besser beaufsichtigte Beamte und Geschworene ernannt wurden und die handgreifliche Bestechung und Einschuechterung der Gerichte ein Ende nahm. Aber das heilige Rechtsgefuehl und die Ehrfurcht vor dem Gesetz, schwer in den Gemuetern der Menge zu zerruetten, sind schwerer noch wiederzuerzeugen. Wie auch der Gesetzgeber mannigfaltigen Missbrauch abstellte, den Grundschaden vermochte er nicht zu heilen; und man durfte zweifeln, ob die Zeit, die alles Heilbare heilt, hier Hilfe bringen werde.
————————————————- ^16 “Weit oefter”, sagt Cicero in seiner Anweisung zur Redekunst (De orat. 2, 42, 178), zunaechst in Beziehung auf den Kriminalprozess, “bestimmen Abneigung oder Zuneigung oder Parteilichkeit oder Erbitterung oder Schmerz oder Freude oder Hoffnung oder Furcht oder Taeuschung oder ueberhaupt eine Leidenschaft den Wahrspruch der Leute als der Beweis oder die Vorschrift oder eine Rechtsregel oder die Prozessinstruktion oder die Gesetze.” Darauf wird denn die weitere Unterweisung fuer den angehenden Sachwalter begruendet. ————————————————- Das roemische Heerwesen dieser Zeit war ungefaehr in derselben Verfassung wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die regierenden Klassen sendeten nur noch die Offiziere; die Untertanenschaft, Plebejer und Provinzialen, bildeten das Heer. Der Feldherr war von der Zentralregierung finanziell und militaerisch fast unabhaengig und im Glueck wie im Unglueck wesentlich auf sich selbst und auf die Hilfsquellen seines Sprengels angewiesen. Buerger- und sogar Nationalsinn waren aus dem Heere verschwunden und als innerliches Band einzig der Korpsgeist uebriggeblieben. Die Armee hatte aufgehoert ein Werkzeug des Gemeinwesens zu sein; politisch hatte sie einen eigenen Willen nicht, wohl aber vermochte sie den des Werkmeisters sich anzueignen; militaerisch sank sie unter den gewoehnlichen elenden Fuehrern zu einer aufgeloesten, unbrauchbaren Rotte herab, entwickelte aber auch unter dem rechten Feldherrn sich zu einer dem Buergerheer unerreichbaren militaerischen Vollkommenheit. Der Offiziersstand vor allem war im tiefsten Verfall. Die hoeheren Staende, Senatoren und Ritter entwoehnten immer mehr sich der Waffen. Wenn man sonst um die Stabsoffizierstellen eifrig geworben hatte, so war jetzt jeder Mann von Ritterrang, welcher dienen mochte, einer Kriegstribunenstelle sicher und schon mussten manche dieser Posten mit Maennern niedrigeren Standes besetzt werden; wer aber ueberhaupt von den Vornehmen noch diente, suchte wenigstens seine Dienstzeit in Sizilien oder einer anderen Provinz abzutun, wo man sicher war, nicht vor den Feind zu kommen. Offiziere von gewoehnlicher Bravour und Brauchbarkeit wurden wie Meerwunder angestaunt; wie denn namentlich mit Pompeius seine Zeitgenossen eine sie in jeder Hinsicht kompromittierende militaerische Vergoetterung trieben. Zum Ausreissen wie zur Meuterei gab in der Regel der Stab das Signal; trotz der straeflichen Nachsicht der Kommandierenden waren Antraege auf Kassation vornehmer Offiziere alltaegliche Vorfaelle. Noch besitzen wir das von Caesars eigener Hand nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie in seinem eigenen Hauptquartier, als es gegen Ariovist gehen sollte, geflucht und geweint und an Testamenten und sogar an Urlaubsgesuchen gearbeitet ward. In der Soldatenschaft war von den besseren Staenden keine Spur mehr zu entdecken. Gesetzlich bestand die allgemeine Wehrpflicht noch, allein die Aushebung erfolgte, wenn es neben der Anwerbung dazu kam, in regelloser Weise; zahlreiche Pflichtige wurden uebergangen und die einmal Eingetretenen dreissig Jahre und laenger bei den Adlern festgehalten. Die roemische Buergerreiterei vegetierte nur noch als eine Art berittener Nobelgarde, deren salbenduftende Kavaliere und ausgesuchte Luxuspferde einzig bei den hauptstaedtischen Festen eine Rolle spielten; das sogenannte Buergerfussvolk war eine aus den niedrigsten Schichten der Buergerbevoelkerung zusammengeraffte Lanzknechttruppe; die Untertanen stellten die Reiterei und die leichten Truppen ausschliesslich und fingen an, auch im Fussvolk immer staerker mitverwendet zu werden. Die Rottenfuehrerstellen in den Legionen, auf denen bei der damaligen Kriegfuehrung die Tuechtigkeit der Abteilungen wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen Kriegsverfassung der Soldat mit der Pike sich empordiente, wurden jetzt nicht bloss regelmaessig nach Gunst vergeben, sondern sogar nicht selten an den Meistbietenden verkauft. Die Zahlung des Soldes erfolgte bei der schlechten Finanzwirtschaft der Regierung und der Feilheit und Betruegerei der grossen Majoritaet der Beamten hoechst mangelhaft und unregelmaessig.
Die notwendige Folge hiervon war, dass im gewoehnlichen Laufe der Dinge die roemischen Armeen die Provinzen ausraubten, gegen die Offiziere meuterten und vor dem Feinde davonliefen; es kam vor, dass betraechtliche Heere, wie das makedonische des Piso im Jahre 697 (57), ohne eigentliche Niederlage, bloss durch diese Misswirtschaft vollstaendig ruiniert wurden. Faehige Fuehrer dagegen, wie Pompeius, Caesar, Gabinius, bildeten wohl aus dem vorhandenen Material tuechtige und schlagfertige, zum Teil musterhafte Armeen; allein es gehoerten diese Armeen viel mehr ihrem Heerfuehrer als dem Gemeinwesen. Der noch weit vollstaendigere Verfall der roemischen Marine, die zu allem andern den Roemern antipathisch geblieben und nie voellig nationalisiert worden war, bedarf kaum der Erwaehnung. Es war eben auch hier nach allen Seiten hin unter dem oligarchischen Regiment ruiniert worden, was ueberhaupt ruiniert werden konnte. Caesars Reorganisation des roemischen Militaerwesens beschraenkte sich im wesentlichen darauf, die unter der bisherigen schlaffen und unfaehigen Oberleitung gelockerten Zuegel der Disziplin wieder straff und fest anzuziehen. Einer radikalen Reform schien ihm das roemische Heerwesen entweder nicht beduerftig oder auch nicht faehig; die Elemente der Armee akzeptierte er, ebenwie Hannibal sie akzeptiert hatte. Die Bestimmung seiner Gemeindeordnung, dass, um vor dem dreissigsten Jahre ein Gemeindeamt zu bekleiden oder im Gemeinderat zu sitzen, ein dreijaehriger Dienst zu Pferde – das heisst als Offizier – oder ein sechsjaehriger zu Fuss erforderlich sei, beweist wohl, dass er die besseren Staende in das Heer zu ziehen wuenschte, aber ebenso deutlich auch, dass bei dem immer mehr einreissenden unkriegerischen Geist der Nation er selbst es nicht mehr fuer moeglich hielt, die Bekleidung eines Ehrenamtes an die Ueberstehung der Dienstzeit unbedingt wie ehedem zu knuepfen. Ebendaraus wird es sich erklaeren, dass Caesar keinen Versuch gemacht hat, die roemische Buergerreiterei wiederherzustellen. Die Aushebung ward besser geordnet, die Dienstzeit geregelt und abgekuerzt; uebrigens blieb es dabei, dass die Linieninfanterie vorwiegend aus den niederen Staenden der roemischen Buergerschaft, die Reiterei und die leichte Infanterie aus der Untertanenschaft ausgehoben ward – dass fuer die Reorganisation der Kriegsflotte nichts geschah, ist auffallend. Eine ohne Zweifel ihrem Urheber selbst bedenkliche Neuerung, zu der die Unzuverlaessigkeit der Untertanenreiterei zwang, war es, dass Caesar zuerst von dem altroemischen System abwich, niemals mit Soeldnern zu fechten, und in die Reiterei gemietete Auslaender, namentlich Deutsche, einstellte. Eine andere Neuerung war die Einsetzung der Legionsadjutanten (legati legionis). Bis dahin hatten die teils von der Buergerschaft, teils von dem betreffenden Statthalter ernannten Kriegstribune in der Art die Legionen gefuehrt, dass jeder derselben je sechs vorgesetzt waren und unter diesen das Kommando wechselte; einen Einzelkommandanten der Legion bestellte nur voruebergehend und ausserordentlicherweise der Feldherr. In spaeterer Zeit dagegen erscheinen jene Legionsobersten oder Legionsadjutanten teils als eine bleibende und organische Institution, teils als ernannt nicht mehr von dem Statthalter, dem sie gehorchen, sondern von dem Oberkommando in Rom; beides scheint auf Caesars an das Gabinische Gesetz anknuepfende Einrichtungen zurueckzugehen. Der Grund der Einfuehrung dieser wichtigen Zwischenstufe in die militaerische Hierarchie wird teils in dem Beduerfnis einer energischen Zentralisierung des Kommandos, teils in dem fuehlbaren Mangel an faehigen Oberoffizieren, teils und vor allem in der Absicht zu suchen sein, durch Zuordnung eines oder mehrerer vom Imperator ernannten Obersten dem Statthalter ein Gegengewicht zu geben. Die wesentlichste Veraenderung im Heerwesen bestand in der Aufstellung eines bleibenden Kriegshauptes in dem Imperator, welcher anstatt des bisherigen unmilitaerischen und in jeder Beziehung unfaehigen Regierungskollegiums das gesamte Armeeregiment in seinen Haenden vereinigte und dasselbe also aus einer meist bloss nominellen Direktion in ein wirkliches und energisches Oberkommando umschuf. Wir sind nicht gehoerig darueber unterrichtet, in welcher Weise dies Oberkommando sich zu den bis dahin in ihren Sprengeln allmaechtigen Spezialkommandos stellte. Wahrscheinlich lag dabei im allgemeinen die Analogie des zwischen dem Praetor und dem Konsul oder auch dem Konsul und dem Diktator obwaltenden Verhaeltnisses zu Grunde, so dass der Statthalter zwar an sich die hoechste militaerische Gewalt in seinem Sprengel behielt, aber der Imperator in jedem Augenblick dieselbe ihm ab und sie fuer sich oder seine Beauftragten zu nehmen befugt war und dass, waehrend die Gewalt des Statthalters auf den Sprengel beschraenkt war, die des Imperators wieder, wie die koenigliche und die aeltere konsularische, sich ueber das gesamte Reich erstreckte. Ferner ist hoechst wahrscheinlich schon jetzt die Ernennung der Offiziere, sowohl der Kriegstribune als der Centurionen, soweit sie bisher dem Statthalter zugestanden ^17, ebenso wie die Ernennung der neuen Legionsadjutanten unmittelbar an den Imperator gekommen und ebenso moegen schon jetzt die Anordnung der Aushebungen, die Abschiedserteilung, die wichtigeren Kriminalfaelle an das Oberkommando gezogen worden sein. Bei dieser Beschraenkung der Kompetenz der Statthalter und bei der regulierten Kontrolle des Imperators war fernerhin nicht leicht, weder eine voellige Verwahrlosung der Armeen noch eine Umwandlung derselben in persoenliche Gefolgschaften der einzelnen Offiziere zu befuerchten. Indes, so entschieden auch die Verhaeltnisse zur Militaermonarchie hindraengten und so bestimmt Caesar das Oberkommando ausschliesslich fuer sich nahm, war er dennoch keineswegs gesonnen, seine Gewalt durch und auf das Heer zu begruenden. Er hielt zwar eine stehende Armee notwendig fuer seinen Staat, aber nur, weil derselbe seiner geographischen Lage nach einer umfassenden Grenzregulierung und stehender Grenzbesatzungen bedurfte. Teils in frueheren Epochen, teils waehrend des letzten Buergerkrieges hatte er an Spaniens Befriedigung gearbeitet und in Afrika laengs der grossen Wueste, im Nordwesten des Reiches an der Rheinlinie feste Stellungen fuer die Grenzverteidigung eingerichtet. Mit aehnlichen Plaenen beschaeftigte er sich fuer die Landschaften am Euphrat und an der Donau. Vor allen Dingen gedachte er gegen die Parther zu ziehen und den Tag von Karrhae zu raechen; er hatte drei Jahre fuer diesen Krieg bestimmt und war entschlossen, mit diesen gefaehrlichen Feinden ein fuer allemal und ebenso vorsichtig wie gruendlich abzurechnen. Ebenso hatte er den Plan entworfen, den zu beiden Seiten der Donau gewaltig um sich greifenden Getenkoenig Burebistas anzugreifen und auch im Nordosten Italien durch aehnliche Marken zu schuetzen, wie er sie ihm im Keltenland geschaffen. Dagegen liegen durchaus keine Beweise dafuer vor, dass Caesar gleich Alexander einen Siegeslauf in die unendliche Ferne im Sinn hatte; es wird wohl erzaehlt, dass er von Parthien aus an das Kaspische und von diesem an das Schwarze Meer, sodann an dem Nordufer desselben bis zur Donau zu ziehen, ganz Skythien und Germanien bis an den – nach damaliger Vorstellung vom Mittelmeer nicht allzu fernen – noerdlichen Ozean zum Reiche zu bringen und durch Gallien heimzukehren beabsichtigt habe; allein keine irgend glaubwuerdige Autoritaet verbuergt die Existenz dieser fabulosen Projekte. Bei einem Staat, der, wie der roemische Caesars, bereits eine schwer zu bewaeltigende Masse barbarischer Elemente in sich schloss und mit deren Assimilierung noch auf Jahrhunderte hinaus mehr als genug zu tun hatte, waeren solche Eroberungen, auch ihre militaerische Ausfuehrbarkeit angenommen, doch nichts gewesen als noch weit glaenzendere und noch weit schlimmere Fehler als die indische Heerfahrt Alexanders. Sowohl nach Caesars Verfahren in Britannien und Deutschland wie nach dem Verhalten derjenigen, die die Erben seiner politischen Gedanken wurden, ist es in hohem Grade wahrscheinlich, dass Caesar, mit Scipio Aemilianus, die Goetter nicht anrief, das Reich zu mehren, sondern es zu erhalten, und dass seine Eroberungsplaene sich beschraenkten auf eine, freilich nach seinem grossartigen Massstab bemessene, Grenzregulierung, welche die Euphratlinie sichern und anstatt der voellig schwankenden und militaerisch nichtigen nordoestlichen Reichsgrenze die Donaulinie feststellen und verteidigungsfaehig machen sollte. Indes wenn es nur wahrscheinlich bleibt, dass Caesar nicht in dem Sinne als Welteroberer bezeichnet werden darf wie Alexander und Napoleon, so ist das vollkommen gewiss, dass er seine neue Monarchie nicht zunaechst auf die Armee zu stuetzen, ueberhaupt nicht die militaerische Gewalt ueber die buergerliche zu setzen, sondern sie dem buergerlichen Gemeinwesen ein- und soweit moeglich unterzuordnen gedachte. Die unschaetzbaren Stuetzen eines Soldatenstaates, jene alten vielgefeierten gallischen Legionen, wurden eben wegen ihres mit einem buergerlichen Gemeinwesen unvertraeglichen Korpsgeistes in ehrenvoller Weise annulliert und ihre ruhmvollen Namen pflanzten nur sich fort in neugegruendeten staedtischen Gemeinden. Die von Caesar bei der Entlassung mit Landlosen beschenkten Soldaten wurden nicht wie die Sullas in eigenen Kolonien gleichsam militaerisch zusammengesiedelt, sondern, namentlich soweit sie in Italien ansaessig wurden, moeglichst vereinzelt und durch die ganze Halbinsel zerstreut; nur war es freilich nicht zu vermeiden, dass auf den zur Verfuegung gebliebenen Teilen des kampanischen Ackers die alten Soldaten Caesars dennoch in Masse sich zusammenfanden. Der schwierigen Aufgabe, die Soldaten einer stehenden Armee innerhalb der Kreise des buergerlichen Lebens zu halten, suchte Caesar zu genuegen teils durch Festhaltung der bisherigen nur gewisse Dienstjahre, nicht aber einen eigentlich stehenden, das heisst durch keine Entlassung unterbrochenen Dienst vorschreibenden Ordnung, teils durch die schon erwaehnte Verkuerzung der Dienstzeit, welche einen rascheren Wechsel des Soldatenpersonals herbeifuehrte, teils durch regelmaessige Ansiedlung der ausgedienten Soldaten als Ackerkolonisten, teils und vornehmlich dadurch, dass die Armee von Italien und ueberhaupt von den eigentlichen Sitzen des buergerlichen und politischen Lebens der Nation ferngehalten und der Soldat dahin gewiesen ward, wo er nach der Meinung des grossen Koenigs allein an seinem Platze war: in die Grenzstationen zur Abwehr des auswaertigen Feindes. Das rechte Kriterium des Militaerstaates, die Entwicklung und Bevorzugung der Gardetruppe, findet ebenfalls bei Caesar sich nicht. Obwohl in der aktiven Armee das Institut einer besonderen Leibwache des Feldherrn bereits seit langem bestand, so tritt diese doch in Caesars Heerfuehrung vollstaendig in den Hintergrund; seine praetorische Kohorte scheint wesentlich nur aus Ordonnanzoffizieren oder nichtmilitaerischen Begleitern bestanden zu haben und niemals ein eigentliches Elitenkorps, also auch niemals Gegenstand der Eifersucht der Linientruppen gewesen zu sein. Wenn Caesar schon als Feldherr die Leibwache tatsaechlich fallen liess, so duldete er um so weniger als Koenig eine Garde um sich. Obwohl bestaendig, und ihm wohl bewusst, von Moerdern umschlichen, wies er dennoch den Antrag des Senats auf Errichtung einer Nobelgarde zurueck, entliess, sowie die Dinge einigermassen sich beruhigten, die spanische Eskorte, deren er in der ersten Zeit in der Hauptstadt sich bedient hatte, und begnuegte sich mit dem Gefolge von Gerichtsdienern, wie es fuer die roemischen Oberbeamten hergebracht war. Wie viel auch Caesar von dem Gedanken seiner Partei und seiner Jugend, ein perikleisches Regiment in Rom nicht kraft des Saebels, sondern kraft des Vertrauens der Nation zu begruenden, im Kampfe mit den Realitaeten hatte muessen fallen lassen – den Grundgedanken, keine Militaermonarchie zu stiften, hielt er auch jetzt noch mit einer Energie fest, zu der die Geschichte kaum eine Parallele darbietet. Allerdings war auch dies ein unausfuehrbares Ideal – es war die einzige Illusion, in der das sehnsuechtige Verlangen in diesem starken Geiste maechtiger war als der klare Verstand. Ein Regiment, wie es Caesar im Sinne trug, war nicht bloss notwendig hoechst persoenlicher Natur und musste mit dem Tode des Urhebers ebenso zugrunde gehen wie die verwandten Schoepfungen Perikles’ und Cromwells mit dem Tode ihrer Stifter; sondern bei dem tief zerruetteten Zustand der Nation war es nicht einmal glaublich, dass es dem achten Koenig von Rom auch nur fuer seine Lebenszeit gelingen werde, so wie seine sieben Vorgaenger seine Mitbuerger bloss kraft Gesetz und Recht zu beherrschen, und ebensowenig wahrscheinlich, dass es ihm gelingen werde, das stehende Heer, nachdem es im letzten Buergerkrieg seine Macht kennengelernt und die Scheu verlernt hatte, wieder als dienendes Glied in die buergerliche Ordnung einzufuegen. Wer kaltbluetig erwog, bis zu welchem Grade die Furcht vor dem Gesetz aus den untersten wie aus den obersten Schichten der Gesellschaft entwichen war, dem musste die erstere Hoffnung vielmehr ein Traum duenken; und wenn mit der Marianischen Reform des Heerwesens der Soldat ueberhaupt aufgehoert hat, Buerger zu sein, so zeigten die kampanische Meuterei und das Schlachtfeld von Thapsus mit leidiger Deutlichkeit, in welcher Art jetzt die Armee dem Gesetze ihren Arm lieh. Selbst der grosse Demokrat vermochte die Gewalten, die er entfesselt hatte, nur muehsam und mangelhaft wieder zu baendigen; Tausende von Schwertern flogen noch auf seinen Wink aus der Scheide, aber zurueck in die Scheide kehrten sie schon nicht mehr auf seinen Wink. Das Verhaengnis ist maechtiger als das Genie. Caesar wollte der Wiederhersteller des buergerlichen Gemeinwesens werden und ward der Gruender der von ihm verabscheuten Militaermonarchie; er stuerzte den Aristokraten- und Bankierstaat im Staate nur, um an deren Platz den Soldatenstaat im Staate zu setzen, und das Gemeinwesen blieb wie bisher tyrannisiert und exploitiert von einer privilegierten Minoritaet. Aber dennoch ist es ein Privilegium der hoechsten Naturen, also schoepferisch zu irren. Die genialen Versuche grosser Maenner, das Ideal zu realisieren, wenn sie auch ihr Ziel nicht erreichen, bilden den besten Schatz der Nationen. Es ist Caesars Werk, dass der roemische Militaerstaat erst nach mehreren Jahrhunderten zum Polizeistaat ward und dass die roemischen Imperatoren, wie wenig sie sonst auch dem grossen Begruender ihrer Herrschaft glichen, doch den Soldaten wesentlich nicht gegen den Buerger verwandten, sondern gegen den Feind, und Nation und Armee beide zu hoch achteten, um diese zum Konstabler ueber jene zu setzen.
——————————————————– ^17 An die Ernennung eines Teiles der Kriegstribune durch die Buergerschaft hat Caesar, auch hierin Demokrat, nicht geruehrt. ——————————————————– Die Ordnung des Finanzwesens machte bei den soliden Grundlagen, die die ungeheure Groesse des Reiches und der Ausschluss des Kreditsystems gewaehrten, verhaeltnismaessig geringe Schwierigkeit. Wenn der Staat bisher in bestaendiger Finanzverlegenheit sich befunden hatte, so war daran die Unzulaenglichkeit der Staatseinnahmen am wenigsten schuld; vielmehr hatten diese eben in den letzten Jahren sich ungemein vermehrt. Zu der aelteren Gesamteinnahme, die auf 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) angeschlagen wird, waren durch die Einrichtung der Provinzen Bithynien-Pontus und Syrien 85 Mill. Sesterzen (6500000 Taler) gekommen; welcher Zuwachs, nebst den sonstigen neueroeffneten oder gesteigerten Einnahmequellen, namentlich durch den bestaendig steigenden Ertrag der Luxusabgaben, den Verlust der kampanischen Pachtgelder weit ueberwog. Ausserdem waren durch Lucullus, Metellus, Pompeius, Cato und andere ausserordentlicherweise dem Staatsschatz ungeheure Summen zugeflossen. Die Ursache der finanziellen Verlegenheiten lag vielmehr teils in den gesteigerten ordentlichen und ausserordentlichen Ausgaben, teils in der geschaeftlichen Verwirrung. Unter jenen nahm die Getreideverteilung an die hauptstaedtische Menge fast unerschwingliche Summen in Anspruch: durch die von Cato 691 (63) ihr gegebene Ausdehnung stieg die jaehrliche Ausgabe dafuer auf 30 Mill. Sesterzen (2300000 Taler), und seit Abschaffung der bisher gezahlten Verguetung im Jahre 696 (58) verschlang dieselbe gar den fuenften Teil der Staatseinkuenfte. Auch das Militaerbudget war gestiegen, seit zu den Besatzungen von Spanien, Makedonien und den uebrigen Provinzen noch die von Kilikien, Syrien und Gallien hinzukamen. Unter den ausserordentlichen Ausgaben sind in erster Linie die grossen Kosten der Flottenruestungen zu nennen, wofuer zum Beispiel fuenf Jahre nach der grossen Razzia von 687 (67) auf einmal 34 Mill. Sesterzen (2600000 Taler) verausgabt wurden. Dazu kamen die sehr ansehnlichen Summen, welche die Kriegszuege und Kriegsvorbereitungen wegnahmen, wie denn bloss fuer Ausruestung des makedonischen Heeres an Piso auf einmal 18 Mill. Sesterzen (1370000 Taler), an Pompeius fuer die Unterhaltung und Besoldung der spanischen Armee gar jaehrlich 24 Mill. Sesterzen (1826000 Taler) und aehnliche Summen an Caesar fuer die gallischen Legionen gezahlt wurden. So betraechtlich aber auch diese Ansprueche waren, die an die roemische Staatskasse gemacht wurden, so haette dennoch dieselbe ihnen zu genuegen vermocht, wenn nicht ihre einst so musterhafte Verwaltung von der allgemeinen Schlaffheit und Unehrlichkeit dieser Zeit mitergriffen worden waere; oft stockten die Zahlungen des Aerars bloss deshalb, weil man dessen ausstehende Forderungen einzumahnen versaeumte. Die vorgesetzten Beamten, zwei von den Quaestoren, junge, jaehrlich gewechselte Menschen, verhielten im besten Fall sich passiv; unter dem frueherhin seiner Ehrenhaftigkeit wegen mit Recht hoch angesehenen Schreiber- und sonstigen Bueropersonal waren jetzt, namentlich seit diese Posten kaeuflich geworden waren, die aergsten Missbraeuche im Schwange. Sowie indes die Faeden des roemischen Staatsfinanzwesens nicht mehr wie bisher im Senat, sondern in Caesars Kabinett zusammenliefen, kam von selbst neues Leben, strengere Ordnung und festerer Zusammenhang in alle Raeder und Triebfedern dieser grossen Maschine. Die beiden von Gaius Gracchus herruehrenden und Krebsschaeden gleich das roemische Finanzwesen zerfressenden Institutionen: die Verpachtung der direkten Abgaben und die Getreideverteilungen, wurden teils abgeschafft, teils umgestaltet. Caesar wollte nicht wie sein Vorlaeufer die Nobilitaet durch die Bankieraristokratie und den hauptstaedtischen Poebel in Schach halten, sondern sie beseitigen und das Gemeinwesen von saemtlichen Parasiten hohen und niederen Ranges befreien; und darum ging er in diesen beiden wichtigen Fragen nicht mit Gaius Gracchus, sondern mit dem Oligarchen Sulla. Das Verpachtungssystem blieb fuer die indirekten Abgaben bestehen, bei denen es uralt war und, bei der auch von Caesar unverbruechlich festgehaltenen Maxime der roemischen Finanzverwaltung, die Abgabenerhebung um jeden Preis einfach und uebersichtlich zu erhalten, schlechterdings nicht entbehrt werden konnte. Die direkten Abgaben aber wurden fortan durchgaengig entweder, wie die afrikanischen und sardinischen Korn- und Oellieferungen, behandelt als unmittelbar an den Staat abzufuehrende Naturalleistungen, oder, wie die kleinasiatischen Gefaelle, in feste Geldabgaben verwandelt und die Einziehung der Einzelbetraege den Steuerdistrikten selbst ueberlassen. Die Kornverteilungen in der Hauptstadt waren bisher als nutzbares Recht der herrschenden und, weil sie herrschte, von den Untertanen zu speisenden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose Grundsatz ward von Caesar beseitigt; aber es konnte nicht uebersehen werden, dass eine Menge gaenzlich unvermoegender Buerger lediglich durch diese Speisungen vor dem Verhungern geschuetzt worden war. In diesem Sinne hielt Caesar dieselben fest. Hatte nach der Sempronischen, von Cato wiedererneuerten Ordnung jeder in Rom angesessene roemische Buerger rechtlich Anspruch gehabt auf unentgeltliches Brotkorn, so wurde diese Empfaengerliste, welche zuletzt bis auf 320000 Nummern gestiegen war, durch Ausscheidung aller wohlhabenden oder anderweit versorgten Individuen auf 150000 herabgebracht und diese Zahl als Maximalzahl der Freikornstellen ein fuer allemal fixiert, zugleich eine jaehrliche Revision der Liste angeordnet, um die durch Austritt oder Tod leergewordenen Plaetze mit den beduerftigsten unter den Bewerbern wieder zu besetzen. Indem also das politische Privilegium in eine Armenversorgung umgewandelt ward, trat ein in sittlicher wie in geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerter Satz zum erstenmal in lebendige Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe zu Stufe ringt die buergerliche Gesellschaft sich durch zu der Solidaritaet der Interessen; im frueheren Altertum schuetzte der Staat die Seinigen wohl vor dem Landesfeind und dem Moerder, aber er war nicht verpflichtet, durch Verabreichung der notwendigen Subsistenzmittel den gaenzlich hilflosen Mitbuerger vor dem schlimmeren Feinde des Mangels zu bewahren. Die attische Zivilisation ist es gewesen, die in der Solonischen und nachsolonischen Gesetzgebung zuerst den Grundsatz entwickelt hat, dass es Pflicht der Gemeinde ist, fuer ihre Invaliden, ja fuer ihre Armen ueberhaupt zu sorgen; und zuerst Caesar hat, was in der beschraenkten Enge des attischen Lebens Gemeindesache geblieben war, zu einer organischen Staatsinstitution entwickelt und eine Einrichtung, die fuer den Staat eine Last und eine Schmach war, umgeschaffen in die erste jener heute so unzaehlbaren wie segensreichen Anstalten, in denen das unendliche menschliche Erbarmen mit dem unendlichen menschlichen Elend ringt.
Ausser diesen prinzipiellen Reformen fand eine durchgaengige Revision des Einnahme- und Ausgabewesens statt. Die ordentlichen Einnahmen wurden ueberall reguliert und fixiert. Nicht wenigen Gemeinden, ja ganzen Landschaften ward, sei es mittelbar durch Verleihung des roemischen oder latinischen Buergerrechts, sei es unmittelbar durch Privilegium, die Steuerfreiheit bewilligt; so erhielten sie zum Beispiel alle sizilischen ^18 Gemeinden auf jenem, die Stadt Ilion auf diesem Wege. Noch groesser war die Zahl derjenigen, deren Steuerquantum herabgesetzt ward; wie denn den Gemeinden im Jenseitigen Spanien schon nach Caesars Statthalterschaft auf dessen Betrieb eine Steuerherabsetzung vom Senat bewilligt worden war, und jetzt der am meisten gedrueckten Provinz Asia nicht bloss die Hebung ihrer direkten Steuern erleichtert, sondern auch der dritte Teil derselben ganz erlassen ward. Die neu hinzukommenden Abgaben, wie die der in Illyrien unterworfenen und vor allem der gallischen Gemeinden, welche letztere zusammen 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) jaehrlich entrichteten, waren durchgaengig niedrig gegriffen. Freilich ward dagegen auch einzelnen Staedten, wie Klein-Leptis in Afrika, Sulci auf Sardinien und mehreren spanischen Gemeinden, zur Strafe ihres Verhaltens waehrend des letzten Krieges die Steuer erhoeht. Die sehr eintraeglichen, in den letzten Zeiten der Anarchie abgeschafften italischen Hafenzoelle wurden um so mehr wiederhergestellt, als diese Abgabe wesentlich die aus dem Osten eingehenden Luxuswaren traf. Zu diesen neu- oder wiedereroeffneten ordentlichen Einnahmequellen kamen die Summen hinzu, die ausserordentlicherweise, namentlich infolge des Buergerkrieges, an den Sieger gelangten: die in Gallien gesammelte Beute; der hauptstaedtische Kassenbestand; die aus den italischen und spanischen Tempeln entnommenen Schaetze, die in Formen der Zwangsanleihe, des Zwangsgeschenkes oder der Busse von den abhaengigen Gemeinden und Dynasten erhobenen Summen und die in aehnlicher Weise durch Rechtsspruch oder auch bloss durch Zusendung des Zahlungsbefehls einzelnen reichen Roemern auferlegten Strafgelder; vor allen Dingen aber der Erloes aus dem Vermoegen der geschlagenen Gegner. Wie ergiebig diese Einnahmequellen waren, mag man daraus abnehmen, dass allein die Busse der afrikanischen Grosshaendler, die in dem Gegensenat gesessen, sich auf 100 Mill. Sesterzen (7´ Mill. Taler) und der von den Kaeufern des Vermoegens des Pompeius gezahlte Preis auf 70 Mill. Sesterzen (5300000 Taler) belief. Dieses Verfahren war notwendig, weil die Macht der geschlagenen Nobilitaet zum guten Teil auf ihrem kolossalen Reichtum ruhte und nur dadurch wirksam gebrochen werden konnte, dass ihr die Tragung der Kriegskosten auferlegt ward. Die Gehaessigkeit der Konfiskationen aber ward einigermassen dadurch gemildert, dass Caesar ihren Ertrag allein dem Staate zugute kommen liess und, statt in Sullas Weise seinen Guenstlingen jeden Unterschleif nachzusehen, selbst von seinen treuesten Anhaengern, zum Beispiel von Marcus Antonius, die Kaufgelder mit Strenge beitrieb.
——————————————————————- ^18 Den Wegfall der sizilischen Zehnten bezeugt Varro in einer nach Ciceros Tode publizierten Schrift (rust. 2 praef.), indem er als die Kornprovinzen, aus denen Rom seine Subsistenz entnimmt, nur Afrika und Sardinien, nicht mehr Sizilien nennt. Die Latinitaet, wie sie Sizilien erhielt, muss also wohl die Immunitaet eingeschlossen haben (vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 684). ——————————————————————- In den Ausgaben wurde zunaechst durch die ansehnliche Beschraenkung der Getreidespenden eine Verminderung erzielt. Die beibehaltene Kornverteilung an die hauptstaedtischen Armen sowie die verwandte, von Caesar neu eingefuehrte Oellieferung fuer die hauptstaedtischen Baeder ward wenigstens zum grossen Teil ein- fuer allemal fundiert auf die Naturalabgaben von Sardinien und namentlich von Afrika und schied dadurch aus dem Kassenwesen ganz oder groesstenteils aus. Andererseits stiegen die regelmaessigen Ausgaben fuer das Militaerwesen, teils durch die Vermehrung des stehenden Heeres, teils durch die Erhoehung der bisherigen Loehnung des Legionaers, von jaehrlich 480 (36 Taler) auf jaehrlich 900 Sesterzen (68´ Taler). Beides war in der Tat unerlaesslich. Eine ernstliche Grenzverteidigung mangelte ganz und die unerlaessliche Voraussetzung derselben war eine ansehnliche Vermehrung der Armee. Die Verdoppelung des Soldes hat Caesar wohl benutzt, um seine Soldaten fest an sich zu ketten, aber nicht aus diesem Grunde als bleibende Neuerung eingefuehrt. Der bisherige Sold von 1 1/3 Sesterz (2 Groschen) den Tag war festgesetzt worden in uralten Zeiten, wo das Geld einen ganz anderen Wert hatte als in dem damaligen Rom; nur deshalb hatte er bis in eine Zeit hinein, wo der gemeine Tageloehner in der Hauptstadt mit seiner Haende Arbeit taeglich durchschnittlich 3 Sesterzen (5 Groschen) verdiente, beibehalten werden koennen, weil in diesen Zeiten der Soldat nicht des Soldes halber, sondern hauptsaechlich wegen der groesstenteils unerlaubten Akzidentien des Militaerdienstes in das Heer eintrat. Zu einer ernstlichen Reform des Militaerwesens und zur Beseitigung des meist den Provinzialen aufgebuerdeten unregelmaessigen Soldatenverdienstes war die erste Bedingung eine zeitgemaesse Erhoehung der regulaeren Loehnung; und die Fixierung derselben auf 2´ Sesterzen (4 Groschen) darf als eine billige, die dem Aerar dadurch aufgebuerdete grosse Last als eine notwendige und in ihren Folgen segensreiche betrachtet werden. Von dem Belauf der ausserordentlichen Ausgaben, die Caesar uebernehmen musste oder freiwillig uebernahm, ist es schwer, sich eine Vorstellung zu machen. Die Kriege selbst frassen ungeheure Summen; und vielleicht nicht geringere wurden erfordert, um die Zusicherungen zu erfuellen, die Caesar waehrend des Buergerkrieges zu machen genoetigt worden war. Es war ein schlimmes und fuer die Folgezeit leider nicht verlorenes Beispiel, dass jeder gemeine Soldat fuer seine Teilnahme am Buergerkrieg 20000 Sesterzen (1500 Taler), jeder Buerger der hauptstaedtischen Menge fuer seine Nichtbeteiligung an demselben als Zulage zum Brotkorn 300 Sesterzen (22 Taler) empfing; Caesar indes, nachdem er einmal in dem Drange der Umstaende sein Wort verpfaendet, war zu sehr Koenig, um davon abzudingen. Ausserdem genuegte Caesar unzaehligen Anforderungen ehrenhafter Freigebigkeit und machte namentlich fuer das Bauwesen, das waehrend der Finanznot der letzten Zeit der Republik schmaehlich vernachlaessigt worden war, ungeheure Summen fluessig – man berechnete den Kostenbetrag seiner teils waehrend der gallischen Feldzuege, teils nachher in der Hauptstadt ausgefuehrten Bauten auf 160 Mill. Sesterzen (12 Mill. Taler). Das Gesamtresultat der finanziellen Verwaltung Caesars ist darin ausgesprochen, dass er durch einsichtige und energische Reformen und durch die rechte Vereinigung von Sparsamkeit und Liberalitaet allen billigen Anspruechen reichlich und voellig genuegte und dennoch bereits im Maerz 710 (44) in der Kasse des Staats 700, in seiner eigenen 100 Mill. Sesterzen (zusammen 61 Mill. Taler) bar lagen – eine Summe, die den Kassenbestand der Republik in ihrer bluehendsten Zeit um das Zehnfache ueberstieg. Aber die Aufgabe, die alten Parteien aufzuloesen und das neue Gemeinwesen mit einer angemessenen Verfassung, einer schlagfertigen Armee und geordneten Finanzen auszustatten, so schwierig sie war, war nicht der schwierigste Teil von Caesars Werk. Sollte in Wahrheit die italische Nation wiedergeboren werden, so bedurfte es einer Reorganisation, die alle Teile des grossen Reiches, Rom, Italien und die Provinzen, umwandelte. Versuchen wir auch hier sowohl die alten Zustaende als auch die Anfaenge einer neuen und leidlicheren Zeit zu schildern. Aus Rom war der gute Stamm latinischer Nation laengst voellig verschwunden. Es liegt in den Verhaeltnissen, dass die Hauptstadt ihr munizipales und selbst ihr nationales Gepraege schneller verschleift als jedes untergeordnete Gemeinwesen. Hier scheiden die hoeheren Klassen rasch aus dem staedtischen Gemeinleben aus, um mehr in dem ganzen Staate als in einer einzelnen Stadt ihre Heimat zu finden; hier konzentriert sich unvermeidlich die auslaendische Ansiedlung, die fluktuierende Bevoelkerung von Vergnuegens- und Geschaeftsreisenden, die Masse des muessigen, faulen, verbrecherischen, oekonomisch und moralisch bankrotten und eben darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand dies alles in hervorragender Weise Anwendung. Der wohlhabende Roemer betrachtete sein Stadthaus haeufig nur als ein Absteigequartier. Indem aus der staedtischen Munizipalitaet die Reichsaemter hervorgingen, das staedtische Vogtding die Versammlung der Reichsbuerger ward, kleinere, sich selber regierende Bezirks- oder sonstige Gemeinschaften innerhalb der Hauptstadt nicht geduldet wurden, hoerte jedes eigentliche Kommunalleben fuer Rom auf. Aus dem ganzen Umfange des weitumfassenden Reiches stroemte man nach Rom, um zu spekulieren, zu debauchieren, zu intrigieren, zum Verbrecher sich auszubilden oder auch daselbst vor dem Auge des Gesetzes sich zu verbergen. Diese Uebel gingen aus dem hauptstaedtischen Wesen gewissermassen mit Notwendigkeit hervor; andere, mehr zufaellige und vielleicht noch ernstere gesellten sich dazu. Es hat vielleicht nie eine Grossstadt gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom; teils die Einfuhr, teils die haeusliche Fabrikation durch Sklaven machten hier jede freie Industrie von vornherein unmoeglich. Die nachteiligen Folgen des Grunduebels der Staatenbildung im Altertum ueberhaupt, des Sklavensystems, traten in der Hauptstadt schaerfer als irgendwo sonst hervor. Nirgends haeuften solche Sklavenmassen sich an wie in den hauptstaedtischen Palaesten der grossen Familien oder der reichen Emporkoemmlinge. Nirgends mischten sich so wie in der hauptstaedtischen Sklavenschaft die Nationen dreier Weltteile, Syrer, Phryger und andere Halbhellenen mit Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer zahlreicher einstroemenden Kelten und Deutschen. Die von der Unfreiheit unzertrennliche Demoralisation und der scheussliche Widerspruch des formellen und des sittlichen Rechts kamen weit greller zum Vorschein bei dem halb oder ganz gebildeten, gleichsam vornehmen Stadtsklaven als bei dem Ackerknecht, der das Feld gleich dem gefesselten Stier in Ketten bestellte. Schlimmer noch als die Sklavenmassen waren die der rechtlich oder auch bloss tatsaechlich freigegebenen Leute, ein Gemisch bettelhaften Gesindels und schwerreicher Parvenus, nicht mehr Sklaven und doch nicht voellig Buerger, oekonomisch und selbst rechtlich von ihrem Herrn abhaengig und doch mit den Anspruechen freier Maenner; und eben die Freigelassenen zogen sich vor allem nach der Hauptstadt, wo es Verdienst mancherlei Art gab und der Kleinhandel wie das kleine Handwerk fast ganz in ihren Haenden waren. Ihr Einfluss auf die Wahlen wird ausdruecklich bezeugt; und dass sie auch bei den Strassenkrawallen voran waren, zeigt schon das gewoehnliche Signal, wodurch diese von den Demagogen gleichsam angesagt wurden, die Schliessung der Buden und Verkaufslokale. Zu allem dem kam, dass die Regierung nicht bloss nichts tat, um dieser Korrumpierung der hauptstaedtischen Bevoelkerung entgegenzuwirken, sondern sogar ihrer egoistischen Politik zuliebe ihr Vorschub leistete. Die verstaendige Gesetzvorschrift, welche dem wegen Kapitalverbrechens verurteilten Individuum den Aufenthalt in der Hauptstadt untersagte, ward von der schlaffen Polizei nicht zur Ausfuehrung gebracht. Die dringend nahegelegte polizeiliche Ueberwachung der Assoziation des Gesindels ward anfangs vernachlaessigt, spaeterhin als freiheitswidrige Volksbeschraenkung sogar fuer strafbar erklaert. Die Volksfeste hatte man so anwachsen lassen, dass die sieben ordentlichen allein, die roemischen, die plebejischen, die der Goettermutter, der Ceres, des Apoll, der Flora und der Victoria, zusammen zweiundsechzig Tage waehrten, wozu dann noch die Fechterspiele und unzaehlige andere ausserordentliche Lustbarkeiten kamen. Die bei einem solchen, durchaus von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unumgaengliche Fuersorge fuer niedrige Getreidepreise ward mit dem gewissenlosesten Leichtsinn gehandhabt, und die Preisschwankungen des Brotkorns waren fabelhafter und unberechenbarer Art ^19. Endlich, die Getreideverteilungen luden das gesamte nahrungslose und arbeitsscheue Buergerproletariat offiziell ein, seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge Saat und die Ernte entsprach ihr. Das Klub- und Bandenwesen auf dem politischen Gebiet, auf dem religioesen der Isisdienst und der gleichartige fromme Schwindel hatten hier ihre Wurzeln. Man war bestaendig im Angesicht einer Teuerung und nicht selten in voller Hungersnot. Nirgends war man seines Lebens weniger sicher als in der Hauptstadt: der gewerbsmaessig betriebene Banditenmord war das einzige derselben eigene Handwerk; es war die Einleitung zur Ermordung, dass das Schlachtopfer nach Rom gelockt ward; niemand wagte sich ohne bewaffnetes Gefolge in die Umgegend der Hauptstadt. Auch die aeussere Beschaffenheit derselben entsprach dieser inneren Zerruettung und schien eine lebendige Satire auf das aristokratische Regiment. Fuer die Regulierung des Tiberstromes ward nichts getan; kaum dass man die einzige Bruecke, mit der man immer noch sich behalf, wenigstens bis zur Tiberinsel von Stein auffuehren liess. Fuer die Planierung der Siebenhuegelstadt war ebensowenig etwas geschehen, ausser wo etwa die Schutthaufen ausgeglichen hatten. Die Strassen gingen eng und winkelig Huegel auf und ab und waren elend gehalten, die Trottoirs schmal und schlecht gepflastert. Die gewoehnlichen Haeuser waren von Ziegeln ebenso liederlich wie schwindelnd hoch gebaut, meistens von spekulierenden Baumeistern fuer Rechnung der kleinen Besitzer, wobei jene steinreich, diese zu Bettlern wurden. Wie einzelne Inseln in diesem Meer von elenden Gebaeuden erschienen die glaenzenden Palaeste der Reichen, die den kleinen Haeusern ebenso den Raum verengten wie ihre Besitzer den kleinen Leuten ihr Buergerrecht im Staat und neben deren Marmorsaeulen und griechischen Statuen die verfallenden Tempel mit ihren grossenteils noch holzgeschnitzten Goetterbildern eine traurige Figur machten. Von einer Strassen-, einer Ufer-, Feuer- und Baupolizei war kaum die Rede; wenn die Regierung um die alljaehrlich eintretenden Ueberschwemmungen, Feuersbruenste und Haeusereinstuerze ueberhaupt sich bekuemmerte, so geschah es, um von den Staatstheologen Bericht und Bedenken ueber den wahren Sinn solcher Zeichen und Wunder zu begehren. Man versuche sich ein London zu denken mit der Sklavenbevoelkerung von New Orleans, mit der Polizei von Konstantinopel, mit der Industrielosigkeit des heutigen Rom und bewegt von einer Politik nach dem Muster der Pariser von 1848, und man wird eine ungefaehre Vorstellung von der republikanischen Herrlichkeit gewinnen, deren Untergang Cicero und seine Genossen in ihren Schmollbriefen betrauern. ————————————————— ^19 In dem Produktionsland Sizilien ward der roemische Scheffel innerhalb weniger Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne danach, wie die Preisschwankungen in Rom sich stellen mussten, das von ueberseeischem Korn lebte und der Sitz der Spekulanten war.
————————————————— Caesar trauerte nicht, aber er suchte zu helfen, soweit zu helfen war. Rom blieb natuerlich, was es war, eine Weltstadt. Der Versuch ihm wiederum einen spezifisch italischen Charakter zu geben, waere nicht bloss unausfuehrbar gewesen, sondern haette auch in Caesars Plan nicht gepasst. Aehnlich wie Alexander fuer sein griechisch-orientalisches Reich eine angemessene Hauptstadt in dem hellenisch-juedisch-aegyptischen und vor allem kosmopolitischen Alexandreia fand, so sollte auch die im Mittelpunkt des Orients und Okzidents gelegene Hauptstadt des neuen roemisch-hellenischen Weltreichs nicht eine italische Gemeinde sein, sondern die denationalisierte Kapitale vieler Nationen. Darum duldete es Caesar, dass neben dem Vater Jovis die neu angesiedelten aegyptischen Goetter verehrt wurden, und gestattete sogar den Juden die freie Uebung ihres seltsam fremdartigen Rituals auch in der Hauptstadt des Reiches. Wie widerlich bunt immer die parasitische, namentlich hellenisch-orientalische Bevoelkerung in Rom sich mischte, er trat ihrer Ausbreitung nirgends in den Weg; es ist bezeichnend, dass er bei seinen hauptstaedtischen Volksfesten Schauspiele nicht bloss in lateinischer und griechischer, sondern auch in anderen Zungen, vermutlich in phoenikischer, hebraeischer, syrischer, spanischer auffuehren liess.
Aber wenn Caesar den Grundcharakter der Hauptstadt so, wie er ihn fand, mit vollem Bewusstsein akzeptierte, so wirkte er doch energisch hin auf die Besserung der daselbst obwaltenden klaeglichen und schimpflichen Zustaende. Leider waren eben die Grunduebel am wenigsten austilgbar. Die Sklaverei mit ihrem Gefolge von Landplagen konnte Caesar nicht abstellen; es muss dahingestellt bleiben, ob er mit der Zeit versucht haben wuerde, die Sklavenbevoelkerung in der Hauptstadt wenigstens zu beschraenken, wie er dies auf einem anderen Gebiete unternahm. Ebensowenig vermochte Caesar eine freie hauptstaedtische Industrie aus dem Boden zu zaubern; doch halfen die ungeheuren Bauten der Nahrungslosigkeit daselbst einigermassen ab und eroeffneten dem Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehrlichen Erwerbes. Dagegen wirkte Caesar energisch darauf hin, die Masse des freien Proletariats zu vermindern. Der stehende Zufluss von solchen, die die Getreidespenden nach Rom fuehrten, ward durch Verwandlung derselben in eine auf eine feste Kopfzahl beschraenkte Armenversorgung wenn nicht ganz verstopfte ^20, doch sehr wesentlich beschraenkt. Unter dem vorhandenen Proletariat raeumten einerseits die Gerichte auf, die angewiesen wurden, mit unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel einzuschreiten, andererseits die umfassende ueberseeische Kolonisation; von den 80000 Kolonisten, die Caesar in den wenigen Jahren seiner Regierung ueber das Meer fuehrte, wird ein sehr grosser Teil den unteren Schichten der hauptstaedtischen Bevoelkerung entnommen sein, wie denn die meisten korinthischen Ansiedler Freigelassene waren. Dass in Abweichung von der bisherigen Ordnung, die dem Freigelassenen jedes staedtische Ehrenamt verschloss, Caesar ihnen in seinen Kolonien die Tuere des Rathauses eroeffnete, geschah ohne Zweifel, um die besser gestellten von ihnen fuer die Auswanderung zu gewinnen. Diese Auswanderung muss aber auch mehr gewesen sein als eine bloss voruebergehende Veranstaltung; Caesar, ueberzeugt wie jeder andere verstaendige Mann, dass die einzige wahrhafte Hilfe gegen das Elend des Proletariats in einem wohlregulierten Kolonisierungssystem besteht, und durch die Beschaffenheit des Reiches in den Stand gesetzt, dasselbe in fast ungemessener Ausdehnung zu verwirklichen, wird die Absicht gehabt haben, hiermit dauernd fortzufahren und dem stets wieder sich erzeugenden Uebel einen bleibenden Abzug zu eroeffnen. Massregeln wurden ferner ergriffen, um den argen Preisschwankungen der wichtigsten Nahrungsmittel auf den hauptstaedtischen Maerkten Grenzen zu setzen. Die neu geordneten und liberal verwalteten Staatsfinanzen lieferten hierzu die Mittel und zwei neu ernannte Beamte, die Getreideaedilen, uebernahmen die spezielle Beaufsichtigung der Lieferanten und des Marktes der Hauptstadt. Dem Klubwesen wurde wirksamer, als es durch Prohibitivgesetze moeglich war, gesteuert durch die veraenderte Verfassung, indem mit der Republik und den republikanischen Wahlen und Gerichten die Bestechung und Vergewaltigung der Wahl- und Richterkollegien, ueberhaupt die politischen Saturnalien der Kanaille von selbst ein Ende hatten. Ausserdem wurden die durch das Clodische Gesetz ins Leben getretenen Verbindungen aufgeloest und das ganze Assoziationswesen unter die Oberaufsicht der Regierungsbehoerden gestellt. Mit Ausnahme der althergebrachten Zuenfte und Vergesellschaftungen, der religioesen Vereinigungen der Juden und anderer besonders ausgenommener Kategorien, wofuer die einfache Anzeige an den Senat genuegt zu haben scheint, wurde die Erlaubnis, eine bleibende Gesellschaft mit festen Versammlungsfristen und stehenden Einschuessen zu konstituieren, an eine vom Senat und regelmaessig wohl erst nach eingeholter Willensmeinung des Monarchen zu erteilende Konzession geknuepft. Dazu kam eine strengere Kriminalrechtspflege und eine energische Polizei. Die Gesetze, namentlich hinsichtlich des Verbrechens der Vergewaltigung, wurden verschaerft und die unvernuenftige Bestimmung des republikanischen Rechts, dass der ueberwiesene Verbrecher befugt sei, durch Selbstverbannung einem Teil der verwirkten Strafe sich zu entziehen, wie billig beseitigt. Das detaillierte Regulativ, das Caesar ueber die hauptstaedtische Polizei erliess, ist grossenteils noch erhalten und es kann, wer da will, sich ueberzeugen, dass der Imperator es nicht verschmaehte, die Hausbesitzer zur Instandsetzung der Strassen und zur Pflasterung der Trottoirs in ihrer ganzen Breite mit behauenen Steinen anzuhalten und geeignete Bestimmungen ueber das Tragen der Saenften und das Fahren der Wagen zu erlassen, die bei der Beschaffenheit der Strassen nur zur Abend- und Nachtzeit in der Hauptstadt frei zirkulieren durften. Die Oberaufsicht ueber die Lokalpolizei blieb wie bisher hauptsaechlich den vier Aedilen, welche, wenn nicht schon frueher, wenigstens jetzt angewiesen wurden, jeder einen bestimmt abgegrenzten Polizeidistrikt innerhalb der Hauptstadt zu ueberwachen. Endlich das hauptstaedtische Bauwesen und die damit zusammenhaengende Fuersorge fuer die gemeinnuetzigen Anstalten ueberhaupt nahm durch Caesar, der die Baulust des Roemers und des Organisators in sich vereinigte, ploetzlich einen Aufschwung, der nicht bloss die Misswirtschaft der letzten anarchischen Zeiten beschaemte, sondern auch alles, was die roemische Aristokratie in ihrer besten Zeit geleistet hatte, so weit hinter sich liess wie Caesars Genie das redliche Bemuehen der Marcier und der Aemilier. Es war nicht bloss die Ausdehnung der Bauten an sich und die Groesse der darauf verwandten Summen, durch die Caesar seine Vorgaenger uebertraf, sondern der echt staatsmaennische und gemeinnuetzige Sinn, der das, was Caesar fuer die oeffentlichen Anstalten Roms tat, vor allen aehnlichen Leistungen auszeichnet. Er baute nicht, wie seine Nachfolger, Tempel und sonstige Prachtgebaeude, sondern er entlastete den Markt von Rom, auf dem sich immer noch die Buergerversammlungen, die Hauptgerichtsstaetten, die Boerse und der taegliche Geschaeftsverkehr wie der taegliche Muessiggang zusammendraengten, wenigstens von den Versammlungen und den Gerichten, indem er fuer jene eine neue Dingstaette, die Saepta Iulia auf dem Marsfeld, fuer diese einen besonderen Gerichtsmarkt, das Forum Iulium zwischen Kapitol und Palatin, anlegen liess. Verwandten Geistes ist die von ihm herruehrende Einrichtung, dass den hauptstaedtischen Baedern jaehrlich 3 Millionen Pfund Oel, groesstenteils aus Afrika, geliefert und diese dadurch in den Stand gesetzt wurden, den Badenden das zum Salben des Koerpers erforderliche Oel unentgeltlich zu verabfolgen – eine nach der alten wesentlich auf Baden und Salben gegruendeten Diaetetik hoechst zweckmaessige Massregel der Reinlichkeits- und Gesundheitspolizei. Indes diese grossartigen Einrichtungen waren nur die ersten Anfaenge einer vollstaendigen Umwandlung Roms. Bereits waren die Entwuerfe gemacht zu einem neuen Rathaus, einem neuen prachtvollen Basar, einem mit dem Pompeischen wetteifernden Theater, einer oeffentlichen lateinischen und griechischen Bibliothek nach dem Muster der kuerzlich zugrunde gegangenen von Alexandreia – die erste Anstalt derart in Rom -, endlich zu einem Tempel des Mars, der an Reichtum und Herrlichkeit alles bisher Dagewesene ueberboten haben wuerde. Genialer noch war der Gedanke, einmal durch die Pomptinischen Suempfe einen Kanal zu legen und deren Wasser nach Tarracina abzuleiten, sodann den unteren Lauf des Tiberstroms zu aendern und ihn von dem heutigen Ponte Molle an, statt zwischen dem Vaticanischen und dem Marsfelde hindurch, vielmehr um das Vaticanische Feld und das Ianiculum herum nach Ostia zu fuehren, wo die schlechte Reede einem vollgenuegenden Kunsthafen Platz machen sollte. Durch diesen Riesenplan wurde einerseits der gefaehrlichste Feind der Hauptstadt, die boese Luft der Nachbarschaft, gebannt, andrerseits auf einen Schlag die aeusserst beschraenkte Baugelegenheit in der Hauptstadt in der Art erweitert, dass das damit auf das linke Tiberufer verlegte Vaticanische Feld an die Stelle des Marsfeldes treten und das geraeumige Marsfeld fuer oeffentliche und Privatbauten verwendet werden konnte, waehrend sie zugleich den so schmerzlich vermissten sicheren Seehafen erhielt. Es schien, als wolle der Imperator Berge und Fluesse versetzen und mit der Natur selber den Wettlauf wagen. Indessen so sehr auch durch die neue Ordnung die Stadt Rom an Bequemlichkeit und Herrlichkeit gewann, ihre politische Suprematie ging ihr, wie schon gesagt ward, durch ebendieselbe unwiderbringlich verloren. Dass der roemische Staat mit der Stadt Rom zusammenfalle, war zwar im Laufe der Zeit immer unnatuerlicher und verkehrter geworden; aber der Satz war doch so innig mit dem Wesen der roemischen Republik verwachsen, dass er nicht vor dieser selbst zugrunde gehen konnte. Erst in dem neuen Staate Caesars ward er, etwa mit Ausnahme einiger legaler Fiktionen, vollstaendig beseitigt und das hauptstaedtische Gemeinwesen rechtlich auf eine Linie mit allen uebrigen Munizipalitaeten gestellt; wie denn Caesar, hier wie ueberall bemueht, nicht bloss die Sache zu ordnen, sondern auch sie offiziell bei dem rechten Namen zu nennen, seine italische Gemeindeordnung, ohne Zweifel absichtlich, zugleich fuer die Hauptstadt und fuer die uebrigen Stadtgemeinden erliess. Man kann hinzufuegen, dass Rom, eben weil es eines lebendigen Kommunalwesens als Hauptstadt nicht faehig war, hinter den uebrigen Munizipalitaeten der Kaiserzeit sogar wesentlich zurueckstand. Das republikanische Rom war eine Raeuberhoehle, aber zugleich der Staat; das Rom der Monarchie, obwohl es mit allen Herrlichkeiten dreier Weltteile sich zu schmuecken und in Gold und Marmor zu schimmern begann, war doch nichts im Staate als das Koenigsschloss in Verbindung mit dem Armenhaus, das heisst ein notwendiges uebel.
——————————————- ^20 Es ist nicht ohne Interesse, dass ein spaeterer, aber einsichtiger politischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius’ Namen an Caesar gerichteten Briefe, diesem den Rat erteilt, die hauptstaedtische Getreideverteilung in die einzelnen Munizipien zu verlegen. Die Kritik hat ihren guten Sinn; wie denn bei der grossartigen munizipalen Waisenversorgung unter Traian offenbar aehnliche Gedanken gewaltet haben. ——————————————- Wenn es in der Hauptstadt sich nur darum handelte, durch polizeiliche Ordnungen im groessten Massstab handgreifliche Uebelstaende hinwegzuraeumen, so war es dagegen eine bei weitem schwierigere Aufgabe, der tief zerruetteten italischen Volkswirtschaft aufzuhelfen. Die Grundleiden waren die bereits frueher ausfuehrlich hervorgehobenen, das Zusammenschwinden der ackerbauenden und die unnatuerliche Vermehrung der kaufmaennischen Bevoelkerung, woran ein unabsehbares Gefolge anderer Uebelstaende sich anschloss. Wie es mit der italischen Bodenwirtschaft stand, wird dem Leser unvergessen sein. Trotz der ernstlichsten Versuche, der Vernichtung des kleinen Grundbesitzes zu steuern, war doch in dieser Epoche kaum mehr in einer Landschaft des eigentlichen Italien, etwa mit Ausnahme der Apenninen- und Abruzzentaeler, die Bauernwirtschaft die vorwiegende Wirtschaftsweise. Was die Gutswirtschaft anlangt, so ist zwischen der frueher dargestellten Catonischen und derjenigen, die uns Varro schildert, kein wesentlicher Unterschied wahrzunehmen, nur dass die letztere im Guten wie im Schlimmen von dem gesteigerten grossstaedtischen Leben in Rom die Spuren zeigt. “Sonst”, sagt Varro, “war die Scheune auf dem Gut groesser als das Herrenhaus; jetzt pflegt es umgekehrt zu sein.” In der tusculanischen und tiburtinischen Feldmark, an den Gestaden von Tarracina und Baiae erhoben sich da, wo die alten latinischen und italischen Bauernschaften gesaet und geerntet hatten, jetzt in unfruchtbarem Glanz die Landhaeuser der roemischen Grossen, von denen manches mit den dazu gehoerigen Gartenanlagen und Wasserleitungen, den Suess- und Salzwasserreservoirs zur Aufbewahrung und Zuechtung von Fluss- und Seefischen, den Schnecken- und Siebenschlaeferzuechtungen, den Wildschonungen zur Hegung von Hasen, Kaninchen, Hirschen, Rehen und Wildschweinen und den Vogelhaeusern, in denen selbst Kraniche und Pfauen gehalten wurden, den Raum einer maessigen Stadt bedeckte. Aber der grossstaedtische Luxus macht auch manche fleissige Hand reich und ernaehrt mehr Arme als die almosenspendende Menschenliebe. Jene Vogelhaeuser und Fischteiche der vornehmen Herren waren natuerlich in der Regel eine sehr kostspielige Liebhaberei. Allein extensiv und intensiv hatte diese Wirtschaft sich so hoch entwickelt, dass zum Beispiel der Bestand eines Taubenhauses bis auf 100000 Sesterzen (7600 Taler) geschaetzt ward; dass eine rationelle Maestungswirtschaft entstanden war und der in den Vogelhaeusern gewonnene Duenger landwirtschaftlich in Betracht kam; dass ein einziger Vogelhaendler auf einmal 5000 Krammetsvoegel – denn auch diese wusste man zu hegen – das Stueck zu 3 Denaren (21 Groschen), ein einziger Fischteichbesitzer 2000 Muraenen zu liefern imstande war und aus den von Lucius Lucullus hinterlassenen Fischen 40000 Sesterzen (3050 Taler) geloest wurden. Begreiflicherweise konnte unter solchen Umstaenden, wer diese Wirtschaft geschaeftlich und intelligent betrieb, mit verhaeltnismaessig geringem Anlagekapital sehr hohen Gewinn erzielen. Ein kleiner Bienenzuechter dieser Zeit verkaufte von seinem nicht mehr als einen Morgen grossen, in der Naehe von Falerii gelegenen Thymiangaertchen Jahr aus Jahr ein an Honig fuer mindestens 10000 Sesterzen (760 Taler). Der Wetteifer der Obstzuechter ging so weit, dass in eleganten Landhaeusern die marmorgetaefelte Obstkammer nicht selten zugleich als Tafelzimmer eingerichtet, auch wohl gekauftes Prachtobst dort zur Schau als eigenes Gewaechs gestellt ward. In dieser Zeit wurden auch zuerst die kleinasiatische Kirsche und andere auslaendische Fruchtbaeume in den italischen Gaerten angepflanzt. Die Gemuesegaerten, die Rosen- und Veilchenbeete in Latium und Kampanien warfen reichen Ertrag ab und der “Naschmarkt” (forum cupedinis) neben der Heiligen Strasse, wo Fruechte, Honig und Kraenze feilgeboten zu werden pflegten, spielte eine wichtige Rolle im hauptstaedtischen Leben. Ueberhaupt stand die Gutswirtschaft, Plantagenwirtschaft wie sie war, oekonomisch auf einer schwer zu uebertreffenden Hoehe der Entwicklung. Das Tal von Rieti, die Umgegend des Fuciner Sees, die Landschaften am Liris und Volturnus, ja Mittelitalien ueberhaupt, waren landwirtschaftlich in dem bluehendsten Zustand; selbst gewisse Industrien, die geeignet waren, sich an den Betrieb des Guts mittels Sklaven anzuschliessen, wurden von den intelligenten Landwirten mit aufgenommen und, wo die Verhaeltnisse guenstig waren, Wirtshaeuser, Webereien und besonders Ziegeleien auf dem Gute angelegt. Die italischen Produzenten, namentlich von Wein und Oel, versorgten nicht bloss die italischen Maerkte, sondern machten auch in beiden Artikeln ansehnliche ueberseeische Ausfuhrgeschaefte. Eine schlichte fachwissenschaftliche Schrift dieser Zeit vergleicht Italien einem grossen Fruchtgarten; und die Schilderungen, die ein gleichzeitiger Dichter von seinem schoenen Heimatland entwirft, wo die wohlbewaesserte Wiese, das ueppige Kornfeld, der lustige Rebenhuegel von der dunklen Zeile der Oelbaeume umsaeumt wird, wo der Schmuck des Landes, lachend in mannigfaltiger Anmut, die holdesten Gaerten in seinem Schosse hegt und selber von nahrunggebenden Baeumen umkraenzt wird diese Schilderungen, offenbar treue Gemaelde der dem Dichter taeglich vor Augen stehenden Landschaft, versetzen uns in die bluehendsten Striche von Toscana und Terra di lavoro. Die Weidewirtschaft freilich, die aus den frueher entwickelten Ursachen besonders im Sueden und Suedosten Italiens immer weiter vordrang, war in jeder Beziehung ein Rueckschritt; allein auch sie nahm doch bis zu einem gewissen Grade teil an der allgemeinen Steigerung des Betriebes, wie denn fuer die Verbesserung der Rassen vieles geschah und zum Beispiel Zuchtesel mit 60000 (4600 Taler), 100000 (7570 Taler), ja 400000 Sesterzen (30000 Taler) bezahlt wurden. Die gediegene italische Bodenwirtschaft erzielte in dieser Zeit, wo die allgemeine Entwicklung der Intelligenz und die Fuelle der Kapitalien sie befruchtete, bei weitem glaenzendere Resultate als jemals die alte Bauernwirtschaft hatte geben koennen, und ging sogar schon hinaus ueber die Grenzen Italiens, indem der italische Oekonom auch in den Provinzen grosse Strecken viehzuechtend und selbst kornbauend exploitierte. Welche Dimensionen aber neben dieser auf dem Ruin der kleinen Bauernschaft unnatuerlich gedeihenden Gutswirtschaft die Geldwirtschaft angenommen, wie die italische Kaufmannschaft mit den Juden um die Wette in alle Provinzen und Klientelstaaten des Reiches sich ergossen hatte, alles Kapital endlich in Rom zusammenfloss, dafuer wird es, nach dem frueher darueber Gesagten, hier genuegen, auf die einzige Tatsache hinzuweisen, dass auf dem hauptstaedtischen Geldmarkt der regelmaessige Zinsfuss in dieser Zeit sechs vom Hundert, das Geld daselbst also um die Haelfte billiger war als sonst durchschnittlich im Altertume.
Infolge dieser agrarisch wie merkantil auf Kapitalmassen und Spekulation begruendeten Volkswirtschaft ergab sich das fuerchterlichste Missverhaeltnis in der Verteilung des Vermoegens. Die oft gebrauchte und oft gemissbrauchte Rede von einem aus Millionaeren und Bettlern zusammengesetzten Gemeinwesen trifft vielleicht nirgends so vollstaendig zu wie bei dem Rom der letzten Zeit der Republik; und nirgends wohl auch ist der Kernsatz des Sklavenstaats, dass der reiche Mann, der von der Taetigkeit seiner Sklaven lebt, notwendig respektabel, der arme Mann, der von seiner Haende Arbeit lebt, notwendig gemein ist, mit so grauenvoller Sicherheit als der unwidersprechliche Grundgedanke des ganzen oeffentlichen und privaten Verkehrs anerkannt worden ^21. Einen wirklichen Mittelstand in unserm Sinne gibt es nicht, wie es denn in keinem vollkommen entwickelten Sklavenstaat einen solchen geben kann; was gleichsam als guter Mittelstand erscheint und gewissermassen auch es ist, sind diejenigen reichen Geschaeftsmaenner und Grundbesitzer, die so ungebildet oder auch so gebildet sind, um sich innerhalb der Sphaere ihrer Taetigkeit zu bescheiden und vom oeffentlichen Leben sich fernzuhalten. Unter den Geschaeftsmaennern, wo die zahlreichen Freigelassenen und sonstigen emporgekommenen Leute in der Regel von dem Schwindel erfasst wurden, den vornehmen Mann zu spielen, gab es solcher Verstaendigen nicht allzuviel: ein Musterbild dieser Gattung ist der in den Berichten aus dieser Zeit haeufig erwaehnte Titus Pomponius Atticus, der teils mit der grossen Gutswirtschaft, welche er in Italien und in Epirus betrieb, teils mit seinen durch ganz Italien, Griechenland, Makedonien, Kleinasien sich verzweigenden Geldgeschaeften ein ungeheures Vermoegen gewann, dabei aber durchaus der einfache Geschaeftsmann blieb, sich nicht verleiten liess, um ein Amt zu werben oder auch nur Staatsgeldgeschaefte zu machen, und, dem geizigen Knausern ebenso fern wie dem wuesten und laestigen Luxus dieser Zeit – seine Tafel zum Beispiel ward mit 100 Sesterzen (7´ Talern) taeglich bestritten -, sich genuegen liess an einer bequemen, die Anmut des Land- und des Stadtlebens, die Freuden des Verkehrs mit der besten Gesellschaft Roms und Griechenlands und jeden Genuss der Literatur und der Kunst sich aneignenden Existenz. Zahlreicher und tuechtiger waren die italischen Gutsbesitzer alten Schlages. Die gleichzeitige Literatur bewahrt in der Schilderung des Sextus Roscius, der bei den Proskriptionen 673 (81) mitermordet ward, das Bild eines solchen Landedelmanns (pater familias rusticanus); sein Vermoegen, angeschlagen auf 6 Mill. Sesterzen (457000 Taler), ist wesentlich angelegt in seinen dreizehn Landguetern; die Wirtschaft betreibt er selbst rationell und mit Leidenschaft; nach der Hauptstadt kommt er selten oder nie, und wenn er dort erscheint, so sticht er mit seinen ungehobelten Manieren nicht minder von dem feinen Senator ab wie die zahllosen Scharen seiner rauben Ackerknechte von dem zierlichen hauptstaedtischen Bedientenschwarm. Mehr als die kosmopolitisch gebildeten Adelskreise und der ueberall und nirgends heimische Kaufmannsstand bewahrten diese Gutsbesitzer und die wesentlich durch dieselben gehaltenen “Ackerstaedte” (municipia rusticana) sowohl die Zucht und Sitte der Vaeter als auch deren reine und edle Sprache. Der Gutsbesitzerstand gilt als der Kern der Nation; der Spekulant, der sein Vermoegen gemacht hat und unter die Notabeln des Landes einzutreten wuenscht, kauft sich an und sucht wenn nicht selbst Squire zu werden, doch wenigstens einen Sohn dazu zu erziehen. Den Spuren dieser Gutsbesitzerschaft begegnen wir, wo in der Politik eine volkstuemliche Regung sich zeigt und wo die Literatur einen gruenen Spross treibt: aus ihr sog die patriotische Opposition gegen die neue Monarchie ihre beste Kraft; ihr gehoeren Varro, Lucretius, Catullus an; und vielleicht nirgends tritt die relative Frische dieser Gutsbesitzerexistenz charakteristischer hervor als in der anmutigen arpinatischen Einleitung zu dem zweiten Buche der Schrift Ciceros von den Gesetzen, einer gruenen Oase in der fuerchterlichen Oede dieses ebenso leeren wie voluminoesen Skribenten.
——————————————————- ^21 Charakteristisch ist die folgende Auseinandersetzung in Ciceros ‘Pflichtenlehre’ (off. 1, 42): “Darueber, welche Geschaefte und Erwerbszweige als anstaendig gelten koennen und welche als gemein, herrschen im allgemeinen folgende Vorstellungen. Bescholten sind zunaechst die Erwerbszweige, wobei man den Hass des Publikums sich zuzieht, wie der der Zolleinnehmer, der der Geldverleiher. Unanstaendig und gemein ist auch das Geschaeft der Lohnarbeiter, denen ihre koerperliche, nicht ihre Geistesarbeit bezahlt wird; denn fuer diesen selben Lohn verkaufen sie gleichsam sich in die Sklaverei. Gemeine Leute sind auch die von dem Kaufmann zu sofortigem Verschleiss einkaufenden Troedler; denn sie kommen nicht fort, wenn sie nicht ueber alle Massen luegen, und nichts ist minder ehrenhaft als der Schwindel. Auch die Handwerker treiben saemtlich gemeine Geschaefte; denn man kann nicht Gentleman sein in der Werkstatt. Am wenigsten ehrbar sind die Handwerker, die der Schlemmerei an die Hand gehen, zum Beispiel: ‘Wurstmacher, Salzfischhaendler, Koch, Gefluegelverkaeufer, Fischer’ mit Terenz (Eun. 2, 2, 26) zu reden; dazu noch etwa die Parfuemerienhaendler, die Tanzmeister und die ganze Sippschaft der Spielbuden. Diejenigen Erwerbszweige aber, welche entweder eine hoehere Bildung voraussetzen oder einen nicht geringen Ertrag abwerfen, wie die Heilkunst, die Baukunst, der Unterricht in anstaendigen Gegenstaenden, sind anstaendig fuer diejenigen, deren Stande sie angemessen sind. Der Handel aber, wenn er Kleinhandel ist, ist gemein; der grosse Kaufmann freilich, der aus den verschiedensten Laendern eine Menge von Waren einfuehrt und sie an eine Menge von Leuten ohne Schwindel absetzt, ist nicht gerade sehr zu schelten; ja wenn er, des Gewinstes satt oder vielmehr mit dem Gewinste zufrieden, wie oft zuvor vom Meere in den Hafen, so schliesslich aus dem Hafen selbst zu Grundbesitz gelangt, so darf man wohl mit gutem Recht ihn loben. Aber unter allen Erwerbszweigen ist keiner besser, keiner ergiebiger, keiner erfreulicher, keiner dem freien Manne anstaendiger als der Grundbesitz.” Also der anstaendige Mann muss streng genommen Gutsbesitzer sein; das Kaufmannsgewerbe passiert ihm nur, insofern es Mittel zu diesem letzten Zweck ist, die Wissenschaft als Profession nur den Griechen und den nicht den herrschenden Staenden angehoerigen Roemern, welche damit sich in den vornehmen Kreisen allenfalls fuer ihre Person eine gewisse Duldung erkaufen duerfen. Es ist die vollkommen ausgebildete Plantagenbesitzeraristokratie, mit einer starken Schattierung von kaufmaennischer Spekulation und einer leisen Nuance von allgemeiner Bildung.
——————————————————- Aber die gebildete Kaufmannschaft und der tuechtige Gutsbesitzerstand wird weit ueberwuchert von den beiden tonangebenden Klassen der Gesellschaft: dem Bettelvolk und der eigentlichen vornehmen Welt. Wir haben keine statistischen Ziffern, um das relative Mass der Armut und des Reichtums fuer diese Epoche scharf zu bezeichnen; doch darf hier wohl wieder an die Aeusserung erinnert werden, die etwa fuenfzig Jahre frueher ein roemischer Staatsmann tat: dass die Zahl der Familien von festgegruendetem Reichtum innerhalb der roemischen Buergerschaft nicht auf 2000 sich belaufe. Die Buergerschaft war seitdem eine andere geworden; aber dass das Missverhaeltnis zwischen arm und reich sich wenigstens gleichgeblieben war, dafuer sprechen deutliche Spuren. Die fortschreitende Verarmung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem Zudrang zu den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer; die entsprechende Steigerung des Reichtums bezeugt ausdruecklich ein Schriftsteller dieser Generation, indem er, von den Verhaeltnissen der marianischen Zeit sprechend, ein Vermoegen von 2 Mill. Sesterzen (152 000 Taler) “nach damaligen Verhaeltnissen Reichtum” nennt; und ebendahin fuehren die Angaben, die wir ueber das Vermoegen einzelner Individuen finden. Der schwerreiche Lucius Domitius Ahenobarbus verhiess zwanzigtausend Soldaten jedem vier Jugera Land aus eigenem Besitz; das Vermoegen des Pompeius belief sich auf 70 Mill. Sesterzen (5300000 Taler), das des Schauspielers Aesopus auf 20 (1520000 Taler); Marcus Crassus, der reichste der Reichen, besass am Anfang seiner Laufbahn 7 (530000 Taler), am Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen an das Volk 170 Millionen Sesterzen (13 Mill. Taler). Die Folgen solcher Armut und solchen Reichtums waren nach beiden Seiten eine aeusserlich verschiedene, aber wesentlich gleichartige oekonomische und sittliche Zerruettung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die Unterstuetzung aus Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so war es die notwendige Folge dieses Bettlerelends, die freilich wechselwirkend auch wieder als Ursache auftrat, dass er der Bettlerfaulheit und dem bettlerhaften Wohlleben sich ergab. Statt zu arbeiten, gaffte der roemische Plebejer lieber im Theater; die Schenken und Bordelle hatten solchen Zuspruch, dass die Demagogen ihre Rechnung dabei fanden, vorwiegend die Besitzer derartiger Etablissements in ihr Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele, die Offenbarung wie die Nahrung der aergsten Demoralisation in der alten Welt, waren zu solcher Bluete gelangt, dass mit dem Verkauf der Programme derselben ein eintraegliches Geschaeft gemacht ward, und nahmen in dieser Zeit die entsetzliche Neuerung auf, dass ueber Leben und Tod des Besiegten nicht das Duellgesetz oder die Willkuer des Siegers, sondern die Laune des zuschauenden Publikums entschied und nach dessen Wink der Sieger den daniederliegenden Besiegten entweder verschonte oder durchbohrte. Das Handwerk des Fechters war so im Preise gestiegen oder auch die Freiheit so im Preise gesunken, dass die Unerschrockenheit und der Wetteifer, die auf den Schlachtfeldern dieser Zeit vermisst wurden, in den Heeren der Arena allgemein waren und, wo das Duellgesetz es mit sich brachte, jeder Gladiator lautlos und ohne zu zucken sich durchbohren liess, ja dass freie Maenner nicht selten sich den Unternehmern fuer Kost und Lohn als Fechtknechte verkauften. Auch die Plebejer des fuenften Jahrhunderts hatten gedarbt und gehungert, aber ihre Freiheit hatten sie nicht verkauft; und noch weniger wuerden die Rechtweiser jener Zeit sich dazu hergegeben haben, den ebenso sitten- wie rechtswidrigen Kontrakt eines solchen Fechtknechts, “sich unweigerlich fesseln, peitschen, brennen oder toeten zu lassen, wenn die Gesetze der Anstalt dies mit sich bringen wuerden”, auf unfeinen juristischen Schleichwegen als statthaft und klagbar hinzustellen.
In der vornehmen Welt kam nun dergleichen nicht vor; aber im Grunde war sie kaum anders, am wenigsten besser. Im Nichtstun nahm es der Aristokrat dreist mit dem Proletarier auf; wenn dieser auf dem Pflaster lungerte, dehnte jener sich bis in den hellen Tag hinein in den Feldern. Die Verschwendung regierte hier ebenso mass- wie geschmacklos. Sie warf sich auf die Politik wie auf das Theater, natuerlich zu beider Verderben: man kaufte das Konsulamt um unglaublichen Preis – im Sommer 700 (54) ward allein die erste Stimmabteilung mit 10 Mill. Sesterzen (760000 Talern) bezahlt – und verdarb durch den tollen Dekorationsluxus dem Gebildeten alle Freude am Buehnenspiel. Die Mietpreise scheinen in Rom durchschnittlich vierfach hoeher als in den Landstaedten sich gestellt zu haben; ein Haus daselbst ward einmal fuer 15 Mill. Sesterzen (1150000 Taler) verkauft. Das Haus des Marcus Lepidus (Konsul 676 78), als Sulla starb, das schoenste in Rom, war ein Menschenalter spaeter noch nicht der hundertste in der Rangfolge der roemischen Palaeste. Des mit den Landhaeusern getriebenen Schwindels ward bereits gedacht; wir finden, dass fuer ein solches, das hauptsaechlich seines Fischteiches wegen geschaetzt war, 4 Mill. Sesterzen (300000 Taler) bezahlt wurden; und der ganz vornehme Mann bedurfte jetzt schon wenigstens zweier Landhaeuser, eines in den Sabiner- oder Albaner Bergen bei der Hauptstadt und eines zweiten in der Naehe der kampanischen Baeder, dazu noch womoeglich eines Gartens unmittelbar vor den Toren Roms. Noch unsinniger als diese Villen- waren die Grabpalaeste, von denen einzelne noch bis auf den heutigen Tag es bezeugen, welches himmelhohen Quaderhaufens der reiche Roemer bedurfte, um standesmaessig gestorben zu sein. Die Pferde- und Hundeliebhaber fehlten auch nicht; fuer ein Luxuspferd waren 24000 Sesterzen (1830 Taler) ein nicht ungewoehnlicher Preis. Man raffinierte auf Moebel von feinem Holz – ein Tisch von afrikanischem Zypressenholz ward mit 1 Mill. Sesterzen (67000 Taler) bezahlt; auf Gewaender von Purpurstoffen oder durchsichtiger Gaze und daneben auch auf die zierlich vor dem Spiegel zurechtgelegten Falten – der Redner Hortensius soll einen Kollegen wegen Injurien belangt haben, weil er ihm im Gedraenge den Rock zerknittert; auf Edelsteine und Perlen, die zuerst in dieser Zeit an die Stelle des alten, unendlich schoeneren und kunstvolleren Goldschmucks traten: es war schon vollkommenes Barbarentum, wenn bei Pompeius’ Triumph ueber Mithradates das Bild des Siegers ganz von Perlen gearbeitet erschien und wenn man im Speisesaal die Sofas und die Etageren mit Silber beschlagen, ja das Kuechengeschirr von Silber fertigen liess. Gleicher Art ist es, wenn die Sammler dieser Zeit aus den alten Silberbechern die kunstvollen Medaillons herausbrachen um sie in goldene Gefaesse wiedereinzusetzen. Auch der Reiseluxus ward nicht vermisst. “Wenn der Statthalter reiste”, erzaehlt Cicero von einem der sizilischen, “was natuerlich im Winter nicht geschah, sondern erst mit Fruehlingsanfang, nicht dem des Kalenders, sondern dem Anfang der Rosenzeit, so liess er, wie es bei den Koenigen von Bithynien Brauch war, sich auf einer Achttraegersaenfte befoerdern, sitzend auf Kissen von maltesischer Gaze und mit Rosenblaettern gestopft, einen Kranz auf dem Kopf, einen zweiten um den Hals geschlungen, ein feines, leinenes, kleingetuepfeltes, mit Rosen angefuelltes Riechsaeckchen an die Nase haltend; und so liess er bis vor sein Schlafzimmer sich tragen.” Aber keine Gattung des Luxus bluehte so wie die roheste von allen, der Luxus der Tafel. Die ganze Villeneinrichtung und das ganze Villenleben lief schliesslich hinaus auf das Dinieren; man hatte nicht bloss verschiedene Tafelzimmer fuer Winter und Sommer, sondern auch in der Bildergalerie, in der Obstkammer, im Vogelhaus wurde serviert oder auf einer im Wildpark aufgeschlagenen Estrade, um welche dann, wenn der bestellte “Orpheus” im Theaterkostuem erschien und Tusch blies, die dazu abgerichteten Rehe und Wildschweine sich draengten. So ward fuer Dekoration gesorgt, aber die Realitaet darueber durchaus nicht vergessen. Nicht bloss der Koch war ein graduierter Gastronom, sondern oft machte der Herr selbst den Lehrmeister seiner Koeche. Laengst war der Braten durch Seefische und Austern in den Schatten gestellt; jetzt waren die italischen Flussfische voellig von der guten Tafel verbannt und galten die italischen Delikatessen und die italischen Weine fast fuer gemein. Es wurden jetzt schon bei Volksfesten ausser dem italischen Falerner drei Sorten auslaendischen Weines – Sizilianer, Lesbier, Chier – verteilt, waehrend ein Menschenalter zuvor es auch bei grossen Schmaeusen genuegt hatte, einmal griechischen Wein herumzugeben; in dem Keller des Redners Hortensius fand sich ein Lager von 10000 Kruegen (zu 33 Berliner Quart) fremden Weines. Es war kein Wunder, dass die italischen Weinbauer anfingen, ueber die Konkurrenz der griechischen Inselweine zu klagen. Kein Naturforscher kann eifriger die Laender und Meere nach neuen Tieren und Pflanzen durchsuchen, als es von den Esskuenstlern jener Zeit wegen neuer Kuechenelegantien geschah ^22. Wenn dann der Gast, um den Folgen der ihm vorgesetzten Mannigfaltigkeiten zu entgehen, nach der Mahlzeit ein Vomitiv nahm, so fiel dies niemand mehr auf. Die Debauche aller Art ward so systematisch und so schwerfaellig, dass sie ihre Professoren fand, die davon lebten, vornehmen Juenglingen theoretisch und praktisch als Lastermeister zu dienen. Es wird nicht noetig sein, bei diesem wuesten Gemaelde eintoenigster Mannigfaltigkeit noch laenger zu verweilen; um so weniger, als ja auch auf diesem Gebiet die Roemer nichts weniger als originell waren und sich darauf beschraenkten, von dem hellenisch-orientalischen Luxus eine noch mass- und noch geistlosere Kopie zu liefern. Natuerlich verschlingt Plutos seine Kinder so gut wie Kronos; die Konkurrenz um alle jene meist nichtigen Gegenstaende vornehmer Begehrlichkeit trieb die Preise so in die Hoehe, dass den mit dem Strome Schwimmenden in kurzer Zeit das kolossalste Vermoegen zerrann und auch diejenigen, die nur Ehren halber das Notwendigste mitmachten, den ererbten und festgegruendeten Wohlstand rasch sich unterhoehlen sahen. Die Bewerbung um das Konsulat zum Beispiel war die gewoehnliche Landstrasse zum Ruin angesehener Haeuser; und fast dasselbe gilt von den Spielen, den grossen Bauten und all jenen andern, zwar lustigen, aber teuren Metiers. Der fuerstliche Reichtum jener Zeit wird nur von der noch fuerstlicheren Verschuldung ueberboten: Caesar schuldete um 692 (62) nach Abzug seiner Aktiva 25 Mill. Sesterzen (1900000 Taler), Marcus Antonius als Vierundzwanzigjaehriger 6 Mill. Sesterzen (460000 Taler), vierzehn Jahre spaeter 40 (3 Mill. Taler), Curio 60 (4´ Mill. Taler), Milo 70 Mill. (5´ Mill. Taler). Wie durchgaengig jenes verschwenderische Leben und Treiben der vornehmen roemischen Welt auf Kredit beruhte, davon zeugt die Tatsache, dass durch die Anleihen der verschiedenen Konkurrenten um das Konsulat einmal in Rom der Monatzins ploetzlich von vier auf acht vom Hundert aufschlug. Die Insolvenz, statt rechtzeitig den Konkurs oder doch die Liquidation herbeizufuehren und damit wenigstens wieder ein klares Verhaeltnis herzustellen, ward in der Regel von dem Schuldner, solange es irgend ging, verschleppt; statt seine Habe, namentlich seine Grundstuecke zu verkaufen, fuhr er fort, zu borgen und den Scheinreichen weiter zu spielen, bis denn der Krach nur um so aerger kam und Konkurse ausbrachen wie zum Beispiel der des Milo, bei dem die Glaeubiger etwas ueber vier vom Hundert der liquidierten Summen erhielten. Es gewann bei diesem rasend schnellen Umschlagen vom Reichtum zum Bankrott und diesem systematischen Schwindel natuerlich niemand als der kuehle Bankier, der es verstand, Kredit zu geben und zu verweigern. So kamen denn die Kreditverhaeltnisse fast auf demselben Punkte wieder an, wo sie in den schlimmsten Zeiten der sozialen Krise des fuenften Jahrhunderts gestanden hatten: die nominellen Grundeigentuemer waren gleichsam die Bittbesitzer ihrer Glaeubiger, die Schuldner entweder ihren Glaeubigern knechtisch untertan, so dass die geringeren von ihnen, gleich den Freigelassenen, in dem Gefolge derselben erschienen, die vornehmeren selbst im Senat nach dem Wink ihres Schuldherrn sprachen und stimmten, oder auch im Begriff, dem Eigentum selbst den Krieg zu erklaeren und ihre Glaeubiger entweder durch Drohungen zu terrorisieren oder gar sich ihrer durch Komplott und Buergerkrieg zu entledigen. Auf diesen Verhaeltnissen ruhte die Macht des Crassus; aus ihnen entsprangen die Auflaeufe, deren Signal das “freie Folium” war, des Cinna und bestimmter noch des Catilina, des Caelius, des Dolabella, vollkommen gleichartig jenen Schlachten der Besitzenden und Nichtbesitzenden, die ein Jahrhundert zuvor die hellenische Welt bewegten. Dass bei so unterhoehlten oekonomischen Zustaenden jede finanzielle oder politische Krise die entsetzlichste Verwirrung hervorrief, lag in der Natur der Dinge: es bedarf kaum gesagt zu werden, dass die gewoehnlichen Erscheinungen: das Verschwinden des Kapitals, die ploetzliche Entwertung der Grundstuecke, zahllose Bankrotte und eine fast allgemeine Insolvenz, ebenwie waehrend des Bundesgenoessischen und Mithradatischen, so auch jetzt waehrend des Buergerkrieges sich einstellten.
————————————————— ^22 Wir haben noch (Macr. Sat. 3, 13) den Speisezettel derjenigen Mahlzeit, welche Lucius Lentulus Niger vor 691 (63) bei Antritt seines Pontifikats gab und an der die Pontifices – darunter Caesar -, die Vestalischen Jungfrauen und einige andere Priester und nah verwandte Damen Anteil nahmen. Vor der Mahlzeit kamen Meerigel; frische Austern soviel die Gaeste wollten; Gienmuscheln; Lazarusklappen; Krammetsvoegel mit Spargeln; gemaestetes Huhn; Auster- und Muschelpastete; schwarze und weisse Meereicheln; noch einmal Lazarusklappen; Glykymarismuscheln; Nesselmuscheln; Feigenschnepfen; Rehrippen; Schweinsrippen; Gefluegel in Mehl gebacken; Feigenschnepfen; Purpurmuscheln, zwei Sorten. Die Mahlzeit selbst bestand aus Schweinsbrust, Schweinskopf; Fischpastete; Schweinspastete; Enten; Kriechenten gekocht; Hasen; gebratenem Gefluegel; Kraftmehlbackwerk; pontischem Backwerk.
Das sind die Kollegienschmaeuse, von denen Varro (rust. 3, 2, 16) sagt, dass sie die Preise aller Delikatessen in die Hoehe trieben. Derselbe zaehlt in einer seiner Satiren als die namhaftesten auslaendischen Delikatessen folgende auf: Pfauen von Samos; Haselhuehner aus Phrygien; Kraniche von Melos; Zicklein von Ambrakia; Thunfische von Kalchedon; Muraenen aus der Gaditanischen Meerenge; Edelfische (?) von Pessinus. Austern und Muscheln von Tarent; Stoere (?) von Rhodos; Scarusfische (?) von Kilikien; Nuesse von Thasos; Datteln aus Aegypten; spanische Eicheln.
————————————————— Dass Sittlichkeit und Familienleben unter solchen Verhaeltnissen in allen Schichten der Gesellschaft zur Antiquitaet wurden, versteht sich von selbst. Es war nicht mehr der aergste Schimpf und das schlimmste Verbrechen, arm zu sein, sondern das einzige: um Geld verkaufte der Staatsmann den Staat, der Buerger seine Freiheit; um Geld war die Offizierstelle wie die Kugel des Geschworenen feil; um Geld gab die vornehme Dame so gut sich preis wie die gemeine Dirne; Urkundenfaelschung und Meineide waren so gemein geworden, dass bei einem Volkspoeten dieser Zeit der Eid “das Schuldenpflaster” heisst. Man hatte vergessen, was Ehrlichkeit war; wer eine Bestechung zurueckwies, galt nicht fuer einen rechtschaffenen Mann, sondern fuer einen persoenlichen Feind. Die Kriminalstatistik aller Zeiten und Laender wird schwerlich ein Seitenstueck bieten zu einem Schaudergemaelde so mannigfaltiger, so entsetzlicher und so widernatuerlicher Verbrechen, wie es der Prozess des Aulus Cluentius in dem Schoss einer der angesehensten Familien einer italischen Ackerstadt vor uns aufrollt.
Wie aber im tiefen Grunde des Volkslebens der Schlamm immer giftiger und immer bodenloser sich sammelte, so legte sich um so viel glatter und gleissender ueber die Oberflaeche der Firnis feiner Sitten und allgemeiner Freundschaft. Alle Welt besuchte sich einander, so dass in den vornehmen Haeusern es schon noetig wird, die jeden Morgen zum Lever sich einstellenden Personen in einer gewissen, von dem Herrn oder gelegentlich auch dem Kammerdiener festgesetzten Reihenfolge vorzulassen, auch nur den namhafteren einzeln Audienz zu geben, die uebrigen aber teils in Gruppen, teils schliesslich in Masse abzufertigen, mit welcher Scheidung Gaius Gracchus, auch hierin der Pfadfinder der neuen Monarchie, vorangegangen sein soll. Eine ebenso grosse Ausdehnung wie die Hoeflichkeitsbesuche hat auch der Hoeflichkeitsbriefwechsel gewonnen; zwischen Personen, die weder ein persoenliches Verhaeltnis noch Geschaefte miteinander haben, fliegen dennoch die “freundschaftlichen” Briefe ueber Land und Meer, und umgekehrt kommen eigentliche und foermliche Geschaeftsbriefe fast nur da noch vor, wo das Schreiben an eine Korporation gerichtet ist. In der gleichen Weise werden die Einladungen zur Tafel, die ueblichen Neujahrsgeschenke, die haeuslichen Feste ihrem Wesen entfremdet und fast in oeffentliche Festlichkeiten verwandelt; ja, der Tod selbst befreit nicht von diesen Ruecksichten auf die unzaehligen “Naechsten”, sondern, um anstaendig gestorben zu sein, muss der Roemer jeden derselben wenigstens mit einem Andenken bedacht haben. Ebenwie in gewissen Kreisen unserer Boersenwelt war der eigentliche innige haeusliche und hausfreundliche Zusammenhang dem damaligen Rom so vollstaendig abhanden gekommen, dass mit den inhaltlos gewordenen Formen und Floskeln desselben der gesamte Geschaefts- und Bekanntenverkehr sich staffieren und dann allmaehlich an die Stelle der wirklichen jenes Gespenst der “Freundschaft” treten konnte, welches unter den mancherlei ueber den Aechtungen und Buergerkriegen dieser Zeit schwebenden Hoellengeistern nicht den letzten Platz einnimmt. Ein ebenso charakteristischer Zug in dem schimmernden Verfall dieser Zeit ist die Emanzipation der Frauenwelt. oekonomisch hatten die Frauen laengst sich selbstaendig gemacht; in der gegenwaertigen Epoche begegnen schon eigene Frauenanwaelte, die einzelnstehenden reichen Damen bei ihrer Vermoegensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflissen zur Hand gehen, durch Geschaefts- und Rechtskenntnis ihnen imponieren und damit reichlichere Trinkgelder und Erbschaftsquoten herausschlagen als andere Pflastertreter der Boerse. Aber nicht bloss der oekonomischen Vormundschaft des Vaters oder des Mannes fuehlten die Frauen sich entbunden. Liebeshaendel aller Art waren bestaendig auf dem Tapet. Ballettaenzerinnen (mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit und Virtuositaet ihrer Industrien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre Primadonnen, die Cytheris und wie sie weiter heissen, beschmutzen selbst die Blaetter der Geschichte. Indes ihrem gleichsam konzessionierten Gewerbe tat sehr wesentlichen Abbruch die freie Kunst der Damen der aristokratischen Kreise. Liaisons in den ersten Haeusern waren so haeufig geworden, dass nur ein ganz ausnehmendes Aergernis sie zum Gegenstand besonderen Klatsches machen konnte; ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien beinahe laecherlich. Ein Skandal ohnegleichen, wie ihn Publius Clodius 693 (61) bei dem Weiberfest im Hause des Oberpontifex auffuehrte, obwohl tausendmal aerger als die Vorfaelle, die noch fuenfzig Jahre zuvor zu einer Reihe von Todesurteilen gefuehrt hatten, ging fast ohne Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Badesaison – im April, wo die Staatsgeschaefte ruhten und die vornehme Welt in Baiae und Puteoli zusammenstroemte – zog ihren Hauptreiz mit aus den erlaubten und unerlaubten Verhaeltnissen, die neben Musik und Gesang und eleganten Fruehstuecken im Nachen oder am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier herrschten die Damen unumschraenkt; indes begnuegten sie sich keineswegs mit dieser ihnen von Rechts wegen zustehenden Domaene, sondern sie machten auch Politik, erschienen in Parteizusammenkuenften und beteiligten sich mit ihrem Geld und ihren Intrigen an dem wuesten Koterietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmaenninnen auf der Buehne Scipios und Catos agieren sah und daneben den jungen Elegant, wie er mit glattem Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit Kopf- und Busentuechern, Manschettenhemden und Frauensandalen das lockere Dirnchen kopierte, dem mochte wohl grauen vor der unnatuerlichen Welt, in der die Geschlechter die Rollen schienen wechseln zu wollen. Wie man in den Kreisen dieser Aristokratie ueber Ehescheidung dachte, laesst das Verfahren ihres besten und sittlichsten Mannes Marcus Cato erkennen, der auf Bitten eines heiratslustigen Freundes von seiner Frau sich zu scheiden, keinen Anstand nahm und ebensowenig daran, nach dem Tode dieses Freundes dieselbe Frau zum zweitenmal zu heiraten. Ehe- und Kinderlosigkeit griffen vornehmlich in den hoeheren Staenden immer weiter um sich. Wenn unter diesen die Ehe laengst als eine Last galt, die man hoechstens im oeffentlichen Interesse ueber sich nahm, so begegnen wir jetzt schon auch bei Cato und Catos Gesinnungsgenossen der Maxime, aus der ein Jahrhundert zuvor Polybios den Verfall von Hellas ableitete: dass es Buergerpflicht sei, die grossen Vermoegen zusammenzuhalten und darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. Wo waren die Zeiten, als die Benennung “Kinderzeuger” (proletarius) fuer den Roemer ein Ehrenname gewesen war!
Infolge dieser sozialen Zustaende schwand der latinische Stamm in Italien in erschreckender Weise zusammen und legte sich ueber die schoenen Landschaften teils die parasitische Einwanderung, teils die reine Oede. Ein ansehnlicher Teil der Bevoelkerung Italiens stroemte in das Ausland. Schon die Summe von Kapazitaeten und Arbeitskraeften, welche die Lieferung von italischen Beamten und italischen Besatzungen fuer das gesamte Mittelmeergebiet in Anspruch nahm, ueberstieg die Kraefte der Halbinsel, zumal da die also in die Fremde gesandten Elemente zum grossen Teil der Nation fuer immer verloren gingen. Denn je mehr die roemische Gemeinde zu einem viele Nationen umfassenden Reiche erwuchs, desto mehr entwoehnte sich die regierende Aristokratie, Italien als ihre ausschliessliche Heimat zu betrachten; von der zum Dienst ausgehobenen oder angeworbenen Mannschaft aber ging ein ansehnlicher Teil in den vielen Kriegen, namentlich in dem blutigen Buergerkriege zugrunde, und ein anderer ward durch die lange, zuweilen auf ein Menschenalter sich erstreckende Dienstzeit der Heimat voellig entfremdet. In gleicher Weise wie der oeffentliche Dienst hielt die Spekulation einen Teil der Grundbesitzer- und fast die ganze Kaufmannschaft wenn nicht auf zeitlebens, doch auf lange Zeit ausser Landes fest und entwoehnte namentlich die letztere in dem demoralisierenden Handelsreiseleben ueberhaupt der buergerlichen Existenz im Mutterlande und der vielfach bedingten innerhalb der Familie. Als Ersatz dafuer erhielt Italien teils das Sklaven- und Freigelassenenproletariat, teils die aus Kleinasien, Syrien und Aegypten einstroemenden Handwerker und Haendler, die vornehmlich in der Hauptstadt und mehr noch in den Hafenstaedten Ostia, Puteoli, Brundisium wucherten. Aber in dem groessten und wichtigsten Teil Italiens trat nicht einmal ein solcher Ersatz der reinen Elemente durch unreine ein, sondern schwand die Bevoelkerung sichtlich hin. Vor allem galt dies von den Weidelandschaften, wie denn das gelobte Land der Viehzucht, Apulien, von Gleichzeitigen der menschenleerste Teil Italiens genannt wird, und von der Umgegend Roms, wo die Campagna unter der steten Wechselwirkung des zurueckgehenden Ackerbaues und der zunehmenden boesen Luft jaehrlich mehr veroedete. Labici, Gabii, Bovillae, einst freundliche Landstaedtchen, waren so verfallen, dass es schwer hielt, Vertreter derselben fuer die Zeremonie des Latinerfestes aufzutreiben. Tusculum, obwohl immer noch eine der angesehensten Gemeinden Latiums, bestand fast nur noch aus einigen vornehmen Familien, die in der Hauptstadt lebten, aber ihr tusculanisches Heimatrecht festhielten, und stand an Zahl der stimmfaehigen Buerger weit zurueck selbst hinter kleinen Gemeinden des inneren Italiens. Der Stamm der waffenfaehigen Mannschaft war in diesem Landstrich, auf dem einst Roms Wehrhaftigkeit wesentlich beruht hatte, so vollstaendig ausgegangen, dass man die im Vergleich mit den gegenwaertigen Verhaeltnissen fabelhaft klingenden Berichte der Chronik von den Aequer- und Volskerkriegen mit Staunen und vielleicht mit Grauen las. Nicht ueberall war es so arg, namentlich nicht in den uebrigen Teilen Mittelitaliens und in Kampanien: aber dennoch “standen”, wie Varro klagt, durchgaengig einst menschenreiche Staedte veroedet. Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter dem Regiment der Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler und der Welt der Reichen ist der verhaengnisvolle Gegensatz durch nichts vermittelt oder gemildert. Je deutlicher und peinlicher er auf beiden Seiten empfunden ward, je schwindelnd hoeher der Reichtum stieg, je tiefer der Abgrund der Armut gaehnte, desto haeufiger ward in dieser wechselvollen Welt der Spekulation und des Gluecksspiels der einzelne aus der Tiefe in die Hoehe und wieder aus der Hoehe in die Tiefe geschleudert. Je weiter aeusserlich die beiden Welten auseinanderklafften, desto vollstaendiger begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Familienlebens, das doch aller Nationalitaet Keim und Kern ist, in der gleichen Faulheit und Ueppigkeit, der gleichen bodenlosen Oekonomie, der gleichen unmaennlichen Abhaengigkeit, der gleichen, nur im Tarif unterschiedenen Korruption, der gleichen Verbrecherentsittlichung, dem gleichen Geluesten, mit dem Eigentum den Krieg zu beginnen. Reichtum und Elend im innigen Bunde treiben die Italiker aus Italien aus und fuellen die Halbinsel halb mit Sklavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es ist ein grauenvolles Bild, aber kein eigentuemliches; ueberall, wo das Kapitalistenregiment im Sklavenstaat sich vollstaendig entwickelt, hat es Gottes schoene Welt in gleicher Weise verwuestet. Wie die Stroeme in verschiedenen Farben spiegeln, die Kloake aber ueberall sich gleich sieht, so gleicht auch das Italien der ciceronischen Epoche wesentlich dem Hellas des Polybios und bestimmter noch dem Karthago der hannibalischen Zeit, wo in ganz aehnlicher Weise das allmaechtig regierende Kapital den Mittelstand zugrunde gerichtet, den Handel und die Gutswirtschaft zur hoechsten Bluete gesteigert und schliesslich eine gleissend uebertuenchte sittliche und politische Verwesung der Nation herbeigefuehrt hatte. Alles, was in der heutigen Welt das Kapital an argen Suenden gegen Nation und Zivilisation begangen hat, bleibt so tief unter den Greueln der alten Kapitalistenstaaten, wie der freie Mann, sei er auch noch so arm, ueber dem Sklaven bleibt; und erst wenn Nordamerikas Drachensaat reift, wird die Welt wieder aehnliche Fruechte zu ernten haben. Diese Leiden, an denen die italische Volkswirtschaft daniederlag, waren ihrem tiefsten Kerne nach unheilbar, und was daran noch geheilt werden konnte, musste wesentlich das Volk und die Zeit bessern; denn auch die weiseste Regierung vermag so wenig wie der geschickteste Arzt, die verdorbenen Saefte des Organismus in frische zu verwandeln oder bei tieferliegenden Uebeln mehr zu tun, als die Zufaelligkeiten abzuwehren, die die Heilkraft der Natur in ihrem Wirken hindern. Eine solche Abwehr gewaehrte an sich schon die friedliche Energie des neuen Regiments, durch welche einige der aergsten Auswuechse von selber wegfielen, wie zum Beispiel die kuenstliche Grossziehung des Proletariats, die Straflosigkeit der Verbrechen, der Aemterkauf und anderes mehr. Allein etwas mehr konnte die Regierung doch tun als bloss nicht schaden. Caesar gehoerte nicht zu den ueberklugen Leuten, die das Meer darum nicht eindaemmen, weil der Springflut doch kein Deich zu trotzen vermag. Es ist besser, wenn die Nation und ihre Oekonomie von selbst die naturgemaesse Bahn geht; aber da sie aus dieser ausgewichen war, so setzte Caesar alle seine Energie ein, um von oben herab die Nation in das heimatliche und Familienleben zurueckzubringen und die Volksoekonomie durch Gesetz und Dekret zu reformieren. Um der dauernden Abwesenheit der Italiker aus Italien zu steuern und die vornehme Welt und die Kaufmannschaft zur Gruendung eigener Herde in der Heimat zu veranlassen, wurde nicht bloss die Dienstzeit der Soldaten verkuerzt, sondern auch den Maennern senatorischen Standes ueberhaupt untersagt, anders als in oeffentlichen Geschaeften ihren Aufenthalt ausserhalb Italiens zunehmen, den uebrigen Italikern in heiratsfaehigem Alter (vom zwanzigsten bis zum vierzigsten Jahr) vorgeschrieben, nicht ueber drei Jahre hintereinander von Italien abwesend zu sein. In demselben Sinn hatte Caesar schon in seinem ersten Konsulat bei Gruendung der Kolonie Capua die Vaeter mehrerer Kinder vorzugsweise bedacht und setzte nun als Imperator den Vaetern zahlreicher Familien ausserordentliche Belohnungen aus, waehrend er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung und Ehebruch mit einem nach roemischen Begriffen unerhoerten Rigorismus behandelte. Er verschmaehte es sogar nicht, ein detailliertes Luxusgesetz zu erlassen, das unter anderm die Bauverschwendung wenigstens in einem ihrer unsinnigsten Auswuechse, den Grabmonumenten, beschnitt, den Gebrauch von Purpurgewaendern und Perlen auf gewisse Zeiten, Alters- und Rangklassen beschraenkte und ihn erwachsenen Maennern ganz untersagte, dem Tafelaufwand ein Maximum setzte und eine Anzahl Luxusgerichte geradezu verbot. Dergleichen Verordnungen waren freilich nicht neu; neu aber war es, dass der “Sittenmeister” ernstlich ueber deren Befolgung hielt, die Esswarenmaerkte durch bezahlte Aufpasser ueberwachte, ja, den vornehmen Herren durch seine Gerichtsdiener die Tafel revidieren und die verbotenen Schuesseln auf dieser selbst konfiszieren liess. Durch solche theoretische und praktische Unterweisung in der Maessigkeit, welche die neue monarchische Polizei der vornehmen Welt erteilte, konnte freilich kaum mehr erreicht werden, als dass der Luxus sich etwas mehr in die Verborgenheit zurueckzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist, die das Laster der Tugend darbringt, so war unter den damaligen Verhaeltnissen selbst eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit ein nicht zu verachtender Fortschritt zum Bessern.
Ernsterer Art waren und mehr Erfolg versprachen die Massregeln Caesars zur besseren Regulierung der italischen Geld- und Bodenwirtschaft. Zunaechst handelte es sich hier um transitorische Bestimmungen hinsichtlich des Geldmangels und der Schuldenkrise ueberhaupt. Das durch den Laerm ueber die zurueckgehaltenen Kapitalien hervorgerufene Gesetz, dass niemand ueber 60000 Sesterzen (4600 Taler) an barem Gold und Silber vorraetig haben duerfe, mag wohl nur erlassen sein, um den Zorn des blinden Publikums gegen die Wucherer zu beschwichtigen; die Form der Publikation, wobei fingiert ward, dass hiermit nur ein aelteres, in Vergessenheit geratenes Gesetz wieder eingeschaerft werde, zeigt es, dass Caesar dieser Verfuegung sich schaemte, und schwerlich wird von ihr wirklich Anwendung gemacht sein. Eine weit ernstere Frage war die Behandlung der schwebenden Forderungen, deren vollstaendigen Erlass die Partei, die sich die seine nannte, von Caesar mit Ungestuem begehrte. Dass derselbe auf dieses Begehren so nicht einging, ward schon gesagt; indes wurden doch, und zwar schon im Jahre 705 (49), den Schuldnern zwei wichtige Zugestaendnisse gemacht. Einmal wurden die rueckstaendigen Zinsen niedergeschlagen ^23 und die gezahlten vom Kapital abgezogen. Zweitens ward der Glaeubiger genoetigt, die bewegliche und unbewegliche Habe des Schuldners an Zahlungs Statt nach demjenigen Taxwert anzunehmen, welchen die Sachen vor dem Buergerkrieg und der durch denselben herbeigefuehrten allgemeinen Entwertung gehabt hatten. Die letztere Festsetzung war nicht unbillig; wenn der Glaeubiger tatsaechlich als der Eigentuemer der Habe seines Schuldners bis zum Belauf der ihm geschuldeten Summe anzusehen war, so war es wohl gerechtfertigt, dass er an der allgemeinen Entwertung des Besitzes seinen Anteil mittrug. Dagegen die Annullierung der geleisteten oder ausstehenden Zinszahlungen, durch welche der Sache nach die Glaeubiger ausser den Zinsen selbst von dem, was sie zur Zeit der Erlassung des Gesetzes an Kapital zu fordern hatten, durchschnittlich 25 Prozent einbuessten, war in der Tat nichts anderes als eine teilweise Gewaehrung der von den Demokraten so ungestuem begehrten Kassation der aus Darlehen herruehrenden Forderungen; und wie arg auch die Zinswucherer gewirtschaftet haben mochten, so ist es doch nicht moeglich, damit die rueckwirkende Vernichtung aller Zinsforderungen ohne Unterschied zu rechtfertigen. Um diese Agitation wenigstens zu begreifen, muss man sich erinnern, wie die demokratische Partei zu der Zinsfrage stand. Das gesetzliche Verbot, Zinsen zu nehmen, das die alte Plebejeropposition im Jahre 412 (342) erzwungen hatte, war zwar durch die mittels der Praetur den Zivilprozess beherrschende Nobilitaet tatsaechlich ausser Anwendung gesetzt, aber doch formell seit jener Zeit in Gueltigkeit geblieben; und die Demokraten des siebenten Jahrhunderts, die sich durchaus als die Fortsetzer jener alten staendisch-sozialen Bewegung betrachteten, hatten die Nichtigkeit der Zinszahlungen zu jeder Zeit behauptet, auch schon in den Wirren der marianischen Zeit dieselbe wenigstens voruebergehend praktisch geltend gemacht. Es ist nicht glaublich, dass Caesar die kruden Ansichten seiner Partei ueber die Zinsfrage teilte; wenn er in seinem Bericht ueber die Liquidationsangelegenheit der Verfuegung ueber die Hingabe der Habe der Schuldner an Zahlungs Statt gedenkt, aber von der Kassation der Zinsen schweigt, so ist dies vielleicht ein stummer Selbstvorwurf. Allein wie jeder Parteifuehrer hing doch auch er von seiner Partei ab und konnte die traditionellen Saetze der Demokratie in der Zinsfrage nicht geradezu verleugnen; um so mehr, als er ueber diese Frage nicht als der allmaechtige Sieger von Pharsalos, sondern schon vor seinem Abgang nach Epirus zu entscheiden hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die Rechtsordnung und das Eigentum vielleicht mehr zuliess als bewirkte, so ist es sicher sein Verdienst, dass jenes ungeheuerliche Begehren der Kassation saemtlicher Darlehnsforderungen zurueckgewiesen ward: und es darf wohl als eine Ehrenrettung fuer ihn angesehen werden, dass die Schuldner ueber das ihnen gemachte, nach ihrer Ansicht hoechst ungenuegende Zugestaendnis noch weit ungehaltener waren als die verkuerzten Glaeubiger und unter Caelius und Dolabella jene toerichten und, wie bereits frueher erzaehlt, rasch vereitelten Versuche machten, das, was Caesar ihnen verweigert hatte, durch Krawall und Buergerkrieg zu erzwingen. —————————————— ^23 Dieses ist zwar nicht ueberliefert, folgt aber notwendig aus der Gestattung, die durch Barzahlung oder Anweisung gezahlten Zinsen (si quid usurae nomine numeratum auf perscriptum fuisset: Suet. Caes. 42) als gesetzwidrig gezahlt an dem Kapital zu kuerzen.
—————————————— Aber Caesar beschraenkte sich nicht darauf, dem Schuldner fuer den Augenblick zu helfen, sondern er tat, was er als Gesetzgeber tun konnte, um die fuerchterliche Allmacht des Kapitals auf die Dauer zu beugen. Vor allen Dingen ward der grosse Rechtssatz proklamiert, dass die Freiheit nicht ein dem Eigentum kommensurables Gut ist, sondern ein ewiges Menschenrecht, das der Staat nur dem Schuldigen, nicht dem Schuldner abzuerkennen das Recht hat. Es ist Caesar, der, vielleicht auch hier angeregt durch die humanere aegyptische und griechische, besonders die Solonische Gesetzgebung ^24, dieses den Satzungen der aelteren Konkursordnung schnurstracks widersprechende Prinzip eingefuehrt hat in das gemeine Recht, wo es seit ihm unangefochten sich behauptet. Nach roemischem Landrecht ward der zahlungsunfaehige Schuldner Knecht seines Glaeubigers. Das Poetelische Gesetz hatte zwar dem nur durch Verlegenheiten, nicht durch wahre Ueberschuldung augenblicklich zahlungsunfaehig Gewordenen verstattet, durch Abtretung seiner Habe die persoenliche Freiheit zu retten; fuer den wirklich Ueberschuldeten jedoch war jener Rechtssatz wohl in Nebenpunkten gemildert, aber in der Hauptsache durch ein halbes Jahrtausend unveraendert festgehalten worden; ein zunaechst auf das Vermoegen gerichteter Konkurs kam nur ausnahmsweise vor dann, wenn der Schuldner tot oder seines Buergerrechts verlustig gegangen oder nicht aufzufinden war. Erst Caesar gab dem ueberschuldeten Manne das Recht, worauf noch unsere heutigen Konkursordnungen beruhen: durch foermliche Abtretung der Habe an die Glaeubiger, mochte sie zu ihrer Befriedigung ausreichen oder nicht, allemal seine persoenliche Freiheit, wenn auch mit geschmaelerten Ehren- und politischen Rechten, zu erretten und eine neue Vermoegensexistenz zu beginnen, in der er wegen der aus der aelteren Zeit herruehrenden und im Konkurs nicht gedeckten Forderungen nur dann eingeklagt werden durfte, wenn er sie bezahlen konnte, ohne wiederum sich oekonomisch zu ruinieren. Wenn also dem grossen Demokraten die unvergaengliche Ehre zuteil ward, die persoenliche Freiheit prinzipiell vom Kapital zu emanzipieren, so versuchte er ferner, die Uebermacht des Kapitals durch Wuchergesetze auch polizeilich einzudaemmen. Die demokratische Antipathie gegen die Zinsvertraege verleugnete auch er nicht. Fuer den italischen Geldverkehr wurde eine Maximalsumme der dem einzelnen Kapitalisten zu gestattenden Zinsdarlehen festgestellt, welche sich nach dem einem jeden zustaendigen italischen Grundbesitz gerichtet zu haben scheint und vielleicht die Haelfte des Wertes desselben betrug. Uebertretungen dieser Bestimmung wurden, nach Art des in den republikanischen Wuchergesetzen vorgeschriebenen Verfahrens, als Kriminalvergehen behandelt und vor eine eigene Geschworenenkommission gewiesen. Wenn es gelang, diese Vorschriften praktisch durchzufuehren, so wurde jeder italische Geschaeftsmann dadurch genoetigt, vor allem zugleich auch italischer Grundbesitzer zu werden, und die Klasse der bloss von ihren Zinsen zehrenden Kapitalisten verschwand in Italien gaenzlich. Mittelbar wurde damit auch die nicht minder schaedliche Kategorie der ueberschuldeten und der Sache nach nur fuer ihre Glaeubiger das Gut verwaltenden Grundeigentuemer wesentlich beschraenkt, indem die Glaeubiger, wenn sie ihr Zinsgeschaeft fortfuehren wollten, gezwungen wurden, selber sich anzukaufen. Schon hierin uebrigens liegt es, dass Caesar keineswegs jenes naive Zinsverbot der alten Popularpartei einfach erneuern, sondern vielmehr das Zinsnehmen innerhalb gewisser Grenzen gestatten wollte. Sehr wahrscheinlich aber hat er dabei sich nicht auf jene bloss fuer Italien gueltige Anordnung eines Maximalsatzes der auszuleihenden Summen beschraenkt, sondern auch, namentlich mit Ruecksicht auf die Provinzen, fuer die Zinsen selbst Maximalsaetze vorgeschrieben. Die Verfuegungen, dass es unstatthaft sei, hoehere Zinsen als eins vom Hundert monatlich oder von rueckstaendigen Zinsen wieder Zinsen zu nehmen oder endlich an rueckstaendigen Zinsen mehr als eine dem Kapital gleichkommende Summe gerichtlich geltend zu machen, wurden, wahrscheinlich ebenfalls nach griechisch-aegyptischem Muster ^25, im Roemischen Reiche zuerst von Lucius Lucullus fuer Kleinasien aufgestellt und daselbst von seinen besseren Nachfolgern beibehalten, sodann bald auch auf andere Provinzen durch Statthalterverordnungen uebertragen und endlich wenigstens ein Teil derselben durch einen Beschluss des roemischen Senats vom Jahre 704 (50) mit Gesetzeskraft in allen Provinzen versehen. Wenn diese Lucullischen Verfuegungen spaeterhin in ihrem vollen Umfang als Reichsgesetz erscheinen und durchaus die Grundlage der roemischen, ja der heutigen Zinsgesetzgebung geworden sind, so darf auch dies vielleicht auf eine Bestimmung Caesars zurueckgefuehrt werden. ————————————————- ^24 Die aegyptischen Koenigsgesetze (Diod. 1, 79) und ebenso das Solonische Recht (Plut. Sol. 13, 15) untersagten die Schuldbriefe, worin auf die Nichtzahlung der Verlust der persoenlichen Freiheit des Schuldners gesetzt war; und wenigstens das letztere legte auch im Falle des Konkurses dem Schuldner nicht mehr auf als die Abtretung seiner saemtlichen Aktiva. ^25 Wenigstens der letztere Satz kehrt wieder in den alten aegyptischen Koenigsgesetzen (Diod. 1, 79). Dagegen kennt das Solonische Recht keine Zinsbeschraenkungen, erlaubt vielmehr ausdruecklich, Zinsen von jeder beliebigen Hoehe auszumachen.
————————————————- Hand in Hand mit diesen Bestrebungen, der Kapitaluebermacht zu wehren, gingen die Bemuehungen, die Bodenwirtschaft in diejenige Bahn zurueckzuleiten, die dem Gemeinwesen die foerderlichste war. Sehr wesentlich war hierfuer schon die Verbesserung der Rechtspflege und der Polizei. Wenn bisher niemand in Italien seines Lebens und seines beweglichen oder unbeweglichen Eigentums sicher gewesen war, wenn zum Beispiel die roemischen Bandenfuehrer in den Zwischenzeiten, wo ihre Leute nicht in der Hauptstadt Politik machen halfen, in den Waeldern Etruriens dem Raube obgelegen oder auch die Landgueter ihrer Soldherren durch Eroberungen arrondiert hatten, so hatte dergleichen Faustrecht nunmehr ein Ende; und vor allem die ackerbauende Bevoelkerung aller Klassen musste davon die wohltaetigen Folgen empfinden. Auch Caesars Bauplaene, die sich durchaus nicht auf die Hauptstadt beschraenkten, waren bestimmt, hier einzugreifen; so sollte zum Beispiel die Anlegung einer bequemen Fahrstrasse von Rom durch die Apenninenpaesse zum Adriatischen Meer den italischen Binnenverkehr beleben, die Niedrigerlegung des Fuciner Sees der marsischen Bauernschaft zugute kommen. Allein auch unmittelbar griff Caesar in die wirtschaftlichen Zustaende Italiens ein. Den italischen Viehzuechtern wurde auferlegt, wenigstens den dritten Teil ihrer Hirten aus freigeborenen, erwachsenen Leuten zu nehmen, wodurch zugleich dem Banditenwesen gesteuert und dem freien Proletariat eine Erwerbsquelle geoeffnet ward. In der agrarischen Frage ging Caesar, der bereits in seinem ersten Konsulat in die Lage gekommen war, sie zu regulieren, verstaendiger als Tiberius Gracchus, nicht darauf aus, die Bauernwirtschaft wiederherzustellen um jeden Preis, selbst um den einer unter juristischen Klauseln versteckten Revolution gegen das Eigentum; ihm wie jedem andern echten Staatsmann galt vielmehr als die erste und unverbruechlichste aller politischen Maximen die Sicherheit dessen, was Eigentum ist oder doch im Publikum als Eigentum gilt, und nur innerhalb der hierdurch gezogenen Schranken suchte er die Hebung des italischen Kleinbesitzes, die auch ihm als eine Lebensfrage der Nation erschien, zu bewerkstelligen. Es liess auch so noch viel in dieser Beziehung sich tun. Jedes Privatrecht, mochte es Eigentum oder titulierter Erbbesitz heissen, auf Gracchus oder auf Sulla zurueckgehen, ward unbedingt von ihm respektiert. Dagegen das saemtliche wirkliche Domanialland in Italien, mit Einschluss eines ansehnlichen Teils der in den Haenden geistlicher Innungen befindlichen, rechtlich dem Staate zustaendigen Liegenschaften, wurde von Caesar, nachdem er in seiner streng sparsamen, auch im kleinen keine Verschleuderung und Vernachlaessigung duldenden Weise durch die wiedererweckte Zwanzigerkommission eine allgemeine Revision der italischen Besitztitel veranstaltet hatte, zur Verteilung in gracchanischer Weise bestimmt, natuerlich soweit es sich zum Ackerbau eignete – die dem Staate gehoerigen apulischen Sommer- und samnitischen Winterweiden blieben auch ferner Domaene; und es war wenigstens die Absicht des Imperators, wenn diese Domaenen nicht ausreichen wuerden, das weiter erforderliche Land durch Ankauf italischer Grundstuecke aus der Staatskasse zu beschaffen. Bei der Auswahl der neuen Bauern wurden natuerlich vor allen die gedienten Soldaten beruecksichtigt und soweit moeglich die Last, welche die Aushebung fuer das Mutterland war, dadurch in eine Wohltat umgewandelt, dass Caesar den als Rekruten ausgehobenen Proletarier ihm als Bauer zurueckgab; bemerkenswert ist es auch, dass die veroedeten latinischen Gemeinden, wie zum Beispiel Veii und Capena, vorzugsweise mit neuen Kolonisten bedacht worden zu sein scheinen. Die Vorschrift Caesars, dass die neuen Eigentuemer erst nach zwanzig Jahren befugt sein sollten, die empfangenen Laendereien zu veraeussern, war ein gluecklicher Mittelweg zwischen der voelligen Freigebung des Veraeusserungsrechts, die den groessten Teil des verteilten Landes rasch wieder in die Haende der grossen Kapitalisten zurueckgefuehrt haben wuerde, und den bleibenden Beschraenkungen der Verkehrsfreiheit, wie sie Tiberius Gracchus und Sulla, beide gleich vergeblich, verfuegt hatten.
Wenn also die Regierung energisch dazu tat, die kranken Elemente des italischen Volkslebens zu entfernen und die gesunden zu staerken, so sollte endlich das neu regulierte Munizipalwesen, nachdem sich dasselbe erst juengst aus der Krise des Bundesgenossenkriegs in und neben dem Staatswesen entwickelt hatte, der neuen absoluten Monarchie das mit ihr vertraegliche Gemeindeleben mitteilen und die stockende Zirkulation der edelsten Elemente des oeffentlichen Lebens wieder zu rascheren Pulsschlaegen erwecken. Als leitender Grundsatz in den beiden im Jahre 705 (49) fuer das Cisalpinische Gallien, im Jahre 709 (45) fuer Italien erlassenen Gemeindeordnungen ^26, von denen namentlich die letztere fuer die ganze Folgezeit Grundgesetz blieb, erscheint teils die strenge Reinigung der staedtischen Kollegien von allen unsittlichen Elementen, waehrend von politischer Polizei darin keine Spur vorkommt, teils die moeglichste Beschraenkung des Zentralisierens und die moeglichst freie Bewegung der Gemeinden, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten und eine wenngleich beschraenkte Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit verblieb. Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel die Beschraenkungen des Assoziationsrechts, griffen freilich auch hier Platz. ———————————————- ^26 Von beiden Gesetzen sind betraechtliche Bruchstuecke noch vorhanden. ———————————————- Dies sind die Ordnungen, durch die Caesar versuchte, die italische Volkswirtschaft zu reformieren. Es ist leicht, sowohl ihre Unzulaenglichkeit darzutun, indem auch sie noch eine Menge von Uebelstaenden bestehen liessen, als auch nachzuweisen, dass sie vielfach schaedlich wirkten, indem sie die Verkehrsfreiheit zum Teil sehr empfindlich beschraenkten. Es ist noch leichter nachzuweisen, dass die Schaeden der italischen Volkswirtschaft ueberhaupt unheilbarer Art waren. Aber trotzdem wird der praktische Staatsmann das Werk wie den Meister bewundern. Es war schon etwas, dass da, wo ein Mann wie Sulla, an Abhilfe verzweifelnd, mit einer bloss formalen Reorganisation sich begnuegt hatte, das Uebel an seinem eigentlichen Sitze angefasst und hier mit ihm gerungen ward; und wir duerfen wohl urteilen, dass Caesar mit seinen Reformen dem Masse des Moeglichen so nahe kam, als zu kommen dem Staatsmann und dem Roemer gegeben war. Die Verjuengung Italiens hat auch er von ihnen nicht erwarten koennen noch erwartet, sondern diese vielmehr auf einem sehr verschiedenen Wege zu erreichen gesucht, den darzulegen es noetig wird, zunaechst die Lage der Provinzen, wie Caesar sie vorfand, ins Auge zu fassen. Die Provinzen, welche Caesar vorfand, waren vierzehn an der Zahl; sieben europaeische: das Jenseitige und das Diesseitige Spanien; das Transalpinische Gallien; das Italische Gallien mit Illyricum; Makedonien mit Griechenland; Sizilien; Sardinien mit Korsika; fuenf asiatische: Asia; Bithynien und Pontus; Kilikien mit Kypros; Syrien; Kreta; und zwei afrikanische: Kyrene und Afrika; wozu Caesar durch die Einrichtung der beiden neuen Statthalterschaften des Lugdunensischen Galliens und Belgiens und durch Konstituierung Illyricums als einer eigenen Provinz noch drei neue Sprengel hinzufuegte ^27. —————————————— ^27 Da nach Caesars Ordnung jaehrlich sechzehn Propraetoren und zwei Prokonsuln in die Statthalterschaften sich teilten und die letzteren zwei Jahre im Amt blieben, so moechte man schliessen dass er die Zahl der Provinzen insgesamt auf zwanzig zu bringen beabsichtigte. Zu einer Gewissheit ist indes hier um so weniger zu gelangen, als Caesar vielleicht absichtlich weniger Aemter einrichtete als Kandidaturen.
—————————————— In dem Regiment ueber diese Provinzen war die oligarchische Misswirtschaft auf einem Punkte angekommen, wie ihn wenigstens im Okzident, trotz mancher achtbarer Leistungen in diesem Fach, keine zweite Regierung jemals erreicht hat und wo nach unserer Fassungskraft eine Steigerung nicht mehr moeglich scheint. Allerdings traf die Verantwortung hierfuer die Roemer nicht allein. Fast ueberall hatte bereits vor ihnen das griechische, phoenikische oder asiatische Regiment den Voelkern den hoeheren Sinn und das Rechts- und Freiheitsgefuehl besserer Zeiten ausgetrieben. Es war wohl arg, dass jeder angeschuldigte Provinziale auf Verlangen in Rom persoenlich zur Verantwortung sich zu stellen verpflichtet war; dass der roemische Statthalter beliebig in die Rechtspflege und in die Verwaltung der abhaengigen Gemeinden eingriff, Bluturteile faellte und Verhandlungen des Gemeinderats kassierte; dass er im Kriegsfall mit den Milizen nach Gutduenken und oft in schandbarer Weise schaltete, wie zum Beispiel Cotta bei der Belagerung des pontischen Herakleia der Miliz alle gefaehrlichen Posten anwies, um seine Italiker zu schonen, und, da die Belagerung nicht nach Wunsch ging, seinen Werkmeistern den Kopf vor die Fuesse zu legen befahl. Es war wohl arg, dass keine Vorschrift der Sittlichkeit oder des Strafrechts weder die roemischen Voegte noch ihr Gefolge band und dass Vergewaltigungen, Schaendungen und Ermordungen mit oder ohne Form Rechtens in den Provinzen alltaegliche Auftritte waren. Allein es war dies wenigstens nichts Neues: fast ueberall war man sklavischer Behandlung laengst gewohnt und es kam am Ende wenig darauf an, ob ein karthagischer Vogt, ein syrischer Satrap oder ein roemischer Prokonsul den Lokaltyrannen spielte. Das materielle Wohlbefinden, ziemlich das einzige, wofuer man in den Provinzen noch Sinn hatte, ward durch jene Vorgaenge, die zwar bei den vielen Tyrannen viele, aber doch nur einzelne Individuen trafen, weit minder gestoert als durch die auf allen zugleich lastende finanzielle Exploitierung, welche mit solcher Energie doch niemals noch aufgetreten war. Die Roemer bewaehrten ihre alte Meisterschaft im Geldwesen jetzt auf diesem Gebiet in einer entsetzlichen Weise. Es ist frueher versucht worden, das roemische System der Provinzialbelastung in seinen bescheidenen und verstaendigen Grundlagen wie in seiner Steigerung und Verderbung darzustellen. Dass die letztere progressiv zunahm, versteht sich von selbst. Die ordentlichen Abgaben wurden weit drueckender durch die Ungleichheit der Steuerverteilung und durch das verkehrte Hebesystem als durch ihre Hoehe. Ueber die Einquartierungslast aeusserten roemische Staatsmaenner selbst, dass eine Stadt ungefaehr gleich viel leide, wenn der Feind sie erstuerme und wenn ein roemisches Heer Winterquartier in ihr nehme. Waehrend die Besteuerung nach ihrem urspruenglichen Charakter die Verguetung fuer die von Rom uebernommene Kriegslast gewesen war und die steuernde Gemeinde also ein Recht darauf hatte, vom ordentlichen Dienst verschont zu bleiben, wurde jetzt, wie zum Beispiel fuer Sardinien bezeugt ist, der Besatzungsdienst groesstenteils den Provinzialen aufgebuerdet und sogar in den ordentlichen Heeren ausser anderen Leistungen die ganze schwere Last des Reiterdienstes auf sie abgewaelzt. Die ausserordentlichen Leistungen, wie zum Beispiel die Kornlieferungen gegen geringe oder gar keine Verguetung zum Besten des hauptstaedtischen Proletariats, die haeufigen und kostspieligen Flottenruestungen und Strandverteidigungen, um der Piraterie zu steuern, die Aufgaben, Kunstwerke, wilde Bestien oder andere Beduerfnisse des wahnwitzigen roemischen Theater- und Tierhetzenluxus herbeizuschaffen, die militaerischen Requisitionen im Kriegsfall, waren ebenso haeufig wie erdrueckend und unberechenbar. Ein einzelnes Beispiel mag zeigen, wie weit die Dinge gingen. Waehrend der dreijaehrigen Verwaltung Siziliens durch Gaius Verres sank die Zahl der Ackerwirte in Leontinoi von 84 auf 32, in Motuka von 187 auf 86, in Herbita von 252 auf 120, in Agyrion von 250 auf 80; so dass in vier der fruchtbarsten Distrikte Siziliens von hundert Grundbesitzern 59 ihre Aecker lieber brach liegen liessen, als sie unter diesem Regiment bestellten. Und diese Ackerwirte waren, wie schon ihre geringe Zahl zeigt und auch ausdruecklich gesagt wird, keineswegs kleine Bauern, sondern ansehnliche Plantagenbesitzer und zum grossen Teil roemische Buerger!
In den Klientelstaaten waren die Formen der Besteuerung etwas verschieden, aber die Lasten selbst womoeglich noch aerger, da ausser den Roemern hier auch noch die einheimischen Hoefe erpressten. In Kappadokien und Aegypten war der Bauer wie der Koenig bankrott und jener den Steuereinnehmer, dieser den roemischen Glaeubiger zu befriedigen ausserstande. Dazu kamen denn die eigentlichen Erpressungen nicht bloss des Statthalters selbst, sondern auch seiner “Freunde”, von denen jeder gleichsam eine Anweisung auf den Statthalter zu haben meinte und ein Anrecht, durch ihn aus der Provinz als ein gemachter Mann zurueckzukommen. Die roemische Oligarchie glich in dieser Beziehung vollstaendig einer Raeuberbande und betrieb das Pluendern der Provinzialen berufs- und handwerksmaessig: ein tuechtiges Mitglied griff nicht allzu
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