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  • 1796
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Daß eine warme Hand sein starres Herz berühre. Und, wie vom Tod erweckt, erhob er sich und sah Die Schöne abermahl zu seiner Seite stehen, Die keiner Sterblichen in seinen Augen gleicht, Und dreymahl schöner, wie ihm däucht,
Und holder als er sie zum ersten Mahl gesehen.

61
Stillschweigend schauten sie einander beide an, Mit Blicken, die sich das unendlich stärker sagten, Was ihre Lippen noch nicht auszusprechen wagten. Ihm ward in ihrem Aug’ ein Himmel aufgethan, Wo sich in eine See von Liebe
Die Seele taucht. Bald wird das Übermaß der Lust Zum Schmerz: er sinkt im Drang der unaufhaltbar’n Triebe In ihren Arm, und drückt sein Herz an ihre Brust.

62
Er fühlt der Nymfe Herz an seinem Busen schlagen, Der Glückliche! wie schnell, wie stark, wie warm! Und–plötzlich hört es auf zu tagen,
Auf schwarzen Wolken rollt des Donners Feuerwagen, Laut heulend bebt der Stürme wilder Schwarm; Von unsichtbarer Macht wird schnell aus seinem Arm Im Wirbelwind die Nymfe fortgerissen
Und in die Flut des nahen Stroms geschmissen.

63
Er hört ihr ängstlich Schrey’n, will nach–o Höllenpein! Und kann nicht! steht, entseelt vor Schrecken, Starr wie ein Bild auf einem Leichenstein. Vergebens strebt er, keicht, und ficht mit Arm und Bein; Er glaubt in Eis bis an den Hals zu stecken, Sieht aus den Wellen sie die Arme bittend strecken, Und kann nicht schreyn, nicht, wie der Liebe Wuth Ihn spornt, ihr nach sich stürzen in die Flut.

64
Herr! ruft ihm Scherasmin, da er sein banges Schnauben Vernimmt, erwacht, erwacht! ein böser Traum Schnürt euch die Kehle zu.–Fort, Geister, macht mir Raum, Schreyt Hüon, wollt ihr mir auch ihren Schatten rauben? Und wüthend fährt er auf aus seinem Traumgesicht; Noch klopft von Todesangst umfangen
Sein stockend Herz, er starrt ins Tageslicht Hinaus, und kalter Schweiß liegt auf den bleichen Wangen.

65
Das war ein schwerer Traum, ruft ihm der Alte zu: Ihr lagt vermuthlich wohl zu lange auf dem Rücken? Ein Traum? seufzt Siegwins Sohn mit minder wilden Blicken, Das war’s! allein ein Traum, der meines Herzens Ruh Auf ewig raubt!–“Das wolle Gott verwehren, Mein bester Herr!–Sag’ mir im Ernste, (spricht Der Ritter ernstvoll) glaubst du nicht
Daß Träume dann und wann der Zukunft uns belehren?

66
Man hat Exempel, Herr,–und wahrlich, seit ich euch Begleite, läugn’ ich nichts, erwiedert ihm der Alte. Doch, wenn ich euch die reine Wahrheit gleich Gestehen soll, so sag’ ich frey, ich halte Nicht viel von Träumen. Fleisch und Blut Hat, wenigstens bey mir, sein Spiel so oft ich träume: Dieß wußten unsre Alten gut,
Und lehrten’s uns im wohl bekannten Reime.

67
Inzwischen, wenn ihr mir den Inhalt eures Traums Vertrautet, könnt’ ich euch vielleicht was bessers reimen. Das will ich auch, spricht Hüon, ohne Säumen. Kaum röthet noch den Gipfel jenes Baums
Der Morgenstrahl. Wir haben Zeit zum Werke. Nur reiche mir zuvor den Becher her,
Damit ich meine Geister stärke:
Es liegt mir auf der Brust noch immer zentnerschwer.

68
Indeß der wundervolle Becher
Den Ritter labt, sieht ihn der Alte, still, Als einer an, dem’s nicht gefallen will, Den wackern Sohn des braven Siegwins schwächer, Als einem Manne ziemt, zu sehn.
Ey (denkt er bey sich selbst, kopfschüttelnd) im Erwachen Noch so viel Werks aus einem Traum zu machen! Doch, weil’s nun so ist, mag’s zum Frühstück immer gehn!

Vierter Gesang.

1
Der Paladin beginnt nun seine Traumgeschichte Wie folget: Was du auch, mein guter Scherasmin, Von dem, was ich dir itzt berichte,
Im Herzen denken magst, so ist’s doch kein Gedichte, Daß ich, Gott sey es Dank! noch stets an Leib und Sinn, So wie du hier mich siehst, ein reiner Jüngling bin. Nie hat vor diesem Tag in meinem ganzen Leben Mein unbefangnes Herz der Liebe Raum gegeben.

2
Es waren zwar der schönen Jungfrauen viel An meiner Mutter Hof, und an Gelegenheiten, Die einen Knaben leicht zur Tändeley verleiten, Gebrach es nicht, zumahl beym Pfänderspiel: Da gab’s wohl manchmahl auch ein Strumpfband aufzulösen; Allein der schönste Fuß ließ meine Fantasey In stolzer Ruh; und wär’s Genevrens Fuß gewesen, Es war ein Fuß, mehr dacht’ ich nicht dabey.

3
Daß ich von Kindheit an so viele offne Busen Und bloße Schultern sah, mocht’ auch mit Ursach’ seyn. Gewohnheit gleicht in diesem Stück Medusen, Und für das Schönste selbst verkehrt sie uns in Stein. Allein, was half mir’s, frey geblieben
Zu seyn bis in mein zweymahl zehntes Jahr? Auch meine Stunde kam! Ach, Freund! mein Schicksal war Im Traum zum ersten Mahl zu lieben.

4
Ja, Scherasmin, nun hab’ ich sie gesehn, Sie, von den Sternen mir zur Siegerin erkohren; Gesehen hab’ ich sie, und, ohne Widerstehn, Beym ersten Blick mein Herz an sie verloren. Du sprichst, es war ein Traum? Nein, Mann! ein Hirngespenst Kann nicht so tiefe Spuren graben!
Und wenn du tausendmahl mich einen Thoren nennst, Sie lebt, ich hatte sie, und muß sie wieder haben.

5
O hättest du den holden Engel doch
Gesehn wie ich!–Zwar, wenn ich mahlen könnte, Ich stellte sie dir hin, so glühend wie sie noch Vor meiner Stirne schwebt, und bin gewiß, sie brennte Dein altes Herz zu einer Kohle aus.
O daß nur etwas mir geblieben wär’, das Leben Von ihr empfing! ach! nur der Blumenstrauß An ihrer Brust! was wollt’ ich nicht drum geben!

6
Denk dir ein Weib im reinsten Jugendlicht, Nach einem Urbild von dort oben
Aus Rosengluth und Lilienschnee gewoben; Gieb ihrem Bau das feinste Gleichgewicht; Ein stilles Lächeln schweb’ auf ihrem Angesicht, Und jeder Reitz, von Majestät erhoben,
Erweck’ und schrecke zugleich die lüsterne Begier: Denk alles, und du hast den Schatten kaum von ihr!

7
Und nun, sanft angelockt von ihren süßen Blicken, Dieß holde Weib, das nur die Luftgestalt Von einem Engel schien, an meine Brust zu drücken, Zu fühlen, wie ihr Herz in meines überwallt, Ist’s möglich, daß ich vor Entzücken
Nicht gar verging?–Nun komm, und sprich mir kalt, Es war ein Traum! Wie schal, wie leer und todt ist neben So einem Traum mein vorigs ganzes Leben!

8
Noch einmahl, Scherasmin, es war kein Schattenspiel Im Sitz der Fantasie aus Weindunst ausgegohren! Ein unbetrügliches Gefühl
Sagt mir, sie lebt, sie ist für mich geboren. Vielleicht war’s Oberon, der sie erscheinen ließ. Ist’s Wahn: o laß ihn mir! die Täuschung ist so süß! Doch, nichts von Wahn! Kann solch ein Traum betrügen, O so ist alles Wahn! so kann die Wahrheit lügen!

9
Der Alte wiegt sein zweifelreiches Haupt, Wie wenn man euch ein Wunderding erzählet, Wovon ihr nichts im Herzen glaubt,
Wiewohl euch Grund es wegzuläugnen fehlet. Was denkst du? fragt der Ritter.–Das ist’s just Was mich verlegen macht, versetzt der Unverliebte: Ich hätte freylich wohl zu manchem Einwurf Lust; Allein was hälf’s am End’, als daß ich euch betrübte?

10
Nur, vor der Hand, weil euer fürstlich Wort Euch einmahl gegen Karl verbindet,
So, dächt’ ich, setzten wir den Zug nach Bagdad fort. Vielleicht daß unterwegs der Zauber wieder schwindet; Vielleicht daß Oberon dabey sein bestes thut, Und unversehens sich die Traumprinzessin findet. Inzwischen, lieber Herr, thut euch die Hoffnung gut, So hofft! Man macht dabey zum mindsten rothes Blut.

11
Weil dieß der Knappe spricht, steht mit gesenkter Stirne Der Ritter da; denn plötzlich hatte sich In seinem liebeskranken Hirne
Die Scene umgekehrt. Ach, spricht er, täusche mich Nicht auch mit falschem Trost! Feindselige Gestirne Sind über mir. Was kann ich hoffen? Sprich! Der Sturm, der sie von meiner Brust gerissen, Läßt, leider, mich zu viel von meinem Schicksal wissen.

12
Entrissen ward sie mir! Noch streckt sie aus der Flut Die Arme gegen mich–noch stockt vor Angst mein Blut– Und ach! wie an den Grund mit Ketten
Geschmiedet, stand ich da, ohnmächtig sie zu retten! Das war im Traum, spricht Scherasmin: wofür Euch ohne Noth mit schwarzer Ahnung grämen? Ein Traum läßt nie von Art. Das beste, glaubet mir, Ist’s, sich daraus nur was uns freut zu nehmen.

13
Daß euch im Traum ein wohl gewogner Geist Die künft’ge Königin von euerm Herzen weist, Das hat er gut gemacht! So etwas läßt sich glauben, Und kurz, wir nehmen’s nun für bare Wahrheit an. Allein den Strom, den Wirbelwind, die Schrauben An Hand und Fuß, die hat der Traum hinzu gethan. Mir selbst ist oft in meinen jüngern Jahren, Wenn mich der Alp gedrückt, dergleichen widerfahren.

14
Da, zum Exempel, läuft ein schwarzer Zottelbär, Indem ich wandeln geh’, der Himmel weiß woher, Mir in den Weg; ich greif’ im Schrecken nach dem Degen Und zieh’, und zieh’–umsonst! Ein plötzlich Unvermögen Strickt jede Sehne mir in allen Gliedern los; Zusehens wird der Bär noch siebenmahl so groß, Sperrt einen Rachen auf so gräßlich wie die Hölle; Ich flieh’ und ängst’ge mich, und kann nicht von der Stelle.

15
Ein andermahl, wenn ihr von einem Abendschmaus Nach Haus zu gehen träumt, bey einem alten Gaden Vorbey; auf einmahl knarrt ein kleiner Fensterladen, Und eine Nase guckt heraus
So lang als euer Arm. Ihr sucht, halb starr vor Schrecken, Ihr zu entfliehn, und vorn und hinten stehn Gespenster da, die ins Gesicht euch sehn, Und feur’ge Zungen weit aus langen Hälsen recken.

16
Ihr drückt in Todesangst euch seitwärts an die Wand Die gegenüber steht–und eine dürre Hand Fährt durch ein rundes Loch euch eiskalt übern Rücken, Und sucht an euch herum, euch da und dort zu zwicken. Ein jedes Haar auf euerm Kopfe kehrt
Die Spitz’ empor, zur Flucht ist jeder Weg verwehrt, Die Gasse wird zusehens immer enger,
Stets frostiger die Hand, die Nase immer länger.

17
Dergleichen, wie gesagt, begegnet oft und viel; Allein, am End’ ist’s doch ein bloßes Possenspiel, Das Nachtgespenster sich in unserm Schädel machen; Die Nase sammt der Angst verschwindet im Erwachen. Ich dächt’ an euerm Platz dem Ding nicht weiter nach, Und hielte mich an das, was mir der Zwerg versprach. Frisch auf! Mir ahnet was! Es müßte übel enden, Wenn wir die Dame nicht in Bagdad wiederfänden.

18
Bey diesem Worte springt der Ritter, angeweht Von frischem Muth, empor, als hätt’ ihm nichts geträumt. Der Morgenluft entgegen wiehernd, steht
Sein Renner schon gesattelt und gezäumet. Er schwingt sich auf, und wie er aus dem Feld Zurücke schaut, verschwunden ist das Zelt: In einem Wink erhob sich’s aus dem Rasen, In einem Wink war alles weggeblasen.

19
Sie zogen nun dem Lauf des hohen Eufrats nach, Von Palmen und Gebüsch vorm Sonnenstrahl geborgen, Durchs schönste Land der Welt, stillschweigend, keiner sprach Ein Wort, wiewohl’s an Stoff zum Reden nicht gebrach; Denn jeder war vertieft in andre Sorgen. Die reine Luft, der angenehme Morgen,
Der Vögel Lustgesang, des Stromes stiller Lauf, Weckt beider Fantasie aus leisem Schlummer auf.

20
Der Ritter sieht in ihrem Zauberspiegel Nichts sehenswerth als das geliebte Bild. Er mahlt die Göttin sich auf seinen blanken Schild, Erklimmt auf ihrer Spur des Taurus schroffsten Hügel, Steigt, sie erfragend, bis in Merlins furchtbars Grab, Bekämpft die Riesen und die Drachen,
Die um das Schloß, worin sie schmachtet, wachen, Und kämpfte sie der ganzen Hölle ab.

21
Indessen er, in eingebildeter Wonne, Die schwer errungne Braut an seinen Busen drückt, Sieht unvermerkt ans Ufer der Garonne,
Wo er als Kind den ersten Strauß gepflückt, Von Eufrats Ufern weg der Alte sich verzückt. Nein, denkt er, nirgends scheint doch unsers Herrgotts Sonne So mild als da, wo sie zuerst mir schien, So lachend keine Flur, so frisch kein andres Grün!
22
Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen, Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand, Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor allen dir gewogen, Fühlt überall nach dir sich heimlich hingezogen, Fühlt selbst im Paradies sich doch aus dir verbannt; O möchte wenigstens mich nicht die Ahnung trügen, Bey meinen Vätern einst in deinem Schooß zu liegen!

23
In solcher Träumerey schwind’t unvermerkt der Raum Der sie von Bagdad trennt, bis itzt die Mittagshitze In einen Wald sie treibt, der vor der Gluth sie schütze. Noch ruhten sie um einen alten Baum,
Wo dichtes Moos sich schwellt zum weichen Sitze, Und Oberons Pokal erfrischt den trocknen Gaum; Als, eben da er sich zum dritten Mahle füllet, Ein gräßliches Geschrey in ihre Ohren brüllet.

24
Sie springen auf. Der Ritter faßt sein Schwert Und fleugt dahin, woher die Zetertöne schallen! Und sieh! ein Sarazen zu Pferd,
Von einem Löwen angefallen,
Kämpft aus Verzweiflung noch, erschöpft an Kraft und Muth, Mit matter Faust. Schon taumelt halb zerrissen Sein Roß, und wälzt mit ihm in einem Strom von Blut Sich um, und hat vor Angst die Stange durchgebissen.

25
Grimmschnaubend stürzt der Löw’ auf seinen Gegner los, Aus jedem Blick schießt eine Feuerflamme. Indem fährt Hüons Stahl ihm seitwärts in die Wamme. Der Thiere Fürst, den solch ein Gruß verdroß, Erwiedert ihn mit einer langen Schramme, Nach der des Ritters Blut aus tausend Quellchen floß: Hätt’ Angulaffers Ring nicht über ihm gewaltet, Ihn hätt’ auf Einen Zug der Löw’ entzwey gespaltet.

26
Herr Hüon rafft, was er an Kraft vermag, Zusammen, (denn sein Tod blitzt aus des Löwen Blicke) Und stößt sein kurzes Schwert mit Macht ihm ins Genicke. Vergebens schwingt sich noch der Schweif zu einem Schlag, Von dem, wofern der Ritter nicht zurücke Gesprungen wär’, er halb zerschmettert lag; Vergebens dräuet noch die fürchterliche Tatze; Ein Streich von Scherasmin erlegt ihn auf dem Platze.

27
Der Sarazen (den reichen Steinen nach, Die hoch auf seinem Turban blitzen,
Ein Mann von Wichtigkeit) schien noch vor Angst zu schwitzen. Die Ritter führen ihn am Arme ganz gemach Den Räumen zu, in deren Schirm sie lagen; Man reicht zur Stärkung ihm den goldnen Becher dar, Und auf Arabisch spricht der Alte: Herr, fürwahr, Ihr habt dem Gott der Christen Dank zu sagen!

28
Mit schelem Auge nimmt der Held’ aus Hüons Hand Den Becher voll, und wie er an der Lippen Rand Ihn bringt, versiegt der Wein, und glühend wird der Becher In seiner Faust, der innern Schalkheit Rächer! Er schleudert ihn laut brüllend weit von sich, Und stampft, und tobt, und lästert fürchterlich. Herr Hüon, dem es graut ihm länger zuzuhören, Zieht sein geweihtes Schwert, den Helden zu bekehren.

29
Allein, der Schalk, der übermannt sich hält, Hat keine Lust zur Gegenwehr zu stehen;
Wie ein gejagter Strauß läuft er ins nahe Feld, Wo beide Pferd’ im Grase weiden gehen.
Risch schwingt er sich auf Hüons Klepper, faßt Ihn bey der Mähn’, und mit verhängten Zügeln Rennt er davon, in solcher Angst und Hast, Als säß’ er zwischen Sturmwindsflügeln.

30
Das Abenteu’r war freylich ärgerlich; Allein was half’s, dem Lecker nachzulaufen? Zum Glücke war ein Ding, das einem Maulthier glich, Im nächsten Dorf um wenig Geld zu kaufen. Das arme Thier, durchsichtiger als Glas, Schien kaum belebt genug, bis Bagdad auszureichen; Doch däucht’s dem Alten noch auf dessen Rückgrat baß Als seinem Herrn zu Fuße nachzukeichen.

31
So setzten beide nun nach dem gewünschten Port Den ritterlichen Zug so gut sie konnten fort. Der Sonnenwagen schwebt schon an des Himmels Grenzen, Auf einmahl sehen sie, von fern im weiten Thal, Gekrönt mit Thürmen ohne Zahl,
Der Städte Königin im Abendschimmer glänzen, Und, durch ein Paradies von ewig frischem Grün, Den breiten Strom des schnellen Tigers fliehn.

32
Ein wundersam Gemisch von Schrecken und Entzücken, Geheime Ahnungen, und fremde Schauer drücken Des Ritters Herz, da ihm der Schauplatz auf sich thut, Wo mehr sein Wort und angestammter Muth
Als Karls Gebot, ihn treibt ein Wagstück zu bestehen, Wovon kaum möglich ist ein besser Ziel zu sehen Als jähen Tod. Gewiß war immer die Gefahr, Doch schien sie nie so groß als da sie nahe war.

33
Er sieht mit ihren goldnen Zinnen,
Gleich einer Götterburg, in furchtbar stolzer Pracht Der Emirn Burg, den Thron, der Asien zittern macht, Und spricht zu sich: Und Du, was gehst du zu beginnen? Er stutzt. Doch bald stärkt wieder seine Sinnen Des Glaubens Muth, der ihn so weit gebracht, Und eine Stimme scheint ihm leise zuzugehen, Er werde die er liebt in jenen Mauern sehen.

34
Auf, ruft er, Scherasmin, spann alle Segel auf! Du siehst das Ziel von meinem langen Lauf; Wir müssen Bagdad noch vor dunkler Nacht erreichen. Nun geht’s im schärfsten Trott, daß Roß und Reiter keichen. Der Knapp’ gießt seinem Thier mitleidig etwas Wein Aus Oberons Becher auf die Zunge:
Da, spricht er, trink, du guter treuer Junge, Der Becher trocknet nicht für deines gleichen ein.

35
Er hatte Recht. Kaum saugt des Maulthiers Zunge So lechzend als ein ausgebrannter Stein
Den süßen Thau des Zaubergoldes ein, So schießt mit allbelebendem Schwunge
Ein Feuerstrom durch Adern und Gebein; Von neuer Kraft gespannt, erfrischt an Herz und Lunge, Läuft’s, einem Windspiel gleich, mit ihm davon, Und eh’ der Tag erlischt sind sie in Babylon.

36
Noch irrten sie in seinen ersten Gassen Unkundig in der Dämm’rung hin und her,
Als Fremde, die sich bloß vom Zufall leiten lassen: Da kam des Wegs von ungefähr
An ihrem Stab ein Mütterchen gegangen, Mit grauem Haar und längst verwelkten Wangen. He Mutter, seyd so gut, schreyt Scherasmin sie an, Und weiset uns den Weg zu einem Han.

37
Die Alte bleibt gestützt auf ihre Krücke stehen, Und hebt ihr wankend Haupt, die Fremden anzusehen. Herr Fremdling, spricht sie drauf, von hier ist’s ziemlich weit Zum nächsten Han; doch, wenn ihr müde seyd Und wenig euch genügt, so kommt in meine Hütte; Da steht euch Milch und Brot, und eine gute Schütte Von frischem Stroh zu Dienst, und Gras für euer Vieh; Ihr ruhet aus, und zieht dann weiter morgen früh.

38
Mit großem Dank für ihr gastfreundliches Erbieten Folgt Hüon nach. Ihm däucht kein Lager schlecht, Wo Freundlichkeit und Treu’ der offnen Thüre hüten. Die neue Baucis macht in Eil die Streu zurecht, Wirft Quendel und Orangenblüthen
Aus ihrem Gärtchen drauf, trägt fette Milch voll Schaum Und saft’ge Pfirschen auf, und Feigen frisch vom Baum, Beklagend, daß ihr jüngst die Mandeln nicht geriethen.

39
Dem Fürsten dünkt, er hab’ in seiner Lebenszeit Nie so vergnüglich Mahl gehalten.
Was der Bewirthung fehlt, ersetzt der guten Alten Vertrauliche Geschwätzigkeit.
Die Herren, spricht sie, kommen eben Zu einem großen Fest.–“Wie so?”–Ihr wißt es nicht? Es ist das einz’ge doch was man in Bagdad spricht; Die Tochter unsers Herrn wird morgen ausgegeben.

40
“Des Sultans Tochter? Und an wen?”
Der Bräutigam ist einer von den Neffen Des Sultans, Fürst der Drusen, reich und schön, Und auf dem Schachbret soll ihn keiner übertreffen; Mit Einem Wort, ein Prinz, den alle Welt Der schönen Rezia vollkommen würdig hält. Und doch–gesagt im engesten Vertrauen– Sie ließe lieber sich mit einem Lindwurm trauen.

41
Das nenn’ ich wunderlich, versetzt der Paladin, Ihr werdet’s uns so leicht nicht glauben machen. “Ich sag’ es noch einmahl, eh’ die Prinzessin ihn So nahe kommen läßt, umarmt sie einen Drachen, Da bleibt’s dabey!–Mir ist von langer Hand Das Wie und Wann der Sache wohl bekannt. Zwar hab’ ich reinen Mund gar hoch versprechen müssen; Doch, gebt mir eure Hand, so sollt ihr alles wissen.

42
“Es wundert euch vielleicht, wie eine Frau, wie ich, Zu solchen Dingen kommt, die selbst dem Fürstenstamme Verborgen sind und sonsten männiglich?
So wisset denn, ich bin die Mutter von der Amme Der schönen Rezia, bey der sie alles gilt, Wiewohl schon sechzehn volle Jahre
Verflossen sind, seit Fatme sie gestillt; Nun merkt ihr leicht, woher ich manchmahl was erfahre.

43
“Man weiß, daß schon seit Jahren der Kalif, Auf seine Tochter stolz, nicht selten
An Festen, die er gab, sie mit zur Tafel rief, Wo schöner Männer viel sich ihr vor Augen stellten. Allein auch das weiß Stadt und Land,
Daß keiner je vor ihr besonders Gnade fand; Sie schien sie weniger mit mädchenhaftem Grauen Als mit Verachtung anzuschauen.

44
“Indessen ward geglaubt, sie könne Babekan (So heißt der Prinz, den sich zum Tochtermann Der Sultan auserwählt) vor allen andern leiden. Nicht, daß beym Kommen oder Scheiden
Das Herz ihr höher schlug; ihn nicht mit Fleiß zu meiden War wohl das höchste, was er über sie gewann: Allein, sie war doch sonst für niemand eingenommen; Die Liebe, dachte man, wird nach der Hochzeit kommen.

45
“Jedoch, seit einem Zwischenraum
Von wenig Wochen, hat sich alles umgekehret. Seitdem kann Rezia den armen Prinzen kaum Vor Augen sehn. Ihr ganzes Herz empöret
Sich, wenn sie nur von Hochzeit reden höret; Und, was unglaublich ist, so hat ein bloßer Traum Die Schuld daran.”–Ein Traum? ruft Hüon ganz in Feuer; Ein Traum? ruft Scherasmin, welch seltsam Abenteuer!

46
Ihr träumte, fährt die Alte fort,
Sie werd’ in Rehgestalt an einem wilden Ort Von Babekan gejagt. Sie lief, von zwanzig Hunden Verfolgt, in Todesangst herab von einem Berg; Ihm zu entfliehen war die Hoffnung schon verschwunden! Da kam ein wunderschöner Zwerg
In einem Faëton, den junge Löwen zogen, In vollem Sprung entgegen ihr geflogen.

47
Der Zwerg in seiner kleinen Hand
Hielt einen blüh’nden Lilienstängel, Und ihm zur Seite saß ein fremder junger Fant, In Ritterschmuck, schön wie ein barer Engel; Sein blaues Aug’ und langes gelbes Haar
Verrieth, daß Asien nicht sein Geburtsland war; Doch, wo er immer hergekommen,
Genug, ihr Herzchen ward beym ersten Blick genommen.

48
Der Wagen hielt. Der Zwerg mit seinem Lilienstab Berührte sie; stracks fiel die Rehhaut ab: Die schöne Rezia, auf ihres Retters Bitten, Stieg in den Wagen ein, und setzt’ erröthend mitten Sich zwischen ihn und den, dem sich ihr Herz ergab, Wiewohl noch Lieb’ und Scham in ihrem Busen stritten. Der Wagen fuhr nun scharf den Berg hinan, Und stieß vor einen Stein, und sie erwachte dran.

49
Weg war ihr Traum, doch nicht aus ihrem Herzen Der Jüngling mit dem langen gelben Haar. Stets schwebt sein Bild, die Quelle süßer Schmerzen, Bey Tag und Nacht ihr vor, und seit der Stunde war Der Drusenfürst ihr unerträglich.
Sie konnt’ ihn ohne Zorn nicht hören und nicht sehn. Man gab sich alle Müh die Ursach’ auszuspähn; Umsonst, sie blieb geheim und stumm und unbeweglich.

50
Nur ihre Amm’ allein, von der ich, wie gesagt, Die Mutter bin, wußt’ endlich Weg’ zu finden, Das seltsame Geheimniß, das sie nagt,
Aus ihrer Brust heraus zu winden.
Allein ihr wißt, ob mit vernünft’gen Gründen Ein Schaden heilbar ist, der heimlich uns behagt? Die arme Dame war sich selber gram, und wollte Daß Fatme dennoch stets dem Übel schmeicheln sollte.

51
Indessen kam der Tag, vor dem so sehr ihr graut, Stets näher. Babekan, um bey der spröden Braut In beßre Achtung sich zu schwingen,
Ließ wenig unversucht; nur wollte nichts gelingen. Sie war bekanntlich stets den Tapfern sehr geneigt, Er hatte sich noch nie in diesem Licht gezeigt: Laß, sprach er zu sich selbst, uns eine That vollbringen, Der Unempfindlichen Bewundrung abzuzwingen!

52
Nun setzte seit geraumer Zeit
Ein ungeheures Thier das ganze Land in Schrecken: Es fiel bey hellem Tag in Dörfer und in Flecken, Und würgte Vieh und Menschen ungescheut. Man sagt, es habe Drachenflügel,
Und Klauen wie ein Greif und Stacheln wie ein Igel, Sey größer als ein Elefant,
Und wenn es schnaube, fahr’ ein Sturm durchs ganze Land.

53
Seit Menschendenken war kein solches Thier erschienen, Auch stand ein großer Preis auf dessen Kopf gesetzt; Allein weil jedermann den seinen höher schätzt, Hat niemand Lust das Schußgeld zu verdienen. Nur Babekan hielt’s des Versuches werth, Durch eine kühne That der Schönen Stolz zu dämpfen. Er geht im Pomp zum Sultan, und begehrt
Vergünstigung, den Löwen zu bekämpfen.

54
Und als ihm’s der, wiewohl nicht gern, gewährt, Bestieg er heute früh vor Tag sein bestes Pferd, Und ritt hinaus. Was weiter vorgegangen
Ist unbekannt. Genug, er kam, zu gutem Glück, Auf einem fremden Gaul, ganz leise, sonder Prangen Und ohne eine Klau’ vom Ungeheu’r zurück. Man sagt, er habe stracks, so bald er heim gekommen, Sich hingelegt und Bezoar genommen.

55
Bey allem dem sind nun mit unerhörter Pracht Die Zubereitungen zum Hochzeitfest gemacht; Unfehlbar wird es morgen vor sich gehen, Und Rezia sich in der nächsten Nacht
In Babekans verhaßten Armen sehen.– Eh’ dieß geschieht, fuhr Hüon rasch heraus, Eh’ soll das große Rad der Schöpfung stille stehen! Der Ritter und der Zwerg sind, glaubt mir, auch vom Schmaus.

56
Die Alte wundert sich des Wortes, und betrachtet Genauer, was sie erst nicht sonderlich geachtet, Des Fremden blaues Aug’ und langes gelbes Haar, Und seinen Ritterschmuck, und daß er nur gebrochen Arabisch sprach, und daß er schöner war
Als je ein Mann, der in die Augen ihr gestochen: Das rasche Wort, das er gesprochen,
Und diese Ähnlichkeit! es däucht ihr sonderbar.

57
Wo kam er her? warum? wer ist er? zwanzig Fragen Zu diesem Zweck, die schon auf ihrer Zunge lagen, Erstickte Hüons Ernst. Er that als wäre Ruh Ihm noth, und legte sich auf seiner Streu zurechte. Die Alte wünscht, daß ihm was süßes träumen möchte, Und trippelt weg, und schließt die Thüre nach sich zu. Allein wurmstichig war die Thür und hatte Spalten, Und Vorwitz juckt das Ohr der guten Alten.

58
Sie schleicht zurück, und drückt so fest sie kann Ihr lauschend Ohr an eine Ritze,
Und horcht mit offnem Mund und hält den Athem an. Die Fremden sprachen laut, und, wie es schien, mit Hitze; Sie hörte jedes Wort; nur, leider! war kein Sinn Für eine alte Frau von Babylon darin:
Doch kann sie dann und wann, zum Trost in diesem Leiden, Den Nahmen Rezia ganz deutlich unterscheiden.

59
Wie wundervoll mein Schicksal sich entspinnt! (Rief Hüon aus) Wie wahr hat Oberon gesprochen, Schwach ist das Erdenvolk und für die Zukunft blind! Karl denkt, er habe mir gewiß den Hals gebrochen; Auf mein Verderben zielt sein Auftrag sichtlich ab, Und blindlings thut er bloß den Willen des Geschickes: Der schöne Zwerg reckt seinen Lilienstab, Und leitet mich im Traum zur Quelle meines Glückes.

60
Und daß (spricht Scherasmin) die Jungfrau, die im Traum Das Herz euch nahm, gerade die Infante
Des Sultans ist, die Karl zu eurer Braut ernannte; Daß alles so sich schickt, und daß auch Sie im Traum, Wie ihr in sie, in Euch entbrannte,
So etwas glaubte man ja seinen Augen kaum! Und doch, spricht Hüon, hat’s die Alte nicht erfunden; Den Knoten hat das Schicksal selbst gewunden.

61
Nur wie er aufzulösen sey,
Da liegt die Schwierigkeit!–Mich sollte das nicht plagen, Erwiedert Scherasmin: Herr, darf ich ungescheut Euch meine schlechte Meinung sagen?
Ich macht’ es kurz und schnitt’ ihn frisch entzwey. Dem Junker linker Hand ließ’ ich den Luftpaß frey Und dem Kalifen seine Zähne,
Und hielte mich an meine Dulcimene.

62
Bedenkt’s nur selbst, in ihrer Gegenwart Die Ceremonie mit Kopfab anzufangen,
Hernach vier Backenzähn’ und eine Hand voll Bart Dem alten Herren abverlangen,
Und vor der Nas’ ihm gar sein einzig Kind umfangen, Bey Gott! das hat doch wahrlich keine Art! Das Schicksal kann unmöglich wollen
Daß wir das Ziel uns selbst so grob verrücken sollen.

63
Zum Glück, daß Oberon das beste schon versah. Das Hauptwerk ist doch wohl, dem Hasen
Von Bräutigam das Fräulein wegzublasen; Und dazu hilft die schöne Rezia
Gewiß uns selbst, so bald sie von der Alten Berichtet ist, das gelbe Haar sey da.–
Mir liegt indessen ob, zwey frische Klepper, nah Beym Garten des Serai’s, zur Flucht bereit zu halten.

64
Herr Scherasmin, (versetzt der Ritter) wie es scheint, Entfiel euch, daß ich Karln mein Ehrenwort gegeben, Dem, was er mir gebot, buchstäblich nachzuleben? Da geht kein Jot davon, mein Freund!
Was draus entstehen kann, das mag daraus entstehen! Mir ziemt es nicht so was voraus zu sehen. Im Fall der Noth (erwiedert Scherasmin)
Muß doch zuletzt der Zwerg uns aus dem Wasser ziehn.

65
Allmählich schlummert der Alte unter diesen Gesprächen ein. Von Hüons Augen bleibt
Der süße Schlaf die Nacht hindurch verwiesen. Gleich einem Kahn auf hohen Wogen, treibt Sein ahnend Herz mit ungeduldigem Schwanken Auf ungestüm sich wälzenden Gedanken:
So nah dem Port; so nah, und doch so weit! Es ist ein Augenblick, und däucht ihm Ewigkeit.

Fünfter Gesang.

1
Auch dich, o Rezia, floh, auf deinen weichen Schwanen, Der süße Schlaf. Du sahst in Klippen dich Verfangen, woraus dir einen Pfad zu bahnen Unmöglich schien. Verhaßt und fürchterlich Ist dir das festliche Roth am morgendämmernden Himmel, Verhaßt der Tag, der dich an Hymens Altar winkt. Lang’ wälzt sie seufzend sich um, bis endlich, vom innern Getümmel Der Seele betäubt, ihr Haupt herab zum Busen sinkt.

2
Sie schlummert ein, und, ihren Muth zu stützen, Webt Oberen ein neues Traumgesicht
Vor ihre Stirn. Sie glaubt, bey Mondeslicht, In einer Laube der Gärten des Harems zu sitzen, In Fantasieen der Liebe versenkt.
Ein süßes Weh, ein lieblich banges Sehnen Hebt ihre Brust, ihr Auge schwimmt in Thränen, Indem sie hoffnungslos an ihren Jüngling denkt.

3
Die Unruh treibt sie auf. Sie läuft, mit hastigen Schritten Und suchendem Blick, durch Busch und Blumengefild, Eilt athemlos zu allen grünen Hütten,
Zu allen Grotten hin; ihr Auge, zärtlich wild Und thränenvoll, scheint das geliebte Bild Von allen Wesen zu erbitten:
Oft steht sie ängstlich still, und lauscht Wenn nur ein Schatten wankt, nur eine Pappel rauscht.

4
Zuletzt, indem sie sich nach einer Stelle wendet Wo durch der Büsche Nacht ein heller Mondschein bricht, Glaubt sie–o Wonne! wenn kein falsches Schattenlicht Ihr gern betrognes Auge blendet–
Zu sehen was sie sucht. Sie sieht und wird gesehn; Sein Feuerblick begegnet ihren Blicken.
Sie eilt ihm zu, und bleibt, in schauerndem Entzücken, Wie zwischen Scham und Liebe, zweifelnd stehn.

5
Mit offnen Armen fliegt er ihr entgegen. Sie will entfliehn, und kann die Kniee nicht bewegen. Mit Müh verbirgt sie noch sich hinter einen Baum, Und in der süßen Angst zerplatzt der schöne Traum. Wie gerne hätte sie zurück ihn rufen mögen! Sie zürnt sich selbst und dem verhaßten Baum; Vergebens suchet sie sich wieder einzuwiegen, Ihm nachzusinnen bleibt ihr einziges Vergnügen.

6
Die Sonne hatte bald den dritten Theil vollbracht Von ihrem Lauf, und immer war’s noch Nacht Bey Rezia; so groß war ihr Ergetzen,
Den angenehmen Traum noch wachend fortzusetzen. Doch da sie gar zu lang’ kein Lebenszeichen giebt, Naht endlich Fatme sich dem goldnen Bette, schiebt Den Vorhang weg, und findet mit Erstaunen Die Dame wach, und in der besten aller Launen.

7
Ich hab’ ihn wieder gesehn, o Fatme, wünsche mir Glück, Ruft Rezia, ich hab’ ihn wieder gesehen!– Das wäre! spricht die Amm’, und sucht mit schlauem Blick Herum, als dächte sie den Vogel auszuspähen. Das Fräulein lacht: “Ey, ey, wie ist dein Witz so dick! Man dächte doch, das sollte sich verstehen! Ich sah ihn freylich nur im Traum; allein Er muß gewiß hier in der Nähe seyn.

8
“Mir ahnt’s, er ist nicht fern, und sprich mir nichts dagegen, Wenn du mich liebst!”–So schweig’ ich!–“Und warum? Was wäre denn am Ende so verwegen
An meiner Hoffnung? Sprich! wie sollt’ ich sie nicht hegen?” Die Amme seufzt und bleibt noch immer stumm. “Was übersteigt der Liebe Allvermögen?
Der Löwenbändiger, der mich beschützt, ist sie; Und retten wird sie mich, begreif’ ich gleich nicht wie.

9
“Du schweigst? du seufzest? Ach! zu wohl nur, gute Amme, Versteh’ ich was dein Schweigen mir verhehlt! Du hoffest nichts für meine Flamme!
Ich selbst, ich hoffe nur weil beßrer Trost mir fehlt. Die Stunde naht; schon klirren meine Ketten, Und mein Verderben ist gewiß;
Ein Wunder nur, o Fatme, kann mich retten, Ein Wunder nur! wo nicht–so kann es dieß!”

10
Bey diesem Worte zieht mit feur’gem Blicke Sie aus dem Busen einen Dolch hervor.
“Siehst du? Dieß macht mir Muth! dieß hebt mich so empor! Mit diesem hoff’ ich alles vom Geschicke!” Die Amme schwankt an ihren Stuhl zurücke, Wird leichenblaß, und zittert wie ein Rohr. Ach! ist dieß alles, so erbarme
Sich Gott!–ruft sie, und weint und ringt die Arme.

11
Das Fräulein drückt die Hand ihr auf den Mund: Still, spricht sie, fasse dich! und steckt in ihren Busen Den Dolch zurück. Du weißt, im weiten Erdenrund Ist nichts mir so verhaßt als dieser Fürst der Drusen. Eh’ Der mich haben soll, eh’ soll ein giftiger Molch In meine Brust die scharfen Zähne schlagen! Kommt mein Geliebter nicht, den Raub ihm abzusagen, Was bleibt mir übrig als mein Dolch?

12
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, So hört man am Tapetenthürchen pochen,
Das aus dem Schlafgemach in Fatmens Kammer führt. Sie geht, und kommt nach einer kleinen Weile So schnell zurück, daß sie vor lauter Eile Und Freudentrunkenheit den Athem fast verliert. “Nun sind wir aller Noth entbunden!
Triumf! Prinzessin, Triumf! der Ritter ist gefundener

13
Im Nachtgewand, das wie ein Nebel kaum Den schönen Leib umwallt, fährt jene aus den Lacken Und fällt entzückt der Amme um den Nacken: “Gefunden? Wo? wo ist er? O mein Traum,
So logst du nicht?”–Die Amme, selbst vor Freuden Ganz außer sich, hat kaum noch so viel Sinn, Die wonnetaumelnde halb nackte Träumerin In großer Eil’ ein wenig anzukleiden.

14
Herein gerufen wird sodann
Die Alte, selbst ihr Mährchen zu erzählen. Die gute Mutter fängt beym Ey die Sache an, Und läßt es nicht am kleinsten Umstand fehlen; Kein Zug, kein Wort das ihrem Gast entrann, Wird im Gemählde weggelassen.
Er ist’s, er ist’s! wir haben unsern Mann, Ruft Fatme aus; es kann nicht besser passen!

15
Die Alte wird von neuem ausgefragt, Muß drey–und viermahl wiederhohlen
Was er gethan, gesagt und nicht gesagt; Muß immer wieder ihn vom Haupt bis zu den Sohlen Abschildern, Zug für Zug–wie gelb und lang sein Haar, Wie groß und blau sein schönes Augenpaar; Und immer ist noch etwas nachzuhohlen
Das in der Eil’ ihr ausgefallen war.

16
Indeß sich so um zwanzig Jahre jünger Die Alte schwatzt, entspannt der hohe Lockenbau Der schönen Braut sich unter Fatmens Finger. Mit Perlen, glänzender als Thau,
Wird schneckengleich ihr schwarzes Haar durchflochten, Ohr, Hals und Gürtel schmückt so schimmerndes Gestein, Daß ihren Glanz im Sonnenschein
Die Augen kaum ertragen mochten.

17
Vollendet stellt nunmehr, von ihrer Nymfenschaar Zum Fest geschmückt und bräutlich angekleidet, Gleich einer Sonne sich die Königstochter dar, Und lieblich wie ein Reh, das unter Rosen weidet. Kein Auge sah sie ungeblendet an,
Wiewohl sie jetzt nur Mädchenaugen sahn: Nur sie allein schien nichts davon zu wissen, Wie neben ihr die Sterne schwinden müssen.

18
Das Feuer, das aus ihren Augen strahlt, Die Ungeduld, das lauschende Verlangen
Das ihre Lippen schwellt und ihre zarten Wangen Mit ungewohntem Purpur mahlt,
Setzt ihre Jungfrau’n in Erstaunen. Ist dieß die widerspenst’ge Braut,
(Beginnen sie einander zuzuraunen)
Der gestern noch so sehr vor diesem Tag gegraut?

19
Indessen sammeln sich die Emirn und Wessire, Geschmückt zum Fest, im stolzen Hochzeitsahl. Gerüstet steht das königliche Mahl,
Und, bey Trompetenklang, tritt aus der goldnen Thüre Des heiligen Palasts, von Sklaven aller Art Umflossen, der Kalif mit seinem grauen Bart. Der Drusenfürst, noch etwas blaß von Wangen, Kommt stattlich hinter ihm als Bräutigam gegangen.

20
Und gegenüber thut die Thür von Elfenbein Sich aus dem Harem auf, und, schöner als die Frauen In Mahoms Paradies, tritt auch die Braut herein. Ein Schleier zwar, gleich einem silbergrauen Gewölke, wehrt dem Engelsangesicht
Den vollen Glanz allblendend zu enthüllen; Und dennoch scheint ein überirdisch Licht Bey ihrem Eintritt stracks den ganzen Sahl zu füllen.

21
Dem Drusen schwillt und sinket wechselsweis’ Sein Herz, indem sein Aug’ an ihren Reitzen hanget: Er sucht im ihrigen was er zu sehn verlanget; Allein, ein Blick, so kalt wie Alpeneis, Ist alles was er sieht. Doch, dem Bethörten schmeichelt Die Eitelkeit, die Selbstbetrügerin,
Daß Rezia den spröden Blick nur heuchelt: O (denkt er) all der Schnee schmilzt über Nacht dahin!
22
Ob er zu viel gehofft soll kein Geheimniß bleiben. Doch, ohne jetzt unnöthig zu beschreiben, Wie drauf, nachdem der Imam das Gebet
Gesprochen, man beym Schall der Pauken und der Zinken Zur Tafel sich gesetzt, erst Seine Majestät, Dann rechter Hand die Braut, der Bräutigam zur linken, Und hundert Dinge, die von selber sich verstehn, Ist’s Zeit, auch wieder uns nach Hüon umzusehn.

23
Der hatte, wie ihr euch erinnert, seine Nacht, Von Ungeduld erhitzt, von Ahnungen umgaukelt, Auf seiner Streue nicht viel sanfter zugebracht, Als einer, den der Sturm in einem Mastkorb schaukelt. Kaum aber hat dem Tag in seine goldne Bahn Aurorens Rosenhand die Pforten aufgethan, So senkt sich nebelgleich ein Dunst von Mohn–und Flieder- Und Lilienduft auf seine Augen nieder.

24
Er schlummert ein, und schläft in Einem Zug Noch immer fort, da schon des Sonnenwagens Flug Den Himmel halb getheilt. Sein Alter ging indessen Um von der Burg die Lage auszuspähn,
Und zum Entführungswerk das nöth’ge vorzusehn; Derweil, am kleinen Herd, zu ihrem Mittagsessen Die gute Wirthin Anstalt macht,
Halb mürrisch, daß ihr Gast so lange nicht erwacht.

25
Sie schleicht zuletzt, um wieder durch die Spalten Zu gucken, an die Thür, und trifft (zu gutem Glück Für ihren Vorwitz) just den ersten Augenblick, Da Hüons Augen sich dem goldnen Tag entfalten. Frisch, wie der junge May sich an den Reihen stellt Wenn mit den Grazien die Nymfen Tänze halten, Hebt sich mit halbem Leib empor der schöne Held, Und rathet, was zuerst ihm in die Augen fällt?

26
Ein Kaftan, wie ihn nur die höchsten Emirn tragen, Wenn sich der Hof zu einem Feste schmückt, Auf goldbeblümtem Grund mit Perlen reich gestickt, Liegt schimmernd vor ihm da, um einen Stuhl geschlagen; Ein Turban drauf, als wie aus Schnee gewebt, Und, um ihn her, den Emir zu vollenden,
Ein diamantner Gurt, an dem ein Säbel schwebt, So reich, daß Scheid’ und Griff ihm fast die Augen blenden.

27
Zum ganzen Putz, von Fuß zu Haupt,
Den Stiefelchen aus übergüld’tem Leder Bis zu dem Demantknopf der hohen Straußenfeder Am Turban, mangelt nichts. Der gute Ritter glaubt, Ihm träume noch. Woher kann solcher Staat ihm kommen? Die Alte steht erstaunt. Das geht durch Zauberey, Ruft sie; ich hätte doch sonst was davon vernommen! Der Zwerg, spricht Scherasmin, ist ganz gewiß dabey!

28
Der Ritter glaubt es auch, und denkt: Durch all’ die Helden Im Vorhof macht mir dieß zum Hochzeitsahle Bahn. Und flugs ist Kaftan, Gurt, und alles umgethan; Die Wirthin spudet sich, ihn recht heraus zu kleiden. “Allein was fangen wir mit diesem Turban an? Das schöne gelbe Haar sein’twegen abzuschneiden? Nicht um die Welt!–Doch still! es geht ja wohl hinein; Er scheint ja recht mit Fleiß dazu gewölbt zu seyn!”

29
Herr Hüon stand nunmehr, bis auf die lilienglatte Bartlose Wange, wie ein wahrer Sultan da, Indem das Mütterchen ihn um und um besah Und immer noch an ihm zu putzen hatte.
Drauf, als der treue Scherasmin
Ihm was ins Ohr geraunt, beginnt er fortzugehen, Reicht einen Beutel Gold der Wirthin freundlich hin, Und nun, lebt wohl, auf Wiedersehen!

30
Nichts halb zu thun ist edler Geister Art. Ein reich gezäumtes Roß steht vor der Thür der Alten, Und neben ihm zwey Knaben, schön und zart, In Silberstück, die ihm die goldnen Zügel halten. Herr Hüon schwingt sich auf; die Knaben frisch voran, Und führen ihn auf einem Seitenwege,
Am Strome hin, durch blühende Gehäge, Bis sie der hohen Burg sich gegenüber sahn.

31
Schon ist er durch den ersten Hof gezogen, Im zweyten steigt er ab, und geht zum dritten ein. Er scheint ein Hochzeitgast vom ersten Rang zu seyn, Und überall, von diesem Schein betrogen, Macht ihm die Wache Platz. Er schreitet frey und stolz Daher, und nähert sich dem Thor von Ebenholz. Zwölf Mohren, Riesen gleich, stehn mit gezücktem Eisen Die Unberechtigten vom Eingang abzuweisen.

32
Allein des Ritters Staat und königlicher Blick Drückt, wie er sich der hohen Pforte zeiget, Die Säbelspitzen schnell zurück,
Die fernher sich entgegen ihm geneiget. Die Flügel rauschen auf. Hoch schlägt sein Heldenherz, Indem sie hinter ihm sich wieder wehend schließen. Drauf führt ein Säulengang, an welchen Gärten stießen, Ihn noch zu einer Thür von übergüld’tem Erz.

33
Ein großer Vorsahl war’s, mit Sklaven aller Farben Kombabischen Geschlechts erfüllt,
Die ewig hier am Quell der Freude darben, Und, da ein Mann, von Emirsglanz umhüllt, In ihre hohlen Augen schwillt,
Mit Blicken, die in Knechtsgefühl erstarben, Die Arme auf die Brust ins Kreuz gefaltet, stehn, Und kaum so muthig sind ihm hintennach zu sehn.

34
Schon tönen Cymbeln, Trommeln, Pfeifen, Gesang und Saitenspiel vom Hochzeitsahle her; Schon nickt des Sultans Haupt von Weindunst doppelt schwer, Und freyer schon beginnt die Freude auszuschweifen; Der Braut allein theilt sich die Lust nicht mit Die in des Bräut’gams Augen glühet:
Als, eben da sie starr auf ihren Teller siehet, Herr Hüon in den Sahl mit edler Freyheit tritt.

35
Er naht der Tafel sich, und alle Augenbrauen Ziehn sich erstaunt empor, den Fremden anzuschauen. Die schöne Rezia, die ihre Träume denkt, Hält auf den Teller noch den ernsten Blick gesenkt; Auch der Kalif, den Becher just zu leeren Beschäftigt, läßt sich nichts in seinem Opfer stören: Nur Babekan, den seines nahen Falls
Kein guter Geist verwarnt, dreht seinen langen Hals.

36
Sogleich erkennt der Held den losen Mann von gestern, Der sich vermaß der Christen Gott zu lästern: Er ist’s, der links am goldnen Stuhle sitzt Und seinen Nacken selbst der Straf’ entgegen bieget. Rasch, wie des Himmels Flamme, blitzt
Der reiche Säbel auf, der Kopf des Helden flieget, Und hoch aufbrausend überspritzt
Sein Blut den Tisch, und den, der ihm zur Seite lieget.

37
Wie der Gorgone furchtbars Haupt
In Perseus Faust den wild empörten Schaaren Das Leben stracks durch seinen Anblick raubt; Noch dampft die Königsburg, noch schwillt der Aufruhr, schnaubt Die Mordlust ungezähmt im Busen der Barbaren; Doch Perseus schüttelt kaum den Kopf mit Schlangenhaaren, So starrt der Dolch in jeder blut’gen Hand, Und jeder Mörder steht zum Felsen hingebannt:

38
So stockt auch hier, beym Anblick solcher kecken Verrätherischen That, des frohen Blutes Lauf In jedem Gast. Sie fahren allzuhauf,
Als sähn sie ein Gespenst, von ihren Sitzen auf, Und greifen nach dem Schwert. Allein, gelähmt vom Schrecken, Erschlafft im Ziehn der Arm, und jedes Schwert blieb stecken; Ohnmächt’gen Grimm im starren Blick,
Sank sprachlos der Kalif in seinen Stuhl zurück.

39
Der Aufruhr, der den ganzen Sahl empöret, Schreckt Rezien aus ihrer Träumerey:
Sie schaut bestürzt sich um, was dessen Ursach’ sey; Und, wie sie sich nach Hüons Seite kehret, Wie wird ihm, da er sie erblickt!
Sie ist’s, sie ist’s ruft er, und läßt entzückt Den blut’gen Stahl und seinen Turban fallen, Und wird von ihr erkannt, wie seine Locken wallen.

40
Er ist’s, beginnt auch sie zu rufen, doch die Scham Erstickt den Ton in ihrem Rosenmunde.
Wie schlug das Herz ihr erst, da er geflogen kam, Im Angesicht der ganzen Tafelrunde
Sie liebeskühn in seine Arme nahm,
Und, da sie, glühend bald, bald blaß wie eine Büste, Sich zwischen Lieb’ und jungferlichem Gram In seinen Armen wand, sie auf die Lippen küßte!

41
Schon hatt’ er sie zum zweyten Mahl geküßt; Wo aber nun den Trauring her bekommen?
Zum Glücke, daß der Ring an seinem Finger ist, Den er im Eisenthurm dem Riesen abgenommen. Zwar, wenig noch mit dessen Werth vertraut, Schien ihm, dem Ansehn nach, der schlecht’ste kaum geringer; Doch steckt er ihn aus Noth itzt an des Fräuleins Finger, Und spricht: So eign’ ich dich zu meiner lieben Braut!

42
Er küßt mit diesem Wort die sanft bezwungne Schöne Zum dritten Mahl auf ihren holden Mund.
Ha! schreyt der Sultan auf, und knirscht und stampft den Grund Vor Ungeduld, ihr leidet daß der Hund
Von einem Franken so mich höhne?
Ergreift ihn! Zaudern ist Verrath!
Und, tropfenweis’ erpreßt, versöhne Sein schwarzes Blut die ungeheure That!

43
Auf einmahl blitzen hundert Klingen In Hüons Aug’, und kaum erhascht er noch, Eh’ sie im Sturm auf ihn von allen Seiten dringen, Sein hingeworfnes Schwert. Er schwingt es dräuend. Doch Die schöne Rezia, von Lieb’ und Angst entgeistert, Schlingt einen Arm um ihn, macht ihre Brust zum Schild Der seinigen–der andre Arm bemeistert
Sich seines Schwerts. Zurück, Verwegne, schreyt sie wild.
44
Zurück! es ist kein Weg zu diesem Busen Als mitten durch den meinen! ruft sie laut; Und ihr, noch kaum so sanft wie Amors holde Braut, Giebt die Verzweiflung itzt die Augen von Medusen. Vermeßne, haltet ein, ruft sie den Emirn zu, Zurück!–O schone sein, mein Vater! und, o du, Den zum Gemahl das Schicksal mir gegeben, O spart mein Blut in euer beider Leben!

45
Umsonst! des Sultans Wuth und Dräun Nimmt überhand, die Heiden dringen ein.
Der Ritter läßt sein Schwert vergebens blitzen, Noch hält ihm Rezia den Arm. Ihr ängstlich Schreyn Durchbohrt sein Herz. Was bleibt ihm sie zu schützen Noch übrig, als sein Horn von Elfenbein? Er setzt es an den Mund, und zwingt mit sanftem Hauche Den schönsten Ton aus seinem krummen Bauche.

46
Auf einmahl fällt der hoch gezückte Stahl Aus jeder Faust; in raschem Taumel schlingen Der Emirn Hände sich zu tänzerischen Ringen; Ein lautes Hussa schallt Bacchantisch durch den Sahl, Und jung und Alt, was Füße hat, muß springen; Des Hornes Kraft läßt ihnen keine Wahl:
Nur Rezia, bestürzt dieß Wunderwerk zu sehen, Bestürzt und froh zugleich, bleibt neben Hüon stehen.

47
Der ganze Divan dreht im Kreis
Sich schwindelnd um; die alten Bassen schnalzen Den Takt dazu; und, wie auf glattem Eis, Sieht man den Imam selbst mit einem Hämmling walzen. Noch Stand noch Alter wird gespart;
Sogar der Sultan kann der Lust sich nicht erwehren, Faßt seinen Großwessir beym Bart,
Und will den alten Mann noch einen Bockssprung lehren.

48
Die nie erhörte Schwärmerey
Lockt bald aus jedem Vorgemache
Der Kämmerlinge Schaar herbey,
Sodann das Frauenvolk, und endlich gar die Wache. Sie all’ ergreift die lust’ge Raserey:
Der Zaubertaumel setzt den ganzen Harem frey; Die Gärtner selbst in ihren bunten Schürzen Sieht man sich in den Reihn mit jungen Nymfen stürzen.

49
Als eine, die kaum ihren Augen glaubt, Steht Rezia, des Athems fast beraubt.
Welch Wunder! ruft sie aus; und just in dem Momente, Wo nichts als dieß uns beide retten könnte! Ein guter Genius ist mit uns, Königin,
Versetzt der Held. Indem kommt durch die Haufen Der Tanzenden sein treuer Scherasmin
Mit Fatmen gegen sie gelaufen.

50
Kommt, keicht er, lieber Herr! Wir haben keine Zeit Dem Tanzen zuzusehn; die Pferde stehn bereit, Die ganze Burg ist toll, die Thüren alle offen Und unbewacht; was säumen wir?
Auch hab’ ich unterwegs Frau Fatmen angetroffen, Zur Flucht bepackt als wie ein lastbar Thier. Sey ruhig, spricht der Held, noch ist’s nicht Zeit zu gehen, Erst muß das Schwerste noch geschehen.

51
Die schöne Rezia erblaßt bey diesem Wort; Ihr ängstlich Auge scheint zu fragen und zu bitten: “Warum verziehn? warum am steilen Bord
Des Untergangs verziehn? O laß mit Flügelschritten Uns eilen, eh’ der Taumelgeist zerrinnt, Der unsrer Feinde Sinne bind’t!”
Doch Hüon, unbewegt, begnüget sich, mit Blicken Voll Liebe ihre Hand fest an sein Herz zu drücken.

52
Allmählich ließ nunmehr die Kraft des Hornes nach; Die Köpfe schwindelten, die Beine wurden schwach, Kein Faden war an allen Tänzern trocken, Und, in der athemlosen Brust
Geschwellt, begann das dicke Blut zu stocken. Zur Marter ward die unfreywill’ge Lust.
Durchnäßt, als stieg’ er gleich aus einer Badewanne, Schwankt der Kalif auf seine Ottomanne.

53
Mit jedem Augenblick fällt, starr und ohne Sinn, Da, wo rings um die Wand sich Polster schwellend heben, Ein Tänzer nach dem andern hin.
Emirn und Sklaven stürzen zappelnd neben Göttinnen des Serai’s, so wie’s dem Zufall däucht, Als ob ein Wirbelwind sie hingeschüttelt hätte, So daß zugleich auf Einem Ruhebette
Der Stallknecht und die Favoritin keicht.

54
Herr Hüon macht die Stille sich zu Nutze, Die auf dem ganzen Sahle ruht;
Läßt seine Königin, nah bey der Thür, im Schutze Des treuen Scherasmin, dem er auf seiner Hut Zu seyn gebeut; giebt ihm auf alle Fälle Das Horn von Elfenbein, und naht sodann der Stelle, Wo der Kalif, vom Ball noch schwach und matt, Auf einen Polsterthron sich hingeworfen hat.

55
In dumpfer Stille liegt mit ausgespannten Flügeln Leis’ athmend die Erwartung rings umher. Die Tänzer all’, von Schlaf und Taumel schwer, Bestreben sich die Augen aufzuriegeln,
Den Fremden anzusehn, der sich, nach solcher That, Mit unbewehrter Hand und bittenden Geberden Dem stutzenden Kalifen langsam naht.
Was, denkt man, wird aus diesem allen werden?

56
Er läßt sich auf ein Knie vor dem Monarchen hin, Und mit dem sanften Ton und kalten Blick des Helden Beginnt er. “Kaiser Karl, von dem ich Dienstmann bin, Läßt seinen Gruß dem Herrn der Morgenländer melden, Und bittet dich–verzeih! mir fällt’s zu sagen hart! Doch, meinem Herrn den Mund, so wie den Arm, zu lehnen, Ist meine Pflicht–um vier von deinen Backenzähnen Und eine Hand voll Haar aus deinem Silberbart.”

57
Er spricht’s und schweigt, und steht gelassen Des Sultans Antwort abzupassen.
Allein, wo nehm’ ich Athem her, den Grimm Des alten Herrn mit Worten euch zu schildern? Wie seine Züge sich verwildern,
Wie seine Nase schnaubt? mit welchem Ungestüm Er auf vom Throne springt? wie seine Augen klotzen, Und wie vor Ungeduld ihm alle Adern strotzen?

58
Er starrt umher, will fluchen, und die Wuth Bricht schäumend jedes Wort an seinen blauen Lippen. “Auf, Sklaven! reißt das Herz ihm aus den Rippen! Zerhackt ihn Glied für Glied! zapft sein verruchtes Blut Mit Pfriemen ab! weg mit ihm in die Flammen! Die Asche streut in alle Winde aus,
Und seinen Kaiser Karl, den möge Gott verdammen! Was? Solchen Antrag? Mir? In meinem eignen Haus?

59
“Wer ist der Karl der gegen Mich sich brüstet? Und warum kommt er nicht, wenn’s ihn
So sehr nach meinem Bart und meinen Zähnen lüstet, Und wagt’s, sie selber auszuziehn?”
Der Mensch muß unter seiner Mütze
Nicht richtig seyn, versetzt ein alter Kan: So etwas allenfalls begehrt man an der Spitze Von dreymahl hundert tausend Mann.

60
Kalif von Bagdad, spricht der Ritter Mit edlem Stolz, laß alles schweigen hier, Und höre mich! Es liegt schon lange schwer auf mir, Karls Auftrag und mein Wort. Des Schicksals Zwang ist bitter: Doch seiner Oberherrlichkeit
Sich zu entziehn, wo ist die Macht auf Erden? Was es zu thun, zu leiden uns gebeut,
Das muß gethan, das muß gelitten werden.

61
Hier steh’ ich, Herr, ein Sterblicher wie du, Und steh’ allein, mein Wort, trotz allen deinen Wachen, Mit meinem Leben gut zu machen:
Doch läßt die Ehre mir noch einen Antrag zu. Entschließe dich von Mahomed zu weichen, Erhöh’ das heil’ge Kreuz, das edle Christenzeichen, In Babylon, und nimm den wahren Glauben an, So hast du mehr, als Karl von dir begehrt, gethan.

62
Dann nehm’ ich’s auf mich selbst, dich völlig los zu sprechen Von jeder andern Forderung,
Und der soll mir zuvor den Nacken brechen, Der mehr verlangt! So einzeln und so jung Du hier mich siehst, was du bereits erfahren, Verkündigt laut genug, daß einer mit mir ist Der mehr vermag als alle deine Schaaren. Wähl’ itzt das beste Theil, wofern du weise bist!

63
Indeß, an Kraft und Schönheit einem Boten Des Himmels gleich, der jugendliche Held, Uneingedenk der Lanzen, die ihm drohten, So mannhaft spricht, so muthig dar sich stellt: Beugt Rezia von fern, mit glühend rothen Entzückten Wangen, liebevoll
Den schönen Hals nach ihm, doch schaudernd, wie der Knoten Von all’ den Wundern sich zuletzt entwickeln soll.

64
Herr Hüon hatte kaum das letzte Wort gesprochen, So fängt der alte Schach wie ein Beseßner an Zu schrey’n, zu stampfen und zu pochen,
Und sein Verstand tritt gänzlich aus der Bahn. Die Helden all’ in tollem Eifer springen Von ihren Sitzen auf mit Schnauben und mit Dräun, Und Lanzen, Säbel, Dolche dringen
Auf Mahoms Feind von allen Seiten ein.

65
Doch Hüon, eh’ sie ihn erreichen, reißt in Eile Der Männer einem rasch die Stange aus der Hand, Schlägt um sich her damit als wie mit einer Keule, Und zieht, stets fechtend, sich allmählich an die Wand. Ein großer goldner Napf, vom Schenktisch weggenommen, Dient ihm zugleich als Schild und als Gewehr; Schon zappeln viel am Boden um ihn her,
Die seinem Grimm zu nah gekommen.

66
Der gute Scherasmin, der an der Thüre fern Zum Schutz der Schönen steht, glaubt seinen ersten Herrn Im Schlachtgedräng zu sehn, und überläßt voll Freude Sich einen Augenblick der süßen Augenweide: Doch bald zerstreut den angenehmen Wahn
Des Fräuleins Angstgeschrey; er sieht der Helden Rasen, Sieht seines Herrn Gefahr, setzt flugs das Hifthorn an Und bläst, als läg’ ihm ob die Todten aufzublasen.

67
Die ganze Burg erschallt davon und kracht; Und stracks verschlingt den Tag die fürchterlichste Nacht, Gespenster lassen sich wie schnelle Blitze sehen, Und unter stetem Donner schwankt
Des Schlosses Felsengrund. Der Heiden Herz erkrankt; Sie taumeln Trunknen gleich, Gehör, Gesicht vergehen, Der schlaffen Hand entglitschen Schwert und Speer, Und gruppenweis’ liegt alles starr umher.

68
Der Sultan, übertäubt von so viel Wunderdingen, Scheint mit dem Tod den letzten Kampf zu ringen; Sein Arm ist nervenlos, sein Athem schwer, Sein Puls schlägt matt, und endlich gar nicht mehr. Auf einmahl schweigt der Sturm; ein lieblich säuselnd Wehen Erfüllt den Sahl mit frischem Lilienduft, Und, wie ein Engelsbild ob einer Todtengruft, Läßt Oberon sich itzt auf einem Wölkchen sehen.

69
Ein lauter Schrey des Schreckens und der Lust Entfährt der Perserin; ein unfreywillig Grauen Bekämpft in ihr das schüchterne Vertrauen. Die Arme über ihre Brust
Gefaltet, steht sie glühend neben
Dem Jüngling da, dem sie ihr Herz gegeben, Und wagt, der süßen Schuld jungfräulich sich bewußt, Zu ihrem Retter kaum die Augen aufzuheben.

70
Gut, Hüon, spricht der Geist, du hast dein Ehrenwort Gelöst, ich bin mit dir zufrieden.
Zum Ritterdank ist dir dieß schöne Weib beschieden! Doch, eh’ ihr euch entfernt von diesem Ort, Bedenke Rezia, wozu sie sich entschließet, Eh’ sie vielleicht mit unfruchtbarer Reu Die rasche Wahl verführter Augen büßet!
Zu bleiben oder gehn läßt ihr das Schicksal frey.

71
So vieler Herrlichkeit entsagen,
Verlassen Hof und Thron, dem sie geboren ward, Um sich, auf ungewisse Fahrt,
Ins weite Meer der Welt mit einem Mann zu wagen; Zu leben ihm allein, mit ihm den Unbestand Des Erdenglücks, mit ihm des Schicksals Schläge tragen, (Und ach! oft kommt der Schlag von einer lieben Hand!) Da lohnt sich’s wohl, vorher sein Herz genau zu fragen.

72
Noch, Rezia, wenn dich die Wage schreckt, Noch steht’s bey dir den Wunsch der Liebe zu betrügen. Sie schlummern nur, die hier als wie im Grabe liegen; Sie leben wieder auf, so bald mein Stab sie weckt. Der Sultan wird dir gerne, was geschehen, Verzeihn, trotz dem was er dabey verlor, Und Rezia wird wieder wie zuvor
Von aller Welt sich angebetet sehen.

73
Hier schwieg der schöne Zwerg. Und, bleicher als der Tod, Steht Hüon da, das Urtheil zu empfangen, Womit ihn Oberon, der Grausame! bedroht. In Asche sinkt das Feuer seiner Wangen.
Zu edel oder stolz, vielleicht ein zweifelnd Herz Mit Liebesworten zu bestechen,
Starrt er zur Erde hin mit tief verhaltnem Schmerz, Und läßt nicht einen Blick zu seinem Vortheil sprechen.

74
Doch Rezia, durchglüht von seinem ersten Kuß, Braucht keines Zunders mehr die Flamme zu erhitzen. Wie wenig däucht ihr noch was sie verlassen muß, Um alles was sie liebt in Hüon zu besitzen! Von Scham und Liebe roth bis an die Fingerspitzen, Verbirgt sie ihr Gesicht und einen Thränenguß In seinem Arm, indem, hoch schlagend von Entzücken, Ihr Herz empor sich drängt, an seines sich zu drücken.

75
Und Oberon bewegt den Lilienstab
Sanft gegen sie, als wollt’ er seinen Segen Auf ihrer Herzen Bündniß legen,
Und eine Thräne fällt aus seinem Aug’ herab Auf beider Stirn. So eil’ auf Liebesschwingen, Spricht er, du holdes Paar! Mein Wagen steht bereit, Bevor das nächste Licht der Schatten Heer zerstreut, Euch sicher an den Strand von Askalon zu bringen.

76
Er sprach’s, und eh’ des letzten Wortes Laut Verklungen war, entschwand er ihren Augen. Wie einem Traum entwacht, steht Hüons schöne Braut, Den süßen Duft begierig aufzusaugen,
Der noch die Luft erfüllt. Drauf sinkt ein scheuer Blick Auf ihren Vater hin, der wie in Todesschlummer Zu starren scheint. Sie seufzt, und wehmuthsvoller Kummer Mischt Bitterkeit in ihres Herzens Glück.

77
Sie hüllt sich ein. Herr Hüon, dem die Liebe Die Sinne schärft, sieht nicht so bald
Ihr Herz beklemmt, ihr schönes Auge trübe, So drückt er sie mit zärtlicher Gewalt,
Den rechten Arm um ihren Leib gewunden, Zum Sahl hinaus.–Komm, spricht er, eh’ die Nacht Uns überrascht, und jeder Arm erwacht,
Den, uns zu Lieb’, der Geist mit Zauberschlaf gebunden.

78
Komm, laß uns fliehn, eh’ uns den Weg zur Flucht Ein neuer Feind vielleicht zu sperren sucht, Und sey gewiß, sind wir nur erst geborgen, Wird unser Schützer auch für diese Schläfer sorgen. Dieß sprechend trägt er sie mit jugendlicher Kraft Die Marmortrepp’ hinunter bis zum Wagen, Den Oberon zu ihrer Flucht verschafft,
Und eine süßre Last hat nie ein Mann getragen.

79
Die ganze Burg ist furchtbar still und leer Wie eine Gruft, und Leichen ähnlich liegen In tiefem Schlaf die Hüter hin und her;
Nichts hemmt der Liebe Flucht; der Wagen wird bestiegen: Doch traut das Fräulein sich dem Ritter nicht allein; Mit Scherasmin steigt auch die Amme hastig ein. Sie, die zum ersten Mahl so viele Wunder siehet, Die arme Frau weiß nicht wie ihr geschiehet.

80
Wie wird ihr da sie rückwärts schaut Und sieht, an Pferde Statt, vier Schwanen vor dem Wagen, Regiert von einem Kind!–Wie schaudert ihr die Haut, Da sie empor gelupft und durch die Luft getragen Sich fühlt, und kaum zu athmen sich getraut, Und nicht begreifen kann, wie, ohne umzuschlagen, So schwer bepackt, der Wagen sich erhebt, Und, steter als ein Kahn, auf leichten Wolken schwebt!

81
Als endlich gar die Nacht sie überfiel, Was Wunder, daß die Furcht zuletzt die Scham besiegte, Und Fatme so gedrang an Scherasmin sich schmiegte, Als wie zum Schlaf an ihren lieben Pfühl! Vermuthlich daß der Mann dazu sich willig fügte; In solchen Fällen mischt das Herz sich gern ins Spiel: Jedoch gereicht zum Ruhm des wackern Alten, Daß er wie reines Gold dieß Feuer ausgehalten.

82
Ganz anders war das junge Paar gestimmt, Das Amor itzt mit seiner Mutter Schwanen Davon zu führen schien. Ob auf gewohnten Bahnen Den Lauf ihr Zauberfuhrwerk nimmt,
Ob durch die Luft, ob’s rollet oder schwimmt, Ob langsam oder schnell, mit Pferden oder Schwanen, Sanft oder hart, mit oder ohne Fahr,
Sie werden nichts von allem dem gewahr.

83
Ein neuer Wonnetraum, ein seliges Entzücken Ins Paradies, dünkt sie ihr gegenwärt’ger Stand; Sie können nichts, als stumm, mit nimmer satten Blicken, Sich anschaun, eins des andern warme Hand Ans volle Herz in süßer Inbrunst drücken, Und, während Himmel und Erd’ aus ihren Augen schwand, Und sie allein noch übrig waren, fragen: Ist’s, oder träumt uns noch? Sind wir in Einem Wagen?

84
“So war’s kein Traum als ich im Traum dich sah? (Rief jedes aus) So war es Rezia?
War’s Hüon? und ein Gott hat dich mich finden lassen? Du mein?–ich dein?–Wer durft’ es hoffen, wer? So wundervoll vereint, uns nimmer nimmermehr Zu trennen? Kann das Herz so viele Wonne fassen?” Und dann von neuem stets einander angeblickt, Von neuem Hand um Hand an Mund und Herz gedrückt!

85
Vergebens hüllt die Nacht mit dunstbeladnen Flügeln Den Luftkreis ein; dieß hemmt der Liebe Sehkraft nicht: Aus ihren Augen strahlt ein überirdisch Licht, Worin die Seelen selbst sich in einander spiegeln. Nacht ist nicht Nacht für sie; Elysium
Und Himmelreich ist alles um und um; Ihr Sonnenschein ergießet sich von innen, Und jeder Augenblick entfaltet neue Sinnen.

86
Allmählich wiegt die Wonnetrunkenheit Das volle Herz in zauberischen Schlummer; Die Augen sinken zu, die Sinne werden stummer, Die Seele dünkt vom Leibe sich befreyt,
In Ein Gefühl beschränkt, so fest von ihm umschlungen! So inniglich von ihm durchathmet und durchdrungen! Beschränkt in Eins, in diesem Einen bloß Sich fühlend–Aber, o dieß Eins, wie grenzenlos!

Sechster Gesang.

1
Kaum fing Aurora an die Schatten zu verjagen, Und schloß dem Tag mit ihrer Rosenhand
Die Pforten auf, so hielt der Schwanenwagen, Nicht weit vom seebespülten Strand
Von Askalon, im Schirm von hohen Palmenbäumen, Auf einmahl still. Ein sanfter Stoß
Weckt unser doppelt Paar, dieß aus des Schlummers Schooß, Und jenes aus der Liebe wachen Träumen.

2
In süßem Schrecken bebt die Sultanstochter auf, Indem zum ersten Mahl, vom Morgen angestrahlet, Das Weltmeer grenzenlos sich in ihr Auge mahlet. Voll Wunders schweift in ungehemmtem Lauf Der ausgedehnte Blick auf diesen Wasserhöhen; Die Unermeßlichkeit scheint vor ihr aufgethan: Doch, mitten in der Lust kommt sie ein Schaudern an, Im Unermeßlichen sich selbst so klein zu sehen.

3
Ein grauer Flor umnebelt ihren Blick. Wo bin ich? ruft sie. Doch, Herr Hüon, der am Wagen Mit offnen Armen steht ins Grüne sie zu tragen, Bringt den verschwebten Geist schnell zu sich selbst zurück. Sey, spricht er, ohne Furcht, mein Leben, (Indem er seinen Mund von Lieb’ und Sehnsucht warm Auf ihren Busen drückt, den stille Seufzer heben) Sey ohne Furcht, du bist in meinem Arm.

4
Mit Wonne fühlt sie sich itzt wieder ganz umgeben Von ihrer Liebe, ganz in seinen Arm versenkt, Und junger Efeu kann am Stamm nicht brünst’ger kleben Als sie um seinen Leib die runden Arme schränkt. So eilt er mit der süßen Beute
Den Palmen zu; setzt dann auf weiches Moos Sie in den Schatten hin, sich selbst an ihre Seite, Und tauschte seinen Platz um keines Sultans Loos.

5
Bald findet auch mit Fatme sich bey ihnen Sein Alter ein, entschlossen, er und sie, Bis auf den letzten Hauch dem lieben Paar zu dienen. Kaum hatte Scherasmin im Grünen
Bey seinem Herrn, und Fatme nah am Knie Der jungen Dame Platz genommen,
Schnell, wie ein Blitz der Fantasie, Kam durch die Luft der schöne Zwerg geschwommen.

6
Aus seinen Augen brach durch sanft bewölkten Gram Der Freundschaft mildes Licht, und als er näher kam, Sahn sie ein Kästchen, dicht besetzt mit Edelsteinen, In seinem linken Arm wie eine Sonne scheinen. Freund Hüon, sprach der Geist, nimm dieß aus meiner Hand, Wiewohl dich Karl dazu ausdrücklich nicht verpflichtet: Wenn du ihn wiedersiehst, so dien’ es ihm zum Pfand, Daß du, was er begehrt, buchstäblich ausgerichtet!

7
Ihr merkt, (wiewohl in Rezia’s Gegenwart Nicht schicklich war es laut zu offenbaren) Daß des Kalifen Zähn’ und Bart,
In Baumwoll’ eingepackt, in diesem Kästchen waren. Es hatte, während daß der Sultan noch erstarrt In seinem Lehnstuhl lag, von Oberons unsichtbaren Trabanten einer sich behend ans Werk gemacht, Und alles, ohne Scher’ und Pelikan, vollbracht.

8
Eilt nun, so fuhr er fort, bevor euch nachzujagen Der Sultan Zeit gewinnt! Dort auf der Rhede liegt Ein Schiff, das ohne Harm in sechs bis sieben Tagen Mit euch bis nach Lepanto fliegt;
Dort findet ihr, so bald ihr angekommen, Ein andres schon bereit, das nach Salern euch bringt; Und dann, so schnell als Lieb’ und Sehnsucht euch beschwingt, Geraden Wegs den Lauf nach Rom genommen!

9
Und tief, o Hüon, sey’s in deinen Sinn geprägt: So lange bis der fromme Papst Sylvester
Auf eurer Herzen Bund des Himmels Weihung legt, Betrachtet euch als Bruder und als Schwester. Daß der verbotnen süßen Frucht
Euch ja nicht vor der Zeit gelüste! Denn wisset, daß im Nu, da ihr davon versucht, Sich Oberon von euch auf ewig trennen müßte.

10
Er sagt’s, und seufzt, und stiller Kummer schwillt In seinem Aug’; er heißet sie ihm nahen, Und küßt sie auf die Stirn; und als sie aufwärts sahen, Zerfloß er wie ein Wolkenbild
Aus ihrem Blick. Der goldne Tag verhüllt Sein Antlitz; traurig rauscht’s, wie Seufzer, durch die Palmen, Und Land und Meer scheint, dumpf und tief erstillt, In trübem Duft gestaltlos zu verqualmen.

11
Ein seltsam Weh, ein stilles Bangen drückt Das holde Paar; sie sehn mit blassen Wangen Einander an; im offnen Mund erstickt
Was jedes sprechen will; sie wollen sich umfangene Und ein geheimes Grau’n hält ihren Arm. Allein In einem Pulsschlag stürzt der dumpfe Nebel nieder, Lacht alles wie zuvor in goldnem Sonnenschein, Und Muth und Freude kehrt in ihre Herzen wieder.

12
Sie eilen nach dem Schiff, und finden’s, hoch erfreut, Zur Reise schon versehn und zierlich eingerichtet Durch ihres Schützers Gütigkeit.
Ein frischer Landwind weht, der Anker wird gelichtet, Das Seevolk jauchzt. Die Barke, vogelschnell, Durchschneidet schon mit ausgespannten Flügeln Die blaue Flut; die Luft ist rein und hell, Und glatt das Meer um sich darin zu spiegeln.

13
Sanft wiegend schwimmt, gleich einem stolzen Schwan, Das Schiff dahin, zum Wunder aller Söhne Des Oceans, auf kaum gefurchter Bahn.
So eine Fahrt hat noch kein Mensch gethan, Rief jeder aus. Der Ritter und die Schöne Stehn, Arm in Arm geschlungen, Stunden lang Auf dem Verdeck, und schau’n; und jede neue Scene Ist Opium für ihren Liebesdrang.

14
Und wenn sie in die unabsehbarn Flächen Hinaus sehn, wo in Luft der Wellen Blau zerrinnt, Fängt Hüon an von seinem Land zu sprechen, Wie schön es ist, wie froh darin die Leute sind, Und wie von Ost zum West die Sonne
Doch auf nichts holders scheinen kann Als auf die Ufer der Garonne;
Und alles dieß beschwört sein alter Lehensmann.

15
Dem hüpft das Herz, so oft er seinem lieben Gaskogne Hymnen singen kann!
Die schöne Rezia, wiewohl ihr dann und wann Viel Worte unverständlich blieben,
Horcht unverwandt; denn das, wovon ihr nichts entgeht, Was mit unsäglichem Behagen,
So neu ihr’s ist, ihr Herz unendlich leicht versteht, Ist–was ihr Hüons Augen sagen.

16
Ein sanfter Druck der warmen Hand,
Ein Seufzer, der das volle Herz entladet, Ein leiser Kuß, der Rosenwang’ entwandt, Und, o ein Blick, in Amors Thau gebadet, Was überzeugt, gewinnt und rührt wie dieß? Was geht so schnell, trotz dem behendsten Pfeile, Von Herz zu Herz, trifft so gewiß
Den Zweck, und macht so wenig lange Weile?

17
In Seelgesprächen dieser Art
Verlor das Wortgespräch sich stets bey unsern beiden. Oft schlichen sie, um Zeugen zu vermeiden, In ihr Gemach, und standen da gepaart
Am offnen Fenster, oder saßen
Auf ihrem Sofa. Doch, auch dann nicht ganz allein; Die Amme wenigstens muß stets zugegen seyn; Denn Hüon selber bat ihn nie allein zu lassen.

18
Noch immer wiederhallt der schreckenvolle Ton Des strengen “laßt euch nicht gelüsten”
In seinem Ohr; denn wißt, sprach Oberon, Daß wir uns sonst auf ewig trennen müßten. Wie meinte das der Geist? Es war ein tiefer Sinn In seinem Blick, der immer ernster, immer Bewölkter ward; ach! Thränen schwammen drin, Und sein Gesicht verlor den sonst gewohnten Schimmer.

19
Dieß schwellt mit Ahnungen des guten Ritters Herz. Er traut sich selbst nicht mehr; der Liebe leichtster Scherz Erweckt die Furcht, ob Oberon ihn verdamme. Indessen frißt die eingeschloßne Flamme
Sich immer tiefer ein. Die Luft, worin er lebt, Ist Zauberluft, weil Rezia sie theilet;
Ihr Athem weht darin, ihr holder Schatten schwebt Um jeden Gegenstand, auf dem sein Auge weilet.

20
Und, o Sie selbst glänzt ihn im Morgenlicht, Im Abendroth, im sanften Schattentage
Des Mondes an. In welcher schönen Lage, In welcher Stellung reitzt ihr Nymfenwuchs ihn nicht? Der Schleier, der vor allen fremden Augen Sie dicht umhüllt, fällt im Gemach zurück, Erlaubt sogar dem furchtsam kühnen Blick Sich, Bienen gleich, in Hals und Busen einzusaugen.

21
Er fühlt die süße Gefahr. O, soll es möglich seyn, Du Schönste, ruft er oft, bis Rom es auszuhalten, So wickle dich in sieben Schleier ein!
Verstecke jeden Reitz in tausend kleine Falten; Laß über dieses Arms lebend’ges Elfenbein Die weiten Ärmel bis zur Fingerspitze fallen, Und ach! Freund Oberon, vor allen
Verwandle bis dahin mein Herz in kalten Stein!

22
Es war, wiewohl ihm oft die Kräfte schier versagen, Des Ritters ganzer Ernst, den Sieg davon zu tragen In diesem Kampf. Es däucht’ ihn groß und schön Das schwerste Abenteu’r der Tugend anzugehn, Schon groß und schön, es nur zu wagen,
Und zehnfach schön und groß, es rühmlich zu bestehn. Allein, die Möglichkeit so einen Feind zu dämpfen, Der immer stärker wird, je mehr wir mit ihm kämpfen?

23
Nichts ist, was diesem Feind so bald gewonnen giebt, Als bey der Schönen, die man liebt,
Sich dem Gefühl stillschweigend überlassen. Zum Glück erinnert sich Herr Hüon seiner Pflicht, Nach ritterlichem Brauch, sich mit dem Unterricht Der Sultanstochter zu befassen.
Denn ach! das arme Kind lag noch im Heidenthum, Und glaubt’ an Mahomed, unwissend zwar warum.

24
Der Ritter, sie von dieser Pest zu heilen, Eilt was er kann, (die Liebe hieß ihn eilen) Sein Bißchen Christenthum der Holden mitzutheilen. An Eifer gab er keinem Märt’rer nach;
Er war an Glauben stark, wiewohl an Kenntniß schwach, Und die Theologie war keineswegs sein Fach; Sein Pater und sein Credo, ohne Glossen, In diesen Kreis war all sein Wissen eingeschlossen.

25
Doch was vielleicht an Licht und Gründlichkeit Der Lehre fehlt, ersetzt des Lehrers Feuer: Herr Hüon, standsgemäß ein Feind von Wörterstreit, Handhabt das Werk gleich einem Abenteuer, Und was er glaubt, beschwört er hoch und theuer, Erbötig, dessen Richtigkeit
Dem ganzen Heidenthum mit seinem blanken Eisen Zu Wasser und zu Land handgreiflich zu erweisen.

26
Groß ist in des Geliebten Mund
Der Wahrheit Kraft; das Herz, voraus mit ihm in Bund, Horcht ihm mit Lust und lehrbegier’gem Schweigen. Was ist so leicht zu überzeugen
Als Liebe? Ein Blick, ein Kuß ist ihr ein Glaubensgrund. Die Schöne, ohne sich in Fragen zu versteigen, Glaubt ihrem Hüon nach, und macht in kurzer Zeit Ihr Kreuz an Stirn und Brust mit vieler Fertigkeit.
27
Das heil’ge Bad der Christen zu empfangen Stand nun (wie unser Held in seiner Einfalt meint) Ihr weiter nichts im Weg. Ihr ist’s, um vor Verlangen Zu brennen, schon genug, daß er darnach zu bangen Und jedes Augenblicks Verzug zu hassen scheint. Ein Jünger Sankt Basils, ein großer Heidenfeind, der sich im Schiffe fand, wird leicht gewonnen, ihnen Für die Gebühr hierin mit seinem Amt zu dienen.

28
Die schöne Rezia, die nun Amanda hieß Seitdem sie in den Christenorden
Getreten war, gewann nicht nur das Paradies, Sie schien dadurch sogar noch eins so schön geworden. Allein von Hüon wich zur Stunde sichtbarlich Sein guter Geist. Es war, im Taumel des Entzückens, Des Herzens und des Händedrückens
Kein End’. Umsonst zerwinkt der treue Alte sich;

29
Vergebens stellt sich Fatme gegenüber: Der gute Paladin in seinem Seelenfieber
Vergißt des Zwergs, der Warnung, der Gefahr. Der Alte hätte sich zu Tode winken können, Die Wonn’, in die er ganz versunken war, Sie, deren Kuß nun Engel selbst ihm gönnen, Zu drücken an sein Herz, Amanda sie zu nennen, Umnebelt seinen Blick, berauscht ihn ganz und gar.

30
Auch Rezia, seitdem sie von Amanden Den Nahmen eingetauscht, glaubt freyer von den Banden Des Zwangs zu seyn, ist nicht mehr Rezia, vergißt Nun desto leichter Königswürde,
Hof, Vaterland, und kurz, was nicht Amanda ist. Die Rückerinnerung, die sonst wie eine Bürde Zuweilen noch an ihrem Nacken hing,
Fiel mit dem Nahmen ab, den sie im Tausch empfing.

31
Sie ist nun ganz für Hüon neu geboren, Gab alles, was sie war, für ihn,
Gab einen Thron um Liebe hin,
Und fühlt’ in seinem Arm, sie habe nichts verloren. Sie gab sich weg, und ist Amande, nun
Für Liebe nur, durch Liebe nur zu leben, Hat in der Welt nichts andres mehr zu thun Nichts andres zu empfangen noch zu geben.

32
Der wackre Scherasmin, der das verliebte Paar In solcher Stimmung sieht, erschrickt vor ihren Blicken. Er wird darin ich weiß nicht was gewahr, Das lüstern ist verbotne Frucht zu pflücken. Ein Zeuge drückte sie, das sah er offenbar. Sie küßten sich, so bald er nur den Rücken Ein wenig kehrt, so rasch, so durstiglich, Und wurden roth, so bald sein Auge sie bestrich.

33
Im Spiegel seiner eignen Jugend
Sieht er nur allzu gut was beide nicht mehr sahn; Sieht, einer Motte gleich, die unerfahrne Tugend Sich ahnungslos der schönen Flamme nahn. Wie lieblich zieht der Glanz, die sanfte Wärme an! Durch ihre Unschuld selbst betrogen
Umtaumelt sie das Licht in immer kleinern Bogen, Und plötzlich ach! verbrennt sie ihre Flügel dran.

34
In dieser Noth läßt der getreue Alte (Mit Fatmen ingeheim zu diesem Zweck vereint) Nichts unversucht, was ihm ein Mittel scheint, Daß wenigstens bis Rom des Ritters Weisheit halte; Ihm fällt bald dieß bald jenes ein,
Sie zu beschäftigen, zu stören, zu zerstreun; Zuletzt schlägt er, da alle Mittel fehlen, Zur Abendkürzung vor, ein Mährchen zu erzählen.

35
Ein Mährchen nennt’ er es, wiewohl es freylich mehr Als Mährchen war. Ihm hatt’ es ein Kalender Zu Basra einst erzählt, als er die Morgenländer Nach seines Herren Tod durchirrte, lang’ vorher, Eh’ in die Kluft des Libans aus den Wogen Der stürmevollen Welt er sich zurückgezogen: Und da es itzt in ihm gar lebhaft sich erneut, Glaubt er, es sey vielleicht ein Wort zu rechter Zeit.

36
Und so beginnt er denn: Vor etwa hundert Jahren Lebt’ an den Ufern des Tessin
Ein Edelmann, an Weisheit ziemlich grün, Wiewohl sehr grau an Bart und Haaren;
Von Podagra und Gicht, der späten bittern Frucht Zu viel genoßner Lust, fast täglich heimgesucht; Ein Hofmann übrigens, galant und wohl erfahren, Und in der Kriegeskunst der Minne wohl versucht.

37
Dem war, nachdem er lang’ sein sündliches Vergnügen Daran gehabt, im Hagestolzenstand
Auf Amors freyer Bürsch’ Berg auf Berg ab im Land Herum zu ziehn, und, wo er Eingang fand, Bey seines Nächsten Weib zu liegen;
Ihm, sag’ ich, war zuletzt der Einfall aufgestiegen, Den steifen Hals, noch an des Lebens Rand, Ins sanfte Joch der heil’gen Eh’ zu schmiegen.

38
Mit viel Geschmack und wohl verkühltem Blut Sucht er ein Kind sich aus, wie er’s zu Tisch und Bette, Zu Scherz und Ernst, gerade nöthig hätte, Zumahl zur Sicherheit; ein Mädchen, fromm und gut, Unschuldig, sittsam, unerfahren,
Keusch wie der Mond und frey von aller eiteln Lust, Jung überdieß, pechschwarz von Aug’ und Haaren, Von Farbe rosenhaft, und rund von Arm und Brust.

39
Von allen drey und dreyßig Stücken, Womit ein schönes Weib, sagt man, versehen ist, Hätt’ er kein einzigs gern an seiner Braut vermißt, Am wenigsten das Aug’, in dessen Feuerblicken