Strecke von mehr als drei deutschen Meilen, zu verwehren. Caesar gewann indes durch Unterhandlungen mit den Helvetiern, die den Uebergang ueber den Fluss und den Marsch durch das allobrogische Gebiet gern in friedlicher Weise bewerkstelligt haetten, eine Frist von fuenfzehn Tagen, welche dazu benutzt ward, die Rhonebruecke bei Genava (Genf) abzubrechen und das suedliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deutsche Meilen lange Verschanzung dem Feinde zu sperren – es war die erste Anwendung des von den Roemern spaeter in so ungeheurem Umfang durchgefuehrten Systems, mittels einer Kette einzelner, durch Waelle und Graeben miteinander in Verbindung gesetzter Schanzen die Reichsgrenze militaerisch zu schliessen. Die Versuche der Helvetier, auf Kaehnen oder mittels Furten an verschiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen, wurden in diesen Linien von den Roemern gluecklich vereitelt und die Helvetier genoetigt, von dem Rhoneuebergang abzustehen. Dagegen vermittelte die den Roemern feindlich gesinnte Partei in Gallien, die an den Helvetiern eine maechtige Verstaerkung zu erhalten hoffte, namentlich der Haeduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder und in seinem Gau wie dieser an der Spitze der roemischen so seinerseits an der Spitze der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jurapaesse und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verbieten hatten die Roemer keinen Rechtsgrund; allein es standen fuer sie bei dem helvetischen Heerzug andere und hoehere Interessen auf dem Spiel als die Frage der formellen Integritaet des roemischen Gebiets – Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt, wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius getan, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu beschraenken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige Reichsgrenze ueberschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats, sondern des Staates: er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der ihm eigenen Raschheit die drei dort kantonnierenden sowie zwei neugebildete Rekrutenlegionen herangefuehrt. Diese Truppen vereinigte er mit dem bei Genava stehenden Korps und ueberschritt mit der gesamten Macht die Rhone. Sein unvermutetes Erscheinen im Gebiete der Haeduer brachte natuerlich daselbst sofort wieder die roemische Partei ans Regiment, was der Verpflegung wegen nicht gleichgueltig war. Die Helvetier fand er beschaeftigt, die Saone zu passieren und aus dem Gebiet der Sequaner in das der Haeduer einzuruecken; was von ihnen noch am linken Saoneufer stand, namentlich das Korps der Tigoriner, ward von den rasch vordringenden Roemern aufgehoben und vernichtet. Das Gros des Zuges war indes bereits auf das rechte Ufer des Flusses uebergesetzt; Caesar folgte ihnen und bewerkstelligte den Uebergang, den der ungeschlachte Zug der Helvetier in zwanzig Tagen nicht hatte vollenden koennen, in vierundzwanzig Stunden. Die Helvetier, durch diesen Uebergang der roemischen Armee ueber den Fluss gehindert, ihren Marsch in westlicher Richtung fortzusetzen, schlugen die Richtung nach Norden ein, ohne Zweifel in der Voraussetzung, dass Caesar nicht wagen werde, ihnen weit in das innere Gallien hinein zu folgen, und in der Absicht, wenn er von ihnen abgelassen habe, sich wieder ihrem eigentlichen Ziel zuzuwenden. Fuenfzehn Tage marschierte das roemische Heer in dem Abstand etwa einer deutschen Meile von dem feindlichen hinter demselben her, an seine Fersen sich heftend und auf einen guenstigen Augenblick hoffend, um den feindlichen Heereszug unter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und zu vernichten. Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfaellig auch die helvetische Karawane einherzog, die Fuehrer wussten einen Ueberfall zu verhueten und zeigten sich wie mit Vorraeten reichlich versehen, so durch ihre Spione von jedem Vorgang im roemischen Lager aufs genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Roemer an, Mangel an dem Notwendigsten zu leiden, namentlich als die Helvetier sich von der Saone entfernten und der Flusstransport aufhoerte. Das Ausbleiben der von den Haeduern versprochenen Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunaechst hervorging, erregte um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf ihrem Gebiete sich herumbewegten. Ferner zeigte sich die ansehnliche, fast 4000 Pferde zaehlende roemische Reiterei voellig unzuverlaessig – was freilich erklaerlich war, da dieselbe fast ganz aus keltischer Ritterschaft, namentlich den Reitern der Haeduer unter dem Befehl des wohlbekannten Roemerfeindes Dumnorix bestand und Caesar selbst sie mehr noch als Geiseln denn als Soldaten uebernommen hatte. Man hatte guten Grund zu glauben, dass eine Niederlage, die sie von der weit schwaecheren helvetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst herbeigefuehrt worden war, und dass durch sie der Feind von allen Vorfaellen im roemischen Lager unterrichtet ward. Caesars Lage wurde bedenklich; in leidiger Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den Haeduern, trotz ihres offiziellen Buendnisses mit Rom und der nach Rom sich neigenden Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische Patriotenpartei vermochte; was sollte daraus werden, wenn man in die gaerende Landschaft tiefer und tiefer sich hineinwagte und von den Verbindungen immer weiter sich entfernte? Eben zogen die Heere an der Hauptstadt der Haeduer, Bibracte (Autun), in maessiger Entfernung vorueber; Caesar beschloss, dieses wichtigen Ortes sich mit gewaffneter Hand zu bemaechtigen, bevor er den Marsch in das Binnenland fortsetzte, und es ist wohl moeglich, dass er ueberhaupt beabsichtigte, von weiterer Verfolgung abzustehen und in Bibracte sich festzusetzen. Allein da er, von der Verfolgung ablassend, sich gegen Bibracte wendete, meinten die Helvetier, dass die Roemer zur Flucht Anstalt machten, und griffen nun ihrerseits an. Mehr hatte Caesar nicht gewuenscht. Auf zwei parallel laufenden Huegelreihen stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten begannen das Gefecht, sprengten die in die Ebene vorgeschobene roemische Reiterei auseinander und liefen an gegen die am Abhang des Huegels postierten roemischen Legionen, mussten aber hier vor Caesars Veteranen weichen. Als darauf die Roemer, ihren Vorteil verfolgend, nun ihrerseits in die Ebene hinabstiegen, gingen die Kelten wieder gegen sie vor und ein zurueckgehaltenes keltisches Korps nahm sie zugleich in die Flanke. Dem letzteren ward die Reserve der roemischen Angriffskolonne entgegengeworfen; sie draengte dasselbe von der Hauptmasse ab auf das Gepaeck und die Wagenburg, wo es aufgerieben ward. Auch das Gros des helvetischen Zuges ward endlich zum Weichen gebracht und genoetigt, den Rueckzug in oestlicher Richtung zu nehmen – der entgegengesetzten von derjenigen, in die ihr Zug sie fuehrte. Den Plan der Helvetier, am Atlantischen Meer sich neue Wohnsitze zu gruenden, hatte dieser Tag vereitelt und die Helvetier der Willkuer des Siegers ueberliefert; aber es war ein heisser auch fuer die Sieger gewesen. Caesar, der Ursache hatte, seinem Offizierkorps nicht durchgaengig zu trauen, hatte gleich zu Anfang alle Offizierspferde fortgeschickt, um die Notwendigkeit standzuhalten den Seinigen gruendlich klar zu machen; in der Tat wuerde die Schlacht, haetten die Roemer sie verloren, wahrscheinlich die Vernichtung der roemischen Armee herbeigefuehrt haben. Die roemischen Truppen waren zu erschoepft, um die Ueberwundenen kraeftig zu verfolgen; allein infolge der Bekanntmachung Caesars, dass er alle, die die Helvetier unterstuetzen wuerden, wie diese selbst als Feinde der Roemer behandeln werde, ward, wohin die geschlagene Armee kam, zunaechst in dem Gau der Lingonen (um Langres), ihr jede Unterstuetzung verweigert und, aller Zufuhr und ihres Gepaecks beraubt und belastet von der Masse des nicht kampffaehigen Trosses, mussten sie wohl dem roemischen Feldherrn sich unterwerfen. Das Los der Besiegten war ein verhaeltnismaessig mildes. Den heimatlosen Boiern wurden die Haeduer angewiesen, in ihrem Gebiet Wohnsitze einzuraeumen; und diese Ansiedlung der ueberwundenen Feinde inmitten der maechtigsten Kettengaue tat fast die Dienste einer roemischen Kolonie. Die von den Helvetiern und Raurakern noch uebrigen, etwas mehr als ein Drittel der ausgezogenen Mannschaft, wurden natuerlich in ihr ehemaliges Gebiet zurueckgesandt. Dasselbe wurde der roemischen Provinz einverleibt, aber die Bewohner zum Buendnis mit Rom unter guenstigen Bedingungen zugelassen, um unter roemischer Hoheit am oberen Rhein die Grenze gegen die Deutschen zu verteidigen. Nur die suedwestliche Spitze des helvetischen Gaus wurde von den Roemern in unmittelbaren Besitz genommen und spaeterhin hier, an dem anmutigen Gestade des Leman, die alte Keltenstadt Noviodunum (jetzt Nyon) in eine roemische Grenzfestung, die Julische Reiterkolonie ^14, umgewandelt.
————————————————— ^13 Nach dem unberichtigten Kalender. Nach der gangbaren Rektifikation, die indes hier keineswegs auf hinreichend zuverlaessigen Daten beruht, entspricht dieser Tag dem 16. April des Julianischen Kalenders. ^14 Julia Equestris, wo der letzte Beiname zu fassen ist wie in anderen Kolonien Caesars die Beinamen sextanorum, decimanorum, u. a. m. Es waren keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natuerlich unter Erteilung des roemischen oder doch des latinischen Buergerrechts, hier Landlose empfingen. ————————————————- Am Oberrhein also war der drohenden Invasion der Deutschen vorgebeugt und zugleich die den Roemern feindliche Partei unter den Kelten gedemuetigt. Auch am Mittelrhein, wo die Deutschen bereits vor Jahren uebergegangen waren und die in Gallien mit der roemischen wetteifernde Macht des Ariovist taeglich weiter um sich griff, musste in aehnlicher Weise durchgegriffen werden, und leicht war die Veranlassung zum Bruche gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist ihnen drohenden oder bereits auferlegten Joch mochte hier dem groesseren Teil der Kelten jetzt die roemische Suprematie das geringere Uebel duenken; die Minoritaet, die an ihrem Roemerhass festhielt, musste wenigstens verstummen. Ein unter roemischem Einfluss abgehaltener Landtag der Keltenstaemme des mittleren Galliens ersuchte im Namen der keltischen Nation den roemischen Feldherrn um Beistand gegen die Deutschen. Caesar ging darauf ein. Auf seine Veranlassung stellten die Haeduer die Zahlung des vertragsmaessig an Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und forderten die gestellten Geiseln zurueck, und da Ariovist wegen dieses Vertragsbruchs die Klienten Roms angriff, nahm Caesar davon Veranlassung, mit ihm in direkte Verhandlung zu treten und, ausser der Rueckgabe der Geiseln und dem Versprechen, mit den Haeduern Frieden zu halten, namentlich zu fordern, dass Ariovist sich anheischig mache, keine Deutschen mehr ueber den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr antwortete dem roemischen in dem Vollgefuehl ebenbuertigen Rechtes. Ihm sei das noerdliche Gallien so gut nach Kriegsrecht untertaenig geworden wie den Roemern das suedliche; wie er die Roemer nicht hindere, von den Allobrogen Tribut zu nehmen, so duerften auch sie ihm nicht wehren, seine Untertanen zu besteuern. In spaeteren geheimen Eroeffnungen zeigte es sich, dass der Fuerst der roemischen Verhaeltnisse wohl kundig war: er erwaehnte der Aufforderungen, die ihm von Rom aus zugekommen seien, Caesar aus dem Wege zu raeumen, und erbot sich, wenn Caesar ihm das noerdliche Gallien ueberlassen wolle, ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft ueber Italien behilflich zu sein – wie ihm der Parteihader der keltischen Nation den Eintritt in Gallien eroeffnet hatte, so schien er von dem Parteihader der italischen die Befestigung seiner Herrschaft daselbst zu erwarten. Seit Jahrhunderten war den Roemern gegenueber diese Sprache der vollkommen ebenbuertigen und ihre Selbstaendigkeit schroff und ruecksichtslos aeussernden Macht nicht gefuehrt worden, wie man sie jetzt von dem deutschen Heerkoenig vernahm: kurzweg weigerte er sich zu kommen, als der roemische Feldherr nach der bei Klientelfuersten hergebrachten Uebung ihm ansann, vor ihm persoenlich zu erscheinen. Um so notwendiger war es, nicht zu zaudern: sogleich brach Caesar auf gegen Ariovist. Ein panischer Schrecken ergriff seine Truppen, vor allem seine Offiziere, als sie daran sollten, mit den seit vierzehn Jahren nicht unter Dach und Fach gekommenen deutschen Kernscharen sich zu messen – auch in Caesars Lager schien die tiefgesunkene roemische Sitten- und Kriegszucht sich geltend machen und Desertion und Meuterei hervorrufen zu wollen. Allein der Feldherr, indem er erklaerte, noetigenfalls mit der zehnten Legion allein gegen den Feind zu ziehen, wusste nicht bloss durch solche Ehrenmahnung diese, sondern durch den kriegerischen Wetteifer auch die uebrigen Regimenter an die Adler zu fesseln und etwas von seiner eigenen Energie den Truppen einzuhauchen. Ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu besinnen, fuehrte er in raschen Maerschen sie weiter und kam gluecklich Ariovist in der Besetzung der sequanischen Hauptstadt Vesontio (Besanáon) zuvor. Eine persoenliche Zusammenkunft der beiden Feldherrn, die auf Ariovists Begehren stattfand, schien einzig einen Versuch gegen Caesars Person bedecken zu sollen; zwischen den beiden Zwingherren Galliens konnten nur die Waffen entscheiden. Vorlaeufig kam der Krieg zum Stehen. Im unteren Elsass, etwa in der Gegend von Muelhausen, eine deutsche Meile vom Rhein ^15, lagerten die beiden Heere in geringer Entfernung voneinander, bis es Ariovist gelang, mit seiner sehr ueberlegenen Macht an dem roemischen Lager vorbeimarschierend, sich ihm in den Ruecken zu legen und die Roemer von ihrer Basis und ihren Zufuhren abzuschneiden. Caesar versuchte sich aus seiner peinlichen Lage durch eine Schlacht zu befreien; allein Ariovist nahm sie nicht an. Dem roemischen Feldherrn blieb nichts uebrig, als trotz seiner geringen Staerke, die Bewegung des Feindes nachzuahmen und seine Verbindungen dadurch wieder zu gewinnen, dass er zwei Legionen am Feinde vorbeiziehen und jenseits des Lagers der Deutschen eine Stellung nehmen liess, waehrend vier in dem bisherigen Lager zurueckblieben. Ariovist, da er die Roemer geteilt sah, versuchte einen Sturm auf ihr kleineres Lager; allein die Roemer schlugen ihn ab. Unter dem Eindruck dieses Erfolges ward das gesamte roemische Heer zum Angriff vorgefuehrt; und auch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in langer Linie, jeder Stamm fuer sich, hinter sich, um die Flucht zu erschweren, die Karren der Armee mit dem Gepaeck und den Weibern. Der rechte Fluegel der Roemer unter Caesars eigener Fuehrung stuerzte sich rasch auf den Feind und trieb ihn vor sich her; dasselbe gelang dem rechten Fluegel der Deutschen. Noch stand die Waage gleich; allein die Taktik der Reserven entschied, wie so manchen anderen Kampf gegen Barbaren, so auch den gegen die Germanen zu Gunsten der Roemer; ihre dritte Linie, die Publius Crassus rechtzeitig zur Hilfe sandte, stellte auf dem linken Fluegel die Schlacht wieder her und damit war der Sieg entschieden. Bis an den Rhein ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem Koenig, gelang es, auf das andere Ufer zu entkommen (696 58). —————————————- ^15 F. W. A. Goeler (Caesars gallischer Krieg. Karlsruhe 1858, S. 45f.) meint, das Schlachtfeld bei Cernay unweit Muehlhausen aufgefunden zu haben, was im ganzen uebereinkommt mit Napoleons (precis p. 35) Ansetzung des Schlachtfeldes in der Gegend von Belfort. Diese Annahme ist zwar nicht sicher, aber den Umstaenden angemessen; denn dass Caesar fuer die kurze Strecke von Besanáon bis dahin sieben Tagemaersche brauchte, erklaert er selbst (Lall. 1, 41) durch die Bemerkung, dass er einen Umweg von ueber zehn deutschen Meilen genommen, um die Bergwege zu vermeiden, und dafuer, dass die Schlacht 5, nicht 50 Milien vom Rhein geschlagen ward, entscheidet bei gleicher Autoritaet der Ueberlieferung die ganze Darstellung der bis zum Rhein fortgesetzten und offenbar nicht mehrtaegigen, sondern an dem Schlachttag selbst beendigten Verfolgung. Der Vorschlag W. Ruestows (Einleitung zu Caesars Kommentar, S. 117), das Schlachtfeld an die obere Saar zu verlegen, beruht auf einem Missverstaendnis. Das von den Sequanern, Denkern, Lingonen erwartete Getreide soll dem roemischen Heere nicht unterwegs auf dem Marsche gegen Ariovist zukommen, sondern vor dem Aufbruch nach Besanáon geliefert und von den Truppen mitgenommen werden; wie dies sehr deutlich daraus hervorgeht, dass Caesar, indem er seine Truppen auf jene Lieferungen hinweist, daneben sie auf das unterwegs einzubringende Korn vertroestet. Von Besanáon aus beherrschte Caesar die Gegend von Langres und Epinal und schrieb, wie begreiflich, seine Lieferungen lieber hier aus als in den ausfouragierten Distrikten, aus denen er kam. —————————————- So glaenzend kuendigte dem maechtigen Strom, den hier die italischen Soldaten zum erstenmal erblickten, das roemische Regiment sich an; mit einer einzigen gluecklichen Schlacht war die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der deutschen Ansiedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand; der Sieger konnte sie vernichten, aber er tat es nicht. Die benachbarten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker, waren weder wehrhaft noch zuverlaessig; die uebersiedelten Deutschen versprachen nicht bloss tapfere Grenzhueter, sondern auch bessere Untertanen Roms zu werden, da sie von den Kelten die Nationalitaet, von ihren ueberrheinischen Landsleuten das eigene Interesse an der Bewahrung der neugewonnenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolierten Stellung nicht umhin konnten, an der Zentralgewalt festzuhalten. Caesar zog hier wie ueberall die ueberwundenen Feinde den zweifelhaften Freunden vor; er liess den von Ariovist laengs des linken Rheinufers angesiedelten Germanen, den Tribokern um Strassburg, den Nemetern um Speyer, den Vangionen um Worms, ihre neuen Sitze und vertraute ihnen die Bewachung der Rheingrenze gegen ihre Landsleute an ^16. ———————————————- ^16 Das scheint die einfachste Annahme ueber den Ursprung dieser germanischen Ansiedlungen. Dass Ariovist jene Voelker am Mittelrhein ansiedelte, ist deshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes. Gall. 1, 51) und frueher nicht vorkommen; dass ihnen Caesar ihre Sitze liess, deshalb, weil er Ariovist gegenueber sich bereit erklaerte, die in Gallien bereits ansaessigen Deutschen zu dulden (Caes. Gall. 1, 35. 43), und weil wir sie spaeter in diesen Sitzen finden. Caesar gedenkt der nach der Schlacht hinsichtlich dieser germanischen Ansiedlungen getroffenen Verfuegungen nicht, weil er ueber alle in Gallien von ihm vorgenommenen organischen Einrichtungen grundsaetzlich Stillschweigen beobachtet.
———————————————- Die Sueben aber, die am Mittelrhein das treverische Gebiet bedrohten, zogen auf die Nachricht von Ariovists Niederlage wieder zurueck in das innere Deutschland, wobei sie unterwegs durch die naechstwohnenden Voelkerschaften ansehnliche Einbusse erlitten.
Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermesslich; noch Jahrtausende nachher wurden sie empfunden. Der Rhein war die Grenze des Roemischen Reiches gegen die Deutschen geworden. In Gallien, das nicht mehr vermochte, sich selber zu gebieten, hatten bisher die Roemer an der Suedkueste geherrscht, seit kurzem die Deutschen versucht, weiter oberwaerts sich festzusetzen. Die letzten Ereignisse hatten es entschieden, dass Gallien nicht nur zum Teil, sondern ganz der roemischen Oberhoheit zu verfallen und dass die Naturgrenze, die der maechtige Fluss darbietet, auch die staatliche Grenze zu werden bestimmt war. In seiner besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis Roms Herrschaft Italiens natuerliche Grenzen, die Alpen und das Mittelmeer und dessen naechste Inseln, erreicht hatte. Einer aehnlichen militaerischen Abrundung bedurfte auch das erweiterte Reich; aber die gegenwaertige Regierung ueberliess dieselbe dem Zufall und sah hoechstens darauf, nicht dass die Grenzen verteidigt werden konnten, sondern dass sie nicht unmittelbar von ihr selbst verteidigt zu werden brauchten. Man fuehlte es, dass jetzt ein anderer Geist und ein anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken begannen.
Die Grundmauern des kuenftigen Gebaeudes standen; um aber dasselbe auszubauen und bei den Galliern die Anerkennung der roemischen Herrschaft und der Rheingrenze bei den Deutschen vollstaendig durchzufuehren, fehlte doch noch gar viel. Ganz Mittelgallien zwar von der roemischen Grenze bis hinauf nach Chartres und Trier fuegte sich ohne Widerrede dem neuen Machthaber, und am oberen und mittleren Rhein war auch von den Deutschen vorlaeufig kein Angriff zu besorgen. Allein die noerdlichen Landschaften, sowohl die aremorikanischen Gaue in der Bretagne und der Normandie als auch die maechtigere Konfoederation der Belgen, waren von den gegen das mittlere Gallien gefuehrten Schlaegen nicht mitgetroffen worden und fanden sich nicht veranlasst, dem Besieger Ariovists sich zu unterwerfen. Es kam hinzu, dass, wie bemerkt, zwischen den Belgen und den ueberrheinischen Deutschen sehr enge Beziehungen bestanden und auch an der Rheinmuendung germanische Staemme sich fertig machten, den Strom zu ueberschreiten. Infolgedessen brach Caesar mit seinem jetzt auf acht Legionen vermehrten Heer im Fruehjahr 697 (57) auf gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des tapferen und gluecklichen Widerstandes, den sie fuenfzig Jahre zuvor mit gesamter Hand an der Landgrenze den Kimbrern geleistet hatte, und gespornt durch die zahlreich aus Mittelgallien zu ihnen gefluechteten Patrioten, sandte die Eidgenossenschaft der Belgen ihr gesamtes erstes Aufgebot, 300000 Bewaffnete unter Anfuehrung des Koenigs der Suessionen, Galba, an ihre Suedgrenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur ein einziger Gau, der der maechtigen Remer (um Reims), ersah in dieser Invasion der Fremden die Gelegenheit, das Regiment abzuschuetteln, das ihre Nachbarn, die Suessionen, ueber sie ausuebten, und schickte sich an, die Rolle, die in Mittelgallien die Haeduer gespielt hatten, im noerdlichen zu uebernehmen. In ihrem Gebiet trafen das roemische und das belgische Heer fast gleichzeitig ein. Caesar unternahm es nicht, dem tapferen, sechsfach staerkeren Feinde eine Schlacht zu liefern; nordwaerts der Aisne, unweit des heutigen Pontavert, zwischen Reims und Laon, nahm er sein Lager auf einem teils durch den Fluss und durch Suempfe, teils durch Graeben und Redouten von allen Seiten fast unangreifbar gemachten Plateau und begnuegte sich, die Versuche der Belgen, die Aisne zu ueberschreiten und ihn damit von seinen Verbindungen abzuschneiden, durch defensive Massregeln zu vereiteln. Wenn er darauf zaehlte, dass die Koalition demnaechst unter ihrer eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte er richtig gerechnet. Koenig Galba war ein redlicher, allgemein geachteter Mann; aber der Lenkung einer Armee von 300000 Mann auf feindlichem Boden war er nicht gewachsen. Man kam nicht weiter und die Vorraete gingen auf die Neige; Unzufriedenheit und Entzweiung fingen an, im Lager der Eidgenossen sich einzunisten. Die Bellovaker vor allem, den Suessionen an Macht gleich und schon verstimmt darueber, dass die Feldhauptmannschaft des eidgenoessischen Heeres nicht an sie gekommen war, waren nicht laenger zu halten, seit die Meldung eingetroffen war, dass die Haeduer als Bundesgenossen der Roemer Anstalt machten, in das bellovakische Gebiet einzuruecken. Man beschloss, sich aufzuloesen und nach Hause zu gehen; wenn Schande halber die saemtlichen Gaue zugleich sich verpflichteten, dem zunaechst angegriffenen mit gesamter Hand zu Hilfe zu eilen, so ward durch solche unausfuehrbare Stipulationen das klaegliche Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft nur klaeglich beschoenigt. Es war eine Katastrophe, welche lebhaft an diejenige erinnert, die im Jahre 1792 fast auf demselben Boden eintrat; und gleichwie in dem Feldzug in der Champagne war die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee gestattete dem roemischen Feldherrn, dieselbe zu verfolgen, als waere sie eine geschlagene, und einen Teil der bis zuletzt gebliebenen Kontingente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges beschraenkten sich hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Kantone der Belgen einrueckte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr sich verloren: die maechtigen Suessionen (um Soissons), ebenso wie ihre Nebenbuhler, die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambianer (um Amiens). Die Staedte oeffneten die Tore, als sie die fremdartigen Belagerungsmaschinen, die auf die Mauern zurollenden Tuerme erblickten; wer sich dem fremden Herrn nicht ergeben mochte, suchte eine Zuflucht jenseits des Meeres in Britannien. Aber in den oestlichen Kantonen regte sich energischer das Nationalgefuehl. Die Viromanduer (um Arras), die Atrebaten (um Saint-Quentin), die deutschen Aduatuker (um Namur), vor allem aber die Nervier (im Hennegau) mit ihrer nicht geringen Klientel, an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachgebend, an Tapferkeit und kraeftigem Vaterlandssinn ihnen weit ueberlegen, schlossen einen zweiten und engeren Bund und zogen ihre Mannschaften an der oberen Samtire zusammen. Keltische Spione unterrichteten sie aufs genaueste ueber die Bewegungen der roemischen Armee; ihre eigene Ortskunde sowie die hohen Verzaeunungen, welche in diesen Landschaften ueberall angelegt waren, um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Raeuberscharen den Weg zu versperren, gestatteten den Verbuendeten, ihre eigenen Operationen dem Blick der Roemer groesstenteils zu entziehen. Als diese an der Sambre unweit Bavay anlangten und die Legionen eben beschaeftigt waren, auf dem Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, die Reiterei und leichte Infanterie die jenseitigen Hoehen zu erkunden, wurden auf einmal die letzteren von der gesamten Masse des feindlichen Landsturms ueberfallen und den Huegel hinab in den Fluss gesprengt. In einem Augenblick hatte der Feind auch diesen ueberschritten und stuermte mit todverachtender Entschlossenheit die Hoehen des linken Ufers. Kaum blieb den schanzenden Legionaeren die Zeit, um die Hacke mit dem Schwert zu vertauschen; die Soldaten, viele unbehelmt, mussten fechten, wo sie eben standen, ohne Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigentliches Kommando, denn bei der Ploetzlichkeit des Ueberfalls und dem von hohen Hecken durchschnittenen Terrain hatten die einzelnen Abteilungen die Verbindung voellig verloren. Statt der Schlacht entspann sich eine Anzahl zusammenhangloser Gefechte. Labienus mit dem linken Fluegel warf die Atrebaten und verfolgte sie bis ueber den Fluss. Das roemische Mitteltreffen draengte die Viromanduer den Abhang hinab. Der rechte Fluegel aber, bei dem der Feldherr selbst sich befand, wurde von den weit zahlreicheren Nerviern um so leichter ueberfluegelt, als das Mitteltreffen, durch seinen Erfolg fortgerissen, den Platz neben ihm geraeumt hatte, und selbst das halbfertige Lager von den Nerviern besetzt; die beiden Legionen, jede einzeln in ein dichtes Knaeuel zusammengeballt und von vorn und in beiden Flanken angegriffen, ihrer meisten Offiziere und ihrer besten Soldaten beraubt, schienen im Begriff, gesprengt und zusammengehauen zu werden. Schon flohen der roemische Tross und die Bundestruppen nach allen Seiten; von der keltischen Reiterei jagten ganze Abteilungen, wie das Kontingent der Treverer, mit verhaengten Zuegeln davon, um vom Schlachtfelde selbst die willkommene Kunde der erlittenen Niederlage daheim zu melden. Es stand alles auf dem Spiel. Der Feldherr selbst ergriff den Schild und focht unter den Vordersten; sein Beispiel, sein auch jetzt noch begeisternder Zuruf brachten die schwankenden Reihen wieder zum Stehen. Schon hatte man einigermassen sich Luft gemacht und wenigstens die Verbindung der beiden Legionen dieses Fluegels wiederhergestellt, als Succurs herbeikam: teils von dem Uferkamm herab, wo waehrenddessen mit dem Gepaeck die roemische Nachhut eingetroffen war, teils vom anderen Flussufer her, wo Labienus inzwischen bis an das feindliche Lager vorgedrungen war und sich dessen bemaechtigt hatte und nun, endlich die auf dem rechten Fluegel drohende Gefahr gewahrend, die siegreiche zehnte Legion seinem Feldherrn zu Hilfe sandte. Die Nervier, von ihren Verbuendeten getrennt und von allen Seiten zugleich angegriffen, bewaehrten jetzt, wo das Glueck sich wandte, denselben Heldenmut, wie da sie sich Sieger glaubten; noch von den Leichenbergen der Ihrigen herunter fochten sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer eigenen Angabe ueberlebten von ihren sechshundert Ratsherren nur drei diesen Tag. Nach dieser vernichtenden Niederlage mussten die Nervier, Atrebaten und Viromanduer wohl die roemische Hoheit anerkennen. Die Aduatuker, zu spaet eingetroffen, um an dem Kampfe an der Sambre teilzunehmen, versuchten zwar noch, in der festesten ihrer Staedte (auf dem Berge Falhize an der Maas unweit Huy) sich zu halten, allein bald unterwarfen auch sie sich. Ein noch nach der Ergebung gewagter naechtlicher Ueberfall des roemischen Lagers vor der Stadt schlug fehl und der Treubruch ward von den Roemern mit furchtbarer Strenge geahndet. Die Klientel der Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und Rhein und anderen kleinen, benachbarten Staemmen bestand, wurde von den Roemern selbstaendig erklaert, die gefangenen Aduatuker aber in Masse zu Gunsten des roemischen Schatzes unter dem Hammer verkauft. Es schien, als ob das Verhaengnis, das die Kimbrer betroffen hatte, auch diesen letzten kimbrischen Splitter noch verfolge. Den uebrigen unterworfenen Staemmen begnuegte sich Caesar eine allgemeine Entwaffnung und Geiselstellung aufzuerlegen. Die Remer wurden natuerlich der fuehrende Gau im belgischen wie die Haeduer im mittleren Gallien; sogar in diesem begaben sich manche mit den Haeduern verfeindete Clans vielmehr in die Klientel der Reiner. Nur die entlegenen Seekantone der Moriner (Artois) und der Menapier (Flandern und Brabant) und die grossenteils von Deutschen bewohnte Landschaft zwischen Schelde und Rhein blieben fuer diesmal von der roemischen Invasion noch verschont und im Besitz ihrer angestammten Freiheit. Die Reihe kam an die aremorikanischen Gaue. Noch im Herbst 697 (57) ward Publius Crassus mit einem roemischen Korps dahin gesandt; er bewirkte, dass die Veneter, die, als Herren der Haefen des heutigen Morbihan und einer ansehnlichen Flotte, in Schiffahrt und Handel unter allen keltischen Gauen den ersten Platz einnahmen, und ueberhaupt die Kuestendistrikte zwischen Loire und Seine sich den Roemern unterwarfen und ihnen Geiseln stellten. Allein es gereute sie bald. Als im folgenden Winter (697/98 57/5 roemische Offiziere in diese Gegenden kamen, um Getreidelieferungen daselbst auszuschreiben, wurden sie von den Venetern als Gegengeiseln festgehalten. Dem gegebenen Beispiel folgten rasch nicht bloss die aremoricanischen, sondern auch die noch freigebliebenen Seekantone der Belgen; wo, wie in einigen Gauen der Normandie, der Gemeinderat sich weigerte, der Insurrektion beizutreten, machte die Menge ihn nieder und schloss mit verdoppeltem Eifer der Nationalsache sich an. Die ganze Kueste von der Muendung der Loire bis zu der des Rheins stand auf gegen Rom; die entschlossensten Patrioten aus allen keltischen Gauen eilten dorthin, um mitzuwirken an dem grossen Werke der Befreiung; man rechnete schon auf den Aufstand der gesamten belgischen Eidgenossenschaft, auf Beistand aus Britannien, auf das Einruecken der ueberrheinischen Germanen.
Caesar sandte Labienus mit der ganzen Reiterei an den Rhein, um die gaerende belgische Landschaft niederzuhalten und noetigenfalls den Deutschen den Uebergang ueber den Fluss zu wehren; ein anderer seiner Unterbefehlshaber, Quintus Titurius Sabinus, ging mit drei Legionen nach der Normandie, wo die Hauptmasse der Insurgenten sich sammelte. Allein der eigentliche Herd der Insurrektion waren die maechtigen und intelligenten Veneter; gegen sie ward zu Lande und zur See der Hauptangriff gerichtet. Die teils aus den Schiffen der untertaenigen Keltengaue, teils aus einer Anzahl roemischer, eiligst auf der Loire erbauter und mit Ruderern aus der Narbonensischen Provinz bemannter Galeeren gebildete Flotte fuehrte der Unterfeldherr Decimus Brutus heran; Caesar selbst rueckte mit dem Kern seiner Infanterie ein in das Gebiet der Veneter. Aber man war dort vorbereitet und hatte ebenso geschickt wie entschlossen die guenstigen Verhaeltnisse benutzt, die das bretagnische Terrain und der Besitz einer ansehnlichen Seemacht darbot. Die Landschaft war durchschnitten und getreidearm, die Staedte groesstenteils auf Klippen und Landspitzen gelegen und vom Festlande her nur auf schwer zu passierenden Watten zugaenglich; die Verpflegung wie die Belagerung waren fuer das zu Lande angreifende Heer gleich schwierig, waehrend die Kelten durch ihre Schiffe die Staedte leicht mit allem Noetigen versehen und im schlimmsten Fall die Raeumung derselben bewerkstelligen konnten. Die Legionen verschwendeten in den Belagerungen der venetischen Ortschaften Zeit und Kraft, um zuletzt die wesentlichen Fruechte des Sieges auf den Schiffen der Feinde verschwinden zu sehen. Als daher die roemische Flotte, lange in der Loiremuendung von Stuermen zurueckgehalten, endlich an der bretagnischen Kueste eintraf, ueberliess man es ihr, den Kampf durch eine Seeschlacht zu entscheiden. Die Kelten, ihrer Ueberlegenheit auf diesem Elemente sich bewusst, fuehrten gegen die von Brutus befehligte roemische Flotte die ihrige vor. Nicht bloss zaehlte diese zweihundertzwanzig Segel, weit mehr, als die Roemer hatten aufbringen koennen; ihre hochbordigen, festgebauten Segelschiffe von flachem Boden waren auch bei weitem geeigneter fuer die hochgehenden Fluten des Atlantischen Meeres als die niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren der Roemer mit ihren scharfen Kielen. Weder die Geschosse noch die Enterbruecken der Roemer vermochten das hohe Deck der feindlichen Schiffe zu erreichen und an den maechtigen Eichenplanken derselben prallten die eisernen Schnaebel machtlos ab. Allein die roemischen Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche die Rahen an den Masten befestigt waren, mittels an langen Stangen befestigter Sicheln; Rahen und Segel stuerzten herab und, da man den Schaden nicht rasch zu ersetzen verstand, ward das Schiff dadurch zum Wrack, wie heutzutage durch Stuerzen der Maste, und leicht gelang es den roemischen Booten, durch vereinigten Angriff des gelaehmten feindlichen Schiffes sich zu bemeistern. Als die Gallier dieses Manoevers innewurden, versuchten sie von der Kueste, an der sie den Kampf mit den Roemern aufgenommen hatten, sich zu entfernen und die hohe See zu gewinnen, wohin die roemischen Galeeren ihnen nicht folgen konnten; allein zum Unglueck fuer sie trat ploetzlich eine vollstaendige Windstille ein und die ungeheure Flotte, an deren Ausruestung die Seegaue alle ihre Kraefte gesetzt hatten, ward von den Roemern fast gaenzlich vernichtet. So ward diese Seeschlacht – soweit die geschichtliche Kunde reicht, die aelteste auf dem Atlantischen Ozean geschlagene – ebenwie zweihundert Jahre zuvor das Treffen bei Mylae trotz der unguenstigsten Verhaeltnisse durch eine von der Not eingegebene glueckliche Erfindung zum Vorteil der Roemer entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war die Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr, um der keltischen Nation, nach so vielfaeltigen Beweisen von Milde gegen die Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge gegen die hartnaeckig Widerstrebenden zu imponieren, als um den Vertragsbruch und die Festnahme der roemischen Offiziere zu ahnden, liess Caesar den gesamten Gemeinderat hinrichten und die Buergerschaft des venetischen Gaus bis auf den letzten Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies entsetzliche Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus haben die Veneter mehr als irgendein anderer Keltenclan sich ein Anrecht erworben auf die Teilnahme der Nachwelt. Dem am Kanal versammelten Aufgebot der Kuestenstaaten setzte Sabinus inzwischen dieselbe Taktik entgegen, durch die Caesar das Jahr zuvor den belgischen Landsturm an der Aisne ueberwunden hatte; er verhielt sich verteidigend, bis Ungeduld und Mangel in den Reihen der Feinde einrissen, und wusste sie dann durch Taeuschung ueber die Stimmung und Staerke seiner Truppen und vor allem durch die eigene Ungeduld zu einem unbesonnenen Sturm auf das roemische Lager zu verlocken und dabei zu schlagen, worauf die Milizen sich zerstreuten und die Landschaft bis zur Seine sich unterwarf.
Nur die Moriner und Menapier beharrten dabei, sich der Anerkennung der roemischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu zwingen, erschien Caesar an ihren Grenzen: aber gewitzigt durch die von ihren Landsleuten gemachten Erfahrungen, vermieden sie es, den Kampf an der Landesgrenze aufzunehmen und wichen zurueck in die damals von den Ardennen gegen die Nordsee hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Waelder. Die Roemer versuchten, sich durch dieselben mit der Axt eine Strasse zu bahnen, zu deren beiden Seiten die gefaellten Baeume als Verbacke gegen feindliche Ueberfaelle aufgeschichtet wurden; allein selbst Caesar, verwegen wie er war, fand nach einigen Tagen muehseligsten Marschierens es ratsam, zumal da es gegen den Winter ging, den Rueckzug anzuordnen, obwohl von den Morinern nur ein kleiner Teil unterworfen und die maechtigen Menapier gar nicht erreicht worden waren. Das folgende Jahr (699 55) ward, waehrend Caesar selbst in Britannien beschaeftigt war, der groesste Teil des Heeres aufs neue gegen diese Voelkerschaften gesandt; allein auch diese Expedition blieb in der Hauptsache erfolglos. Dennoch war das Ergebnis der letzten Feldzuege die fast vollstaendige Unterwerfung Galliens unter die Herrschaft der Roemer. Wenn Mittelgallien ohne Gegenwehr sich unter dieselbe gefuegt hatte, so waren durch den Feldzug des Jahres 697 (57) die belgischen, durch den des folgenden Jahres die Seegaue mit den Waffen zur Anerkennung der roemischen Herrschaft gezwungen worden. Die hochfliegenden Hoffnungen aber, mit denen die keltischen Patrioten den letzten Feldzug begonnen, hatten nirgends sich erfuellt. Weder Deutsche noch Briten waren ihnen zu Hilfe gekommen, und in Belgien hatte Labienus’ Anwesenheit genuegt, die Erneuerung der vorjaehrigen Kaempfe zu verhueten. Waehrend also Caesar das roemische Gebiet im Westen mit den Waffen zu einem geschlossenen Ganzen fortbildete, versaeumte er nicht, der neu unterworfenen Landschaft, welche ja bestimmt war, die zwischen Italien und Spanien klaffende Gebietsluecke auszufuellen, mit der italischen Heimat wie mit den spanischen Provinzen Kommunikationen zu eroeffnen. Die Verbindung zwischen Gallien und Italien war allerdings durch die von Pompeius im Jahre 677 (77) angelegte Heerstrasse ueber den Mont Genevre wesentlich erleichtert worden; allein seit das ganze Gallien den Roemern unterworfen war, bedurfte man einer aus dem Potal nicht in westlicher, sondern in noerdlicher Richtung den Alpenkamm ueberschreitenden und eine kuerzere Verbindung zwischen Italien und dem mittleren Gallien herstellenden Strasse. Dem Kaufmann diente hierzu laengst der Weg, der ueber den Grossen Bernhard in das Wallis und an den Genfer See fuehrt; um diese Strasse in seine Gewalt zu bringen, liess Caesar schon im Herbst 697 (57) durch Servius Galba Octodurum (Martigny) besetzen und die Bewohner des Wallis zur Botmaessigkeit bringen, was durch die tapfere Gegenwehr dieser Bergvoelker natuerlich nur verzoegert, nicht verhindert ward. Um ferner die Verbindung mit Spanien zu gewinnen, wurde im folgenden Jahr (698 56) Publius Crassus nach Aquitanien gesandt mit dem Auftrag, die daselbst wohnenden iberischen Staemme zur Anerkennung der roemischen Herrschaft zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne Schwierigkeit; die Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und verstanden es besser als diese, von ihren Feinden zu lernen. Die Staemme jenseits der Pyrenaeen, namentlich die tuechtigen Kantabrer sandten ihren bedrohten Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfahrene, unter Sertorius’ Fuehrung roemisch geschulte Offiziere, die soweit moeglich die Grundsaetze der roemischen Kriegskunst, namentlich das Lagerschlagen, bei dem schon durch seine Zahl und seine Tapferkeit ansehnlichen aquitanischen Aufgebot einfuehrten. Allein der vorzuegliche Offizier, der die Roemer fuehrte, wusste alle Schwierigkeiten zu ueberwinden, und nach einigen hart bestrittenen, aber gluecklich gewonnenen Feldschlachten die Voelkerschaften von der Garonne bis nahe an die Pyrenaeen zur Ergebung unter den neuen Herrn zu bestimmen. Das eine Ziel, das Caesar sich gesteckt hatte, die Unterwerfung Galliens, war mit kaum nennenswerten Ausnahmen im wesentlichen soweit erreicht, als es ueberhaupt mit dem Schwert sich erreichen liess. Allein die andere Haelfte des von Caesar begonnenen Werkes war noch bei weitem nicht genuegend erledigt und die Deutschen noch keineswegs ueberall genoetigt, den Rhein als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter 698/99 (56/55) hatte an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin die Roemer noch nicht vorgedrungen waren, eine abermalige Grenzueberschreitung stattgefunden. Die deutschen Staemme der Usipeten und Tencterer, deren Versuche, in dem Gebiet der Menapier ueber den Rhein zu setzen, bereits erwaehnt wurden, waren endlich doch, die Wachsamkeit ihrer Gegner durch einen verstellten Abzug taeuschend, auf den eigenen Schiffen der Menapier uebergegangen – ein ungeheurer Schwarm, der sich mit Einschluss der Weiber und Kinder auf 430000 Koepfe belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend von Nimwegen und Kleve; aber es hiess, dass sie, den Aufforderungen der keltischen Patriotenpartei folgend, in das Innere Galliens einzuruecken beabsichtigten, und das Geruecht ward dadurch bestaerkt, dass ihre Reiterscharen bereits bis an die Grenzen der Treuerer streiften. Indes als Caesar mit seinen Legionen ihnen gegenueber anlangte, schienen die vielgeplagten Auswanderer nicht nach neuen Kaempfen begierig, sondern gern bereit, von den Roemern Land zu nehmen und es unter ihrer Hoheit in Frieden zu bestellen. Waehrend darueber verhandelt ward, stieg in dem roemischen Feldherrn der Argwohn auf, dass die Deutschen nur Zeit zu gewinnen suchten, bis die von ihnen entsendeten Reiterscharen wiedereingetroffen seien. Ob derselbe gegruendet war oder nicht, laesst sich nicht sagen; aber darin bestaerkt durch einen Angriff, den trotz des tatsaechlichen Waffenstillstandes ein feindlicher Trupp auf seine Vorhut unternahm, und erbittert durch den dabei erlittenen empfindlichen Verlust, glaubte Caesar sich berechtigt, jede voelkerrechtliche Ruecksicht aus den Augen zu setzen. Als am anderen Morgen die Fuersten und Aeltesten der Deutschen, den ohne ihr Vorwissen unternommenen Angriff zu entschuldigen, im roemischen Lager erschienen, wurden sie festgehalten und die nichts ahnende, ihrer Fuehrer beraubte Menge von dem roemischen Heer ploetzlich ueberfallen. Es war mehr eine Menschenjagd als eine Schlacht; was nicht unter den Schwertern der Roemer fiel, ertrank im Rheine; fast nur die zur Zeit des Ueberfalls detachierten Abteilungen entkamen dem Blutbad und gelangten zurueck ueber den Rhein, wo ihnen die Sugambrer in ihrem Gebiet, es scheint an der Lippe, eine Freistatt gewaehrten. Das Verfahren Caesars gegen diese deutschen Einwanderer fand im Senat schweren und gerechten Tadel; allein wie wenig auch dasselbe entschuldigt werden kann, den deutschen Uebergriffen war dadurch mit erschreckendem Nachdruck gesteuert. Doch fand es Caesar ratsam, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Legionen ueber den Rhein zu fuehren. An Verbindungen jenseits desselben mangelte es ihm nicht. Den Deutschen auf ihrer damaligen Bildungsstufe fehlte noch jeder nationale Zusammenhang; an politischer Zerfahrenheit gaben sie, wenn auch aus anderen Ursachen, den Kelten nichts nach. Die Ubier (an der Sieg und Lahn), der zivilisierteste unter den deutschen Staemmen, waren vor kurzem von einem maechtigen suebischen Gau des Binnenlandes botmaessig und zinspflichtig gemacht worden und hatten schon 697 (57) Caesar durch ihre Boten ersucht, auch sie wie die Gallier von der suebischen Herrschaft zu befreien. Es war Caesars Absicht nicht, diesem Ansinnen, das ihn in endlose Unternehmungen verwickelt haben wuerde, ernstlich zu entsprechen; aber wohl schien es zweckmaessig, um das Erscheinen der germanischen Waffen diesseits des Rheines zu verhindern, die roemischen jenseits desselben wenigstens zu zeigen. Der Schutz, den die entronnenen Usipeten und Tencterer bei den Sugambrern gefunden hatten, bot eine geeignete Veranlassung dar. In der Gegend, wie es scheint, zwischen Koblenz und Andernach schlug Caesar eine Pfahlbruecke ueber den Rhein und fuehrte seine Legionen hinueber aus dem treverischen in das ubische Gebiet. Einige kleinere Gaue gaben ihre Unterwerfung ein; allein die Sugambrer, gegen die der Zug zunaechst gerichtet war, zogen, wie das roemische Heer herankam, mit ihren Schutzbefohlenen sich in das innere Land zurueck. In gleicher Weise liess der maechtige suebische Gau, der die Ubier bedraengte, vermutlich derjenige, der spaeter unter dem Namen der Chatten auftritt, die zunaechst an das ubische Gebiet angrenzenden Distrikte raeumen und das nicht streitbare Volk in Sicherheit bringen, waehrend alle waffenfaehige Mannschaft angewiesen ward, im Mittelpunkt des Gaues sich zu versammeln. Diesen Handschuh aufzuheben hatte der roemische Feldherr weder Veranlassung noch Lust; sein Zweck, teils zu rekognoszieren, teils durch einen Zug ueber den Rhein womoeglich den Deutschen, wenigstens aber den Kelten und den Landsleuten daheim zu imponieren, war im wesentlichen erreicht; nach achtzehntaegigem Verweilen am rechten Rheinufer traf er wieder in Gallien ein und brach die Rheinbruecke hinter sich ab (699 55). Es blieben die Inselkelten. Bei dem engen Zusammenhang zwischen ihnen und den Kelten des Festlandes, namentlich den Seegauen, ist es begreiflich, dass sie an dem nationalen Widerstand wenigstens mit ihren Sympathien sich beteiligt hatten und den Patrioten wenn auch nicht bewaffneten Beistand, doch mindestens jedem von ihnen, fuer den die Heimat nicht mehr sicher war, auf ihrer meerbeschuetzten Insel eine ehrenvolle Freistatt gewaehrten. Eine Gefahr lag hierin allerdings, wenn nicht fuer die Gegenwart, doch fuer die Zukunft; es schien zweckmaessig, wo nicht die Eroberung der Insel selbst zu unternehmen, doch auch hier die Defensive offensiv zu fuehren und durch eine Landung an der Kueste den Insulanern zu zeigen, dass der Arm der Roemer auch ueber den Kanal reiche. Schon der erste roemische Offizier, der die Bretagne betrat, Publius Crassus, war von dort nach den “Zinninseln” an der Westspitze Englands (Scillyinseln) hinuebergefahren (697 57); im Sommer 699 (55) ging Caesar selbst mit nur zwei Legionen da, wo er am schmalsten ist ^17, ueber den Kanal. Er fand die Kueste mit feindlichen Truppenmassen bedeckt und fuhr mit seinen Schiffen weiter; aber die britischen Streitwagen bewegten sich ebenso schnell zu Lande fort wie die roemischen Galeeren auf der See, und nur mit groesster Muehe gelang es den roemischen Soldaten unter dem Schutze der Kriegsschiffe, die durch Wurfmaschinen und Handgeschuetze den Strand fegten, im Angesicht der Feinde teils watend, teils in Kaehnen das Ufer zu gewinnen. Im ersten Schreck unterwarfen sich die naechsten Doerfer; allein bald wurden die Insulaner gewahr, wie schwach der Feind sei und wie er nicht wage, sich vom Ufer zu entfernen. Die Eingeborenen verschwanden in das Binnenland und kamen nur zurueck, um das Lager zu bedrohen; die Flotte aber, die man auf der offenen Reede gelassen hatte, erlitt durch den ersten ueber sie hereinbrechenden Sturmwind sehr bedeutenden Schaden. Man musste sich gluecklich schaetzen, die Angriffe der Barbaren abzuschlagen, bis man die Schiffe notduerftig repariert hatte, und mit denselben, noch ehe die schlimme Jahreszeit hereinbrach, die gallische Kueste wiederzuerreichen.
——————————————- ^17 Dass Caesars Ueberfahrten nach Britannien aus den Haefen der Kueste von Calais bis Boulogne an die Kueste von Kent gingen, ergibt die Natur der Sache sowie Caesars ausdrueckliche Angabe. Die genauere Bestimmung der Oertlichkeit ist oft versucht worden, aber nicht gelungen. Ueberliefert ist nur, dass bei der ersten Fahrt die Infanterie in dem einen, die Reiterei in einem anderen, von jenem 8 Milien in oestlicher Richtung entfernten Hafen sich einschiffte (Gall. 4, 22, 23, 28) und dass die zweite Fahrt aus demjenigen von diesen beiden Haefen, den Caesar am bequemsten gefunden, dem (sonst nicht weiter genannten) Irischen, von der britannischen Kueste 30 (so nach Caesars Handschriften 5, 2) oder 40 (= 320 Stadien, nach Strab. 4, 5, 2, der unzweifelhaft aus Caesar schoepfte) Milien entfernten abging. Aus Caesars Worten (Gall. 4, 21), dass er “die kuerzeste Ueberfahrt” gewaehlt habe, kann man verstaendigerweise wohl folgern, dass er nicht durch den Kanal, sondern durch den Pas de Calais, aber keineswegs, dass er durch diesen auf der mathematisch kuerzesten Linie fuhr. Es gehoert der Inspirationsglaube der Lokaltopographen dazu, um mit solchen Daten in der Hand, von denen das an sich beste noch durch die schwankende Ueberlieferung der Zahl fast unbrauchbar wird, an die Bestimmung der Oertlichkeit zu gehen; doch moechte unter den vielen Moeglichkeiten am meisten fuer sich zu haben, dass der Irische Hafen (den schon Strab. a. a. O. wahrscheinlich richtig mit demjenigen identifiziert, von dem bei der ersten Fahrt die Infanterie ueberging) bei Ambleteuse, westlich vom Cap Gris Nez, der Reiterhaufen bei Ecale (Wissant), oestlich von demselben Vorgebirge, zu suchen ist, die Landung aber oestlich von Dover bei Walmercastle stattfand. ——————————————- Caesar selbst war mit den Ergebnissen dieser leichtsinnig und mit unzulaenglichen Mitteln unternommenen Expedition so unzufrieden, dass er sogleich (Winter 699/700 55/54) eine Transportflotte von 800 Segeln instand setzen liess und im Fruehling 700 (54), diesmal mit fuenf Legionen und 2000 Reitern, zum zweitenmal nach der kentischen Kueste unter Segel ging. Vor der gewaltigen Armada wich die auch diesmal am Ufer versammelte Streitmacht der Briten, ohne einen Kampf zu wagen; Caesar trat sofort den Marsch ins Binnenland an und ueberschritt nach einigen gluecklichen Gefechten den Fluss Stour; allein er musste sehr wider seinen Willen innehalten, weil die Flotte auf der offenen Reede wiederum von den Stuermen des Kanals halb vernichtet worden war. Bis man die Schiffe auf den Strand gezogen und fuer die Reparatur umfassende Vorkehrungen getroffen, ging eine kostbare Zeit verloren, die die Kelten weislich benutzten. Der tapfere und umsichtige Fuerst Cassivellaunus, der in dem heutigen Middlesex und der Umgegend gebot, sonst der Schreck der Kelten suedlich von der Themse, jetzt aber Hort und Vorfechter der ganzen Nation, war an die Spitze der Landesverteidigung getreten. Er sah bald, dass mit dem keltischen Fussvolk gegen das roemische schlechterdings nichts auszurichten und die schwer zu ernaehrende und schwer zu regierende Masse des Landsturms der Verteidigung nur hinderlich war; also entliess er diesen und behielt nur die Streitwagen, deren er 4000 zusammenbrachte und deren Kaempfer, geuebt vom Wagen herabspringend zu Fuss zu fechten, gleich der Buergerreiterei des aeltesten Rom in zwiefacher Weise verwendet werden konnten. Als Caesar den Marsch wieder fortzusetzen imstande war, fand er denselben nirgend sich verlegt; aber die britischen Streitwagen zogen stets dem roemischen Heer vorauf und zur Seite, bewirkten die Raeumung des Landes, die bei dem Mangel an Staedten keine grosse Schwierigkeit machte, hinderten jede Detachierung und bedrohten die Kommunikationen. Die Themse ward – wie es scheint zwischen Kingston und Brentford oberhalb London – von den Roemern ueberschritten; man kam vorwaerts, aber nicht eigentlich weiter; der Feldherr erfocht keinen Sieg, der Soldat machte keine Beute und das einzige wirkliche Resultat, die Unterwerfung der Trinobanten im heutigen Essex, war weniger die Folge der Furcht vor den Roemern als der tiefen Verfeindung dieses Gaus mit Cassivellaunus. Mit jedem Schritte vorwaerts stieg die Gefahr, und der Angriff, den die Fuersten von Kent nach Cassivellaunus’ Anordnung auf das roemische Schiffslager machten, mahnte, obwohl er abgeschlagen ward, doch dringend zur Umkehr. Die Erstuermung eines grossen britischen Verhacks, in dem eine Menge Vieh den Roemern in die Haende fiel, gab fuer das ziellose Vordringen einen leidlichen Abschluss und einen ertraeglichen Vorwand fuer die Umkehr. Auch Cassivellaunus war einsichtig genug, den gefaehrlichen Feind nicht aufs Aeusserste zu treiben, und versprach, wie Caesar verlangte, die Trinobanten nicht zu beunruhigen, Abgaben zu zahlen und Geiseln zu stellen; von Auslieferung der Waffen oder Zuruecklassung einer roemischen Besatzung war nicht die Rede, und selbst jene Versprechungen wurden vermutlich, soweit sie die Zukunft betrafen, ernstlich weder gegeben noch genommen. Nach Empfang der Geiseln kehrte Caesar in das Schiffslager und von da nach Gallien zurueck. Wenn er, wie es allerdings scheint, gehofft hatte, Britannien diesmal zu erobern, so war dieser Plan teils an dem klugen Verteidigungssystem des Cassivellaunus, teils und vor allem an der Unbrauchbarkeit der italischen Ruderflotte auf den Gewaessern der Nordsee vollkommen gescheitert; denn dass der bedungene Tribut niemals erlegt ward, ist gewiss. Der naechste Zweck aber: die Inselkelten aus ihrer trotzigen Sicherheit aufzuruetteln und sie zu veranlassen, in ihrem eigenen Interesse ihre Inseln nicht laenger zum Herd der festlaendischen Emigration herzugeben, scheint allerdings erreicht worden zu sein; wenigstens werden Beschwerden ueber dergleichen Schutzverleihung spaeterhin nicht wieder vernommen.
Das Werk der Zurueckweisung der germanischen Invasion und der Unterwerfung der festlaendischen Kelten war vollendet. Aber oft ist es leichter, eine freie Nation zu unterwerfen als eine unterworfene in Botmaessigkeit zu erhalten. Die Rivalitaet um die Hegemonie, an der mehr noch als an den Angriffen Roms die keltische Nation zugrunde gegangen war, ward durch die Eroberung gewissermassen aufgehoben, indem der Eroberer die Hegemonie fuer sich selbst nahm. Die Sonderinteressen schwiegen; in dem gemeinsamen Druck fuehlte man doch sich wieder als ein Volk, und was man, da man es besass, gleichgueltig verspielt hatte, die Freiheit und die Nationalitaet, dessen unendlicher Wert ward nun, da es zu spaet war, von der unendlichen Sehnsucht vollstaendig ermessen. Aber war es denn zu spaet? Mit zorniger Scham gestand man es sich, dass eine Nation, die mindestens eine Million waffenfaehiger Maenner zaehlte, eine Nation von altem und wohlbegruendetem kriegerischen Ruhm, von hoechstens 50000 Roemern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung der Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne dass sie auch nur einen Schlag getan, die der belgischen, ohne dass sie mehr getan als schlagen wollen; dagegen wieder der heldenmuetige Untergang der Nervier und Veneter, der kluge und glueckliche Widerstand der Moriner und der Briten unter Cassivellaunus – alles, was im einzelnen versaeumt und geleistet, gescheitert und erreicht war, spornte die Gemueter aller Patrioten zu neuen, womoeglich einigeren und erfolgreicheren Versuchen. Namentlich unter dem keltischen Adel herrschte eine Gaerung, die jeden Augenblick in einen allgemeinen Aufstand ausbrechen zu muessen schien. Schon vor dem zweiten Zug nach Britannien im Fruehjahr 700 (54) hatte Caesar es notwendig gefunden, sich persoenlich zu den Treverern zu begeben, die, seit sie 697 (57) in der Nervierschlacht sich kompromittiert hatten, auf den allgemeinen Landtagen nicht mehr erschienen waren und mit den ueberrheinischen Deutschen mehr als verdaechtige Verbindungen angeknuepft hatten. Damals hatte Caesar sich begnuegt, die namhaftesten Maenner der Patriotenpartei, namentlich den Indutiomarus, unter dem treverischen Reiterkontingent mit sich nach Britannien zu fuehren; er tat sein moegliches, die Verschwoerung nicht zu sehen, um nicht durch strenge Massregeln sie zur Insurrektion zu zeitigen. Allein als der Haeduer Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffizier, in der Tat aber als Geisel sich bei dem nach Britannien bestimmten Heere befand, geradezu verweigerte sich einzuschiffen und statt dessen nach Hause ritt, konnte Caesar nicht umhin, ihn als Ausreisser verfolgen zu lassen, wobei er von der nachgeschickten Abteilung eingeholt und, da er gegen dieselbe sich zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700 54). Dass der angesehenste Ritter des maechtigsten und noch am wenigsten abhaengigen Keltengaus von den Roemern getoetet worden, war ein Donnerschlag fuer den ganzen keltischen Adel; jeder, der sich aehnlicher Gesinnung bewusst war – und es war dies die ungeheure Majoritaet -, sah in jener Katastrophe das Bild dessen, was ihm selber bevorstand. Wenn Patriotismus und Verzweiflung die Haeupter des keltischen Adels bestimmt hatte sich zu verschwoeren, so trieb jetzt Furcht und Notwehr die Verschworenen zum Losschlagen. Im Winter 700/01 (54/53) lagerte, mit Ausnahme einer in die Bretagne und einer zweiten in den sehr unruhigen Gau der Carnuten (bei Chartres) verlegten Legion, das gesamte roemische Heer, sechs Legionen stark, im belgischen Gebiet. Die Knappheit der Getreidevorraete hatte Caesar bewogen, seine Truppen weiter, als er sonst zu tun pflegte, auseinander und in sechs verschiedene, in den Gauen der Bellovaker, Ambianer, Moriner, Nervier, Reiner und Eburonen, errichtete Lager zu verlegen. Das am weitesten gegen Osten im eburonischen Gebiet, wahrscheinlich unweit des spaeteren Aduatuca, des heutigen Tongern, angelegte Standlager, das staerkste von allen, bestehend aus einer Legion unter einem der angesehensten Caesarischen Divisionsfuehrer, dem Quintus Titurius Sabinus, und ausserdem verschiedenen, von dem tapferen Lucius Aurunculeius Cotta, gefuehrten Detachements zusammen von der Staerke einer halben Legion ^18, fand sich urploetzlich von dem Landsturm der Eburonen unter den Koenigen Ambiorix und Catuvolcus umzingelt. Der Angriff kam so unerwartet, dass die eben vom Lager abwesenden Mannschaften nicht einberufen werden konnten und von den Feinden aufgehoben wurden; uebrigens war zunaechst die Gefahr nicht gross, da es an Vorraeten nicht mangelte und der Sturm, den die Eburonen versuchten, an den roemischen Verschanzungen machtlos abprallte. Aber Koenig Ambiorix eroeffnete dem roemischen Befehlshaber, dass die saemtlichen roemischen Lager in Gallien an demselben Tage in gleicher Weise angegriffen und die Roemer unzweifelhaft verloren seien, wenn die einzelnen Korps nicht rasch aufbraechen und miteinander sich vereinigten; dass Sabinus damit um so mehr Ursache habe zu eilen, als gegen ihn auch die ueberrheinischen Deutschen bereits im Anmarsch seien; dass er selbst aus Freundschaft fuer die Roemer ihnen freien Abzug bis zu dem naechsten, nur zwei Tagemaersche entfernten roemischen Lager zusichere. Einiges in diesen Angaben schien nicht erfunden; dass der kleine, von den Roemern besonders beguenstigte Gau der Eburonen den Angriff auf eigene Hand unternommen habe, war in der Tat unglaublich und bei der Schwierigkeit, mit den anderen, weit entfernten Lagern sich in Verbindung zu setzen, die Gefahr von der ganzen Masse der Insurgenten angegriffen und vereinzelt aufgerieben zu werden, keineswegs gering zu achten; nichtsdestoweniger konnte es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, dass sowohl die Ehre wie die Klugheit gebot, die vom Feinde angebotene Kapitulation zurueckzuweisen und an dem anvertrauten Posten auszuharren. Auch im Kriegsrat vertraten zahlreiche Stimmen, namentlich die gewichtige des Lucius Aurunculeius Cotta diese Ansicht. Dennoch entschied sich der Kommandant dafuer, den Vorschlag des Ambiorix anzunehmen. Die roemischen Truppen zogen also am anderen Morgen ab; aber in einem schmalen Tal, kaum eine halbe Meile vom Lager, angelangt, fanden sie sich von den Eburonen umzingelt und jeden Ausweg gesperrt. Sie versuchten, mit den Waffen sich den Weg zu oeffnen; allein die Eburonen liessen sich auf kein Nahgefecht ein und begnuegten sich, aus ihren unangreifbaren Stellungen ihre Geschosse in den Knaeuel der Roemer zu entsenden. Wie verwirrt, als ob er Rettung vor dem Verrat bei dem Verraeter suchte, begehrte Sabinus eine Zusammenkunft mit Ambiorix; sie wurde gewaehrt und er und die ihn begleitenden Offiziere erst entwaffnet, dann niedergemacht. Nach dem Fall des Befehlshabers warfen sich die Eburonen von allen Seiten zugleich auf die erschoepften und verzweifelnden Roemer und brachen ihre Reihen: die meisten, unter ihnen der schon frueher verwundete Cotta, fanden bei diesem Angriff ihren Tod; ein kleiner Teil, dem es gelungen war, das verlassene Lager wiederzugewinnen, stuerzte sich waehrend der folgenden Nacht in die eigenen Schwerter. Der ganze Heerhaufen ward vernichtet. ———————————————- ^18 Dass Cotta, obwohl nicht Unterfeldherr des Sabinus, sondern gleich ihm Legat, doch der juengere und minder angesehene General und wahrscheinlich im Fall einer Differenz sich zu fuegen angewiesen war, ergibt sich sowohl aus den frueheren Leistungen des Sabinus, als daraus, dass, wo beide zusammen genannt werden (Gall. 4, 22, 37; 5, 24, 26, 52; 6, 32; anders 6, 37), Sabinus regelmaessig voransteht, nicht minder aus der Erzaehlung der Katastrophe selbst. ueberdies kann man doch unmoeglich annehmen, dass Caesar einem Lager zwei Offiziere mit gleicher Befugnis vorgesetzt und fuer den Fall der Meinungsverschiedenheit gar keine Anordnung getroffen haben soll. Auch zaehlen die fuenf Kohorten nicht als Legion mit (vgl. Gall. 6, 32, 33), so wenig wie die zwoelf Kohorten an der Rheinbruecke (Gall. 6, 29 vgl. 32, 33), und scheinen aus Detachements anderer Heerteile bestanden zu haben, die diesem den Germanen zunaechst gelegenen Lager zur Verstaerkung zugeteilt worden waren. ———————————————- Dieser Erfolg, wie die Insurgenten ihn selber kaum gehofft haben mochten, steigerte die Gaerung unter den keltischen Patrioten so gewaltig, dass die Roemer, mit Ausnahme der Haeduer und der Reiner, keines einzigen Distrikts ferner sicher waren und an den verschiedensten Punkten der Aufstand losbrach. Vor allen Dingen verfolgten die Eburonen ihren Sieg. Verstaerkt durch das Aufgebot der Aduatuker, die gern die Gelegenheit ergriffen, das von Caesar ihnen zugefuegte Leid zu vergelten, und der maechtigen und noch unbezwungenen Menapier, erschienen sie in dem Gebiet der Nervier, welche sogleich sich anschlossen, und der ganze also auf 60000 Koepfe angeschwollene Schwarm rueckte vor das im nervischen Gau befindliche roemische Lager. Quintus Cicero, der hier kommandierte, hatte mit seinem schwachen Korps einen schweren Stand, namentlich als die Belagerer, von dem Feinde lernend, Waelle und Graeben, Schilddaecher und bewegliche Tuerme in roemischer Weise auffuehrten und die strohgedeckten Lagerhuetten mit Brandschleudern und Brandspeeren ueberschuetteten. Die einzige Hoffnung der Belagerten beruhte auf Caesar, der nicht allzuweit entfernt in der Gegend von Amiens mit drei Legionen im Winterlager stand. Allein – ein charakteristischer Beweis fuer die im Keltenland herrschende Stimmung – geraume Zeit hindurch kam dem Oberfeldherrn nicht die geringste Andeutung zu weder von der Katastrophe des Sabinus, noch von der gefaehrlichen Lage Ciceros. Endlich gelang es einem keltischen Reiter aus Ciceros Lager, sich durch die Feinde bis zu Caesar durchzuschleichen. Auf die erschuetternde Kunde brach Caesar augenblicklich auf, zwar nur mit zwei schwachen Legionen, zusammen etwa 7000 Mann stark, und 400 Reitern; aber nichtsdestoweniger genuegte die Meldung, dass Caesar anrueckte, um die Insurgenten zur Aufhebung der Belagerung zu bestimmen. Es war Zeit; nicht der zehnte Mann in Ciceros Lager war unverwundet. Caesar, gegen den das Insurgentenheer sich gewandt hatte, taeuschte die Feinde in der schon mehrmals mit Erfolg angewandten Weise ueber seine Staerke; unter den unguenstigsten Verhaeltnissen wagten sie einen Sturm auf das Roemerlager und erlitten dabei eine Niederlage. Es ist seltsam, aber charakteristisch fuer die keltische Nation, dass infolge dieser einen verlorenen Schlacht, oder vielleicht mehr noch infolge von Caesars persoenlichem Erscheinen auf dem Kampfplatz die so siegreich aufgetretene, so weithin ausgedehnte Insurrektion ploetzlich und klaeglich den Krieg abbrach. Nervier, Menapier, Aduatuker, Eburonen begaben sich nach Hause. Das gleiche taten die Mannschaften der Seegaue, die Anstalt gemacht hatten, die Legion in der Bretagne zu ueberfallen. Die Treverer, durch deren Fuehrer Indutiomarus die Eburonen, die Klienten des maechtigen Nachbargaus, zu jenem so erfolgreichen Angriff hauptsaechlich bestimmt worden waren, hatten auf die Kunde der Katastrophe von Aduatuca die Waffen ergriffen und waren in das Gebiet der Remer eingerueckt, um die unter Labienus’ Befehl dort kantonnierende Legion anzugreifen; auch sie stellten fuer jetzt die Fortsetzung des Kampfes ein. Nicht ungern verschob Caesar die weiteren Massregeln gegen die aufgestandenen Distrikte auf das Fruehjahr, um seine hart mitgenommenen Truppen nicht der ganzen Strenge des gallischen Winters auszusetzen und um erst dann wieder auf dem Kampfplatze zu erscheinen, wenn durch die angeordnete Aushebung von dreissig neuen Kohorten die vernichteten fuenfzehn in imponierender Weise ersetzt sein wuerden. Die Insurrektion spann inzwischen sich fort, wenn auch zunaechst die Waffen ruhten. Ihre Hauptsitze in Mittelgallien waren teils die Distrikte der Carnuten und der benachbarten Senonen (um Sens), welche letztere den von Caesar eingesetzten Koenig aus dem Lande jagten, teils die Landschaft der Treverer, welche die gesamte keltische Emigration und die ueberrheinischen Deutschen zur Teilnahme an dem bevorstehenden Nationalkrieg aufforderten und ihre ganze Mannschaft aufboten, um mit dem Fruehjahr zum zweitenmal in das Gebiet der Roemer einzuruecken, das Korps des Labienus aufzuheben und die Verbindung mit den Aufstaendischen an der Seine und Loire zu suchen. Die Abgeordneten dieser drei Gaue blieben auf dem von Caesar im mittleren Gallien ausgeschriebenen Landtag aus und erklaerten damit ebenso offen den Krieg, wie es ein Teil der belgischen Gaue durch die Angriffe auf das Lager des Sabinus und Cicero getan hatte. Der Winter neigte sich zu Ende, als Caesar mit seinem inzwischen ansehnlich verstaerkten Heer aufbrach gegen die Insurgenten. Die Versuche der Treverer, den Aufstand zu konzentrieren, waren nicht geglueckt; die gaerenden Landschaften wurden durch den Einmarsch roemischer Truppen im Zaum gehalten, die in offener Empoerung stehenden vereinzelt angegriffen. Zuerst wurden die Nervier von Caesar selbst zu Paaren getrieben. Das gleiche widerfuhr den Senonen und Carnuten. Auch die Menapier, der einzige Gau, der sich niemals noch den Roemern unterworfen hatte, wurden durch einen von drei Seiten zugleich gegen sie gerichteten Gesamtangriff genoetigt, der lange bewahrten Freiheit zu entsagen. Den Treverern bereitete inzwischen Labienus dasselbe Schicksal. Ihr erster Angriff war gelaehmt worden teils durch die Weigerung der naechstwohnenden deutschen Staemme, ihnen Soeldner zu liefern, teils dadurch, dass Indutiomarus, die Seele der ganzen Bewegung, in einem Scharmuetzel mit den Reitern des Labienus geblieben war. Allein sie gaben ihre Entwuerfe darum nicht auf. Mit ihrem gesamten Aufgebot erschienen sie Labienus gegenueber und harrten der nachfolgenden deutschen Scharen; denn bessere Aufnahme als bei den Anwohnern des Rheines hatten ihre Werber bei den streitbaren Voelkerschaften des inneren Deutschlands, namentlich, wie es scheint, den Chatten gefunden. Allein da Labienus Miene machte, diesen ausweichen und Hals ueber Kopf abmarschieren zu wollen, griffen die Treverer, noch ehe die Deutschen angelangt waren und in der unguenstigsten Oertlichkeit, die Roemer an und wurden vollstaendig geschlagen. Den zu spaet eintreffenden Deutschen blieb nichts uebrig als umzukehren, dem treverischen Gau nichts als sich zu unterwerfen; das Regiment daselbst kam wieder an das Haupt der roemischen Partei, an des Indutiomarus Schwiegersohn Cingetorix. Nach diesen Expeditionen Caesars gegen die Menapier und des Labienus gegen die Treverer traf in dem Gebiet der letzteren die ganze roemische Armee wieder zusammen. Um den Deutschen das Wiederkommen zu verleiden, ging Caesar noch einmal ueber den Rhein, um womoeglich gegen die laestigen Nachbarn einen nachdruecklichen Schlag zu fuehren; allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich nicht an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwaerts, es scheint am Harz, zur Landesverteidigung sammelten, kehrte er sogleich wieder um und begnuegte sich, an dem Rheinuebergang Besatzung zurueckzulassen. Mit den saemtlichen an dem Aufstand beteiligten Voelkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburonen waren uebergangen, aber nicht vergessen. Seit Caesar die Katastrophe von Aduatuca erfahren hatte, trug er das Trauergewand und hatte geschworen, erst dann es abzulegen, wenn er seine nicht im ehrlichen Kriege gefallenen, sondern heimtueckisch ermordeten Soldaten geraecht haben wuerde. Rat- und tatlos sassen die Eburonen in ihren Huetten und sahen zu, wie einer nach dem andern die Nachbargaue den Roemern sich unterwarfen, bis die roemische Reiterei vom treverischen Gebiet aus durch die Ardennen in ihr Land einrueckte. Man war so wenig auf den Angriff gefasst, dass sie beinahe den Koenig Ambiorix in seinem Hause ergriffen haette; mit genauer Not, waehrend sein Gefolge fuer ihn sich aufopferte, entkam er in das nahe Gehoelz. Bald folgten den Reitern zehn roemische Legionen. Zugleich erging an die umwohnenden Voelkerschaften die Aufforderung, mit den roemischen Soldaten in Gemeinschaft die vogelfreien Eburonen zu hetzen und ihr Land zu pluendern; nicht wenige folgten dem Ruf, sogar von jenseits des Rheines eine kecke Schar sugambrischer Reiter, die uebrigens es den Roemern nicht besser machte wie den Eburonen und fast durch einen kecken Handstreich das roemische Lager bei Aduatuca ueberrumpelt haette. Das Schicksal der Eburonen war entsetzlich. Wie sie auch in Waeldern und Suempfen sich bargen, der Jaeger waren mehr als des Wildes. Mancher gab sich selbst den Tod wie der greise Fuerst Catuvolcus; nur einzelne retteten Leben und Freiheit, unter diesen wenigen aber der Mann, auf den die Roemer vor allem fahndeten, der Fuerst Ambiorix: mit nur vier Reitern entrann er ueber den Rhein. Auf diese Exekution gegen den Gau, der vor allen andern gefrevelt, folgten in den anderen Landschaften die Hochverratsprozesse gegen die einzelnen. Die Zeit der Milde war vorbei. Nach dem Spruche des roemischen Prokonsuls ward der angesehene carnutische Ritter Acco von roemischen Liktoren enthauptet (701 53) und die Herrschaft der Ruten und Beile damit foermlich eingeweiht. Die Opposition verstummte: ueberall herrschte Ruhe. Caesar ging, wie er pflegte, im Spaetjahr 701 (53) ueber die Alpen, um den Winter hindurch die immer mehr sich verwickelnden Verhaeltnisse in der Hauptstadt aus der Naehe zu beobachten. Der kluge Rechner hatte diesmal sich verrechnet. Das Feuer war gedaempft, aber nicht geloescht. Den Streich, unter dem Accos Haupt fiel, fuehlte der ganze keltische Adel. Eben jetzt bot die Lage der Dinge mehr Aussicht als je. Die Insurrektion des letzten Winters war offenbar nur daran gescheitert, dass Caesar selbst auf dem Kampfplatz erschienen war; jetzt war er fern, durch den nahe bevorstehenden Buergerkrieg festgehalten am Po, und das gallische Heer, das an der oberen Seine zusammengezogen stand, weit getrennt von dem gefuerchteten Feldherrn. Wenn jetzt ein allgemeiner Aufstand in Mittelgallien ausbrach, so konnte das roemische Heer umzingelt, die fast unverteidigte altroemische Provinz ueberschwemmt sein, bevor Caesar wieder jenseits der Alpen stand, selbst wenn die italischen Verwicklungen nicht ueberhaupt ihn abhielten, sich ferner um Gallien zu kuemmern. Verschworene aus allen mittelgallischen Gauen traten zusammen; die Carnuten, als durch Accos Hinrichtung zunaechst betroffen, erboten sich voranzugehen. An dem festgesetzten Tage im Winter 701/02 (53/52) gaben die carnutischen Ritter Gutruatus und Conconnetodumnus in Cenabum (Orleans) das Zeichen zur Erhebung und machten die daselbst anwesenden Roemer insgesamt nieder. Die gewaltigste Bewegung ergriff das ganze Keltenland; ueberall regten sich die Patrioten. Nichts aber ergriff so tief die Nation wie die Schilderhebung der Arverner. Die Regierung dieser Gemeinde, die einst unter ihren Koenigen die erste im suedlichen Gallien gewesen und noch nach dem durch die ungluecklichen Kriege gegen Rom herbeigefuehrten Zusammensturz ihres Prinzipats eine der reichsten, gebildetsten und maechtigsten in ganz Gallien geblieben war, hatte bisher unverbruechlich zu Rom gehalten. Auch jetzt war die Patriotenpartei in dem regierenden Gemeinderat in der Minoritaet; ein Versuch, von demselben den Beitritt zu der Insurrektion zu erlangen, war vergeblich. Die Angriffe der Patrioten richteten sich also gegen den Gemeinderat und die bestehende Verfassung selbst, und um so mehr, als die Verfassungsaenderung, die bei den Arvernern den Gemeinderat an die Stelle des Fuersten gesetzt hatte, nach den Siegen der Roemer und wahrscheinlich unter dem Einfluss derselben erfolgt war. Der Fuehrer der arvernischen Patrioten, Vercingetorix, einer jener Adligen, wie sie wohl bei den Kelten begegnen, von fast koeniglichem Ansehen in und ausser seinem Gau, dazu ein stattlicher, tapferer, kluger Mann, verliess die Hauptstadt und rief das Landvolk, das der herrschenden Oligarchie ebenso feind war wie den Roemern, zugleich zur Wiederherstellung des arvernischen Koenigtums und zum Krieg gegen Rom auf. Rasch fiel die Menge ihm zu; die Wiederherstellung des Thrones des Luerius und Betuhus war zugleich die Erklaerung des Nationalkriegs gegen Rom. Den einheitlichen Halt, an dessen Mangel alle bisherigen Versuche der Nation, das fremdlaendische Joch von sich abzuschuetteln, gescheitert waren, fand sie jetzt in dem neuen selbsternannten Koenig der Arverner. Vercingetorix ward fuer die Kelten des Festlandes, was fuer die Inselkelten Cassivellaunus; gewaltig durchdrang die Massen das Gefuehl, dass er oder keiner der Mann sei, die Nation zu erretten. Rasch war der Westen von der Muendung der Garonne bis zu der der Seine von der Insurrektion erfasst und Vercingetorix hier von allen Gauen als Oberfeldherr anerkannt; wo der Gemeinderat Schwierigkeit machte, noetigte ihn die Menge zum Anschluss an die Bewegung; nur wenige Gaue, wie der der Biturigen, liessen zum Beitritt sich zwingen, und vielleicht auch diese nur zum Schein. Weniger guenstigen Boden fand der Aufstand in den Landschaften oestlich von der oberen Loire. Alles kam hier auf die Haeduer an; und diese schwankten. Die Patriotenpartei war in diesem Gau sehr maechtig; aber der alte Antagonismus gegen die fuehrenden Arverner hielt ihrem Einfluss die Waage – zum empfindlichsten Nachteil der Insurrektion, da der Anschluss der oestlichen Kantone, namentlich der Sequaner und der Helvetier, durch den Beitritt der Haeduer bedingt war und ueberhaupt in diesem Teile Galliens die Entscheidung bei ihnen stand. Waehrend also die Aufstaendischen daran arbeiteten, teils die noch schwankenden Kantone, vor allen die Haeduer, zum Beitritt zu bewegen, teils sich Narbos zu bemaechtigen – einer ihrer Fuehrer, der verwegene Lucterius, hatte bereits innerhalb der Grenzen der alten Provinz am Tarn sich gezeigt -, erschien ploetzlich im tiefen Winter, Freunden und Feinden gleich unerwartet, der roemische Oberfeldherr diesseits der Alpen. Rasch traf er nicht bloss die noetigen Anstalten, um die alte Provinz zu decken, sondern sandte auch ueber die schneebedeckten Cevennen einen Haufen in das arvernische Gebiet; aber seines Bleibens war nicht hier, wo ihn jeden Augenblick der Zutritt der Haeduer zu dem gallischen Buendnis von seiner um Sens und Langres lagernden Armee abschneiden konnte. In aller Stille ging er nach Vienna und von da, nur von wenigen Reitern begleitet, durch das Gebiet der Haeduer zu seinen Truppen. Die Hoffnungen schwanden, welche die Verschworenen zum Losschlagen bestimmt hatten; in Italien blieb es Friede und Caesar stand abermals an der Spitze seiner Armee.
Was aber sollten sie beginnen? Es war eine Torheit, unter solchen Umstaenden auf die Entscheidung der Waffen es ankommen zu lassen; denn diese hatten bereits unwiderruflich entschieden. Man konnte ebensogut versuchen, mit Steinwuerfen die Alpen zu erschuettern, wie die Legionen mit den keltischen Haufen, mochten dieselben nun in ungeheuren Massen zusammengeballt oder vereinzelt ein Gau nach dem andern preisgegeben werden. Vercingetorix verzichtete darauf, die Roemer zu schlagen. Er nahm ein aehnliches Kriegssystem an, wie dasjenige war, durch das Cassivellaunus die Inselkelten gerettet hatte. Das roemische Fussvolk war nicht zu besiegen; aber Caesars Reiterei bestand fast ausschliesslich aus dem Zuzug des keltischen Adels und war durch den allgemeinen Abfall tatsaechlich aufgeloest. Es war der Insurrektion, die ja eben wesentlich aus dem keltischen Adel bestand, moeglich, in dieser Waffe eine solche Ueberlegenheit zu entwickeln, dass sie weit und breit das Land oede legen, Staedte und Doerfer niederbrennen, die Vorraete vernichten, die Verpflegung und die Verbindungen des Feindes gefaehrden konnte, ohne dass derselbe es ernstlich zu hindern vermochte. Vercingetorix richtete demzufolge all seine Anstrengung auf die Vermehrung der Reiterei und der nach damaliger Fechtweise regelmaessig damit verbundenen Bogenschuetzen zu Fuss. Die ungeheuren und sich selber laehmenden Massen der Linienmiliz schickte er zwar nicht nach Hause, liess sie aber doch nicht vor den Feind und versuchte, ihnen allmaehlich einige Schanz-, Marschier- und Manoevrierfaehigkeit und die Erkenntnis beizubringen, dass der Soldat nicht bloss bestimmt ist, sich zu raufen. Von den Feinden lernend, adoptierte er namentlich das roemische Lagersystem, auf dem das ganze Geheimnis der taktischen Ueberlegenheit der Roemer beruhte; denn infolgedessen vereinigte jedes roemische Korps alle Vorteile der Festungsbesatzung mit allen Vorteilen der Offensivarmee ^19. Freilich war jenes dem staedtearmen Britannien und seinen rauhen, entschlossenen und im ganzen einigen Bewohnern vollkommen angemessene System auf die reichen Landschaften an der Loire und deren schlaffe, in vollstaendiger politischer Aufloesung begriffene Bewohner nicht unbedingt uebertragbar. Vercingetorix setzte wenigstens durch, dass man nicht wie bisher jede Stadt zu halten versuchte und darum keine hielt; man ward sich einig, die der Verteidigung nicht faehigen Ortschaften, bevor der Angriff sie erreichte, zu vernichten, die starken Festungen aber mit gesamter Hand zu verteidigen. Daneben tat der Arvernerkoenig, was er vermochte, um durch unnachsichtliche Strenge die Feigen und Saeumigen, durch Bitten und Vorstellungen die Schwankenden, die Habsuechtigen durch Gold, die entschiedenen Gegner durch Zwang an die Sache des Vaterlandes zu fesseln und selbst dem vornehmen oder niedrigen Gesindel einigen Patriotismus aufzunoetigen oder abzulisten. ——————————————————– ^19 Freilich war dies nur moeglich, solange die Offensivwaffen hauptsaechlich auf Hieb und Stich gerichtet waren. In der heutigen Kriegfuehrung ist, wie dies Napoleon I. vortrefflich auseinandergesetzt hat, dies System deshalb unanwendbar geworden, weil bei unseren, aus der Ferne wirkenden Offensivwaffen die deployierte Stellung vorteilhafter ist als die konzentrische. In Caesars Zeit verhielt es sich umgekehrt. —————————————————– Noch bevor der Winter zu Ende war, warf er sich auf die im Gebiet der Haeduer von Caesar angesiedelten Boier, um diese fast einzigen zuverlaessigen Bundesgenossen Roms zu vernichten, bevor Caesar herankam. Die Nachricht von diesem Angriff bestimmte auch Caesar, mit Zuruecklassung des Gepaecks und zweier Legionen in den Winterquartieren von Agedincum (Sens), sogleich und frueher, als er sonst wohl getan haben wuerde, gegen die Insurgenten zu marschieren. Dem empfindlichen Mangel an Reiterei und leichtem Fussvolk half er einigermassen ab durch nach und nach herbeigezogene deutsche Soeldner, die statt ihrer eigenen kleinen und schwachen Klepper mit italischen und spanischen, teils gekauften, teils von den Offizieren requirierten Pferden ausgeruestet wurden. Caesar, nachdem er unterwegs die Hauptstadt der Carnuten, Cenabum, die das Zeichen zum Abfall gegeben, hatte pluendern und in Asche legen lassen, rueckte ueber die Loire in die Landschaft der Biturigen. Er erreichte damit, dass Vercingetorix die Belagerung der Stadt der Boier aufgab und gleichfalls sich zu den Biturigen begab. Hier zuerst sollte die neue Kriegfuehrung sich erproben. Auf Vercingetorix’ Geheiss gingen an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften der Biturigen in Flammen auf; die gleiche Selbstverwuestung verhaengte der Feldherr ueber die benachbarten Gaue, soweit sie von roemischen Streifparteien erreicht werden konnten. Nach seiner Absicht sollte auch die reiche und feste Hauptstadt der Biturigen Avaricum (Bourges) dasselbe Schicksal treffen; allein die Majoritaet des Kriegsrats gab den kniefaelligen Bitten der biturigischen Behoerden nach und beschloss, diese Stadt vielmehr mit allem Nachdruck zu verteidigen. So konzentrierte sich der Krieg zunaechst um Avaricum. Vercingetorix stellte sein Fussvolk inmitten der der Stadt benachbarten Suempfe in einer so unnahbaren. Stellung auf, dass es, auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein, den Angriff der Legionen nicht zu fuerchten brauchte. Die keltische Reiterei bedeckte alle Strassen und hemmte die Kommunikation. Die Stadt wurde stark besetzt und zwischen ihr und der Armee vor den Mauern die Verbindung offen gehalten. Caesars Lage war sehr schwierig. Der Versuch, das keltische Fussvolk zum Schlagen zu bringen, misslang; es ruehrte sich nicht aus seinen unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der Stadt auch seine Soldaten schanzten und fochten, die Belagerten wetteiferten mit ihnen an Erfindsamkeit und Mut, und fast waere es ihnen gelungen, das Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei ward die Aufgabe, ein Heer von beilaeufig 60000 Mann in einer weithin oede gelegten und von weit ueberlegenen Reitermassen durchstreiften Landschaft mit Lebensmitteln zu versorgen, taeglich schwieriger. Die geringen Vorraete der Boier waren bald verbraucht; die von den Haeduern versprochene Zufuhr blieb aus; schon war das Getreide aufgezehrt und der Soldat ausschliesslich auf Fleischrationen gesetzt. Indes rueckte der Augenblick heran, wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung kaempfte, nicht laenger zu halten war. Noch war es nicht unmoeglich, die Truppen bei naechtlicher Weile in der Stille herauszuziehen und die Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte. Vercingetorix traf die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei, das im Augenblick des Abmarsches die zurueckbleibenden Weiber und Kinder erhoben, machte die Roemer aufmerksam; der Abzug misslang. An dem folgenden trueben und regnichten Tage ueberstiegen die Roemer die Mauern und schonten, erbittert durch die hartnaeckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder Geschlecht noch Alter. Die reichen Vorraete, die die Kelten in derselben aufgehaeuft hatten, kamen den ausgehungerten Soldaten Caesars zugute. Mit der Einnahme von Avaricum (Fruehling 702 52) war ueber die Insurrektion ein erster Erfolg erfochten und nach frueheren Erfahrungen mochte Caesar wohl erwarten, dass damit dieselbe sich aufloesen und es nur noch erforderlich sein werde, einzelne Gaue zu Paaren zu treiben. Nachdem er also mit seiner gesamten Armee sich in dem Gau der Haeduer gezeigt und durch diese imposante Demonstration die gaerende Patriotenpartei daselbst genoetigt hatte, fuer den Augenblick wenigstens, sich ruhig zu verhalten, teilte er sein Heer und sandte Labienus zurueck nach Agedincum, um in Verbindung mit den dort zurueckgelassenen Truppen an der Spitze von vier Legionen die Bewegung zunaechst in dem Gebiet der Carnuten und Senonen, die auch diesmal wieder voranstanden, zu unterdruecken, waehrend er selber mit den sechs uebrigen Legionen sich suedwaerts wandte und sich anschickte, den Krieg in die arvernischen Berge, das eigene Gebiet des Vercingetorix, zu tragen. Labienus rueckte von Agedincum aus das linke Seineufer hinauf, um der auf einer Insel in der Seine gelegenen Stadt der Parisier, Lutetia (Paris), sich zu bemaechtigen und von dieser gesicherten und im Herzen der aufstaendischen Landschaft befindlichen Stellung aus diese wieder zu unterwerfen. Allein hinter Melodunum (Melun) fand er sich den Weg verlegt durch das gesamte Insurgentenheer, das unter der Fuehrung des greisen Camulogenus zwischen unangreifbaren Suempfen hier sich aufgestellt hatte. Labienus ging eine Strecke zurueck, ueberschritt bei Melodunum die Seine und rueckte auf dem rechten Ufer derselben ungehindert gegen Lutetia; Camulogenus liess diese Stadt abbrennen und die auf das linke Ufer fuehrenden Bruecken abbrechen und nahm Labienus gegenueber eine Stellung ein, in welcher dieser weder ihn zum Schlagen zu bringen, noch unter den Augen der feindlichen Armee den Uebergang zu bewirken imstande war.
Die roemische Hauptarmee ihrerseits rueckte am Allier hinab in den Arvernergau. Vercingetorix versuchte, ihr den Uebergang auf das linke Ufer des Allier zu verwehren, allein Caesar ueberlistete ihn und stand nach einigen Tagen vor der arvernischen Hauptstadt Gergovia ^20. Indes hatte Vercingetorix, ohne Zweifel schon, waehrend er Caesar am Allier gegenueberstand, in Gergovia hinreichende Vorraete zusammenbringen und vor den Mauern der auf der Spitze eines ziemlich steil sich erhebenden Huegels gelegenen Stadt ein mit starken Steinwaellen versehenes Standlager fuer seine Truppen anlegen lassen; und da er hinreichenden Vorsprung hatte, langte er vor Caesar bei Gergovia an und erwartete in dem befestigten Lager unter der Festungsmauer den Angriff. Caesar mit seiner verhaeltnismaessig schwachen Armee konnte den Platz weder regelrecht belagern, noch auch nur hinreichend blockieren; er schlug sein Lager unterhalb der von Vercingetorix besetzten Anhoehe und verhielt sich notgedrungen ebenso untaetig wie sein Gegner. Fuer die Insurgenten war es fast ein Sieg, dass Caesars von Triumph zu Triumph fortschreitender Lauf an der Seine wie am Allier ploetzlich gestockt war. In der Tat kamen die Folgen dieser Stockung fuer Caesar beinahe denen einer Niederlage gleich. Die Haeduer, die bisher immer noch geschwankt hatten, machten jetzt ernstlich Anstalt, der Patriotenpartei sich anzuschliessen; schon war die Mannschaft, die Caesar nach Gergovia entboten hatte, auf dem Marsche durch die Offiziere bestimmt worden, sich fuer die Insurgenten zu erklaeren; schon hatte man gleichzeitig im Kanton selbst angefangen, die daselbst ansaessigen Roemer zu pluendern und zu erschlagen. Noch hatte Caesar, indem er jenem auf Gergovia zurueckenden Korps der Haeduer mit zwei Dritteln des Blockadeheeres entgegengegangen war, dasselbe durch sein ploetzliches Erscheinen wieder zum nominellen Gehorsam zurueckgebracht; allein es war mehr als je ein hohles und bruechiges Verhaeltnis, dessen Fortbestand fast zu teuer erkauft worden war durch die grosse Gefahr der vor Gergovia zurueckgelassenen beiden Legionen. Denn auf diese hatte Vercingetorix, Caesars Abmarsch rasch und entschlossen benutzend, waehrend dessen Abwesenheit einen Angriff gemacht, der um ein Haar mit der Ueberwaeltigung derselben und der Erstuermung des roemischen Lagers geendigt haette. Nur Caesars unvergleichliche Raschheit wandte eine zweite Katastrophe wie die von Aduatuca hier ab. Wenn auch die Haeduer jetzt wieder gute Worte gaben, war es doch vorherzusehen, dass sie, wenn die Blockade sich noch laenger ohne Erfolg hinspann, sich offen auf die Seite der Aufstaendischen schlagen und dadurch Caesar noetigen wuerden, dieselbe aufzuheben; denn ihr Beitritt wuerde die Verbindung zwischen ihm und Labienus unterbrochen und namentlich den letzteren in seiner Vereinzelung der groessten Gefahr ausgesetzt haben. Caesar war entschlossen, es hierzu nicht kommen zu lassen, sondern, wie peinlich und selbst gefaehrlich es auch war, unverrichteter Sache von Gergovia abzuziehen, dennoch, wenn es einmal geschehen musste, lieber sogleich aufzubrechen und, in den Gau der Haeduer einrueckend, deren foermlichen Uebertritt um jeden Preis zu verhindern. Ehe er indes diesen, seinem raschen und sicheren Naturell wenig zusagenden Rueckzug antrat, machte er noch einen letzten Versuch, sich aus seiner peinlichen Verlegenheit durch einen glaenzenden Erfolg zu befreien. Waehrend die Masse der Besatzung von Gergovia beschaeftigt war, die Seite, auf der der Sturm erwartet ward, zu verschanzen, ersah der roemische Feldherr sich die Gelegenheit, einen anderen, weniger bequem gelegenen, aber augenblicklich entbloessten Aufgang zu ueberrumpeln. In der Tat ueberstiegen die roemischen Sturmkolonnen die Lagermauer und besetzten die naechstliegenden Quartiere des Lagers; allein schon war auch die ganze Besatzung alarmiert und bei den geringen Entfernungen fand es Caesar nicht raetlich, den zweiten Sturm auf die Stadtmauer zu wagen. Er gab das Zeichen zum Rueckzug; indes die vordersten Legionen, vom Ungestuem des Sieges hingerissen, hoerten nicht oder wollten nicht hoeren, und drangen unaufhaltsam vor bis an die Stadtmauer, einzelne sogar bis in die Stadt. Aber immer dichtere Massen warfen den Eingedrungenen sich entgegen; die vordersten fielen, die Kolonnen stockten; vergeblich stritten Centurionen und Legionaere mit dem aufopferndsten Heldenmut; die Stuermenden wurden mit sehr betraechtlichem Verlust aus der Stadt hinaus und den Berg hinuntergejagt, wo die von Caesar in der Ebene aufgestellten Truppen sie aufnahmen und groesseres Unglueck verhueteten. Die gehoffte Einnahme von Gergovia hatte sich in eine Niederlage verwandelt, und der betraechtliche Verlust an Verwundeten und Toten – man zaehlte 700 gefallene Soldaten, darunter 46 Centurionen – war der kleinste Teil des erlittenen Unfalls. Caesars imponierende Stellung in Gallien beruhte wesentlich auf seinem Siegernimbus; und dieser fing an zu erblassen. Schon die Kaempfe um Avaricum, Caesars vergebliche Versuche, den Feind zum Schlagen zu zwingen, die entschlossene Verteidigung der Stadt und ihre fast zufaellige Erstuermung, trugen einen anderen Stempel als die frueheren Keltenkriege und hatten den Kelten Vertrauen auf sich und ihren Fuehrer eher gegeben als genommen. Weiter hatte das neue System der Kriegfuehrung: unter dem Schutze der Festungen in verschanzten Lagern dem Feind die Stirne zu bieten – bei Lutetia sowohl wie bei Gergovia sich vollkommen bewaehrt. Diese Niederlage endlich, die erste, die Caesar selbst von den Kelten erlitten hatte, kroente den Erfolg, und sie gab denn auch gleichsam das Signal fuer einen zweiten Ausbruch der Insurrektion. Die Haeduer brachen jetzt foermlich mit Caesar und traten mit Vercingetorix in Verbindung. Ihr Kontingent, das noch bei Caesars Armee sich befand, machte nicht bloss von dieser sich los, sondern nahm auch bei der Gelegenheit in Noviodunum an der Loire die Depots der Armee Caesars weg, wodurch die Kassen und Magazine, eine Menge Remontepferde und saemtliche Caesar gestellte Geiseln den Insurgenten in die Haende fielen. Wenigstens ebensowichtig war es, dass auf diese Nachrichten hin auch die Belgen, die bisher der ganzen Bewegung sich ferngehalten hatten, anfingen sich zu ruehren. Der maechtige Gau der Bellovaker machte sich auf, um das Korps des Labienus, waehrend es bei Lutetia dem Aufgebot der umliegenden mittelgallischen Gaue gegenueberstand, im Ruecken anzugreifen. Auch sonst ward ueberall geruestet; die Gewalt des patriotischen Aufschwungs riss selbst die entschiedensten und beguenstigtsten Parteigaenger Roms mit sich fort, wie zum Beispiel den Koenig der Atrebaten, Commius, der seiner treuen Dienste wegen von den Roemern wichtige Privilegien fuer seine Gemeinde und die Hegemonie ueber die Moriner empfangen hatte. Bis in die altroemische Provinz gingen die Faeden der Insurrektion: sie machte, vielleicht nicht ohne Grund, sich Hoffnung, selbst die Allobrogen gegen die Roemer unter die Waffen zu bringen. Mit einziger Ausnahme der Reiner und der von den Remern zunaechst abhaengigen Distrikte der Suessionen, Leuker und Lingonen, deren Partikularismus selbst unter diesem allgemeinen Enthusiasmus nicht muerbe ward, stand jetzt in der Tat, zum ersten und zum letzten Male, die ganze keltische Nation von den Pyrenaeen bis zum Rhein fuer ihre Freiheit und Nationalitaet unter den Waffen; wogegen, merkwuerdig genug, die saemtlichen deutschen Gemeinden, die bei den bisherigen Kaempfen in erster Reihe gestanden hatten, sich ausschlossen, ja sogar die Treuerer und, wie es scheint, auch die Menapier durch ihre Fehden mit den Deutschen verhindert wurden, an dem Nationalkrieg taetigen Anteil zu nehmen. ————————————————- ^20 Man sucht diesen Ort auf einer Anhoehe eine Stunde suedlich von der arvernischen Hauptstadt Nemetum, dem heutigen Clermont welche noch jetzt Gergoie genannt wird; und sowohl die bei den Ausgrabungen daselbst zu Tage gekommenen Ueberreste von rohen Festungsmauern, wie die urkundlich bis ins zehnte Jahrhundert hinauf verfolgte Ueberlieferung des Namens lassen an der Richtigkeit dieser Ortsbestimmung keinen Zweifel. Auch passt dieselbe wie zu den uebrigen Angaben Caesars, so namentlich dazu dass er Gergovia ziemlich deutlich als Hauptort der Arverner bezeichnet (Gall. 7, 4). Man wird demnach anzunehmen haben, dass die Arverner nach der Niederlage genoetigt wurden, sich von Gergovia nach dem nahen, weniger festen Nemetum ueberzusiedeln. ————————————————— Es war ein schwerer, entscheidungsvoller Augenblick, als nach dem Abzug von Gergovia und dem Verlust von Noviodunum in Caesars Hauptquartier ueber die nun zu ergreifenden Massregeln Kriegsrat gehalten ward. Manche Stimmen sprachen sich fuer den Rueckzug ueber die Cevennen in die altroemische Provinz aus, welche jetzt der Insurrektion von allen Seiten her offenstand und allerdings der zunaechst doch zu ihrem Schutze von Rom gesandten Legionen dringend bedurfte. Allein Caesar verwarf diese aengstliche, nicht durch die Lage der Dinge, sondern durch Regierungsinstruktionen und Verantwortungsfurcht bestimmte Strategie. Er begnuegte sich, in der Provinz den Landsturm der dort ansaessigen Roemer unter die Waffen zu rufen und durch ihn, so gut es eben ging, die Grenzen besetzen zu lassen. Dagegen brach er selbst in entgegengesetzter Richtung auf und rueckte in Gewaltmaerschen auf Agedincum zu, auf das er Labienus sich in moeglichster Eile zurueckzuziehen befahl. Die Kelten versuchten natuerlich, die Vereinigung der beiden roemischen Heere zu verhindern. Labienus haette wohl, ueber die Marne setzend und am rechten Seineufer flussabwaerts marschierend, Agedincum erreichen koennen, wo er seine Reserve und sein Gepaeck zurueckgelassen hatte; aber er zog es vor, den Kelten nicht abermals das Schauspiel des Rueckzugs roemischer Truppen zu gewaehren. Er ging daher, statt ueber die Marne, vielmehr unter den Augen des getaeuschten Feindes ueber die Seine und lieferte am linken Ufer derselben den feindlichen Massen eine Schlacht, in welcher er siegte und unter vielen andern auch der keltische Feldherr selbst, der alte Camulogenus, auf der Walstatt blieb. Ebensowenig gelang es den Insurgenten, Caesar an der Loire aufzuhalten; Caesar gab ihnen keine Zeit, dort groessere Massen zu versammeln, und sprengte die Milizen der Haeduer, die er allein dort vorfand, ohne Muehe auseinander. So ward die Vereinigung der beiden Heerhaufen gluecklich bewerkstelligt. Die Aufstaendischen inzwischen hatten ueber die weitere Kriegfuehrung in Bibracte (Autun), der Hauptstadt der Haeduer, geratschlagt; die Seele dieser Beratungen war wieder Vercingetorix, dem nach dem Siege von Gergovia die Nation begeistert anhing. Zwar schwieg der Partikularismus auch jetzt nicht; die Haeduer machten noch in diesem Todeskampf der Nation ihre Ansprueche auf die Hegemonie geltend und stellten auf der Landesversammlung den Antrag, an die Stelle des Vercingetorix einen der Ihrigen zu setzen. Allein die Landesvertreter hatten dies nicht bloss abgelehnt und Vercingetorix im Oberbefehl bestaetigt, sondern auch seinen Kriegsplan unveraendert angenommen. Es war im wesentlichen derselbe, nach dem er bei Avaricum und bei Gergovia operiert hatte. Zum Angelpunkt der neuen Stellung ward die feste Stadt der Mandubier, Alesia (Alise Sainte-Reine bei Semur im Departement Cote d’Or ^21), ausersehen und unter deren Mauern abermals ein verschanztes Lager angelegt. Ungeheure Vorraete wurden hier aufgehaeuft und die Armee von Gergovia dorthin beordert, deren Reiterei nach Beschluss der Landesversammlung bis auf 15000 Pferde gebracht ward. Caesar schlug mit seiner gesamten Heeresmacht, nachdem er sie bei Agedincum wiedervereinigt hatte, die Richtung auf Vesontio ein, um sich nun der geaengsteten Provinz zu naehern und sie vor einem Einfall zu beschuetzen, wie denn in der Tat sich Insurgentenscharen schon in dem Gebiet der Helvier am Suedabhang der Cevennen gezeigt hatten. Alesia lag fast auf seinem Wege; die Reiterei der Kelten, die einzige Waffe, mit der Vercingetorix operieren mochte, griff unterwegs ihn an, zog aber zu aller Erstaunen den kuerzeren gegen Caesars neue deutsche Schwadronen und die zu deren Rueckhalt aufgestellte roemische Infanterie. Vercingetorix eilte um so mehr, sich in Alesia einzuschliessen; und wenn Caesar nicht ueberhaupt auf die Offensive verzichten wollte, blieb ihm nichts uebrig, als zum drittenmal in diesem Feldzug gegen eine, unter einer wohlbesetzten und verproviantierten Festung gelagerte und mit ungeheuren Reitermassen versehene Armee mit einer weit schwaecheren Angriffsweise vorzugehen. Allein, wenn den Kelten bisher nur ein Teil der roemischen Legionen gegenuebergestanden, so war in den Linien um Alesia Caesars ganze Streitmacht vereinigt und es gelang Vercingetorix nicht, wie es ihm bei Avaricum und Gergovia gelungen war, sein Fussvolk unter dem Schutz der Festungsmauern aufzustellen und durch seine Reiterei seine Verbindungen nach aussen hin sich offen zu halten, waehrend er die des Feindes unterbrach. Die keltische Reiterei, schon entmutigt durch jene von den geringgeschaetzten Gegnern ihnen beigebrachte Niederlage, wurde von Caesars deutschen Berittenen in jedem Zusammentreffen geschlagen. Die Umwallungslinie der Belagerer erhob sich in der Ausdehnung von zwei deutschen Meilen um die ganze Stadt mit Einschluss des an sie angelehnten Lagers. Auf einen Kampf unter den Mauern war Vercingetorix gefasst gewesen, aber nicht darauf, in Alesia belagert zu werden – dazu genuegten fuer seine angeblich 80000 Mann Infanterie und 15000 Reiter zaehlende Armee und die zahlreiche Stadtbewohnerschaft die aufgespeicherten Vorraete, wie ansehnlich sie waren, doch bei weitem nicht. Vercingetorix musste sich ueberzeugen, dass sein Kriegsplan diesmal zu seinem eigenen Verderben ausgeschlagen und er verloren war, wofern nicht die gesamte Nation herbeieilte und ihren eingeschlossenen Feldherrn befreite. Noch reichten, als die roemische Umwallung sich schloss, die vorhandenen Lebensmittel aus auf einen Monat und vielleicht etwas darueber; im letzten Augenblick, wo der Weg wenigstens fuer Berittene noch frei war, entliess Vercingetorix seine gesamte Reiterei und entsandte zugleich an die Haeupter der Nation die Weisung, alle Mannschaft aufzubieten und sie zum Entsatz von Alesia heranzufuehren. Er selbst, entschlossen, die Verantwortung fuer den von ihm entworfenen und fehlgeschlagenen Kriegsplan auch persoenlich zu tragen, blieb in der Festung, um im Guten und Boesen das Schicksal der Seinigen zu teilen. Caesar aber machte sich gefasst, zugleich zu belagern und belagert zu werden. Er richtete seine Umwallungslinie auch an der Aussenseite zur Verteidigung ein und versah sich auf laengere Zeit mit Lebensmitteln. Die Tage verflossen; schon hatte man in der Festung keinen Malter Getreide mehr, schon die ungluecklichen Stadtbewohner austreiben muessen, um zwischen den Verschanzungen der Kelten und der Roemer, an beiden unbarmherzig zurueckgewiesen, elend umzukommen. Da, in der letzten Stunde, zeigten hinter Caesars Linien sich die unabsehbaren Zuege des keltisch- belgischen Entsatzheeres, angeblich 250000 Mann zu Fuss und 8000 Reiter. Vom Kanal bis zu den Cevennen hatten die insurgierten Gaue jeden Nerv angestrengt, um den Kern ihrer Patrioten, den Feldherrn ihrer Wahl zu retten – einzig die Bellovaker hatten geantwortet, dass sie wohl gegen die Roemer, aber nicht ausserhalb der eigenen Grenzen zu fechten gesonnen seien. Der erste Sturm, der die Belagerten von Alesia und die Entsatztruppen draussen auf die roemische Doppellinie unternahmen, ward abgeschlagen; aber als nach eintaegiger Rast derselbe wiederholt ward, gelang es an einer Stelle, wo die Umwallungslinie ueber den Abhang eines Berges hinlief und von dessen Hoehe herab angegriffen werden konnte, die Graeben zuzuschuetten und die Verteidiger von dem Wall herunterzuwerfen. Da nahm Labienus, von Caesar hierher gesandt, die naechsten Kohorten zusammen und warf sich mit vier Legionen auf den Feind. Unter den Augen des Feldherrn, der selbst in dem gefaehrlichsten Augenblick erschien, wurden im verzweifelten Nahgefecht die Stuermenden zurueckgejagt und die mit Caesar gekommenen, die Fluechtenden in den Ruecken fassenden Reiterscharen vollendeten die Niederlage. Es war mehr als ein grosser Sieg; ueber Alesia, ja ueber die keltische Nation war damit unwiderruflich entschieden. Das Keltenheer, voellig entmutigt, verlief unmittelbar vom Schlachtfeld sich nach Hause. Vercingetorix haette vielleicht noch jetzt fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel des freien Mannes sich erretten koennen; er tat es nicht, sondern erklaerte im Kriegsrat, dass, da es ihm nicht gelungen sei, die Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei, sich als Opfer hinzugeben und soweit moeglich das Verderben von der Nation auf sein Haupt abzulenken. So geschah es. Die keltischen Offiziere lieferten ihren von der ganzen Nation feierlich erwaehlten Feldherrn dem Landesfeind zu geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Ross und im vollen Waffenschmucke erschien der Koenig der Arverner vor dem roemischen Prokonsul und umritt dessen Tribunal; darauf gab er Ross und Waffen ab und liess schweigend auf den Stufen zu Caesars Fuessen sich nieder (702 52). Fuenf Jahre spaeter ward er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt gefuehrt und als Hochverraeter an der roemischen Nation, waehrend sein Ueberwinder den Goettern derselben den Feierdank auf der Hoehe des Kapitols darbrachte, an dessen Fuss enthauptet. Wie nach truebe verlaufenem Tage wohl die Sonne im Sinken durchbricht, so verleiht das Geschick noch untergehenden Voelkern wohl einen letzten grossartigen Mann. Also steht am Ausgang der phoenikischen Geschichte Hannibal, also an dem der keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Nation von der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die letzte noch uebrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart. Auch Vercingetorix hat ebenwie der Karthager nicht bloss gegen den Landesfeind kaempfen muessen, sondern vor allem gegen die antinationale Opposition verletzter Egoisten und aufgestoerter Feiglinge, wie sie die entartete Zivilisation regelmaessig begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte nicht seine Schlachten und Belagerungen, sondern dass er es vermocht hat, einer zerfahrenen und im Partikularismus verkommenen Nation in seiner Person einen Mittel- und Haltpunkt zu geben. Und doch gibt es wieder kaum einen schaerferen Gegensatz als der ist zwischen dem nuechternen Buergersmann der phoenikischen Kaufstadt mit seinen, auf das eine grosse Ziel hin fuenfzig Jahre hindurch mit unwandelbarer Energie gerichteten Plaenen, und dem kuehnen Fuersten des Keltenlandes, dessen gewaltige Taten zugleich mit seiner hochherzigen Aufopferung, ein kurzer Sommer einschliesst. Das ganze Altertum kennt keinen ritterlicheren Mann in seinem innersten Wesen wie in seiner aeusseren Erscheinung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten der Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es verschmaehte, sich aus Alesia zu retten, waehrend doch an ihm allein der Nation mehr gelegen war als an hunderttausend gewoehnlichen tapferen Maennern. Es war der Ritter, nicht der Held, der sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts weiter erreicht ward, als dass die Nation sich oeffentlich entehrte und ebenso feig wie widersinnig mit ihrem letzten Atemzug ihren weltgeschichtlichen Todeskampf ein Verbrechen gegen ihren Zwingherrn nannte. Wie so ganz anders hat in den gleichen Lagen Hannibal gehandelt! Es ist nicht moeglich, ohne geschichtliche und menschliche Teilnahme von dem edlen Arvernerkoenig zu scheiden; aber es gehoert zur Signatur der keltischen Nation, dass ihr groesster Mann doch nur ein Ritter war. ——————————————— ^21 Die kuerzlich viel eroerterte Frage, ob Alesia nicht vielmehr in Alaise (25 Kilometer suedlich von Besanáon, Dep. Doubs) zu erkennen sei, ist von allen besonnenen Forschern mit Recht verneint worden. ——————————————— Der Fall von Alesia und die Kapitulation der daselbst eingeschlossenen Armee war fuer die keltische Insurrektion ein furchtbarer Schlag; indes es hatten schon ebensoschwere die Nation betroffen und doch war der Kampf wieder erneuert worden. Aber Vercingetorix’ Verlust war unersetzlich. Mit ihm war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm schien sie auch wieder entwichen. Wir finden nicht, dass die Insurrektion einen Versuch machte, die Gesamtverteidigung fortzusetzen und einen anderen Oberfeldherrn zu bestellen; der Patriotenbund fiel von selbst auseinander und jedem Clan blieb es ueberlassen, wie es ihm beliebte, mit den Roemern zu streiten oder auch sich zu vertragen. Natuerlich ueberwog durchgaengig das Verlangen nach Ruhe. Auch Caesar hatte ein Interesse daran, rasch zu Ende zu kommen. Von den zehn Jahren seiner Statthalterschaft waren sieben verstrichen. Das letzte aber durch seine politischen Gegner in der Hauptstadt ihm in Frage gestellt; nur auf zwei Sommer noch konnte er mit einiger Sicherheit rechnen und wenn sein Interesse wie seine Ehre verlangte, dass er die neu gewonnenen Landschaften seinem Nachfolger in einem leidlichen und einigermassen beruhigten Friedensstand uebergab, so war, um einen solchen herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen. Gnade zu ueben war in diesem Falle noch mehr als fuer die Besiegten Beduerfnis fuer den Sieger; und er durfte seinen Stern preisen, dass die innere Zerfahrenheit und das leichte Naturell der Kelten ihm hierin auf halbem Wege entgegenkam. Wo, wie in den beiden angesehensten mittelgallischen Kantons, dem der Haeduer und dem der Arverner, eine starke roemisch gesinnte Partei bestand, wurde den Landschaften sogleich nach dem Fall von Alesia die vollstaendige Wiederherstellung ihres frueheren Verhaeltnisses zu Rom gewaehrt und selbst ihre Gefangenen, 20000 an der Zahl, ohne Loesegeld entlassen, waehrend die der uebrigen Clans in die harte Knechtschaft der siegreichen Legionaere kamen. Wie die Haeduer und die Arverner ergab sich ueberhaupt der groessere Teil der gallischen Distrikte in sein Schicksal und liess ohne weitere Gegenwehr die unvermeidlichen Strafgerichte ueber sich ergehen. Aber nicht wenige harrten auch in toerichtem Leichtsinn oder dumpfer Verzweiflung bei der verlorenen Sache aus, bis die roemischen Exekutionstruppen innerhalb ihrer Grenzen erschienen. Solche Expeditionen wurden noch im Winter 702/03 (52/51) gegen die Biturigen und die Carnuten unternommen. Ernsteren Widerstand leisteten die Bellovaker, die das Jahr zuvor von dem Entsatz Alesias sich ausgeschlossen hatten; sie schienen beweisen zu wollen, dass sie an jenem entscheidenden Tage wenigstens nicht aus Mangel an Mut und an Freiheitsliebe gefehlt hatten. Es beteiligten sich an diesem Kampfe die Atrebaten, Ambianer, Caleten und andere belgische Gaue; der tapfere Koenig der Atrebaten, Commius, dem die Roemer seinen Beitritt zur Insurrektion am wenigsten verziehen und gegen den kuerzlich Labienus sogar einen widerwaertig tueckischen Mordversuch gerichtet hatte, fuehrte den Bellovakern 500 deutsche Reiter zu, deren Wert der vorjaehrige Feldzug hatte kennen lehren. Der entschlossene und talentvolle Bellovaker Correus, dem die oberste Leitung des Krieges zugefallen war, fuehrte den Krieg, wie Vercingetorix ihn gefuehrt hatte, und mit nicht geringem Erfolg; Caesar, obwohl er nach und nach den groessten Teil seines Heeres heranzog, konnte das Fussvolk der Bellovaker weder zum Schlagen bringen noch auch nur dasselbe verhindern, andere, gegen Caesars verstaerkte Streitmacht besseren Schutz gewaehrende Stellungen einzunehmen; die roemischen Reiter aber, namentlich die keltischen Kontingente, erlitten in verschiedenen Gefechten durch die feindliche Reiterei, besonders die deutsche des Commius, die empfindlichsten Verluste. Allein nachdem in einem Scharmuetzel mit den roemischen Fouragierern Correus den Tod gefunden, war der Widerstand auch hier gebrochen; der Sieger stellte ertraegliche Bedingungen, auf die hin die Bellovaker nebst ihren Verbuendeten sich unterwarfen. Die Treuerer wurden durch Labienus zum Gehorsam zurueckgebracht und beilaeufig das Gebiet der verfemten Eburonen noch einmal durchzogen und verwuestet. Also ward der letzte Widerstand der belgischen Eidgenossenschaft gebrochen. Noch einen Versuch, der Roemerherrschaft sich zu erwehren, machten die Seegaue in Verbindung mit ihren Nachbarn an der Loire. Insurgentenscharen aus dem andischen, dem carnutischen und anderen umliegenden Gauen sammelten sich an der unteren Loire und belagerten in Lemonum (Poitiers) den roemisch gesinnten Fuersten der Pictonen. Allein bald trat auch hier eine ansehnliche roemische Macht ihnen entgegen; die Insurgenten gaben die Belagerung auf und zogen ab, um die Loire zwischen sich und den Feind zu bringen, wurden aber auf dem Marsche dahin eingeholt und geschlagen, worauf die Carnuten und die uebrigen aufstaendischen Kantons, selbst die Seegaue ihre Unterwerfung einsandten. Der Widerstand war zu Ende; kaum dass ein einzelner Freischarenfuehrer hie und da noch das nationale Banner aufrecht hielt. Der kuehne Drappes und des Vercingetorix treuer Waffengefaehrte Lucterius sammelten nach der Aufloesung der an der Loire vereinigten Armee die Entschlossensten und warfen sich mit diesen in die feste Bergstadt Uxellodunum am Lot ^22, die ihnen unter schweren und verlustvollen Gefechten ausreichend zu verproviantieren gelang. Trotz des Verlustes ihrer Fuehrer, von denen Drappes gefangen, Lucterius von der Stadt abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich auf das aeusserste; erst als Caesar selbst erschien und auf seine Anordnung die Quelle, aus der die Belagerten ihr Wasser holten, mittels unterirdischer Stollen abgeleitet ward, fiel die Festung, die letzte Burg der keltischen Nation. Um die letzten Verfechter der Sache der Freiheit zu kennzeichnen, befahl Caesar, der gesamten Besatzung die Haende abzuhauen und sie also, einen jeden in seine Heimat, zu entlassen. Dem Koenig Commius, der noch in der Gegend von Arras sich hielt und daselbst bis in den Winter 703/04 (51/50) mit den roemischen Truppen sich herumschlug, gestattete Caesar, dem alles daran lag, in ganz Gallien wenigstens dem offenen Widerstand ein Ziel zu setzen, seinen Frieden zu machen und liess es sogar hingehen, dass der erbitterte und mit Recht misstrauische Mann trotzig sich weigerte, persoenlich im roemischen Lager zu erscheinen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Caesar in aehnlicher Weise bei den schwer zugaenglichen Distrikten im Nordwesten wie im Nordosten Galliens mit einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar schon mit der faktischen Waffenruhe sich genuegen liess ^23.
——————————————- ^22 Man sucht dies gewoehnlich bei Capdenac unweit Figeac; F. W. A. Goeler hat sich neuerlich fuer das auch frueher schon in Vorschlag gebrachte Luzech westlich von Cahors erklaert.
^23 Bei Caesar selbst steht dies freilich begreiflicherweise nicht geschrieben; aber eine verstaendliche Andeutung in dieser Beziehung macht Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er als Caesarianer schrieb. Weitere Beweise ergeben die Muenzen.
————————————————- Also ward Gallien, das heisst das Land westlich vom Rhein und noerdlich von den Pyrenaeen, nach nur achtjaehrigen Kaempfen (696 bis 703 58-51) den Roemern untertaenig. Kaum ein Jahr nach der voelligen Beruhigung des Landes, zu Anfang des Jahres 705 (49), mussten die roemischen Truppen infolge des nun endlich in Italien ausgebrochenen Buergerkrieges ueber die Alpen zurueckgezogen werden und es blieben nichts als hoechstens einige schwache Rekrutenabteilungen im Keltenland zurueck. Dennoch standen die Kelten nicht wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und waehrend in allen alten Provinzen des Reichs gegen Caesar gestritten ward, blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fortwaehrend botmaessig. Auch die Deutschen haben ihre Versuche, auf dem linken Rheinufer sich erobernd festzusetzen, waehrend dieser entscheidenden Jahre nicht wiederholt. Ebensowenig kam es in Gallien waehrend der nachfolgenden Krisen zu einer neuen nationalen Insurrektion oder deutschen Invasion, obgleich sie die guenstigsten Gelegenheiten darboten. Wenn ja irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708 (46) die Bellovaker gegen die Roemer sich erhoben, so waren diese Bewegungen so vereinzelt und so ausser Zusammenhang mit den Verwicklungen in Italien, dass sie ohne wesentliche Schwierigkeit von den roemischen Statthaltern unterdrueckt wurden. Allerdings ward dieser Friedenszustand hoechst wahrscheinlich, aehnlich wie Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, dass man den entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefuehl durchdrungenen Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistrikten, der Pyrenaeengegend, vorlaeufig gestattete, sich in mehr oder minder bestimmter Weise der roemischen Botmaessigkeit tatsaechlich zu entziehen. Aber darum nicht weniger erwies sich Caesars Bau, wie knapp er auch dazu zwischen anderen, zunaechst noch dringenderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur notduerftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, sowohl hinsichtlich der Zurueckweisung der Deutschen als der Unterwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im wesentlichen als haltbar. In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter des Narbonensischen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorlaeufig mit der Provinz Narbo vereinigt; erst als Caesar dieses Amt abgab (710 44), wurden aus dem von ihm eroberten Gebiet zwei neue Statthalterschaften, das eigentliche Gallien und Belgica, gebildet. Dass die einzelnen Gaue ihre politische Selbstaendigkeit verloren, lag im Wesen der Eroberung. Sie wurden durchgaengig der roemischen Gemeinde steuerpflichtig. Ihr Steuersystem indes war natuerlich nicht dasjenige, mittels dessen die adlige und finanzielle Aristokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde, wie in Spanien geschah, einer jeden einzelnen Gemeinde eine ein fuer allemal bestimmte Abgabe auferlegt und deren Erhebung ihr selbst ueberlassen. Auf diesem Wege flossen jaehrlich 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) aus Gallien in die Kassen der roemischen Regierung, die dafuer freilich die Kosten der Verteidigung der Rheingrenze uebernahm. Dass ausserdem die in den Tempeln der Goetter und den Schatzkammern der Grossen aufgehaeuften Goldmassen infolge des Krieges ihren Weg nach Rom fanden, versteht sich von selbst; wenn Caesar im ganzen Roemischen Reich sein gallisches Gold ausbot und davon auf einmal solche Massen auf den Geldmarkt brachte, dass das Gold gegen Silber um 25 Prozent fiel, so laesst dies ahnen, welche Summen Gallien durch den Krieg eingebuesst hat. Die bisherigen Gauverfassungen mit ihren Erbkoenigen oder ihren feudal- oligarchischen Vorstandschaften blieben auch nach der Eroberung im wesentlichen bestehen, und selbst das Klientelsystem, das einzelne Kantons von anderen, maechtigeren abhaengig machte, ward nicht abgeschafft, obwohl freilich mit dem Verlust der staatlichen Selbstaendigkeit ihm die Spitze abgebrochen war; Caesar war nur darauf bedacht, unter Benutzung der bestehenden dynastischen, feudalistischen und hegemonischen Spaltungen die Verhaeltnisse im Interesse Roms zu ordnen und ueberall die der Fremdherrschaft genehmen Maenner an die Spitze zu bringen. Ueberhaupt sparte Caesar keine Muehe, um in Gallien eine roemische Partei zu bilden; seinen Anhaengern wurden ausgedehnte Belohnungen an Geld und besonders an konfiszierten Landguetern bewilligt und ihnen durch seinen Einfluss Plaetze im Gemeinderat und die ersten Gemeindeaemter in ihren Gauen verschafft. Diejenigen Gaue, in denen eine hinreichend starke und zuverlaessige roemische Partei bestand, wie die der Remer, der Lingonen, der Haeduer, wurden durch Erteilung einer freieren Kommunalverfassung – des sogenannten Buendnisrechts – und durch Bevorzugungen bei der Ordnung des Hegemoniewesens gefoerdert. Den Nationalkult und dessen Priester scheint Caesar von Anfang an soweit irgend moeglich geschont zu haben; von Massregeln, wie sie in spaeterer Zeit von den roemischen Machthabern gegen das Druidenwesen ergriffen wurden, findet bei ihm sich keine Spur, und wahrscheinlich damit haengt es zusammen, dass seine gallischen Kriege, soviel wir sehen, den Charakter des Religionskrieges durchaus nicht in der Art tragen, wie er bei den britannischen spaeter so bestimmt hervortritt.
Wenn Caesar also der besiegten Nation jede zulaessige Ruecksicht bewies und ihre nationalen, politischen und religioesen Institutionen soweit schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sich vertrug, so geschah dies nicht, um auf den Grundgedanken seiner Eroberung, die Romanisierung Galliens, zu verzichten, sondern um denselben in moeglichst schonender Weise zu verwirklichen. Auch begnuegte er sich nicht, dieselben Verhaeltnisse, die die Suedprovinz bereits grossenteils romanisiert hatten, im Norden ihre Wirkung ebenfalls tun zu lassen, sondern er foerderte, als echter Staatsmann, von oben herab die naturgemaesse Entwicklung und tat dazu, die immer peinliche Uebergangszeit moeglichst zu verkuerzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vornehmer Kelten in den roemischen Buergerverband, ja einzelner vielleicht schon in den roemischen Senat, so ist wahrscheinlich Caesar es gewesen, der in Gallien auch innerhalb der einzelnen Gaue als offizielle Sprache anstatt der einheimischen die lateinische, wenn auch noch mit gewissen Einschraenkungen, und anstatt des nationalen das roemische Muenzsystem in der Art einfuehrte, dass die Gold- und die Denarpraegung den roemischen Behoerden vorbehalten blieb, dagegen die Scheidemuenze von den einzelnen Gauen und nur zur Zirkulation innerhalb der Gaugrenzen, aber doch auch nach roemischem Fuss geschlagen werden sollte. Man mag laecheln ueber das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire und Seine fortan verordnungsmaessig sich beflissen ^24; es lag doch in diesen Sprachfehlern eine groessere Zukunft als in dem korrekten, hauptstaedtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Caesar zurueck, wenn die Gauverfassung im Keltenland spaeterhin der italischen Stadtverfassung genaehert erscheint und die Hauptorte des Gaues sowie die Gemeinderaete in ihr schaerfer hervortreten, als dies in der urspruenglichen keltischen Ordnung wahrscheinlich der Fall war. Wie wuenschenswert in militaerischer wie in politischer Hinsicht es gewesen waere, als Stuetzpunkte der neuen Herrschaft und Ausgangspunkte der neuen Zivilisation eine Reihe transalpinischer Kolonien zu begruenden, mochte niemand mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und des Marius. Wenn er dennoch sich beschraenkte auf die Ansiedlung seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum und auf die der Boier im Haeduergau, welche letztere Niederlassung in dem Krieg gegen Vercingetorix schon voellig die Dienste einer roemischen Kolonie tat, so war die Ursache nur die, dass seine weiteren Plaene ihm noch nicht gestatteten, seinen Legionen statt des Schwertes den Pflug in die Hand zu geben. Was er in spaeteren Jahren fuer die altroemische Provinz in dieser Beziehung getan, wird seines Orts dargelegt werden; es ist wahrscheinlich, dass nur die Zeit ihm gemangelt hat, um das gleiche auch auf die von ihm neu unterworfenen Landschaften zu erstrecken. ————————————————- ^24 So lesen wir auf einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier (Lisieux, Dep. Calvados) schlagen liess, folgende Aufschrift: Cisiambos Cattos vercobreto; simissos (so) publicos Lixovio. Die oft kaum leserliche Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepraege dieser Muenzen stehen mit ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie.
———————————————— Mit der keltischen Nation war es zu Ende. Ihre politische Aufloesung war durch Caesar eine vollendete Tatsache geworden, ihre nationale eingeleitet und im regelmaessigen Fortschreiten begriffen. Es war dies kein zufaelliges Verderben, wie das Verhaengnis es auch entwicklungsfaehigen Voelkern wohl zuweilen bereitet, sondern eine selbstverschuldete und gewissermassen geschichtlich notwendige Katastrophe. Schon der Verlauf des letzten Krieges beweist dies, mag man ihn nun im ganzen oder im einzelnen betrachten. Als die Fremdherrschaft gegruendet werden sollte, leisteten ihr nur einzelne, noch dazu meistens deutsche oder halbdeutsche Landschaften energischen Widerstand. Als die Fremdherrschaft gegruendet war, wurden die Versuche, sie abzuschuetteln, entweder ganz kopflos unternommen, oder sie waren mehr als billig das Werk einzelner hervorragender Adliger und darum mit dem Tod oder der Gefangennahme eines Indutiomarus, Camulogenus, Vercingetorix, Correus sogleich und voellig zu Ende. Der Belagerungs- und der kleine Krieg, in denen sich sonst die ganze sittliche Tiefe der Volkskriege entfaltet, waren und blieben in diesem keltischen von charakteristischer Erbaermlichkeit. Jedes Blatt der keltischen Geschichte bestaetigt das strenge Wort eines der wenigen Roemer, die es verstanden, die sogenannten Barbaren nicht zu verachten, dass die Kelten dreist die kuenftige Gefahr herausfordern, vor der gegenwaertigen aber der Mut ihnen entsinkt. In dem gewaltigen Wirbel der Weltgeschichte, der alle nicht gleich dem Stahl harten und gleich dem Stahl geschmeidigen Voelker unerbittlich zermalmt, konnte eine solche Nation auf die Laenge sich nicht behaupten; billig erlitten die Kelten des Festlandes dasselbe Schicksal von den Roemern, das ihre Stammgenossen auf der irischen Insel bis in unsere Tage hinein von den Sachsen erleiden: das Schicksal, als Gaerungsstoff kuenftiger Entwicklung aufzugehen in eine staatlich ueberlegene Nationalitaet. Im Begriff, von der merkwuerdigen Nation zu scheiden, mag es gestattet sein, noch daran zu erinnern, dass in den Berichten der Alten ueber die Kelten an der Loire und Seine kaum einer der charakteristischen Zuege vermisst wird, an denen wir gewohnt sind, Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder: die Laessigkeit in der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und Raufen; die Prahlhansigkeit – wir erinnern an jenes in dem heiligen Hain der Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene Schwert des Caesar, das sein angeblicher ehemaliger Besitzer an der geweihten Staette laechelnd betrachtete und das heilige Gut sorgfaeltig zu schonen befahl; die Rede voll von Vergleichen und Hyperbeln, von Anspielungen und barocken Wendungen; der drollige Humor – ein vorzuegliches Beispiel davon ist die Satzung, dass, wenn jemand einem oeffentlich Redenden ins Wort faellt, dem Stoerenfried von Polizei wegen ein derbes und wohl sichtbares Loch in den Rock geschnitten wird; die innige Freude am Singen und Sagen von den Taten der Vorzeit und die entschiedenste Redner- und Dichtergabe; die Neugier – kein Kaufmann wird durchgelassen, bevor er auf offener Strasse erzaehlt hat, was er an Neuigkeiten weiss oder nicht weiss – und die tolle Leichtglaeubigkeit, die auf solche Nachrichten hin handelt, weshalb in den besser geordneten Kantons den Wandersleuten bei strenger Strafe verboten war, unbeglaubigte Berichte andern als Gemeindebeamten mitzuteilen; die kindliche Froemmigkeit, die in dem Priester den Vater sieht und ihn in allen Dingen um Rat fragt; die unuebertroffene Innigkeit des Nationalgefuehls und das fast familienartige Zusammenhalten der Landsleute gegen den Fremden; die Geneigtheit, unter dem ersten besten Fuehrer sich aufzulehnen und Banden zu bilden, daneben aber die voellige Unfaehigkeit, den sicheren, von Uebermut wie von Kleinmut entfernten Mut sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwarten und zum Losschlagen wahrzunehmen, zu irgendeiner Organisation, zu irgend fester militaerischer oder politischer Disziplin zu gelangen oder auch nur sie zu ertragen. Es ist und bleibt zu allen Zeiten und aller Orten dieselbe faule und poetische, schwachmuetige und innige, neugierige, leichtglaeubige, liebenswuerdige, gescheite, aber politisch durch und durch unbrauchbare Nation, und darum ist denn auch ihr Schicksal immer und ueberall dasselbe gewesen.
Aber dass dieses grosse Volk durch Caesars transalpinische Kriege zugrunde ging, ist noch nicht das bedeutendste Ergebnis dieses grossartigen Unternehmens; weit folgenreicher als das negative war das positive Resultat. Es leidet kaum einen Zweifel, dass, wenn das Senatsregiment sein Scheinleben noch einige Menschenalter laenger gefristet haette, die sogenannte Voelkerwanderung vierhundert Jahre frueher eingetreten sein wuerde, als sie eingetreten ist, und eingetreten sein wuerde zu einer Zeit, wo die italische Zivilisation sich weder in Gallien noch an der Donau noch in Afrika und Spanien haeuslich niedergelassen hatte. Indem der grosse Feldherr und Staatsmann Roms mit sicherem Blick in den deutschen Staemmen den ebenbuertigen Feind der roemisch-griechischen Welt erkannte; indem er das neue System offensiver Verteidigung mit fester Hand selbst bis ins einzelne hinein begruendete und die Reichsgrenzen durch Fluesse oder kuenstliche Waelle verteidigen, laengs der Grenze die naechsten Barbarenstaemme zur Abwehr der entfernteren kolonisieren, das roemische Heer durch geworbene Leute aus den feindlichen Laendern rekrutieren lehrte, gewann er der hellenisch-italischen Kultur die noetige Frist, um den Westen ebenso zu zivilisieren, wie der Osten bereits von ihr zivilisiert war. Gewoehnliche Menschen schauen die Fruechte ihres Tuns; der Same, den geniale Naturen streuen, geht langsam auf. Es dauerte Jahrhunderte, bis man begriff, dass Alexander nicht bloss ein ephemeres Koenigreich im Osten errichtet, sondern den Hellenismus nach Asien getragen habe; wieder Jahrhunderte, bis man begriff, dass Caesar nicht bloss den Roemern eine neue Provinz erobert, sondern die Romanisierung der westlichen Landschaften begruendet habe. Auch von jenen militaerisch leichtsinnigen und zunaechst erfolglosen Zuegen nach England und Deutschland haben erst die spaeten Nachfahren den Sinn erkannt. Ein ungeheurer Voelkerkreis, von dessen Dasein und Zustaenden bis dahin kaum der Schiffer und der Kaufmann einige Wahrheit und viele Dichtung berichtet hatten, ward durch sie der roemisch-griechischen Welt aufgeschlossen. “Taeglich”, heisst es in einer roemischen Schrift vom Mai 698 (56), “melden die gallischen Briefe und Botschaften uns bisher unbekannte Namen von Voelkern, Gauen und Landschaften”. Diese Erweiterung des geschichtlichen Horizonts durch Caesars Zuege jenseits der Alpen war ein weltgeschichtliches Ereignis, so gut wie die Erkundung Amerikas durch europaeische Scharen. Zu dem engen Kreis der Mittelmeerstaaten traten die mittel- und nordeuropaeischen Voelker, die Anwohner der Ost- und der Nordsee hinzu, zu der alten Welt eine neue, die fortan durch jene mitbestimmt ward und sie mitbestimmte. Es hat nicht viel gefehlt, dass bereits von Ariovist das durchgefuehrt ward, was spaeter dem gotischen Theoderich gelang. Waere dies geschehen, so wuerde unsere Zivilisation zu der roemisch-griechischen schwerlich in einem innerlicheren Verhaeltnis stehen als zu der indischen und assyrischen Kultur. Dass von Hellas und Italien vergangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren Weltgeschichte eine Bruecke hinueberfuehrt, dass Westeuropa romanisch, das germanische Europa klassisch ist, dass die Namen Themistokles und Scipio fuer uns einen anderen Klang haben, als Asoka und Salmanassar, dass Homer und Sophokles nicht wie die Veden und Kalidasa nur den literarischen Botaniker anziehen, sondern in dem eigenen Garten uns bluehen, das ist Caesars Werk; und wenn die Schoepfung seines grossen Vorgaengers im Osten von den Sturmfluten des Mittelalters fast ganz zertruemmert worden ist, so hat Caesars Bau die Jahrtausende ueberdauert, die dem Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt, den Schwerpunkt der Zivilisation selbst ihm verschoben haben, und fuer das, was wir Ewigkeit nennen, steht er aufrecht. Um das Bild der Verhaeltnisse Roms zu den Voelkern des Nordens in dieser Zeit zu vollenden, bleibt es noch uebrig, einen Blick auf die Landschaften zu werfen, die noerdlich der italischen und der griechischen Halbinsel, von den Rheinquellen bis zum Schwarzen Meer sich erstrecken. Zwar in das gewaltige Voelkergetuemmel, das auch dort damals gewogt haben mag, reicht die Fackel der Geschichte nicht und die einzelnen Streiflichter, die in dieses Gebiet fallen, sind, wie der schwache Schimmer in tiefer Finsternis, mehr geeignet zu verwirren als aufzuklaeren. Indes es ist die Pflicht des Geschichtschreibers, auch die Luecken in dem Buche der Voelkergeschichte zu bezeichnen; er darf es nicht verschmaehen, neben Caesars grossartigem Verteidigungssystem der duerftigen Anstalten zu gedenken, durch die die Feldherren des Senats nach dieser Seite hin die Reichsgrenze zu schuetzen vermeinten. Das nordoestliche Italien blieb nach wie vor den Angriffen der alpinischen Voelkerschaften preisgegeben. Das im Jahre 695 (59) bei Aquileia lagernde starke roemische Heer und der Triumph des Statthalters des Cisalpinischen Galliens, Lucius Afranius, lassen schliessen, dass um diese Zeit eine Expedition in die Alpen stattgefunden; wovon es eine Folge sein mag, dass wir bald darauf die Roemer in naeherer Verbindung mit einem Koenig der Noriker finden. Dass aber auch nachher Italien durchaus von dieser Seite nicht gesichert war, bewies der Ueberfall der bluehenden Stadt Tergeste durch die alpinischen Barbaren im Jahre 702 (52), als die transalpinische Insurrektion Caesar genoetigt hatte, Oberitalien ganz von Truppen zu entbloessen. Auch die unruhigen Voelker, die den illyrischen Kuestenstrich innehatten, machten ihren roemischen Herren bestaendig zu schaffen. Die Dalmater, schon frueher das ansehnlichste Volk dieser Gegend, vergroesserten durch Aufnahme der Nachbarn in ihren Verband sich so ansehnlich, dass die Zahl ihrer Ortschaften von zwanzig auf achtzig stieg. Als sie die Stadt Promona (nicht weit vom Kerkafluss), die sie den Liburniern entrissen hatten, diesen wiederherauszugeben sich weigerten, liess Caesar nach der Pharsalischen Schlacht gegen sie marschieren; aber die Roemer zogen hierbei zunaechst den kuerzeren, und infolgedessen ward Dalmatien fuer einige Zeit ein Herd der Caesar feindlichen Partei und wurde hier den Feldherren Caesars von den Einwohnern, in Verbindung mit den Pompeianern und mit den Seeraeubern, zu Lande und zu Wasser energischer Widerstand geleistet.
Makedonien endlich nebst Epirus und Hellas war so veroedet und heruntergekommen wie kaum ein anderer Teil des Roemischen Reiches. Dyrrhachion, Thessalonike, Byzantion hatten noch einigen Handel und Verkehr; Athen zog durch seinen Namen und seine Philosophenschule die Reisenden und die Studenten an; im ganzen aber lag ueber Hellas’ einst volkreichen Staedten und menschenwimmelnden Haefen die Ruhe des Grabes. Aber wenn die Griechen sich nicht regten, so setzten dagegen die Bewohner der schwer zugaenglichen makedonischen Gebirge nach alter Weise ihre Raubzuege und Fehden fort, wie denn zum Beispiel um 697/98 (57/56) Agraeer und Doloper die aetolischen Staedte, im Jahre 700 (54) die in den Drintaelern wohnenden Pirusten das suedliche Illyrien ueberrannten. Ebenso hielten es die Anwohner. Die Dardaner an der Nordgrenze wie die Thraker im Osten waren zwar in den achtjaehrigen Kaempfen 676 bis 683 (78-71) von den Roemern gedemuetigt worden; der maechtigste unter den thrakischen Fuersten, der Herr des alten Odrysenreichs Kotys, ward seitdem den roemischen Klientelkoenigen beigezaehlt. Allein nichtsdestoweniger hatte das befriedete Land nach wie vor von Norden und Osten her Einfaelle zu leiden. Der Statthalter Gaius Antonius ward uebel heimgeschickt, sowohl von den Dardanern, als auch von den in der heutigen Dobrudscha ansaessigen Staemmen, welche mit Hilfe der vom linken Donauufer herbeigezogenen, gefuerchteten Bastarner ihm bei Istropolis (Istere unweit Kustendsche) eine bedeutende Niederlage beibrachten (692-693 62-61). Gluecklicher focht Gaius Octavius gegen Besser und Thraker (694 60). Dagegen machte Marcus Piso (697-698 57-56) wiederum als Oberfeldherr sehr schlechte Geschaefte, was auch kein Wunder war, da er um Geld Freunden und Feinden gewaehrte, was sie wuenschten. Die thrakischen Dentheleten (am Strymon) pluenderten unter seiner Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stellten auf der grossen, von Dyrrhachion nach Thessalonike fuehrenden roemischen Heerstrasse selbst ihre Posten aus; in Thessalonike machte man sich darauf gefasst, von ihnen eine Belagerung auszuhalten, waehrend die starke roemische Armee in der Provinz nur da zu sein schien, um zuzusehen, wie die Bergbewohner und die Nachbarvoelker die friedlichen Untertanen Roms brandschatzten.
Dergleichen Angriffe konnten freilich Roms Macht nicht gefaehrden, und auf eine Schande mehr kam es laengst nicht mehr an. Aber eben um diese Zeit begann jenseits der Donau, in den weiten dakischen Steppen, ein Volk sich staatlich zu konsolidieren, das eine andere Rolle in der Geschichte zu spielen bestimmt schien als die Besser und die Dentheleten. Bei den Geten oder Dakern war in uralter Zeit dem Koenig des Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten, Zalmoxis genannt, der, nachdem er der Goetter Wege und Wunder auf weiten Reisen in der Fremde erkundet und namentlich die Weisheit der aegyptischen Priester und der griechischen Pythagoreer ergruendet hatte, in seine Heimat zurueckgekommen war, um in einer Hoehle des ‘Heiligen Berges’ als frommer Einsiedler sein Leben zu beschliessen. Nur dem Koenig und dessen Dienern blieb er zugaenglich und spendete ihm und durch ihn dem Volke seine Orakel fuer jedes wichtige Beginnen. Seinen Landsleuten galt er anfangs als Priester des hoechsten Gottes und zuletzt selber als Gott, aehnlich wie es von Moses und Aaron heisst, dass der Herr den Aaron zum Propheten und zum Gotte des Propheten den Moses gesetzt habe. Es war hieraus eine bleibende Institution geworden: von Rechts wegen stand dem Koenig der Geten ein solcher Gott zur Seite, aus dessen Munde alles kam oder zu kommen schien, was der Koenig befahl. Diese eigentuemliche Verfassung, in der die theokratische Idee der, wie es scheint, absoluten Koenigsgewalt dienstbar geworden war, mag den getischen Koenigen eine Stellung ihren Untertanen gegenueber gegeben haben, wie etwa die Kalifen sie gegenueber den Arabern haben; und eine Folge davon war die wunderbare religioes-politische Reform der Nation, welche um diese Zeit der Koenig der Geten, Burebistas, und der Gott, Dekaeneos, durchsetzten. Das namentlich durch beispiellose Voellerei sittlich und staatlich gaenzlich heruntergekommene Volk ward durch das neue Maessigkeits- und Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt; mit seinen sozusagen puritanisch disziplinierten und begeisterten Scharen gruendete Koenig Burebistas binnen wenigen Jahren ein gewaltiges Reich, das auf beiden Ufern der Donau sich ausbreitete und suedwaerts bis tief in Thrakien, Illyrien und das nordische Land hinein reichte. Eine unmittelbare Beruehrung mit den Roemern hatte noch nicht stattgefunden, und es konnte niemand sagen, was aus diesem sonderbaren, an die Anfaenge des Islam erinnernden Staat werden moege; das aber mochte man, auch ohne Prophet zu sein, vorherzusagen, dass Prokonsuln wie Antonius und Piso nicht berufen waren, mit Goettern zu streiten. 8. Kapitel
Pompeius’ und Caesars Gesamtherrschaft Unter den Demokratenchefs, die seit Caesars Konsulat sozusagen offiziell als die gemeinschaftlichen Beherrscher des Gemeinwesens, als die regierenden “Dreimaenner” anerkannt waren, nahm der oeffentlichen Meinung zufolge durchaus die erste Stelle Pompeius ein. Er war es, der den Optimaten der “Privatdiktator” hiess; vor ihm tat Cicero seinen vergeblichen Fussfall; ihm galten die schaerfsten Sarkasmen in den Mauerplakaten des Bibulus, die giftigsten Pfeile in den Salonreden der Opposition. Es war dies nur in der Ordnung. Nach den vorliegenden Tatsachen war Pompeius unbestritten der erste Feldherr seiner Zeit, Caesar ein gewandter Parteifuehrer und Parteiredner, von unleugbaren Talenten, aber ebenso notorisch von unkriegerischem, ja weibischem Naturell. Diese Urteile waren seit langem gelaeufig; man konnte es von dem vornehmen Poebel nicht erwarten, dass er um das Wesen der Dinge sich kuemmere und einmal festgestellte Plattheiten wegen obskurer Heldentaten am Tajo aufgebe. Offenbar spielte Caesar in dem Bunde nur die Rolle des Adjutanten, der das fuer seinen Chef ausfuehrte, was Flavius, Afranius und andere, weniger faehige Werkzeuge versucht und nicht geleistet hatten. Selbst seine Statthalterschaft schien dies Verhaeltnis nicht zu aendern. Eine sehr aehnliche Stellung hatte erst kuerzlich Afranius eingenommen, ohne darum etwas Besonderes zu bedeuten; mehrere Provinzen zugleich waren in den letzten Jahren wiederholentlich einem Statthalter untergeben und schon oft weit mehr als vier Legionen in einer Hand vereinigt gewesen; da es jenseits der Alpen wieder ruhig und Fuerst Ariovist von den Roemern als Freund und Nachbar anerkannt war, so war auch keine Aussicht zur Fuehrung eines irgend ins Gewicht fallenden Krieges. Die Vergleichung der Stellungen, wie sie Pompeius durch das Gabinisch-Manilische, Caesar durch das Vatinische Gesetz erhalten hatten, lag nahe; allein sie fiel nicht zu Caesars Vorteil aus. Pompeius gebot fast ueber das gesamte Roemische Reich, Caesar ueber zwei Provinzen. Pompeius standen die Soldaten und die Kassen des Staats beinahe unbeschraenkt zur Verfuegung, Caesar nur die ihm angewiesenen Summen und ein Heer von 24000 Mann. Pompeius war es anheimgegeben, den Zeitpunkt seines Ruecktritts selber zu bestimmen; Caesars Kommando war ihm zwar auf lange hinaus, aber doch nur auf eine begrenzte Frist gesichert. Pompeius endlich war mit den wichtigsten Unternehmungen zur See und zu Lande betraut worden; Caesar ward nach Norden gesandt, um von Oberitalien aus die Hauptstadt zu ueberwachen und dafuer zu sorgen, dass Pompeius ungestoert sie beherrsche. Aber als Pompeius von der Koalition zum Beherrscher der Hauptstadt bestellt ward, uebernahm er, was ueber seine Kraefte weit hinausging. Pompeius verstand vom Herrschen nichts weiter, als was sich zusammenfassen laesst in Parole und Kommando. Die Wellen des hauptstaedtischen Treibens gingen hohl, zugleich von vergangenen und von zukuenftigen Revolutionen; die Aufgabe, diese in jeder Hinsicht dem Paris des neunzehnten Jahrhunderts vergleichbare Stadt ohne bewaffnete Macht zu regieren, war unendlich schwer, fuer jenen eckigen vornehmen Mustersoldaten aber geradezu unloesbar. Sehr bald war er so weit, dass Feinde und Freunde, beide ihm gleich unbequem, seinetwegen machen konnten, was ihnen beliebte; nach Caesars Abgang von Rom beherrschte die Koalition wohl noch die Geschicke der Welt, aber nicht die Strassen der Hauptstadt. Auch der Senat, dem ja immer noch eine Art nominellen Regiments zustand, liess die Dinge in der Hauptstadt gehen, wie sie gehen konnten und mochten; zum Teil, weil der von der Koalition beherrschten Fraktion dieser Koerperschaft die Instruktionen der Machthaber fehlten, zum Teil, weil die grollende Opposition aus Gleichgueltigkeit oder Pessimismus beiseite trat, hauptsaechlich aber, weil die gesamte hochadlige Koerperschaft ihre vollstaendige Ohnmacht wo nicht zu begreifen, doch zu fuehlen begann. Augenblicklich also gab es in Rom nirgends eine Widerstandskraft irgendwelcher Regierung, nirgends eine wirkliche Autoritaet. Man lebte im Interregnum zwischen dem zertruemmerten aristokratischen und dem werdenden militaerischen Regiment; und wenn das roemische Gemeinwesen wie kein anderes alter oder neuer Zeit alle verschiedensten politischen Funktionen und Organisationen rein und normal dargestellt hat, so erscheint in ihm auch die politische Desorganisation, die Anarchie, in einer nicht beneidenswerten Schaerfe. Es ist ein seltsames Zusammentreffen, dass in denselben Jahren, in welchen Caesar jenseits der Alpen ein Werk fuer die Ewigkeit schuf, in Rom eine der tollsten politischen Grotesken aufgefuehrt ward, die jemals ueber die Bretter der Weltgeschichte gegangen ist. Der neue Regent des Gemeinwesens regierte nicht, sondern schloss sich in sein Haus ein und maulte im stillen. Die ehemalige, halb abgesetzte Regierung regierte gleichfalls nicht, sondern seufzte, bald einzeln in den traulichen Zirkeln der Villen, bald in der Kurie im Chor. Der Teil der Buergerschaft, dem Freiheit und Ordnung noch am Herzen lagen, war des wuesten Treibens uebersatt; aber voellig fuehrer- und ratlos verharrte er in nichtiger Passivitaet und mied nicht bloss jede politische Taetigkeit, sondern, soweit es anging, das politische Sodom selbst. Dagegen: das Gesindel aller Art hatte nie bessere Tage, nie lustigere Tummelplaetze gehabt. Die Zahl der kleinen grossen Maenner war Legion. Die Demagogie ward voellig zum Handwerk, dem denn auch das Handwerkszeug nicht fehlte: der verschabte Mantel, der verwilderte Bart, das langflatternde Haar, die tiefe Bassstimme; und nicht selten war es ein Handwerk mit goldenem Boden. Fuer die stehenden Bruellaktionen waren die geprueften Gurgeln des Theaterpersonals ein begehrter Artikel ^1; Griechen und Juden, Freigelassene und Sklaven waren in den oeffentlichen Versammlungen die regelmaessigsten Besucher und die lautesten Schreier; selbst wenn es zum Stimmen ging, bestand haeufig nur der kleinere Teil der Stimmenden aus verfassungsmaessig stimmberechtigten Buergern. “Naechstens”, heisst es in einem Briefe aus dieser Zeit, “koennen wir erwarten, dass unsere Lakaien die Freilassungssteuer abvotieren.” Die eigentlichen Maechte des Tages waren die geschlossenen und bewaffneten Banden, die von vornehmen Abenteurern aus fechtgewohnten Sklaven und Lumpen aufgestellten Bataillone der Anarchie. Ihre Inhaber hatten von Haus aus meistenteils zur Popularpartei gezaehlt; aber seit Caesars Entfernung, der der Demokratie allein zu imponieren und allein sie zu lenken verstanden hatte, war aus derselben alle Disziplin entwichen und jeder Parteigaenger machte Politik auf seine eigene Hand. Am liebsten fochten diese Leute freilich auch jetzt noch unter dem Panier der Freiheit; aber genau genommen waren sie weder demokratisch noch antidemokratisch gesinnt, sondern schrieben auf die einmal unentbehrliche Fahne, wie es fiel, bald den Volksnamen, bald den Namen des Senats oder den eines Parteichefs; wie denn zum Beispiel Clodius nacheinander fuer die herrschende Demokratie, fuer den Senat und fuer Crassus gefochten oder zu fechten vorgegeben hat. Farbe hielten die Bandenfuehrer nur insofern, als sie ihre persoenlichen Feinde, wie Clodius den Cicero, Milo den Clodius, unerbittlich verfolgten, wogegen die Parteistellung ihnen nur als Schachzug in diesen Personenfehden diente. Man koennte ebensogut ein Charivari auf Noten setzen als die Geschichte dieses politischen Hexensabbaths schreiben wollen; es liegt auch nichts daran, all die Mordtaten, Haeuserbelagerungen, Brandstiftungen und sonstigen Raeuberszenen inmitten einer Weltstadt aufzuzaehlen und nachzurechnen, wie oft die Skala vom Zischen und Schreien zum Anspeien und Niedertreten und von da zum Steinewerfen und Schwerterzuecken durchgemacht ward. Der Protagonist auf diesem politischen Lumpentheater war jener Publius Clodius, dessen, wie schon erwaehnt ward, die Machthaber sich gegen Cato und Cicero bedienten. Sich selbst ueberlassen, trieb dieser einflussreiche, talentvolle, energische und in seinem Metier in der Tat musterhafte Parteigaenger waehrend seines Volkstribunats (696 58) ultrademokratische Politik, gab den Staedtern das Getreide umsonst, beschraenkte das Recht der Zensoren, sittenlose Buerger zu bemaekeln, untersagte den Beamten, durch religioese Formalitaeten den Gang der Komitialmaschine zu hemmen, beseitigte die Schranken, die kurz zuvor (690 64), um dem Bandenwesen zu steuern, dem Assoziationsrecht der niederen Klassen gesetzt worden waren, und stellte die damals aufgehobenen “Strassenklubs” (collegia compitalicia) wieder her, welche nichts anderes waren als eine foermliche, nach den Gassen abgeteilte und fast militaerisch gegliederte Organisation des gesamten hauptstaedtischen Freien- oder Sklavenproletariats. Wenn dazu noch das weitere Gesetz, das Clodius ebenfalls bereits entworfen hatte und als Praetor 702 (52) einzubringen gedachte, den Freigelassenen und den im tatsaechlichen Besitz der Freiheit lebenden Sklaven die gleichen politischen Rechte mit den Freigeborenen gab, so konnte der Urheber all dieser tapferen Verfassungsbesserungen sein Werk fuer vollendet erklaeren und als neuer Numa der Freiheit und Gleichheit den suessen Poebel der Hauptstadt einladen, in dem auf einer seiner Brandstaetten am Palatin von ihm errichteten Tempel der Freiheit ihn zur Feier des eingetretenen demokratischen Millenniums das Hochamt zelebrieren zu sehen. Natuerlich schlossen diese Freiheitsbestrebungen den Schacher mit Buergerschaftsbeschluessen nicht aus; wie Caesar hielt auch Caesars Affe fuer seine Mitbuerger Statthalterschaften und andere Posten und Poestchen, fuer die untertaenigen Koenige und Staedte die Herrlichkeitsrechte des Staates feil.
———————————————— ^1 Das heisst cantorum convicio contiones celebrare (Cic. Sest. 55, 118). ———————————————— All diesen Dingen sah Pompeius zu, ohne sich zu regen. Wenn er es nicht empfand, wie arg er damit sich kompromittierte, so empfand es sein Gegner. Clodius ward so dreist, dass er ueber eine ganz gleichgueltige Frage, die Ruecksendung eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem Regenten von Rom geradezu anband; und bald ward der Zwist zur foermlichen Fehde, in der Pompeius’ voellige Hilflosigkeit zu Tage kam. Das Haupt des Staates wusste dem Parteigaenger nichts anders zu begegnen als mit dessen eigenen, nur weit ungeschickter gefuehrten Waffen. War er von Clodius wegen des armenischen Prinzen schikaniert worden, so aergerte er ihn wieder, indem er den von Clodius ueber alles gehassten Cicero aus dem Exil erloeste, in das ihn Clodius gesandt hatte, und erreichte denn auch so gruendlich seinen Zweck, dass er den Gegner in einen unversoehnlichen Feind verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden die Strassen unsicher machte, so liess der siegreiche Feldherr gleichfalls Sklaven und Fechter marschieren, in welchen Balgereien natuerlich der General gegen den Demagogen den kuerzeren zog, auf der Strasse geschlagen, und von Clodius und dessen Spiessgesellen Gaius Cato in seinem Garten fast bestaendig in Belagerung gehalten ward. Es ist nicht der am wenigsten merkwuerdige Zug in diesem merkwuerdigen Schauspiel, dass in ihrem Hader der Regent und der Schwindler beide wetteifernd um die Gunst der gestuerzten Regierung buhlten, Pompeius, zum Teil auch, um dem Senat gefaellig zu sein, Ciceros Zurueckberufung zuliess, Clodius dagegen die Julischen Gesetze fuer nichtig erklaerte und Marcus Bibulus aufrief, deren verfassungswidrige Durchbringung oeffentlich zu bezeugen! Ein positives Resultat konnte natuerlicherweise aus diesem Brodel trueber Leidenschaften nicht hervorgehen; der eigentlichste Charakter desselben war eben seine bis zum Graesslichen laecherliche Zwecklosigkeit. Selbst ein Mann von Caesars Genialitaet hatte es erfahren muessen, dass das demokratische Treiben vollstaendig abgenutzt war und sogar der Weg zum Thron nicht mehr durch die Demagogie ging. Es war nichts weiter als ein geschichtlicher Lueckenbuesser, wenn jetzt, in dem Interregnum zwischen Republik und Monarchie, irgendein toller Geselle mit des Propheten Mantel und Stab, die Caesar selbst abgelegt hatte, sich noch einmal staffierte und noch einmal Gaius Gracchus’ grosse Ideale parodisch verzerrt ueber die Szene gingen; die sogenannte Partei, von der diese demokratische Agitation ausging, war so wenig eine, dass ihr spaeter in dem Entscheidungskampf nicht einmal eine Rolle zufiel. Selbst das laesst sich nicht behaupten, dass durch diesen anarchistischen Zustand das Verlangen nach einer starken, auf Militaermacht gegruendeten Regierung in den Gemuetern der politisch indifferent Gesinnten lebendig angefacht worden sei. Auch abgesehen davon, dass diese neutrale Buergerschaft hauptsaechlich ausserhalb Roms zu suchen war und also von dem hauptstaedtischen Krawallieren nicht unmittelbar beruehrt ward, so waren diejenigen Gemueter, die ueberhaupt durch solche Motive sich bestimmen liessen, schon durch fruehere Erfahrungen, namentlich die Catilinarische Verschwoerung, gruendlich zum Autoritaetsprinzip bekehrt worden; auf die eigentlichen Aengsterlinge aber wirkte die Furcht vor der von dem Verfassungsumsturz unzertrennlichen, ungeheuren Krise bei weitem nachdruecklicher als die Furcht vor der blossen Fortdauer der im Grunde doch sehr oberflaechlichen hauptstaedtischen Anarchie. Das einzige Ergebnis derselben, das geschichtlich in Anschlag kommt, ist die peinliche Stellung, in die Pompeius durch die Angriffe der Clodianer geriet und durch die seine weiteren Schritte wesentlich mitbedingt wurden. Wie wenig Pompeius auch die Initiative liebte und verstand, so ward er doch diesmal durch die Veraenderung seiner Stellung sowohl Clodius als Caesar gegenueber gezwungen, aus seiner bisherigen Passivitaet herauszutreten. Die verdriessliche und schimpfliche Lage, in die ihn Clodius versetzt hatte, musste auf die Laenge selbst seine traege Natur zu Hass und Zorn entflammen. Aber weit wichtiger war die Verwandlung, die in seinem Verhaeltnis zu Caesar stattgefunden hatte. Wenn von den beiden verbuendeten Machthabern Pompeius in der uebernommenen Taetigkeit vollkommen bankrott geworden war, so hatte Caesar aus seiner Kompetenz etwas zu machen gewusst, was jede Berechnung wie jede Befuerchtung weit hinter sich liess. Ohne wegen der Erlaubnis viel anzufragen, hatte Caesar durch Aushebungen in seiner grossenteils von roemischen Buergern
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